Prolog
Der Mann, der den Raum betritt, ist Mitte Vierzig, schlank, gepflegt und trägt eine schwarze Hornbille. Sie erscheint viel zu groß angesichts seiner schmalen Gesichtsform. Sie ist ihm nach vorn auf die Nasenspitze gerutscht. Da er keine Hand frei hat, schielt er über den Rand der Brille hinweg.
Schmale Lippen, eine gerade Nase, sein schwarzes Haar, das die ersten grauen Ansätze zeigt, hat er nach hinten gekämmt. Unter einem Arm trägt er mehrere Akten und einzelne Papiere, in der anderen Hand einen Kaffeebecher.
Ich sehe den feinen Dampf, der von ihm aufsteigt. Er stellt ihn vor sich ab, als er am Tisch mir gegenüber Platz nimmt. Dabei kratzt der Stuhl über den Fließenboden. Das Geräusch jagt mir eine Gänsehaut übers Rückgrat.
„Hallo Casey.“ Ich antworte nicht, das tue ich nie, stattdessen wandert mein Blick zu dem Kaffeebecher. Ich sehe den Dampf und kleine Wassertropfen am Becherrand. In ihnen spiegelt sich das Neonlicht der Leuchtstoffröhren an der Decke.
Ich mag dieses kalte Licht nicht, ebenso wie diesen Raum… Ich höre das feine Knacken und das Knistern der Deckenbeleuchtung, unterbrochen vom Kratzen des Stuhls als er hin und her rutscht. Ich schaue hinunter. Schwarz-weiße Fließen bedecken den Boden und erinnern mich an ein Schachbrett.
Der dumpfe Laut, als er die Akten ablegt und darin blättert, lässt mich wieder aufschauen. Sein tiefes Einatmen sagt mir, dass er gefunden hat, was er sucht. Blätter rascheln mit gerunzelter Stirn überfliegt er die Zeilen, ehe er aufschaut.
„Casey?“ Er hat die Finger ineinander verschränkt, sein Gesichtsausdruck ist ernst. „Wissen Sie, wo sie hier sind?“ Mein Blick schweift durch den Raum, registriert die mintgrün verputzten Wände. Die Tür und der längliche Spiegel daneben.
Außer dem kleinen Tisch und den beiden Stühlen gibt es kein Mobiliar in diesem Raum. Das große Fenster aus Glasbausteinen in meinem Rücken spendet etwas Tageslicht.
„Casey?“ Der drängende Tonfall sagt mir, dass er mich schon mehrmals angesprochen hat, ohne dass ich darauf reagiert habe. Ich richte meinen Blick auf ihn. Mit tief gerunzelter Stirn sieht er mich an, versucht in meinem Blick zu lesen.
Ich bin müde, unendlich müde… Das machen die Medikamente, die sie mir hier geben. Bunte Pillen, die mich beruhigen. Sie sollen mir helfen… wobei? Ich will keine Fragen mehr, mir kommt das alles überflüssig vor und ermüdend.
Mein Blick schweift zu dem Kaffeebecher zurück und ich höre sein resigniertes Seufzen.
„Casey, bitte schauen Sie mich an!“ Er wartet bis ich den Blick zu ihm hebe. „Wissen Sie wie Sie hierhergekommen sind?“ Ich runzel die Stirn und versuche mich zu erinnern, mich durch den Nebel in meinem Kopf zu kämpfen. Die blauen Augen des Manns lassen mich dabei nicht aus dem Blick. Ich habe das Gefühl, als wenn er tief in meine Seele schauen kann, in mein Innerstes. In die Dunkelheit, in das Grauen…
Bilder blitzen auf, nur Momentaufnahmen meiner Erinnerung… Bilder, die mir Angst einjagen. Der Schweiß bricht mir aus und mir ist eiskalt. Ich kauer mich auf dem Stuhl zusammen. Die Beine angezogen, dicht an den Körper vergrab ich mein Gesicht zwischen den angewinkelten Knien.
Versuche mich klein zu machen, unsichtbar, in der Hoffnung, dass Er mich nicht finden, mich übersieht. Nein!
Ich höre das Kratzen des Stuhls auf dem Fließenboden, als er aufsteht, den Tisch umrundet.
Nein! „Beruhigen Sie sich Casey. Alles ist gut! Sie sind in Sicherheit. Ihnen kann nichts mehr passieren…“
Nicht Anfassen! Nur nicht Anfassen! Schreit alles in mir. Doch das kann er nicht hören. Niemand kann mich hören!
Die Panik, die irgendwo in meinem Innern gelauert hat, tief vergraben, tritt an die Oberfläche. Der Stuhl fällt krachend um, als ich aufspringe, in die Ecke flüchte, mich zusammen kauer und wimmernd liegen bleibe.
Nicht Anfassen…