Ich bin nicht nett zu Maja
Danke für eure Kommentare. Sehr spannend, zu lesen, was ihr denkt.
@Alopex Lagopus: Ich weiß gar nicht mehr, wo Kandrajimo war. Ich brauchte nur eine Entschuldigung, warum er nicht vor Maja und Feodor stand und ihnen eine Standpauke hielt. Er kann ja durch die Verschiebung überall auftauchen. Vielleicht hatte er einfach keine Lust, genau das zu tun und hat sich deshalb irgendwo herumgetrieben, wo ihn niemand dazu überreden kann. Könne ich mir so vorstellen .
Einsamkeit
Maja lachte nicht mehr besonders lange, nachdem sie erst ins Hauptquartier zurückgekehrt waren. Tamor hatte bereits auf der Reise – die sie dick in von ihm mitgebrachte Decken eingemurmelt verbracht hatten – angedeutet, dass sie sich mächtig Ärger eingehandelt hatten. Und so war es auch. Kaum dass sie angekommen waren, stürzten sich zehn wütende Kamiraen auf sie, schimpften sie für ihr eigenwilliges und leichtsinniges Handeln aus und entzogen ihr fortan jegliche – wie sie es nannten – Privilegien. Im Klartext bedeutete das, Maja hatte Zimmerarrest und man erlaubte ihr nicht mehr, sich als Libelle auszugeben. Dass sie den Wald gerettet hatte, zählte überhaupt nichts, es schien alle nur noch wütender zu machen.
Sie sagten, Maja hätte sich auf keinen Fall einmischen dürfen und schon gar nicht ohne die Einwilligung der anderen Kamiraen. Sie befürchteten, dass Kock von nun an offen gegen Miriam kämpfen könnte. Als das Mädchen ihnen erklärte, dass Kock gar nichts machen würde, weil er nämlich Wurzeln geschlagen hatte, machte es das auch nicht besser. Laut Jonathan Niber war es eine Katastrophe:
„Wenn Kock nicht mehr da ist, dann muss sich der Großkönig ja einmischen. Und er wird überhaupt nicht begeistert sein, dass eine Kamiraen seinen Despriten attackiert hat.“
„Er hat uns zuerst angegriffen“, verteidigte Maja sich. „Auf Schattenschrei wollte er uns alle töten.“ Aber selbst sie beunruhigte der Gedanke, dass der Großkönig ihr die Sache übel nehmen könnte.
„Vielleicht findet er ja nicht heraus, was ich damit zu tun hatte“, meinte sie schließlich. „Vielleicht denkt er ja einfach nur, Kock wäre unter mysteriösen Umständen verschollen.“
Doch das zu glauben war mehr als zuversichtlich. Alle wussten, was sie damit zu tun hatte. Kocks Leute, die dem Feuer allesamt entronnen waren, hatten ihre Sprache nicht verloren. Die Geschichten erreichten Miriam fast schneller als Maja. Die meisten davon waren hoffnungslos übertrieben, aber alle sagten im Grunde dasselbe: Die junge Kamiraen hatte Basilius Kock in Brand gesetzt und den Wald gerettet, zusammen mit einer Armee von Waldgeistern. Das traf die Wirklichkeit nicht ganz, aber wenn es dem Großkönig zu Ohren kam, wäre er, das musste Maja einsehen, nicht gerade begeistert.
Alles in allem hatte sie jedenfalls Zimmerarrest und niemand hatte sich geäußert, bis wann dieser andauern würde.
Daran halten tat sie sich nicht. Es war Kandrajimo, der ihr den Schlüssel zu ihrem Zimmer gab, sodass sie es jederzeit verlassen konnte. Außerdem schaute er bei ihr vorbei, wann immer die Kamiraen eine Versammlung hatten, und sagte ihr wie lange diese andauern würde. Meistens machte sie dann einen Abstecher zu Karim und Jinna.
Kandrajimo, der ohne eine Erklärung für seine Abwesenheit noch vor Maja ins Hauptquartier zurückkehrte, war ebenfalls wütend auf sie gewesen, aber eher, weil sie sich selbst in schreckliche Gefahr begeben hatte. Dass sie den Wald gerettet hatte, schien ihn eher stolz zu machen. Jedes Mal, wenn jemand darauf zu sprechen kam, begannen seine Augen ganz seltsam zu leuchten.
Überraschend kam Tabeas Reaktion. Noch während alle Kamiraen auf sie eingeschimpft hatten, war sie an Maja vorbeigehuscht und hatte ihr breit grinsend „gut gemacht“ ins Ohr geflüstert. Nur Kandrajimo hatte es gehört. Er hatte daraufhin etwas irritiert die Augenbrauen hochgezogen. Maja war ebenso verwundert gewesen, denn von Tabea hatte sie bisher nur Kritik erfahren. Meistens dann, wenn sie etwas riskantes getan hatte und dieses Mal war sie schließlich ein besonders hohes Risiko eingegangen. Aber Tabea war unberechenbar und für Maja immer noch ein einziges Rätsel.
Die weißhaarige Frau unterrichtete sie weiterhin im Kämpfen, allerdings verlegten sie ihren Schwerpunkt nun auf den waffenlosen Kampf und übten in ihrem kleinen Zimmer. Maja war darin nur wenig besser als im Schwertkampf. Tabea beklagte sich jeden Tag lautstark über ihre Technik und wunderte sich darüber, dass sie sich nicht alle Knochen brach, alle Muskeln zerrte, alle Sehnen riss und alle Gelenke auskugelte. Sie versuchte verzweifelt, Majas Kampfstil ein wenig Struktur zu geben, doch immer wenn es ernst wurde, verfiel diese in ihre eigene, wirre Art zu kämpfen, was ihre Lehrerin beinahe zur Verzweiflung brachte.
„Wenn es doch klappt!“, sagte Maja, nachdem Tabea ihr nach einer Übung wieder einmal erklärt hatte, was sie alles falsch machte.
„Es klappt eben nicht“, entgegnete diese wütend. „Und jetzt hör auf, deinen Arm ständig so seltsam zu verdrehen. Das kann man ja nicht mitansehen.“ Sie machte ihr eine Schlagfolge vor und Maja versuchte sie nachzumachen, aber so wenig Lust wie sie hatte, ging es schon wieder schief und sie stieß sich das Bein am Bett an.
Das Problem war, dass in ihrem Zimmer eigentlich zu wenig Platz für diese Übungen war, aber man hatte Tabea strickt verboten Maja zu trainieren und sie war nicht bereit das Risiko einzugehen, mit ihr außerhalb dieses Zimmers erwischt zu werden. Maja hatte zwar vorgeschlagen, in die Kellergeschosse zu gehen, aber wenn dann ein Kamiraen vorbeikam, um zu überprüfen, ob sie noch in ihrem Zimmer war, würde alles auffliegen. Bis jetzt tat Tabea in solchen Fällen so, als würde sie ihr gerade irgendwelche Schriftzeichen beibringen.
Das allerdings tat Maja alleine und zwar immer dann, wenn Tabea nicht da war. Sie hatte es so satt gehabt, ständig nur die weißen Wände ihres Zimmers zu sehen, dass sie die weißhaarige Frau aus lauter Verzweiflung um ein paar Bücher gebeten hatte. Die – positiv überrascht – war in die Bibliothek gegangen und hatte alles mögliche zurückgebracht. Geschichten, Berichte, Texte über Tiere und Städte in der Welt ohne Namen. Maja hatte kreuz und quer darin gelesen, bis sie ein kleines Buch entdeckte, das in den fremden Zeichen geschrieben war, die sie schon einmal in der Bibliothek entdeckt hatte. Sie hatte Tabea gesagt, dass sie sie gerne lernen würde und diese hatte ihr weitere Bücher mitgebracht. Sie hatte ihr auch erklärt, dass in der Welt ohne Namen drei Schriften benutzt wurden. Zunächst einmal das lateinische Alphabet, das aus der anderen Welt mitgebracht worden war und für die meisten neueren Texte verwendet wurde. Außerdem verwendeten die Bewohner der Welt ohne Namen eine Schrift, dem lateinischen Alphabet sehr ähnlich, die aufgeschrieben ziemlich krakelig aussah, aber nicht so schwer zu lesen war. Tabea meinte, Maja sollte sich zunächst damit zufrieden geben, diese Schrift zu lernen. Denn die dritte Schrift der Welt ohne Namen war eine Silbenschrift und sie zu lernen würde länger dauern, denn sie folgte sehr komplizierten Regeln. Maja hatte jedoch die andere Schrift sehr schnell begriffen und so viel Zeit, dass sie es versuchte. Mit einem Übersetzungsbuch und einem beliebigen anderen Buch saß sie tagelang auf dem Boden zwischen ihrem Bett und ihrem Schreibtisch und versuchte die Texte zu entziffern. Sie wollte die Schrift nicht unbedingt schreiben können, aber lesen wollte sie sie. Nur ab und an nahm sie eine Feder und begann, ein paar Sätze aufzuzeichnen.
Feodor half ihr oft beim Lernen. Ihn hatte es nach ihrem gemeinsamen Abenteuer noch schlimmer getroffen als sie. Meister Wolf hatte im Krankenhaus gelegen, als sie wieder zurückgekommen waren, trotzdem hatte er Feodor keine fünf Minuten später durch einen Boten zu sich gerufen. Im Krankenhaus dann hatte der Zauberlehrling offenbar die Standpauke seines Lebens erhalten. Er hatte Zauberverbot bekommen, doch was ihn am meisten bedrückte war, dass Meister Wolf ihm mitgeteilt hatte, er sei sich nicht sicher, ob er ihn noch weiter unterrichten könne. Die Art, wie Feodor seine Magie gegen seine Mitmenschen eingesetzt hatte, konnte sein Meister ihm nicht verzeihen. Wolf war sich noch nicht vollkommen sicher, was für Konsequenzen er ziehen würde, aber Feodor kam Maja jedes Mal, wenn sie ihn sah, bedrückter vor. Was mit ihm passierte, wenn er keinen Mentor mehr hätte, traute sie sich gar nicht zu fragen.
Feodor verbrachte sehr viel Zeit in Majas Zimmer, doch wenn er ihr nicht gerade mit ihren Schriftzeichen half, war sie in seiner Gesellschaft fast so einsam wie ohne ihn. Er redete nicht und saß stundenlang auf ihrem Stuhl, die Arme auf der Fensterbank verschränkt und das Kinn darauf gelegt, mit starrem Blick in den Hof schauend. Sie fragte sich, warum er zu ihr kam, wenn er eh nicht mit ihr reden wollte. Vielleicht kam er her, weil sie beide gleich in der Tinte saßen. An das Zauberverbot hielt er sich übrigens nicht. Wenn er bei ihr war, verhexte er ständig kleinere Gegenstände, sodass sie durch die Gegend sprangen, anfingen zu schweben oder die Farbe wechselten. Doch das konnte Maja nach einer Zeit auch nicht mehr aus ihrer Langeweile reißen, oder aus ihrer Einsamkeit oder ihrem ständigen, drückenden Heimweh. Nichts konnte das.
Und während sie an die kahle, weiße Wand ihres Zimmers starrte, merkte sie, wie sich tief in ihrem Innern ein See der Wut füllte. Ein See, der schon lange da war und dem jetzt die letzten Abflüsse zugemauert worden waren. Ein paar Rinnsaale führten das Wasser noch ab, doch sie reichten lange nicht mehr. Während Maja Tag für Tag dasselbe tat, merkte sie, wie der Pegel immer und immer weiter anstieg. Sie suchte nach weiteren Abflüssen, fand jedoch keine und irgendwann wurde ihr klar, dass sehr bald ein riesiger Staudamm brechen würde. Doch was würde ein weiterer Zornausbruch nützen? Ändern würde sich nichts. Und da wurde ihr klar, dass sie abhauen musste. Wenn sie nicht für den Rest ihres Lebens hier eingesperrt sein wollte, musste sie die Initiative ergreifen. Sie musste selbst nach Hause gehen. Und wenn die Kamiraen das eine Tor versperrten, musste sie eben ein anderes benutzen. Sollte sie es nicht schaffen, würde sie sich nun mal in dieser Welt ein anderes Zuhause suchen. Alles war besser, als hier zu sein. Alles war besser, als bei den Kamiraen zu sein.
Von mir aus kann Dreizehn sie alle umbringen, dachte sie eines Nachts, als sie sich von einer Seite auf die andere drehte und sich ein Kissen über den Kopf zog. Würde es irgendwas bringen, ich würd ihm sogar helfen. Dann schüttelte sie sich. Nein, es war nicht gut, so zu denken. Sie dachte über die Feindschaft zwischen den Kamiraen und Dreizehn nach. Hatte ihr jemals jemand erklärt, wie es zu dieser Fehde gekommen war? Sie waren seit Ewigkeiten verfeindet, so viel wusste sie und man hatte ihr gesagt, Dreizehn wolle die Weltherrschaft oder so und die Kamiraen ständen ihm im Weg. Aber stimmte das? Konnte sie so einfach wissen, wer was wollte? Und plötzlich fing sie an zu zweifeln. Dreizehn und seine Leute töten Menschen, dachte sie. Aber wer sagte ihr eigentlich, dass die Kamiraen das nicht taten? Er entführt Leute aus seiner Heimat und sperrt sie einfach ein. Alma ist das perfekte Beispiel, was hat sie ihm getan? Aber sie selbst war das perfekte Beispiel, dass auch die Kamiraen es mit der Freiheit von anderen nicht so genau nahmen. Seine grünen Ritter verbreiten Angst und Schrecken. Ja, das taten sie und auch die schwarze Garde. Aber... Was ist mit der Schwarzen Garde? Sie sind in dein Haus eingebrochen, sie haben dich gejagt und wollten dich töten. Und das alles auf seinen Befehl hin. Und was ist mit Lil, die gehörte auch zu ihm. Auch Kock steckte mit ihm unter einer Decke. Das konnte man nicht leugnen. Und doch fand Maja in dieser Nacht keinen Schlaf mehr. Sie wusste, sie musste eine Entscheidung treffen. Sie konnte hier nicht länger bleiben. Sie musste ihren eigenen Weg gehen, wie auch immer der aussehen würde.