Eine Welt ohne Namen - Die 1. Reise

Es gibt 263 Antworten in diesem Thema, welches 76.390 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (2. November 2023 um 19:13) ist von Rainbow.

  • melli: Vielen Dank. Das Lob (und auch das davor mit dem Kopfkino in HD :golly: ) bedeutet mir sehr viel, besonders von dir. ^^ Ich bemühe mich weiter zu machen, auch wenn ich im Moment nur ab und an dazu komme.

    Und damit ihr nicht denkt, ich hätte Maja vergessen, hier mal wieder ein Teil mit meiner jungen Heldin.


    Nebel und Licht


    Der Weg über das Große Gebirge stellte sich als der bisher einfachste Teil ihrer Reise heraus. Am zweiten Tag erlebten sie allerdings noch eine Überraschung. Hier im Gebirge hatten sie den Fluss nicht mehr, an dessen Ufer sie sonst entlang gewandert waren und deshalb gab es Probleme mit der Wasserversorgung. Taramos und Penelope setzten sie zwar meistens in der Nähe einer Quelle oder eines kleinen Gebirgssees ab, aber sie flogen oft den ganzen Tag in der prallen Sonne und wurden dabei sehr durstig. Jinna durchsuchte alle Satteltaschen, auf der Suche nach Flaschen um Wasser zu transportieren und zog dabei neben vier großen Feldflaschen ein ziemlich sperriges Bündel und einen Brief heraus. Maja öffnete den Brief, während die anderen sich über das Bündel hermachten. Er war von Tamor:

    Maja,
    ich bin mir sicher, dass in kürzester Zeit etwas Beunruhigendes passieren wird. Falls wir keine Zeit haben, uns zu verabschieden, möchte ich das in diesem Brief tun. Außerdem Folgendes: Ich werde heute einen Bekannten besuchen, der mir ein Schwert übergeben wird. Du wirst es mit diesem Brief finden. Taramos und Penelope bringen dich auf der anderen Seite des Gebirges zu meinem Bruder, ihm gibst du das Schwert. Ich bitte dich nur, nicht damit zu spielen. Es ist eine gefährliche und zudem verfluchte Waffe. Ein kleiner Schnitt könnte tödlich sein. Packt es am besten gar nicht erst aus.
    Viel Erfolg bei eurer Mission. Es war mir ein Vergnügen, euch kennen gelernt zu haben. Alles Gute,

    Tamor

    Die anderen hatten inzwischen das Schwert ausgepackt und betrachteten es ehrfürchtig. Maja ging zu ihnen. Von der Waffe sah man nur einen silbernen Griff, die Klinge steckte in einer schwarzen Scheide, mit zwei Gurten, um sie sich auf den Rücken zu hängen. Trotz Tamors Warnung zog Maja das Schwert heraus und betrachtete es. Es war sehr lang und spitz und aus irgendeinem Grund leuchtete seine Klinge leicht bläulich.
    „Wow!“, war alles, was den anderen dazu einfiel. Matthias sah man es an seinem Gesichtsausdruck an.
    Maja las ihnen den Brief vor.
    „Wow!“, sagte Karim noch einmal. „Schade, dass wir es nicht behalten können. Es wäre gut zu unserem Schutz.“
    „Es ist gefährlich“, entgegnete Maja.
    „Wir könnten eh nicht damit umgehen“, sagte Jinna.
    „Ach was. Mit so was kann jeder umgehen. Ich bin ein guter Fechter.“
    „Beweisen!“ Jinna tippte ihm mit dem Zeigefinger herausfordernd vor die Brust.
    Maja nahm vorsichtig das Schwert aus der Reichweite der Geschwister. „Mit dem hier wird überhaupt nichts bewiesen. Nehmt euch von mir aus Stöcke.“
    „Auf diesem blöden Berg gibt’s nur leider keine“, sagte Jinna. „Ich muss dich wohl ohne Waffe besiegen.“ Mit diesen Worten warf sie sich auf Karim und nur wenige Sekunden später kullerten die zwei über die Wiese. Matthias rannte hinterher und versuchte mitzumachen und die Halbdrachen beobachteten die merkwürdige Szene. Es schien, als wären sie belustigt.
    Maja betrachtete das Schwert in ihren Händen. Noch nie hatte sie eine solche Waffe in der Hand gehalten. Sie hätte gerne gewusst, was Tamor damit gemeint hatte, dass es verflucht war. Vielleicht würde sein Bruder es ihr erklären können. Schließlich wickelte sie es wieder in das Bündel und steckte es zurück in die Satteltasche. Jillian hätte bestimmt damit umgehen können. Sie hatte ja Fechten gelernt. Maja fragte sich, ob sie es inzwischen schon nach Hamburg geschafft hatte. Sie stellte sich Jillian in großen Stiefeln an der Reling eines Piratenschiffes vor, mit einem langen Säbel in der Hand. Dann lachte sie. Ihre Fantasie drehte mit ihr durch. Wahrscheinlich saß Jillian in irgendeiner Spelunke und gab ihr letztes Geld aus, während sie versuchte als Schwarzarbeiterin an irgendeinem Frachter anzuheuern, wo sie dann Kisten mit falschen Markenschuhen schleppen würde. Wenn sie überhaupt so weit gekommen war. Piraten, so wie Jillian sie sich vorstellte, waren in ihrer Welt doch bloß noch Geschichten. In dieser Welt jedoch, in der Welt ohne Namen, gab es doch bestimmt irgendwo richtige Piraten, wie die aus Filmen und Büchern. Doch Jillian war nicht in dieser Welt. Es war Maja, die hier gelandet war.
    Karim, Jinna und Matthias tobten immer noch herum. Wahrscheinlich brauchten sie nach dem langen Flug etwas Bewegung. Auch Maja wollte sich mal die Beine vertreten. Sie stand auf und begann, den Hang heraufzuklettern. Im Moment standen sie in einer Art Kuhle, ringsum stieg die Wiese an. Aber sie wusste, dass diese Kuhle eigentlich nur die Spitze eines Berges war, ein idealer Platz um ganz oben noch vor Wind geschützt zu sein. Wenn sie die Hänge hinaufkletterte, würde sie sicher einen tollen Blick über das Gebirge haben. Obwohl sie seit zwei Tagen praktisch nichts anderes sah, konnte sie sich nicht daran satt sehen. Die Berge schienen ihr gleichbedeutend mit Freiheit. Sie hatte zum ersten Mal keine Angst mehr vor ihren Verfolgern. Immerhin war sie die größte Zeit des Tages in der Luft und somit einigermaßen sicher vor ihnen. Kurze Zeit später kam Maja oben an und blickte auf die Berge um sie herum. Vor ihr lag ein riesiges Tal, das vollkommen von Nebel bedeckt war. Die untergehende Sonne färbte den Nebel blutrot, es war, als schaute sie auf glühende Wolken hinab. Sie hatten ein wenig Ähnlichkeit mit einem großen Steppenbrand. Maja setzte sich wo sie war auf den Boden und betrachtete das unheimliche Schauspiel. Irgendwie wäre sie gerne einmal in das Tal hinab geklettert. Sie hätte gerne gewusst, wie tief es war, ob der Nebel bis zum Boden reichte und wenn nicht, was darunter war.
    Plötzlich fühlte sie eine Hand auf der Schulter. Matthias war ihr gefolgt, er war rot im Gesicht und schwitzte. Er zog seinen Schreibblock aus der Tasche und schrieb etwas für sie.
    Das ist das Nebel-Tal. Es sieht wunderschön aus, nicht wahr?
    „Ich wüsste gerne, was dort unten ist. Glaubst du, wir könnten mal ein Stückchen runter gehen?“
    Das haben schon viele versucht; keiner ist je zurückgekommen. Sie verirrten sich im Nebel und fanden den Rückweg nicht mehr. Außerdem soll es dort unten schreckliche Kreaturen geben, die sich im Schutz des Nebels leise anschleichen und zuschlagen bevor man reagieren kann.
    „Woher weiß man das, wenn nie jemand von dort zurückgekommen ist?“
    Gute Frage. Ich denke, dass niemand genau weiß, was sich dort unten befindet, und dass die Leute sich die Sachen ausgedacht haben, weil niemand, der das Tal betreten hat, je wieder heraus gekommen ist.
    „Man sagt auch, dass niemand, der das Gebirge überquert hat, zurückgekommen ist. Trotzdem kann es nicht stimmen, es muss einige wenige geben, die es geschafft haben. Tamor zum Beispiel. Er und sein Bruder besuchen sich doch sicher regelmäßig.“
    Tamor hat ja auch Halbdrachen. Und er ist ein Zauberer. Außerdem gibt es viele Menschen, die es schon geschafft haben, es ist halt nur nicht einfach. Aber mit diesem Tal ist das etwas anderes. Meister Wolf hat gesagt, es sei verflucht. Unsere Welt war einst eins. Damals gab es kein Gebirge. Doch die Menschen im Osten legten sich mit denen im Westen und im Norden an. Dadurch brach ein großer Krieg aus, der später der zweite Krieg genannt wurde. Sie kämpften erbittert, bis irgendwann ein mächtiges Erdbeben die Welt erzittern ließ und dieses Gebirge sich aufschüttete um die beiden Parteien zu trennen. Es heißt, nur wer reinen Herzens ist und nicht im Sinn hat, den Krieg zwischen den Völkern wieder ausbrechen zu lassen, kann das Gebirge überqueren.
    Maja las die Geschichte sehr aufmerksam. „Aber Fürst Dreizehns Leute überqueren das Gebirge oft. Hat er nicht sogar einen Tunnel bauen lassen?“
    Vergiss nicht, dass es nur eine alte Legende ist. Außerdem hat Dreizehn schon ganz andere Dinge gemacht. Er scheint die normalen Gesetze zu überwinden. Wusstest du, dass er viel älter als ein normaler Mensch ist?
    „Ich hab so was geahnt“, sagte Maja. Sie dachte einen Augenblick nach. „Du sagst, dass es der zweite Krieg war“, sagte sie. „Gab es noch mehr?“
    Es gab noch vier weitere. Insgesamt fünf. Er kratzte sich kurz an der Nase. Gibt es in deiner Welt auch so viele Kriege?
    „Ja“, sagte Maja. „Ja. Noch mehr sogar, soweit ich weiß. In der Vergangenheit gab es schlimme Kriege und jetzt gibt es auch noch welche. Aber dort, wo ich wohne, zum Glück nicht mehr. Allerdings habe ich nicht so viel Ahnung davon. Ich schaue nicht einmal Nachrichten.“
    Matthias verstand offensichtlich nicht ganz, wovon sie redete, aber er fragte nicht nach. Sie verfielen in nachdenkliches Schweigen, während sie auf den blutroten Nebel sahen. Dann verblasste er allmählich und wurde weiß, als die Sonne hinter den Bergen verschwand.
    Meinst du wir sollten zurückgehen?, fragte Matthias. Sonst machen Karim und Jinna sich noch Sorgen.
    Maja nickte und stand auf. „Kann ich den Zettel, auf den du geschrieben hast, behalten?“, fragte sie. „Wegen der Sache mit dem Krieg und dem Gebirge.“
    Matthias nickte, riss das Blatt von dem Block und gab es Maja. Sie stopfte es sich schnell in die Hosentasche. Sie wollte mehr über diese Welt in Erfahrung bringen. Vieles hier erschien ihr so widersinnig. Zum Beispiel fand sie es schwierig, die ganzen Legenden von der Wahrheit zu unterscheiden. Aber das gehörte wohl zu dieser Welt. Maja vermutete, dass es in ihrer Welt früher nicht anders gewesen war, als es noch keine Fernseher und keine Zeitungen gegeben hatte. Da hatten die Menschen sich die Dinge halt erzählt und von Mund zu Mund hatten sich die Geschichten verändert. Was Maja beunruhigte war, dass hier Dinge, die sie in ihrer eigenen Welt als Fantasiegespinste bezeichnet hätte, wahr waren. Zum Beispiel gurgelnde Flussgeister und Drachen.

    Einmal editiert, zuletzt von Dinteyra (13. November 2014 um 20:20)

  • Es geht weiter :thumbsup: . Schön, wie du die Handlung mit den Mythen und Sagen verknüpfst und ich mag Matthias. Iwas sagt mir, dass der noch eine wichtige Rolle spielen wird. Weiter, bitte! :D

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Zitat

    Aber mit diesem Tal ist das etwas anderes. Meister Wolf hat gesagt, es sein verflucht. Unsere Welt war einst eins.


    sei

    Puh, endlich bin ich hier auch wieder auf dem aktuellen Stand 8) Ich bin einfach in letzter Zeit viel zu wenig im Forum :S
    Okay, keine Ahnung, irgendwie fühlte sich die Szene mit Wolfs Lehrling so an, als sei das schon etwas länger her und würde jetzt erzählen, wie ein damals unschuldiger Magier zu einem Schwarzmagier verkam, den wir vielleicht in den nächsten Teilen kennenlernen würden. Ich war einfach überrascht, jetzt plötzlich einen neuen Prota zu sehen, vielleicht nahm ich deswegen an, dass es Vergangenheit sei ^^
    :D Meister Wolf hab ich mir etwas anders vorgestellt ^^ Ein Pechvogel, der Erfindungen aus unserer Welt nacherfindet? Er wirkt etwas schrullig und ich hab beschlossen, ihn zu mögen. Sein Freund Jimo hingegen wirkt sehr viel bedachter, den mag ich auf jeden Fall auch. Vielleicht kann er mit Maja besser umgehen als Tabea, das vermute ich jedenfalls stark. Er ist mir nämlich sehr viel sympathischer.
    Und Tamor schickt seinem Bruder ein Schwert über die Kinder, mit dem Hinweis, es nicht auszupacken und es nicht zu benutzen, weil es gefährlich ist? Weiß er nicht, dass das gerade zu eine Einladung ist? ^^
    Ich bin weiterhin gespannt, denn die Geschichte gewinnt immer mehr an Komplexität. Die Ratsversammlung zeigt ganz deutlich, dass Maja nicht irgendeine Kamiraen ist 8)

  • Also die Geschichte von Feodor spielt auf jeden Fall in dieser Zeit. Was den Rest angeht - vielleicht hast du recht, vielleicht auch nicht. ^^
    Aber ich finde es schön, zu erfahren, dass meine Charaktere so ankommen, wie sie auch ankommen sollen.
    So, jetzt kommt ein ziemlich langer Teil, bei dem ich mich auch ein bisschen schwer getan habe.


    Putto Wei


    Der Zug aus Soldaten und Grünen Rittern schob sich durch die Landschaft in Richtung Süden. Seit zwei Tagen ritt Feodor nun schon mit den fünfundzwanzig Soldaten und acht Rittern der Dreizehnten Armee – acht Stunden täglich.
    Jaris, der Schwarzmagier, hatte ihn von der Hütte Meister Wolfs tief in den Wald geführt, wo sie sich dem Trupp angeschlossen hatten. Ihr Ziel war der Schwarze Weg, der durch die ganze Welt ohne Namen führte. Feodor gefiel nicht, welchen Lärm sie auf ihrer Reise machten. Er hatte von seinem Meister gelernt, den Wald zu achten und sich immer vorsichtig und leise darin fortzubewegen. So wie die Tiere – als wäre er Teil des Waldes. Die Soldaten und Ritter dagegen bewegten sich wie etwas Großes und Zerstörerisches vorwärts und hinterließen eine breite Schneise im Herz des Waldes, in dem es keine Wege mehr gab. Und Feodor, der den Wald immer als einen freundlichen Ort gekannt hatte, lernte nun dessen andere Seite kennen. Wo die Ritter sich durch das Unterholz schlugen erklang kein Vogelruf, kein Blätterrauschen und nicht einmal das leise Summen von Insektenflügeln. Und trotzdem hatte er das Gefühl, dass sie beobachtet wurden.
    Doch davon abgesehen war der Wald momentan sein geringstes Problem. Ihm war die ganze Geschichte überaus unbehaglich. Er versuchte, sich seine Furcht vor Dreizehns Leuten nicht anmerken zu lassen, aber innerlich schlotterte er vor Angst, wenn ihn eine dieser Gestalten auch nur ansah. Und das taten sie oft, denn sie waren überrascht, dass er so frei zwischen ihnen umherwandeln konnte.
    In der Tat hatte es den Anschein, als hätte er jeden Augenblick davonlaufen können, aber Feodor wusste, dass dem nicht so war, sonst hätte ihn nichts mehr dort gehalten. Er wusste, dass Jaris ihn jeden Augenblick überwachte.
    Feodor war mittlerweile ziemlich verwirrt. Er tat sich schwer, den Schwarzmagier zu durchschauen. Im einen Moment glaubte er, genau zu wissen, was dieser von ihm wollte, im anderen hatte er wieder das Gefühl, etwas Baumgroßes zu übersehen.
    Welche Rolle spielte er selbst, Feodor? Sollte er Informationsquelle oder Druckmittel sein? Oder gab es noch etwas anderes? Und was hatte Jaris überhaupt von Meister Wolf gewollt?
    Es wurde zunehmend dunkler, obwohl es erst Mittag war. Die hohen Bäume standen immer dichter und ließen weniger Licht herein. Sie kamen nun in einen Bereich des Waldes, in dem sich Feodor nicht mehr auskannte, den er immer gemieden hatte. Es gab Orte, an die sich selbst ein Zauberer nicht wagte, weil sie einfach zu unheimlich waren. Und zu gefährlich.
    Plötzlich merkte Feodor, dass Jaris neben ihm ging, sein Pferd am Zügel führend. Der Schwarzmagier betrachtete Feodors Gesicht genau.
    „Der Wald behagt dir nicht, oder?“, stellte er fest. „Ich hätte gedacht, dass jemand, der hier aufgewachsen ist, sich nichts aus den Geschichten machen würde.“
    „Aus welchen Geschichten?“
    „Denen über Putto Wei.“
    Feodor blickte verständnislos drein. „Ich lebe im Wald“, sagte er schließlich, „ich höre keine Geschichten darüber. Von wem denn auch? Und von Putto Wei habe ich noch nie im Leben gehört. Was soll das sein?“
    Jaris Gesichtsausdruck machte unmissverständlich klar, dass er ihm nicht glaubte. Trotzdem antwortete er:
    „Putto Wei ist ein Ort, ein Dorf. Das einzige Dorf im Dark Forest. Und es ranken sich viele Legenden darum. Es ist gefürchtet.“
    „Warum?“ Feodor hatte tatsächlich noch nie von einem Dorf im Dark Forest gehört. Er wusste von einzelnen Häusern, die sich jene hier gebaut hatten, die die Einsamkeit liebten oder brauchten, weil sie anderswo nicht gern gesehen waren. Aber ein Dorf? Und ausgerechnet in diesem düsteren Teil des Waldes?
    Jaris sah über die Schulter ob ihnen jemand zuhörte. „Die Leute hier werden nicht gerne hören, dass ich darüber spreche. Es ist nicht ganz ungefährlich, es heißt, Putto Wei sei verhext. Dort verschwinden manchmal Leute. Man weiß nur nicht, welche Leute. Es kann immer passieren. Man verschwindet, wenn man dort lebt, man verschwindet, wenn man nicht dort lebt. Durchreisende verschwinden, man kann verschwinden, wenn man dort hingeht oder wenn man dort weggeht. Man kann sogar verschwinden, wenn man an den Ort denkt, oder wenn man nicht daran denkt. Natürlich verschwinden nicht alle, auf die das zutrifft, aber die Leute wollen möglichst wenig mit diesem Ort zu tun haben.“
    „Das ist doch kompletter Blödsinn“, sagte Feodor mit gerunzelter Stirn. „Wenn man sowohl verschwinden kann wenn man dort lebt, als auch wenn man nicht dort lebt, oder wenn man daran denkt oder nicht daran denkt … Was hat das dann mit dem Dorf zu tun. Dann kann man ja immer verschwinden. Woher wollen die Leute wissen, dass es an Putto Wei liegt?“
    „Wenn du das Dorf siehst wirst du diese Frage nicht mehr stellen. Wir werden heute Nacht dort rasten. Es gibt in Putto Wei ein schäbiges Gasthaus, in dem sie eigentlich alle Gäste nehmen.“
    „Wir gehen dorthin?“, fragte Feodor erschrocken. „Was ist, wenn wir auch verschwinden.“
    „Zum Glück“, antwortete Jaris, „sind wir nicht abergläubisch.“
    Er zog sich die Kapuze über den Kopf stieg auf sein Pferd und trieb es an die Spitze des Zuges, um mit dem Truppenführer zu sprechen.
    Feodor blickte unbehaglich in den Wald. Er hoffte, Jaris würde verschwinden. Oder ihm wenigstens verraten, was mit den Verschwundenen passierte. Vielleicht wäre es ja gar nicht so schlecht, zu ihnen zu gehören.
    „Hey, du“, sagte plötzlich jemand neben ihm. Feodor schaute ihn misstrauisch an. Er war kein Grüner Ritter und auch kein Soldat. Er trug keine Rüstung, kein Kettenhemd, keine Waffen und auch kein Grün. Stattdessen kleidete er sich in eine Jacke und eine Hose, beide waren schwarz, genau wie seine Stiefel. Nur die Haare waren nicht schwarz, sondern dunkelbraun.
    „Was hast du mit dem Schwarzmagier zu schaffen?“, fragte der Mann.
    „Ich bin sein neuer Schüler“, sagte Feodor.
    „Ach tatsächlich?“ Der Mann grinste breit. „Glaubst du das wirklich?“
    Nein das glaubte Feodor nicht. Aber das ging den Mann nichts an.
    „Erzähl mir, was Jaris von dir will“, sagte der Mann. „Komm schon“, fügte er hinzu, als er Feodors verkniffenen Gesichtsausdruck sah. Doch der dachte nicht daran, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Was wenn dieser Mann in Jaris Auftrag hier war? „Jaris ist eigentlich hier im Wald um nach dem Weltentor zu suchen“, fuhr der Mann fort. „Das ist der Auftrag, der ihm von Fürst Dreizehn anvertraut wurde. Und jetzt taucht er hier auf und hat dich dabei. Während das Tor unauffindbar bleibt. Und ich frage mich natürlich, was er von dir will. Wenn Schwarzmagier andere Magier aufsuchen, geht es meistens um zwei Dinge: Entweder sie wollen Wissen oder sie wollen Konkurrenz aus dem Weg räumen. Ich schließe das Zweite aus, sieh dich nur an. Er möchte Wissen von dir. Welches?“
    „Ich weiß es nicht“, antwortete Feodor.
    „Dann finde es heraus.“
    „Warum sollte ich?“
    „Ich kann dich befreien.“
    Feodor sah überrascht auf. „Wieso solltest du das tun?“
    „Frag nicht so dumm. Ich will wissen was Jaris plant. Das ist doch ein guter Deal für uns beide.“
    „Und wie willst du das anstellen? Der Schwarzmagier ist viel zu mächtig.“
    „Es gibt Leute, die mächtiger sind, als er. Und ich habe gute Beziehungen. Versprechen kann ich nichts, aber ich werde sie bitten, dir zu helfen.“
    Feodor schaute zum vorderen Ende des Zuges. Jaris diskutierte immer noch mit dem Anführer. Man sah seiner Gestik an, dass er sehr aufgebracht war.
    „Ich frag mich, worum es jetzt geht“, sagte der Schwarzgekleidete. „Hör zu, in Putto Wei existiert ein Friedhof. Finde heraus, was Jaris will und dann komm diese Nacht auf dorthin. In seinem Zentrum steht eine Statue von einem Engel. An der werde ich auf dich warten.“
    „Aber ich kann mich doch nicht einfach so davon schleichen. Jaris würde es sofort bemerken. Sonst könnte ich schließlich auch ganz leicht fliehen.“
    „Jaris hält dich in einer Art wanderndem magischen Käfig gefangen. Du kannst dich keine fünfhundert Meter von ihm entfernen. Aber so groß ist Putto Wei nicht.“
    „Könnte ich den Zauber brechen?“, fragte Feodor.
    „Wenn du so stark wärst, könntest du Jaris auch einfach umbringen und deiner Wege spazieren. Vergiss es, Kleiner. Also, heute Nacht am Friedhof.“
    Mit diesen Worten nahm er Abstand von Feodor. Feodor nahm ein kleines Säckchen vom Gürtel. Er schleppte immer Haufenweise Säckchen mit sich herum, für jede Gelegenheit irgendein Pülverchen. Der neueste Beutel enthielt ein grau-schwarzes Pulver, das explodierte, wenn man es anzündete. Meister Wolf hatte viel damit experimentiert und sogar eine seltsame Waffe daraus gebaut. Das Säckchen, welches Feodor nun eingehend betrachtete enthielt ein rotes Pulver namens Gims. Gims war ein unheimlich starker Fluchbrecher, den Feodor selbst erfunden hatte. Er hatte damit die meisten Flüche Meister Wolfs brechen können, aber er wusste nicht, ob das Gims stark genug war, den Zauber des Schwarzmagiers zu brechen. Wenn es nicht funktionierte, war er erledigt, die Verwendung von Gims war nicht gerade unauffällig. Man musste es über den Verfluchten streuen, aber es würde seine Haut scharlachrot färben. Wenn Feodor es benutzte und es fehlschlug, würde Jaris sofort dahinter kommen. Außerdem würde er sich nach dem Brechen des Zaubers auch noch aus dem Staub machen müssen und bei den ganzen Soldaten schätzte er seine Chancen eher schlecht ein. Feodor band das Beutelchen seufzend wieder an den Gürtel. Es konnte zu viel schief gehen. Außerdem hatte Jaris ihm den Gürtel nicht einmal abgenommen, anscheinend glaubte er nicht, dass der Junge damit irgendetwas anstellen konnte. Und vermutlich hatte er Recht.
    Feodor entschloss sich also, dem fremden Mann zu helfen. Dabei konnte zwar auch eine ganze Menge schief gehen, aber die Erfolgschancen waren vielleicht etwas größer. Vorausgesetzt, der Mann log nicht.

    Es war stockdunkel, als sie in Putto Wei einritten. Feodor konnte von dem Dorf nicht viel mehr als einen großen Platz und ein paar alte Häuser mit zugenagelten Fenstern erkennen. Außerdem kamen sie an dem Friedhof von Putto Wei vorbei, der beunruhigend groß war. Zwischen den Häusern und den toten Bäumen, die hier überall standen, hingen lange Wäscheleinen mit weißen Laken. Über all dem lag ein milchig weißer Nebelschleier. Feodor wusste sofort, was die Leute dazu brachte, sich unheimliche Geschichten über diesen Ort zu erzählen. Es war unmöglich sich nicht davor zu gruseln. Vor allem diese Stille. Kein Kind lachte, kein Mensch schlug eine Tür zu, zwischen den Häusern bewegte sich niemand. Es war, als wäre das Dorf ausgestorben.
    Die Grünen Ritter schlugen ihr Lager auf dem Dorfplatz auf. Alle, die etwas von sich hielten, zum Beispiel der Truppenführer, der schwarzgekleidete Mann, Jaris und somit auch Feodor schliefen allerdings im Hotel, wo ihnen ein schmutziger Wirt, der einzige Mensch, dem Feodor in Putto Wei begegnen sollte, etwas servierte, das vielleicht ein Abendessen war. Aber nur vielleicht.
    Feodor steckte sich einen Löffel in den Mund und spuckte ihn sofort wieder aus. Wer auch immer hier das Essen zubereitete hatte noch weniger Talent als Dreizehns Soldaten, deren Gepansche er die letzten Tage hatte essen müssen.
    „Du isst das“, zischte Jaris ihm zu. Er saß Feodor gegenüber und steckte sich ungerührt einen Löffel in den Mund, als würde er nicht merken, dass es wie zermanschte und völlig versalzene Pantoffeln schmeckte. Widerwillig würgte Feodor ein paar Bissen herunter. Er selbst war auch kein guter Koch, aber das hier schmeckte abscheulich. Warum zwang Jaris ihn, das zu essen, hatte er Angst, seine Geisel zu verlieren. Oder was auch immer Feodor war? Bei dem Gedanken wurde Feodor übel. Er hatte sich am Nachmittag eine Gesprächsstrategie einfallen lassen um herauszufinden, was Jaris wollte, jetzt musste er sie nur noch in die Tat umsetzen.
    „Ich bin doch jetzt Euer Schüler“, begann er. „Wann bringt Ihr mir etwas bei?“ Er wusste, wie dreist diese Frage war, aber er musste hier und jetzt ein Gespräch beginnen. Er brauchte Informationen.
    „Wenn wir in Andraya sind“, antwortete Jaris. Falls er verärgert war, ließ er es sich nicht anmerken.
    „Ich habe da ein Problem“, fuhr Feodor fort. „Ich meine, eigentlich bin ich doch Meister Wolfs Schüler. Kann man denn den Meister einfach so wechseln? Es ist doch eigentlich verboten.“
    Jaris legte den Löffel beiseite und beugte sich zu ihm vor. „Jetzt hör mir mal gut zu, Junge, wenn du Spielchen spielen willst, können wir das gerne tun. Aber stell dich darauf ein, zu verlieren. Was deinen Unterricht betrifft: erste Lektion – du tust was ich sage und du schweigst, solange ich dich nicht zum Reden auffordere. Respekt gehört wohl nicht zu den Dingen, die Wolf dir beigebracht hat.“
    Feodor schwieg und aß ein paar Löffel von dem widerwärtigen Brei, darum bemüht, sich seinen Ekel nicht anmerken zu lassen. Und auch nicht seine Angst.
    „Aber du hast Talent“, sagte Jaris plötzlich. „Unheimlich viel Talent. Das habe ich gleich gesehen, als ich dich das erste Mal erblickt habe.“ Feodor fragte sich, ob Jaris log oder die Wahrheit sagte. Er hatte nicht vor, dem Schwarzmagier auch nur ein Wort zu glauben, aber er konnte nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen. „Du könntest weit kommen“, fuhr dieser fort. „Ich weiß, du traust mir nicht, aber denke einmal an die Möglichkeiten. Wage es nur einmal, den Blick über deinen Tellerrand zu werfen. Vielleicht könntest du sogar stärker werden, als ich. Alles, was du brauchst ist ein besserer Lehrer, als zuvor.“
    „Ich hatte einen guten Lehrer“, sagte Feodor reflexartig und starrte dabei angestrengt auf seine Suppe. Er konnte einfach nicht den Mund halten, wenn jemand seinen Meister beleidigte.
    „Er war ganz in Ordnung, nehme ich an. Nett. Ein bisschen langweilig … Sehr auf Regeln und Gesetze bedacht. Er hat dich immer an der kurzen Leine gehalten, nie durftest du lernen, was du lernen wolltest. Und wenn du einen Zauber längst konntest, musstest du ihn immer und immer wieder üben. Er hat nie erkannt, dass du das gar nicht nötig hattest.“
    „Woher wisst Ihr das?“, fragte Feodor erschrocken. Konnte der Schwarzmagier etwa Gedanken lesen? Nein, das war völlig unmöglich.
    „Ich war selbst einst ein Zauberlehrling in deinem Alter. Und ich weiß, wie es ist, wenn das eigene Talent völlig verkannt wird. Wenn man sein Potenzial nicht ausschöpfen kann, weil einem ständig irgendwelche Regeln auferlegt werden.“
    „Regeln sind wichtig“, sagte Feodor.
    „Regeln sind bloß hinderlich. Wenn du wirklich wissen willst, wozu du fähig bist, dann vergiss sie so schnell wie möglich. So habe ich es gemacht. Irgendwann war es mir völlig egal, was mein Meister von mir erwartete. Ich habe mein Leben selbst in die Hand genommen. Er hat ohnehin nur versucht, mich auszubremsen. Hatte wohl Angst, dass ich ihn eines Tages überflügeln würde. Die wirklich mächtigen Zauber hat er mir nie beigebracht. Er hat mich nie in seine tiefsten Geheimnisse eingeweiht. Dir ging es genauso, nicht wahr?“
    Feodor schluckte. Es gefiel ihm nicht, es zuzugeben, doch der Schwarzmagier hatte Recht.
    „Dein Meister ist recht bekannt, weißt du?“, sagte Jaris. „Einer von wenigen, die die Verschiebung beherrschen. Die Macht, an einem Ort zu verschwinden und ganz woanders wieder aufzutauchen. Ein Zauber, der harmlos klingt, aber in Wahrheit wohl einer der mächtigsten Zauber ist, die es gibt. Wer ihn wirklich beherrscht, der ist praktisch unaufhaltbar. Verschlossene Türen? Weite Entfernungen? Sie sind dann kein größeres Hindernis als eine Treppenstufe. Aber dein Meister hat dir diese Kunst niemals beigebracht, habe ich Recht? Sonst wärst du längst nicht mehr hier. Dabei hast du es dir so sehr gewünscht, nicht wahr?“
    Feodor starrte weiter auf seinen Teller. Es hatte keinen Zweck, es zu leugnen. Dass er die Verschiebung nicht beherrschte war sonnenklar. Aber jetzt wusste er wenigstens, was Jaris von Meister Wolf wollte: Das Geheimnis der Verschiebung. Aber da konnte er lange warten. Feodor hatte seinen Meister so oft darum gebeten, sie lernen zu dürfen, doch der hatte jedes Mal abgelehnt. Er war nicht einmal bereit gewesen, darüber zu diskutieren. Soweit Feodor wusste, beherrschten nur vier Menschen die Verschiebung und das würde auch so bleiben. Egal was Jaris anstellte, er würde sie nie erlernen. Nach allem, was Feodor wusste, würde sein Meister das Geheimnis nicht einmal preisgeben um sein eigenes Leben zu schützen, geschweige denn Feodors.

    2 Mal editiert, zuletzt von Dinteyra (20. November 2014 um 12:14)

  • Schon seit zwei Tagen ritt Feodor nun schon mit den 25 Soldaten und 8 Rittern der Dreizehnten Armee – acht Stunden täglich.


    Wiederholung und eigentlich sollten kleine Zahlen in einem Text immer ausgeschrieben werden.


    Das Kopfkino schnurrt durch, trotzdem bleibt die Situ Feodors für mich genauso undurchsichtig wie für ihn selbst. :thumbsup: Deshalb bin ich auch hier gespannt, wie das weitergeht.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Das nächste Kapitel ist echt ziemlicher Blödsinn. Ich hoffe, ihr verzeiht es mir. :S


    Finsternis


    Fürst Dreizehn stand im großen Thronsaal seiner Festung und blickte aus dem Fenster. Es war das größte Fenster der Burg, sechs Meter breit und drei Meter hoch. Groß genug, dass ein Halbdrache von durchschnittlicher Größe hindurchpasste. Vielleicht musste er die Flügel ein wenig einziehen, aber wenn das magische Kraftfeld, mit dem das Fenster verschlossen war, aufgehoben wurde, konnte eines dieser Wesen durchaus hier landen.
    Plötzlich öffnete sich die große Thronsaaltür (drei Meter breit und fünf Meter hoch) und ein im Vergleich mit der Tür sehr kleiner, ansonsten aber recht großer Mann steckte den Kopf in den Saal.
    „Ähm“, stammelte er, „hier steht jemand, der eine Nachricht für Euch hat. Er sieht aus als wäre er gerade aus dem Bett gefallen. Ich hab ihm gesagt, so kann ich ihn nicht zu Euch vorlassen, da hat er gesagt ich solle Euch etwas ausrichten.“
    „Ja?“, sagte Fürst Dreizehn. Seine Untertanen brauchten immer etwas Zeit um auf den Punkt zu kommen. Er musste geduldig sein.
    „Also ähm, der Bote ist zurückgekehrt.“
    Dreizehn verdrehte die Augen. „Welcher Bote?“, fragte er. Diese Torwache hatte Glück, dass er heute gut drauf war. Er hatte in letzter Zeit so viele Boten losgeschickt, eine etwas genauere Beschreibung wäre ja wohl nicht zuviel verlangt.
    Der Mann schaute ein wenig verdutzt drein.
    „Schick den Mann rein, es ist mir egal, ob er eben aus dem Bett gefallen ist.“
    Die Wache zog den Kopf zurück und ein paar Sekunden später kam einer von Dreizehns Soldaten in den Raum geschritten, mit einer Frisur die aussah, als hätte der Mann einen Stromstoß erfahren.
    „Der Bote, den ihr zu den Drachen geschickt habt, Aboto, ist zurück.“ Wenigstens kam dieser Mann gleich zur Sache.
    Lil, die im hinteren Bereich des Thronsaals herumlungerte und sich bisher nicht für das Geschehen interessiert hatte, hob den Kopf und sah mit gerunzelter Stirn zu ihnen herüber.
    „Warum kommt er nicht persönlich?“, fragte Dreizehn. „Er gehört schließlich zur schwarzen Garde. Wo ist er?“
    „Hier“, sagte der Soldat, zog ein Ledersäckchen aus der Tasche und stülpte es um. Eine Handvoll Asche rieselte auf den Boden zu ihren Füßen.
    Die gute Laune Fürst Dreizehns war sofort verflogen. „Das werden sie bereuen“, zischte er.
    „Ähm, Durchlaucht?“, sagte der Soldat, zu dessen Füßen Abotos Asche lag. Dreizehn starrte ihn mit einem Blick an, der Glas hätte schmelzen können und der jeden mit einem durchschnittlich ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb sofort zum Verstummen gebracht hätte. Dass der Soldat trotzdem weiter redete, ließ interessante Rückschlüsse auf den Zustand seines Verstandes zu. „Ich habe eben im Keller den Sicherungskasten repariert“, erklärte er, „unter Einsatz meines Lebens. Alle Glühbirnen brennen nun wieder. Und da Aboto nun nicht mehr lebt, dachte ich, ich könnte ja seine Stelle in der Schwarzen Garde einnehmen.“
    „Raus!“, brüllte Fürst Dreizehn. „Wachen, nehmt diesen Klassenclown fest und sperrt ihn in den Kerker.“
    Zwei Wachen sprangen in den Saal und schleiften den Soldaten heraus. Während hinter ihnen die Tür zufiel, atmete Dreizehn langsam aus. Es tat gut, allein zu sein. Er hob mit der Fußspitze den langen, grünen Teppich an und schob mit dem anderen Fuß Abotos Asche darunter.
    „Was soll das heißen, Ihr habt einen Boten zu den Drachen geschickt?“, fragte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Fürst Dreizehn ging bei diesen Worten beinahe an die Decke. Er hatte für einen kurzen Moment vergessen, dass Lil noch im Raum war.
    „Ich habe versucht, die Drachen gegen die Hexen aufzuhetzen. Aber ich hätte mir denken können, dass sie sich nicht darauf einlassen. Wäre ja auch zu schön gewesen.“
    „Ihr habt was gemacht?“, fragte Lil entsetzt. „Das war außerordentlich dumm. Was, wenn sich die Drachen nun gegen uns wenden?“
    „Die Versuchung war einfach zu groß. Ich hätte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Einen Krieg zwischen diesen Völkern hätten auf beiden Seiten nur wenige überlebt.“
    „Ein Krieg zwischen den Drachen und den Hexen könnte die ganze Welt ins Chaos stürzen.“
    „Umso besser für mich.“
    Lil sah ihn fassungslos an.
    „Jetzt schau nicht so, du wolltest, dass ich meine Aufmerksamkeit wichtigen Dingen zuwende.“
    „Aber nicht den Drachen, sondern den Schwarzmagiern.“
    „Um die werde ich mich auch kümmern.“ Dreizehn zog ein kleines Fläschchen mit einer goldenen Flüssigkeit aus seiner Hosentasche.
    „Ihr wollt sie vergiften?“, fragte Lil verwundert.
    „Nein. Nicht alle von ihnen sind an der Verschwörung beteiligt, ich muss wissen, wer dazu gehört, bevor ich ihnen etwas antun kann. Die anderen brauche ich noch. Das ist kein Gift. Das ist ein Trank, der elektrische Systeme zerfrisst. Weißt du, ich habe damals zugestimmt, das Wasserkraftwerk bauen zu lassen, weil meine Magier den Strom für ihre Experimente nutzen wollten. Doch jene von ihnen, die mich stürzen wollen, werden seine Kraft gegen mich verwenden. Deshalb hatte ich den Sicherungskasten auseinander genommen, aber mir war klar, dass irgendein Trottel ihn wieder reparieren wird. Das hier“, er hielt das Fläschchen hoch, sodass der Trank im Licht der Fackeln aufblitzte, „wird man nicht so leicht reparieren können.“
    Er schritt durch den Thronsaal zu einer kleinen Tür an dessen Seite. Lil folgte ihm neugierig hindurch in eine enge, mit gemütlichen Sesseln und einem flachen Tisch eingerichtete Kammer. Neben den Sesseln stand eine elektrische Stehlampe.
    „Ich hasse Elektrizität“, fuhr Dreizehn fort. „Genau wie ich alles hasse, was aus der anderen Welt stammt. Als ich erfuhr, dass meine Garde diese Welt mit Fotografien von Maja Sonnfeld verschandelt, hätte ich sie gerne allesamt aufgeknüpft. Was ist falsch mit guten alten Zeichnungen? Was ist falsch mit Fackeln und Feuerschalen und Kerzenleuchtern?“ Er knipste die Lampe an und zog den Korken aus dem Fläschchen. „Von diesem Tag an – bis die Magier, die mich stürzen wollen, gebrochen zu meinen Füßen liegen – wird Andraya wieder im Schein des Feuers erhellt. Oder in Dunkelheit versinken.“
    Mit diesen Worten ließ er den Inhalt der Flasche über die Lampe fließen. Sie zerplatzte in einem Funkenschauer und dann hörten sie über und unter ihnen eine Reihe von lauten Knallen und schließlich eine Explosion. Dreizehn ging zurück in den Thronsaal und eilte zum Fenster. Andraya lag im Dunkeln da. Erloschen waren die Straßenlaternen der Stadt. Erloschen die Lichter hinter den Fenstern der Burg. Nur im Thronsaal brannten die Fackeln und Feuerschalen und Kerzenleuchter weiter.

  • Verloren


    Feodor schlief in dieser Nacht nicht. Er versuchte, möglichst ruhig zu atmen, und kämpfte gegen die Müdigkeit nach dem langen Ritt an, bis er endlich sicher war, dass Jaris schlief. Dann stand er vorsichtig auf, darauf bedacht, das Bett nicht knarren zu lassen, und verließ das Zimmer. Meister Wolf hatte ihm beigebracht, wie man sich leise bewegte. Fast lautlos schlich er durch die dunklen Flure des Gasthauses. Nicht einmal er selbst konnte seine Schritte hören, das einzige, was er hörte, war das Pochen des Blutes in seinen Ohren. Er war aufs Äußerste gespannt und hochkonzentriert. Ein falscher Schritt auf eine von den knarzenden Dielenbrettern konnte ihn verraten.
    Endlich öffnete er die Vordertür des Hauses und stand auf der Türschwelle. Doch nun kam erst der schwierige Teil. Direkt vor ihm war das Lager der grünen Ritter, und die hatten – natürlich – Wachen aufgestellt. Ausnahmsweise wünschte Feodor sich, nicht weiß, sondern schwarz zu tragen, nicht weißes, sondern dunkles Haar zu haben. Er huschte im Schatten der Häuser in Richtung Friedhof. Als er das Lager ein paar Meter hinter sich gelassen hatte, bemerkte er, dass es hier, am Rande der Stadt immer noch nebelig war. Vielleicht war es doch ganz gut, manchmal weiß zu tragen.
    Er bewegte sich auf den letzten Schritten zum Friedhof schneller, denn es hatte lange gedauert, bis Jaris eingeschlafen war und Feodor wollte den schwarzgekleideten Mann, der ihm seine Befreiung im Tausch gegen Jaris' Pläne angeboten hatte, nicht noch länger warten lassen. Endlich öffnete er das Tor zum Friedhof. Es quietschte leise. Er hielt einen Moment inne, doch eigentlich war er sich sicher, dass man das Geräusch vom Lager aus nicht mehr hören konnte. Mehr Angst hatte er, dass er plötzlich auf die Grenzen von Jaris Zauber stoßen würde. Würde der Schwarzmagier dadurch auf ihn aufmerksam werden, oder würde Feodor einfach nur nicht mehr weiter kommen?
    Leise schlich er über den Friedhof. Hier war es noch gruseliger, als im Rest des Dorfes. Überall die grauen Grabsteine und die nicht weniger grauen, abgestorbenen Bäume. Feodor hätte es nicht gewundert, wenn plötzlich zwischen den Gräbern ein Gespenst aufgetaucht wäre. Es hätte ihn überhaupt nicht gewundert. Und dann dachte er plötzlich, er stünde wirklich vor einem.
    Es war riesig, mindestens drei Mal so groß wie er und eisweiß. Feodor zuckte mächtig zusammen, als es plötzlich aus dem Nebel vor ihm auftauchte. Dann erkannte er, dass es nur der große Steinengel war, von dem der Mann heute Nachmittag gesprochen hatte.
    „Da bist du ja.“ Wieder zuckte Feodor zusammen, als er so plötzlich angesprochen wurde. „Hast du herausgefunden, was er von Wolf will?“
    „Ja, habe ich.“ Feodor konnte die Person, mit der er sprach nicht sehen und sprach stattdessen zu dem Engel. „Er will die Verschiebung erlernen.“
    „Was ist das?“
    „Ein Zauber, mit dem man beliebige Dinge oder Personen von einem Ort zum anderen zaubern kann. Nun ja, nicht beliebige Dinge, es kommt ein wenig auf die Macht des Zauberers an.“
    „Also eine Art Teleportationszauber? Was ist daran so besonders?“
    „Man kann sich auch selbst verschieben“, antwortete Feodor der Stimme. Er hoffte inständig, dass sie auch zu dem Mann vom Nachmittag gehörte. „Und es gibt nur vier Menschen, die diesen Zauber beherrschen. Es klingt unspektakulär, aber es ist ein sehr mächtiger Zauber.“
    „Ja, für so etwas würde Jaris sich wohl interessieren. Gute Arbeit, Junge.“
    „Ja, gute Arbeit. Nur leider nicht gut genug.“
    Der Nebel verflog und Feodor konnte endlich den schwarz gekleideten Mann erkennen. Doch er war es nicht gewesen, der die letzten Worte gesprochen hatte. Er wirbelte herum. Am Eingang zum Friedhof stand Jaris.
    Feodor wich zurück, seine Knie zitterten. Jaris kam langsam auf ihn zu, wie ein Tiger, der seine Beute in die Enge treibt.
    „Dachtest du wirklich, ich merke es nicht, wenn du dich davon schleichst?“, fragte er. Seine Stimme klang noch gefährlicher, als an dem Tag, an dem Feodor ihm das erste Mal begegnet war. Er wich noch einen Schritt zurück, sodass er neben der weißen Engelsstatue stand. Jaris Augen waren vor Wut ganz schmal geworden. Feodor bemühte sich, nicht direkt hinein zu sehen. „Ich hätte nicht gedacht, dass du mir innerhalb so kurzer Zeit schon Ärger machen würdest“, fuhr der Schwarzmagier fort.
    Feodor drehte sich verzweifelt zu dem schwarzgekleideten Mann um. Doch der war verschwunden.
    „Dein ‚Freund’ ist abgehauen“, sagte Jaris mit einem hämischen Grinsen. „Mit mir kann es nicht einmal die Schwarze Garde aufnehmen.“
    Feodor riss überrascht die Augen auf. Jaris lachte. Und kam immer näher.
    „Wusstest du nicht, dass er zur Schwarzen Garde gehört? Was hat er dir für deine Hilfe versprochen? Dass er dich befreit? Oder das er seinen Herrn bittet, es zu tun? Ich bezweifle, dass er das ernst gemeint hat, wenn er es denn gesagt hat. Ich glaube nicht dass dein Freund es gewagt hätte, Dreizehn um so etwas zu bitten? Und wenn doch, hätte Dreizehn es niemals getan. Was interessiert ihn ein Würstchen wie du eines bist?“
    Jaris stand jetzt keine fünf Meter mehr von ihm entfernt. Feodor sprang zur Seite und versuchte, sich hinter dem Steinengel zu verstecken, aber Jaris war schneller. Blitzschnell stand er vor Feodor, legte ihm die Hände um den Hals, stieß ihn mit dem Rücken gegen die Statue und drückte ihm die Kehle zu.
    „Schau mir in die Augen!“, befahl Jaris.
    Feodor tat es nicht. Er hatte es die ganze Zeit vermieden, Jaris in die Augen zu blicken. Stattdessen starrte er an dessen Kopf vorbei auf eine riesige Steintafel, die an einem Baum hing.

    ZUM GEDENKEN AN VIERZIG BESUCHER EINER BEERDIGUNG,
    DIE AM ZWEIUNDZWANZIGSTEN FEBRUAR DES JAHRES 2222
    AUF DIESEM FRIEDHOF VERSCHWANDEN, DIE GRÖSSTE ANZAHL
    OPFER, DIE PUTTO WEI JEMALS GEFORDERT HAT.


    Lass mich auch verschwinden, lass mich bitte, bitte auch verschwinden
    , dachte Feodor mit aller Kraft.
    Der Schwarzmagier drückte fester auf seine Kehle. Feodor bekam keine Luft mehr. Schon nach kurzer Zeit wurde ihm schwindelig. Er hatte keine Wahl, er musste tun, was Jaris ihm befahl. Er richtete den Blick auf dessen schwarze Augen und diese bohrten sich in Feodors.
    „Hör zu, du bist ein kleiner, wertloser, stinkender und sabbernder Hund. Du bist schwach, alleine kannst du gar nichts und außerdem bist du feige.“
    Diese Worte hätten Feodor normalerweise eher zum Lachen gebracht, aber in dieser Situation drangen sie tief in seinen Geist ein und verletzten ihn. Er wehrte sich verzweifelt dagegen, aber gleichzeitig kämpfte er gegen die Atemnot an. Er steckte in einer verzwickten Situation. Er spürte einen Zauber auf seinen Geist drücken, wie er ihn noch nie erlebt hatte: dunkel und kalt. Er wusste genau, was der Schwarzmagier vorhatte: Feodor seinen eigenen Willen zu nehmen, ihn zu einer seelenlosen Puppe zu machen. Doch das konnte er nur, wenn Feodor diesen selbst aufgab. In dem Moment, in dem er das tat, würde Jaris die vollkommene Kontrolle über ihn erlangen. Aber wenn er seinen Willen nicht losließ, würde Jaris ihn erwürgen.
    „Lass dich fallen“, zischte dieser ihm ins Ohr. „Du weißt, dass du keine Wahl hast.“
    Doch, Feodor hatte eine Wahl. Zwischen dem Tod und dem vollkommenen Verlust seines Selbst. Ihm wurde schwarz vor Augen, er hing am Rande der Bewusstlosigkeit. Er hatte Angst vor dem Tod – zu viel Angst.
    Feodor ließ sich fallen.
    Im selben Moment war der Junge, der er einst gewesen war, verschwunden. Der Feodor, der nun ohnmächtig wurde, als Jaris seinen Hals losließ, kannte keinen Meister Wolf mehr. Und er hatte nur ein Ziel:
    Dem Schwarzmagier gehorchen, egal worin.

    2 Mal editiert, zuletzt von Dinteyra (20. November 2014 um 12:13)

  • Zwei tolle Teile, und ich weiß gar nicht, wofür du um Entschuldigung bittest?
    Die Kapitel um Dreizehn sind richtig witzig, ohne dem Fürsten das Böse zu nehmen. :thumbsup:

    Und das mit Feodor ist tragisch ;( . Ich hoffe sehr, dass jemand den armen Kerl retten kann und ihm seinen eigenen Willen zurückgibt.


    DIE AM ZWEIUNDZWANZIGSTEN FEBRUAR DES JAHRE 2222


    Jahres
    Der einzige Fehler, der mir ins Auge stach.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • @84:

    Zitat

    Ihr Ziel war der Schwarze Weg, der durch die ganze Welt ohne Namen führte. Feodor gefiel nicht, welchen Lärm sie auf ihrem Weg machten.


    Wiederholuing

    @86:

    Zitat

    Plötzlich öffnete sich die große Thronsaaltür (drei Meter breit und fünf Meter hoch) und ein im Vergleich mit der Tür sehr kleiner, ansonsten aber recht großer Mann steckte den Kopf in den Saal.


    Solche exakten Größenbeschreibungen lesen sich immer etwas analytisch - ob das hier passt, sei dahingestellt ^^ Weswegen ich es eher markiere: Kennt deine Welt das metrische Maß? Man misst nicht umsonst in Fantasywelten alles in Fuß (ungeschriebenes Gesetz Nr. *muss ich noch schreiben*)

    Zitat

    „Raus!“, brüllte Fürst Dreizehn. „Wachen, nehmt diesen Klassenclown fest und sperrt ihn in den Kerker.“


    Hier ebenso. Klassenclown ist ein Begriff, den man aus der heutigen Schule kennt. Wenn Fürst Dreizehn einen Hintergrund hat, in unbserer Welt aufgewachsen zu sein, vergiss den Einwand :whistling:

    Eine weitere Sache zu dem Kapitel: Fürst Dreizehn hasst Elektrizität aber in seiner Burg stehen elektrische Lampen und in der Stadt auch? Das wirkt mir zu künstlich und nur für diese Szene konstruiert.

    @87:

    Zitat

    Er bewegte sich auf den letzten Schritten zum Friedhof schneller, denn es hatte lange gedauert, bis Jaris eingeschlafen war und Feodor wollte den schwarzgekleideten Mann, der ihm seine Befreiung im Tausch gegen Jaris Pläne angeboten hatte, nicht noch länger warten lassen.


    Jaris´

    Der arme Feodor ;( Das war ein Fehler, dem schwarzgekleideten zu vertrauen, hab mir gleich gedacht, dass der zu Dreizehn gehört und ihm nicht helfen wird.
    Ich finde es ungewöhnlich, dass hier mal zwei böse Parteien im Klinsch liegen. Das ist herrlich erfrischend :thumbsup: Normalerweise kämpft nämlich immer alles, was Böse ist, zusammen. Eventuell muss hier vielleicht sogar ein Bündnis mit den Schwarzmagiern geschmiedet werden - wäre sehr spannend.
    Die Geschichte wächst und durch die zusätzlichen Schauorte wird alles dynamischer, finde ich gut. Und außerdem mag ich Feodor irgendwie. Schade, dass er sein selbst aufgegeben hat, ich hoffe, es gibt noch Hilfe für ihn :S

  • Alopex Lagopus: Danke für das ausführliche Feedback. ^^ Es hat mich auf jeden Fall zum Nachdenken gebracht. :hmm: Das mit dem Klassenclown lasse ich erst mal drin, da sehe ich nicht so das Problem. Mit den Metern hast du natürlich irgendwie recht. Ich werde es erst mal stehen lassen, aber nur bis mir eine bessere Lösung eingefallen ist. Fuß finde ich irgendwie nicht besser als Meter. Es ist genauso ein eher "irdisches" Maß, wenn auch vielleicht etwas älter. Keine Ahnung, warum es in so vielen Fantasy-Romanen benutzt wird. Okay, vielleicht werde ich Fuß benutzen, oder ich suche mir etwas anderes. Ich könnte auch eine Maßeinheit erfinden. Jedenfalls verschieb ich das jetzt erst mal und denke später drüber nach. Ich hab es mir aufgeschrieben. :D
    So, ein kurzer Teil noch. Sorry dass ich im Moment so wenig bei Maja schreibe. Ich merke selbst, dass es keine so gute Idee ist, aber ich wollte es ein bisschen chronologisch machen und bei Maja passiert im Moment einfach nicht viel. Aber ich hab sie nicht vergessen. ;)


    Ein Umhang aus Taroq


    Alma ging im Kreis in dem kleinen Raum herum. Immer im Kreis. Die Strohmatte glitt an ihr vorbei, dann die Tür und dann durchquerte sie den Lichtstreifen den das vergitterte Fenster auf den staubigen Steinboden warf. Sie beschleunigte ihre Schritte und ging noch schneller; aber noch schneller als ihr Körper in diesem Raum kreisten ihre Gedanken um die vorangegangenen Geschehnisse. Die Kinder, die Grünen Ritter, der Schwarze Weg – weiter nicht. Die Schwärze des Weges war das letzte, an das sie sich erinnern konnte, bevor sie in dieser Zelle gelandet war. Die toten Bäume, die den Weg flankierten und deren Zweige, die ein Dach über ihm bildeten, durch das niemals ein Sonnenstrahl fiel, obgleich sie keine Blätter hatten.
    Alma wurde schwindelig. Sie taumelte und ließ sich auf den Boden sinken, in den schmalen Lichtstreifen vor dem Fenster. Hinter dem Fenster war nichts, nichts außer diesem schummrigen Licht. Langsam ließ das Schwindelgefühl nach.
    Hoffentlich waren sie ihr nicht gefolgt. Das wäre das Schlimmste, was passieren konnte. Sie durften nicht sterben.
    „Karim! Jinna!“, flüsterte sie. Ihre Stimme hallte von den kahlen Wänden wieder. Warum hallte sie so in dieser kleinen Zelle? Es klang eher als befände sie sich in einer riesigen Halle, groß wie der Thronsaal von Thirga-Lyona.
    Plötzlich hörte sie Stimmen vor der Tür, das Schloss klickte und ein junger Mann mit Spinnweben in Haar und Kleidung trat herein. Er winkte sie heran, aber Alma tat so, als bemerke sie es gar nicht. Sie betrachtete sein Gesicht, der junge Mann hatte ungewöhnlich kalte und intelligente Augen. Schurkenaugen. Sie passten nicht zu dem einfachen Soldaten, als den seine Kleidung ihn auswies.
    Der Mann winkte ihr wieder zu. Statt aufzustehen sprach Alma: „Warum verkleidet Ihr euch als Soldat?“
    Der Mann schien milde überrascht und lächelte. Sein Lächeln war ehrlich, selbst seine Augen lächelten und nun war Alma überrascht. Diese berechnenden Augen konnten tatsächlich freundlich gucken.
    „Warum lacht Ihr?“, fragte sie.
    „Ich mag Euch.“
    Das überraschte Alma dagegen nicht und sie sagte es ihm auch. Dass es sie nicht überraschte, lag nicht etwa daran, dass sie arrogant war, sondern dass es den meisten Menschen ebenso ging wie diesem Mann. Alma war es mittlerweile gewöhnt. Wo sie auch hinkam, überall stieß sie auf Sympathien, so sehr, dass es sich sogar in den umliegenden Städten und Dörfern herumgesprochen hatte. Dort hatte noch niemand die offensichtlichen Schlüsse daraus gezogen und Alma hoffte, dass es hier auch niemand tat.
    „Ich bin Tino Hooker“, stellte der Mann sich vor. „Schwarze Garde. Ich soll Euch zu meinem Herrn bringen.“
    Alma schluckte. Ein Mitglied der Schwarzen Garde also. Dass er sie dazu auch noch zu Fürst Dreizehn bringen wollte, konnte ebenfalls nichts Gutes bedeuten. Aber sie hatte keine Wahl. Langsam erhob sie sich. Tino Hooker hielt ihr die Tür auf und führte sie dann in den oberen Teil der Burg.
    Bevor sie den Thronsaal betraten, riet Hooker ihr, den Blick gesenkt zu halten. Sie tat wie ihr geheißen und folgte ihm in einen großen Saal, an dessen einer Seite ein riesiges Fenster eingelassen war. Von hier aus konnte man das ganze Land überblicken und irgendwo am Horizont sah sie die Berge. Doch sie schaute nicht lange hin und senkte sofort wieder den Blick. Eine Stimme scholl durch den Raum:
    „Da bist du ja. Hast du schon mit der Ausbildung von Tega und Ajami begonnnen?“
    War das Fürst Dreizehn gewesen, der da gesprochen hatte? Seine Stimme klang irgendwie normal, nicht als würde sie zu einem schrecklichen Heerführer gehören, vor dem sich jeder in den zwölf Königreichen fürchtete.
    „Ja, das habe ich“, antwortete Tino Hooker. „Tega möchte übrigens gerne Löwenkralle genannt werden, sagte er.“
    „Ach ja? Sag ihm, wir können ihn auch Schweinedieb nennen und am nächsten Baum aufknüpfen. Das war es doch, wobei wir ihn erwischt haben, oder? Wie siehst du überhaupt aus?“
    Hooker strich sich verlegen ein paar Spinnweben aus dem Haar. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, im Keller sieht es fürchterlich aus. Ich habe die Frau mitgebracht, von der ich erzählt habe.“
    Fürst Dreizehn erhob sich von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte und kam näher. Alma schlug das Herz bis zum Hals, als er genau vor ihr stand und mit der Hand ihr Kinn anhob, sodass sie genau in seine Augen sehen musste. Sein Gesicht war genauso unscheinbar, wie seine Stimme. Sie wusste, was man sich über es erzählte: dass niemand es sich merken konnte, niemand konnte nach einer Begegnung mit Dreizehn sagen, wie er aussah, niemand konnte ihn erkennen, wenn er ihm wieder begegnete. Er war der Mann ohne Gesicht. Jetzt musterte er sie so aufmerksam, wie er konnte, als wollte er jedes Detail von ihr aufnehmen.
    „Lil, komm mal kurz her“, sagte er.
    Von der Seite näherte sich jemand. Dreizehn drehte Alma zu der Person um. Es war eine hübsche Frau, für Almas Geschmack etwas zu stark geschminkt, aber sie hatte etwas Geheimnisvolles an sich. Als sie Alma erblickte, leuchteten ihre Augen auf.
    „Ja, sie ist eine“, hauchte sie. „Ganz sicher, das ist eine Spinnenweberin.“
    Alma zuckte zusammen. Sie hatte es geahnt. Warum konnte man ihr ihr Talent nur so deutlich ansehen? Weil alle Spinnenweberinnen die Sympathie der Leute praktisch anziehen, dachte sie verbittert. Es war zum Fürchten.
    „Sie hätte die Wachen fast dazu gebracht, sie frei zu lassen“, sagte Tino Hooker. „Sicher nicht mit Absicht, aber sie waren kurz davor, ihre Tür nicht mehr abzuschließen.“
    Alma musste unwillkürlich lächeln. Wenn es doch nur so gekommen wäre.
    „Wie macht sie das?“, fragte Dreizehn.
    „Merkt Ihr ihre Ausstrahlung nicht?“, fragte Lil. „Sie strahlt einen solchen Liebreiz aus, dass man sie einfach gern haben muss.“
    „Und der Ritter, der sie hergebracht hat?“
    „Er schien irgendwie immun dagegen zu sein.“
    „Befördert ihn. Und du“, sagte er zu Alma, „hast du dein Talent schon einmal ausprobiert?“
    „Welches Talent?“, fragte sie. „Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.“
    „Oh doch, das tust du. Du bist keine besonders gute Lügnerin.“ Er sagte es nicht zornig, es war nur eine Feststellung. Er durchschaute sie genau. „Ich möchte, dass du deine Gabe für mich nutzt. Webe etwas für mich.“ Mit langen Schritten ging er zu seinem Thron und zog einen langen Gegenstand dahinter hervor. Es war ein großes, blau schimmerndes Schwert. Allerdings war ein großes Stück der Klinge abgebrochen. „Es ist aus Taroq. Eines von zweien, die je geschmiedet wurden. Leider ist es zerstört, die Spitze fehlt, sie ist auf dem Meeresboden versunken. Meine Schmiede können es daher nicht reparieren, denn die Spitze aus einem anderen Metall herzustellen würde das Schwert für meine Zwecke unbrauchbar machen. Ich habe allerdings eine andere Idee, wie ich es wieder brauchbar machen kann. Du wirst mir daraus etwas Neues machen. Etwas Einmaliges. Die Spinnenweber können aus jedem Metall Stoffe weben. Ich möchte, dass du mir daraus einen Umhang machst.“
    Alma war verwundert. Sie hatte schon aus vielen Metallen Stoffe weben müssen, solche Umhänge waren sehr beliebt, denn von einer Spinnenweberin gewebt, schützten sie vor den meisten Angriffen. Der König höchstpersönlich besaß zum Beispiel einen aus reinem Gold. Aber von einem Metall namens Taroq hatte Alma noch nie etwas gehört. Sie nahm das Schwert von Fürst Dreizehn entgegen und drehte es. Er stand ganz nah neben ihr und einen Moment überlegte sie, ob sie ihm sein blödes Schwert nicht einfach ins Herz stechen sollte. Doch so etwas hätte sie niemals fertig gebracht.
    „Das ist zu wenig“, sagte sie. „Das Metall würde nicht einmal für einen halben Mantel reichen.“
    „Du sollst den Umhang nicht ganz aus dem Metall machen, du sollst es nur hineinweben.“
    „Aber dann wird er nicht schützen“, sagte Alma und fragte sich, wieso sie ihm das überhaupt erzählte. „Der Zauber der Spinnenweber, der den Umhang erst stark macht, kann nicht wirken, wenn zu wenig Metall enthalten ist.“
    „Ich brauche nicht deinen Zauber, sondern deine Webkunst“, gab Dreizehn zur Antwort. „Den Zauber schafft dieses Metall alleine. Die Spinnenweber sind nur leider die einzigen, die es tatsächlich schaffen, Metall in etwas so Zartes wie einen Umhang zu weben.“
    „Ich verstehe nicht, wozu das gut sein soll.“
    „Du musst es auch nicht verstehen. Taroq wehrt Magie ab. Selbst eine unglaublich kleine Menge davon in diesem Umhang wird ausreichen, mich vor den meisten Zaubern zu schützen.“
    Alma betrachtete das Schwert in ihrer Hand ungläubig. Dann fiel ihr ein, welche Waffe sie Dreizehn mit einem Umhang aus diesem Metall in die Hand geben würde.
    „Und wenn ich mich weigere, den Umhang zu weben?“, fragte sie.
    „Dann, und das schwöre ich dir, werde ich deine Kinder, egal wo sie sich auch verkriechen, finden und töten und zwar vor deinen eigenen Augen.“ Er lächelte, während er dies sagte, als würde er ihr ein schönes Geschenk machen. „Karim und Jinna, oder? Vielleicht hättest du in deinem Gefängnis nicht so oft ihre Namen nennen sollen.“
    Alma wurde kalt und sie riss angsterfüllt die Augen auf. Was sie am meisten erschreckte, war das Lächeln mit dem Dreizehn diese Boshaftigkeit ankündigte. Nicht weil er sich daran erfreute, sondern weil er genau wusste, dass sie nun keine andere Wahl hatte, als zu tun, was er verlangte. Sie zweifelte keine Sekunde an seinen Worten.
    Sie führten sie mit dem Schwert in einen kleinen Raum, wo sie in der Tat alles fand, was sie brauchte. Ein Spinnrad, einen kleinen Webstuhl und eine kreisrunde Trommel, ein spezielles Werkzeug, dass die Spinnenweberinnen benutzten.

  • Drei Freunde


    Jimo Kandrajimo nahm die letzten Meter auf den Hügel zu Fuß und nutzte die Zeit um über eine Gesprächsstrategie nachzudenken, die er vermutlich nach den ersten dreißig Sekunden des Gesprächs wieder verwerfen würde. Der Mann, den er aufzusuchen gedachte, war unberechenbar. Man wusste nie, womit er einen wieder überraschte.
    Die dichten Bäume über ihm lichteten sich zu einer grünen Wiese und oben auf dem Berg konnte Kandrajimo sein Ziel erkennen: ein weißes Haus, mit verzierten, grünen Fensterrahmen. Daneben stand ein kleiner Stall, aus dem ihm vier Pferde und ein kleiner Esel entgegen schauten. Kandrajimo zog verwundert die Augenbrauen hoch, denn für gewöhnlich hielt Tamor sich keine Pferde. Und wofür sollte ein einzelner Mann vier davon brauchen? Dann kam ihm in den Sinn, dass der Zauberer womöglich Besuch hatte. Doch darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen; er musste seinen Freund dringend sprechen.
    Er klopfte. Einmal. Es war unhöflich, ungebeten in fremde Häuser einzudringen und das Geräusch, das er erzeugte war auch bei einmaliger Anwendung laut genug um Tote aufzuwecken. Es dauerte nicht lange, bis die Tür aufflog und ihm ein strahlender Tamor gegenüberstand. Seine schlanke, jedoch seltsame Erscheinung wirkte durch das leicht irre Grinsen noch verrückter. Er trug einen langen, dunkelroten Umhang und zwei dazu passende, rote Bänder im Haar, die vor seinen Ohren herab fielen und bis an den Gürtel reichten.
    „Jimo!“, rief er. „Du bist der einzige Depp, der stets nur einmal klopft.“
    „Danke sehr“, sagte Kandrajimo schmunzelnd und die beiden umarmten sich.
    „Komm rein“, bat Tamor gut gelaunt und nahm ihm den Mantel ab, während Kandrajimo über die Schwelle ins Haus trat. „Wir haben uns so lange nicht gesehen, was bringt dich her? Geht es dir gut?“
    „Mir geht es gut, aber leider trifft das nicht auch auf die Menschen zu, die mir nahestehen. Hast du das von Wolf gehört?“
    „Was ist mit ihm?“, fragte Tamor, mit einem Schlag ernster.
    „Sein Lehrling – Feodor – wurde von einem Schwarzmagier verschleppt.“
    Tamor erstarrte und sah Kandrajimo wie vom Donner gerührt an. „Ist das ein schlechter Scherz?“, fragte er ungläubig. „Das darf doch nicht wahr sein“, stöhnte er als Kandrajimo zur Antwort den Kopf schüttelte. „Wo ist Wolf jetzt? Kann man irgendetwas tun?“
    „Er ist natürlich auf der Suche nach Feodor. Er hat mir eine Nachricht geschickt, dass er mich an der Grenze zu Andraya treffen möchte.“ Er sah Tamor ernst an. „Ich denke, er kann jede Hilfe gebrauchen, also wenn du irgendetwas für ihn tun kannst … Du hast doch immer noch das Haus in der Nähe des dreizehnten Königreiches, oder? Obwohl ich dir tausend Mal gesagt habe, dass es zu gefährlich ist.“
    Tamor lächelte traurig. „Du kennst mich, Jimo. Natürlich habe ich es noch.“
    „Das Wichtigste wäre es, Wolf von einer Dummheit abzuhalten, die er garantiert drauf und dran ist, zu begehen.“
    „Meinst du solche Dummheiten, wie ich sie deiner Meinung nach gerne mache?“
    „Nein, ich meine die Art Dummheit, die ein verzweifelter und von Schuldgefühlen geplagter Mensch gerne macht.“
    „Na gut, worauf warten wir dann noch. Du müsstest den Umweg nehmen, aber bei deinem Tempo würde ich sagen, wir treffen uns in fünf Minuten dort. Ich kann dir erklären, wo mein anderes Haus dort drüben ist.“ Tamor griff nach der Türklinke und sah seinen Freund erwartungsvoll an, doch dieser schüttelte nur betrübt den Kopf. „Du kannst natürlich auch versuchen, durch das Haus zu gehen. Zwar bist du kein Zauberer, aber du beherrschst die Verschiebung. Es könnte klappen – wenn du es riskieren willst.“
    Kandrajimo schüttelte den Kopf nun etwas eindringlicher. „Ich bin nicht deshalb hier und ich fürchte, ich kann Wolf im Moment nicht helfen.“
    „Ich verstehe nicht, weshalb bist du dann hier?“
    „Ich bin im Auftrag der Kamiraen hier und ich muss dich um einen Gefallen bitten.“
    „Oh“, Tamor sah aus, als würde ihm plötzlich etwas klar werden und auf einmal blickte er sehr schuldbewusst drein. „Dann mache ich uns wohl mal einen Tee, denn ich denke, das zu besprechen wir ein wenig länger dauern.“ Er wandte sich ab und ging voran. „Außerdem habe ich dir wohl etwas zu beichten“, murmelte er so leise, dass Kandrajimo ihn kaum hören konnte.
    Dieser machte sich allerdings auch keine Gedanken über die letzten Worte, er wollte lieber keine Zeit verschwenden und klärte ihn bereits auf dem Weg in die Küche über die Lage auf. Er erklärte ihm, dass sie eine neue Kamiraen aus der anderen Welt gefunden hätten und diese in die Stadt der Kamiraen hätten bringen wollen um sie vor Fürst Dreizehn zu schützen. Und dass Tabea sie verloren hatte. „Sie versucht anscheinend, dass Gebirge zu überqueren und das bedeutet, dass sie irgendwo hier in der Nähe sein muss. Doch wie soll ich sie finden? Dazu bräuchte ich scharfe Augen und die Fähigkeit, weite Strecken in kurzer Zeit aus der Luft abzusuchen. Ich brauche deine Halbdrachen.“
    Tamor antwortete nicht sofort. Als sie in die übertrieben bunte Küche kamen stellte er Kandrajimo zuallererst eine Tasse Tee vor die Nase. Das Getränk war untypischerweise kalt und das veranlasste Kandrajimo, seinem Freund genauer ins Gesicht zu sehen. Tamor sah gestresst aus. Lag das nur an den schlechten Nachrichten über Feodor? Oder an denen über die verlorene Kamiraen? Das betraf ihn doch gar nicht.
    „Was ist los?“, fragte Kandrajimo.
    „Ich sagte doch, ich muss dir etwas beichten.“ Tamor sah ihn bedeutungsvoll und ein bisschen bedauernd an. Kannst du dir nicht denken, was?“
    „Nein“, antwortete Kandrajimo und fragte sich, ob überhaupt jemand jemals in der Lage sein könnte, Tamors verworrene Gedanken zu durchschauen?
    „Sie war hier. Und ich kann dir meine Halbdrachen nicht leihen, weil ich sie ihr geliehen habe. Sie ist in diesem Moment auf dem Weg nach Andraya. Und ich glaube nicht, dass sie noch irgendetwas aufhalten kann.“
    Kandrajimo verstand zuerst nicht, was er ihm sagen wollte, doch als er begriff, erfasste ihn tiefes, ungläubiges Entsetzen. „Nein“, rief er. „Nein, das hast du nicht. Das glaube ich einfach nicht.“ Er verstummte und starrte Tamor einfach nur sprachlos an.
    Dieser sah ihm nicht in die Augen, stattdessen nahm er die Teetasse in die Hand und pustete vorsichtig hinein, bis der Tee plötzlich zu dampfen begann. Dann stellte er sie wieder vor Kandrajimo ab. Dieser schob sie jedoch beiseite. Heiß oder kalt, er hatte jetzt kein Interesse an Tee.
    „Wie konntest du das tun?“, würgte er schließlich hervor, was ihm durch den Kopf schoss: „Wie konntest du mich so verraten?“
    „Denkst du so darüber? Dass ich dich verraten habe?“
    „Was hast du dir dabei gedacht?“, fuhr Kandrajimo auf. Er versuchte, nicht zu brüllen, aber ganz gelang es ihm nicht, seine Stimme ruhig zu halten.
    Tamor drehte die Handflächen nach oben und hob die Arme. „Sie kam her, sie bat um Hilfe und ich dachte, warum nicht?“
    „Weil sie sterben wird?“, rief Kandrajimo.
    „Komm schon. Musst du gleich vom Schlimmsten ausgehen? Ich war auch erst skeptisch, aber sie ist eine Kamiraen, für irgendetwas muss das doch gut sein.“
    Kandrajimo wollte seinen Ohren nicht trauen. „Warum benehmen sich im Moment eigentlich alle wie im Kindergarten?“, rief er verärgert. „Erst Tabea und jetzt du auch noch.“
    „Was hat Tabea denn getan?“
    „Sie hat Maja gehen lassen, weil sie sie nicht leiden kann. Und jetzt lässt du sie gehen, weil … ich habe keinen Schimmer, warum. Du hättest uns sofort Bescheid sagen sollen, als sie hier aufgekreuzt ist. Du hättest mir Bescheid sagen sollen. Und erzähl mir nicht, dass dir das nicht klar war.“
    „Ich musste irgendwie an ihren Onkel denken. Hat er nicht dasselbe getan? Du hast ebenfalls in jungen Jahren eine Weltreise gemacht. Und warst damit nicht der einzige aus deiner Generation. Warum sollte ihr nicht dasselbe Recht zustehen?“
    Kandrajimo schüttelte verzweifelt den Kopf. „Das, was ich gemacht habe war eine Reise in die großen Städte dieser Welt. Tourismus, wenn du es in Worte aus der anderen Welt fassen möchtest. Das kannst du nicht mit einer Reise auf die andere Seite des Gebirges vergleichen, schon gar nicht unter diesen Umständen. Was ihren Onkel angeht: er wurde durch unglückliche Umstände von Tabea getrennt. Und falls du es vergessen hast, Miro Sonnfeld hat bei dieser Reise seinen Arm verloren.“
    „Ich habe es nicht vergessen. Aber Maja hat das Recht, ihren eigenen Weg zu gehen. Ich wollte mich ihr nicht in den Weg stellen. Ich glaube, es ist ihr Schicksal-“
    „Es reicht“, sagte Kandrajimo. „Warum diskutiere ich das überhaupt mit dir? Benutze deine Halbdrachen-Pfeife und hol sie zurück.“
    „Sie sind zu weit weg.“
    „Deine Pfeife ist magisch.“
    „Trotzdem ist ihre Reichweite begrenzt.“
    „Dann sag mir, wo sie jetzt sind. In welche Richtung sind sie geflogen und wo werden sie vermutlich sein? Wie schnell fliegt so ein Halbdrache? Es muss sich doch berechnen lassen, wo sie sind. Ich kann mich dorthin verschieben und die Pfeife verwenden.“
    Tamor schüttelte den Kopf. „Sie sind auf dem Weg Richtung Andraya, aber wo genau, kann ich nicht sagen. Zu viele Einflüsse bedingen einen solchen Flug. Wenn du sie aufhalten willst, musst du das an ihrem Ziel tun. An der Grenze zum dreizehnten Königreich. Aber mach dir keine allzu großen Sorgen. Solange sie mit Taramos und Penelope unterwegs sind, kann ihnen nichts passieren.“
    Kandrajimo sah ihm fest in die Augen. „Lügst du mich an?“, fragte er.
    „Ich bin dein Freund. Vielleicht habe ich in Bezug auf Maja Sonnfeld anders gehandelt, als du es dir wünschst, aber denkst du wirklich, ich würde dir ins Gesicht lügen?“
    Kandrajimo lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Du wirst mir helfen, sie zu finden. Und wenn das Mädchen wegen dir stirbt, dann ist unsere Freundschaft zu Ende.“

    Kandrajimo stand am Rande einer hohen Klippe, von der man einen Blick auf ganz Andraya hatte. Am Fuße der Klippe floss der Fluss Jun. Ihn musste überqueren, wer das dreizehnte Königreich betreten wollte. Vor ihm, in der Mitte des Reiches, erhob sich eine dunkelgraue Burg mit grünen Dächern in den Himmel. Auf einem davon wehte die Flagge von Dreizehns Reich: grün-weiß mit einem Halbdrachen in der Mitte. Für einen Moment wanderten Kandrajimos Augen zum Himmel, wo etwa hundert dieser Tiere kreisten. Er wollte lieber gar nicht wissen, wie Dreizehn sie ernährte.
    „Du bist gekommen“, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Wolf.
    Kandrajimo drehte sich um und sah ihm in die dankbaren Augen. Ja, er war gekommen. Dank Tamor konnte er im Moment ohnehin nicht viel tun um Maja zu helfen. Er konnte nur dessen Rat befolgen und versuchen, sie hier abzufangen. Und wenn er schon da war, konnte er auch Wolf zur Seite stehen. Wenigstens moralisch.
    „Ich bin hier, aber ich kann nicht mitkommen, wenn du Dreizehns Reich betrittst.
    „Was?“ Wolf schien überrascht. „Aber warum nicht. Es wäre mir wirklich eine große Hilfe.“
    „Dreizehn hat es bisher jedes Mal heraus bekommen, wenn einer der Kamiraen sich in seinem Land aufgehalten hat. Das ist auch ein Grund, warum ich Maja unter allen Umständen aufhalten muss. Wenn ein Kamiraen da rein geht, ist er so gut wie tot. Ich werde hier auf dich warten müssen. Keine Sorge“, sagte er mit einem Seitenblick auf Wolf. „Du schaffst das schon.“
    Wolf nickte. „Ich muss. Wenn ich daran denke, was die vielleicht mit Feodor anstellen könnten.“ Er ging an der steilen Klippe entlang. Kandrajimo folgte ihm. „Das Problem ist, dass dieser Schwarzmagier nichts anderes erwartet, als dass ich versuche, Feodor zu befreien. Deshalb hält er ihn vermutlich gefangen. Ich tappe mit offenen Augen in eine Falle. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht zuschnappt.“
    „Wann machst du dich auf den Weg?“
    „Sofort. In Andraya schleicht man sich am besten bei Tag ein. Kein anderes Land hat in der Nacht so viele Augen.“
    „Bist du denn sicher, dass Feodor schon dort ist?“
    „Über den Schwarzen Weg reist man schnell, trotzdem kann ich es nicht mit Sicherheit sagen. Aber das werde ich nie können. Ich gehe jetzt, denn wenn er hier ist, kann ich ihn nicht länger warten lassen.“
    Jimo Kandrajimo drückte ihm die Hand. „Ich hoffe, dass du es schaffst.“ Als er wieder losließ, merkte Wolf, dass der Kamiraen ihm etwas in die Hand gedrückt hatte.
    „Was ist das?“
    „Ein Stein. Ich habe ihn von Sarian bekommen. Reibe ihn in der Hand, wenn du zurück bist, dann weiß ich Bescheid.“ Er umschloss den zweiten Stein, den sogenannten Zwilling, in seiner Tasche fest mit den Fingern.
    „Danke“, sagte Wolf und umarmte ihn. Dann machte er sich an den Abstieg. Jimo Kandrajimo schaute ihm besorgt hinterher. Es missfiel ihm sehr, nicht mitkommen zu können, es war absolut nicht der Weg der Kamiraen, daneben zu sitzen und zuzuschauen, aber er hätte das Unternehmen nur noch gefährlicher gemacht.
    Er drehte sich um und ging in den Wald. Tamor hatte ihm den Weg zu seiner Hütte beschrieben. Nun ja, nicht richtig, er hatte nur etwas vom schönsten Teil des Waldes gesagt. Für Jimo Kandrajimo war jeder Wald schön, aber vielleicht konnte er Zeichen entdecken, die man vielleicht als besonders ästhetisch beschreiben konnte. Er musste nicht lange suchen, denn schon bald entdeckte er eine große Ansammlung weißer Wolkenblumenkissen. Sie säumten einen schmalen Weg und brachten ihn auf diesem direkt zu einem kleinen Stall. Kandrajimo lächelte. Er hatte gefunden, was er suchte.
    Er verbrachte den größten Teil des Tages in Tamors Haus, doch die Stimmung zwischen ihm und dem Magier war frostig. Sie sprachen nicht viel, aber sie wussten beide, dass der andere mit seinen Gedanken bei Wolf war. Dann, als die Sonne untergegangen war und die Sterne sich in der flachen See vor Tamors Fenster spiegelten gingen sie zu Bett. Tamor hatte eine Menge Gästezimmer und eines davon war bereits für Kandrajimo hergerichtet worden.
    Dieser starrte noch lange an die Decke und dachte über viele Dinge nach. Wolf, Maja Sonnfeld … Außerdem fragte er sich, wie Tamor ruhig schlafen konnte, wenn direkt hinter einer seiner Türen das dreizehnte Königreich begann. Gut, nur er konnte diese Türen öffnen, aber war das sicher? Andraya war voller Schwarzmagier, wenn jemand einen Weg fand, dann sie.
    Als Jimo Kandrajimo am nächsten Tag aufwachte stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Er zog sich an und wusch sich in einem von Tamors edlen Badezimmern. Der Drachenzüchter hatte mit Sicherheit die schönsten Badezimmer in der ganzen Welt ohne Namen, schon daher lohnte es sich immer, ihm einen Besuch abzustatten. Als er zurück ins Schlafzimmer kam leuchtete der kleine Stein, den er am Abend auf sein Nachtschränkchen gelegt hatte türkis-blau und strahlte eine leichte Wärme ab. Der Kamiraen packte ihn und machte sich so schnell wie möglich auf den Weg. Wolf war wieder zurück.

    Einmal editiert, zuletzt von Dinteyra (27. November 2014 um 13:41)

  • Zitat

    Tamor erstarrte und sah Kandrajimo wie vom Donner gerührt an. „Ist das ein schlechter Scherz“, fragte er ungläubig.


    Da fehlt das Fragezeichen in der wörtlichen Rede

    Die Pause von Maja tut der Geschichte in meinen Augen mal ganz gut. Man bekommt einen besseren Überblick über die Geschehnisse - auch wenn ich immer noch nicht weiß, warum Maja so wichtig ist, dieses Geheimnis hebst du dir wohl echt bis zum Schluss auf, was? ^^Ich kann Jimo gut verstehen, auch ich fand es etwas verantwortungslos von Tamor, die Kinder einfach mit ein paar Halbdrachen in Dreizehns Königreich aufbrechen zu lassen. Die scheinen da wohl eine etwas andere Mentalität zu haben ^^

  • Der verlorene Lehrling


    Meister Wolf wurde verfolgt. Mehrere Soldaten Fürst Dreizehns waren ihm auf den Fersen. Es waren keine grünen Ritter, sondern einfache Soldaten, in moosgrüne Umhänge gehüllt und mit dem Wappen von Andraya auf ihrer Brust. Wolf glaubte allerdings nicht, dass Dreizehn selbst es war, der sie geschickt hatte, eher vermutete er, dass sie auf Befehl des Schwarzmagiers handelten. Jaris. Der Name war das Einzige, was er über ihn in Erfahrung hatte bringen können; nicht einmal wo er wohnte oder praktizierte hatte er herausgefunden.
    Wolf sprang in den Fluss, durchquerte ihn schnell wie ein Fisch und begann am anderen Ufer die Steilwand heraufzuklettern. Schneller als es selbst dem geschicktesten Bergsteiger gelingen konnte. Die Soldaten blieben verblüfft stehen und riefen sich gegenseitig Ausdrücke des Erstaunens zu ob des alten, grauhaarigen Mannes, der scheinbar so mühelos den Fels erklomm. Meister Wolf lächelte. Er war immer noch ein Zauberer und zwar ein ziemlich guter. Das Lächeln verblasste, als er bemerkte, wie viel Kraft ihn diese Übung kostete. Es war nie gut, sich gegen die Naturgesetze, in diesem Fall die Schwerkraft, zu wenden, aber es war gerade die schnellste Möglichkeit gewesen, den Soldaten zu entkommen. Die letzten Meter kletterte er langsamer, dann zog er sich über die Felskante. Er glaubte nicht, dass ihm die Soldaten jetzt noch folgen würden.
    Erschöpft blickte er zu den rettenden Bäumen des Waldes. Irgendwo da drin würde Jimo Kandrajimo auf ihn warten. Er kroch ein Stück von der Kante weg und spürte, wie er frei wurde. Andraya lag nun hinter ihm und er konnte die Verschiebung wieder anwenden. Diese Fähigkeit, die begehrteste aller magischen Fähigkeiten, aber seiner Meinung nach auch die am meisten überschätzte, hatte er innerhalb Andrayas vollkommen verloren. Mit Sicherheit hatte Jaris das verursacht. Wolf hatte es nicht geschafft, Feodor zu finden, aber er hatte noch nicht aufgegeben. Schon in wenigen Tagen, wenn seine Kräfte wieder hergestellt wären, wollte er zurückkommen.
    Plötzlich tauchte vor ihm, zwischen den Bäumen, jemand auf. Er war ganz in Schwarz gehüllt, nur sein Haar stach leuchtend weiß aus der Umgebung hervor. Wolf starrte ihn verblüfft an.
    „Feodor?“
    Dort stand der Junge - sein Schüler - und starrte ihn mit leerem Blick an.
    „Feodor“, flüsterte Wolf, „was haben sie dir angetan?“
    Zuerst schien der Junge durch ihn hindurchzusehen. Dann, ganz plötzlich, wurden seine Augen kalt und hart.
    „Ich soll Euch zu meinem Meister bringen“, sagte er, „Wenn Ihr mir nicht freiwillig folgt, werde ich Euch dazu zwingen müssen.“
    Wolf riss die Augen auf. „Was soll das?“
    „Entscheidet Euch jetzt.“
    „Feodor! Das bist doch nicht du. Und was redest du da, ich bin dein Meister.“
    Feodor hob nur spöttisch die Augenbrauen, hob die Hand und schloss sie vor seinem Gesicht mit einem dramatischen Schlenker zur Faust. Wolf erkannte darin eine magische Geste und wusste, dass es Zeit war, sich auf einen feindlichen Zauber vorzubereiten, doch weil er kaum fassen konnte, was hier geschah, arbeitete sein Kopf sehr langsam.
    Ein lautes Knacken erklang vom Waldrand her. Zwischen den Bäumen stand ein großer Fels, der nun zu zittern und zu beben begann. Große Stücke brachen von ihm ab und hinterließen eine annähernd menschenähnliche Gestalt. Langsam, knirschend löste sich ein steinerner Fuß vom Boden und krachte einen Meter weiter vorne schwerfällig wieder auf die Erde. Ein letztes Mal schüttelte sich der Steinmensch und begann dann, auf Meister Wolf zuzustapfen. Jeder Schritt ließ die Bäume erbeben.
    Wolf konnte kaum seinen Sinnen glauben. Er war wie erstarrt. Mit offenem Mund sah er tatenlos zu, wie der Steinmensch auf ihn zuschritt und den schweren Arm hob. Dann schlug dieser zu und Wolf fiel wie ein nasser Sack in sich zusammen.
    Feodor beobachtete schweigend, jedoch mit offensichtlicher Genugtuung in den Augen, wie der grauhaarige Zauberer zu Boden stürzte.
    „Heb ihn hoch und nimm ihn mit“, sagte er abschätzig zu dem Steinmann.
    „Das kann ich leider nicht zulassen.“ Die Worte kamen aus dem Wald hinter ihm. Ein Mann mittleren Alters, mit blonden, kurzen Haaren, trat hervor, an derselben Stelle, an der Feodor sich eben gezeigt hatte. Er sah kräftig aus und hatte einen kämpferischen Blick. Irgendwie kam er Feodor bekannt vor, genau wie dieser Zauberer namens Wolf, den gefangen zu nehmen seine Aufgabe war.
    Jimo Kandrajimo ging an dem Jungen vorbei und nahm Meister Wolf aus den Armen des Steinmenschen, der das widerstandslos geschehen ließ. Er suchte nach dem Puls des Mannes und legte ihn dann etwas abseits ins Gras. Die ganze Zeit ließ er Feodor nicht aus den Augen. Dieser starrte ihn schweigend an und beobachtete sein Verhalten mit einer Art höflichem Interesse. Seine Körperhaltung zeigte deutlich, dass er sich ihm überlegen fühlte.
    Die Situation war vertrackt. Kandrajimo konnte nur sich selbst verschieben, also musste er den jungen Zauberer so lange aufhalten, bis Wolf wieder aufwachte. Oder er musste ihn vertreiben.
    „Verschwinde hier“, sagte Kandrajimo, „sonst bekommst du es mit mir zu tun.“
    Feodor lachte. Ein schäbiges, hämisches Lachen. Es klang böse. „Du musst erst einmal an meinem Krieger vorbei.“ Er machte eine Handbewegung und der Steinmensch sprang vor.
    Jimo Kandrajimo brachte Abstand zwischen sich und Meister Wolf und glücklicherweise folgte ihm der Steinmensch. Kandrajimo zog sein Schwert, doch sah keine Möglichkeit, dem Steinmensch mit der Waffe zu schaden, also wich er seinen Schlägen aus und rannte stattdessen auf Feodor zu.
    Der Blick des Jungen war trüb. Es war, als würde er seinen Gegner nicht einmal sehen. Was immer der Schwarzmagier mit ihm angestellt hatte – es machte Feodors Reaktionen langsamer. Und so wehrte er sich kaum, als Kandrajimo ihn packte, gewaltsam ein paar Schritte zurück drängte und ihn an einem Baum festnagelte, die Klinge des Schwertes nur Zentimeter von seinem Hals entfernt. Feodor blinzelte und starrte ihn entsetzt an.
    „Halte ihn auf“, sagte Kandrajimo, denn der Steinmensch kam immer noch auf ihn zu. Feodor hob die Hand, als wollte er seinem Geschöpf Einhalt gebieten, aber dann hielt er plötzlich ein riesiges Schwert in der Hand, das aus schwarzen Flammen zu bestehen schien. Kandrajimo hatte keine Ahnung, woher es kam. Feodor schlug zu und der Kamiraen ließ sich zu Boden fallen, rollte sich zur Seite um dem Schlag zu entgehen. Er sprang wieder auf und schlug dem Jungen mit seiner eigenen Waffe das Schwert aus der Hand. Das war nicht mehr der Feodor, den er kannte. Dieser Feodor war böse. Und mächtig. Das Schwert aus schwarzem Feuer in seiner Hand war der Beweis. Als es mit einem dumpfen Geräusch auf der Wiese landete, brannte einen halben Meter um es herum alles Gras weg. Außerdem färbte es die Spitze von Kandrajimos eigenem Schwert schwarz.
    „Man muss nicht nur haben, man muss auch können“, sagte Kandrajimo zu Feodor. Das Schwert an sich war eine gefährliche Waffe gewesen, aber der Junge hatte nicht damit umgehen können. Zum Glück.
    Der Junge starrte ihn hasserfüllt an. Er wirkte wie ein völlig anderer Mensch. Die entscheidende Frage war, ob der alte Feodor noch irgendwo da drin war. Kandrajimo versuchte, in seinen Augen etwas von dem Jungen wieder zu finden, den er kannte, doch er entdeckte nichts. Er schien verloren. Unwiederbringlich vielleicht. Kandrajimo war sich nicht sicher, was er tun sollte. Er selbst war kein richtiger Zauberer, er beherrschte nur die Verschiebung, aber er wusste einiges über Zauberkräfte. Wenn Feodor befreit werden konnte, dann nur von einem Magier, der mindestens so stark war, wie der Schwarzmagier, der ihm das angetan hatte, und Meister Wolf war mit Sicherheit nicht in der Lage dazu. Der Zauberer war alt geworden. Jimo fiel auch sonst niemand ein.
    Feodor betrachtete Kandrajimo mit einem seltsam fernen Blick. Der Kamiraen fürchtete zu wissen, was das bedeutete. Der Junge schien drauf und dran einen Zauber auszuprobieren um ihm den Garaus zu machen.
    Er musste etwas unternehmen und zwar schnell. Er wollte Feodor nicht verletzen und schon gar nicht töten, doch wenn er das hier überleben wollte, hatte er wohl keine andere Wahl. Er sprang auf Feodor zu und versuchte es zunächst mit einem Scheinangriff um den Zauberlehrling an der Verwendung der Magie zu hindern. Feodor sprang nach hinten, doch ihm war nicht entgangen, dass sein Gegner bloß geblufft hatte. Ein verächtliches Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Und Kandrajimo wusste, dass er kein zweites Mal damit durchkommen würde.
    Er warf einen Blick auf Wolf, der immer noch an derselben Stelle am Boden lag, die Augen geschlossen. Doch schon zog der Steinmensch Kandrajimos Blick auf sich, denn er kam mit seinen erderschütternden Schritten immer näher. Als er sich wieder zu Feodor umdrehte, sah er außerdem, dass dieser leise zu murmeln begonnen hatte.
    Er durfte nicht weiter zögern. Und zum Wegrennen war es lange zu spät. Er hatte keine Wahl. Schweren Herzens hob er das Schwert.
    „Jimo, nicht“, sagte eine heisere Stimme. Wolf war aufgewacht und sah ihn flehend an. Kandrajimo drehte sich um, behielt aber Feodor im Augenwinkel. Der Junge hatte zu murmeln aufgehört, die Stimme seines alten Meisters schien ihn aus dem Konzept gebracht zu haben. Vielleicht hatte er gedacht, der Zauberer wäre schon tot. „Er ist mein Schüler. Bitte nicht.“ Eine Weile sahen sie einander in die Augen. Dann rappelte sich Wolf mit einem heiseren Stöhnen auf und verschwand.
    Feodor starrte dumpf auf die Stelle, an der er verschwunden war. Jimo fragte sich, ob er überhaupt noch wusste, wer Wolf war. Zorn überkam ihn. Doch er ließ das Schwert sinken. Wolf war in Sicherheit, jetzt musste er nur noch selbst entkommen.
    „Hinter dir steht jemand“, sagte Feodor plötzlich. Sein Blick war voller Bosheit.
    „Ich weiß.“ Das Näherkommen des Steinmannes war nicht zu überhören gewesen. Er sah Feodor verächtlich an. Den Jungen anzusehen, machte ihn traurig. Der Hass und der tiefe Schmerz in seinen Augen … Es war bedauerlich, aber Meister Wolf hatte seinen Lehrling wohl für immer verloren. Kandrajimo glaubte nun nicht mehr, dass Feodor noch zu retten war. Und Wolf glaubte es wohl auch nicht, oder er wäre nicht einfach geflohen. „Na und?“
    „Das wirst du nicht mehr sagen, wenn er erst einmal angegriffen hat“, zischte Feodor.
    Der Steinmensch hatte seinen schweren Arm gehoben und ließ ihn auf Kandrajimo nieder krachen. Der Kamiraen wirbelte herum, duckte sich unter dem Schlag weg und stieß dem Ungetüm die Faust in die Steinbrust. Es war, als hätte er ihm Sprengstoff zwischen die Rippen gesteckt, der Steinmensch explodierte in tausend Stücke, die beinahe zehn Meter weit flogen. Kandrajimo spürte, wie der Junge hinter ihm zurückwich. Kandrajimo schaute ihn an. Die scharfen Steinsplitter hatten ihn an mehreren Stellen getroffen, unter anderem waren die schwarzen Hosenbeine zerfetzt und die Beutel an seinem Gürtel aufgerissen. Ein rotes Pulver fiel heraus und hüllte den Jungen in eine farbige Wolke. An der Stirn hatte er eine lange Schramme.
    Kandrajimo warf noch einen letzten Blick auf die Pulverwolke und den Schatten darin, dann ging er. Er musste Wolf nun beistehen. Ein letzter tiefer Atemzug und er verschwand genau wie der alte Zauberer.

    Feodor sank zu Boden; er fühlte sich grauenhaft. Er konnte sich an nichts mehr erinnern, was seit den Ereignissen auf dem Friedhof geschehen war. Er wusste nicht einmal, wie er hierher gekommen war.

    Einmal editiert, zuletzt von Dinteyra (8. März 2015 um 11:27)

  • Käses Traum


    Käse kam gerade aus der Schule. Er hieß nicht wirklich Käse, sondern Kasimir, aber alle nannten ihn nur bei seinem Spitznamen. Wobei ... sein Vater gebrauchte in letzter Zeit immer häufiger seinen richtigen Namen. Seit Maja weg war, war er mürrisch geworden und hatte keinen Sinn mehr für so etwas wie Spitznamen. Seine Mutter dagegen war sehr empfindlich geworden und fing bei jeder Kleinigkeit an zu weinen, selbst wenn es gar nichts mit seiner Schwester zu tun hatte. Manchmal weinte sie, wenn sie nur aus dem Fenster schaute.
    Käse schloss die Tür auf und ließ seinen Schulranzen in eine Ecke fallen. „Das Auto steht schon wieder da“, rief er. Seit einiger Zeit stand Tag und Nacht ein schwarzes Auto an der Straßenecke. In dem Auto saßen ein Mann und eine Frau – eine sehr seltsame Frau, sie fand es offenbar hübsch, sich bunte Blätter ins Haar zu stecken. Käse fand es eigentlich auch hübsch, aber die beiden machten ihm Angst, wie sie da in ihrer schwarzen Kleidung herumsaßen und einfach nur das Haus beobachteten. Käse war sich sicher, dass es ihr Haus war, dass sie beobachteten und auch seine Eltern fühlten sich nicht wohl. Ihr Vater hatte schon einmal die Polizei angerufen, aber als die gekommen war, war der Wagen weggefahren. Jetzt glaubte die Polizei vielleicht, dass Käses Eltern nur Alpträume hatten, weil sie immer noch nach ihrer Tochter suchten. Das sagte jedenfalls sein Vater.
    Von Maja hatte übrigens niemand eine Ahnung, wo sie steckte. Aber Käse wusste, dass es ihr gut ging und dass sie wiederkommen würde. Im Moment ging es nur nicht. Jede Nacht träumte er, dass sie vor ihrer Tür stehen würde, neben ihr eine schöne Frau mit langem, weißem Haar. Seine Eltern wären wieder glücklich und alles würde sein wie früher.
    Er ging in die Küche und naschte ein wenig von der Soße, die seine Mutter gerade kochte. Sie schimpfte ihn nicht aus. Früher hatte sie immer geschimpft.
    Er erzählte ihr, was er in der Schule gemacht hatte und dass sein Freund Jan einen älteren Jungen geärgert hatte, woraufhin dieser die beiden über den ganzen Schulhof gejagt hatte. Dabei hatte Käse nicht einmal etwas dafür gekonnt. Seine Mutter machte ein aufmerksames Gesicht, aber er merkte, dass sie ihm gar nicht wirklich zuhörte. Also ging er in sein Zimmer. Er hatte vor, ein bisschen zu spielen, bevor er seine Hausaufgaben machte.
    Als er in sein Zimmer kam fiel sein erster Blick aus dem Fenster. Ein zweites Auto hatte sich zu dem schwarzen gesellt, ein kleines, rotes. Er wusste nicht, was es für eines war. Jan konnte alle Autos auseinander halten, aber er wollte es Käse nicht beibringen. Die Personen in dem schwarzen Auto hatten das rote auch bemerkt und es löste eine merkwürdige Reaktion bei ihnen aus. Sie diskutierten heftig und zeigten dabei aufgebracht immer wieder auf das rote Auto. Dann stiegen sie aus und gingen auf es zu, der Mann stellte sich auf die Fahrerseite, die Frau auf die Seite des Beifahrers. Käse trat näher ans Fenster und beobachtete sie, er fand es sehr interessant, weil er die beiden vorher noch nie hatte aussteigen sehen. Der Fahrer des roten Autos kurbelte das Fenster herunter und erst jetzt konnte Käse erkennen, wer am Steuer saß: es war die Frau mit den weißen Haaren aus seinen Träumen. Sie unterhielt sich eine Weile mit den beiden anderen, dann stiegen diese wieder in ihr Auto und blieben dort sitzen. Die Frau blieb ebenfalls sitzen und so standen an der Straßenecke nicht mehr ein sondern zwei Autos. Bis zum Abend fuhr keines von ihnen weg. Käse fragte sich langsam wirklich, was alle diese Leute von ihnen wollten. Wenn sie vorhatten, sie zu beschatten, dann stellten sie sich nicht gerade geschickt an.

    In der Nacht konnte Käse nicht schlafen. Ihm war übel und er rief mehrmals nach seiner Mutter, weil es ihm so schlecht ging. Endlich fiel er in einen unruhigen Schlaf. Um ein Uhr wurde er wieder wach. Auf der Straße war so etwas wie ein Tumult ausgebrochen. Er schlich sich zum Fenster. Draußen standen die drei Leute aus den Autos, gerade als er am Fenster erschien hetzten die zwei Fahrer des schwarzen Wagens zu ihrem Fahrzeug, stiegen ein und brausten davon. Die andere Person blieb auf der Straße stehen.
    Käse wurde wieder schlecht und er kroch zurück ins Bett. Unter der warmen Decke war es so schön gemütlich. Aber auch unheimlich. Er hatte oft Alpträume und manchmal fürchtete er sich auch wenn er wach war. Vor Mumien in seinem Schrank oder vor fürchterlichen Riesenschlangen unter seinem Bett. Einmal hatte er eine ganze Nacht lang nicht schlafen können, weil er ein Tuch, das er selbst an seinen Schrank gehängt hatte, für eine gruselige Geisterfratze gehalten hatte. Völlig gerädert war er am nächsten Tag beinahe die Treppe hinunter gefallen.
    Auf einmal hörte er ein Geräusch. Wenn er sich nicht täuschte, kam es aus Majas Zimmer. Blitzschnell versteckte er sich unter der Bettdecke und lauschte vorsichtig in die Dunkelheit. Da war es wieder. Kein Zweifel: Jemand war im Haus. In Majas Zimmer.
    Er hatte Angst unter seiner Decke hervorzukommen und schimpfte sich gleichzeitig dafür aus. Warum war er nur so feige. Und was war, wenn es Maja war, die in ihrem Zimmer war, was, wenn sie zurückgekommen war? Er musste es wissen.
    Er stand auf, tapste barfuß durch den Flur und öffnete die Tür zum Zimmer seiner Schwester. Es sah genauso aus, wie sie es verlassen hatte, nur das Fenster war geschlossen worden, und das Seil, das herausgehangen hatte, hatte die Polizei mitgenommen. Seine Eltern hatten Käse verboten, in dem Zimmer irgendetwas zu verändern, aber er hatte sich öfter herein geschlichen um seine Spielsachen, von denen Maja einige gehabt hatte, heraus zu holen und auch um sich ein paar Dinge von ihr auszuleihen. Stifte und Bücher und den kleinen Stoffpapagei. Aber sonst war das Zimmer so, wie seine Schwester es verlassen hatte, selbst ihre Unordnung war geblieben. Nur dass jetzt die Frau aus dem roten Auto darin stand, die Frau aus seinen Träumen. Und sie hielt das Foto in der Hand.
    Das Foto.
    Das Foto, das sich niemand hatte erklären können. Wie war Maja da ran gekommen? Was hatte es mit ihrem Verschwinden zu tun? Sein Vater hatte ihnen wenigstens verraten, wen das Bild zeigte, nämlich ihn und seinen Bruder Miro. Er war ebenfalls verschwunden, genau wie Maja, als er fast so alt gewesen war wie sie. Es war alles sehr rätselhaft und die Polizei hatte nicht ausgeschlossen, dass es einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen gab. Das Merkwürdigste war, dass Käses Vater davor niemals von seinem Bruder gesprochen hatte, dass er so getan hatte, als hätte er keinen Bruder. Und jetzt stand diese Frau in Majas Zimmer und betrachtete das Bild von seinem Vater und seinem Onkel und dabei lief ihr eine einzelne Träne über die Wange. Und obwohl die Frau so plötzlich in ihrem Haus stand hatte Käse keine Angst vor ihr, er hatte eher das Gefühl, sie sei so etwas wie ein Schutzengel.
    „Hallo“, sagte er.
    Die Frau drehte sich zu ihm um und starrte ihn an. Sie sagte nichts.
    „Du bringst Maja zurück“, sagte Käse.
    Die Frau trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf.
    „Nein. Ich bringe sie nicht zurück.“
    „Doch. Ich weiß es“, flüsterte er. „Ich habe von dir geträumt.“
    „Geh wieder ins Bett“, sagte sie. „Und erzähle niemandem, dass ich hier war.“
    „Ich weiß, dass du sie wiederbringen wirst“, sagte Käse und drehte sich um.
    Die Frau sah ihm nach und warf dann noch einen Blick auf das Foto von Miro Sonnfeld. Als die Aufnahme gemacht worden war, hatte er sie noch nicht gekannt. Als sie gemacht worden war, hatte er noch beide Arme gehabt. Er war das erste Kind, das sie nicht sicher zu den Kamiraen gebracht hatte. Sie machte sich immer noch Vorwürfe deswegen. Und jetzt hatte sich die Geschichte mehr oder weniger wiederholt. Die Sonnfelds waren echt ein Fluch.
    Käse ging zu Bett. Als er am nächsten Tag aufwachte, dachte er zuerst, er hätte das alles nur geträumt. Aber als er in Majas Zimmer ging, lag das Foto nicht mehr auf dem Nachtschränkchen, sondern auf den Schreibtisch. Er nahm es und stellte es an seinen ursprünglichen Platz. Er wollte niemandem erzählen, was in der Nacht geschehen war.

  • @93:

    Zitat

    „Ich soll euch zu meinem Meister bringen“, sagte er, „Wenn ihr mir nicht freiwillig folgt, werde ich euch dazu zwingen müssen.“
    Wolf riss die Augen auf. „Was ist das…?“
    „Entscheidet euch jetzt.“


    Allesamt groß. Da wird schlichlich gesiez ... geeucht :rofl:

    Zitat

    Feodor schlug zu und der Kamiraen ließ sich zu Boden fallen und rollte sich zur Seite um dem Schlag zu entgehen.


    wiederholung

    Zitat

    Kandrajimo spürte, wie der Junge hinter ihm zurückwich. Kandrajimo schaute ihn an.


    zweimal gleicher Satzanfang

    Ich weiß nicht, aber die Kampfszene fand ich noch nicht s wirklich rund :S Der Text war nicht ganz so flüssig wie sonst, wobei ich dir leider nicht sagen kann, woran das liegt.

    Das anschließende Kapitel hingegen war wieder gut :) Was Tabea da wohl mit der schwarzen Garde zu besprechen hatte? :huh: Mir gefallen die vielen Schauplatzwechsel nach wie vor, es passiert gerade wirklich viel. Aber langsam musst du auch mal bei Maja weitermachen, sosehr ich Jimo inzwischen auch mag. Er scheint da etwas voreilig verschwunden zu sein, Feodor war für einen Augenblick wieder er selbst. Das macht Hoffnung, dass der Junge noch zu retten ist.

    (PS: kleine Frage am Rande: Wieso hat der Schwarzmagier das mit Feodor nicht sofort gemacht? Wäre viel einfacher gewesen. Oder klärt sich das noch? ^^)

  • Alopex Lagopus: Vielen Dank für den Kommi und die ehrliche Rückmeldung. :thumbup: Oje, so viele Fehler. Ich glaube, das Kapitel war echt nicht mein Fall. Es hat mir die ganze Zeit nicht gefallen, ich glaube es hat mir schon damals nicht gefallen als ich es zum ersten Mal geschrieben habe. Und jetzt habe ich so lange daran gesessen um es zu verbessern und trotzdem ist es noch nicht gut genug. :S Dann werde ich wohl noch mal daran gehen.
    Warum der Schwarzmagier das nicht sofort gemacht hat ... hmm ... er fand eine willenlose Puppe wohl nicht so hilfreich. Da Feodor sehr talentiert ist, hat er tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, ihn zu einer Art Schüler oder Verbündeten zu machen.
    Ich komme bald wieder bei Maja an, es kommt jetzt nur noch ein kurzes anderes Kapitel.

    PS: Dein neuer Avatar ist ja voll süß. ^^8o^^

  • Ich bin dabei, das eine Kapitel zu überarbeiten, aber ich finde es sehr schwer; ich brauche wohl ein wenig zeitlichen Abstand dazu. Deshalb mache ich erst mal mit den nächsten Kapiteln weiter.
    Das hier ist jetzt etwas kitschig, aber ich mag es. ^^


    Fiete


    Feodor hatte lange Zeit keinen blassen Schimmer, wo er sich befand, er wusste nur, dass er nicht im Dark Forest war und auch sonst in keinem ihm bekannten Teil der Welt. Allerdings konnte er sich so ungefähr zusammenreimen, was passiert war, nachdem er auf dem Friedhof von Putto Wei das Bewusstsein verloren hatte. Der Schwarzmagier musste die Kontrolle über ihn übernommen haben (Feodor wagte gar nicht, sich vorzustellen, was er alles mit ihm angestellt hatte) und mit ihm den Weg ins dreizehnte Königreich fortgesetzt haben. Ob sie dort angekommen waren oder nicht, konnte Feodor nicht sagen, das Reich Fürst Dreizehns lag im Süden und die Vegetation sah hier eigentlich nicht sehr südlich aus. Jedenfalls musste irgendwann das Säckchen mit dem Gims an seinem Gürtel gerissen sein, denn als er aufgewacht war, war er scharlachrot gewesen und zwar vom Kopf bis zu den Füßen. Das Gims hatte es offensichtlich geschafft, den Zauber zu brechen und sein Bewusstsein zurückzuholen.
    Wie viel Zeit seit den Ereignissen auf dem Friedhof vergangen war, wusste er leider nicht, aber eines wusste er genau: Er war allein und ziemlich aufgeschmissen. In diesem Wald begegnete ihm niemand und er konnte ihn nicht verlassen, weil er nicht wusste, wohin er gehen sollte. Er war sicher, dass er sich nun westlich des Gebirges befand und damit war ihm jeglicher Rückweg versperrt. Er konnte nur tagelang umherirren, sich von dem ernähren, was die Natur ihm bot und warten, dass etwas passierte, was ihm half. Versuchen, nicht daran zu denken, wie er enden würde, sollte nichts passieren: Vermutlich als verrückter alter Zauberer, der sein Leben einsam und allein in diesem Wald verbrachte. Der Pilze sammelte, mit sich selbst redete und irgendwelche Zaubersprüche vor sich hin murmelte.
    Nach drei Tagen hatte er von den ständigen Regenschauern die Nase voll und baute sich einen behelfsmäßigen Unterstand. Zwei Tage später hörte es auf zu regnen und blieb tagelang trocken und heiß. Was Feodor noch mehr nervte als das unberechenbare Wetter waren die Tiere in diesem Wald. Zuerst hatten sie sich vor ihm versteckt, aber dann hatte er versucht, ihnen klar zu machen, dass er ihnen nichts tat. Offenbar hatten sie ihn verstanden, denn bald verfolgte ihn wohin er auch ging eine laut schnatternde, grunzende, zwitschernde und brummende Schar kleiner Pflanzenfresser und stürzte sich mit Begeisterung auf die Essensreste, die er wegwarf. Nur wenn er sie anbrüllte, verzogen sie sich für eine Weile. Feodor hatte schon immer ein Händchen für Tiere gehabt, er schaffte es schnell, das Vertrauen diverser Lebewesen zu erwecken, aber ihm waren noch keine Tiere untergekommen, die ihn derart furchtlos und dreist verfolgten.
    Eines der Tiere weckte sein Interesse besonders, da es das erste seiner Art war, das er je gesehen hatte. Es hatte flauschiges, graues Fell und in etwa die Statur einer kleinen Katze, nur dass sein Schwanz unglaublich lang war und es ihn ab und an wie ein Affe benutzte, um sich an Ästen festzuhalten. Seine Augen waren gelb, groß und blickten klug drein und aus seinen Schulten wuchsen lange, fledermausartige Flügel. Feodor hatte schon von Pferden mit Flügeln gehört, angeblich lebten sie in der Gegend, in der er geboren worden war, und machmal glaubte er sogar, sich an sie zu erinnern. Aber noch nie hatte er von einem so seltsamen Tier wie diesem erfahren. Vom Wesen her schien es ungewöhnlich intelligent zu sein, außerdem war es noch dreister, als die anderen Tiere des Waldes. Manchmal flog es ganz dicht an Feodor vorbei und versuchte, ihm die Früchte direkt aus den Händen zu reißen, und wenn es ihm zu viel wurde und er die Tiere mit lauten Schreien und fuchtelnden Armen vertrieb, blieb es als einziges sitzen und fauchte zurück.
    Es war nicht so, dass Feodor die Gesellschaft der Tiere allgemein verfluchte, oft war er froh, nicht so allein zu sein, aber ihr Verhalten irritierte ihn. Sie waren so unwissend, so unschuldig. Sie hatten keine Ahnung, wie es ihm ging. Nur das fliegende Katzenwesen schien ihn zu verstehen. Feodor verbrachte viele Nächte damit, ihm seine Geschichte zu erzählen und dann schaute es ihn aus seinen großen Augen an und leckte an seiner Hand. Manchmal hätte Feodor schwören können, dass es seine Sprache verstand.
    „Weißt du was?“, sagte er irgendwann zu ihm. „Du solltest nicht immer bei mir sein, du solltest zu deiner Familie gehen.“
    Das kleine Wesen schüttelte sich, doch es ging nirgendwohin. Es blieb.
    „Vielleicht sollte ich dir einen Namen geben“, sagte Feodor irgendwann zu ihm.
    Das Katzenwesen legte den Kopf schief.
    „Wie wäre es mit Fiete?“, fragte Feodor.
    Natürlich bekam er keine Antwort, aber von da an nannte er seinen kleinen Gefährten Fiete. Und dieser schien auf den Namen zu hören.

    Eines Tages, es regnete mal wieder, ging Feodor mit Fiete auf dem Kopf spazieren.
    „Wegen dir bekomme ich noch einen Genickkrampf“, murmelte er, denn der kleine Flatkey, wie er Fietes Art getauft hatte, war ganz schön schwer. Aber er war auch ein guter Regenhut.
    „Weißt du“, sagte Feodor, „ich gehe nun schon seit einer halben Ewigkeit durch diesen Wald und warte darauf, dass endlich etwas passiert. Aber vielleicht ist es falsch, die ganze Zeit zu warten. Vielleicht sollte ich mal selbst dafür sorgen, dass ich hier heraus komme. Ich denke, ich werde diesen Wald verlassen. Irgendwohin werde ich schon kommen und vielleicht kenne ich mich dort sogar aus. Ich würde gerne zurück in meinen Wald, in den Dark Forest. Dir würde es dort sicher auch gefallen, aber du kannst nicht mit. Ich denke, du solltest hier bleiben.“
    Fiete kroch von seinem Kopf auf seine Schulter und dann unter sein Oberteil, es war ein Platz, den er sich in letzter Zeit immer häufiger suchte, wenn es regnete.
    „Du hast Recht“, sagte Feodor, „wir sollten wirklich zurück gehen, der Regen wird immer stärker. Aber demnächst werde ich diesen Wald verlassen.“
    Es fing schon an. Er redete zwar noch nicht mit sich selbst, sondern mit einem Tier, aber wenn er so weiter machte, würde er tatsächlich als durchgeknallter Eremit enden. Er drehte sich um und wollte zurückgehen, aber auf einmal starrte er direkt in das Gesicht eines Mannes. Dieser hielt einen Speer in der Hand und an seinem Gürtel hing ein Schwert. Auf seiner Brust prangte das Wappen des dreizehnten Königreiches, ein Halbdrache, auf grün-weißem Grund.
    Warum musste er sich wochenlang wünschen, dass etwas passierte und ausgerechnet jetzt passierte tatsächlich etwas. Und warum musste ausgerechnet das passieren?

    Einmal editiert, zuletzt von Dinteyra (6. Dezember 2014 um 15:41)

  • Wenn ich an einem Tag was schaffe, dann irgendwie immer zwei Kapitel. :)
    Endlich geht es wieder bei Maja weiter und ich freu mich selbst am meisten drüber. :D


    Teil 4


    Das Haus des Bruders


    Nach fünf Tagen hatten sie die höchsten Berge hinter sich gelassen. Auf dieser Seite des Gebirges sah es genauso aus wie dort, wo Tamor gewohnt hatte, das fand Maja zumindest. Karim und Jinna behaupteten steif und fest, hier sei es ungewöhnlich einsam und das bereitete ihnen Unwohlsein. Maja fand es in der ganzen Welt ohne Namen einsam, aber sie genoss diese Ruhe. Eigentlich war sie das einzig Positive an dieser Welt. Bei ihren Wanderschaften begegnete ihnen fast nie jemand. Nur in den Dörfern und Städten trafen sie oft einige Menschen an, aber die Städte waren hier so groß wie Dörfer in Majas Welt und die Dörfer bestanden meist aus drei bis vier Häusern.
    Während Taramos und Penelope über die grünen Wiesen und Wälder flogen, dachte Maja oft an ihr Zuhause. Am meisten vermisste sie es, wenn es regnete und sie und Jinna klatschnass in luftiger Höhe durch den eisigen Wind flogen. Hier oben, wo sie flogen, war es nämlich wirklich sehr kalt und manchmal hagelte es sogar.

    An diesem Tag landeten die Halbdrachen auf einer Lichtung in einem großen Wald, den sie schon seit dem Morgen überflogen. Es war jetzt Mittag, eigentlich noch viel zu früh für die Landung. Als die Kinder abgestiegen waren, flogen Taramos und Penelope nicht wie üblich los, um zu jagen, sondern liefen stattdessen mit ihren ungelenken Schritten, die sie auf dem Erdboden machten, direkt in den Wald hinein.
    Maja ahnte, dass die Zeit für den Abschied bald gekommen war. Sie hatte sich in den letzten Tagen oft gefragt, warum Tamor ihnen nicht erlaubt hatte, auf den Halbdrachen bis Andraya zu fliegen. Es war zwar manchmal ziemlich kalt, wenn sie durch tiefer hängende Wolken flogen und der eisige Wind an ihnen zerrte, aber es war so viel praktischer, von ihnen getragen zu werden, als zu Fuß zu gehen. Andererseits wussten sie nichts über Andraya, außer, dass es ziemlich weit weg war und irgendwo im Süden. Das hofften sie zumindest, denn diese Angabe war nach Matthias nur das, was der Volksmund sich erzählte. Tamor hatte diese Angaben ebenfalls bestätigt, aber Genaueres konnte er ihnen nicht sagen. Oder wollte es nicht sagen.

    Während sie größtenteils schweigend zwischen den Bäumen wandelten betrachtete Maja ihre Umgebung aufmerksam. Der Wald erinnerte sie an den Dark Forest am Weltentor, er war genauso dunkel, wenn er auch nicht ganz so finster wirkte. Trotzdem fühlte sie sich alles andere als wohl.
    Sie fühlte sich beobachtet.
    Sie sah sich vorsichtig um. Fast erwartete sie, die weiße Schleiereule zu sehen, mit der sie dieses Gefühl mittlerweile verknüpfte. Die Eule war nirgends zu entdecken, stattdessen registrierte sie Bewegungen zwischen den Bäumen. Sie teilte ihre Sorge den anderen mit, die sie aber beruhigten:
    „Du irrst dich bestimmt, du warst nur lange nicht mehr im Wald. Was du hörst und siehst sind sicher nur die rauschenden Blätter.“
    Sie sagten außerdem, dass ihnen ja gar nichts passieren konnte, wenn Taramos und Penelope dabei waren. Dem musste Maja zustimmen, trotzdem sah sie sich immer wieder beunruhigt um.
    Sie schlugen sich bestimmt eine halbe Stunde durch den Wald. Taramos und Penelope kamen trotz ihrer Größe ganz gut durch das dichte Gestrüpp. Besser als Maja, Matthias, Karim und Jinna, die enorm mit den dichten Dornen, die ihnen Gesichter und Arme zerkratzten und in ihrer Kleidung hängen blieben, zu kämpfen hatten. Schließlich blieben die Halbdrachen stehen. Sie hatten ein kleines Haus aus Holz entdeckt. War das das Haus von Tamors Bruder? Maja fiel ein, dass sie gar nicht wusste, wie dieser Bruder überhaupt hieß.
    Sie näherte sich der Hütte. Sie hatte den gleichen Türklopfer wie Tamors, was Maja eindeutig sagte, dass sie am richtigen Ort waren. Maja strich über den Drachenkopf. Er war aus Bronze und nicht silbern, wie Tamors Türklopfer. Maja fragte sich, ob wohl dasselbe passieren würde, wie an Tamors Tür, wenn sie klopfte. Vielleicht sollte sie den Brief von Tamor mitnehmen, damit der Bruder wusste, dass sie von ihm geschickt wurden. Sie ging zu Taramos Satteltaschen und zog das Paket mit dem Schwert und dem Brief heraus.
    „Ich gehe rein“, sagte sie. „Wartet hier auf mich.“
    „Wir werden schon mal die Satteltaschen leeren“, meinte Karim. „Weiter werden Taramos und Penelope uns ja nicht tragen.“
    Maja nickte und ging zum Haus. Sie nahm den Türklopfer in die Hand und ließ ihn drei Mal auf das dunkle Holz krachen. BUMM, BUMM, BUMM.
    Nichts geschah. Weder löste sich ihre Umgebung auf, noch antwortete jemand von drinnen. Sie klopfte noch einmal und als wieder niemand antwortete spähte sie durch das kleine, quadratische Fenster, das in die Tür eingelassen war. Drinnen konnte sie einen Tisch, den dazugehörigen Stuhl und ein großes Regal erspähen. Diese standen in einem kleinen Raum, in dem Maja außerdem eine Tür in ein weiteres Zimmer sehen konnte. Einerseits war sie beruhigt, dass dieses Haus nicht wie das Tamors war, andererseits war sie beunruhigt, weil sie nicht ein Zeichen entdecken konnte, dass hier im letzten Jahr jemand gewohnt hatte. Das Regal war nämlich leer und genau wie der Tisch und der Stuhl von einer dicken Staubschicht überzogen.
    Maja überlegte nicht lange, sie drehte am Türknauf und trat ein. Das erste, was ihr ins Auge fiel, war eine dunkle Spur auf dem Boden. Sie schnappte nach Luft und musste sich an der Tür festhalten. War das Blut? Dann entdeckte sie Spuren eines Kampfes im Zimmer. Eine große Öllaterne, die unter der Decke hing, war zerbrochen, die Splitter waren im ganzen Raum verteilt und an einer Wand war eine große Kerbe zu sehen, die vielleicht von einem Schwert stammen mochte.
    Plötzlich streckte Jinna den Kopf zur Tür herein. „Taramos und Penelope machen sich auf den Weg. Willst du dich noch verabschieden? Was ist hier los?“ Sie zeigte auf das Chaos im Raum.
    „Tamors Bruder ist nicht da“, sagte Maja. „Es sieht nach einem Kampf aus.“
    „Glaubst du, er ist entführt worden?“
    Maja nickte. „Das oder Schlimmeres. Ich komme.“
    Sie gingen raus und Maja verabschiedete sich von den Halbdrachen, besonders von Taramos.
    „Danke, dass ihr uns getragen habt“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Grüß Tamor von uns.“ Sie strich dem Halbdrachen über den orangefarbenen Kamm. „Mach's gut. Und vergiss mich nicht. Ich werde dich auch nicht vergessen.“
    Dann stapften die beiden Halbdrachen zurück durch den Wald, wieder zur Lichtung, denn zwischen den eng stehenden Bäumen konnten sie nicht losfliegen. Erst als sie nicht mehr zu sehen waren, fiel Maja ein, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, sie schon losfliegen zu lassen. Es lag eindeutig ein Hauch von Gefahr in der Luft. Und plötzlich kam sie sich fürchterlich allein vor.
    „Was ist das hier?“, fragte Jinna plötzlich. Die anderen kamen zu ihr. Sie stand zwischen den Bäumen vor einem Loch im Waldoden, dessen Ränder aufgewühlt und unregelmäßig waren. Um es herum waren lange Gräben im Untergrund, als hätte jemand hier Äste oder Seile aus der Erde gezogen.
    „Das ist doch…“ Karim bückte sich und untersuchte den Boden. „Es sieht aus, als wäre hier ein Baum entwurzelt worden.“
    Jetzt wo er es sagte, erkannten die anderen es auch. Sie sahen sich um, aber der entwurzelte Baum war nirgendwo zu sehen.
    „Aber die Wurzeln müssten viel mehr Erde mitgerissen haben“, sagte Karim. „Und es gibt keine Schleifspur. Wenn er weggeschleppt wurde müsste es eine Schleifspur geben.“
    „Vielleicht wurde er getragen. Erst zersägt und dann fortgebracht“, überlegte Maja.
    „Das ist unheimlich“, flüsterte Jinna.
    „Der ganze Wald ist unheimlich“, entgegnete Maja. „Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.“ Das Gefühl, beobachtet zu werden, war in den letzten Minuten immer stärker geworden. Aber es war anders, wie damals, als sie die Eule gesehen hatte. Damals war es nur unangenehm gewesen. Jetzt ging das Gefühl mit einer angespannten Atmosphäre einher, es roch förmlich nach Gefahr. Maja blickte noch einmal bedauernd in die Richtung, in die Taramos und Penelope gegangen waren. Wie viel sicherer sie sich mit ihnen an ihrer Seite fühlen würde.
    „Jetzt müssen wir wohl zu Fuß weitergehen“, sagte Karim seufzend, offenbar hatte er gesehen, wohin Maja geschaut hatte. „Wie am Anfang, als wir dich und Tabea noch nicht getroffen hatten.“
    Maja wollte nichts über Tabea hören. Sie ging wieder zurück in das Haus von Tamors Bruder und sah sich noch einmal genauer darin um. Sie öffnete auch die Tür in den zweiten Raum, in dem sich nur ein Bett und ein Schreibtisch befanden. Auf dem Schreibtisch lag etwas. Sie trat näher heran und betrachtete es. Es war eine große, breite Feder, aber nicht irgendeine Feder. Maja hatte noch nie eine so schöne gesehen, sie glänzte in allen Regenbogenfarben. Sie hob sie auf und bewegte sie. Wenn das Licht sich veränderte verschoben sich die Farben. Die Feder erinnerte sie ein wenig an die Geschichte vom Regenbogenfisch, die sie, als sie klein gewesen war, oft vorgelesen bekommen hatte. Sie steckte sie in die Brusttasche ihres Hemdes und ging zurück nach draußen, zu den anderen.
    Sie waren nicht mehr da.
    Maja spürte die Gefahr sofort, es war wie ein Schauer eiskalten Wassers, das ihr den Rücken hinunter lief. Ihr fiel auf, dass sie noch immer das Bündel mit dem Schwert und dem Brief in der Hand hielt. Vorsichtig begann sie, es auszupacken.
    Der Schlag kam von hinten. Maja wusste es schon Sekunden vorher, sie versuchte noch, sich zur Seite zu werfen, aber sie war zu langsam. Sie wurde mit etwas, das sich wie Holz anfühlte, am Kopf getroffen und stürzte zu Boden. Sofort wurde ihr schwarz vor Augen und sie musste sich konzentrieren, um nicht vollkommen das Bewusstsein zu verlieren. Dann griff etwas nach ihren Beinen, umschlang sie und zog sie hoch. Sie konnte gerade noch nach dem Bündel mit dem Schwert greifen, dann baumelte sie kopfüber etwa zwei Meter über dem Boden und starrte ihrem Gegner ins Gesicht, der sie neugierig betrachtete.
    Es war ein Baum. Er stand auf seinen Wurzeln und hielt Maja mit einem langen Ast an den Füßen fest; an seinem Stamm war etwas, das man vielleicht als eine Art menschliches Gesicht ansehen konnte: die Rinde hatte sich zu einer unbenötigten Nase und einem großen Mund geformt und unter steifen Augenbrauen befanden sich zwei kleine, rote Augen. Noch während Maja in dieses grobe Gesicht hineinstarrte, veränderte es sich: die Augen und der Mund schlossen sich, die Nase wurde kleiner und plötzlich hatte Maja den Eindruck, dass an dieser Stelle niemals ein Gesicht gewesen war. Das einzige, was sie sah, war knorrige Rinde.
    Doch dann begann der Baum sich zu bewegen. Die langen Wurzeln hoben sich und krachten dann an anderer Stelle auf den Boden um den Stamm unter Wackeln und Ächzen nach vorne zu stemmen. Vorne – das war in diesem Fall auf die Seite, auf der Maja nicht hing, sodass sie nicht an dem Baum vorbei sehen konnte, wohin er sie trug.
    Im ersten Moment war sie zu verdutzt gewesen, ob der Tatsache, dass ein Baum sie angegriffen hatte, als dass sie in der Lage gewesen wäre, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Sie fühlte sich wie in einem surrealen Alptraum oder einem Film. Doch dann gewann sie ihren Kampfgeist zurück. Sie schüttelte am Griff des blauen Schwertes, bis das Tuch, in das es eingewickelt war herabfiel, mitsamt der Halterung und den Gurten. Dann schlug sie es mit aller Kraft gegen den Baum, genau dort, wo eben noch das Gesicht gewesen war. Der Baum reagierte schneller, als man es ihm seinem langsamen Gang nach zutrauen würde: er blieb stehen und augenblicklich war das Gesicht wieder da. Es hatte einen langen aber nicht tiefen Schnitt auf der Nase und seine Augen waren zu zornigen Schlitzen verengt.
    Maja schlug noch einmal zu, aber der Baum war schneller; einer seiner Äste traf Maja am Arm und mit einem Aufschrei fiel ihr das Schwert aus der Hand und klirrte gegen einen am Boden liegenden Stein. Maja schlug dem Baum mit der Faust ins Gesicht, aber der gab nur ein merkwürdiges Geräusch von sich, das wie das Lachen eines alten Mannes klang, und das Gesicht verschwand wieder. Dann setzte er sich erneut in Bewegung.
    Maja, die jetzt waffenlos war und absolut nichts ausrichten konnte, bekam Kopfschmerzen; ihre Füße dagegen begannen zu kribbeln. Sie zog sich an ihnen hoch und versuchte die Äste und Zweige, die sie dort festhielten zu lockern, aber es funktionierte nicht und so ließ sie sich wieder hängen.
    Das sie hier im Wald einem sich bewegenden Baum begegnet war hatte sie zwar am Anfang irritiert, jetzt wunderte es sie aber überhaupt nicht mehr. Angst verspürte sie auch keine, nur Trotz und einen brodelnden Zorn auf diese Welt, in der nichts so klappte, wie sie es wollte.

    Einmal editiert, zuletzt von Dinteyra (6. Dezember 2014 um 15:42)

  • Zitat

    Feodor hatte schon von Pferden mit Flügeln gehört, angeblich lebten sie aus der Gegend, in der er geboren worden war, und machmal glaubte er sogar, sich an sie zu erinnern.


    in

    Zitat

    Tamor hatte diese Angaben ebenfalls bestätigt, aber genaueres konnte er ihnen nicht sagen. Oder wollte es nicht sagen.


    groß

    Feodor hatte da Glück im Unglück. Den Bann ist er los, leider erst, nachdem er Wolf und Jimo verjagdt hat. Aber ich bin sicher, dass er seinen Weg finden wird - wenn ich mich auch immer noch frage, welche Rolle er in der Geschichte noch spielen wird.
    Und es geht weiter mit Maja :D Tamor und sein Bruder müssen schon lange keine Wort mehr gewechselt haben, wenn die Wohnung schon so lange leer ist, aber ich vermute eher, Tamors Bruder hat gelernt, sich in einen Baum zu verwandeln und ist dadurch - etwas wirr im Kopf geworden ^^

  • Alopex Lagopus: Danke ^^ . Und gut dass du mich darauf hinweist, dass die beiden wohl lange keinen Kontakt hatten. Vielleicht sollte ich einbauen, dass die beiden sich nicht gut verstehen, sonst würde das alles keinen großen Sinn machen. Sonst hätte Tamor bestimmt eins seiner Häuser in die Nähe seines Bruders gebaut.
    Ausnahmsweise bin ich das Wochenende mal zuhause, also werde ich vielleicht einiges schaffen. :)


    Das Dorf der Genêpas


    Der Baum schleppte Maja eine ganze Zeit lang durch den Wald und irgendwann war ihr so schwindelig, dass sie sich beinahe übergeben musste. Sie schloss die Augen und versuchte so ruhig wie nur möglich zu bleiben.
    Dann blieb der Baum plötzlich stehen. Maja öffnete die Augen wieder. Sie waren nicht mehr im Wald, sondern auf einem großen Platz, um den, wie Maja verblüfft erkannte, eine ganze Mege Zelte aus Häuten, Fellen und wetterfesten Stoffen aufgebaut waren. Was sie noch mehr verblüffte, waren die Menschen, die vor diesen Zelten standen. Sie trugen einfache Kleidung, schmückten ihr Haar aber mit bunten Federn, ähnlich der, die Maja im Haus von Tamors Bruder gefunden hatte. Eine Handvoll dieser Männer und Frauen hatte sich Bögen und Pfeilköcher um die Schultern gehängt, andere trugen Speere in den Händen, die ebenfalls mit bunten Federn verziert waren, die meisten aber waren unbewaffnet und hielten Babys oder irgendwelche Alltagsgegenstände in den Händen. Maja blinzelte verdutzt. War sie im falschen Film? Eben hatte sie sich noch mit Zauberern, Drachen und lebenden Bäumen herumgeschlagen und jetzt war sie geradewegs in einen Western hineingestolpert.
    „Lass sie los“, sagte jemand, den Maja nicht sehen konnte.
    Der Baum ließ sie aus zwei Metern Höhe auf den Boden fallen. Maja rollte sich ab, stand auf und sah sich zuerst einmal um. Ihr war immer noch leicht schwindelig und so dauerte es, bis sie ihre Orientierung komplett wieder gefunden hatte. Sie fasste den Sprecher der letzten Worte ins Auge und registrierte dabei auch Karim, Jinna und Matthias, die einige Meter von ihr entfernt auf dem Boden lagen und so aussahen, als sei ihnen dasselbe widerfahren wie Maja, nur dass sie es nicht so leicht weggesteckt hatten. Neben ihnen stand ein ähnlicher Baum, wie der, der Maja hergebracht hatte.
    „Wer seid ihr?“, fauchte sie den Sprecher an, der hier offenbar das Sagen hatte. Das jedenfalls schloss Maja aus seiner Haltung und dem respektvollen Zurückweichen der anderen, als er auf den Platz trat, auf dem sich die vier Kinder und die zwei Bäume befanden. Der Mann hatte neben den bunten Federn auch ein paar graue Strähnen im Haar, doch sein Gesicht wirkte nicht allzu alt.
    „Wer seid ihr?“, entgegnete er.
    Maja ging nicht darauf ein. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Gehören diese Bäume zu euch?“
    „Ich stelle hier die Fragen“, fuhr der Mann sie an und die Umstehenden schnalzten missbilligend mit den Zungen. „Ich will wissen, wer ihr seid, woher ihr kommt und vor allem, was ihr in unseren Wäldern zu suchen habt.“
    „Das da sind Jinna, Karim und Matthias“, sagte Maja und deutete auf ihre drei Gefährten „und ich bin Maja Sonnfeld. Wir kommen von der anderen Seite des Gebirges und was wir hier suchen geht euch überhaupt nichts an.“ Bei diesen Worten schwankte sie leicht, weil eine neue Welle von Schwindelgefühlen sie überkam, aber sie reckte trotzig das Kinn nach vorne.
    Ein Raunen ging durch die Menge, die mittlerweile größer geworden war und immer näher kam und Maja registrierte verschiedene Bewegungen. Die Männer und Frauen schienen durch ihr Auftreten verunsichert zu sein. Drei von ihnen zupften unruhig an ihren Bögen herum, als überlegten sie, sie zu spannen. Maja zuckte nicht mit der Wimper. Sie fixierte den Anführer mit ihrem Blick, der jetzt genau vor ihr stand und mit dem Zeigefinger drohend vor ihrem Gesicht herumfuchtelte.
    „Du bist ziemlich unhöflich“, sagte er. „Ich will wissen, was ihr hier wollt. Schickt Demir jetzt schon kleine Kinder zum Spionieren?“
    „Wir sind nicht klein“, entgegnete Maja wütend. „Und wer zum Teufel ist Demir?“
    „Ihr nennt ihn vielleicht Fürst Dreizehn.“
    „Dreizehn?“ Maja war entrüstet. „Wir sind keine Spione und schon gar nicht von ihm. Wir wollen jemanden aus seiner Gefangenschaft befreien. Aber...“, sie stockte einen Moment. „Wir dachten, ihr gehört zu ihm. Ich jedenfalls“, korrigierte sie sich mit einem Blick auf die andern drei, die sie bloß mit offenem Mund und einem Ausdruck puren Entsetzens auf dem Gesicht ansahen. „Wenn ihr nicht für ihn arbeitet, warum haben diese Bäume uns dann angegriffen?“
    „Sie bringen auf unseren Wunsch hin jeden hierher, der unser Land betritt.“
    „Aber sie hätten uns umbringen können“, rief Maja entrüstet.
    „Das hätten sie mit Sicherheit auch getan, wenn ihr euch gewehrt hättet.“
    „Ich habe mich gewehrt“, sagte Maja. „Warum sollte ich auch nicht, wenn mich ein Baum angreift?“
    Der Mann lachte. „Vielleicht, weil du nicht die geringste Chance gegen ihn hattest?“
    Das verschlug Maja die Sprache.
    „Deine Gegenwehr kann so oder so nicht besonders groß gewesen sein“, fuhr der Mann fort, „wenn du eine ernsthafte Gefahr für ihn gewesen wärest, hätte Gnark dir sofort das Genick gebrochen.“
    „Ach ja?“, sagte Maja wütend, aber bevor sie noch etwas ergänzen konnte, fuhr Karim, der sich mittlerweile aufgerappelt hatte, ihr durchs Wort. Panik stand ihm ins Gesicht geschrieben, doch seine Stimme war ruhig:
    „Wir sind auf dem Weg nach Andraya um dort jemanden zu befreien, und wären euch zu größtem Dank verpflichte, wenn ihr uns die Richtung sagen könntet. Vorausgesetzt, ihr lasst uns gehen.“
    Karim, Jinna und Matthias starrten den Mann alle flehend an. Maja versuchte weder flehend noch abweisend zu wirken. Sie konnte sich nicht helfen, sie mochte diese merkwürdigen Indianer, oder was auch immer sie waren, und ihren unverschämten Häuptling einfach nicht. Vielleicht lag es daran, wie sie sich, durch die Äste des Baumes, der jetzt hinter ihr stand, gefangen gefühlt hatte. So schrecklich nutzlos und ohnmächtig. Und immer noch fühlte sie sich so, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte und alles tat, um es zu verbergen.
    Jinna und Matthias klammerten sich angsterfüllt an Karim fest, doch sie alle, das konnte Maja nicht umhin zu bemerken, hielten einen deutlichen Abstand von ihr.
    Der Mann strich sich nachdenklich über eine der Federn in seinem schwarzen Haar und musterte sie aufmerksam. Maja betrachtete er mit offensichtlichem Abscheu und Verwirrung, aber Karim und den anderen gegenüber war er scheinbar nicht abgeneigt. Schließlich wandte sich er einer Frau am Rande des Platzes zu. Als sie nickte, drehte der Mann sich wieder zu Karim um. „Demirs Feinde sind unsere Freunde. Wir stehen leider ständig unter seiner Knute und müssen Abgaben an ihn zahlen. In diesem Jahr, sind es vier Krieger, die wir ihm für seine Armee senden müssen, ansonsten vernichtet er unser Dorf. Zwei von ihnen brechen in einer Woche auf. Ehrlich gesagt würden wir uns freuen, wenn ihr ihm eins auswischen könntet, obwohl ich nicht glaube, dass das möglich ist. Ihr dürft unsere Krieger nach Andraya begleiten. Wenn ihr Zeit habt, bis dahin zu warten. Aber ihr dürft nie ein Wort darüber verlieren, dass wir euch unterstützt haben. Er würde unser Dorf dem Erdboden gleich machen.“
    Karim tauschte einen langen Blick mit Jinna. Maja wusste, was die beiden dachten, es war klar, dass sie lieber so bald wie möglich weiter wollten. Sie würden eine ganze Woche verlieren. Auf der anderen Seite freuten sie sich wohl auch, dass man ihnen so einfach Hilfe angeboten hatte. Maja war, obwohl sie einen heimlichen Groll gegen dieses Dorf und seine Bewohner und seine Bäume hegte, auch klar, dass sie mit Begleitschutz wesentlich schneller und vor allem sicherer nach Andraya gelangen würden. Außerdem bestand eine geringere Chance, dass sie sich völlig verirrten.
    „Einverstanden“, sagte sie und streckte dem Mann die Hand hin. Der betrachtete sie einen Moment verwirrt, sah zu Karim und Jinna und wieder zurück zu Maja und schüttelte sie dann.
    Dann machte er Karim und Jinna gegenüber eine komplizierte Handbewegung. „Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich bin Kamanjo, Oberhaupt der Genêpas.“
    Karim, Jinna und Matthias ahmten seine Geste nach und auch Maja versuchte es, erreichte damit aber nur, dass ihre Hand knackte und sich verkrampfte.

    Die Genêpas stellten sich als äußerst freundliche Menschen heraus, denen das Wohl ihrer Gäste sehr am Herzen lag. Sie stellten extra für Karim, Jinna, Matthias und Maja ein neues Zelt mit zwei Schlafkammern auf und brachten ihnen Essen und Trinken. Dann wurde Karim abgeholt, um mit Kamanjo zu sprechen. Maja fühlte sich übergangen, sie war es von Tamor gewöhnt, dass man sie als wichtigste Person der Gruppe betrachtete. Auch die beiden Halbdrachen hatten nur auf sie gehört. Sie schämte sich für ihre Arroganz, aber nicht genug, um nicht ein wenig eifersüchtig auf Karim zu sein. Richtig sauer wurde sie aber erst, als die vier endlich allein im Zelt waren und Karim sie verärgert anfuhr:
    „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“
    „Wobei?“ Maja war ehrlich verwirrt.
    „Erst greifst du diesen Baum mit dem Schwert an und dann benimmst du dich, als gehörte dir dieses Dorf persönlich. Ist dir eigentlich klar, in was für eine Gefahr du uns gebracht hast?“
    „Ich verstehe nicht was du meinst“, erwiderte Maja. „Soll ich etwa einfach überhaupt nichts tun, wenn mich ein Baum angreift? Was wäre gewesen, wenn er mich zu der Schwarzen Garde gebracht hätte?“
    „OK, das hat Kamanjo auch eingesehen. Aber kannst du mir mal erklären, was das Theater eben hier im Dorf sollte?“
    „Welches Theater?“
    Karims Augen funkelten zornig. „Na wie du dich aufgeführt hast. Du warst unhöflich, hast die Fragen nicht beantwortet ... Du hast geredet, als gehörte dieser Ort dir. Ist dir nicht klar, dass du in Todesgefahr warst? Im Nachhinein glaube ich nicht, dass sie uns etwas angetan hätten, aber es wäre durchaus möglich gewesen. Du hättest ihn anflehen sollen, dass er dich am Leben lässt, stattdessen streitest du dich mit ihm darüber, wer stärker ist, du oder der Baum.“
    „Ich hab mich nicht ... “
    Jinna mischte sich jetzt ein. „Was Karim sagen will, ist dass du zu unvorsichtig warst. Und ehrlich gesagt ein bisschen merkwürdig.“
    „Genau“, stimmte Karim ihr zu. „Du warst einfach respektlos. Wir hatten großes Glück, dass die Genêpas so freundlich sind. Und dass sie dich für verrückt halten kommt auch noch dazu.“
    „Sie halten mich für verrückt?“
    „Natürlich. Du tust so, als könnte nichts dir etwas anhaben.“
    Maja verstand nicht, was er meinte.
    „Wir glauben, dass du immer noch denkst, das hier sei ein Traum“, erklärte Jinna mit einer etwas ruhigeren Stimme als Karim. „Das dir nichts passieren kann.“
    „Das denke ich nicht“, widersprach Maja, obwohl es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Sie hatte immer mehr Probleme, die Welt ohne Namen ganz als Realität anzusehen. „Dass ich etwas abweisend gegenüber den Genêpas war, liegt daran, dass ich ihnen nicht traue. Ich glaube, sie führen etwas im Schilde.“
    „Trotzdem hast du zugestimmt, dass wir sie begleiten.“
    Maja sagte nichts mehr. Trotzig starrte sie auf den Zelteingang.
    „Und wenn man jemandem nicht traut, ist das kein Grund respektlos zu ihm zu sein. Eher im Gegenteil. Wir wollen nur, dass du das nächste Mal daran denkst, dass das hier für uns kein Traum ist. Vielleicht ist es dir egal, wenn du stirbst. Uns ist es nicht egal. Wir wissen, dass du das Gefühl hast, in der Falle zu sitzen. Aber dann hättest du zu den Kamiraen gehen und kündigen müssen, so wie du es vorhattest. Es ist kein Grund, lebensmüde zu werden. Du wolltest uns helfen, also tu es oder lass es bleiben. Aber bring uns nicht in Gefahr.“
    Maja sah Matthias an. Er nickte.
    „Ich bringe euch die ganze Zeit in Gefahr“, sagte Maja. „Ich werde verfolgt. Meine bloße Anwesenheit bringt euch in Gefahr. Und das wisst ihr.“ Sie sah Karim und Jinna fest in die Augen. „Aber trotzdem wollt ihr mich dabei haben, ihr seid froh, dass ich dabei bin. Und warum? Weil ich eine Kamiraen bin, weil ihr glaubt, dass ich besondere Fähigkeiten habe. Jetzt tauchen diese Indianer auf und sie sind ja so viel praktischer als ich. Sie leiden nicht unter Heimweh, sie sind nicht launisch und sie machen bestimmt auch nicht so viele Fehler. Ich gebe zu, ich habe mich falsch verhalten, aber denkt mal daran, wo ihr ohne mich jetzt wärt. Tamor hätte euch sicher nicht die Halbdrachen geliehen. Er hat sie mir geliehen, weil er irgendwie glaubt, dass ich auf dieser Seite zurecht komme. Ich glaube, er dachte, dass ich besondere Kräfte habe. Und er hat Recht. Ich spüre Gefahr, bevor sie eintrifft. Ich habe es schon länger geahnt, aber seit mich dieser Baum angegriffen hat, bin ich mir sicher. Vielleicht kann ich sie nicht richtig zuordnen, aber ich spüre sie. Und zwar jetzt noch. Ich glaube, dass wir oder ich in Gefahr geraten, und zwar bald. Aber ich werde euch meine Hilfe nicht aufzwingen. Wenn ihr nicht damit leben könnt, dass ich einen Fehler gemacht habe, werde ich gehen.“
    Die drei sahen sie an. In ihren Gesichtern stand eine Mischung aus Verwirrung, Unverständnis und Ärger. Eine Zeit lang sagte niemand etwas. Dann sprach Karim als erster: „Ich will das du gehst.“
    Die Worte trafen Maja schmerzhaft. Sie hatte gedacht, dass die drei sie anflehen würden, zu bleiben. Sie schluckte schwer, dann wurde sie wütend.
    „Ich auch“, sagte Jinna. „Zwischendurch warst du normal, aber jetzt benimmst du dich wieder so, wie als Tabea da war. Sogar noch schlimmer.“
    Matthias zuckte mit den Schultern.
    „Ihr benehmt euch, wie Tabea, als sie noch da war“, sagte Maja, dann zischte sie an Matthias gewandt: „Ich hoffe, dir ist klar, dass sie nicht lesen können.“
    Damit drehte sie sich um und verließ das Zelt.

    2 Mal editiert, zuletzt von Dinteyra (6. Dezember 2014 um 20:09)