Ightris

Es gibt 277 Antworten in diesem Thema, welches 69.427 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (12. September 2018 um 08:24) ist von Klimbim.

  • Tja, dann hi erstmal ^^

    Wie das so läuft wurde ich hier und andernorts und überall immer wieder zu einer Geschichte oder immerhin zu einem Teil davon inspiriert. Problem: Die Ideen waren ziemlich vielfältig und chaotisch und teils kaum zu verbinden. Dazu kommt, dass ich weder die Disziplin noch das Durchhaltevermögen habe, wirklich an einer langen Story dran zu bleiben.
    Die Ideen existieren aber trotzdem und wollen umgesetzt werden, deshalb:

    Willkommen auf Ightris, meinem ganz persönlichen Geschichtenspielplatz!
    :D

    Angedacht als Kontinent, auf dem sich *nachzähl* elf Königreiche oder Staaten oder Länder oder wasauchimmer befinden. (Ich werde früher oder später einen Thread im Fantasy-Welten-Unterforum machen mit Karten und allen Namen und sonstigen Informationen und den dann hier verlinken, bis dahin müsste es möglich sein, ohne klarzukommen ;) )Dieser Thread hier dient den Geschichten selber.

    Ich hab mir das so überlegt, dass ich meine Ideen in Form von ein- oder mehrteiligen Kurzgeschichten hier rein stelle. Diese können zusammenhängen, sollten aber auch unabhängig gelesen werden können. Die Texte werden teils einfach Geschichten, teils aber auch ziemlich experimentelle Versuche und Übungen mit dem Schreiben an sich sein- ihr merkt das dann schon, wenns soweit ist, und ich werd auch erläutern, was ich mir dabei überlegt habe. Hm... ach ja! Erwartet auch nicht allzu viel Regelmässigkeit ;)


    Tjo.. viel mehr gibts nicht zu sagen, denk ich mal. Ich freue mich über Kritik (und auch Lob :P ) und hoffe, ich krieg was Brauchbares hin ^^

    EDIT: Inzwischen gibts also ne Karte :P

    Liebe Grüsse
    Klimbim :crazypilot:


    "You know what the big problem is in telling fantasy and reality apart? They're both ridiculous."

    - Twelve

    Einmal editiert, zuletzt von Klimbim (5. November 2014 um 18:01)

  • Folgende Geschichte ist ein Zweiteiler. Mir war wichtig, dass die mangelnde Bildung und Wortschatz von Kupfer zur Geltung kam :huh: viel Spass ^^

    Eremit Teil 1/2

    Und seit Jahrhunderten ist es Brauch in den Dörfern und Höfen des Mirakatals, dass ein Eremit lebt in der grossen Höhle am östlichen Ende. Ein Eremit, ein Einzelgänger, ein Wächter, mit der Aufgabe, das Feuer im Berg Mirak am Leben zu erhalten und das Wasser der Reinen Quelle zu schützen vor Fluch und Unheil.
    Und es ist Brauch, dass jener Eremit nach fünf Jahrzehnten zu den Dörfern reist und das grosse Fest der Erneuerung einläutet, auf das sich alle Talbewohner versammeln und neu einen.
    Und es ist Brauch, dass am letzten Tage jenes Festes die Mütter ihre Söhne vor den Eremiten bringen, alle Jungen im Alter zwischen drei und fünf Sommern. Und der Eremit wird sie ansehen und den Jungen seiner Wahl mit sich nehmen, auf dass er ihn aufziehen und ausbilden möge und das Feuer im Berg Mirak auch weiterhin brenne und die Reine Quelle weiterhin heilig sei.
    Und seit Jahrhunderten herrschen Friede und Wohlstand, Einigkeit und Stärke im Tale Mirak.

    Die Chroniken von Caard’yl, aus der Grafschaft Cin-gedil



    Und als der Eremit am Abend dieses Tages zurückwanderte, trug die Eselsstute einen Jungen von vielleicht drei Sommern. Dieser Junge bin ich. Ich kenne meinen Namen nicht mehr. Ich musste ihn vergessen, sowie ich alles vergessen musste, damit es einfacher ist.
    Mein Meister gab mir einen neuen Namen: Kupfer. Er sagte mir, dass ich nach ihm zum neuen Hüter werden würde. Und so lehrte er mich, was er wusste, und das fing mit den Geschichten an.
    Er führte mich in die Feuerhöhle. Damals war sie riesig und dunkel, doch heute fürchte ich mich nicht mehr und muss mich auch bücken, wenn ich sie betrete, wie mein Meister damals. Die Wände der Höhle sind voller Bilder. Sie erzählen die Geschichten des Tales, und mein Meister malte neue Bilder dazu mit den Geschichten, die er gehört hatte.
    Es ist wichtig, dass die Hüter sie kennen. Sie alle.
    Erinnern ist ein Teil der Aufgaben eines Hüters. Manchmal kamen Leute aus dem Tal und redeten mit meinem Meister, weil sie sich an eine Geschichte erinnern wollten. Er zeigte ihnen dann Bilder in der Höhle und erzählte die Geschichte. Er sagte, die Leute kommen, weil sie in den Erinnerungen Gerechtigkeit suchen.
    Mein Meister schlug mich jedes Mal, wenn ich eine Geschichte falsch erzählte. Anfangs sehr oft, dann aber immer weniger, bis ich alle Geschichten kannte.

    Es vergingen vier Sommer, bevor der Meister mir die zweite wichtige Aufgabe eines Hüters zeigte: Die Reine Quelle. Ich konnte inzwischen Fallen stellen und wusste, welche Früchte man essen kann, wie man das Wetter vorausahnt und wie man Spuren liest und die Ziegen melkt.
    Wir gingen den Weg zur Quelle. Er ist schmal und steil und sehr gefährlich. Damals fürchtete ich mich, weil ich oft abrutschte, aber heute kennen meine Füsse sichere Tritte.
    Die Quelle kommt aus dem Berg, den die Leute Mirak nennen. Mirak ist ein Wort einer alten Sprache und bedeutet „Freund“. Die Leute wissen das nicht mehr, aber ein Wächter muss sich daran erinnern.
    Die Quelle bildete einen See, und aus ihm kommt der Mirak-Fluss, der durch das ganze Tal fliesst und es mit Leben versorgt. Jeden Tag muss ein Wächter einmal um den See gehen und die Dinge aus dem Wasser holen, die nicht hineingehören. Besonders im Herbst ist dies eine schwere Aufgabe. Doch sie ist sehr wichtig.

    Noch einmal vergingen zwei Sommer, bevor mein Meister mir die dritte und letzte Aufgabe eines Wächters zeigte. Ich konnte nun grössere Tiere jagen und sie ausnehmen, ihr Fleisch zubereiten und ihr Fell zu Kleidung machen. Ich wusste, wie man die Schafe schert und wie man die Wolle zu Stoff macht. Und ich konnte Farbe machen, um dafür zu sorgen, dass die Bilder in der Höhle nicht verloren gehen.
    Er führte mich wieder in die Feuerhöhle, an den Bildern vorbei, tiefer hinein, was mir früher verboten war. Er führte mich zum Feuer im Berg Mirak. Und dies ist die dritte und letzte Aufgabe eines Wächters: Das Feuer im Berg Mirak muss immer brennen.
    Und ich musste nun jeden Tag in die Feuerhöhle gehen und genau zwölf Scheite in die Glut legen. Und wenn das Feuer wieder brannte,musste ich die Worte sagen: „Hikenu alana miraki.“ In der alten Sprache bedeutet das: „Die Menschen erhalten die Freundschaft.“ Dann kommt ein Wind aus dem Inneren des Berges, der die Flammen grösser werden lässt. Das ist die Antwort von Mirak und bedeutet: „Der Berg erhält die Freundschaft.“
    Freundschaft, hat mein Meister erklärt, bedeutet, dass zwei zusammenhalten. Und das ist wichtig.


    Und es verging seit diesem Tag ein weiterer Sommer. Und dann wachte mein Meister nicht mehr auf.
    Seitdem bin ich der Meister.

    ...



    Lord Hepas war erzürnt. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er an der Nase herumgeführt wurde. Der Kerl, dem er sich und zwei Soldaten seines Trupps, Rod und Will, anvertraut hatte, führte sie nun schon seit geschlagenen sechseinhalb Stunden durch die verwildertsten Winkel des Tales. Pha! Sollte sich das alles als grosser Scherz erweisen, dann gnadet ihm, ihr Götter! Er hatte bei weitem Besseres zu tun, als hier durch das Dickicht zu reiten und-
    Stieg der Miraki jetzt etwa ab? Bei den Göttern, tatsächlich! Ihr Führer band sein Maultier an einen dünnen Baumstamm und forderte sie in seinem seltsamen Dialekt auf, es ihm gleich zu tun. Wies auf einen kaum sichtbaren Pfad, der in den dichten Wald und weiter den Berg hinauf führte.
    Der Lord schenkte ihm beim Absteigen einen bösen Blick. Er hoffte, in der Miene des Mannes Schalk zu sehen und ihn dafür bestrafen zu können, aber da war nur naive Gutherzigkeit.
    Verdammtes Tal. Die Bewohner waren Arm wie Bettler. Das geschätzte Vermögen im gesamten Tal betrug keine zwei Silberstücke. Wahrscheinlich wusste die Hälfte der Leute nicht einmal, wie Geld aussah. Aber verflucht noch eins, die einzige Todesursache waren dumme Unfälle und das Alter! Er hatte nicht eine einzige ungesund aussehende Person gesehen, und das ständige glückliche Lächeln, das alle zur Schau trugen, ging ihm langsam auf den Geist. Es konnte hier nicht mit rechten Dingen zugehen.
    Als ältester Sohn und Erbe des Grafen und Verwalters der Gegend sah er es als seine Aufgabe, der Sache auf den Grund zu gehen. Er vermutete schon seit Längerem einen Betrug und war nicht geneigt, das zuzulassen, wenn seine Amtszeit gekommen war.
    Aber alle Talbewohner, die er befragt hatte, Antworteten gleich: Der „Hüter“ oder „Eremit“ beschützt das Tal. Er hatte noch nie von so jemandem gehört und Argwohn regte sich in ihm. Ein Usurpator? Es waren sofort mehrere Männer bereit, ihn zu diesem Eremiten zu führen, und hier war er nun. Stapfte durch den Wald, und jeder Ast schien Bekanntschaft mit seinem Gesicht zu machen, jedes Insekt das Blut aus seinen Adern zu ziehen und sämtliche Erde dieser Welt an seinem Stiefel festkleben zu wollen. Und es war verdammt warm! Dieser Eremit konnte sich auf jeden Fall auf etwas gefasst machen.


    "You know what the big problem is in telling fantasy and reality apart? They're both ridiculous."

    - Twelve

    3 Mal editiert, zuletzt von Klimbim (5. November 2014 um 21:36)

  • Ich musste in vergessen, sowie ich alles vergessen musste, damit es einfacher ist.


    ihn

    Sollte sich das alles als grosser Scherz erweisen, dann Gnade ihm, ihr Götter!


    gnadet ihm, ihr Götter

    Ganz ehrlich? Toller Anfang. :thumbsup: Stimmungsvoll, gut geschrieben, dein Prota ist dir super gelungen! Mehr, bitte ^^ .

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Ich finde den Anfang ebenfalls richtig interessant, da kann ich meinen Vorrednern nur zustimmen.
    Du beschreibst sehr interessant und stimmungsvoll diesen alten Brauch und wie der kleine Junge alles beigebracht bekommt von seinem Meister, dem Eremiten. Das gefällt mir sehr gut und ich bin total gespannt wie es weiter geht.

    Dämonischer Gruß

    Astrael Xardaban

    Es heißt nicht dumm, sondern: geistig unbewaffnete, verbal inkompetente, bildungsresistente, kognitiv suboptimierte, parasitäre Nebenexistenz.

    Als ich neulich in das Zimmer meines bekifften Mitbewohners kam, saß er im Schneidersitz mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden und sagte mit völlig ernstem Ton zu mir: "Auch wenn wir uns auf der selben Position befinden, bist du nicht auf meinem Breitengrad."

    Hans Riegel aus Bonn gründete 1920 Haribo. Sein einziger Konkurrent, Valentin Ginser aus Nassau, hatte nie wirklich eine Chance.

    Kannibalenstämme in Papua-Neuguinea bieten an Flüchtlinge aufzunehmen. Damit wäre das Thema dann wohl gegessen.

    Porno im Mittelalter:

    "Aus welchem Grund liegt ebendort auf dem Boden gedroschenes Getreide?"

    "Warum verbergt ihr euer Antlitz mit dieser Maskerade?"

    "So sauget an meinem Gemächt!"

    Warum ist der Turm von Pisa schief? Er hat bessere Reflexe als das World Trade Center

    Was haben Donald Trumps Haare und ein Tanga gemeinsam? Beide bedecken kaum das Arschloch


  • :golly: woow... vielen lieben Dank, das ist... total lieb von euch, ich hab mich riesig gefreut :love:

    Eremit Teil 2/2

    Sie wanderten noch gut zwei Stunden, bevor der Miraki stehen blieb und aufgeregt auf den Berg wies, der sich am Talende erhob. Mirak, der für das Tal namensgebende Koloss aus Fels. Lord Hepas musste sich eingestehen, dass es durchaus ein beeindruckender Anblick war: Der Berg wirkte wie ein König, der auf einem grünen Thron sass und über sein Reich wachte. Unter ihnen rauschte der Fluss Mirak, der die mangelnde Fantasie der Bewohner bezeugte, und, wie Hepas wusste, aus dem Berg selber entsprang. Soweit er verstanden hatte, war die Quelle für die Leute heilig oder sonst irgendwie wichtig. Und der Hüter würde sich dort in der Nähe aufhalten.
    Die Männer folgten ihrem Führer, der einen steilen Pfad hinab zu einer Hängebrücke kletterte, die die Überquerung des Flusses erleichternd direkt am Hang des Mirak endete.
    Der sengenden Sonne ausgesetzt, kletterte die Gruppe mehr, als dass sie wanderte, um wieder an Höhe zu gewinnen und zur Quelle zu gelangen.
    Es war bereits Abend und Hepas war zu erschöpft, um wirklich zornig zu sein, als sie den Quellsee erreichten und dankbar vom kühlen, klaren Nass tranken. Der Miraki liess sie allerdings nicht allzu lange ruhen, sondern
    drängte sie, ihm weiter zu folgen. Wahrscheinlich fürchtete er, in der Dunkelheit den Weg nicht mehr zu finden. Rod, einer von Hepas‘ Begleitern, warf aufgebracht den Stecken ins Wasser, den er bis hierher als Wanderstab benutzt hatte.

    Es ging zum Glück nicht mehr allzu lange, auch wenn der Weg gefährlich und schwer zu begehen war. Doch dann erreichten sie eine Art Ebene, und als sie aus dem Urwald auf eine Lichtung traten, auf der Schafe und Ziegen vor einer einfachen Holzhütte weideten, wussten sie, dass sie am Ziel waren.
    Nur, dass sich weit und breit kein Wächter aufhielt.
    Die Männer taten es ihrem Führer gleich und setzten sich ins dichte Gras, um zu warten.


    Hepas war wohl eingedöst, er schreckte auf, als der Miraki sich erhob und etwas Unverständliches im Mirak-Kauderwelsch sagte. Als der Lord sich umdrehte, sah er eine Gestalt, die offenbar wie sie vom See her kam. Als der Fremde aus dem Wald in die letzten Strahlen der Abendsonne trat, stellte er sich als etwa zwölfjähriger Junge heraus. Er war nur mit einer einfachen Wollhose und ebenso einfachen Lederschuhen bekleidet und pitschnass. In seiner Rechten hatte er einen Langbogen, wahrscheinlich aus Eibenholz, sowie einige Pfeile. In der linken Hand hielt er Rod’s Wanderstecken. Er blieb vor den Männern stehen und schaute jeden einige Sekunden aus ernsten, früh alt gewordenen Augen an, und warf ihnen dann den Stecken mit einem vorwurfsvollen Laut vor die Füsse. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und ging zur Hütte, vor der sich das Vieh inzwischen versammelt hatte.

    Der Miraki wirkte ziemlich perplex, nach einigen Sekunden der Überraschung folgte er aber dem Jungen und begann, wild auf ihn einzureden.
    Die drei Männer folgten ihm. Der immer noch tropfende Junge molk in aller Seelenruhe eine Ziege und füllte vier Gefässe, die wohl eine Art Becher aus Leder waren. Diese bot er ihnen und dem immer noch redenden Talbewohner an.
    „Sprich… nicht.“ Die ersten Worte. Sie hörten sich heiser und unsicher an, wie von jemandem, der lange nicht mehr geredet hatte. Doch sie erfüllten ihren Zweck, der Miraki verstummte.
    Der Junge nickte dankend, schien nachzudenken. Dann bildete er langsam, Wort für Wort, einen Satz.
    „Ihr… wollt… eine Geschichte?“
    Hepas war die Situation unangenehm.
    „Wie heisst du?“
    Ein fragender Blick.
    „Wie… ist… dein… Name?" Hepas formulierte jede Silbe peinlich deutlich.
    Verständnis blitzte in den Augen seines Gegenübers auf.
    „Kupfer! Mein… Name ist Kupfer.“
    Hepas blinzelte irritiert, beschloss aber, es dabei zu belassen.
    „Wir… suchen… den Wächter.“ Langsam kam er sich wirklich dumm vor.
    Wieder ein fragender Blick, Hepas begann erneut, sich zu ärgern. Da sprang der Miraki ein und sagte: „Wes-mirak sehn?“ Das schien der Junge- Kupfer- zu verstehen.
    „Der… Wächter… bin ich. Ihr wollt eine Geschichte? Eine … Erinnerung?“
    Der Miraki schnappte überrascht nach Luft und redete wieder auf Kupfer ein, der geduldig zuhörte und schliesslich einfach den Kopf schüttelte.
    „Der Wächter ist gestorben! Dies ist sein Lehrling! Er ist ganz allein! Er ist der neue Wächter, sagt er!“ Es war offensichtlich, dass dem Miraki dieser Sachverhalt überhaupt nicht gefiel.
    Will schnaubte. „Heisst das, es gibt gar keinen Wächter und dieses… dieses Kind lebt hier ganz alleine?“
    Rod schüttelte ungläubig den Kopf. „Seht ihn euch an, läuft herum wie ein Barbar und kann nicht mal richtig reden! Was ist das hier für ein Theater?“
    Hepas musste ihnen Recht geben. Und er hatte die Nase gestrichen voll von diesem Ort und diesem Tal und allem hier.
    „Wir nehmen ihn mit. In meiner Grafschaft leben keine Kinder irgendwo allein in der Wildnis. Wir bringen ihn nach Cin-gal.“ Sofort trat Rod vor und packte Kupfer am Arm.
    „Nein! Das dürft ihr nicht!“ Angst lag in der Stimme des Mirakis. „Er ist der Wächter! Mirak braucht immer einen Wächter!“
    „Warum?“
    „Er beschützt uns! Mirak braucht einen Wächter!“
    Hepas rollte mit den Augen und gab Rod das Zeichen zum Abmarsch. Als Kupfer begriff, was geschah, begann er zu schreien und sich zu wehren und offenbarte ungeahnte Kräfte, sodass auch Will dabei helfen musste, ihn festzuhalten und fort zu zerren.
    „Nein!“ Der Talbewohner stürzte sich auf Hepas. „Mirak braucht ei-„
    Es war ein Reflex. Das Messer war schneller gezückt als ein Gedanke gedacht werden kann. Der Miraki lag röchelnd am Boden.
    „Wächter... Mirak… Wächter…“
    Dann herrschte Stille.
    „Verfluchter Narr.“ Hepas drehte sich um und folgte seinen Männern mit dem immer noch zeternden Jungen.


    Und Lord Hepas von Cin-gal, ältester Sohn des Grafen Galides von Cin-gal, suchte den Eremiten auf am Ende des Tales, um Antworten zu finden auf seine Fragen. Dies ist das Letzte, was bekannt ist von ihm oder seinen Begleitern.
    Seit diesem Tag kam Unglück über die Dörfer und Höfe des Miraktals. Erdrutsche und Beben zerstörten die Häuser, und das Wasser wurde giftig von Salz und Schwefel, verdarb die Ernte und tötete die Menschen.

    Die Miraki verliessen das Tal und zogen fort und waren verflucht und unwillkommen an jedem Ort, den sie erreichten.
    So bleibt das Tal bis heute ein verdorbener, verwünschter Ort und gilt als Brutstatt für Krankheit und Tod.
    -Die Chroniken vonCaard’yl, aus der Grafschaft Cin-gedil
    Notiz: Was geschah beim Eremiten? Hepas tot = Tal tot? Was ist das Feuer im Berg Mirak? 29. ST, 6301. Gez. Risher, Novize
    Notiz: Mirak = Alt-Dequish für Freund, Verbündeter. Hinweis? 53. WT, 6324. Gez. Risher, Bibliothekar


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    - Twelve

    3 Mal editiert, zuletzt von Klimbim (14. November 2014 um 08:04)

  • Ich bin begeistert. Das Ende ist verdammt gut gelungen. Das es so ähnlich endet dachte ich mir schon. Dein letzter Absatz bringt richtig gut rüber was der Lord für ne S****** gebaut hat.
    *mehr lesen will* :)

    Dämonischer Gruß

    Astrael Xardaban

    Es heißt nicht dumm, sondern: geistig unbewaffnete, verbal inkompetente, bildungsresistente, kognitiv suboptimierte, parasitäre Nebenexistenz.

    Als ich neulich in das Zimmer meines bekifften Mitbewohners kam, saß er im Schneidersitz mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden und sagte mit völlig ernstem Ton zu mir: "Auch wenn wir uns auf der selben Position befinden, bist du nicht auf meinem Breitengrad."

    Hans Riegel aus Bonn gründete 1920 Haribo. Sein einziger Konkurrent, Valentin Ginser aus Nassau, hatte nie wirklich eine Chance.

    Kannibalenstämme in Papua-Neuguinea bieten an Flüchtlinge aufzunehmen. Damit wäre das Thema dann wohl gegessen.

    Porno im Mittelalter:

    "Aus welchem Grund liegt ebendort auf dem Boden gedroschenes Getreide?"

    "Warum verbergt ihr euer Antlitz mit dieser Maskerade?"

    "So sauget an meinem Gemächt!"

    Warum ist der Turm von Pisa schief? Er hat bessere Reflexe als das World Trade Center

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  • Scheint ja was dran gewesen zu sein am Amt des Wächters. Und das Hepas verschwunden blieb :hmm: Und nun interessiert sich ein Bibliothekar seit seiner Ausbildung für diesen Vorfall....:hmm:
    :thumbsup:
    Mehr, bitte! :stick:
    Das scheint einer super Geschichte zu werden.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Sehr gut geschrieben, Respekt. Es war wirklich packend und dieser Hepas und seine Laune am Anfang - göttlich.
    Nur dass sie den Jungen da weggezerrt haben, das war gemein ;(
    Und ein grausames Ende.
    Du hast auch einen sehr flüßigen Schreibstil, der mit die Bilder einfach zukommen ließ :thumbsup::thumbsup:

    Ein toller Anfang und verspricht packend zu werden 8o

  • :love: Nochmals danke schön :)
    Jetzt mal völlig unvoreingenommen das hier:


    Der Beobachter- Meine liebe Elodie
    Meine liebe Elodie

    Ich schreibe dir nun diese Zeilen, um die Möglichkeit wahrzunehmen, mich dir zu erklären. Dass du mich an jenem Abend so brüsk von dir gewiesen hast, ist ebenso verletzend wie nachvollziehbar. Doch ich bitte dich zu verstehen, dass die Situation für mich ebenso neu und beängstigend ist wie für dich, wenn nicht gar weitaus mehr.
    Doch ich will von vorn beginnen. In all den Jahren hatte ich nicht die Mittel, mit dir zu kommunizieren, wie das nun der Fall ist, und ich will diese Gelegenheit weidlich ausnutzen.
    Meine liebe Elodie, ich möchte, dass du dieses Schreiben zu Ende liest. Solltest du mir danach noch immer abweisend gegenüberstehen, werde ich aus deinem Leben verschwinden und dich nie wieder behelligen.
    Doch was ich zu sagen habe, muss gehört sein und deshalb übe Geduld, ein letztes Mal, um all der Zeiten Willen, die wir durchlebt haben.

    Es ist seltsam. Gedanken, die ich tausende und abertausende Male gedacht habe, wollen die Feder nicht verlassen und das Papier nicht füllen. Oh, Elodie, wenn du wüsstest, was in mir vorgeht, was für ein wildes Tier in seinem Käfig tobt und dennoch nicht wagt, die weit geöffnete Tür zu passieren. Sei nachsichtig mit mir, meine Liebe. Was sich die Jahrtausende meines Daseins klar und absolut anhörte, verliert die Bedeutung und allen Mut angesichts der Aufgabe, vor dir bestehen zu müssen. Doch ich habe keine Wahl.
    Meine Existenz begann mit der Besiedelung von Ightris durch die Menschen, angeführt von Reckard, dem Korsaren, wie es in euren Geschichtsbüchern steht.
    Ich nenne diesen Augenblick für mich das „Erwachen“, und ich bin nicht in der Lage, dir zu sagen, wodurch es ausgelöst wurde und was ich davor war. Falls ich davor überhaupt war.
    Meine erste Erinnerung ist, nein sind, Wahrnehmungen aller Art. Ich sah, ich hörte, ich spürte, ich roch, ich schmeckte. Alles. Ganz Ightris.
    Elodie, es war ein absolut einzigartiger Augenblick. Ich war eins mit der Welt und allem, was sich darauf befand, und dieses Gefühl, dass sich jeder Beschreibung entzieht, war ebenso wundervoll wie furchteinflössend, ich sah den Tanz der Bienen und hörte das Rauschen der Bergbäche und fühlte Gras, dass lagsam im Wind wogte. Doch ebenso fühlte ich die tödliche Hitze vom Feuer im Inneren der Berge,die Macht der Stürme über der See und ich hörte das Klagen und Seufzen tausender und abertausender Wesen, die starben, Sekunde um Sekunde.
    Ich lernte, Dinge auszublenden, mich auf einige wenige zu konzentrieren, doch die ganze Welt… sie ist immer noch da, wie ein feines Echo, rufend, flehend. Worum sie bittet? Ich weiss es nicht. Vielleicht um jemanden, der zuhört.
    Seit diesem Tage sind, wie du weisst, 6332 Jahre vergangen. Ich habe sie alle durchlebt und ich erinnere mich an alles, jedes Detail. Unfähig, zu vergessen, liess ich mich durch die Zeiten treiben, körperlos, beobachtend, und immer nachdenklich.
    Es mag für einen Menschen vielleicht grausam anmuten, ein solches Leben zu führen, doch es gab nichts anderes für mich. Und ob man meine Existenz überhaupt als „Leben“ bezeichnen kann, wage ich zu bezweifeln.
    Wie du schmerzlich erfahren musstest, war ich all die Zeit nicht in der Lage, Dinge zu bewegen. Ich war substanzloser als ein Atemhauch. Ich wusste, wie sich frisch gesägtes Holz anfühlt, ich kannte die Kälte von Eisen und die seidige Glätte von nackter Haut, doch ich habe es nie erfahren. Elodie, all diese Eindrücke waren für mich, wie für dich Zahlen sein mögen, die die genaue Anzahl Wassertropfen in allen Seen von Ightris benennen. Interessant, vielleicht auch faszinierend, aber am Ende doch nicht mehr als Zeichen auf einem Blatt Pergament.
    Denn mir fehlte etwas, Elodie, das alle Menschen besitzen, das, was ein Geschehnis zu einer Erfahrung macht- Emotion. Gefühle. Regungen. Empathie. Liebe und Hass. Das vielleicht einzige, von dem ich niemals gewusst habe, bis zu diesem verhängnisvollen Abend.
    Hätte man versucht, mir diese Dinge zu erklären… ebenso gut hätte ich dir das Geräusch eines Sonnenaufgangs beschreiben können oder die Farbe des Alls.
    Versuche bitte zu verstehen- all die Jahrhunderte, ohne eine einzige Regung zu verspüren, und dann, dieser eine Moment, in dem alles so furchtbar schnell ging- und das für mich, für den die Zeit nie eine Rolle spielte.
    Der Versuch, diesen Augenblick zu beschreiben, mutet für mich wie ein Todesurteil an. Ich schäme mich zutiefst, Elodie, doch es muss gesagt sein.
    Diese Tat, die ich beging, als ich versuchte, dir zu Hilfe zu eilen, war die erste wirkliche Tat meiner Existenz. Und von einer Sekunde auf die nächste fühlte ich. Ich fühlte Wut, ich fühlte Angst, Entsetzen, Panik. Und vor allem andern- oh, Elodie- fühlte ich Begehren.
    Wie du vor mir lagst, mit angstgeweiteten Augen und zerrissenen Kleidern, so wunderschön, so zerbrechlich…
    Elodie, in diesem Moment wünsche ich mir nichts als den Tod vor Scham und Schande. Ich habe dich verraten, die einzige Freundin, die ich jemals hatte, die einzige Person, die mich je gehört hat.
    Ich sah, wie die Furcht in deinen Augen blankem Entsetzen wich und dennoch liess ich nicht ab. In diesem Körper gingen Dinge vor, von denen ich zwar wusste, doch von deren Intensität und Kraft ich nicht die geringste Ahnung hatte. Wenn die Wachen nicht gekommen wären…
    Ich wage nicht, den Gedanken zu beenden. Sei versichert, dass ich wirklich nur helfen wollte, Elodie, und nie Böses im Sinn hatte.


    Ich schreibe diese Zeilen nun mithilfe eines Bettlers in einem Fischerdorf nördlich von Eisenhal. Elodie, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als persönlich um Vergebung bitten zu können. Solltest du einem vielleicht allerletzten Gespräch nicht allzu abgeneigt sein, bitte, gib mir unser altes Zeichen. Ich werde eine Woche abwarten, und wenn ich bis dahin nichts vernehme, gehe ich, und du wirst nie wieder durch meine Anwesenheit behelligt.

    In freundschaftlicher Liebe und Verehrung

    Mortimer, dein Geist

    Noch kurz zum Text: Der Schreiber ist eine Figur, die noch öfter vorkommen wird und die von mir "den Beobachter" und von Elodie "Mortimer" genannt wird. Der Brief soll u.A. als Vorstellung dienen, ausserdem sind mir beim Schreiben ein paar Ideen gekommen, wer oder was genau der Beobachter/Mortimer ist und was seine Rolle in der Welt sein könnte.
    Ich weiss, dass der "verhängnisvolle Abend" kaum Fragen beantwortet, aber gerade um den Beobachter möchte ich eine Art Puzzle bauen- und dieser Brief ist der erste Teil ;) Sollte es Unklarheiten gegeben haben, die den Text negativ beeinflusst haben, bitte sagen, damit ich da noch was deichseln kann :)


    "You know what the big problem is in telling fantasy and reality apart? They're both ridiculous."

    - Twelve

    3 Mal editiert, zuletzt von Klimbim (5. November 2014 um 18:05)

  • Wunderschön!
    Du hast großartig beschrieben, was Mortimer durchlebt hat; er scheint so etwas wie ein Wächter oder Beobachter der Welt zu sein ...
    Faszinierend, emotional, Daumen hoch :thumbup:
    Nur ein paar kleine Sachen:

    Zitat

    und dieses Gefühl, dass sich jeder Beschreibung entzieht


    hier muss ein das hin.

    Zitat

    die seidige glätte von nackter Haut


    Glätte

  • Deine erste Geschichte finde ich sehr stimmungsvoll. Mir gefällts, wie du keine klassische Erzählung daraus gemacht hast sondern ein eher verschwommener Mythos. Und dies hast du wirklich überzeugend geschafft. Gegen Ende dachte ich, einen Mythos von einer Welt zu hören, die mir bekannt ist, obwohl dies gar nicht der Fall war :thumbsup:

    Dies ist eine eher persönliche Einschätzung, aber ich habe etwas Mühe mit Einführungen. Mir gefällt es besser, wenn ich beim Lesen direkt bei einem Charakter starte und die Welt mit seiner Hilfe näher kennenlernen. Deshalb ein kleiner experimenteller Vorschlag: Stell doch einmal den ganzen mythischen Teil (Kursivschrift) ans Ende der Geschichte und beginne gleich mit den Charakteren. Ich persönliche denke, die Geschichte funktioniert auch so und ist um einiges geheimnisvoller. Der Leser erfährt dann auch erst am Ende die Hintergründe und dieses lässt sich auch nicht so leicht erahnen (wie es bereits Du Vandir angedeutet hat.)

    bei ... kommt ein Leerzeichen vor und nachher.

    Zitat

    Als der Lord sich umdrehte, sah er eine Gestalt, die offenbar wie sie vom See her kam.


    Hier bin ich etwas über den letzten Satz gestolpert. Du könntest das "wie sie" hervorheben, damit es verständlicher wird
    z.B: ... die offenbar - wie sie - vom See her kam.

    Zitat

    Und seit diesem Tag kam Unglück über die Dörfer und Höfe des Miraktals. Und Erdrutsche und Beben zerstörten die Häuser, und das Wasser wurde giftig von Salz und Schwefel und verdarb die Ernte und tötete die Menschen.
    Und die Miraki verliessen das Tal und zogen fort und waren verflucht und unwillkommen an jedem Ort, den sie erreichten.
    Und bis heute bleibt das Tal ein verdorbener, verwünschter Ort und gilt als Brutstatt für Krankheit und Tod.

    Ich weiß, du benötigst hier die vielen Und als Stilmittel, aber sie haben mich in diesem Abschnitt einfach erschlagen. Meines Erachtens solltest du das eine oder andere Und hier definitiv löschen.

  • Es stellt sich natürlich die Riesenfrage: WAS ist Mortimer?
    Außer faszinierend natürlich 8) .
    Und wohl ziemlich deprimiert. - Ich bin gespannt, wen du uns noch alles servierst :thumbsup: .

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Tja wer zu spät kommt, muss wwohl nehmen was übrig bleibt... all den Kommentaren kann ich nichts weiter hinzufügen...
    deine Erste Geschichte war sehr gut und Hepas war anfangs noch echt witzig ^^
    Grausam wie du dein Ende gestaltest, aber ist auch irgendwie etwas anderes und vielleicht überkommt dich iwann ein anfall von Mitleid und du änderst die Geschichte jahrhunderte später mit einer anderen Kurzgeschichte ^^
    Weiterhin gefällt mir die idee viele kurzgeschichten in der selben welt spielen zu lassen... das erinnert mich an Walter Moers ;) Rumo und Käpt'n Blaubär sind zwei verschiedene Geschichten und dennoch hängen beide zusammen, genauso wie Smeik, der sich auch immer wieder in den Kapiteln herum treibt ^^
    Ich freu mich mehr zu hören und welche Intrigen und unglücklich Liebende du noch aus dem Boden zauberst ^^

    Der Brief von Mortimer ist in der Tat der berührend und ich würde gerne wissen was genau er verbockt hat. Ich meine er ist Körperlos und hat er dennoch die Mittel Elodie weh zu tun??
    Und das schließe ich mich Melli an: WAS genau ist Mortimer denn jetzt?

    Also ich bin beeindruckt und neidisch... bei mir läuft so gar nicht -.-'
    Aber hau weiter in die Tasten ich bin gespannt

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    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • ^^ Danke vielmals euch allen :blush: ich habe hier also noch etwas gewütet und voilà ^^ ich will eig nichts dazu sagen (imho sollten Kurzgeschichten klarkommen, ohne dass alles in einem Vorwort erklärt werden muss ;) ) allerdings denke ich, dass es allmählich Zeit wird, doch mal die Karte hochzuladen... Naja. Wie gesagt, wenn etwas völlig unverständlich ist bitte fragen und/oder melden, damit ich das im Text noch nachintegrieren kann :)

    Novize

    Er ging langsam durchs wogende Gras. Die Sonne schien warm in seinem Rücken und liess überall den Morgentau glitzern. Die Wolken, vor Sekunden noch leuchtend rosa, wechselten ihre Farbe allmählich ins orangene und wurden immer bleicher, bis sie schliesslich die Farbe des Schnees auf den Bergwipfeln im Horizont angenommen hatten, die sich hinter dem mächtigen Wald erhoben.

    Er beobachtete das Rudel Hirsche, das am Waldrand äste, er vernahm das Schreien des Adlers hoch über sich. Die Berge- sie riefen. Doch er hörte nicht hin.
    Er fühlte das Gewicht des Schwertes auf seinem Rücken, die Dolche an seinem Gürtel. Und er spürte das
    pure Leben durch seinen Körper fliessen, eine unbändige Kraft, und er wusste: Er war das tödlichste Wesen hier.
    Ein Lächeln spielte um seine Lippen, als er in die tiefe Düsternis zwischen den Bäumen blickte. Und was auch immer sich da drin an Bösem befand- er würde es finden. Und er würde es töten.
    Es kam ihm vor, als würde ihm die Kampfeslust Flügel verleihen und als würde sein Herz überströmen vor Leidenschaft, als er sein Tempo erhöhte, bis er schliesslich rannte, schnell wie der Wind, und gar nicht anders konnte, als triumphierend zu jubeln…

    Der Schlag auf seinen Hinterkopf liess Irion in die Realität zurückkehren. Verwirrt blinzelnd nahm er die steinernen Wände, die rauchigen Fackeln und den harten Boden unter sich wahr.
    Ein weiterer Schlag zwang ihn, seinen Kopf wieder zu senken und den Blick auf die Pergamente auf seinem Schoss zu richten.
    Irion konnte gar nicht anders, als tief zu seufzen, was ihm einen dritten Schlag einbrachte. Der hinter ihm stehende Magister knurrte mehr, als er sprach.
    „Novize! Deine Unaufmerksamkeit und deine unhaltbare Verträumtheit sind eine Schande, für mich, für dich, deine Mitschüler, dieses Haus und den gesamten Orden! Du wirst mir morgen die zwölf Gesänge des Flüsterers vortragen, und mögen dir diese Mauern gnädig sein, wenn ich auch nur einen Fehler höre!“
    Irion schloss die Augen. Was für ein Tag. Und es wurde immer besser. Nicht, dass es sonst jeweils anders wäre. Aber alle zwölf Flüsterlieder? Bis morgen?
    Das würde eine Nacht in der Bibliothek bedeuten, denn die Texte waren in Ur- … Ur- … in einer uralten Sprache verfasst, die Irion gleichgültiger nicht sein könnte, aber die man als Ordensbruder unter allen Umständen beherrschen muss.
    Wieder einmal verfluchte Irion sein Schicksal, während er stur auf die Schriften vor sich starrte, ohne etwas wahrzunehmen.
    Er hasste es hier. Er wusste nicht, welche Macht ihm das angetan hatte, aber Fluch über sie und dieses Haus und all die feigen, verstockten Steinflüsterer! Wie viel hatte er gegeben, gearbeitet und trainiert, um in den Orden aufgenommen zu werden und das Leben zu leben, von dem er immer geträumt hatte- und nun sass er hier und lernte alte Sprachen, Schreiben und Gesänge. Selbst in Gedanken spuckte er das Wort beinahe.
    Welch ein Albtraum. Und wie er sich gefreut hatte, als der Bote damals kam, um ihm abzuholen. Und wie inbrünstig er die Worte gesprochen hatte, mit denen er sich dem Orden verschrieb. Und wie gross sein Entsetzen war, als er, statt in die Waldgebiete, an die Hänge des Westgebirges gebracht wurde. Und wie dieses Entsetzen auch noch wuchs, als sich das Ganze nicht als Missverständnis herausstellte, sondern absolute Absicht war: Irion war zu den Felsflüsterern eingeteilt worden- Leser, Schreiber, Wissenssammler und –bewahrer. Wie es der Magister gerne ausdrückte: Hüter des Wissens in diesem Reich der Barbarei.
    Er hasste es hier. Doch er hatte die Worte gesprochen und war nun Gefangener dieses Ordens auf Lebenszeit. Er sah sich schon, in vierzig Jahren, wie er als verrückter alter Kautz den kleinen Kindern mit seinen unheilvollen Prophezeiungen Angst einflösste, um schliesslich einsam in einer feuchten und kalten Höhle starb…
    Und das, obwohl er hätte ein Waldläufer sein können. Der Beste von ihnen.

    Als der Unterricht vorbei war und alle Novizen tun konnten, wonach ihnen der Sinn stand, schlich Irion also in die Bibliothek. Keiner seiner Kameraden kümmerte sich darum, schliesslich hatte Irion von Anfang an klar gemacht, dass er nicht hier sein wollte und das Leben und die Leute hier verachtete. Und es erfolgreich vermieden, Freunde zu finden.
    Er stand niedergeschlagen vor den endlosen Regalreihen, in denen sich die Schriften, Pergamentrollen, Bücher und Steintafeln türmten.
    Die Bibliothek hatte bei der Gründung des Ordens als Raum von gut 20 auf 20 Metern begonnen und hatte sich rasend schnell gefüllt, sodass man ziemlich planlos angefangen hatte, neue Räume anzubauen, die allerdings auch bald zu klein wurden. Inzwischen war die Bibliothek ein sechs Stockwerke hoher, mächtiger und in alle Richtungen verwinkelter Turm und alles in und an ihm bestand aus fugenlosem Stein.
    Seufzend griff Irion nach dem ersten Buch, dass zwischen seine Finger geriet, und las den Titel: „Karottenzucht von 4265 bis 4683“.
    Er musste einige Sekunden verwirrt auf die Worte gestarrt haben, denn er erschrak sich furchtbar, als sich plötzlich eine kühle Hand auf seine Schultern legte. Irion fuhr herum und liess dabei das Buch fallen. Staub wirbelte auf und sah in den Sonnenstrahlen, die durchs Fenster schienen, ein bisschen aus wie goldener Schnee.
    Und in diesem Schneegestöber stand Sofeles und lächelte.
    „Du interessierst dich für die Zucht von Wurzelgemüse? Da würde ich dir aber einen übersichtlicheren Band empfehlen als dieser hier. Warte, er müsste gleich hier sein…“
    „Sofeles? Was machst du hier?!“
    Das Mädchen wandte den Blick von den Pergamentrollen ab. „Ich? Ich lese.“ Ein strahlendes Lächeln. Ach ja. Irion erinnerte sich. Sofeles. Stets freundlich, breit lächelnd, still, unauffällig, irgendwie seltsam.
    „Du liest?“
    „Ja. Angebracht, findest du nicht? Immerhin ist das eine Bibliothek. Eine der grössten und umfangreichsten in der Welt noch dazu.“
    „Ja, aber… es ist doch noch nicht Studienzeit.“ In der eigentlich auch kaum jemand studierte, fügte er in Gedanken hinzu. „Möchtest du nicht etwas… naja, lustigeres tun?“
    „Hm. Wenn du etwas Lustiges lesen willst- ich kann dir die Geschichte der dreizehn Guhlenjäger empfehlen, geschrieben vom grossen Liederschreiber Geladjan. Aber…“ Ein kurzes Nasenrümpfen zeigte an, dass Sofeles nachdachte. „… ist vielleicht doch etwas zu unreifer Humor. Vielleicht magst du ja Fregus lieber, seine Schreibweise ist äusserst anspruchsvoll, und doch sehr erheiternd.“
    Irion war fasziniert. Er konnte sich nicht erinnern, Sofeles jemals reden gehört zu haben und hatte sich ihre Stimme immer furchtbar piepsig vorgestellt, passend zur Körpergrösse. Sie sprach sehr leise, aber nicht, weil
    sie schüchtern oder ängstlich wirkte, sondern weil ihre Art zu reden die Leute irgendwie automatisch dazu brachte, aufmerksam zuzuhören.

    „Ich… ähm… ich benötige die zwölf Gesänge des Flüsterers. Genau. Kein Humor. Gesänge.“
    Etwas in ihren Augen leuchtete auf.
    „Du interessierst dich für das Flüstern?“
    „Nein.“
    Sie wirkte perplex.
    „Aber…“
    „Es ist eine Strafe. Für Unaufmerksamkeit und Träumen.“
    „Oh. Verstehe. Nun... Komm mit, ich zeige dir, wo die Bände liegen und wo du lernen kannst.“
    Bände? Bitte nicht…
    Schliesslich sass er an einem steinernen Schreibpult, und starrte ungläubig auf die fünf dicken Wälzer vor sich.
    „Dies sind die originalen Texte, mit jeweils mehreren Übersetzungen und Interpretationen sowie vielen Erklärungen zu den Autoren, den Zeiten, in denen sie entstanden, den ursprünglichen Musikinstrumenten…“ Sofeles strich liebevoll über einen der Buchdeckel.
    „Sofeles…“
    „Bitte- nenn mich Sofi! Mein Name klingt immer so... förmlich, findest du nicht?“
    „Nun… Sofi- wie soll ich das alles lesen? Wie soll ich das alles lernen?! Morgen Nachmittag wird mich der Magister befragen! Das ist alles menschenunmöglich!“
    Das Mädchen legte Irion sanft eine Hand auf den Arm.
    „Sorge dich nicht, Irion- ich werde dir helfen, so gut ich kann. Fang an zu lesen, öffne deinen Kopf und lass die Worte hinen! Ich bin in einer halben Stunde wieder da, in Ordnung?“
    Irion nickte missmutig und schlug den ersten Band auf. Fremde Buchstaben starrten ihm so vorwurfsvoll entgegen, sodass er das Buch sofort wieder schloss.
    Sofi schaute ihn einen Moment lang mitfühlend an. Dann nahm sie das Buch mit den Worten: „Weisst du… Anfangs ging es mir genauso. Aber dann…“ Und sie begann, die erste Übersetzung vorzulesen.

    Nach einer Weile legte sie das Werk zurück in Irions Hände, der es schweigend entgegennahm und weiter las. Und in eine Welt eintauchte, die dieses Buch schon seit Jahrtausenden in sich trug.
    Er merkte kaum, wie er das Abendessen zu sich nahm, dass Sofeles ihm brachte. Als er nach Stunden über den Seiten zum Klang der Szer-Harfe einschlief, mit der Sofi die Meldodie der Gesänge spielte, träumte er zum ersten Mal, seit er hier war, nicht von Wäldern und dem Leben als Waldäufer, sondern von Bergen mit gewaltigen, schlagenden Herzen aus Feuer und Mänteln aus Schnee und Eis und einer absolut unbändigen Kraft, die im Gestein steckte und die in den Gesängen des Flüsterers so ausführlich beschrieben wurden.
    Und als er am nächsten Morgen noch vor der Sonne erwachte, um sein Studium fortzusetzen und mit Sofis Hilfe gegen Mittag zu beenden, als er die Bücher zuschlug und sich aufmachte, um seinem Magister die Strafe vorzutragen… da sah er nicht den kleinen alten Mann, der seit dem Morgen im Schatten nahe des Kamins sass und ihn aufmerksam beobachtete.
    „Sofeles! Mir ist kalt!“ Das Mädchen ging lächelnd zu ihm und begann, Scheite nachzulegen und die Glut wieder anzufachen.
    „Er kennt die Gesänge.“
    „Alle zwölf?“
    „Ja.“ Sofi blickte auf. „Alle zwölf. Auf Ur-Tasin. Fehlerfrei.“
    „In nur einer Nacht?“
    „Ja.“
    Der alte Mann nickte nachdenklich.
    „Das ist gut. Er wird wieder kommen, vermute ich. Und dann werde ich mit ihm reden. Vielleicht ist er der, nach dem ich gesucht habe.“


    "You know what the big problem is in telling fantasy and reality apart? They're both ridiculous."

    - Twelve

    2 Mal editiert, zuletzt von Klimbim (5. November 2014 um 21:37)

  • So, hab ich endlich Zeit gefunden, bei dir zu lesen. Ich beginne mal mit den Formsachen:

    @2

    Zitat

    Ein die Quelle bildete einen See, und aus ihm kommt der Mirak-Fluss, der durch das ganze Tal fliesst und es mit Leben versorgt


    Ich glaub, das muss weg

    Zitat

    Der Kerl, dem er sich, Rod und Will, zwei Soldaten seines Trupps, anvertraut hatte, führte sie nun schon seit geschlagenen sechseinhalb Stunden durch die verwildertsten Winkel des Tales.


    Hier kam ich etwas durcheinander, bis ich gemerkt habe, dass die Kommata eine Aufzählung und keine eingeschobenen Nebensätze deutlich machen sollen. mMn wäre der Satz einfacher, wenn du die Namen weglässt also nur " Der Kerl, dem er sich und zwei Soldaten seines Trupps, anvertraut hatte ... "

    Zitat

    Er hatte bei weitem besseres zu tun, als hier durch das Dickicht zu reiten und-


    bin mir nicht ganz sicher, aber muss das nicht groß?

    @6

    Zitat

    Er war nur mit einer einfachen Wollhose und ebenso einfachen Lederschuhen bekleidet und war pitschnass.


    Wiederholung, lass das zweite einfach weg

    @16:

    Zitat

    Der hinter ihm stehende Magister knurrte_mehr, als er sprach.

    Zitat

    Als der Unterricht vorbei war und alle Novizen tun_konnten


    So, wo fange ich an? Du schreibst echt toll :thumbsup: Auch wenn ich noch nicht ganz weiß, wie all die Handlungsstränge zusammengehören, oder ob sie überhaupt wirklich zusammen gehören ^^ Ich mag den Flüsternovizen ^^ Mich würde interessieren, wie es denn genau dazu kam, dass er nicht zu dem Orden gekommen ist, wo er hinsollte, weil so eine Verpflichtung auf Lebenszeit für etwas, was er nicht wollte ist schon echt hart :S Obwohl ich das Gefühl habe, dass er da seine Bestimmung findet und Sofi ihm da hilft. Ich fand, er hat seinen Widerstand ziemlich schnell aufgegeben, das hat mich etwas überrascht. Wenn ihn das Wissen und die Gesänge und all das nicht interessieren, hab ich für eine Strafe mit weniger Motivation gerechnet.

    Der Brief war toll ^^ Und es stellt sich wirklich die Frage, was Mortimer denn genau ist. Ich fühlte mich ein wenig an Doctor Who erinnert, wobei der Doctor aber eher kein Beobachter ist. Ich lese weiter und bin gespannt, wohin all die Handlungsstränge und Kurzgeschichten führen werden. Scheint ja ne große Welt zu werden 8) Ich mag große Welten :thumbsup:

  • :love: Der letzte Teil war Hammer. Als sich herausstellte, dass der kampfesfreudige Waldläufer ein träumender, unaufmerksamer Schüler war und die Art, wie er dann heruntergeputzt wurde - einfach nur klasse. Auch die Szene in der Bibliothek - :thumbsup: . ich bin ziemlich schwer begeistert von deinen Texten - und will natürlich mehr :D .

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Alopex Lagopus: Vielen Dank ^^ an dem Teil mit den Soldaten und den Namen und der Aufzählung hab ich auch bissl gebissen, da die Namen schon rein sollten, damit ich später nicht noch doof erklären muss. Ist es so:

    Zitat

    Der Kerl, dem er sich und zwei Soldaten seines Trupps, Rod und Will, anvertraut hatte, führte sie nun schon seit geschlagenen sechseinhalb Stunden durch die verwildertsten Winkel des Tales.


    Das müsste eher hinhauen :P

    Und vielen Dank dir und melli: Das ist schon fast mehr als ich an Lob ertrage :blush:


    "You know what the big problem is in telling fantasy and reality apart? They're both ridiculous."

    - Twelve

    • Offizieller Beitrag

    Der Brief war natürlich erstklassig. So viel Gefühl von Mortimer. Göttlich und eine große Inspiration ...
    Dein Schreibstil lässt sich einfach flüssig lesen und wie von meinen Vorlesern bereits angeführt, das mit dem Waldläufer :thumbup:
    Die ganzen Szenarien haben ihren ganz eigenen Stil und ich bin auch mal gespannt ob und wie sich das alles trifft 8o

    Ich bitte auch um mehr davon :super: