Die Legende vom Winterkönig - Neufassung

Es gibt 872 Antworten in diesem Thema, welches 265.030 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (6. Juli 2020 um 01:06) ist von kalkwiese.

  • Puh , da hast du mich aber mit Lesestoff versorgt... zumindest für kurze Zeit :D
    Jetzt heißt es leider auch hier warten auf neue Teile... aber nur keinen Stress :whistling:

    Leider hab ich im Moment nicht soviel Zeit zum Lesen, aber irgendwann kommen auch mal andere Geschichten aus dem Forum dran. Bis dahin bin ich wohl dein persöhnlicher Fanboy :thumbup:

  • „Regnet es hier eigentlich immer?”
    Seit vier Tagen waren sie ununterbrochen durch einen feinen Nieselregen gezogen, und die dicken, grauen Wolken ließen das Land darunter farblos und trist aussehen. Die Luft war so feucht, dass selbst innerhalb des Wagens alles klamm geworden war, und es war unangenehm kalt dabei. Geräuschvoll zog Alastair die Nase hoch.
    „Ich war bisher etwa zehn mal hier und davon hat´s acht mal geregnet”, brummte Gembries gleichmütig. Alastairs Blick glitt neugierig über die Landschaft. Abseits der breiten, überraschend guten Straße verschwand der Boden zum größten Teil in einer feinen, weißlich grauen Nebelschicht, aus der die hohen Ähren verschiedenster Gräser lugten. Im Hintergrund streckten knorrige Bäume ihre Kronen dem trüben Himmel entgegen, die Äste silbrig weiß geschmückt und manchmal auch behangen mit langen, weißen Bärten.
    „Das ist eine seltsame Gegend“, murmelte der Junge.
    „Das ist Sumpfland“, erklärte der Kesselflicker.
    „Sumpfland? Es sieht aus wie eine Märchengegend, und es ist so wunderbar ruhig hier. Sieh doch nur, wie der Nebel auf dem Boden liegt, Gembries, als gehöre das alles gar nicht zur realen Welt.“ Verträumt blickte Alastair umher. „Ich wünschte, ich könnte so etwas Schönes malen, die ganze Stimmung in einem Bild einfangen.“
    Gembries warf ihm einen dieser seltsamen Blicke zu, an die sich Alastair inzwischen so gewöhnt hatte, dass er nicht mehr nervös zusammenfuhr.
    „Oh, schau doch mal da. Kannst du mal kurz halten? Ich möchte mit das gern länger ansehen“, hauchte der Junge verzückt.
    Wie ein Fels ragte wenige Meter neben der Straße ein Baum aus dem Nebel, dessen graugrüne Blätter anmutig aus der breiten Krone an hängenden Ästen zum Boden zeigten.
    „So einen Baum habe ich noch nie gesehen. Als wären seine Blätter mit Silberstaub bedeckt.“
    „Einst unter der Aroya Weide lebte ein kleines Volk
    war ein Reißen in deinen Gliedern nahmen sie´s geschwind dir fort
    Tausend Jahre altes Wissen, Licht im Nebel jederzeit
    Heilende Hände, sanfte Blicke, beste Heilkunst weit und breit
    bescheiden leben in den Sümpfen , freundlich sein zu jedermann
    dafür stehen Aroya Weiden, Wanderer, sieh sie dir an.“
    Gembries grinste den überraschten Jungen an.
    „Das ist eine Aroya. Man sagt, die Gnome haben diesen Baum verehrt und bezogen ihre Heilkraft aus seinem Geist“, zwinkerte er. „Es gibt sicherlich auch schönere und längere Gedichte zu dem Baum, aber die konnte ich mir nie merken.“
    Alastair wagte kaum zu atmen und betrachtete den Baum fast ehrfürchtig.
    „Du meinst, hier haben wirklich mal Gnome gelebt?“, flüsterte er aufgeregt.
    „Ja, Fröschlein“, raunte Gembries leise. „Vor dem Bann. Das hier sind die Sümpfe von Arod, und nirgends gab es so viele Gnome wie hier.“
    „Boah – Gembries, können wir mal zu dem Baum hingehen? Ich würde ihn gerne aus der Nähe ansehen.“
    Gembries schüttelte den Kopf.
    „Nein! Man sagt, um die Sümpfe betreten zu können, braucht es eine Einladung der Gnome, und da scheint etwas dran zu sein. Jeder, der nach dem Bann die Straße verlassen hat, ist sofort im Morast versunken. Den alten Sagen nach konnten die Gnome den Boden unter deinen Füßen fest werden lassen. Ohne diesen Zauber sind die Sümpfe absolut tödlich.“
    Irritiert betrachtete der Junge die schöne Umgebung.
    „Aber woher wussten die Gnome denn, dass jemand zu ihnen wollte? Das Gebiet scheint mir sehr groß zu sein.“
    Gembries lächelte. „Man sagt, die Irrlichter brachten die Gnome zu ihren Gästen.“
    „Toll.“ Hingerissen betrachtete der Junge die Weide und ließ seinen Blick erneut verträumt über die Landschaft gleiten. „Ich kann es mir richtig vorstellen, Gembries.“
    „Können wir jetzt weiter fahren?“
    Alastair nickte, tief in seine eigenen Gedanken versunken.
    „Ob die Aroya die Gnome wohl vermisst?“, murmelte er leise, als der Baum einsam hinter ihnen zurückblieb. Wieder traf ihn einer dieser seltsamen Blicke.
    „Du machst dir vielleicht Gedanken“, schüttelte Gembries den Kopf. „Junge, wir sind immer noch am Arsch der Welt und unsere Vorräte gehen zur Neige. Das macht mir mit Verlaub mehr Kopfschmerzen als die Frage, ob ein Baum Leute vermissen kann.“ Alastair senkte betreten den Blick.
    „Ich esse ab jetzt einfach nichts mehr, Gembries. Ich kann das. Ich habe schon oft ein paar Tage nichts gegessen, es macht mir gar nichts aus.“
    „Mir aber!“, knurrte Gembries. „Mir macht es was aus, dass man mich für einen Typen hält, der ganz egoistisch alleine futtert und seinen Mitreisenden dabei zusehen lässt.“ Alastair zuckte zusammen.
    „So habe ich das doch nicht gemeint!“, haspelte er verlegen. „Ich meinte nur, wenn du mich nicht freundlicherweise mitgenommen hättest, wärst du mit deinen Vorräten ausgekommen und ich will keine Belastung für dich sein, ich esse dir ja fast alles weg.“
    „Jemand, der an meinem Feuer sitzt, ist mein Freund! Und unter Freunden gilt: Man futtert gemeinsam, so lange etwas da ist; man hungert gemeinsam, wenn nichts mehr da ist. Wage dich nicht, gegen diese Regel zu verstoßen!“ Der Kesselflicker warf ihm einen drohenden Blick zu. „Mach dir lieber Gedanken, ob ein Baum jemanden vermissen kann, als dich um meine Figur zu sorgen!“

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Da hockt Nisha im Kerker :thumbdown::thumbdown:
    Wie fies.
    Deine Charackter gewinnen immer mehr an Gesicht. Das finde ich klasse :thumbsup::thumbsup:
    Es bilden sich schon früh genaue Bilder und man direkt mitfühlen 8o

    Grembies und Alistair sind aber immer noch meine Lieblinge bisher :love:
    Das gibt en tolles Team :thumbsup:

  • Auch Gembries wird mit seiner ruppigen, aber gutherzigen Art immer sympathischer. Beide Charaktere gewinnen immer mehr an Tiefe, sehr gut gemacht, melli (so viel zu dem Thema, du weißt nicht, was du für die Reise schreiben sollst 8| )

    Ach und hatte ich erwähnt, dass ich Alastair mag?

    Spoiler anzeigen


    Duden sagt, letzte Schreibweise ist richtig. Würde diese Beschreibung aber nicht zweimal so kurz hintereinander verwenden.

    „Einst unter der Aroya Weide lebte ein kleines Volk
    war ein Reißen in deinen Gliedern nahmen sie´s geschwind dir fort
    Tausend Jahre altes Wissen, Licht im Nebel jederzeit
    Heilende Hände, sanfte Blicke, beste Heilkunst weit und breit
    bescheiden leben in den Sümpfen , freundlich sein zu jedermann
    dafür stehen Aroya Weiden, Wanderer, sieh sie dir an.“


    Ein schönes Gedicht :) Ich bin mir nicht ganz sicher, wie man das in Büchern mit Gedichten macht, aber bisher habe ich die immer für sich stehen gesehen, meist mittig zentriert, bin mir da aber nicht sicher :S

    „Du machst dir vielleicht Gedanken“,schüttelte Gembries den Kopf.


    Hinter dem Komma noch ein Leerzeichen.

  • „Du, Gembries?“, erklang es nach einer Weile wieder. Gembries seufzte.
    „Ja, Fröschlein?“
    „Darf ich dich fragen, was du über die Alten weißt?“
    „Ja, darfst du.“
    Fast greifbar breitete sich die Stille zwischen ihnen aus. Verunsichert starrte der Junge auf Hinz und Kunz. Dann irrte sein Blick zu seinem Reisegefährten und erhaschte ein Zucken des Mundwinkels, deutlich genug, um den Bart zu bewegen. Alastair wurde rot, und Gembries zeigte Erbarmen.
    „Die Gnome waren zum Beispiel sehr zierlich und hatten Glubschaugen. Kleine, zerbrechliche Leute, immer leise und freundlich und in der Heilkunst sehr bewandert. Ich glaube, die Gnome wären mir die liebsten gewesen, wenn ich sie denn kennen gelernt hätte. Soviel ich weiß waren sie die einzigen der alten Völker, die sich mit uns Menschen vertragen haben. Sie müssen uns Menschen sogar ziemlich ähnlich gewesen sein, denn es wurden Ehen geschlossen und Kinder geboren.“
    „Mit den anderen alten Völkern nicht?“ Überrascht sah Alastair auf.
    „Nur mit den Elben, aber da gab es ein Problem beim Kinderkriegen“, brummte Gembries.
    „Oh.“
    „Ja. Und weil das so war, hat man aufgehört, sich zu heiraten.“ Die Neugier stand dem Jungen ins Gesicht geschrieben, aber er wagte nicht, nachzufragen.
    „Es schien wohl, als sei ein Menschenmann zu schwach im Samen, um eine Elbin zu schwängern“, kratzte sich Gembries am Kopf. „Umgekehrt, also ein Elb und eine Menschenfrau, ging immer, aber in allen Fällen starb die Frau bei der Geburt. Und das Kind war immer ein Sohn und immer ein Vollelb, so, als hätte der Mensch nichts zu sagen gehabt in dieser Verbindung. Also fast wie im wirklichen Leben.“
    Alastair überlegte eine Weile, er schien enttäuscht zu sein.
    „Ich hätte nicht vermutet, dass die Elben tyrannisch waren“, sagte er bedauernd.
    „Mein Onkel hat es so erzählt“, zuckte Gembries die gewaltigen Schultern. „Ob das stimmt, weiß ich nicht, der Mann war öfter blau als nüchtern und er hat die Alten gehasst.“
    „Wieso denn?“
    „Fröschlein, ich habe keine Ahnung. Er war einfach verrückt, er hasste alles, einschließlich sich selbst. Aber alles, was ich je von den Alten gehört habe, stammt aus seinem Munde. Warum sollten wir Menschen auch über die Alten sprechen? Es gibt sie nicht mehr. Punkt, Ende, aus.“
    „Und du? Hasst du die Alten auch?“
    „Nur die Zwerge und nur von Beruf wegen“, gab Gembries zu. „Meiner einer braucht Erze, und die findet man in den Bergen. Die Zwerge haben uns nie an die Minen gelassen, aber sie haben uns wenigstens Erze verkauft. Nur, bevor sie abgehauen sind, haben sie einen Fluch über die Steine gelegt.“
    „Warum glaubst du das?“
    „Na, wir kommen nicht an die Rohstoffe? Egal mit was wir die Steine zu hauen versuchen, nichts fruchtet. Und die alten Zwergenstollen sind so mit magischen Fallen verseucht, dass noch nie ein Mensch lebendig wieder herauskam. Jetzt sind wir auf Altmetall zum Verarbeiten angewiesen“, stieß Gembries zornig aus. „Und das finde ich fies von den Zwergen. Ich meine, wenn sie doch weg sind und die ganzen Rohstoffe eh nicht mehr brauchen können, warum halten sie uns dann davon fern? Das ist gehässig.“ Gembries Zorn war so deutlich spürbar, dass Hinz und Kunz etwas schneller ausschritten und Alastair bedrückt in Schweigen fiel. Jetzt hatte er ein falsches Thema angeschnitten und Gembries die Laune verdorben. Das tat ihm leid.
    „Ist schon gut, Junge. Ich ärgere mich gerade, dass ich den Räubern nicht die Waffen abgenommen habe. Das waren Rohstoffe, und ich Trottel hab sie einfach liegen lassen. Außerdem nervt mich das Wetter.“ Gembries hatte den Blick Alastairs wohl richtig gedeutet, denn die Miene des Jungen hellte sich sofort auf. Seufzend sah der Kesselflicker auf die Ochsen. Es war anstrengend, mit jemandem zu reisen, der jedes Wort und jeden Blick auf die Goldwaage legte. Der Knabe war ja empfindlich wie ein rohes Ei. Das musste sich ändern, wollte der Junge je in seinem Leben vorankommen.
    „In zwei Tagen erreichen wir ein Dorf. Dann kannst du mir zeigen, was du arbeitsmäßig drauf hast, die haben immer ein paar Kessel zu flicken. Wir lassen uns in Naturalien bezahlen.“ Alastair nickte eifrig.
    „Es wird schön sein, mal wieder etwas zu arbeiten zu haben. Mir fehlt die Bewegung.“
    „Wenn du erst mal so lange auf Reisen bist wie ich, wirst du dich ans Sitzen auf dem Bock schon gewöhnen“, brummte Gembries.
    „Ja, bestimmt!“, sagte Alastair brav und begann dabei, mit dem Fuß zu wippen. Irritiert schielte Gembries aus den Augenwinkeln auf den wippenden Fuß. Auch das noch. Er zwang sich, geradeaus zu sehen, doch wie von selbst kehrten seine Augen immer wieder zu dem Fuß zurück. Gembries biss fest die Zähne aufeinander. Er wusste, wenn er jetzt etwas sagen würde, käme es einem Anschnauzer nahe, und er wollte dem Jungen den Tag nicht verderben. Seufzend fügte er sich in sein Schicksal.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Watteweich breitete sich die Stille zwischen ihnen aus.


    ?( Watteweich? Wie breitet sich denn Watte aus :rofl: "Wie ein Nebel(Schleier) legte sich das Schweigen über sie." Oder so ... wäre metaphorisch treffender.

    Ein schöner Teil :thumbsup::thumbsup:
    Ich finde die Unterhaltungen zwischen den beiden immer interessant.
    :thumbsup::thumbsup:
    Trotzdem frage ich mich wie es Nisha geht ;(

  • Lief wieder super. :thumbup:
    Nur an einer Stelle bin ich hängen geblieben:

    Spoiler anzeigen

    Er wusste, wenn er jetzt etwas würde, käme es einem Anschnauzer nahe, und er wollte dem Jungen den Tag nicht verderben.


    Bin mir nicht sicher, aber ich glaube da fehlt was :whistling:

    Soso.. da haben die Menschen also nie gelernt Bergbau zu betreiben, weil die Zwerge das für sie erledigt haben..
    Mhmm... Gembries ist ja ziemlich stark für einen Menschen und wohl ein guter Schmied.. sicher das es keine Verbindungen zwischen Menschen und Zwergen gab? :huh:
    Hatte ihn mir bis jetzt nämlich sehr zwergisch vorgestellt. Vom Charakter täte es ja passen... :hmm:

    Los weiter! :thumbsup:

  • Echt gut geschrieben. Die Charaktere sind richtig greifbar und deine Beschreibungen lassen sofort ein Bild entstehen. Bin gespannt, wie sich die Geschichte weiterentwickelt. Ich muss den anderen zustimmen: Gembries und Alastair sind mir die liebsten :D hoffe, dass da noch viel kommt ^^

    Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
    Viel Schwerter klirren und blitzen;
    Dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab -
    Den Kaiser, den Kaiser zu schützen.

    - Heinrich Heine, Die Grenadiere

  • Die Kopfschmerzen waren nach dem Aufwachen erträglicher, aber ihre Glieder steif vom Liegen auf dem kalten Stein. Nisha zog ihre Schürze nach innen. Sie war richtig nass, ein Zeichen dafür, dass sie wohl lange geschlafen hatte. Sie wrang die Schürze in der Luft aus und hielt sich dabei ein Ende vor den Mund. Das Wasser schmeckte schwach nach Seife und Stärke. Vier mal konnte sie schlucken, dann gab die Schürze nichts mehr her.
    Sinnend saß das Mädchen in der Dunkelheit.
    Soll das etwa alles gewesen sein? Nisha versuchte, sich vorzustellen, dass ihr Leben hier auf das Ende wartete und erlosch. Nein! Sie fühlte sich betrogen. Gerade mal zwanzig Jahre alt war sie. Nicht, dass ihr Leben bisher besonders schön verlaufen wäre, aber zumindest hatte sie es überlebt. Und irgendwie wollte sie in ihrer Überzeugung, dass es mal besser kommen würde, nicht wanken.
    Es gab noch so viele Dinge, auf die sie sich gefreut hatte. Sich einmal verlieben, heiraten, Kinder kriegen. Einmal das Meer sehen.
    Dieser blöde Pollock.
    Der Hund hatte offenbar gemerkt, dass sie ihre Arbeiten unterbrochen hatte. Bestimmt hatte er in einer Ecke versteckt darauf gewartet, sie aus seinem Zimmer kommen zu sehen. Und während sie den Tee in der Küche kochte, hatte er die Wachen instruiert.
    Die Wut auf diesen Mann gab ihr Kraft.
    Und dann der Hüter. Nisha kannte ihn nur als netten, sehr bescheidenen alten Mann. Nicht, dass er ihr je besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Eliazar wirkte immer etwas abwesend, zerstreut, und er guckte immer so überrascht, wenn er nach seinen Wünschen gefragt wurde. Vielleicht lag das aber auch an seinen leicht vorstehenden Augen, dass er stets überrascht aussah. Es war ihr immer schwer gefallen, in ihm einen mächtigen Magier zu sehen, er wirkte eher wie ein normaler Gelehrter. Etwas weltfremd vielleicht.
    Jedenfalls musste er ihr Schicksal sicher teilen und war auch irgendwo hier unten eingesperrt. Aber ihm würde man zu essen geben. Allein schon, weil sie seine Auskünfte brauchten, um in seiner Rolle bestehen zu können.
    Wenn sie hier heraus kam, musste sie ihn auf jeden Fall suchen und mitnehmen. Dann würden die Verschwörer nicht an die Informationen kommen und auffliegen, außerdem konnte ihr Eliazar bestimmt bei der Flucht helfen.
    Wenn sie hier heraus kam.
    Nisha robbte auf das Geräusch der fallenden Wassertropfen zu und untersuchte das Gitter genauer. Die Querstangen hatten ziemlich großen Abstand zueinander. Die Längsstangen leider nicht. Sie versuchte, ihren Kopf durch eine Öffnung zu zwängen. Es war sehr eng an den Knochen, aber es könnte gehen. Doch ihr Rumpf stellte ein Problem dar. Unter den regelmäßigen Mahlzeiten in der Feste hatte sie etwas zugelegt, vor allem an der Brust. Nisha glaubte nicht, sich durch die Stangen zwängen zu können. Jetzt noch nicht.
    Aber wenn man sie hier wirklich verhungern lassen wollte, würde sie dünner werden. Und dann könnte es klappen. Ihre Hände fuhren am Eisen ihres Gefängnisses entlang. Die Stangen waren noch stabil, kein Rost, kein Zerfall. Seufzend zog sie sich an eine Mauer zurück. Sie würde warten müssen. Warten in dieser schrecklichen Dunkelheit.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Hallo melli

    Die arme Nisha :thumbdown: bitte bitte lass sie nicht verhungern ;(
    Ansonsten bin ich nur über eine Sache gestolpert :

    Einmal sich verlieben


    Das würde ich umstellen, also "sich einmal verlieben"
    Aber somst wirklich spitze. man kann mit der ärmsten wirklich mitfühlen. Kopfkino läuft weiter :thumbsup:

    LG und mach bittebitte weiter so
    Ondine

    Spring - und lass dir auf dem Weg nach unten Flügel wachsen ~R.B

    Sometimes you have to be your own hero.

  • @45:

    Jetzt sind wir auf Altmetall zum Verarbeiten angewiesen“ stieß Gembries zornig aus.


    da fehlt ein Komma hinter der wörtlichen Rede.

    Bis Nisha durch die Gitterstäbe passt, könnte das aber noch etwas dauern. Vielleicht viel zu lange. Bisher finde ich ihre Gefangennahme immer noch merkwürdig - so wie das alles von statten ging. Da kommt doch noch was, ich bin ganz sicher ^^

  • Tragisch!, dachte Nisha. Da sitze ich nun unter schrecklichsten Umständen fest und das Schlimmste ist die Langeweile!
    Es war so dunkel, dass es egal war, ob sie die Augen öffnete oder nicht. Nisha versuchte sich vorzustellen, dass es für einen Blinden immer so war und er darüber auch nicht verzweifelte. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon zusammengekauert an der Wand saß, die Beine angezogen, die Arme auf den Knien verschränkt und den Kopf darauf gebettet. Es musste aber schon eine Weile sein, denn ihr Hintern begann zu schmerzen. Als sie sich einfach zur Seite fallen ließ, hörte sie kleine Füße hastig von ihr weglaufen. Sie kannte das Geräusch.
    Schaben.
    Die dicke Emma aus der Küche hatte einen hysterischen Schreikrampf bekommen, als ihr Schaben am Mehlbrett begegneten. Das war lustig gewesen, jedenfalls am Anfang. Nisha hatte zu denen gehört, die laut lachen mussten, was sich im Nachhinein nicht als besonders klug erwiesen hatte. Der Rest der Woche war dann auch weniger witzig gewesen.
    Unter Emmas strengem Blick hatte sie zu der Truppe gehört, die jeden Winkel und jede Fuge der riesigen Küche zu putzen hatte. Es war schon ekelig gewesen, wie viele unbeachtete Ecken sie gefunden hatte und vor allem, was in diesen Ecken alles lebte.
    Nicht, dass Emma sich um ihre Empfindlichkeiten gekümmert hätte. Ganz im Gegenteil, wenn Nisha so richtig blass wurde, fingen Emmas Augen erst zu leuchten an.
    Trotzdem würde sie jetzt lieber die Küche putzen, als hier unten herumzuliegen.
    Ob sie wohl jemand vermissen würde?
    Wohl eher nicht. Nisha war immer eine Einzelgängerin gewesen, Freunde hatte sie keine. Zwar würde auffallen, dass sie nicht mehr arbeiten kam, aber schließlich war sie zuletzt bei Pollock eingesetzt gewesen. Der würde vielleicht einfach kund tun, dass sie sich in Schande gebracht hatte und zu ihrer Familie zurück gekehrt war. Oder dass sie überraschend zu ihrer kranken Oma abgereist war. Irgend so etwas.
    Sie hatte nie jemandem erzählt, dass sie keine Familie hatte. Wozu auch? Es war ja nicht abzusehen gewesen, dass ausgerechnet sie mal jemandes Hilfe benötigen könnte.
    Ob Rhea vielleicht auch irgendwo hier unten war?
    Nisha erschauerte.
    Den Bann lockern und ein Wesen in diese Welt holen, vor dem die Alten geflohen waren.
    Blieb nur zu hoffen, dass dieses Wesen den Spieß umdrehte und Pollock und seine Mitverschwörer zu sich holte, statt umgekehrt. Wie doof konnte ein Mensch denn sein? Wenn die Alten wirklich vor diesem Wesen abgehauen waren, müsste es doch selbst einem Trottel wie Pollock klar werden, dass er dieses Wesen nicht würde beherrschen können.
    Nisha seufzte. Sie wartete vergeblich auf ihren inneren Drang, die Welt vor Schaden zu bewahren.
    Nach dem, was sie in ihren fünf Jahren in der Feste mitbekommen hatte, war es auch die Schuld der Menschen, dass die Alten geflohen waren. Und wir kamen von außerhalb. Das war gar nicht unsere Welt.
    Der Beweis dafür war noch nicht gefunden, trotzdem erfreute sich diese These großer Beliebtheit und wurde eifrig diskutiert. Als ob es da etwas zu diskutieren gäbe. Man musste sich doch nur umgucken. Die Zwergenfesten, die Elbenstädte – alles uralt. Und wo waren die Bauten der Menschen aus dieser Zeit? Eben, es gab keine.
    Vielleicht war es eine Art höhere Gerechtigkeit, dass die Menschen jetzt ihr Schicksal besiegelten.
    Wenn sie an Leute wie Pollock dachte, konnte sie kein Mitleid empfinden. Aber es gab auch wenige nette Menschen. Der Hüter gehörte dazu. Nisha wusste, dass er gegen die Sklaverei vorging und viel zur Verbesserung der Lebensumstände einfacher Leute getan hatte.
    Es wäre wohl das Beste, ihm zur Flucht zu verhelfen und die Verantwortung dann auf seine Schultern abzuwälzen. Plötzlich musste Nisha über ihre eigenen Gedanken grinsen. Für ihre Lage waren die ganz schön bescheuert.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Nisha tut mir voll Leid, aber iwie sie sich selbst nicht. Find ich nicht mal schlecht, dass sie das anscheinend mit einer Art Sakasmus aufnimmt 8o
    Und alles überdenkt, die Hintergründe... ect.
    Ich würde mich wahrscheins nur selbstbemitleiden und in Panik ausbrechen, wegen meiner Fantasie, die mir im Dunklen so manchen Streich spielt.
    Pollock ist ein wahres Ekel :thumbdown:
    Ich hoffe der Kerl bekommt seine Strafe... und es dauert.

    Super geschrieben, kann nur deine Wortgewandtheit bewundern :D

    :thumbsup::thumbsup:

  • Da hast du die Gefangenenszene aber gut ausgenutzt, um noch ein paar Hintergründe von deiner Welt zu beleuchten :thumbup: Dennoch frage ich mich immer noch, wie sie aus dieser Situation wohl wieder rauskommen wird.

  • Dieser blöde Pollock :thumbdown:
    Hoffentlich kann Nisha ihrem Gefängnis bald entkommen und die Welt vor dem Untergang bewahren oder so 8|
    Ansonsten super geschrieben (wie immer :thumbsup: )

    Spring - und lass dir auf dem Weg nach unten Flügel wachsen ~R.B

    Sometimes you have to be your own hero.

  • Ruhig hielt Alastair die Zügel des Gespanns in den Händen. Hinz und Kunz liefen schön gleichmäßig über die kopfsteingepflasterte Straße und der Wagen machte auf diesem Untergrund noch mehr Krach als sonst.
    Alastair konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass Gembries absichtlich ein paar Pfannen und Töpfe mehr aufgehängt hatte. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn selbst die Toten aus ihren Gräbern hochgeschreckt wären, um zu sehen, wer da in die kleine Stadt kam.
    Ihm war das Aufsehen, das sie auf diese Weise erregten, etwas peinlich. Sich so laut in den Vordergrund zu drängen entsprach nicht seiner Art, aber hier ging es um das Geschäft, und der Lärm zeigte seine Wirkung.
    Trotz des Regens und der leeren Straßen kam niemand umhin zu bemerken, dass ein Kesselflicker in die Stadt gekommen war. Gembries räumte hinter ihm in Wagen schon mal ein paar Sachen um und holte heraus, was sie wahrscheinlich bald brauchen würden.
    Alastair fühlte sich durch das Vertrauen des Mannes geehrt, dass er ihn allein auf dem Kutschbock mit der vollen Verantwortung für Hinz und Kunz gelassen hatte, und er erledigte seine Aufgabe mit großer Gewissenhaftigkeit. Seine fast schon feierliche Miene passte nicht ganz zu dem einfachen Gefährt, auf dem er saß und ließ die Leute hinter den Fenstern neugierig werden.

    Regentage waren langweilige Tage, es sei denn, man hatte ein halbes Dutzend Kinder, die sich den ganzen Tag zankten, weil sie sich in dem beengten Raum auf die Nerven gingen. Dann waren Regentage scheußlich.
    Gembries kannte das schon. An Regentagen war ein Kesselflicker so gern gesehen wie ein Jahrmarkt , die Leute froh um jedwede Abwechslung.
    Er wunderte sich deshalb nicht, als aus jedem Hause Menschen traten, um dem Wagen direkt nachzulaufen.
    Drei von Vieren würden zu arm sein, um seine Dienste überhaupt in Anspruch zu nehmen, aber sie würden herumstehen und mit ihren Nachbarn schwatzen und alle würden von ihm erwarten, dass er ihnen Neuigkeiten überbrachte und sich für ihre Geschichten interessierte.
    Manchmal wurde Gembries der Erwartung der Leute gerecht, in ihm konnte ein wahrer Volksunterhalter erwachen.
    Aber heute war nicht so ein Tag.
    Die ständige Gesellschaft Alastairs hatte es ihm unmöglich gemacht, seine schlechte Laune unterwegs in Ruhe abzubrummeln, bis er sich selbst mit seiner Knurrigkeit auf den Geist ging und seine Stimmung umschlug.
    Fast enttäuscht stellte er fest, dass die Menschen hier durchweg freundlich aussahen. Zwei, drei Stinkstiefel würden ihm ja schon reichen, um sich mal so richtig auszutoben, aber so, wie die Leute hier guckten, würde er höchstens auf einen Kessel einprügeln können.
    Missmutig schwang er sich neben den Jungen auf den Kutschbock.
    „Halt hier einfach an, Fröschlein“, raunte er dem Jungen zu. Sie standen mitten auf der Hauptstraße und würden den ganzen Verkehr blockieren – falls überhaupt jemand hier durch musste. Gembries hoffte es.

    Mit glänzenden Augen und geröteten Wangen zog Alastair sacht an den Zügeln und war sichtlich stolz, dass die Ochsen sofort hielten.
    „Gut gemacht“, lobte Gembries und verkniff sich das Grinsen, als ein freudiges Lächeln über Alastairs feine Züge glitt und ihm die Röte in dieselben schoss. „Soll ich Hinz und Kunz ausschirren?“, fragte der Junge eifrig.
    „Ja, mach das, und dann bring die beiden zum Dorfanger“, trug er dem Jungen auf und nickte halbwegs freundlich in die Menge, die den Wagen eingeholt hatte.
    „Einen wunderschönen guten Tag, ihr lieben Leute, mein Name ist Gembries, ich bin ein Kesselflicker und stehe euch heute mit meinen Diensten zur Verfügung. Also bringt her, was kaputt und löchrig ist, ich will es euch flicken!“, spulte er routiniert seine Ansage herunter.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Oh mann... Grembies ist schlecht gelaunt, aber dass er einen dafür umhauen will, macht ihn mir gleich wieder sympathisch :thumbsup:
    Alistair kann einem iwie schon leid tun, der weiß sich nicht zu helfen 8o
    Und dann diese Kesselflicker Sache im Ort... hahaha Regentage und die sind die Hauptattraktion ;)

    Guter Teil...

    Bitte weiter :thumbsup::thumbsup:

  • Ihm war das Aufsehen, dass sie auf diese Weise erregten, etwas peinlich.


    das

    Ob du jetzt die Protas zusammenbringst? Wie wahrscheinlich ist es, dass Gembries und Alistair in dem Ort angekommen sind, in dem Nisha gerade im Verlies festgehalten wird? :D Weiter bitte :thumbsup:

  • Arme Nisha ;(
    Gembries ist und bleibt einfach der Hammer ;) ich habe auch das Gefühl, dass eine Zusammenführung der Protas nicht allzu lang auf sich warten lässt. Bin gespannt, was da noch kommen wird ^^

    Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
    Viel Schwerter klirren und blitzen;
    Dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab -
    Den Kaiser, den Kaiser zu schützen.

    - Heinrich Heine, Die Grenadiere

  • Echt schöner Teil :thumbsup:
    Alastair scheint ja verdammt guten Einfluss auf Gembries zu haben, der will zwar immer noch die Leute umlegen, aber das gewöhnt Fröschlein (echt knuffig ^^ )ihm bestimmt auch noch ab

    Aber ich will aglaube ich garnicht wissen, was den beiden blüht, wenn sie (also ich denke mal, dass du das vorhast ;) ) in all diese miesen Machenschaften rund um die Feste mit einbezogen werden ;(

    Obwohl warte - Ich will es doch wissen :D
    Bitte ganz ganz schnell mehr davon
    Ondine

    Spring - und lass dir auf dem Weg nach unten Flügel wachsen ~R.B

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