Ich hab euch mal einen kleinen Teil meines momentanen und schon älteren Projekts ausgegraben. Diese Geschichte liegt mir sehr am Herzen und ich hoffe, ihr genießt sie zu lesen, so wie ich es genieße, an ihr zu schreiben
Das letzte Lied
Frühling:
Unweit der Menschensiedlung jagte das Wolfsrudel durch den Wald.
Ein gefährliches Unterfangen, denn hier trieben sich oft Jäger herum, welche die Holzsammler schützen sollten.
Auf einer kleinen Waldlichtung fand das Rudel die Beute, die es gesucht hatte.
Eine Dursenherde.
Diese hirschähnlichen Tiere könnten mit einem Hieb ihres großen, scharf und spitz zulaufenden Geweihs die Eisenrüstung eines Kriegers zerfetzen.
Die Gefahr, welche von den Dursen ausging, war nicht unerheblich für die Wölfe.
Auf einer Anhöhe am Rande der Lichtung ließ das Alphatier, ein tiefschwarzer Wolf namens Brougar, das Rudel halten. Über Brougars linkem Auge zog sich eine Narbe gen Schnauze. Seine rechte, rotglühende Iris inspizierte wachsam die Wiese.
Sechszehn mögliche Beutetiere, zählte er, und kein führender Bock ist auszumachen.
„Bist du sicher, dass wir ausgerechnet heute Dursen jagen sollten? Ich habe so ein ungutes Gefühl dabei“, sagte Jarek, das dunkelbraune Tier neben ihm. Er war jünger und etwas schmaler gebaut als Brougar. Die rechte Pfote des Alphawolfs.
„Was lässt dich an meiner Entscheidung zweifeln, mein Freund? Wenn du Angst vor den Dursen hast, hättest du mit den Wölfinnen im Lager bleiben sollen.“, knurrte dieser genervt.
Brougars Aufmerksamkeit zuckte von Jarek zu der Dursenherde und wieder zurück. Zwischen den Jägern und ihrer Beute war genug Abstand, dass die Herde sie nicht bemerken würde. Sie haben weder ein gutes Gehör noch einen ausgeprägten Geruchssinn, überlegte Brougar, einzig und allein diese gewaltigen Hörner können sie schützen ...
Er musste dafür sorgen, dass sie genug von ihnen erwischten, andernfalls müssten die Wölfinnen im Lager hungern. Keine gute Sache, wo doch die Zeit der Welpen begann.
„Verzeih, Brougar. Meine Zweifel waren unangemessen.“
Jarek neigte seinen Kopf, dann gab er den anderen Rudelmitgliedern per Rute und Schnauze Anweisungen.
Die Wölfe bezogen Position in den Büschen und zwischen den Bäumen um die Lichtung herum und warteten auf das Zeichen des Alphawolfs.
Brougar analysierte die Lage und fand schnell das schwächste Tier der Herde. Noch ein paar Kommandos mit der Rute und schon war alles perfekt. Jetzt hieß es nur warten und hoffen, dass nichts die Dursen verjagte.
Nach einer halben Stunde entfernte sich das Beutetier, ein wohlgenährtes Weibchen, endlich von den anderen ihrer Herde. Brougar lächelte grausam, seine Schnauze zu einem typischen Wolfsgrinsen verzogen. Diesen Teil der Jagd mochte er am liebsten. Er musste nur den richtigen Moment abpassen und durfte sein Ziel nicht verfehlen.
Das Tier kam immer näher bis es schließlich nur noch wenige Meter von ihm entfernt stand.
Jetzt oder nie. Er bleckte das Gebiss und sprang.
Die Durse schreckte auf, doch kam die Reaktion zu spät.
Brougar war bereits in ihre Flanke geprescht und hatte seine scharfen Zähne in ihren Hals geschlagen.
Keuchend und röchelnd ging sie zu Boden. Die große Pranke des Alphawolfs lag auf dem geschwächten Körper und hinderte das Tier daran zu fliehen.
Hinter seinem Rücken preschte die Herde panisch los, mehrere Wölfe folgten ihnen und suchten Schwachstellen in der Gruppe Beutetiere.
Grimmig starte der Leitwolf zu Boden, beachtete das Jagdtreiben seines Rudels nicht und betrachtete stattdessen sein Opfer.
Kurz flackerte in dem Blick seiner Beute der Wille zu Leben auf, doch erlosch dieser genauso schnell wieder. Einen Moment später hatte das Tier ihren letzten Atemzug ausgehaucht. Jegliches lebendiges Funkeln war aus den nun ermatteten dunklen Augen entschwunden. Schlussendlich lag der erschlaffte Leib der Durse vor den Pfoten Brougars.
Vier Rudelmitglieder zogen zwei weitere Dursen heran und legten sie zu der ersten.
Einer der Wölfe erhob seine Stimme, rau und dunkel.
„Glaubst du wirklich, drei von ihnen werden reichen, Brougar? Viel zu viele Mäuler sind zu stopfen und wir verschwenden unsere Zeit für diese mickrigen Stücke Fleisch. Unter Baltheks Führung hätten wir schon fast die halbe Herde erlegt.“
Sein dunkelgraumeliertes Fell, von Blättern und Schlamm bedeckt, stellte sich im Nacken auf.
„Die Wölfinnen, nein, der ganze Clan wird verhungern! Wir müssen etwas unternehmen, sonst sind wir dem Untergang geweiht. Ihr solltet euch gegen dieses grausame Monster von Wolf erheben, das uns unseren gütigen und reinen Leitwolf genommen hat. Balthek, die Göttin möge ihn behüten“, nach diesen Worten ging er in Angriffsposition. Brougar hatte jedoch schon damit gerechnet, erkannte trotz der ganzen Moorgerüche seinen Gegenspieler.
„Loki“, den Namen brachte er nur mühsam über die Lefzen, wie etwas, das so abscheulich ist, dass man es besser niemals erwähnen sollte. Feuer glomm in Brougars verbliebenem Auge auf.
„Du trägst die Narbe auf deinem Auge zu recht, du Narr. Soll sie dich ewig für deine Ungehorsamkeit gegenüber Baltheks demütigen. Du hast ihn hinterrücks ermordet! Meine Brüder, stellt euch hinter mich und zusammen stürzen wir diesen Welpen einer räudigen Hündin! “, brüllte Loki.
Viele der Wölfe zuckten, als er seine Beschimpfung ausspuckte.
Loki war unter fast allen Wölfen als Unruhestifter bekannt und es war weder das erste Mal noch selten, dass er versuchte einen Keil zwischen die unterschiedlichen Kasten des Rudels zu treiben, doch bisher war er niemals soweit gegangen.
Nun, dafür ist er alldieweil in den Mooren als Wache eingesetzt.
Dieser Gedanke hinterließ bei Brougar rege Genugtuung. Durch ein leises Knistern zurück in die Wirklichkeit gerissen, ließ er seine Stimme laut und brachial über den feindseligen Wolf hereinbrechen.
„Deine Worte treffen schon lange niemanden mehr, Loki. Du scheinst mal wieder deinen Platz nicht zu kennen. Hüte deine gespaltene Zunge und erinnere dich, wo du stehst. Du solltest dankbar sein, dass ich dich nicht in die Steppen verbannt habe.“
Lokis Pfoten blieben an Ort und Stelle, sein Körper deutlich angespannt. Er hatte Angst, das war kaum zu überriechen, doch trotzdem gab er seinen Widerstand nicht auf.
Plötzlich setzten sämtliche Wölfe um die beiden herum ihre Pfoten in Bewegung und stellten sich hinter ihren Anführer. Angriffsbereit.
Die Bedeutung dessen war eindeutig.
„Du stehst allein da, Loki, und das weißt du. Warum versuchst du es überhaupt? Wäre besser gewesen, Brougar hätte dich ins Exil geschickt. Selbst die Moore scheinen noch zu gut zu sein“, rutschte es einem hellbraunen Wolf heraus.
„Aufhören, Laron!“, knurrte der Alphawolf, „Wir gehen.“
Kaum waren die Worte ausgesprochen, packten einige der Rudelmitglieder die Dursen und die Gruppe trat den Heimweg an.
Loki blieb hinter ihnen zurück. Allein, wie Laron gesagt hatte.
Jarek war während der gesamten Zeit nicht von Brougars Seite gewichen.
Auch jetzt schritt er bedächtig und wachsam an der rechten Flanke seines alten Freundes, immer bereit, sein Leben für das Seine zu geben.
Unwetter und Sturm brachen über sie herein, während sie durch den Wald streiften. Unterdessen streichelte und kraulte der Regen ihr aller Fell, bis er seine kühlen, nassen Finger endlich tief darin vergraben konnte.
Sie kamen nur langsam voran. Zumeist hofften sie auf einen Unterschlupf, nur wenigen genügte das spärliche Blätterdach, welches die trotz allem dicht beieinander stehenden Bäume ihnen gaben.
Nach endlos erscheinenden Stunden des mühseligen Wanderns empfing sie nun eine weitere Lichtung.
Stetiger Niederschlag verhüllte ihre Sicht, die Wölfe winselten gegen die Winde an, doch wurden die Stimmen ungehört davon getragen. Brougar selbst hatte Probleme, denn er war schwer und der Boden aufgeweicht und schlammig. Die Pfoten der Rudelmitglieder verirrten sich zwischen der Erde und sank immer öfter hinein.
Über ihnen zuckte ein Blitz und für den Moment erkannte Jarek einen riesigen Baum.
Er trabte zu Brougar hinüber.
„Vor uns befindet sich eine gigantische Weide! Da können wir uns vor dem Sturm schützen!“, verkündete er.
Auch der Alphawolf sah die Möglichkeit einer Rettung aus den wirbelnden Winden. Doch bemerkte er noch mehr.
„Das ist eine singende Weide! Ich hätte nicht gedacht, dass ich in meinem Leben jemals eine sehen würde“ staunte er, und einen Moment lang betrachtete er selbige so gut es durch den wässrigen Schleier eben ging. Ein leichter Stoß Jareks holte ihn jedoch wieder in die Gegenwart.
„Vorwärts!“, knurrte Brougar den anderen Wölfen entgegen, dann stürmte er vor bis zu den Wurzeln des grünen Riesen, welche tatsächlich auf ihre Anwesenheit reagierten
Gemächlich bewegte sich die alte Zeugin der Zeiten und öffnete zwischen ihren langen Rindenarmen einen Bau in die Erde hinab, groß genug, um das gesamte Rudel zu fassen.
Mit bedächtigen Schritten traten die Wölfe ein.
Die Höhle war geräumig und bot ihnen Schutz vor dem tosenden Wetter. Die Decke hielt ein mächtiges Wurzelgeflecht, welches an manchen Stellen etwas leuchtete, sodass der Raum von einem warmen weichen Licht erfüllt war. Sogar Schlafplätze aus kleinen Wurzelstreben hatte die singende Weide ihnen geflochten.
Knarrend und ächzend schloss sich der Eingang hinter dem Rudel und der Baum begann sanft zu summen.
Fast, als wollte er uns beruhigen, dachte Brougar.
Die Melodie war ebenso warm wie das Licht und ließ die Wölfe tiefe Geborgenheit spüren.
Erschöpft von den Anstrengungen des Tages nahmen die Tiere in den Betten platz, schliefen ein. So auch der Alphawolf.
Die singende Weide würde sie hoffentlich bis zum Ende des Sturms schützen.