Alopex Lagopus: Gut, dass Meister Wolf auch kein Mathematiker ist. Du hast natürlich Recht mit dem, was du da erläuterst. Aber ich denke, es ist nicht schlimm, dass den Leuten in meiner Geschichte das nicht klar ist. Aber ich stelle mir gerade vor, wie der Wassergeist ihnen den Fehler in diesem Gedanken erklärt, das hätte was. Also wenn du nichts dagegen hast, würde ich das gerne bei Gelegenheit mal aufgreifen.
Und so wahnsinnig wichtig war die Stelle ehrlich gesagt nicht.
So. Ich habe jetzt einfach mal weiter gemacht und noch ein Kapitel überarbeitet. Im Moment muss ich viel ändern, weil ich damals an dieser Stelle sehr gehetzt habe und sich seitdem auch noch einiges geändert hat. Aber ich mache weiter, vielleicht aber etwas langsamer als am Anfang.
Der Halbdrachenzüchter
In der darauffolgenden Zeit verlor Maja irgendwie das Gefühl für ebenjene. Der Weg von Sirref zu Tamor war allerdings nicht allzu weit. Eines Tages kamen sie in Jarub an.
„Jetzt müssen wir nur noch diesen Tamor finden“, sagte Karim.
Sie machten es wie sonst auch und steuerten das erstbeste Haus an um nachzufragen. Der Mann, der ihnen öffnete, sah ziemlich verschlafen und unrasiert aus. Kein Wunder, die Sonne war gerade erst aufgegangen, aber Karim, Jinna, Matthias und Maja waren schon seit Stunden unterwegs, sie hatten einfach nicht mehr schlafen können.
„Tamor?“, gähnte der Mann auf Karims Frage hin. „Der wohnt da oben.“ Er deutete auf einen Hügel, westlich vom Dorf, auf dem ein weißes Haus stand.
„Vielen Dank“, sagte Karim.
„In einer Stunde sind wir da“, schätzte er dann, als sie ihre Pferde durch das Dorf führten.
Pantomime schien langsam keine Lust mehr zu haben, dennoch ging sie jeden Tag wieder sicheren Schrittes weiter. Sie versuchten, vor allem auf Karims Rat hin, ihre Pferde nicht allzu sehr zu überanstrengen, aber sie wollten auch zügig vorankommen und das konnten sie nicht schaffen, wenn sie ständig Pausen machten. Das richtige Maß zu finden war nicht einfach.
„Bald bist du uns los“, flüsterte Maja Pantomime ins Ohr. „Wir werden auf einem Drachen über das Gebirge reiten. Halbdrachen. Ich hoffe nur, wir finden jemanden, der gut für dich sorgt.“
Sie brauchten nicht eine, sondern zweieinhalb Stunden, in denen sich ihre Aufregung fast ins Unerträgliche steigerte. Schließlich flog man nicht alle Tage auf einem Halbdrachen. Hoffentlich würde dieser Tamor ihnen helfen. Aber sie hatten den Hügel gehörig unterschätzt. Er war bewaldet und einige der Waldpfade waren so steil, dass sie lieber abstiegen und die Pferde führten. Schließlich kamen sie auf die unbewaldete Kuppe und konnten das weiße Haus wieder sehen. Vorsichtig ließen sie die Pferde herantraben. Pauline trippelte nervös hinterher. Sie roch die Halbdrachen und hätte am liebsten die Flucht ergriffen. Maja sprang ab und warf Matthias Pantomimes Zügel zu. Nur zur Vorsicht. Dann ging sie zur Tür um zu klopfen.
Das Haus hatte ein rotes Dach und einen kleinen steinernen Anbau, der vermutlich ein Stall war. Maja überlegte, ob dort die Halbdrachen untergebracht waren. Aber passten sie überhaupt hinein? Die Fensterrahmen des Hauses waren aus Holz und grün angestrichen, ebenso die Tür vor der Maja jetzt stand. Ein großer silberner Türklopfer in Form eines monströsen Tierkopfes (Maja brauchte nicht fragen um zu wissen, dass es der Kopf eines Halbdrachen war) verriet ihnen, dass sie am richtigen Ort waren.
Maja fiel auf, dass sie noch nie einen Türklopfer benutzt hatte. Sie hatte in ihrer Welt zwar schon Häuser besucht, die einen solchen hatten, aber der war meistens nur zur Zierde da und es gab zusätzlich eine Klingel. Und hier, in der Welt ohne Namen, wo es keinen Strom und somit auch keine Klingeln gab, klopfte man einfach mit den Fingerknöcheln. Nur reiche Leute hatten einen Türklopfer. Aber dass Tamor reich war sah man seinem Haus schon von weitem an, es hatte drei Stockwerke, gemalte Ornamente um die Fensterrahmen herum und sah aus wie frisch verputzt.
Maja griff nach dem silbernen Ring und ließ ihn drei Mal auf das Holz schlagen.
Die Reaktion trat umgehend ein: Die Umgebung vor ihren Augen begann zu verschwimmen. Die grüne Wiese verzerrte sich und wurde heller und heller bis Maja plötzlich auf weißen Marmorplatten stand. Die Tür und das Haus vor ihr waren schon längst verschwunden, als auch der Himmel sich verzerrte und die Federwolken an ihm größer und größer wurden, bis Maja rundum nur noch weiß sah. Sie stand in einem riesigen Saal. Betroffen drehte sie sich um und starrte dann an die helle Decke. Winzige goldene Fäden breiteten sich dort aus, bildeten ein Muster – ein kunstvolles Deckengemälde – flossen dann an den Wänden herab und formten Türen und Fenster mit goldenen Rahmen hinter denen man Sand, Himmel und die fast endlose Weite des Meeres erkennen konnte. Zwischen den hohen Fenstern erschienen goldene Kerzenhalter mit weißen Kerzen, die allerdings nicht brannten.
Maja blieb eine Weile unschlüssig stehen. Sollte sie hier warten? Oder sollte sie eine der großen, goldenen, zweiflügeligen Türen benutzen? Zwei davon gab es an der Wand vor ihr. Vielleicht würde eine davon sie zurückbringen. Wie war sie überhaupt hierher gekommen? War sie irgendwie durch die grüne Tür gerutscht? Wo war dann deren Rückseite? Sie blickte sich um, konnte aber kein grünes Holz erblicken. Und die goldenen Türen waren doch viel größer als die grüne.
Plötzlich hörte sie einen donnernd lauten Ton: BUMM
Maja hielt sich die Ohren zu, in dem Versuch, möglichst alle Ecken des großen Saales im Auge zu behalten. Dann krachte es noch zwei Mal und Maja musste sich anstrengen, nicht laut loszuschreien, sie war drauf und dran sich auf dem Boden zusammenzukauern. Die Ungewissheit über die Herkunft des donnernden Lautes und über ihre eigene Lage machten sie fast verrückt.
Plötzlich stand eine kleine Gestalt neben ihr.
„Aahhrg!“, schrie Maja, und dann: „Matthias!“
Der Junge war aus dem Nichts aufgetaucht und schaute sich nun interessiert um.
„Gott sei Dank bist du hier!“, rief Maja. „Wo sind wir hier, warum stehen wir nicht mehr vor dem Haus?“
Matthias betrachtete nachdenklich das Meer hinter den Fenstern. Dann zog er den Block und den Stift, die Maja ihm geschenkt hatte, aus der Tasche.
Magie, schrieb er. Das ist das Haus eines Zauberers.
„Du meinst, dieser Halbdrachen-Fritzi ist ein Zauberer?“
Natürlich. Meister Wolf ist auch einer, also nehme ich an, dass viele seiner Freunde Magie beherrschen. Allerdings hat dieser hier eindeutig mehr drauf. Dieses Zimmer hier. Sieh mal aus dem Fenster, das Haus hier steht am Meer. Er muss uns kilometerweit verschoben haben.
„Was meinst du mit verschoben?“
Matthias kniete sich nieder, um besser schreiben zu können.
Das nennt man so, wenn man etwas oder jemanden von einem Ort zum anderen zaubert.
„Aber ich dachte, die Tür hätte uns verschluckt.“
Matthias grinste.
Das weiße Haus war nur ein Eingang zum richtigen Haus. Ich wette, er hat noch viel mehr Eingänge, die alle an anderen Orten sind. Ich frage mich, wo Karim und Jinna bleiben.
Maja schaute eine Weile aus dem Fenster. Der Sandstrand dahinter war lang und weiß.
„Wie kommen wir wieder hier raus?“, fragte sie und sah Matthias an, der gerade dabei war, Diese Bude ist ganz schön protzig, zu kritzeln.
Wenn man uns nicht raus lässt gar nicht, antwortete er jetzt auf Majas Frage.
Plötzlich ging eine der goldenen Türen auf und ein Mann kam in den Raum. Er war groß, hatte blondes, langes Haar und dunkelbraune Augen, das war das Erste, was Maja auffiel. Dann betrachtete sie seine schmalen Lippen und noch schmaleren Augenbrauen. Seine Nase war ebenfalls schmal, genau wie seine Gestalt. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm, dachte Maja. Es lag jedenfalls nicht an dem langen, dunkelgrünen Mantel, den der Mann trug und der ihr die Sicht auf seine sonstigen Kleidungsstücke, die Schuhe inbegriffen, verwehrte. Der Mann blieb stehen und betrachtete die beiden Kinder vor ihm schweigend.
Maja glaubte, dass er von ihnen erwartete zuerst zu sprechen. Da Matthias schlicht und einfach nicht konnte ergriff sie das Wort.
„Sind Sie Tamor?“
„Ja, das bin ich“, sagte der Mann, aber er wirkte dabei leicht verärgert. Maja fiel ein, dass sie sich vielleicht zuerst einmal selbst hätte vorstellen sollen. „Aber wer seid ihr?“, fuhr Tamor fort. „Den Jungen habe ich sicher schon mal gesehen.“
„Das ist Matthias und ich bin Maja Sonnfeld.“
„Matthias? Jetzt fällt es mir wieder ein. Du bist der Kurze, der immer wieder mal bei Wolf vorbeischaut. Und Maja Sonnfeld? Der Name ... Sonnfeld.“ Er ließ das Wort auf seiner Zunge zergehen, als könne er es schmecken. „Und diese Art, zu reden. Wenn ich dich so anschaue, habe ich das Gefühl, du kommst aus der anderen Welt.“
„Äh ja“, sagte Maja. Ihr fiel nichts Besseres ein. Konnte man ihr wirklich so leicht anmerken, dass sie aus der anderen Welt kam? Und dieser Tamor war merkwürdig. Wie er mit verschränkten Armen vor ihnen stand wirkte er sehr Ehrfurcht gebietend. Und immer noch ziemlich verärgert. Vielleicht, hätten sie nicht so ungefragt hier eindringen sollen. Aber es war ja nicht mit Absicht gewesen.
„Ich bin auch in der anderen Welt geboren, kam aber schon als Kind hierher“, fuhr er nachdenklich fort. „Mein voller Name lautet Tamor Marcellino Pericatto. Nun, was verschafft mir die Ehre?“
BUMM, BUMM, BUMM
Alle zuckten zusammen und dann tauchte zwischen Maja und Matthias Jinna auf.
Sie sah sich neugierig um, schien aber kein bisschen überrascht zu sein.
„Karim kommt gleich“, sagte sie. „Dieser Feigling wollte mich davon abhalten an dieser blöden Tür zu klopfen, nachdem ihr verschwunden seid. Wer ist das?“, fragte sie und zeigte auf Tamor. Doch bevor sie eine Antwort erhalten konnte kündigten drei weitere donnernde Laute die Ankunft von Karim an.
Er tauchte neben Matthias auf, sah Jinna und zog sie zu sich. Dann blickte er sich um, sah Matthias und Maja scharf an, als wollte er sich vergewissern, dass mit ihnen alles in Ordnung war und starrte dann Tamor an.
„Wer bist du?“, fuhr er ihn an.
Tamor lächelte, aber es war ein kaltes, unfreundliches Lächeln. „Wer bist du?“
„Pass auf, wenn du uns etwas antun willst - “
„Ich will euch nichts antun, aber du bist in meinem Haus, also solltest du dich vielleicht erst mal vorstellen.“
„Das sind Karim und Jinna“, mischte sich Maja schnell ein, bevor Karim etwas Dummes tun konnte. Er sah aus, als sei er kurz davor.
Tamor betrachtete Maja mit gerunzelter Stirn eingehend. „Du scheinst hier wohl für alle zu sprechen. Gut, was wollt ihr von mir? Warum habt ihr an mein Haus geklopft?“
Normalerweise sprach Karim immer für sie alle, aber wo Maja jetzt schon mal damit angefangen hatte konnte sie ja auch weitermachen. „Ähm, wir haben gehört, das heißt ... Matthias hat uns gesagt ... ähm ... dass Sie zwei Halbdrachen haben und wir wollen über das Gebirge ... mit den Drachen, üh, Halb - “
Was war los, sie stotterte doch sonst nicht so herum? Vielleicht lag es daran, dass ihr das Vorhaben jetzt selbst irgendwie albern vorkam, der große weiße Saal erweckte in ihr das Gefühl so unglaublich klein und unbedeutend zu sein.
Die Gesichtszüge Tamors wurden noch ernster. Jetzt fiel Maja auf, was sie an ihm seltsam gefunden hatte, er trug eine Narbe neben dem rechten Auge. Sie sah aus wie eine Art Brandmal, das ein fremdes Zeichen darstellte.
„Kommt noch jemand von euch, sonst würde ich sagen, ihr folgt mir einfach mal“, sagte Tamor.
Maja sah ihre Gefährten an. Matthias folgte Tamor ohne Zögern durch die goldene Tür. Karims Blick war voller Zweifel. Auch Jinna schüttelte den Kopf. Maja zuckte mit den Schultern und folgte Matthias. Wo sollten sie schließlich sonst hingehen? Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Karim und Jinna zögernd hinter ihr her gingen.