Auf der Suche nach der Schatulle von Daris

Es gibt 509 Antworten in diesem Thema, welches 123.438 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (16. April 2018 um 04:25) ist von TiKa444.

  • Die Sonne brannte heiß auf ihre Köpfe herab, während sie durch das endlose Grasland ritten. Eigentlich war es kein sonderlich heißes Gefilde, aber heute schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben. Jaris saß auf einem schaukelndem Gaul, der nach gutdünken den anderen Tieren nachtrottete, und versuchte angestrengt nicht herunterzufallen. Er war noch nie geritten. Sie hatten sich kein Pferd leisten können und wozu auch. Ihre gruppe bestand aus vier Männern. Zwei Wachen, wobei Jaris nicht entgangen war, dass eine von ihnen ihm ständig aufmerksame Blicke zuwarf, einem Mann in einen dicken schwarzem Mantel - er musste wohl der Dieb sein - gehüllt, der Jaris sich fragen ließ, wie jemand in so einem Aufzug die Hitze überleben konnte, und dann natürlich noch er selbst. Nach ein paar Stunden des unerbitterten Ritts trafen sie schließlich in einer Stadt ein, deren Schatten wundervoller nicht sein konnten. Geschäftige Stimmen klangen aus ihr hervor, obwohl sich bereits der späte Nachmittag näherte, und nachdem sie die Stadttore passiert hatten, waren sie mitten drin in dem bunten Treiben. Überall waren Leute, doch für die Pferde und vor allem für das Wappen der Wachen, bildeten sie Gassen und warfen den Reitern furchtsame Blicke zu. Jaris schämte sich unter diesen Reitern zu sein. Ein Vorteil hatte die Angst der Leute jedoch auch. Binnen weniger Minuten hatten sie ihr Ziel erreicht. Ein großes Haus, das zweistöckig über die anderen herausragte und sich mit frischer roter Farbe auf den Außenwänden aus dem Grau hervor stach. Auf dem Schild, das gut leserlich über der Straße hing stand "Zum roten Baron". Darunter war ein Bild eines Mannes in einer roten Robe zu sehen, der einen Dolch, dessen Klinge von dem selben Rot wie das seiner Kleidung bedeckt war, in der Hand hielt. Mit einem ungutem Gefühl im Bauch öffnete Jaris die Tür und trat ein. Sein Instinkt sollte Recht behalten. Überall verzierte das Wappen Zacharas die Wände und an den Tischen saßen einzig Männer in edlen Gewändern, auf denen überall die selben Wappen zu finden waren oder Wachen wie die, die Jaris begleiteten. Die dominierenden Farben waren Rot und Schwarz. Dementsprechend fiel Jaris auf, als er in seinem blauen Mantel eintrat, und die Blicke die er erntete waren keineswegs freundlich. Erst als seine Begleiter eintraten wandelte sich die Feindseligkeit in Misstrauen und niemand sagte etwas, als sie sich an einen der freien Rundtische setzten. Sofort kam ein Wirt herbei, der erst die Wachen, dann Jaris und dann den Dieb bediente. Alles mit einer öligen und schnarrenden Stimme. "Wie lange braucht ihr um die Sache zu erledigen?", fragte die eine Wache den Dieb. "Bevor es dunkel wird ein paar Stunden um die Gegend zu erkunden und das Ziel zu finden, dann ein paar Stunden um ... ähm ... zu beschaffen was ihr sucht", antwortete der Dieb, dessen Stimme der des Wirts in nichts nachstand, "Heute Nacht sollst du mich begleiten, vielleicht stellst du dich klüger an als diese schwertschwingenden Honochsen." Er sah Jaris an, während die Wachen empört aufjapsten. Der nickte nur und beugte sich vom Tisch zurück um dem Wirt Gelegenheit zu geben zugegebenermaßen appetitlich anregend duftende Teller vor ihnen abzustellen.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Thyra hatte den Wink von Theic verstanden und sich wortlos das Hühnchen und eine Schale geschnappt und sich wieder an den Tisch gesetzt.
    Dicht neben Jamir begann sie das Tier zu rupfen, damit die alte Frau ihr helfen konnte. An den besonders schwierigen Stellen wie unter den Flügeln bat Thyra sogar um Hilfe. Sie wusste natürlich wie man einen Vogel rupfte und welche Tricks man anwenden musste, doch sie merkte, das Jamir es genoss auf ihre alten und kranken Tage noch gebraucht zu werden.
    Sie spürte zwar, dass es Theic so gar nicht in den Kram passte, dass seine Oma nicht das Bett hütete, aber er ließ Thyra gewähren. Er schien auch das freudige Glänzen in den Augen seiner Großmutter gesehen zu haben.
    Als die beiden Frauen das Tier fertig gerupft hatten, kochte Theic es aus und mit den wunderbaren Dingen, die er auf dem Markt gekauft hatte bereiteten sie eine heiße Hühnerbrühe zu, die Jamirs Husten wenigstens ein bisschen lindern sollte.
    So ging ein weiterer Tag ins Land und irgendwann im Laufe der vielen Gespräche, in denen auch Theic zusehends auftaute, einigten sie sich darauf, dass Thyra noch einige Tage bleiben würde, um bei Jamir nach dem Rechten zu sehen, während Theic seinem Großvater in der Schmiede half.
    Es war eine lustige Runde, als schließlich auch Theics Großvater nach Hause kam. Draußen dämmerte es bereits als sich die Tür knarrend öffnete und ein Mann mit kurzem, weißem, und drahtigem Bart trat in die Stube.
    Er hängte seine schmutzige Schürze an einen Haken. Sie war aus Leder und von Brandflecken und kleineren Löchern übersät, die die aufstiebende Glut der Esse verursacht haben musste.
    Als er hereinkam und eine Fremde bei seiner Familie sitzen sah verengten sich seine Augen und er musterte Thyra misstrauisch. Aber Jamir lächelte ihn an und sofort trat ein liebevoller Ausdruck in die Augen des alten Mannes. Er eilte um den Tisch herum und gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange.
    „Das ist Thyra“, stellte Jamir ihren Gast vor. „Thyra, dass ist mein Mann Habger.“
    Habger lächelte nun doch und reichte Thyra eine Hand.
    „Schön dich kennen zu lernen. Sieht ganz so aus, als hätte die die Scheune gefallen?“, fragte er schelmisch.
    Thyra lächelte schüchtern. Die Ausstrahlung des Mannes war ihr nicht geheuer. Trotz seines Alters wirkte er stark. Seine sehnigen Muskeln traten unter dem schmuddeligen Hemd hervor und seine Augen, die ebenso dunkel waren wie die von Theic, wirkten autoritär. Dennoch schienen die Falten um seine Augen Lachfältchen zu sein.
    Hilfesuchend blickte Thyra zu Theic und er kam ihr zu Hilfe: „Sie hat Jamir heute ein wenig im Haushalt geholfen und weil sie ohnehin in einigen Tagen weiter zieht habe ich ihr angeboten die Tage bei uns zu bleiben.“
    „Ich hab sie liebgewonnen“, fügte Jamir an und tätschelte Thyra mütterlich das Knie. „Schade, dass sie uns bald wieder verlässt.“
    Thyra wurde die ganze Sache noch unangenehmer. Sie wollte nicht, dass Habger sich womöglich in seiner Stellung bedroht fühlte. Deshalb stand sie schnell auf und bot dem Mann ihren Stuhl an. Als er sich gesetzt hatte füllte sie eine Schale mit der dampfenden Suppe und stellte sie ihm vor die Nase.
    „Ich hoffe sie schmeckt Euch“, sagte sie vorsichtig.
    „So lange Theic seine Hände nicht im Spiel gehabt hat wird sie das sicherlich.“ Der alte Mann grinste sie frech an.
    „Oh nein. Ich hab geschnippelt und Jamir hat gewürzt“, beeilte sich Thyra zu sagen und zwinkerte Theic zu, der schon erbost die Hände in die Seiten gestemmt hatte.
    Dieser musste nun auch grinsen und sie setzten ihr Abendmahl gemütlich fort.
    Habger war anfangs genauso schweigsam wie Theic es gewesen war, doch Jamir und Thyra verstanden sich mittlerweile so gut, dass sie das Schweigen der Männer nicht weiter störte. Thyra genoss die Nähe der alten Frau, die sie so sehr an ihre eigene Mutter erinnerte und ihr so das Heimweh etwas nahm.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

    • Offizieller Beitrag

    Schon zeitig am nächsten Morgen hatte Theical mit seinem Großvater das Haus verlassen. Habger hatte ihn gebeten, ihn etwas in der Schmiede unter die Arme zu greifen, da sich sein Lehrling an einem der heißen Eisen verbrannt hatte und mit nur einer Hand war er keine große Hilfe.
    So verbrachte Theical seinen Tag bis zum Nachmittag damit, alle anfallenden Arbeiten zu erledigen, für die sein Großvater nicht die Zeit aufbringen konnte. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Auftrag eines Gastwirts. Dieser wollte neue Griffe und Schlösser für seine Türen, da die alten bei einer Schlägerei wohl zweckentfremdet wurden.
    Theical räumte also Werkzeuge zurück an ihre Plätze, legte an der Feuerstelle Holzscheide nach und bediente den Blasebalg, um die Glut auf Temperatur zu halten.
    Nebenher legte Theical das Eisen ins Feuer, drehte und wendete es ab und zu. Wenn es genügend glühte, rot, orange, an manchen Stellen fast weißlich, dann zog er es mit einer langen Zange aus dem Feuer und legte es zur Bearbeitung auf den großen Amboss. Habger nahm es ihm dann aus der Hand und begann es mit Schlägen zu malträtieren, bis es die von ihm gewünschte Form annahm.
    So ging es einige Stunden, bis - es musste bereits nach Mittag sein - der Sohn des Tischlers in der kleinen Schmiede erschien. Im Schlepptau hatte er die Stute der Familie.
    „Oh, Damiz, was gibt es?“, fragte Habger als er ihn bemerkte. Er hielt in seiner Arbeit inne und sah den jungen Mann fragend an. Ein leichtes Lächeln hatte sich auf seinen Lippen gebildet.
    „Mein Vater schickt mich. Ela hat ein lockeres Hufeisen. Er lässt fragen, ob Ihr Euch darum kümmern könnt.“ Damiz grinste breit. So wie er es immer tat. Nur selten sah man den blonden Jungen ohne. Theical war sich sicher, es lag wohl an seinem doch noch jungen Alter, dass er immer fröhlich durch die Welt zog. So war er sechs Jahre jünger, als Theical und hatte damit erst neulich sein zwanzigstes Lebensjahr geschnitten, aber bereits jetzt war er wesentlich kräftiger und größer als er.
    „Theic wird sich darum kümmern“, meinte Habger. Sein Blick streifte Theical. Dieser hatte das Gespräch bis eben stillschweigend beobachtet, nickte aber, auf den unterschwelligen Befehl seines Großvaters hin. Er ließ von seiner Tätigkeit ab und schritt auf die Stute zu.
    „Lang nicht mehr gesehen, Theical“, freute sich Damiz, als er neben ihm stand. „Lust mal wieder eine Taverne unsicher zu machen?“
    Theical musterte den Jungen. Zwar genoss er des Öfteren die Anwesenheit des Jüngeren in einer Absteige, aber da er ihn schon jetzt um sich herum hatte, brauchte er ihn nicht auch noch am Abend. Zu viel Naivität tat weh.
    „Welcher Huf?“, fragte er also, ohne auf Damiz' Vorschlag einzugehen. Stattdessen wandte er sich geschäftsmäßig dem Tier zu.
    „Rechts hinten.“ Damiz sprach, als hätte er die fehlende Antwort auf seine Frage nicht bemerkt. Unbekümmert.
    Theical umrundete die Stute, klopfte ihr einmal sachte den Hals und hob dann das Bein an. Tatsächlich waren zwei der Nägel gebrochen, weshalb das Eisen ein wenig am Huf wackelte. Er ließ das Bein des Tieres wieder los. Das würde nicht sehr lang dauern. Unter den Augen seines Großvaters und Damiz‘ führte Theical die Stute in die Werkstatt und hängte sie dort an einen kurzen Strick. Das alte Eisen stemmte er ab und legte es in die Glut, damit es weich wurde und er es bearbeiten konnte. Danach entfernte er die Nägel und schabte die Unterseite des Hufes etwas ab.
    Als das Eisen weich genug war, nahm er es aus der Flamme und brachte es auf einem zweiten, etwas kleineren Amboss in Form. Da Theical wesentlich weniger Kraft aufbringen konnte, als Habger mit seiner Muskelkraft, dauerte diese Prozedur dementsprechend etwas länger. Doch weder Damiz noch sein Großvater sagten etwas dazu. Habger war einfach froh, dass ihm jemand half und der Tischlers Sohn, dass jemand den Auftrag seines Vaters erledigte.
    Kurze Zeit später war das Tier auch schon neu beschlagen. Damiz bezahlte und betonte vor seinem Verschwinden noch einmal, dass er sich freuen würde, wieder mal etwas mit Theical zu trinken.
    „Vielleicht irgendwann mal, aber nicht heute“, redete sich dieser aus der Affäre. Damiz senkte den Kopf, gab sich aber zufrieden, verabschiedete sich grinsend und verschwand.
    Kaum, dass Damiz die Schmiede verlassen hatte, ließ sich Theical erschöpft auf dem Amboss sinken. Er schwitzte und das Kreuz tat ihm weh. So gern er seinem Großvater half, Schmied würde er in seinem Leben niemals werden, dafür fehlte es ihm an angeborener Kraft und Größe.
    „Ich wäre fertig. Kannst du die neuen Türgriffe zum Wirtshaus bringen?“, fragte Habger. Dieser saß ebenfalls auf seinem Amboss und gönnte sich augenscheinlich auch eine kurze Pause. Theical nickte einmal und erhob sich dann von seinem Platz. Laufen lag ihm um einiges mehr, als Gewalt auf einen Gegenstand auszuüben, der sich nicht einmal wehren konnte.
    „Zu dem am Markt?“
    Nun war es an Habger zu nicken. „Genau. Ich habe gesagt, dass ich heute noch jemanden vorbeischicken werde. Es ist abgesprochen, dass du die Griffe direkt anbringst.“
    Habger reichte Theical die neuen Griffe und die dazugehörigen Nägel in einem Lederbeutel. Dieser nahm es an.
    „Ist gut. Ich kümmere mich darum.“
    Habger wandte sich bereits wieder seiner Arbeit zu.
    „Und ich kümmere mich unterdessen um die Nägel für den Schuster, wir treffen uns dann daheim.“
    Theical wunderte sich für einen Moment über die Worte. Es war gerade einmal später Nachmittag, normalerweise machte sein Großvater nicht vor Sonnenuntergang Schluss. Das war seltsam. War ihm Thyra noch immer unsympathisch und er wollte Jamir in Sicherheit wissen? Wobei, der vergangene Abend hatte augenscheinlich auch ihm gefallen. Es war wohl eher so, dass er Thyra nicht ewig mit der sturen, alten Frau allein lassen wollte. Es war immerhin schwer zu sagen, inwieweit die junge Frau in der Lage war, Jamir an der Hausarbeit zu hindern.
    Theical lief raus aus der Schmiede, durch verwinkelte Seitengassen und betrat nach kurzer Zeit die breite Straße, die direkt zum Markt führte. Kein Wunder, dass sich selten zahlende Reisende in die Schmiede seines Großvaters verirrten. Fremde würden die abgelegene Gasse wohl nur durch Zufall entdecken.
    Wie Theical die breite Straße entlang lief, hörte er hinter sich das Hufgetrappel einiger Pferde. Sofort bildeten die Menschen um ihn herum eine kleine Gasse. Auch Theical zog sich zurück, tauchte dank seiner Größe in der Masse völlig unter.
    Ein kleiner Reitertrupp, bestehend auf vier Männern, durchritt die entstandene Schneise zwischen den Stadtbewohnern. Erhobenen Hauptes ritten zwei Wachen vornweg, dahinter ein Mann in schwarzem Mantel und einer in einem blauen Umhang. Wobei letzterer sich in seiner Haut nicht sehr wohl zu fühlen schien. Sein Blick ging gerade aus, auf den Rücken der Wachen, als wollte er die Blicke der Leute ignorieren und doch kam es Theical so vor, als würde der Mann die breite Masse aus seinen Augenwinkeln beobachten. Reiten schien ihm ebenfalls nicht zu liegen. Verkrampft saß er auf dem Tier, das gemütlich den anderem nachtrottete.
    Merkwürdiger Trupp, überlegte er. Dann zuckte er aber die Schultern. Merkwürdige Gestalten sah man in der Stadt öfters. Da war nichts Seltsames dran.
    Er folgte also weiter der Straße bis zum Wirtshaus „Zum goldenen Eck“.
    Dort wurde er schon von einer dürren Frau mit knorrigen Fingernägeln erwartet. Ungeduldig zeigte sie ihm die Türen, die betroffen waren. Vier waren es. Einmal die Tür von draußen herein, zwei Zimmertüren und auch diejenige, die den Schankraum von den Zimmern trennte. Neue Türen waren bereits eingebaut, nur die Schlösser und Griffe fehlten noch. Rätselhaft war es jedoch, warum die Wirtsleute den Einbau eben dieser nicht direkt vom Schreiner mit erledigen ließen. Aber letztendlich war es auch egal, wer von beiden nun der Auftraggeber war, die Griffe und Schlösser mussten so oder so angebracht werden.
    Perfekt passten die neuen Griffe an die Türen und so dauerte es auch nicht lang und Theical war mit seiner Arbeit fertig.

    Schon von weitem erkannte Theical den Schein der Kerzen und der Feuerstelle durch die Fenster des kleinen Hauses. Und als er dieses betrat, saßen Thyra und Jamir am Esstisch und unterhielten sich, ebenso wie am Tag zuvor. Von Habger war jedoch noch nichts zu sehen.
    „Willkommen zurück“, meinten die beiden Frauen. „Wir haben Essen gemacht.“
    Thyra sprang sofort auf und füllte eine Holzschüssel mit Brei, dann zerrte sie den überrumpelten Theical bis zum Tisch. Vor ihm stellte sie das Essen ab. Im gleichen Moment trat Habger durch die Tür. Auch er wurde begrüßt und bekam freudestrahlend eine Schüssel vorgesetzt.

  • Nachdenklich lief Zacharas allein in seinem Arbeitszimmer herum, die Regale schweigend abzählend. Er suchte was bestimmtes. Ein ganz spezielles Buch, welches nur er wahrnehmen konnte. Es war kein außergewöhnliches Buch, mit irgendwelchem mächtigen Wissen. Es war ein normales Buch, nur sehr unscheinbar und klein, kaum dicker wie seine Hand breit war.
    Unzählige Runden ging er und noch mehr Gedanken brachte er dafür auf, dieses Buch zu finden. Zu selten nahm er es zur Hand. Eigentlich immer nur dann, wenn ein neues Pergament der Daris-Saga hinzukam.
    Stille herrschte, so leise, wie es das Nichts nur sein konnte. Sie war nicht nötig um das Buch zu finden, aber nötig um das Wissen geheimzuhalten. Niemand sollte und durfte Zacharas bemerken. Nicht einmal Paulus, sein treuester Untertan. Tastend und tippelnd streifte er mit seinen Fingern über die verstaubten Bücher und zählte sie einzeln ab. Als würde er eine Geschichte erzählen, murmelte er die Buchtitel vor sich hin und ließ sich den Inhalt Revue passieren.

    “Endlich”, flüsterte er leise in die Leere des Raumes hinein. “Hier ist das Buch.”
    Vorsichtig nahm er es heraus und trug es behutsam zum Tisch hinüber. Der Einband setzte schon leicht Schimmel an. Zum Glück würde es bald seine Dienste getan haben und letztendlich dem Kamin zum Opfer fallen können. Nicht, dass er jemals ein Buch oder ein Schriftstück verbrannt hätte. Das würde niemals in Frage kommen.
    Aber dieses Buch wurde extra nur für einen Zweck aufgenommen, in seine Sammlung. Um es als Aufbewahrungsort für exotische und geheime Dokumente zu nutzen. Das Buch war nämlich leer und besaß keinen Titel.
    Die unbeschriebenen Seiten waren schon leicht porös und fielen teilweise sogar aus dem Einband. Exakt in der Mitte lag das Pergament, welches seiner Meinung nach das wichtigeste von den Sechsen war.
    Sorgfältig legte er es flach auf den Tisch und rückte Kerzen und Tintenfässchen etwas beiseite. Nichts sollte dieses antike Schriftstück besudeln oder unbrauchbar machen. Es war so schon kaum lesbar und stark rissig.
    “Die Katakomben von Haemostu. Der Wächter von Haemotsu.”
    Sein Finger kreiste über das Pergament und er las leise den alten Text, welcher der Feder eines an Schwachsinnigkeit und Malaria erkrankten stammen konnte.
    “Acrylon, der Wächter der Gestirne. Tief unter den Mauern von Haemotsu befindet sich das Grab des Herrschers, welcher zu Lebzeiten keine Ruhe suchte und nach dem Tode keine fand. Zwei Eingänge, kaum zu erspähen, schwer zu deuten. Die Katakomben, erschaffen, um das zu begraben, was nicht gefunden werden soll, erstrecken sich über ganz Haemotsu. Fünf Ebenen, mit tausend Wegen und tausend Fallen.”

    Er holte die anderen vier Pergamente hervor, welche er auf den Stapeln der Tisches liegen hatte. Leicht überlappend bildeten sie, wenn vollzählig, ein Hexagon. Der Text war spiralförmig zu lesen. Jedes Pergament besaß nur halbe Sätze, welche durch die benachbarten fortgeführt wurden. Dort, wo sie sich überlappten, befand sich jeweils ein Symbol. Die Bedeutung konnte er bis jetzt nur grob erahnen. Drei Theorien hatte er dazu. Sechs Symbole, wie es auch sechs Elemente gab. Oder sechs Orte, welche sich in Haemotsu oder der Umgebung befanden. Die dritte Theorie besagte, dass es sich um sechs Prüfungen handelte.
    Er hoffe inbrünstig, dass es nicht die dritte sein würde.
    Jedes Pergament beherbergte zusätzlich noch einen kurzen Text mit spezifischem Inhalt. Und in der Mitte verbarg sich eine Karte, die ebenfalls erst durch das Zusammenführen der sechs Pergamente ein klares und richtiges Bild ergab.
    Zuerst dachte er, es gäbe nur zwei oder drei Schriftstücke, da diese auch schon eine eigenständige Karte darboten. Doch der Text machte keinen Sinn.
    “Schlau”, sprach er jedesmal, wenn er sich diese zurechtlegte. Falsch angeordnet, ergaben sie Sätze zwar auch noch Sinn, aber die Karte wäre unbrauchbar. Die Frage war nur, wie die richtige Anordnung war.
    Lange grübelte er nach und friemelte herum. Und er war sich einig, dass es ohne das letzte Stück nicht ging. Ebendessen war er so besessen darauf, es in seine Hände zu bekommen.
    “Die Pergamente von Daris. Die Geheimnisse von Daris. Das Grauen lauert in den Tiefen der Gräber, ohne Rast und Ruhe. 256 Schritte zeigen das Ziel.”

    “Vor Acrylon sei der bewahrt, welcher weder tot noch lebendig ist, sich dem Kampf stellt aber niemals zur Waffe greift, das Ende der Welt erspähte und den Sprung wagte. 8 Schritte zeigen das Ziel.”

    “446 Zeichen aus Gold. 2 Schritte zeigen das Ziel.”
    Egal wie oft er sich es auch durchlas, er kam nicht auf die Lösung des Rätsels. Das Geheimnis musste im letzten Pergament geschrieben stehen. Jetzt ruhte all seine Hoffnung auf Jaris. Es würde sich schon bald zeigen, ob er es wirklich würdig war, Arass´ Leibwächter zu sein.

  • Dunkelheit lag über den schmalen Gassen. Der Atem bildete weiße Wölkchen und stieg zum sternenlosen Himmel hinauf. Noch immer vernahm man hier und da Stimmen, hier und da Schritte, hier und da sogar Schreie, doch das alles war fern von ihnen, dem Dieb, der voran schritt und in seinem schwarzem Gewand mit der Umgebung verschmolz und Jaris, der sich mühte ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Augenscheinlich wusste der Hofgauner von Zacharas genau wo er hingehen musste. Einige Augenblicke später standen sie vor einer kleinen Hütte. Genau wie die Behausung der dubiosen Frau, die Zacharas so wichtig war, war sie größer als das in dem Jaris aufgewachsen war und immer noch kleiner als das, in dem ein Mensch zu leben verdiente. Dergleichen tiefgründige Fragen beschäftigten den Dieb nicht als er die Tür mit einem der unzähligen Dietriche öffnete, die in seinen Taschen verborgen waren, und nach dem ertönenden Quietschen kurzem horchen eintrat. Jaris folgte ihm und hielt den Atem an, als er die beiden schlafenden Gestalten, die sich ein Bett an der gegenüberliegenden Wand teilten, erblickte. Zu seiner Erleichterung schlief er tief und fest. Der Mann sah trotz seines vom Alter gezeichneten Gesichts stark und vital aus, die Frau daneben jedoch wirkte ausgezehrt und ihre kränklich graue Haut ließ nichts Gutes vermuten. Ihr Atem ging schwach und unregelmäßig. Ohne Hilfe und vor allem Geld hatte sie wohl nicht mehr lange zu leben. Aber hatte die verletzte Wache nicht etwas von einem jungen Mann gesagt? Waren sie womöglich in der falschen Hütte gelandet? Dann jedoch ertönte von oben, eine kleine Leiter, die man auf dem ersten Blick leicht übersah, führte in die Decke herein, ein Rascheln. "Das muss er sein", dachte Jaris und hoffte in seiner schweren Rüstung nicht hochklettern zu müssen. Die Leiterstiege wirkten nicht sonderlich stabil und das letzte was er wollte, war mit lautem Krachen auf dem Holzboden zu landen und die gesamte Umgebung aufzuwecken. Er hatte jedoch Glück und der Dieb fand einen zerschlissenen Mantel neben der Tür und nach kurzem Tasten hielt er bereits mit triumphierenden Lächeln ein Dokument in der Hand, dass alt und auch kostbar aussah. "Das war ja genauso leicht wie gedacht", flüsterte der Dieb und steckte das Dokument in seine Manteltasche. "Wieso sollte ich dann überhaupt mitkommen, wenn du dir so sicher warst", fragte Jaris. Sein Gegenüber grinste, als hätte er auf diese Frage gewartet. "Weil du mir helfen musst die Wachen abzuhängen", antwortete er und ein verschlagenes Blitzen trat in seine Augen. Jaris sog überrascht die Luft ein, was das anliegende Bett sofort mit einem leisen Stöhnen kommentierte. Einen Augenblick lang hielten beide den Atem an, doch der alte Mann drehte sich nur und legte im Schlaf einen Arm schützend über seine Frau. "Was meinst du damit", wollte Jaris wissen, auch wenn er die Antwort längst zu kennen glaubte. "Ich habe einen Käufer für dieses nutzlose Blatt Papier", bestätigte der Dieb seine Vermutung, "Ich weiß nicht, wer es ist und ob er ernsthaft daran interessiert ist oder Zacharas nur eins auswischen will, aber er zahlt gut. Viel besser als es selbst ein Diamantenschöffelnder Herzog ." Jaris hielt einen Moment in seiner anfänglichen Verwirrung inne und dachte nach. Dem Herzog in die Suppe zu Spucken schien verlockend, ganz abgesehen von dem Zubrot, sowie dem wahrscheinlichen Ende seiner Dienste für Zacharas, und doch fühlte es sich wie Betrug an. Außerdem glaubte er nicht an die Treue des Diebes, der vor ihm stand, und vermutlich würde er ausgetrickst werden, sobald er nicht mehr nützlich war. Und da war noch immer dieser Name, der auf dem anderem Pergament zu lesen gewesen war. Irishmir. In seinem Kopf pochte diese Frage noch immer unablässig auf der Suche nach einer Antwort wo keine war und die er ohne Hilfe bestimmt nicht finden würde. Lächelnd näherte er sich dem Dieb wie um in die hingehaltene Hand einzuschlagen. Er tat es auch doch griff er gleichzeitig zu, drehte sie, sodass der Dieb sich mit ihr drehen musste, und legte seinen freien Arm um den dargebotenen Hals. Kein Laut drang aus den aufgerissenem Mund. Jaris wartete bis der Dieb das Bewusstsein verloren hatte und ließ ihn dann vorsichtig zu Boden gleiten. Er begann wieder zu Atmen, doch seine Augen blieben geschlossen. Schnell fischte Jaris das Pergament aus der Manteltasche und wollte sich schon zum Gehen abwenden, als er zögerte. Noch nie hatte er Menschen ohne Zwang bestohlen, denen es zudem noch schlechter als ihm ging. Selbst wenn sie nichts von dem Wert des Dokuments wussten, ansonsten hätten sie es nicht so unzureichend aufbewahrt, kam es ihm doch vor, als nähme er der Familie alle Hoffnung auf ein besseres Leben. Dann hatte er eine Idee, die vielleicht allen half, jedoch auch allen, einschließlich ihm, das Leben kosten konnte. Ganz besonders ihm. Mit einem Seufzen sah er sich kurz in der Hütte um bis sein Blick auf einen kleinen Stapel Papier fiel, auf dem eine Handvoll Kohlestifte lag. Bemüht, das Pergament nicht zum Knistern zu bringen, nahm er sich eines herunter und dazu noch eines der Schreibobjekte. Im Schein des wenigen Lichtes, das durch den Spalt der geöffnete Tür fiel, schrieb er mit krakeliger Schrift:

    Dieses Dokument ist zuviel wert, als das ihr es einfach hier zerfallen lassen solltet, zumal es wohl vorher gestohlen wird, wie ihr am Beispiel des Überbringers seht. Bringt es zum Hofe Zacharas van Júmen. Er wird gut dafür Zahlen. Nimmt es nicht mit in seinen Palast bevor ihr das Geld erhalten habt und sieht zu, dass ihr jemanden mitnehmt der sich und euch verteidigen kann. Zögert nicht, sonst folgen weitere, denen weniger an eurem Schicksal und möglicherweise auch eurem Leben liegt. Erwähnt mich nicht vor dem Herzog oder einem seiner Getreuen. Ich wünsche euch viel Glück. Dies ist eure einzige Möglichkeit.

    Er legte das von ihm beschriebene Blatt und das so wichtige Dokument auf die Brust des bewusstlosen Mannes und trat zur Tür. Ein letztes Mal blickte er zurück, sag die schlafenden Alten und die spärliche Einrichtung und hoffte, das Richtige getan zu haben. Bevor er hinausging stieß er fest gegen den Schrank neben der Tür, der sofort, Morsch wie das Holz aus dem er bestand war, zusammenbrach. Schließlich konnte er nicht riskieren, dass der Dieb vor den restlichen Bewohnern erwachte. Dann glitt er auf die Straße, trat ein paar Schritte zurück und blieb wartend stehen. Von Innen waren Geräusche zu hören und dann ein Schrei, bei dem auch Jaris zusammenzuckte. Er hoffte, dass die alte Frau keinen Herzinfarkt erlitten hatte, hörte jedoch kurz darauf eine Stimme, die so schwach war, dass sie nur ihr gehören konnte, und zugleich eine kräftigere tiefere antworten. Er konnte jedoch keines der Worte verstehen. Dazu waren sie zu leise. Plötzlich als er gerade davoneilen wollte ertönte das Quietschen einer Tür, deren Scharniere nicht richtig geschmiert waren. Rechts neben ihm war eine junge Frau von vielleicht 19 Jahren aus einer winzigen Scheune, die nicht ersichtlich machte, ob sie zu der rechten oder linken Hütte gehörte, getreten. Sie war schlank, aber athletisch, und ihr braunes Haar fiel ungebändigt auf ihren Rücken herab. Sie trug eine schwarze Lederhose und ein Hemd, dessen Farbe in der Nacht wie Blut wirkte. Das schwache Licht des Mondes reflektierte sich in ihren Augen, die sich misstrauisch zusammenzogen als sie ihn erblickten. Vor allem bemerkte er aber das lange Messer in ihrer rechten Hand, das silbern glitzerte. Schnell zog er die Kapuze über den Kopf und wandte sich zum gehen. Er hoffte, dass sie ihn für einen Passanten hielt, den nur der Schrei zum Anhalten bewegt hatte, konnte ihren Blick jedoch auf sich liegen spüren bis er die nächste Ecke passierte. Außer Sicht schritt er weiter aus und hielt befreit von einer drückenden Last auf die Taverne zu. Er hatte das Gefühl tatsächlich einmal das Richtige getan zu haben.

    Nach ein paar Metern und einige Ecken weiter hörte er jedoch den Klang eiliger Schritte hinter ihm. Sein Magen zog sich unheilsbewusst zusammen. Er beschleunigte und bog in die nächste Seitengasse ab. Nach wenigen Augenblicken erschienen vor ihm wie aus dem Nichts zwei weitere Männer. Beide trugen Mäntel, die fast so dunkel wie die des Diebes waren, und in ihren Händen schimmerten Messer. Die Gesichter waren lagen im Schatten, doch er konnte sich das gierige Funkeln in ihren Augen, die ihn wohl taxierten, denken. Er wollte umkehren doch der ursprünglicher Verfolger hatte ihm bereits den Weg abgeschnitten. Mit grausamen Grinsen kamen die Straßenräuber von beiden Seiten auf ihn zu. Unbehaglich sah sich Jaris um. Seine Magie könnte er kaum nutzen. Die Lichtblitze würden vermutlich das ganze Viertel auf den Plan rufen und er wollte nach der Begegnung mit der Frau nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Stattdessen zog er mit einem metallischen Scharren sein Schwert aus der Scheide und einen Moment lang blitzte Unsicherheit in den Augen des ihm nächsten Mannes auf. Er schritt jedoch unverändert auf ihn zu. Ohne ein Wort zu sagen stach er auch zu, kaum dass er in Reichweite gekommen war, und hoffte wohl Jaris zu überraschen. Der parierte die Klinge jedoch mit seiner und zog sie und ihren Träger mit einer Bewegung seines Unterarmes an ihm vorbei um dann schnell wie eine Schlange zuzustechen. Die Klinge bohrte sich in die Muskeln des rechten Arms seines Gegenübers und der wütende Schmerzensschrei wurde von dem Klirren des Messers begleitet, das auf dem Pflaster aufschlug. Gewandt wie eine Katze wandte Jaris sich um und schlug dem Mann hinter sich die Waffe aus der Hand. Aus dem Augenwinkel sah er noch das Aufblitzen einer Klinge und er wich in Richtung des Entwaffneten zurück. Doch während er diesem seinen Schwertknauf an die Schläfe donnerte, spürte er glühenden Schmerz in seinem linken Unterarm. Noch im Umwenden traf er seinen Peiniger mit dem Ellenbogen am Kopf. Ein letztes Mal ertönte das Geräusch eines auf dem Pflaster aufschlagenden Körpers, dann war Stille. Mit einem leichtem Fluchen schob Jaris sein Schwert in seine Scheide zurück, nachdem er es an dem Mantel des wimmerenden Mannes, dessen linke Hand auf der Wunde im rechten Arm lag, abgewischt hatte und betrachtete die Veretzung. Der Schnitt war nicht tief, aber lang und schmerzhaft. Das ursprüngliche Ziel war wohl der Rücken gewesen, trotzdem schallt er sich für seine Langsamkeit. Auch wenn er zugeben musste, dass es ihm in seine Karten spielte.

    "Hast du einen Beweis", grollte der bullige Mann, den Umhang mit dem Wappen trotz der späten Stunde noch über den Schultern. "Er hat mich mit seinem Messer erwischt bevor ich ihn überwältigen konnte", behauptete Jaris und zeigte ihm die Wunde an seinem Arm, die mittlerweile zu Bluten aufgehört hatte. "Lasst mich mal sehen", sagte die andere Wache, die neben ihrem Kollegen viel kleiner und ungefährlicher wirkte, als sie eigentlich war. In der Stimme lag jedoch Mitgefühl, das Jaris hoffen ließ. Immerhin war der Mann selbst mit einer Verletzung aus dieser Stadt heimgekehrt. "Niemand lässt hier irgendwen sehen", brüllte der andere und präsentierte bei jedem Wort seine gelben Zähne, zwischen denen noch immer Essensreste steckten, "Nicht bevor seine Unschuld bewiesen ist." "Ich sagte euch doch was geschehen ist", rief Jaris verzweifelt, "Der Dieb hat mich betrogen. Er hat uns alle betrogen. Ich habe mich geweigert ihm dabei zu helfen und wir kämpften am Schluss, wie ihr deutlich sehen könnt. Habt ihr außerdem schon einmal etwas von Unschuldig bis die Schuld bewiesen ist gehört?" Die Wache überging letzteres. Jaris bezweifelte auch, dass dies in einem Staat der von Zacharas regiert wurde ein Leitsatz war. "Ist der Dieb tot und hast du den Wisch?", fragte sein Gegenüber stattdessen halb verärgert halb hämisch. "Zweimal nein", gab Jaris zu, "Der Kampf hat den Rest der Hütte und vermutlich auch den Rest des Viertels aufgeweckt. Ich musste verschwinden bevor ich dem Dieb das Leben oder das Pergament nehmen konnte." "Du lügst doch", antwortete der so nah vor ihm riesenhaft wirkende Mann und er spürte seinen fauligen Atem in seinem Gesicht. Den Fehler jetzt einzuatmen machte er nicht. Die Wache lehnte sich nach ein paar Sekunden intesiven Studiums seines Gesichts zurück und Jaris wagte endlich wieder Luft zu holen. Der Mann vor ihm legte die schwieligen Finger jedoch um den Lederumwickelten Griff seines sowohl zu seiner Statur als auch Brutalität passenden Schwertes, was Jaris erneut den Atem raubte. Vielleicht würde er ihn überwältigen, vielleicht auch seinen Kameraden, doch die Taverne war voll von Wachen ihres Schlages, der Schankraum trotz der späten Stunde noch brechend voll und auch wenn ihnen momentan keiner Aufmerksamkeit schenkte, der Anblick sich anbrüllender Männer war hier wahrlich keine Seltenheit, bei einem gezogenem Schwert würde man es tun. Die Klinge blieb jedoch vorerst in der Scheide, denn die kleinere Wache zog die andere in eine unbevölkerte Ecke des Raumes und redete wild gestikulierend auf ihn ein. Ein paar Sekunden später, Jaris waren sie eher wie Minuten vorgekommen, kehrten beide zu ihm zurück. Immerhin, bemerkte Jaris, hatte der Mann die Hand vom Schwert genommen. An den durchdringenden Blicken, die nur Tod und Verderben wünschten, änderte diese Tatsache jedoch nichts. "In Ordnung Spatzenhirn", sagte er schließlich, "Wir glauben dir. Vorerst. Allerdings musst du dem Herzog selber von deinem Scheitern berichten." Ein triumphierendes Grinsen, in das alle Boshaftigkeit gelegt war, die der Mann wohl aufzubieten in der Lage war, breitete sich auf dessen Gesicht aus und Jaris überkam plötzlich ein mulmiges Gefühl. "Er hat allen Grund sich zu freuen", dachte Jaris, "Zacharas wird mich zu Kleinholz verarbeiten." Aber dies war ein Risiko, was er einzugehen bereit gewesen war, als er das Dokument bei dieser Familie gelassen hatte, und so brachte er ein feixendes Lächeln zustande. "Du meinst unserem Scheitern", betonte er, "Immerhin hast DU diesen Dieb ausgewählt und dich für ihn verbürgt, oder?" Und mit diesen Worten drehte er sich um und ließ auf dem Weg in sein Zimmer, dass zu seinem Missfallen größer als der gesamte Wohnraum war, den er heute "besucht" hatte, die Wachen hinter sich, die ihm ratlos hinterherblickten.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Thyra schreckte hoch.
    Verschlafen rieb sie sich die Augen und dachte sie hätte sich den Lärm bloß eingebildet, doch als sie leise Schritte vor ihrer Schlafstatt hörte war sie auf einmal hellwach.
    Ohne weiter nachzudenken raffte sie sich auf und stolperte nach draußen. Mit einer Hand riss sie das Messer aus ihrem Gürtel.
    Sie wusste, dass es mehr eine leere Drohung war, konnte sie mit dem Messer zwar häuten, hatte aber noch nie einen Menschen getötet, aber das war ihr egal.
    Als sie nach draußen trat sah sie eine dunkle Gestalt, die Theics Haus beobachtete.
    Im fahlen Licht des Mondes konnte sie kaum etwas erkennen. Sie glaubte eine Rüstung funkeln zu sehen und einen blauen Umhang, doch ehe sie den breitschultrigen Mann genauer ansehen konnte zog er auch schon seine Kapuze über den Kopf und verschwand im Dunkel der Gassen.
    Kurz spielte sie mit dem Gedanken ihm zu folgen, doch ohne ihre Bogen würde sie nichts ausrichten können, außerdem trug er ja eine Rüstung.
    Das Stimmengewirr aus dem Inneren von Theics Haus riss sie aus ihren Gedanken.
    Nach kurzem Zögern und misstrauischem Blick in die Richtung in die die dubiose Gestalt verschwunden war, wandte sie sich ab und beeilte sich in die kleine Hütte zu kommen.
    Die Tür stand auf und als sie eintrat stolperte sie beinahe über eine Gestalt, die ganz in schwarz gekleidet am Boden lag.
    Der Man stöhnte und rieb sich den Kopf. Als ihn Thyra anblickte konnte die Frau in den Augen des Mannes keine Angst, sondern nur Verschlagenheit lesen.
    Mühsam richtete der Mann sich auf und kam taumelnd auf sie zu. Sie selbst war unfähig vor ihm zurückzuweichen. Er war groß und viel stärker als sie. Angst nagelte ihre Füße an den Boden der Hütte.
    Mit brüchiger, aber deswegen nicht weniger bedrohlicher Stimme, sagte der Einbrecher: „Aus dem Weg oder ich töte dich!“
    Mit diesen Worten zog der Mann ein Messer aus seinem Umhang. Zwei Blätter pergament purzelten von seinem Bauch und flogen sanft wie Federn zu Boden. Weder Thyra noch ihr Gegenüber schenkten ihnen Beachtung. Drohend kam der Mann auf sie zu und nun kam sie ihrerseits auf die Idee ihr Messer hochzuhalten.
    „Oho, die Kleine will käm-“ Ein Paukenschlag unterbrach den Satz des Mannes und er ging abermals bewusstlos zu Boden.
    Hinter der Gestalt kam Habger zum Vorschein, eine große, gusseiserne Bratpfanne in der Hand.
    „Da sag nochmal einer, nur Frauen können mit sowas umgehen“, schmunzelte er mit der Situation völlig unangebrachtem Humor.
    „Geht es dir gut?“, wandte er sich dann an Thyra. Diese nickte bloß. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
    „Was wollte er?“, fragte Jamir, die kerzengerade im Bett saß und die Szene aus großen Augen beobachtet hatte.
    Theic, der Thyra im Zwielicht des Raumes gar nicht aufgefallen war, bückte sich nun nach den zwei Blättern, die dem Einbrecher von der Brust gefallen waren.
    „Eines ist mein Pergament. Jenes, dass sie mir in der Gasse schon abnehmen wollten, als du dazwischen gegangen bist“, sagte er an Thyra gewandt.
    „Wann? Wer hat dich bedroht?“ Habgers Stimme hatte einen zornigen Unterton angenommen, doch dieser galt keinem von ihnen.
    Theic zuckte resignierend die Schultern. Eigentlich hatte er das alles seinen Großeltern gar nicht erzählen wollen. Jamir konnte Aufregung nicht gut vertragen, aber nun musste er wohl oder übel mit der Sprache raus rücken.
    Thyra hatte sich so weit wieder gefangen und hob beschwichtigend die Hände.
    „Setzt euch erstmal an den Tisch. Theic du machst deinen Großeltern Tee, Habger, du bewachst diesen … diesen Abschaum und ich gehe eine Wache holen.“
    Habger hob kritisch eine Augenbraue und musterte Thyra skeptisch. Sie fürchtete in dem fremden Haus zu weit gegangen zu sein, aber dann nickten beide Männer und machten sich an die Arbeit. Thyra machte auf dem Absatz kehrt und rannte hinaus in die Nacht.

    Später behaupteten sie der Wache gegenüber, dass sie nicht wüssten worauf es der Dieb abgesehen hätte. Er wäre schon beim Hereinkommen an den Schrank gestoßen und Habger hatte ihn mit der Bratpfanne nieder geschlagen. Keiner zweifelte an dieser Aussage, sprachen doch alle Umstände und die Platzwunde am Kopf des Diebes dafür.
    Die beiden starken Wachen nahmen den Mann in Gewahrsam und trugen ihn fort.
    Leise quietschend schloss sich die Tür hinter ihnen und die vier Zurückgebliebenen atmeten erleichtert auf.
    Gemeinsam setzten sie sich an den wackeligen Küchentisch. Theic goss jedem einen Becher Tee ein und eine Weile starrten alle in das dampfende Gebräu.
    In der Mitte des Tisches lagen beide Pergamentschnipsel und jeder von ihnen hatte den mysteriösen Brief gelesen, den wer auch immer ihnen hinterlassen hatte. Allein Thyra hatte einen Verdacht, wer dies gewesen sein könnte, aber sie verstand nicht warum.
    Irgendwann brach Habger die Stille. „Also, was hat es mit dem Pergament auf sich?“
    Theic zuckte ahnungslos die Schultern und berichtete von der Taverne und dem Überfall und wie Thyra ihn gerettet hatte. Habger hörte ohne ihn zu unterbrechen zu, doch es war ihm anzusehen, dass ihm nicht gefiel, wo sich sein Enkel nachts herumtrieb, aber er sagte nichts dazu.
    Als Theical abgeschlossen hatte äußerte Thyra ihren Verdacht zu dem zweiten Stück Pergament und dann schwiegen sie wieder eine Weile.
    „Was machen wir jetzt?“, fragte Jamir.
    „Ich denke es wird das Beste sein, wenn wir dem Rat auf dem Zettel folgen. Wenn es wirklich so wertvoll ist und weitere folgen … ich habe keine Lust am nächsten Morgen tot aufzuwachen“, sagte Theic und entlockte seiner Familie, wie auch Thyra ein Schmunzeln.
    „Aber es ist viel zu gefährlich, Junge. Zacharas ist überall bekannt und das nicht für seine Gnade!“, wandte Jamir ein.
    „Aber es ist auch nicht gefährlicher, als auf den nächsten Einbrecher zu warten“, argumentierte ihr Enkel.
    „Und wer soll dich beschützen?“, fragte Habger. „Ich bin alt und außerdem muss sich einer um Jamir kümmern.“
    „Thyra“, kam die Antwort ganz selbstverständlich.
    Thyra lachte hysterisch auf. „Ich? Ich bin eine Jägerin, keine Meuchelmörderin. Aus der Ferne zu gebrauchen, aber aus der Näher ebenso schnell tot wie jeder andere auch!“
    „Aber das Geld! Wir könnten einen Arzt bezahlen!“, rief Theic mit Blick auf Jamir aus, die ihren Blick beschämt zu Boden richtete.
    Thyra legte ihr einen Hand auf den Unterarm. „Nicht doch“, sagte sie sanft.
    Habger warf seiner Frau einen Blick zu, von dem Thyra sich wünschte, dass ihr Zukünftiger sie auch so ansehen würde.
    „Nun denn“, sagte Habger und wandte sich an seinen Enkel und Thyra. „Ich tue es nur ungern, besonders weil ich auch dich, Thyra, sehr lieb gewonnen habe. Hab Dank für deine Unterstützung und ich schäme mich dich darum zu bitten, aber würdest du Theic begleiten? Ich weiß es ist gefährlich und ihr seid nicht die besten Kämpfer, aber das Geld könnten wir gut gebrauchen...“ Er brach ab und sah Thyra in die Augen.
    Sie erwiderte seinen Blick und wog das Für und Wieder ab. Ihre Gedanken wanderten zu Fenrir und Sari. Der Vogel schien laut Jamir ebenfalls gefährlich zu sein. Schließlich siegte die Abenteuerlust und sie wandte sich grinsend an ihren neuen Freund. „Wie siehts aus, Theic? Lust auf ein Abenteuer?“
    Theic erwiderte ihr Lächeln unbehaglich, nickte aber ohne zu zögern.
    „Dann packe ich mal meine Sachen.“

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

    • Offizieller Beitrag

    Auf Zehenspitzen schlich sich Theical durch den Wohnraum, über den knarrenden Boden, bis zur Tür. Einen letzten Blick warf er noch zurück, dann schob er sich leise durch Tür hindurch und schloss sie hinter sich wieder. Seine Schuhe immer noch in den Händen haltend, lief er dann zum Stall hinüber.
    Er wollte seine Großeltern nicht wecken, die sich nach der nächtlichen Störung nochmal zum Schlafen gelegt hatten. Auch Thyra und Theic hatten sich noch einmal hingelegt, da Jamir es für wichtig empfunden hatte, dass die beiden ausgeruht losziehen sollten. Nach reichlicher Überlegung hatten sie ihr zugestimmt. Zwar stand im Brief, dass sie nicht zögern sollten, aber was hätte ihnen eine überstürzte Abreise gebracht? Die Stadttore waren in der Nacht geschlossen, weshalb sie sowieso nicht weit gekommen wären.
    Theical öffnete die Stalltür.
    Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der Horizont verfärbte sich bereits rötlich, also sollte es nicht mehr lang dauern. Theic wollte jedoch verschwunden sein, bevor sich die Sonne vollständig in den morgendlichen Himmel gequält hatte. Verabschiedungen lagen ihm nicht und er wollte nicht dabei sein, wenn Jamir ihnen mit Tränen in den Augen nachsah und ihnen eine gute Reise wünschte.
    Theical war zwar nicht wirklich erpicht auf ein Abenteuer, wie Thyra es nannte, aber wenn es stimmte, was in dem Brief stand und Zacharas van Júmen bereit war, für das merkwürdige Dokument zu zahlen, dann war er dabei. Jamir benötigte nichts dringender, als einen Arzt, und diesen könnte er ihr mit einer Bezahlung endlich besorgen.
    Zwar stand nicht fest, dass Zacharas wirklich etwas zahlen würde, aber offenbar war ihm das Pergament sehr wichtig
    „Thyra, bist du wach?“, fragte er in die Dunkelheit des alten Stalls. Das Schwein grunzte etwas und in dem Heuhaufen bewegte sich Thyra.
    „Ja bin ich“, meinte die Frau verschlafen und rieb sich über die Augen. Theical stellte seinen Beutel ab und zog sich seine Stiefel über.
    „Die Sonne geht bald auf, wir sollten los.“
    Thyra setzte sich auf. „Es sind also schon alle wach?“
    Theical schüttelte auf die Frage hin den Kopf. Eigentlich wollte er nichts sagen, doch als er den verwirrten Ausdruck in den Augen der Jägerin erkennen konnte, überlegte er es sich anders. Wahrscheinlich würde er sie nicht überredet bekommen mitzugehen, wenn sie nicht wusste, was los war.
    „Wir sind die einzigen, die wach sind, und ich würde es auch gern dabei belassen.“
    Thyra sah ihn eine Weile wortlos an, dann erhob sie sich aber und sammele ihre Sachen ein. Scheinbar hatte sie verstanden, welchen Gedanken Theic mit dem Vorhaben, noch vor Sonnenaufgang zu verschwinden, verfolgte.
    Gemeinsam schlichen sich die beiden aus dem Stall, über den kleinen Platz, am Brunnen vorbei.
    Sicher führte Theic die Jägerin durch die Stadt und die breiten Gassen auf das große Tor zu. Den ganzen Weg sagte keiner etwas.

    Kaum, dass die Sonne über dem Horizont stand, querten sie beide das Stadttor und noch einmal sah Theical zurück. Ob es wirklich so eine gute Idee war, seinen Großvater mit der Krankheit von Jamir allein zulassen?
    „Wenn alles gut geht, sind wir bald zurück.“ Thyra lächelte aufmunternd. Es war ihr anzusehen, dass sie traurig darüber war, dass sie sich nicht bei Jamir und Habger verabschieden konnte, aber sie sagte dazu nichts. Theical war ihr auh dankbar, dass sie sich nicht beschwerte und ihn dafür aufzumuntern versuchte. Bisher hatte er die Stadt noch nie wirklich verlassen, außer zu gelegentlichen Arbeiten im Wald. Und nun sollte er bis nach Ymilburg. Im Grunde hatte er es sich selbst eingerührt, da er das Pergament nicht direkt weggeworfen hatte.
    „In welche Richtung müssen wir?“ Thyra war stehen geblieben und sah Theical auffordernd an. Der Tatendrang und die Abenteuerlust in ihren Augen waren nicht zu übersehen. Sie schien sich wirklich zu freuen.
    Ein wenig musste Theical in seinen Hosentaschen kramen, doch dann fand er die gefaltete Karte der näheren Umgebung und zog sie hervor.
    Gemeinsam blickten sie eine Weile auf die verschiedenen Linien und Punkte.
    „Norden“, meinte Thyra dann und drehte sich in die entsprechende Himmelsrichtung. „Und dann am Meer entlang.“ Theical blieb nichts übrig, als zu nicken. Wortlos schob er die Karte zurück und lief Thyra nach, die bereits dem richtigen Weg folgte.
    „Warst du schon mal in Ymilburg?“, fragte Theical. Abwartend sah er Thyra dabei an. Die Jägerin hatte ihren Blick in die Ferne gerichtet und schien dort etwas zu suchen.
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Nein, ich habe es bei meinen bisherigen Reisen immer großzügig umgangen.“
    Während sie das sagte, begann Thyra plötzlich zu winken.
    Irritiert sah Theical dabei zu, wie sie Jägerin ihren Schritt beschleunigte und wie vom Wald her ein Wolf auf sie zugetrottet kam.
    „Fenrir, da bist du ja“, meinte Thyra und strich dem Tier einmal über den Kopf, worauf dieser mit einem leisen Knurren antwortete. Nicht feindselig, eher genervt. Sein Knurren wurde erst in dem Moment aggressiv, als sich seine tierischen Augen auf Theical richteten. Vorsichtig trat dieser einen Schritt zurück.
    „Keine Sorge, Fenrir, er ist ein Freund. Wir werden ihn nach Ymilburg begleiten.“ Thyra drehte sich mit dem Wolf und strich ihm weiterhin beruhigend über den Kopf. Das Tier hörte auf zu knurren, ließ Theical jedoch weiterhin nicht aus den Augen. Dieser wusste nichts so recht, wie er reagieren sollte. Schließlich waren Wölfe nicht gerade für ihre Gutmütigkeit bekannt und der Blick des Tieres machte es nicht besser. Allerdings zeigte Thyra keine Angst und scheinbar kannte sie den Wolf schon länger. Wahrscheinlich verhielt es sich bei den beiden wie bei ihm und Sari. Sari schenkte auch nicht jedem sein Vertrauen.
    Apropos Sari. Theic schenkte dem Wolf noch einen Blick, dann drehte er sich wieder etwas in Richtung der Stadt. Er ließ einen lauten, schrillen Pfiff ertönen, der über die weiten Wiesen verklang. Seine Augen richtete er dann in den Himmel.
    Es dauerte nicht lang und von Gerisa her, näherte sich der Donnervogel. Elegant landete er und hockte sich wie immer auf Theicals Schulter nieder. Dieser zog das Pergament aus der Innenseite seines Mantels. Ein paar Mal faltete er es, bis es nur noch so groß wie seine Handfläche war, dann umschnürte er es mit einem Band und hielt es Sari entgegen.
    „Behalte das bei dir, wenn du uns folgst. Beschütze es“, sprach er dann. Unbekümmert sah ihn der große Vogel mit großen Augen an. Natürlich konnte sich Theic nicht sicher sein, ob Sari ihn wirklich verstanden hatte, aber der Donnervogel nahm das Pergament an der Schnur mit dem Schnabel auf und erhob sich in die Höhe. Kurz kreiste er noch über ihren Köpfen, als wüsste er nicht, wohin er es bringen sollte, dann flog er aber nach Norden vor.

  • Es war bereits früher Nachmittag als sie eintrafen. Die letzten Kilometer waren so von Wandernden, Wägen und auch einigen Reitern wie sie übersät gewesen, dass sie zu Fuß kaum langsamer voran gekommen wären. "Ist er schon auf dem Weg", fragte sich Jaris und dachte an den Mann, den er nie gesehen hatte, aber ausrauben hätte sollen, während er hoch zu dem viel zu vertrauten Anblick der hunderten Türme hinter der Stadt blickte. Wenn er kurz nach ihnen aufgebrochen wäre, und das hoffte Jaris, dann müsste er sich auch als Fußgänger nur wenige Stunden hinter ihnen befinden. Mit etwas Glück würde er die Stadt erreichen, bevor Zacharas seine Diebe oder gar seine Mörder erneut auf die Fährte hetzen konnte.
    Hitze schlug ihm entgegen, noch heißer als die ohnehin schon von der störrisch strahlenden Sonne aufgeheizten Luft, als er durch die Stadttore trat. Hier vermischte sich die natürliche Wärme mit der des Asphalts, der wie eine schwarze Lache auf dem Boden lag und bereits weich wurde, als würde er nach ein paar weiteren Graden wie flüssiger Pudding zerfließen, und der Körperwärme der zahlreichen Menschen und Tiere, die jeden Zoll der Gassen einnahmen. Im Geiste legte Jaris sich noch einmal seine Verteidigung zurecht, mit der er sein mutmaßliches Versagen rechtfertigen wollte, während er sich die in Scharen auftretenden Schweißtropfen von der Stirn wischte. Mit einem Seufzer legte er den Mantel ab und klemmte ihn hinter sich auf den Sattel. Die vielen metallischen Teile seiner Rüstung reflektierten das Sonnenlicht und ließen kleine Lichtpunkte in der Menge tanzen, die ihnen wieder einmal voller Respekt und Angst eine breite Gasse geöffnet hatten. Ein kleine Junge deutete begeistert auf seinen glänzenden Schutz und sagte etwas zu seiner Mutter neben ihm, was Jaris dank des Lärms um ihn herum nicht verstehen konnte, doch die Mutter packte den Jungen nur und zerrte ihn mit verbitterten Gesicht außer Sichtweite der Prozession. Wieder einmal durchlief Jaris ein schmerzhafter Stich. Sein Pferd wieherte leise, wie als ob es das Unbehagen seines Reiters spürte, und er tätschelte beruhigend den schweißverklebten Hals. Er hatte entschlossen sich mit dem Reiten abzufinden, er würde es wohl während seiner Zeit bei Zacharas öfter müssen, und just bemerkt, dass es wesentlich schlimmeres gab. Sobald er gelernt hatte sich dem wogenden Gang seines Trägers anzupassen, fühlte er sich geradezu wohl auf dessen Rücken. Begleitet von missfälligen Blicken bewegten sie sich immer weiter auf die Mitte der Stadt zu, während sich die Menge hinter ihnen wieder lärmend beschäftigt schloss. Vor ihnen ragte die Türme des Palastes auf und wuchsen höher und höher in den Himmel, als wollten sie sich in das unversehrte Blau bohren.

    Zu seiner Überraschung war Zacharas überhaupt nicht wütend. Im Gegenteil. Er schien sogar erfreut, dass Jaris sich als "treu" erwiesen hatte und dem Dieb das Handwerk gelegt hatte. An der Wahrheit dessen Worte schien er nicht zu zweifeln. Dieses Vertrauen ärgerte Jaris aus unerfindlichen Gründen weitaus mehr, als wenn man ihm die alleinige Schuld auferlegt hätte. Zwar konnte er so den beiden Wachen triumphierende Blicke zuwerfen, die wie gerupfte Hühner in der Ecke standen, da sie tatsächlich eine harte Rüge zur Wahl des Diebes erhalten hatten, und natürlich spielte es ihm auch in die Karten, aber ihn störte es dass Zacharas offenbar nicht mal in Betracht zog, Jaris würde ihn betrügen. Oder es zumindest sehr gut verbarg. Nach der Unterredung mit dem Herzog hatte sich Jaris auf seine Gemächer zurück gezogen. Gemächer. Ja tatsächlich. Plural! Es gab ein riesiges Himmelbett, Möbel und Böden aus Mahagoni und fein gewebte Teppiche. Der viele Platz schien das Zimmer leer wirken, das Bett war zu weich, das Mahagoni zerkratzte bei jeder Gelegenheit und die Teppiche rutschten auf den Boden. Luxus war einfach nichts für ihn. Mangels Beschäftigung stand er am großzügigen Fenster. Rauch stieg aus unzähligen Schornscheinen und bildet von hier oben einen dicken Nebelteppich, der mit bloßem Blick kaum zu durchdringen war. Aber am äußersten Rande des Sichtfelds konnte man über die Stadtmauern und somit auch über die Rauchwolke hinweg gucken und die fernen Hügel voll saftigem Gras sowie die vereinzelten Wälder aus kleineren Laubbäumen erblicken. Ein Seufzer löste sich aus seinem Mund. Obwohl sie nicht mit denen aus dem Norden vergleichbar waren, erinnerten sie ihn doch an sie.
    Ein Klopfen riss ihn aus den Gedanken. "Der Herr wünscht euch zu sehen", sagte ein kleingewachsener Bediensteter, der ohne auf eine Erlaubnis zu warten eingetreten war. Seine Livree stand an Armen und Beinen hervor, als wäre sie für jemanden viel größeren angefertigt worden und das Gesicht deutete an, dass er Jaris und Jaris allein für den Aufwand zu den Gemächern im Turm zu gelangen verantwortlich machte. "Was will denn der "Herr"", fragte Jaris betont gelangweilt. "Zwei Reisende sind eingetroffen und er will, dass ihr ihn während der Unterredung beschützt." "Als wäre das nötig", dachte er in Hinblick der unzähligen Wachen, die in dem riesigen Audienzzimmer stets Dienst taten, doch zugleich schlug sein Herz schneller. Könnte es sich dabei vielleicht um die Besitzer des Pergaments handeln? So folgte er dem Diener widerspruchslos durch die zahlreichen Gänge, deren Anlegung wohl dem Chaos huldigen sollten, bis sie einige Minuten später vor einer Tür stehen blieben. Es war nicht die mächtige viel verzierte Tür zum Audienzzimmer. Stattdessen handelte es sich um eine winzige unscheinbare. Der Diener lies keine Zeit für Fragen, geschweige denn für Erklärungen, und stieß sie einfach auf. Sie traten in das Arbeitszimmer, dass er bereits besichtigen durfte, jedoch verwendeten sie einen anderen Eingang als damals. Dieser lag unscheinbar zwischen den Bücherregalen, die bis zur hochgelegenen Decke ragten, und war ihm bei seiner ursprünglichen Besichtigung wohl entgangen. Zacharas stand neben dem Schreibtisch und wirkte seltsam angespannt. Jaris konnte keine weiteren Wachen sehen und auch der Diener verabschiedete sich nun. Das erklärte auch Jaris Anwesenheit und erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass es sich tatsächlich um das Pergament handelte. Weshalb sonst war Zacharas so auf Diskretion bedacht? Kaum dass er neben den Herzog getreten war und er sich erneut über das ihm entgegengebrachte Vertrauen wundern sowie ärgern konnte, wurde die Tür vor ihnen, die die er beim letzten Mal benutzt hatte, geöffnet, als habe man nur auf ihn gewartet, was vermutlich sogar der Wahrheit entsprach. Sein Herz setzte für einen Schlag aus. Ein noch kleinerer Mann, als der Diener es gewesen war, trat ein und dahinter ausgerechnet die junge Frau, der er auch schon in der Gasse vor der Hütte begegnet war. Hatte sie ihn erkannt und wenn ja: Würde sie ihn verraten? Er bemerkte wie sie ihn musterte und wie der Blick ihrer, wie er jetzt im Lichte der Öllampen an den Wänden erkannte, blaugrauen Augen besonders lange auf seinem blauen Mantel und der Rüstung liegen blieb. Er verfluchte sich dafür ihn nicht abgelegt zu haben. Schnell wandte er sich ihrem Begleiter zu, bevor er ihre Aufmerksamkeit weiter erregte, selbst wenn es dazu durch seine zur Schau gestellte Überraschung wohl zu spät war. Dieser Mann war nicht nur klein sondern auch noch ausgesprochen dürr. Seine Haare waren ungewaschen, verfilzt und braun, genau wie seine Kleidung alt, abgetragen und teils ausgebleicht war. Die dunkelgrüne Tunika hatte einen kürzeren Ärmel - er trug auf dieser Seite einen schwarzen Handschuh - und die Hose war wohl einmal weiß gewesen und mit mindestens so vielen Flicken übersät, dass man aus dem Stoff vermutlich eine zweite Hose hätte nähen können. Selbst die Stiefel erweckten den Eindruck, als trüge er sie bereits länger als die etwa 25 Jahre auf die Jaris ihn schätzte. Sein unauffälliges Gesicht trug ein in dieser Lage bewunderungswürdig selbstsicheres Lächeln als er mit seinen dunkelbraunen Augen den Herzog taxierte. Wenigstens ihm schien Jaris Überraschung nicht aufgefallen zu sein. "Seid gegrüßt. Herzog von Ymilburg", begann er mit fester Stimme. Zacharas ging nicht auf die Begrüßung ein. "Ich hörte ihr habt etwas das mir gehören sollte?", sagte er nur. Seine Stimme klang eisiger noch als die mit Schnee und Eis überzogenen Gipfel des Frostgebirges.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Gleichgültig schweifte sein Blick kurz über sie. Die junge Frau, welche die Jägerin sein musste und ein kleiner Bursche, welcher vermutlich der ursprüngliche Besitzer des Pergaments war.
    Jaris wirkte etwas überrascht und besorgt zugleich. Doch Besorgnis konnte der Lord in dieser Situation nur schwer verstehen. Die beiden Fremden, oder fremderen, da selbst Jaris Zacharas noch nicht gänzlich vertraut wirkte, sahen nicht wie eine Gefährtenschaft aus. Aber die Liebe fiel halt dort hin, wo man sie nicht immer vermutete. Und dies brachte den Magier kurz zum innigen Nachdenken. “Wenn nun Engel hier wäre, wie würde ich reagieren?”
    Sie schwiegen alle. Waren sie nun eingeschüchtert? Autorität war dem Herzog natürlich inne und eigen. Doch Höflichkeit und Gastfreundschaft ebenso. Und was nun diese Besucher hier darboten, war weder höflich, noch dankbar oder angemessen unterwürfig.
    Tiefes Durchatmen. “Hat es Euch nun die Sprache verschlagen? Ich habe Euch was gefragt.”
    Erwartungsvoll war sein Blick auf den kleinen Kerl gerichtet, die zwielichtige Begleiterin dabei getrost ignorierend. Räuspernd erwiderte er zögerlich: “Ich habe etwas, aber es sollte vermutlich nicht Euch gehören. Da ich aber dafür keine Verwendung habe, wollte ich Euch mal dazu befragen.”
    Aras stutzte verwundert. “Aber vorhin klang das noch anders, als Ihr um eine Audienz mit mir gebeten habt.”
    Jaris kam etwas näher. Die Jägerin blickte misstrauisch auf ihn, welcher auch nicht gerade freundlicher wirkte. Aras machte eine Handgeste, er wollte eine klare Antwort von dem Mann. “Ich habe zwar Zeit, aber nicht ewig Geduld. Wenn Ihr mir nicht geschwind antwortet, werde ich andere Maßnahmen ergreifen müssen.”
    Leicht schupste die Jägerin ihren Gefährten näher zum Lord hin. “Antworte doch, Theic.”
    “Ich will aber nicht über den Tisch gezogen werden”, raunte er ihr mürrisch entgegen.
    Aras schmunzelte leicht. “So klein wie Ihr seid, fällt es einem aber sehr schwer, Euch über den Tisch zu ziehen.”
    Und musste sogar Jaris etwas schmunzeln, wobei es schon ziemlich beleidigend war. Die Frau drängte sich immer mehr hinzu und wollte anscheinend ganz dringen und energisch eine klare Debatte erzwingen. “Ich bin doch bei dir, ich passe schon auf.”
    “Ich...”
    Aras war hellhörig. “Ja...Ihr?”
    “Ich habe ein Pergament bei mir, welches ich nicht deuten kann. Es würde mich freuen, wenn Ihr mal einen Blick drauf werfen würdet und es beurteilt.”
    Sofort streckte er ihm die Hand entgegen. “Dann zeigt her, was Ihr so schwer zu deutendes bei Euch habt.”
    Nur zögerlich holte er ein sorgfältig gefaltetes Blatt Pergament hervor und reichte es ihm, nach kurzem Augenkontakt mit seiner Begleiterin, entgegen. Geschwind entriss Aras es ihm und entfaltete es, leicht verdeckt vor den neugierigen Augen der womöglich unwissenden Anwesenden.
    Er traute seinen Augen kaum, obwohl er es bereits erahnt hatte, worum es sich dabei handelte. Schließlich waren Jaris´ Aussagen eindeutig und ehrlich wirkend.
    Es war tatsächlich das letzte fehlende Stück der Daris-Pergamente. “Heißer als das Feuer der Sonne, lodert der Zorn von Acrylon. Ertränkend ist die Blutkaskade der tausend Seelen des Acrylon. Härter als Obsidian ist der Glaube des Acrylon. Ein Zyklon der Stimme des Acrylon fegt übers Land, vor nichts Halt machend, die Meere aufpeitschend. Der Funke der Wahrheit, alle Ungläubigen lässt verbrennen, als wären sie aus Zunder. Geschaffen, um zu nähren den Moment der Gegenwart. Alles verzehrend ist das Nichts, in den Augen man sich verliert. Die Iris des Acrylon ist das Tor zur Finsternis. 5 Schritte zeigen das Ziel.”
    “Nun gut”, sagte Zacharas und schaute mit einem leichten Grinsen auf seine Gäste. “Das Pergament ist genau da, welches ich suchte. Ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet deswegen.”
    Zögerlich nickten beide und streckten ihre Hände aus.
    “Nicht so eilig, meine Leute. Was drängt euch denn? Überdenkt mal kurz euer Auftreten mir gegenüber. Ich bin schon ewig auf der Suche nach diesem Schriftstück und bleibe trotz allem die Ruhe selbst und nehme mir genügend Zeit dafür. Und ihr hetzt in meine Stadt, bittet um Audienz, präsentiert euch als Bettler und Jägerin mir gegenüber und habt nicht mal den Anstand, mir etwas Bedenkzeit zu lassen?”
    Da machten sie große Augen. Das schien sie nun wirklich sehr stark zu verblüffen. Ob Aras´ Worte nun wahr oder angemessen waren, war dahingestellt. Aber immerhin waren sie kreativ genug, um sich dann doch etwas mehr Zeit zu verschaffen. Auch Jaris wirkte wiedermals verblüfft und fing sichtlich an zu grübeln.
    “Ich weiß, was das für ein Schriftstück ist. Aber ich weiß auch, dass ihr es nicht wisst. Ich bin auch nicht bereit, euch etwas darüber zu sagen, weil es euch nicht zu interessieren hat. Es geht hier alleinig um ein Tauschgeschäft. Ihr wolltet es mir ja nur überbringen, weil ihr euch dafür eine Belohnung habt.”
    “Das ist ja auch unser Recht!”, erwiderte die Jägerin ihm grimmig. “Wenn Ihr auch nur halb so ehrenvoll seid, wie Ihr es von Euch behauptet, dann würdet Ihr uns mehr als reichlich entlohnen.”
    Skeptisch musterte er sie. “Was die denkt, wer sie ist? Was denkt sie, sich davon zu erhoffen, mich zu etwas zu drängen, was sie gar nicht einschätzen kann?”
    “Wie auch immer”, entgegnete er ihr gleichgültig und reichte das Pergament an Jaris weiter. Anschließend ging er zu seinem Schreibtisch, öffnete eine Schublade und entnahm zwei Beutelchen, die nicht gerade leer aussahen. “Das ist für Euch, mein Herr”, sagte er und überreichte diese dem kleinen Mann. Der schaute sehr verwundert und schien keine passende Antwort parat zu haben. Aras ließ erwartungsvoll seine Hand kreisen und wollte sie beide so zu weiteren Handlungen und Äußerungen animieren. Jaris steckte sich das Pergament ein und gesellt sich etwas näher zu Zacharas.
    Die Frau nahm einen Beutel entgegen und schaute skeptisch auf ihn. Doch als sie das Bändchen löste und er sich langsam auftat, schwenkte ihr fragender Blick ins blanke Erstaunen um. Goldmünzen, Silberlinge, Edelsteine und Perlen befanden sich darin. Beiden verschlug es die Sprache. Doch irgendwie wirkten sie nicht gerade glücklich damit. Aras wunderte sich sehr darüber. Zwar schienen sie nicht davon abgeneigt zu sein. Aber besonders euphorisch wirkten sie trotzdem nicht. Angemessen wäre, wie er fand, eine Verbeugung oder ein Dankesgruß gewesen. Doch andererseits hätte Aras sich dies von solch merkwürdigen Gestallten vielleicht auch nicht gewünscht.
    “Was ist? Es ist ja wohl ausreichend, oder nicht? Ich bin Euch keine weitere Erklärung schuldig. Ihr habt es mir überbracht und bekamt angemessenen Lohn dafür. Also warum seid ihr dann immer noch so unzufrieden?”
    Sie räusperten sich. “Auf dem Weg ihn Eure Burg ist uns aufgefallen, dass einige Häuser leer stehen.”
    “Ja und?”
    “Ich kenne eine Familie aus meinem Heimatort, der es nicht gut geht. Sie leben nur in einer kleinen Hütte, viel kleiner als die meisten Häuser in Eurer Stadt.”
    “Und was bringt das mir nun, zu erfahren, dass meine Stadt große Häuser hat?”, fragte Aras ihn leicht arrogant und schaute erwartungsvoll auf ihn hinab.
    “Wenn es Euch nichts ausmacht, könnten diese dann vielleicht in einer der leeren Häuser hier einziehen?”
    Da lachte der Magier herzhaft. “Was für eine dumme Frage. Die Häuser stehen leer. Das ist mir doch egal, was für Gesindel dort einzieht. Solange sie Geld einbringen ist mir jeder recht. Ihr könnt doch auch dort einziehen, zusammen mit Eurer Gefährtin. Geld habt Ihr ja nun genug dafür, oder nicht?”

  • Thyra verließ zusammen mit Theic das Anwesen des Herzogs so schnell wie möglich.
    Innerlich kochte Thyra über die arrogante Art von Zacharas und wie er sich über Theic lustig gemacht.
    „Elender Pissbeutel!“, fluchte sie ungehemmt, sobald die großen Türen des Anwesens hinter ihr zugeknallt waren.
    Wütend stapfte sie vor Theic her und äffte den Herzog der Stadt nach: „So klein wie Ihr seid, fällt es einem aber sehr schwer, Euch über den Tisch zu ziehen.“
    „Psst“, machte Theic, konnte ein Grinsen aber nicht unterdrücken. Immer noch zornig schleuderte Thyra ihren dicken Zopf über die Schulter und blitze Theic an. „Was psst?! Der Herr ist so … so ein riesen großer, fauliger, dreckiger …ARSCH! Wie kann man nur so arrogant und selbstüberschätzend durch die Gegend latschen!“
    Dass Theic über ihren Ausbruch zunehmend breiter grinsen musste, half Thyras Wut nicht abzuflauen.
    „Du hast ja Recht“, lenkte der kleine Mann dann ein. „Er ist eine Ratte, aber sieh es mal so. Wir haben genug Geld um meine Großeltern herzuholen und Jamir von einem vernünftigen Arzt behandeln zu lassen.“
    „Geld von diesem … diesem Schmierbeutel!“, brauste Thyra erneut auf.
    „Vielleicht kann er uns hören“, wandte Theic ein uns wollte seine Begleiterin eigentlich nur beschwichtigen, erreichte aber nur das Gegenteil.
    „Und was will er dann machen? In die Ecke setzen und weinen?“, fragte sie bissig und stapfte weiter durch die Straßen, doch plötzlich hielt sie mitten im Schritt inne, sodass Theic beinahe in sie hinein gelaufen wäre. „Was ist?“, fragte er.
    „Der Mann, der neben diesem … Sack stand“, sie brach ab.
    „Ja?“, hakte Theic nach.
    „Ich glaube es war derselbe Mann, den ich in Nacht des Überfalls vor der Scheune gesehen habe“, überlegte sie laut weiter. „Irgendwas scheint mir seltsam an ihm. Die Rüstung und der blaue Umhang… mehr habe ich unmöglich erkennen können, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass er es war. Wenn er es nun war, der das Pergament stehlen sollte? Mit dem Dieb zusammen? Aber warum sollte er den Dieb dann niederschlagen und uns eine solche Möglichkeit verschaffen?“
    Schweigend hörte Theic ihren Gedanken zu und machte sich selbst ein Bild, ehe er antwortete: „Vielleicht … vielleicht ist der Mann nicht gerne in Zacharas‘ Diensten?“, fragte er.
    „Wer ist das schon?“, antwortete Thyra und machte eine abfällige Handbewegung.
    „Ich meine, was wenn das seine Art war ihm eins auszuwischen?“, grübelte Theic weiter.
    Thyra zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. „Vielleicht. Naja, aber letztendlich spielt es auch keine Rolle.“
    „Da hast du wohl Recht“, sagte Theic. „Trotzdem würde mich brennend interessieren, warum der Herzog diesem Pergament so eine Bedeutung zumisst.“
    Thyra zuckte mit den Schultern. „Interessant wäre es schon, aber ich wüsste nicht wie wir das rausbekommen sollten. Außerdem geht es uns ja auch eigentlich nichts mehr an.“
    Theic schien nicht zu wissen, was er antworten sollte, also setzten sie ihren Weg an die Ränder der Stadt schweigend fort.

    Es war nicht schwer ein leeres Haus zu finden, dass den Bedürfnissen der kleinen Familie von Theic angepasst war.
    Es gab viele leere Häuser und Thyra weigerte sich nach dem Grund zu fragen, aber schlussendlich erhielten sie eine neue Bleibe und konnten Habger und Jamir vorübergehend von zu Hause wegholen.
    Theic pfiff nach Sari. Der Vogel landete wie immer auf seiner Schulter. Gemeinsam schrieben sie einen Brief, in dem sie Habger und Jamir aufforderten einen Wagen zu kaufen und die Reise auf sich zu nehmen. Anschließend steckten drei Goldmünzen hinein, der ganze Beutel wäre zu schwer für Sari gewesen, auch wenn er ein beachtlicher Vogel war.
    Gehorsam nahm er das Schreiben in den Schnabel und erhob sich in die Lüfte.
    Thyra und Theic blickten ihm noch eine Weile nach, dann blieb ihnen nichts anderes mehr zu tun als ihr neues Vermögen zu investieren und das auserkorene Haus einzugsbereit zu machen.
    Sie kauften ein Bett samt Strohmatte und Bettzeug, Küchenutensilien, einen Tisch und einige Stühle. Den Rest sollten sich die beiden selber aussuchen können, fanden die beiden Gefährten.
    Das Haus wurde ausgefegt und gereinigt, dann bauten sie ihre Beute in zwei Räumen auf, sodass immerhin schon ein Schlafzimmer und eine Küche vorhanden waren. Zufrieden klopften sie sich den Staub von den Händen und aus ihren Kleidern.
    „Was nun?“, fragte Theic.
    „Warten“, kam die knappe Antwort, doch nach einigem Zögern fügte sie an: „Oder bummeln?“
    „Klingt gut“, lächelte Theic. „Lass uns mal in Ruhe unsere Übergangsheimat ansehen.“
    Es dauerte nicht lange und sie waren in das geschäftige Treiben der Stadt eingetaucht.
    Das Geld, das sie für das Pergament bekommen hatten, baumelte an ihren Gürteln und sie hüteten es wie ihren Augapfel. Dennoch gaben sie ein wenig davon für Süßigkeiten und Gaukler aus. Sie hatten einen schönen Tag und lachten viel. Gerade als Thyra um ein Paar kandierter Äpfel feilschte spürte sie wie Theic sie aufgeregt am Ärmel zupfte.
    „Was ist?“ Mit fragendem Blick drehte sie sich zu ihm um.
    „Da! Siehst du ihn? Da ist er wieder der Mann mit dem blauen Umhang!“
    „Wo?“, fragte Thyra. Sofort waren die Äpfel vergessen und sie ließ den verdutzen Händler an seinem Stand zurück, um Theic durch das Gedränge der Menschenmassen zu folgen.
    tatsächlich sah sie kurz seine Rüstung aufblitzen und dann das Blau seines Mantels.
    „Hinterher“, flüsterte sie unnötiger Weise und sofort pirschten die beiden dem Fremden hinterher.
    Warum genau wusste Thyra auch nicht. Es war einfach ihre Neugier die sie trieb. Vielleicht konnten sie etwas über diesen Mann und seine seltsamen Beweggründe in Erfahrung bringen. Oder vielleicht sogar über das Pergament und Thyra wollte es nicht zugeben, aber sie reizte es, wenn sie dem eingebildeten Herzog womöglich einen Strich durch die Rechnung machen konnte.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

    • Offizieller Beitrag

    Theical folgte Thyra durch das Gewirr aus Menschen – immer dem Mann von Zacharas nach. Schnell hatte Thyra ihn überholt und sich förmlich an den Rücken des Fremden gekettet.
    Auf Schritt und Tritt verfolgten sie ihn. Durch den blauen Mantel fiel es nicht schwer, ihn im Auge zu behalten und wegen den vielen Menschen war es auch keine Kunst unbemerkt zu bleiben.
    Der Mann lief an den verschiedenen Ständen vorbei und besah sich die dargebotenen Sachen beiläufig. Scheinbar ziellos irrte er über den Markt. In seinen Händen hielt er einen braunen Ledersack, gleich denen, die auch Thyra und Theical erhalten hatten.
    Mit einem Ruck drehte sich der Mann um und sofort zerrte Theical Thyra hinter einen der Stände was sie beide ins Taumeln brachte und beinahe wären sie auf den staubigen Boden aufgekommen, wenn Thyra sich nicht rechtzeitig an einer Kiste festgeklammert hätte.
    „Was sollte das denn?“, fragte Thyra und wollte sich gerade wieder aufstellen.
    Theical hielt sie jedoch am Arm fest und zog sie wieder in die Hocke.
    „Ich glaube, er hat uns entdeckt!“, flüsterte er. Erschrocken machte sich Thyra gleich noch ein Stück kleiner, dann lugten sie beide aus ihrem Versteck. Den seltsamen Anblick, den sie wohl auf den Händler des Standes abgeben mussten, ignorierte Theic und auch Thyra schien sich dafür nicht wirklich zu interessieren.
    Zu Theicals Erleichterung schien der Fremde sie nicht bemerkt zu haben. Starr hatte er seinen Blick zum Anwesen des Herzogs erhoben. Sein Gesicht hatte er dabei ärgerlich verzogen. Sofort rief sich Theical seine Worte in Erinnerung. Ob er wirklich unzufrieden mit seiner Arbeit bei dem Herzog war? Allerdings konnte er sich das auch nur einbilden, wenn scheinbar musste eine Anstellung unter den Fittischen des Adligen nicht schlecht bezahlt sein. Wenn er daran dachte, was er und Thyra dafür bekamen, ein dummes Pergament abzuliefern. Was musste dann der Kerl erst bekommen, wenn er für Zacharas arbeitete? Wobei, Geld war auch nicht alles.
    Mit dem Fuß stieß der Fremde einen der Steine über die Straße. „Nimm‘ dir nochmal einen freien Nachmittag, sagt er, damit du für die Reise gerüstet bist!“, hörte er ihn dabei murren, danach setzte sich wieder in Bewegung. Lange Schritten trugen ihn dahin.
    „Sagt mal, was genau macht ihr da eigentlich?“, fauchte plötzlich der Händler neben ihnen. Erschrocken fuhren Thyra und Theical hoch.
    „N-nichts!“, stießen sie zeitgleich hervor. Schnell zog Thyra Theical hinter den Kisten hervor, an dem Händler vorbei, wieder in die Menschenmenge hinein, doch es war schon zu spät. Er war verschwunden.
    „So ein Mist!“, stieß Thyra aus. Noch einmal drehte sie sich im Kreis, und auch Theical versuchte zwischen den ganzen anderen Leuten etwas zu erkennen, doch Fehlanzeige. Der Mann blieb verschwunden. Da brachte auch dessen blauer Mantel nichts mehr.
    „Was glaubst du, meint er mit ‚für die Reise gerüstet‘?“, fragte Thyra. Also hatte auch sie die gemurmelten Worte des Kerls verstanden?
    Unwissend konnte er jedoch nur die Schultern zucken.
    "Ein neuer Auftrag vom Herzog?“
    Thyra schwieg eine Weile, dann packte sie ihn jedoch mit einem Mal am Arm und drehte ihn zu sich um.
    „Wenn es wirklich ein neuer Auftrag ist, dann verspüre ich große Lust, dieser arroganten Schießbudenfigur von einem Herzog kräftig in die Suppe zu spucken!“, raunte sie, gerade so laut, dass Theical es noch hören konnte, nicht aber die umstehenden Leute. Er sah sie nachdenklich an. In den Augen der Frau glänzte etwas, das keine Widerworte zuließ. Genau dieser Ausdruck sorgte jedoch für Misstrauen in Theical.
    „Was hast du vor?“, fragte er.
    „Zuerst müssen wir ihn wiederfinden und dann verfolgen wir ihn bei seinem Auftrag, heimlich und unerkannt natürlich. Sobald sich die Chance ergibt, diesem Herzog Zacharas Typen eins mitzugeben, werden wir das machen.“
    Theical wollte gerade den Mund aufmachen, als Thyra auch schon losrannte. Er hielt die ganze Sache für gar keine gute Idee. Schließlich hatte er von diesem Bullen eines Kerls schon einiges Gehört. Angeblich sollte er über mächtige Zauberkünste verfügen und Theical war nicht gewillt, sich diesen auszusetzen, zumal er nichts gegenzusteuern hatte, außer einem Vogel, der Blitze schoss. Der würde ihm jedoch auch nichts bringen. Thyra im Stich lassen, kam jedoch auch nicht infrage. Eilig rannte er ihr nach, bevor sie von der Menge ganz verschluckt werden konnte.

  • Misstrauisch wandte Jaris sich um. Er hatte das ungute Gefühl beobachtet zu werden und für gewöhnlich konnte er seinen Instinkten vertrauen, aber wie hätte er in dieser Menschenmenge jemanden entdecken sollen, der nicht gesehen werden wollte. Aber vermutlich war es auch nur die ständige unheilvolle Nähe der Rußfeste, die wie ein dunkles Ohmen einen Schatten über die Stadt warf. Ohne sie könnte diese vielleicht sogar schön sein. Er verdrängte seine Gedanken und begann wieder sich einen Weg durch die ohne jede Struktur aufgestellten Marktstände und die Massen an Menschen zu bahnen. Eigentlich wusste er gar nicht wo sein Ziel lag, aber alles war besser als in diesen vollkommen übertrieben ausgefallenen Gemächern zu vergammeln. Er verließ den überfüllten Marktplatz und trat in eine der weniger geschäftigen Gassen. Mit jeden paar Schritten kamen ihm weniger Menschen entgegen und die Häuser zu seinen Seiten wurden kleiner und verkommener. Er revidierte den Gedanken zu der Schönheit der Stadt. Stattdessen spielte er mit dem Gedanken umzukehren. Die Sonne ging langsam unter und er wollte nicht mehr hier sein, wenn es dunkel war. Sein Blick ging erneut zweifelnd zur Burg hinauf - wollte er wirklich vermeidbare Stunden dort verbringen, vielleicht gab es ja irgendwo eine Taverne in der er etwas nicht sündhaft teures essen und sich mit Kartenspielen oder ähnlichem ein wenig die Zeit vertreiben könnte - und in diesem Moment explodierte sein Kopf.

    Benommen taumelte er zur Seite. Sein Kopf war natürlich nicht wirklich explodiert, dem Schmerz den dies vermutlich jedoch nach sich ziehen würde kam es in etwa gleich. Er zog sein Schwert und stach in die Richtung, in dem er seinen Feind vermutete, die Klinge traf auf einen Widerstand und ein schmerzerfüllter Schrei war zu hören. Seine Sicht war von dem Schlag noch immer benommen und das Dröhnen in seinem Schädel half auch nicht wirklich, doch irgendwie schaffte er es einen weiteren Schemen wahrzunehmen. Sofort hob er seine Klinge und schaffte es im letztem Moment etwas heransausendes mit einem metallischem Klirren abzublocken. Ein Rucken seines Handgelenkes aus der Abwehrbewegung heraus und erneut gelte ein Schrei, der doch mittlerweile die Wachen auf den Plan gerufen haben sollte, falls es in dieser vermaledeiten Stadt überhaupt etwas dergleichen gab, durch die Gasse. Trotz all seiner Bemühung würde er sich blind wie er war kaum einem weiterem Angriff zur Wehr setzen können, also ließ er einen gellend hellen Blitz aufflammen, so hell, dass es ihm bestimmt für einige Sekunden geblendet hätte, wären seine Augenlider nicht fest verschlossen. Er hoffte nur, dass seine Gegner nicht so gut vorbereitet waren. Einige Sekunden und viel Blinzeln später klärte sich sein verschwommener Blick wieder auf und auch das Dröhnen verhallte, auch wenn das sicher eine Beule geben würde. Um ihn herum standen sieben, acht sich die Augen reibende Männer, zuzüglich zu den zweien, die er erledigt hatte. Doch auch ihre Fähigkeit zu sehen kehrte langsam zurück. Ein Indiz dafür waren die 3, die wie alle in schwarze Umhänge gekleidet waren und ein stumpfes Schwert in der Hand hielten, und jetzt ebendies erhoben aber immerhin langsam und offensichtlich verunsichert auf ihn zukamen. "Auf ihn", ertönte ein Ruf von weiter hinten, der Jaris inzwischen sicher glauben ließ, dass es hier entweder tatsächlich keine Wachen gab oder diese Anzeichen wie schmerzerfüllte Schreie und Kampfparolen für nicht verdächtig genug hielten. Er müsste wohl allein klar kommen. Seine Finger umfassten den Griff seines erhobenen Schwertes fester und er trat seinen Angreifern einen Schritt entgegen. Ihre angstverzehrten Augen zeigten, dass sie genau wussten was mit ihren Kameraden passiert war, doch sie führten ihren Weg fort. Jaris atmete tief ein um Ruhe in seinen Körper fließen zu lassen, wie es ihm sein Lehrmeister gezeigt hatte, und dann explodierte sein Kopf abermals.

    Er wachte in vollkommener Dunkelheit auf, so dass er dachte seine Augen hätten nach dem zweitem Schlag den Dienst endgültig quittiert, doch dann tauchte ein Schimmer den Raum in dem er sich befand in schwaches Licht. Er drang durch die Ritze unter einer Tür und erleuchtete kahle Wände und einen gewölbten steinernen Boden, sowie eine strohbedeckte Decke. Er selbst stand auf einem sehr schmalen Podest, das nach genauerer Überlegung ein Seil war, was auch erklärte wieso der Boden gewölbt, die Decke strohbedeckt und seine Arme zu ebenjener hingeneigt waren. Bevor sich jedoch wie angemessen Panik in ihm ausbreiten konnte wurde die Tür geöffnet und eine eisige Frauenstimme erklang. "Wie ich sehe bist du endlich aufgewacht", sagte die junge Dame, die er in Zacharas Auftrag hatte beobachten sollen und in diesem Moment ging ihm auf, dass er dem Herzog, selbst wenn er es schaffen sollte aus dieser Hölle zu entkommen, lieber nicht erzählen sollte, dass die Frau, die er so offensichtlich liebte, diese verursacht hatte. Er wäre schneller in einer neuen und vermutlich schrecklicheren Hölle, als dass er seine Ehrlichkeit beteuern könnte. "Jetzt kannst du uns vielleicht erzählen", begann sie und zwei grimmig aussehende Kerle, die beide so groß waren, dass sie sich unterm Türrahmen durchbücken mussten, betraten hinter ihr den Raum, "Was der gute Herzog so treibt in seiner stinkenden Burg." In ihrer Stimme lag ein Hass, den noch nicht einmal er nachfühlen konnte. "Ich würde es euch vermutlich sagen", antwortete er selbst gespielt belustigt, "Wenn der, pardon die, Schläge auf den Kopf nicht gewesen wären und ich es überhaupt wüsste." Einen Moment lang flammte Zweifel in dem schönem Gesicht vor ihm auf. Sie wirkte nun wirklich nicht mehr wie eine Bäuerin in ihrer Rüstung aus eisenbeschlagenem Leder, dem bronzenem Schild in ihrer linken Hand, der brennenden Fackel in ihrer Rechten und dem Schwert, dass sie an einem breitem Gürtel um die Hüften trug. Sie ähnelte vielmehr einer Soldatin. "Ich bin mir sicher meine beiden Freunde hier werden die Antworten, die ich will, schon aus dir herausprügeln", entgegnete sie so selbstbewusst, dass Jaris schon an dem, was er gesehen hatte, zweifelte, und verließ den Raum. Mit einem dumpfem Schlag fiel die Tür hinter sich ins Loch und nahm den Großteil de Lichtes mit sich. Glücklicherweise öffnete einer der beiden Riesen ein Fenster, dass Jaris zuvor noch gar nicht aufgefallen war, bevor das Zimmer ganz in Dunkelheit lag und Mondschein schlich sich in den Raum. Das Fenster war zwar groß genug für eine Person, aber er hing ja immer noch an den verdammten Fesseln. Und dann waren ja noch die beiden grobschlächtigen Typen, mit ihren groben Gesichtern, welche wirkten als habe ein Kleinkind sie aus einem klumpen Lehm geformt, den unzähligen Narben, die sich über Augenbrauen und Wangen zogen, und den eimergroßen Händen, die sich in freudiger Erwartung zusammenballten. Jaris war sich mittlerweile sicher, dass sie Zwillinge waren. Verzweifelt versuchte er seine Magie abzurufen. Er war geschwächt und wusste nicht, ob er überhaupt einen seiner Blitze zusammenbekommen konnte. "Falls du dein Teufelswerk auf uns Schleudern willst", sagte der Riese, der nicht das Fenster geöffnet hatte und deshalb noch genau vor ihm stand, mit einem glücklichem Lächeln, "Dort draußen stehen zirka zwanzig Mann, die sich allesamt wünschen Zyr und Farmir rächen zu dürfen." "Als ob er meine Gedanken gelesen hätte", dachte Jaris verbittert. Zyr und Farmir mussten dann wohl die beiden Opfer des Überfalls sein, mal abgesehen von ihm. Er wollte gerade einwerfen, dass sie immerhin ihn angegriffen hatten, als der Riese, der das Fenster geöffnet hatte und deshalb weiter von ihm entfernt war, schmerzhaft aufheulte und seine Hände um einen Fuß klammerte, in dem ein Pfeil steckte. Ein zweiter flog zugleich durch das schmale Fenster und durchtrennte die Fesseln, die seine Beine hielten. Jaris schaffte es aller Überraschung zum Trotz nicht mit dem bereits gepeinigten Kopf aufzuschlagen, ansonsten wäre er seinem mutmaßlichem Retter wohl keine Hilfe gewesen, sondern rollte sich fast schon elegant auf dem Boden ab und kam neben dem verbliebenen Riesen wieder auf die Beine. Er musste zugeben, dass er enorme Befriedigung verspürte, als er seine Faust gegen dessen Schläfe krachte. Bewusstlos sackte der Kollos zu Boden. Der Triumph hielt jedoch nicht lange vor, den Bruchteile einer Sekunde später krachte die Tür auf und eine Unmenge bewaffneter Typen stürmte in den Raum. Die zwanzig Mann waren wohl weder Lüge noch Übertreibung gewesen. Ohne Zeit zu verlieren hechtete Jaris auf das Fester zu um dann mit einem Sprung den Sims zu erreichen und mit Hilfe der dargeboten Hände seinem Kerker zu entfliehen. Er hörte Eisen gegen den Stein scheppern, vor dem vor Augenblicken noch sein Rücken gehangen hatte. Irgendjemand zerrte Jaris auf die Beine und zwang ihn zu laufen, auch wenn seine Beine noch halb taub waren und erst langsam wieder Blut in sie zurückschwemmte. Sie rannten durch gekreuzte Gassen, verwinkelte Straßen, vereinzelte Plätze bis sie endlich sicher sein konnten, dass sie vermeintliche Verfolger abgeschüttelt hatten. Keuchend blieb Jaris auf die Knie gebeugt stehen. Auch ohne die Rüstung und den sonstigen Umständen, die er unvermindert trug, wäre diese Hetzerei extrem strapaziös gewesen. Vor ihm standen die Frau und der Mann, die Zacharas das vermaledeite Pergament, von dem Jaris sich langsam wünschte er hätte es verbrannt, als er die Gelegenheit dazu gehabt hätte, verkauft hatten. Der Mann überreichte ihm jetzt sein Schwert und seine Messer. Die beiden mussten weiter in das Gebäude, das für diese wenigen Stunden sein Gefängnis gewesen war, vorgedrungen sein, als er ihnen ebenso wie die Rettung, wenn er ehrlich war, zugetraut hätte. Bewundernd blickte er sie an und wusste nicht recht was er sagen sollte. "Danke", begann er.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Der Mann nahm Theical das Schwert aus der Hand und befestigte es mit wissenden Griffen an seiner Hüfte. Die Messer verstaute er ebenfalls. Danach hielt er inne. Er schien mit den Worten zu ringen, wusste er offenbar nicht, wie er nach seinem einfachen ‚Danke‘ weitersprechen sollte.
    Um weiter Zeit zu schinden richtete er noch einige Male sein Schwert, umklammerte den Griff und ließ wieder von ihm ab. Erst, als er damit fertig und mit der Position der Klinge zufrieden war, hob er seinen Blick. Aufmerksam musterten seine Augen Theical und Thyra, bevor er fragte: „Warum habt ihr mir geholfen?“
    Im kantigen Gesicht des Mannes stand ein einziges Fragezeichen und sein Blick glitt zwischen Theical und Thyra hin und her. Daran hingen also seine Gedanken. Die Frage konnte Theic jedoch sehr gut verstehen. Wäre er an der Stelle des Mannes gewesen, dann hätte er sich wohl auch gewundert.
    „Nachdem du mir geholfen hast, sollten wir nun Quitt sein“, sprach er mit ruhiger Stimme. Neben ihm verschränkte Thyra ihre Arme und lockerte etwas ihre Haltung. Den Blick nahm sie allerdings keine Sekunde von ihrem Gegenüber.
    „Quitt?“, fragte dieser sichtlich noch mehr irritierter, als schon durch die Rettung an sich.
    „Du warst es doch, den ich vor Theics Haus sah. Ich bin mir sicher, du hast auch den Brief geschrieben, in dem stand, dass wir das Pergament zu Zacharas bringen sollen, um im Austausch dafür Gold zu bekommen“, antwortete ihm Thyra. „Versuche es nicht erst zu leugnen, ich habe deine Rüstung und deinen Umhang erkannt.“
    Der Mann ließ seinen Blick über die beiden schweifen, dann wandte er sich kurz in die Richtung, aus der sie gekommen waren, als erwartete er jeden Moment, dass die Kerle um die Ecke kommen würden. Dabei schien er angestrengt nachzudenken.
    „Ja, das war ich“, begann er dann, „aber das kann doch nicht der einzige Grund sein. Diese Typen schienen wirklich gefährlich und wer weiß schon, in welche Schwierigkeiten ihr euch damit gebracht habt.“
    Sorge trat in seinen Blick. Etwas, das Theic bei einer Wache von Zacharas nicht erwartet hätte.Es machte ihn menschlich und aus irgendeinem Grund auch sympathischer. Den ganz Unrecht hatte er nicht. Die Frau mit ihren Männern machte wirklich nicht den Eindruck, als wollte sie einem nur freundlich die Hände schütteln. Sie hatte eine ganze Reihe Kerle um sich versammelt und jeder von ihnen hatte die Figur eines Bullen.
    Das Schwert und die Messer des Fremden aus ihren Fängen zu entwenden, war nicht leicht gewesen. Und nur etwas Glück war es zu verdanken, dass sie es überhaupt geschafft hatten. Im Nachhinein war die Sache einfach nur lebensmüde gewesen. Allerdings war sich Theical auch sicher, dass sie ihm nicht geholfen hätten, hätten sie nicht mit angesehen, wie er von der Übermacht ausgeknockt und weggeschleppt wurde.
    „Vielleicht haben wir es gemacht, weil wir einfach nur nett sind. Vielleicht aber auch nicht“, meinte Thyra. Dabei trug sie ein freches Grinsen im Gesicht. Der Fremde wollte wohl etwas darauf sagen, doch schienen ihm für einen Moment die Worte zu fehlen. Oder er suchte nur nach den richtigen, Theical nahm ihm die Entscheidung kurzerhand ab.
    „Da du unsere Hilfe nun nicht mehr benötigen wirst, werden sich unsere Wege an dieser Stelle wohl auch wieder trennen.“
    Nicht, dass er den Fremden loswerden wollte. Aber er fühlte sich nicht wohl in der Gasse. Zwar waren sie weit genug von dem Haus davon gerannt, in dem die Frau die Leibgarde Zacharas festhielt, aber niemand konnte mit Gewissheit sagen, dass sie nicht doch hier auftauchen würden. Besser war es, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr hier waren.
    Thyra und Theical wandten sich also zum Gehen.
    Überrascht drehten sie sich jedoch zurück, als der Mann, nun etwas lauter, wieder zu sprechen begann: „Fürst Zacharas hat einen Leibarzt am Hof.“
    Danach war er wieder still und kurz machte es den Anschein, dass er nicht weiter reden würde.
    „Angeblich soll es wohl keinen besseren geben, als ihn. Vielleicht kann ich mit Zacharas reden, dass der Heiler deiner Großmutter hilft“, meinte er dann. Dabei klangen seine Überlegungen mehr an ihn selbst gerechnet, als an die beiden vor ihm.
    Kurz sahen sich diese in die Gesichter, dann wandten sie ihren Blick wieder zu dem fremden Mann. Theic wusste nicht so recht, was er von dem Vorschlag halten sollte. Warum sollte er ihnen helfen? Er hatte keinen Grund dazu. Das Angebot war zu großzügig, als dass es keine Gegenleistung abverlangen würde. Sympathie hin oder her.
    „Warum solltest du das machen?“, äußerte er schließlich seine Bedenken.
    „Vielleicht mache ich es, weil ich einfach nur nett bin. Vielleicht aber auch nicht“, veränderte der Fremde Thyras Wortlaut zu seinen Gunsten. Ein schmales, aber durchaus ehrliches Lächeln zierte sein Gesicht. Ob er es doch ernst meinte? Konnte man ihm vertrauen?

  • Vorsichtig schreitete Zacharas einen schmalen, dunklen Gang entlang, das Ende nicht sehend. Die Wände waren glitschig, von Lehm und Salz bedeckt. Es knirschte bei jedem seiner Schritte. Der Sand zu seinen Füßen ebnete den beengenden Weg, der ins Nichts führte. Die Augen wanderten ziellos umher, das wenige Licht der Fackel blendete ihn nur. Doch er brauchte sie. Sie war von Nöten, um das Geheimnis zu entdecken, welches sich hier verbarg. Er wusste nicht, wie es aussah und was es überhaupt war. Ob es überhaupt hier war, in dieser unterirdischen Stadt. Mit jedem weiteren Schritt, den er tat, fiel es ihm schwerer, seine Reise fortzusetzen. Etwas hauste hier. Etwas grausames, was man nicht fühlen, sehen, oder schmecken konnte. Nur Vermutungen in seinem Kopf regten den Verstand an und machten ihn schwach und schwächer.
    “Ich muss weitergehen. Ich muss es für sie tun.”
    Er quälte sich voran, die Angst im Nacken spürend. Ein eiskalter Hauch umschmeichelte seine verblassten Wangen und ließen ihn kurz zusammenzucken. Er griff in seine Seitentasche nach seinen Zauberstab. Fest umpackte er ihn, zückte ihn aber nicht.
    “Beruhige dich wieder. Alles ist gut”, sagte er sich in Gedanken, wohl wissend, dass es eben nicht so war. Doch er hatte keine Wahl. Der Weg hinter ihm war versperrt. Nicht etwa von einem Stein, einer Wand, oder ähnlichem. Der Tod selbst war die Barriere. Zacharas wagte es allein und musste nun den Preis dafür zahlen. Sein Leben war der Tribut, den er zu entrichten hatte. Sein Leben, oder die Zeit.

    “Du kannst nicht entkommen!”, ertönte eine säuselnde Stimme neben ihm. Ruckartig drehte er sich um, aber dort war nichts. Nur die einsame Leere und Finsternis beherrschte dies hier. War er verloren? Die Fackel spendete ihm nur geringfügig Trost, welcher das bevorstehende Leiden nicht aufhalten konnte.

    “Niemand kann sich meiner Macht entziehen! Ich werde dich heimsuchen, noch ehe du die Säule erreichst!”

    “Du existierst nicht! Du bist nicht real”, redete der Lord sich immer wieder ein. Doch wer konnte ihm das Gegenteil behaupten? Es wirkte echt und allgegenwärtig. Das Grauen von Haemotsu. Acrylon der Wächter war entfesselt!
    Zachras hatte es gewagt, ihn zu befreien, ihn zu erzürnen. Nun war der Moment gekommen, auf den Acrylon gewartet hatte, aber niemand sonst erreichen wollte. Die Katakomben wurden entdeckt und das Rätsel gelöst. Aras war kurz vor dem Ziel. Nur noch wenige Schritte und er würde den Schatz erreichen, der in den Pergamenten beschrieben wurde.
    Und dann geschah es. Ein Wesen offenbarte sich ihm! Am Ende des Ganges tauchte es auf, wie Nebel. Schemenhaft glitt es beschwingt zu ihm hin, dabei ein entsetzliches Kreischen von sich gebend. Aras hielt Stand und stellte sich der unbekannten Kreatur. Er nahm seinen Zauberstab, richtete ihn nach vorn und...

    “Nicht schon wieder!”
    Schnaufen hallte durch den Raum, der nun sein Arbeitszimmer war. Aras war eingeschlafen, bewusst. Er meditierte, wohl hoffend, endlich den Schlüssel des Rätsels zu erfahren. Es war ein sehr schweres Rätsel, das ihm mit den sechs Pergamenten vorgelegt wurde. Sich die Augen reibend, erhob er sich langsam von seinem Stuhl und blickte leicht benommen zum Schreibtisch hin. Ihm kam ein Gedanke, der alltäglich sein Gemüt bestimmte und formte. Die Hand zitterte schon richtig vor Schreibwut. Schnell holte er zwei leere Blatt Papier hervor und nahm seine bereits tintengetränkte Feder hervor. Beinahe hätte der Kiel das Tintenfässchen umgerissen, doch Zacharas konnte dies nochmal gekonnt abwenden.

    --2 Schritte zeigen das Ziel. 8 Schritte zeigen das Ziel. 256 Schritte zeigen das Ziel. 446 Schritte...--

    “Was soll das nur bedeuten?”

    --Es tut mir leid. Ich wünschte, ich hätte dich nie kennengelernt. Es ist so schwer für einen Mann, einer Frau das entscheidende Wort zu sagen. Und für einen Mann meiner Größe ist es umso schwerer. Ich weiß nicht, ob du...--

    “Nein, das kann ich so nicht schreiben. Das klingt so verzweifelt.” Er setzte neu an.

    --Seit unserer ersten Begegnung wusste ich, dass ich dich nie wieder vergessen könnte. Seit dem ersten Tag wusste ich, dass ich dich immer lieben werde. Ich bin mir unsicher, ob...--

    “Es bringt doch nichts. Sie wird mich niemals lieben.” Traurig senkte er den Kopf und kehrte in sich. In sein tiefstes Innerstes schaute er und hoffte, dort die Antwort zu finden. Er suchte die richtigen Worte, die seine Gefühle beschreiben würden.

    --Liebe Engel. Seit unserer ersten Begegnung wusste ich, dass ich dich nie wieder vergessen würde. Ich weiß, dir war es damals egal und wird es auch ebenso heute sein. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Wenn ich du wäre und würde tagtäglich sehen, was sich in und um der Burg abspielt, wäre ich auch nicht gerade gut auf den Burgherrn zu sprechen. Aber es gibt einen Grund, warum ich so bin und so handle. Ich gehe nicht davon aus, dass du ihn verstehen wirst, aber es wäre schön, wenn du es versuchen würdest, ihn zu begreifen. Ich konnte meine Mutter nie kennen lernen. Ich hätte sie zu gerne einmal gesehen, wie sie mich stolz und glücklich in ihren Armen gewiegt hätte. Aber dies blieb uns beiden vergönnt. Egel, du warst die erste Frau, von welcher ich eine Kuss bekam. Du weißt das und gibst bestimmt heimlich damit an. Auch wenn ich nach außen hin sehr herrisch und gemein wirke, bin ich tief im Inneren doch ein sanftmütiger und gütiger Mann. Mir fehlt nur eines in meinem Leben, was mich dauerhaft glücklich machen könnte. Auch nach Außen hin. Ich weiß, du willst es nicht wahrhaben und kannst es dir auch nicht vorstellen. Aber ich muss dir leider sagen, dass ich dich nach so vielen Jahren immer noch vom ganzen Herzen liebe. Ich kann es nicht ertragen, dich mit deinem Mann zu sehen, wohlwissend, dass ihr zusammengehört. Ich gönne es dir und deinem Gatten. Ich bin stolz auf dich, dass du eine wunderschöne Tochter hast. Aber es erfüllt mich ebenso mit Trauer, dass nicht ich der Vater bin. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass du mich so inspirierst mit deiner Art und deinem Wesen an sich, aber trotzdem mir jedesmal einen Herzstoß versetzt, wenn ich an all das denke, was du erreicht hast. Was du ohne mich erreicht hast. Ich möchte dich am liebsten wegschließen vor der korrupten Gesellschaft, die dich nur ausnutzen will. Aber ich könnte den Gedanken nicht ertragen, dir somit die Freiheit zu rauben. Der Gedanke daran, dass nicht ich mit dir innig sein kann, dein Mann aber schon, belastet mich sehr. Er mag bestimmt ein gütiger und gerechter Gatte sein und dir jeden Wunsch erfüllen. Doch für mich ist er nicht der richtige für dich. Ich weiß, du hasst mich. Nicht mich persönlich, aber meine Art zu regieren und zu herrschen. Doch sollte ich mich ändern, wohl wissend, dass du mich trotzdem nicht haben willst? Ich brauche das, um mich genügend abzulenken. Ich suche den Nervenkitzel, der mir bei dir verwehrt blieb. All deine Freunde und Bekannten könnten auch genauso gut die meine sein. Es liegt nur an uns beiden. Wir müssen den Schritt wagen. Jeder seinen Eigenen. Ich muss den Mut aufbringen und dich besuchen, öffentlich. Und du musst die Geduld besitzen, mir zuzuhören. Dies hier ist auch gleich ein Testament. Wenn ich nicht mehr sein sollte, vermache ich dir und deiner Tochter den Thron. Nur eine Bedingung stelle ich dafür. Verbrenne meine Bücher.
    In Liebe Zacharas van Júmen--

    Er legte ihn zur Seite und widmete sich wieder dem anderen Papier. Auch wenn er immer noch keinen Schritt weitergekommen war. Doch irgendwas musste er tun. Er konnte nun nicht bis zum Ende seines Lebens vor den Pergamenten hocken und es nicht wagen. Er war so kurz vorm Ziel und doch so weit entfernt. Ihm fehlte die Einsicht. Er wollte nicht, dass es andere erfahren würden. Doch bei Engel war er so irrational. Gerade bei einer Frau, die ihn womöglich am meisten verachtete. War es Schicksal, eine Fügung? Was verleitete ihn dazu, ihr zu vertrauen, aber Gelehrten und Weisen abzudanken?
    Dann fasste er einen Entschluss, der sowohl schwachsinnig als auch genial war.
    “Dieses Pärchen, welches mir das letzte Pergament überreicht hatte. Das könnte ich mir noch mal durch den Kopf gehen lassen.”

    Sofort riss er sich hoch, schnappte sich den Brief für Engel und hielt ihn dicht über die brennende Kerze.

  • Jaris drückte ein mit Eiswasser gekühltes Stofftuch gegen die pochende Stelle an seinem Hinterkopf. Noch immer schmerzte sie, auch wenn die Kälte half. Die Dienerin - man hatte ihnen wohl Anweisungen erteilt alle seine Forderungen zu erfüllen - hatte nicht weiter nachgefragt. Ihr schienen wohl oftmals seltsame Wünsche der Gäste Zacharas unterzukommen. Seine Gedanken kreisten wild um die Reise, die der Herzog plante, die Gefahren die dort auf ihn lauerten. Er hatte noch nie viel für das, was er hatte, übrig gehabt, nur sein Leben war ihm immer heilig gewesen. Nicht das er ein Feigling gewesen wäre. Er hatte etliche Schlachten gekämpft, war unzählige Male Ziel feindlicher Angriffe gewesen, aber immer hatte er dabei seine Chancen gekannt, gewusst, wie die Gefahr aussah, in die er sich begab. Und jetzt. Jetzt ritt er neben einem Mann, dem er nicht mal seinen Mantel anvertraut hätte, geschweige denn sein Leben, in ein Abenteuer, dessen Zweck er nicht einmal kannte. Schon jetzt war er nur durch seine Bekanntschaft mit Zacharas in den Fokus seiner Feinde geraten. Wenige konnte der Herzog kaum haben. Langsam fragte er sich, wie er eigentlich dessen Leben beschützen sollte, was offenbar seine Aufgabe war, wenn er ständig um das seine kämpfen musste? "Anderseits", dachte Jaris, "Geht es dabei irgendwie auch um mein Volk." Er hatte noch nie allzu viele Gedanken an seine Verwandten verschwendet. Er war in der Stadt aufgewachsen und nicht zwischen Büschen und Bäumen. Aber jetzt, nachdem er diesen Namen gelesen hatte, brannte die Frage fast so schmerzhaft in seinen Gedanken, wie die Wunde an seinem Schädel. Kurz hatte er mit dem Gedanken gespielt Zacharas über den Inhalt des Dokuments zu befragen, doch der Herzog wusste noch nichts über seine Herkunft, außer, dass er aus Felodun kam. Vielleicht ahnte er, dass Jaris nicht allein menschlich war, doch das mochte nicht viel heißen. Es gab viele Elbenvölker. Was also, wenn der Auftrag also wirklich mit seinem zu tun hatte, könnte er es wagen sich damit an Zacharas zu wenden und sich vielleicht als interessanter erweisen, als er bisher schien. Zum Beispiel als Druckmittel. Er könnte Zacharas natürlich ohne Angabe eines Grundes nach dem Schriftstück fragen, doch der Mann war zwar vieles, aber bestimmt nicht dumm. Wieso sonst sollte man sich für ein einzelnes Wort in einem Text Gedanken machen, den man noch nicht mal lesen konnte. Seine einzige Hoffnung belief sich darauf, dass Zacharas auch irgendwann selbst Informationen über ihren Auftrag weitergeben musste. "Vielleicht erzählt er ja morgen etwas", dachte er, ließ den Lappen wieder in den Eimer zu seinen Füßen fallen und legte sich zurück in sein viel zu weiches Bett und starrte auf die viel zu hohe Decke, "Oder der Text hat gar nichts mit dem Auftrag zu tun und in Wahrheit sammeln wir im Wald spezielle Beeren oder so." Aber sein Gefühl sagte ihm, dass es wohl doch eher mit Blut, Schmerz und Tod zu tun haben würde. Und mit diesem "beruhigenden" Gedanken schloss er die Augen und schlief sofort ein.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    „Wieso sitzen wir hier?“ Theical fuhr sich über das Gesicht. Es war bereits mitten in der Nacht und langsam wollte sich die Müdigkeit in seinen Körper kämpfen. Davon abgesehen, dass seine Füße schon vor gefühlten Stunden eingeschlafen waren und sie unangenehm kribbelten. Langsam bewegte er seinen Kopf hin und her, ließ ihn knacken und rutschte dann etwas in seiner Position. Das Sitzen so anstrengend sein konnte, war ihm neu.
    „Wir warten“, meinte Thyra neben ihm. Schon die ganze Zeit über beobachtete die Frau die Burg von Zacharas, sah zu, wie ein Licht nach dem anderen erlosch, bis nur noch wenige übrig waren. Doch davon und von der ein oder anderen Wache, die die Burg verließ oder betrat, abgesehen, geschah rein gar nichts. Die ermüdende Atmosphäre wurde dadurch nur verschlimmert.
    Stöhnend lehnte sich Theic zurück, dabei musste er aufpassen, dass er nicht ausversehen von dem Dach rutschte, auf dem sie saßen. Danach verschränkte er seine Arme hinter dem Kopf.
    „Das sagst du schon seit Stunden, aber auf was genau warten wir?“
    Nun wandte Thyra ihren Blick doch ab. Sie zögerte, doch dann antwortete sie doch. „Weiß ich auch nicht genau, aber mein Bauch sagt mir, dass wir hier sitzen müssen. Und ich höre immer auf mein Bauchgefühl.“
    Theical verdrehte seine Augen und hob ein wenig die Augenbrauen an.
    „Das klingt komplett unlogisch.“ Mehr sagte er dazu nicht. Ihm war nicht nach streiten, oder gar reden zumute. Am liebsten würde er einfach nur noch schlafen.
    Laut gähnte er, dann blickte er in den Himmel. Der Tag war anstrengend genug gewesen. Von Gerisa nach Ymilburg, die Begegnung mit Zacharas van Júmen und dann noch die kleine Rettungsaktion von dessen Leibwache. Da war ein wenig Schlaf wohl nicht zu viel verlangt. Er schloss die Augen. Nur kurz ausruhen, dann würde es sicher besser gehen.

    Es kam Theical vor wie ein paar Minuten, dass er seine Augen geschlossen hatte, als ihm etwas an den Haaren zog. Er grummelte, wollte er doch nur schlafen. Genervt drehte er sich weg, wurde aber sofort zurück gedreht und etwas kitzelte ihm im Gesicht.
    „Jetzt wach schon auf, die Sonne ist aufgegangen und es scheint endlich etwas zu passieren!“
    Thyras Stimme klang aufgeregt, als sie sprach und hatte er richtig gehört? Die Sonne war aufgegangen? Theical blinzelte gegen das Licht an. Tatsächlich quollen die hellen Strahlen durch seine Lider. Als er es endlich geschafft hatte, seine müden Augen zu öffnen, richtete er sich schwerfällig auf. Ihm tat ausnahmslos jeder Knochen im Körper weh.
    Er ließ seinen Blick schweifen. Die Sonne war erst vor wenigen Minuten über den Horizont gekrochen und färbte den Himmel noch immer schwachrosa.
    Ein Krächzen lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Vogel, der neben ihm auf dem Dach hockte. Sari war also von seinem kleinen Auftrag zurück. Das hieß, dass auch Jamir und Habger bald in Ymilburg auftauchen würden.
    Er strich dem Vogel einige Male über den Kopf, was dieser aufplusternd zur Kenntnis nahm.
    „Schau!“ Thyra zeigte auf das Tor zur Burg. Dort verließen gerade einige Soldaten das Anwesen. Nichts, was Theical als wirklich spannend befand. Jedenfalls nicht spannend genug, um ihn deshalb aus dem Schlaf zu reißen.
    „Und?“, fragte er schließlich, da sich der Grund auch nach Minuten des Beobachtens noch immer nicht für ihn erschloss.
    „Der Herzog hat das Schloss verlassen“, meinte Thyra. Sie sprang beschwingt auf und klopfte sich etwas ihre Sachen ab. „Na los, wir folgen ihnen!“

  • Thyra sprang behände von Sims zu Sims und hinunter auf den Boden. Theical folgte er so gut er konnte, auch wenn ihm dabei die weibliche Eleganz etwas entglitt. Sari flatterte einfach in der Luft und wartete bis sein Herr den Boden erreicht hatte und wieder sicher stand, ehe er sich wieder auf Theicals Schulter niederließ.
    Der große Donnervogel zupfte unruhig in Theics Haaren, so als wüsste er, dass es größeres anstand.
    Gemeinsam wandten sich die Gefährten um und Theical folgte Thyra, die durch die schmalen Gassen der Stadt in die Richtung rannte, in die der Herzog verschwunden war.
    Es dauerte nicht lange, bis sie auf eine Kreuzung kamen. Augenblicklich drehte Thyra sich um und schubste ihren Gefährten zurück hinter eine Hauswand. Sari flatterte aufgeregt in die Luft empor.
    „Was sollte das denn?!“, fragte Theic empört, aber Thyra legte mahnend einen Finger auf die Lippen.
    „Psst“, machte sie. "Zacharas kam eben die Straße runter.“
    Als wäre das ein Zeichen gewesen drang nun die nasale Stimme des Herzog an ihr Ohr, die von leichtem Hufgeklapper ihrer Pferde untermalt wurde: „ … die Schatulle von Daris.“
    Sein Leibwächter, der den sie aus den Klauen dieser seltsamen Frau gerettet hatten, antwortete nicht. Es schien so, als würde der Herzog ein Selbstgespräch führen. Dann waren sie auch schon an ihnen vorüber und Thyra und Theical schoben sich aus ihrem Versteck auf die Straße und folgten den Pferden der edlen Herren, die in der Stadt noch langsam vor sich hin trabten.
    „Schatulle von Daris?“, fragte Thyra im Laufen.
    „Klingt sehr geheimnisvoll“, meinte Theic, der neben ihr her lief. „Aber was mir mehr zu schaffen macht ist, dass die beiden Pferde haben und wir nicht. Wir werden ohnehin niemals mit ihnen Schritt halten können. Lass uns umkehren und nach meinen Großeltern sehen.“
    „So leicht geben wir doch jetzt nicht auf, oder?“, fragte Thyra, in deren Augen blanke Neugier und Abenteuerlust funkelten. Thyra konnte sehen, wie Theical bei ihrem Anblick etwas verunsichert wurde.
    „Ach komm schon“, drängte sie.
    „Wir werden eh nicht lange mit ihnen Schritt halten können.“ Theic wurde langsam ungehalten. „Spätestens wenn sie aus der Stadt raus in die offene Ebene kommen werden wir sie verlieren.“
    Thyra blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. „Sei nicht so ein Angsthase. Selbst wenn wir sie verlieren, können wir vielleicht etwas mehr über die Schatulle rausfinden!“
    Nun hob auch Theical endgültig die Stimme: „Und was willst du mit dem Wissen anfangen? Lass uns lieber hier bleiben und das Leben genießen. Bleibt nur zu hoffen, dass der Herzog bei seinem Abenteuer umkommt!“
    „Du sagst es! Ein Abenteuer!“ Wieder trat dieses beinahe irre Funkeln in ihre Augen. „Wer kann ein Abenteuer schon ausschlagen?“
    „Richtig! Wer kann sowas schon ausschlagen?“
    Erschrocken fuhren Theical und Thyra herum. Sie hatten während ihrem Streit gar nicht gemerkt, dass Zacharas und Anhang umgekehrt waren und nun hoch zu Ross direkt vor ihnen standen.
    Alle Farbe wich aus ihren Gesichtern.
    Oh Scheiße, wie viel hat er gehört?, schoss es Thyra durch den Kopf, die an den bissigen Kommentar von Thiec zum Ableben des Herzogs denken musste.
    Zacharas lächelte nur leicht herablassend und machte keine Anstalten von seinem Pferd ab zu steigen, während sein Begleiter die beiden mit einem blick musterte, der es Thyra unmöglich machte seine Gefühle oder Gedanken zu lesen.
    „Mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr mich begleiten wollt?“, fragte Zacharas von seinem Ross zu ihnen hinunter.
    „Ich ... wir … also eigentlich“, begann Theic zu stammeln.
    Auch Thyra wusste nicht was sie sagen sollte und schämte sich ihren Freund bei diesem Gespräch im Stich zu lassen, dennoch musterte sie den Herzog trotzig und stolz.
    „Wie dem auch sei“, fuhr Aras fort, als auch Theic wieder verstummt war. „Ich denke ich kann euch beiden den Gefallen tun."
    „WAS?!“, entfuhr es Theical, dem Leibwächter und Thyra wie aus einem Munde.
    Der Herzog lächelte wieder sein unerträglich überlegenes Lächeln und fügte an: „Um die Mittagszeit am Tor zum See. Jaris braucht noch etwas um Reittiere für euch zu besorgen.“
    „Was ich …“, versuchte der Mann, den er Jaris genannt hatte, einzuwenden. „Das geht nicht!“
    „Ist das so?“, fragte Zacharas und wendete sein Pferd. Er ließ die drei einfach sprachlos stehen und sein Pferd gemütlich davon traben.
    „Ach ja“, rief er noch ohne sich dabei umzudrehen. „Solltet ihr nicht da sein wird mein Leibwächter den Neuzugezogenen Habger und Jamir einen Besuch abstatten müssen.“
    Theicals und Thyras Blick ruckten sofort zu Jaris. Dieser hob entschuldigend die Hände und zuckte mit den Schultern, ehe auch er sein Pferd wendete und sich auf den Weg machte zwei Tiere für die unfreiwilligen Begleiter der Expedition zu suchen.
    Als die beiden außer Sicht- und Hörweite waren fuhr Theical wütend zu Thyra herum.
    „Das hast du ja ganz toll hinbekommen!“, fauchte er.
    Thyra sah betreten zu Boden. Theical hatte ja Recht. So war das Ganze wirklich nicht geplant gewesen. Vor allem weil sie die Blicke gemerkt hatte, die die Augen des Fürsten immer wieder zu Theical hatten gleiten lassen. Sie wusste nicht, wie sie diese blicke deuten sollte, doch sie wusste, dass weder ihr noch Theical die Hintergedanken des Herzogs gefallen würden.
    „Es tut mir leid“, brachte sie kleinlaut hervor.
    „Ist schon in Ordnung“, resignierte Theical plötzlich. Thyra blickte auf.
    „Jetzt ist es ohnehin zu spät. Niemals würde ich das Leben meiner Großeltern auf’s Spiel setzen. Wir werden das schon hinbekommen, oder?“
    Thyra nickte zaghaft.
    Theical wandte sich um und ging durch die Gassen Richtung des neuen Zuhauses seiner Großeltern. „Vielleicht können wir ihm ja doch noch in die Suppe spucken.“
    Noch immer wagte Thyra nichts zu sagen und lauschte dem sonst etwas wortkargen Theic bei seinem Monolog, während sie sich ausmalte was Habger mit ihr machen würde, wenn er herausfand, dass das alles ihre Schuld war.
    immerhin blieb ihnen die Möglichkeit sich ordentlich zu verabschieden und die beiden zu warnen, was Aras Pläne anging. Sie sollten unbedingt so schnell es ging zurück in ihren Heimatstadt gehen, um aus der Reichweite dieses Monsters zu kommen.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

    Einmal editiert, zuletzt von Miri (26. November 2015 um 12:54)

  • “Mein Herr”, drang ängstlich von seinem getreuen Schoßhund Paulus zu ihm hindurch, “warum genau wollt Ihr sie nochmal mit dabei haben?”
    “Was meint Ihr, Paulus?” Fragend blickte er zu ihm hinab, krampfhaft die Zügel seines Hengstes haltend. “Geht es Euch was an, wozu ich sie brauche?”
    “Nein, mein Herr”, erwiderte er sofort und striegelte des Lords rechten Fuß, während dieser weiter die Straße entlang ritt. Zwei Soldaten und ein männerloses Pferd begleiteten ihn zusätzlich noch mit. Dieses diente nur als Gepäckträger.
    Paulus war der Einzige, ohne Pferd. Er folgte Zacharas zu Fuß. Nicht etwa, weil er kein Pferd reiten konnte, sondern weil es ihm nicht erlaubt war. Darüber hinaus konnte womöglich jeder halbwegs begabte Bürger in Aras’ Stadt besser reiten, als der Lord selbst.
    Doch niemand würde es sich wohl trauen, dem Lord seine Schwäche direkt mitzuteilen. Selbst, oder gerade, Paulus traute es sich nicht.
    Doch war es dem Lord an sich völlig gleichgültig, dass er eben nicht, dem gewöhnlichen Bild eines Herrschers angemessen, gut reiten konnte. Er bevorzugte viel lieber das Gehen, obgleich es selbst ihm in seiner Stadt zuwider war, dies zu tun. Das lag nicht an der Stadt selbst, auch nicht an den Bürgern, oder der Moral. Sondern es lag an der Zeit.
    Es mag banal klingen. Aber für den Lord schien die Zeit in seiner Stadt schneller zu verrinnen, als außerhalb.

    “Und außerdem”, so meinte Aras weiter, “sollte es Euch in dem Sinne egal sein, weil Ihr sowieso nicht mitreisen werdet.”
    “Ich werde nicht mitreisen? Ich meine, diesmal nicht?”
    “Habe ich genuschelt, oder warum fragt Ihr dauernd alles nochmal nach?”
    “Nein, habt Ihr nicht, mein Herr.” Tief senkte Paulus seinen Kopf.

    “Seht es als Geschenk, Paulus! Ihr habt die Möglichkeit und Aufgabe, in meiner Abwesenheit die Burg zu verwalten.”
    Paulus schaute skeptisch. “Aber mein Herr... Ich kann doch nicht Eure Arbeit verrichten. Ich bin doch nur...”
    “Was seid Ihr nur, Paulus? Ob Ihr das könnt, ist nicht von Belange! Ich habe nur Euch. Oder findet Ihr etwa auf die Schnelle einen würdigeren als Euch?”
    Paulus schüttelte den Kopf. “Mein Herr, so meinte ich das nicht.”
    “Aber ich meinte das so, Paulus!”, erwiderte Zacharas genervt. “Wir waren doch schon oft auf Reisen. Aber diesmal will ich Euch nicht unnütz in Gefahr bringen.”
    Besorgt blickte Paulus zu ihm hinauf. “Nehmt mich mit, mein Herr. Ich werde für Euch die Gefahren auf mich nehmen. Ihr seid zu kostbar, Ihr seid zu gütig für diese Welt. Oder bleibt besser gleich hier und lasst mich im Namen Euresgleichen die Reise antreten.”
    “Schweigt!” Aras zog die Zügel straff an und sein Gaul stellte sich auf die Hinterläufe. Wiehernd und strampelnd scheuchte er Paulus von sich weg.
    “Reitet schon mal ohne uns zum Nordtor”, befahl Aras den Soldaten, welche ohne Widerworte seinem Befehl folge leisteten. Eine Weile verharrte sein Blick auf diese, bis sie in der nächsten Gasse verschwunden waren. Aras und Paulus waren nun unter sich, ungestört und ohne Schaulustige.
    Mit drohendem Finger zeigte er auf den kleinen, dummen Mitläufer und musste sich ebenso stark zügeln, wie sein Pferd. “Hört auf, mir ständig zu widersprechen, Vorschläge zu machen, oder Einwände zu erheben! Denkt Ihr etwa wirklich, ich wäre so dumm und würde mich freiwillig in Gefahr begeben, dabei den sicheren Tod vor Augen sehen und den eiskalten Hauch der Endgültigkeit im Nacken spürend? Oder liegt es an Jaris? Vertraut Ihr ihm nicht? Zweifeltet Ihr etwa schon dort an mir, als ich Jaris die Stelle als Leibwächter angeboten habe? Für ihn habe ich auch meine Pläne! Ebenso für die anderen beiden. Glaubt mir, Paulus, Ihr seid mehr wert, als die drei zusammen. Ich habe nicht unseren Pakt vergessen. Aber vermutlich habt Ihr ihn vergessen.”

    “Nein, mein Gebieter”, entschuldigte sich Paulus bei ihm, auf allen Vieren kriechend. “Ich habe unseren Pakt nicht vergessen. Aber eben dessen fühle ich mich dazu verpflichtet, Eure Worte in Frage zu stellen, um Euer Gesundheit Willen.”
    “Ihr müsst Euch wirklich keinerlei Sorgen machen, mein treuer Paulus.” Vorsichtig stieg Aras vom Pferd hinab und übergab ihm die Zügel, welche er mit Freuden und ohne zu Zögern entgegennahm.
    “Mein Leben soll nur in Ymilburg versiegen und nirgendwo sonst! So war es bei meinem Vater, dessen Vater und deren Väter!”
    “Aber Ihr seid noch kein Vater, mein Lord! Ihr seid Kinderlos...”
    “Eben darum werde ich ja auch unbeschadet zurückkehren, mein Paulus. Ich habe dann noch genug Zeit für Familie.” Kurz schweifte sein Blick in die Ferne, gefolgt von leichtem Kopfnicken. “Heute Abend schickt Ihr meinen persönlichen Medikus Casper zu dem Haus, wo Habger und Jamir sind und lasst die kranke Frau untersuchen.”
    “Casper? Aber wie soll ich das anstellen, mein Herr? Ihr wisst doch, wie launisch er immer ist...”

    “Es ist mir egal, wie launisch er ist! Ich habe keine Lust, dass die mir wegsterben, bevor ich wieder zurückkehre. Denkt Ihr etwa wirklich, dieser kleine Mann Theic kommt freiwillig mit, wenn er nicht mal selbst ein ihm angemessenes Leben führen kann? Man muss Anreize geben, um solche kleingeistigen Leute fügig zu machen. Was mit seiner Gefährtin ist, da bin ich mir noch unsicher.”

    “Die Jägerin?” Immer nur Besorgnis war in Paulus’ Stimme. “Habt Acht, dass sie Euren Plan nicht durchschaut. Sie kann gefährlich werden...”
    “Warum sollte sie meine Pläne nicht durchschauen dürfen? Ihr wisst doch gar nicht, wohin die Reise genau geht...”
    “Ihr habt ja recht, mein Herr. Wie konnte ich nur so dumm sein und an Euch zweifeln? Bitte verzeiht mir. Ich werde alles tun, was Ihr von mir verlangt.”

    “Gut so, Paulus! Dann bringt jetzt mein Pferd zum Nordtor.”
    Verwundert schaute Paulus ihn an. “Und Ihr, mein Gebieter? Kommt Ihr nun etwa doch nicht mit zum Tor?”

    “Natürlich komme ich mit! Ich habe nur keine Lust mehr, mein Pferd zu führen. Jetzt lasst uns weitergehen. Wir wollen doch schließlich ein Vorbild für die Truppe sein und unsere Gäste in Empfang nehmen, bevor diese das Nordtor erreicht haben.”

  • Die Mittagshitze ließ die aufgestaute Luft über dem heißen Stein flimmern. Unzählige Stimmen und andere Geräusche durchbrachen die Stille und vermischten sich zu einem unergründlichen Gesamtton, der an Jaris´Ohren zehrte. Er stand direkt in dem Menschenstrom des Nordtors, der sich um ihn und die drei kräftigen Reittiere teilte. Ein Schecke, der unruhig den Kopf hin und her warf, eine braune Stute die etwas phlegmatisch dastand und mit gesenktem Kopf schnaubte und sein Rappe, den er in den Ställen auf Zacharas Befehl hin erhalten hatte und nervös tänzelte. Mit Sicherheit hatten die Stallburschen etwas gegen ihn, denn sein Hengst wirkte nicht wie ein besonders geduldiges Tier. Vielmehr wie eines, bei dem er wesentlich mehr Zeit neben als auf dem Sattel verbringen müsste, selbst wenn er es versuchte. "Na, wo bleibt denn dein Herr", fragte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Stirnrunzelnd drehte Jaris sich um. Vor ihm standen Theic und Thyra. Beide mit Taschen bepackt. Theic machte dabei einen Gesichtsausdruck, als hätte er nach einer durchzechten Nacht und drei Stunden Schlaf ein Glas Eiswasser über den Kopf geschüttet bekommen, während Thyra fröhlich und gut gelaunt neben ihm hin und her zappelte, als könne sie es gar nicht erwarten, dass es los ging. Zu ihr hätte sein Hengst vielleicht besser gepasst, falls sich die Unruhe der beiden nicht addierte. "Dies würde dann wahrscheinlich in Blut, Schmerz und unserem Tod enden", dachte er optimistisch. "Ja. Noch ist Zeit umzukehren", beantwortete er Theics Frage halb als Herausforderung, halb als ehrlichen Rat. "Ich meine es ernst. Nehmt deine Großeltern und haut ab", fügte er hinzu.. Theic lächelte ironisch, als rechnete er ihre Chancen dem verrückten Herrscher zu entkommen aus. "Und was ist mit dir?", erwiderte er. "Dafür ist es bereits zu spät", antwortete Jaris, bevor ihm auffiel wie melodramatisch dieser Satz geklungen haben musste. Er kam jedoch nicht mehr dazu sich zu verbessern, da in diesem Moment Hufgetrappel ertönte. Zacharas erschien inmitten der Menge auf einem großem Schimmel reitend. Jaris entging nicht, dass der Herzog halb gebeugt dasaß und die Hände um den Sattelknauf klammerte, bis das Weiße in ihnen hervortrat. Das der Herzog kein allzu guter Reiter war, war jedoch ein Laster, dass Jaris ihm definitiv nicht vorwerfen könnte. Er selbst wäre froh gewesen, wenn er es auf diesem Riesen ein paar Meter weit geschafft hätte, geschweige denn eine Expedition durch unwegsames und vermutlich auch gefährliches Gelände.

    Anders denn seiner allgemeinen Gewohnheit war Zacharas heute kein Mann der vielen Worte. Er bedeutete ihnen nur, dass sie ihm durch das Tor zu folgen hatten. Jaris kletterte mit einigem an Aufwand und Nerven auf den Hengst und bemühte sich der Anweisung zu entsprechen, was gar nicht so einfach war, da das Tier wenig Lust zu haben schien, sich durch ein enges mit Menschen vollgestopftes Tor zu quetschen. Warum Zacharas sich das antat, blieb ihm schleierhaft. Er hätte zehn bis zwanzig Soldaten erwartet, die das Tor freihalten würden. Vielleicht noch ein vorgezogener Triumphzug und eine bereits errichtete Götterstatue des Herzogs. Tatsächlich schienen sie drei aber die seine einzige Begleitung zu sein. Nicht einmal sein buckelnder Diener war dabei. Vielleicht warteten ja noch Soldaten irgendwo außerhalb der Stadtmauern um einen Geleitschutz zu bilden. Sollte dies nicht so sein, schätzte der Söldner in Jaris die Kampfkraft der Truppe doch eher als nicht optimal ein. Vorsichtig ausgedrückt.

    Schließlich endlich bahnte sich der Hengst den Weg durch das Tor. Zacharas schlug sofort einen leichten Trab ein, den die Tiere vermutlich tagelang so durchhalten würden, auch wenn es ihm gar nicht zu behagen schien. Die Gruppe entfernte sich von der Stadt und ritt dem rötlichem Licht des Sonnenunterganges entgegen. "In den Geschichten", überlegte Jaris, "Ritten die Helden immer dem Sonnenaufgang entgegen." Doch sie hatten wenig mit den Geschichten zu tun. Sie waren keine Helden und vor ihnen verblasste das Licht, anstatt zu erstarken. In den Geschichten kehrten die Expeditionen auch zumeist erfolgreich zurück.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Theical verkrampfte sich bei jeder Bewegung seiner braunen Stute. Zwar war ihr Gang sanft, aber es war das erste Mal in seinem Leben, dass er auf einem trabenden Pferd saß. Bisher war sein Platz höchstens daneben gewesen – beim Beschlagen der Hufe. Kein Wunder also, dass er es nicht beim ersten Ritt beherrschte und er sich anstellte, wie ein Trottel. Schon das Aufsteigen war ein Problem gewesen, da das Tier schlicht und einfach zu groß war. Erst mit Thyras Hilfe war es ihm gelungen, sich irgendwie in den Sattel zu quälen.
    Ein Blick zu der Jägerin zeigte ihm aber, dass auch sie zu kämpfen hatte, um nicht vom Rücken ihres Schecken zu fallen. Allerdings stellte sie sich dabei wesentlich geschickter an, als er. Ihr Körper folgte den Bewegungen ihres Pferdes um einiges geschmeidiger.
    Theical wandte sich zurück und rückte seinen Hintern auf dem Sattel zurecht. Schon jetzt tat er weh und eigentlich konnte er nicht mehr sitzen, ohne wie auf Eis hin und her zu rutschen. Am liebsten wäre er abgestiegen und zu Fuß zurück in die Stadt gelaufen. Denn neben seinen schlechten Reitfähigkeiten bereitete ihm der undurchsichtige Plan von Aras noch zusätzlich Kopfschmerzen. Was hatte dieser vor und weshalb sollten er und Thyra mitkommen? Sicher nicht, wegen Thyras Gefasel von einem Abenteuer. So großzügig schätze Theic den Herzog nicht ein, auch wenn er wirklich einen Arzt zu seiner Großmutter geschickt hatte.
    Nein, das war sicher nicht der einzige Grund. Eher glaubte er, dass sie als Kanonenfutter herhalten sollten. Bisher sah er keinen anderen Grund. Schließlich waren er und Thyra nicht direkt im Kampf ausgebildet. Wobei die Jägerin sich noch eher verteidigen konnte, als er, der gerade mal die Kraft hatte, einen Hammer in der Hand halten zu können. Doch mit Jaris und vor allem mit dem Herzog selbst, konnte auch Thyra nicht mithalten. Sie beide waren nur lästiges Beiwerk, warum also, machte sich Aras die Arbeit, sie mit sich zu schleppen? Und wohin ging ihre Reise eigentlich? Was war das Ziel?
    Theical versuchte sich an die Worte zu erinnern, die er mitgehört hatte. Da war von einer Schatulle von Daris die Rede. Doch was sollte das sein? Er hatte noch nie davon gehört. Welchen Zweck erfüllte diese Schatulle und was hatte Aras damit vor? Besaß sie eine bestimmte Macht? Oder war sie zu etwas anderem zu gebrauchen? Warum wollte Aras sie unbedingt? Was auch immer sich darin befand, Theic war sich sicher, dass es nicht nur Sand aus der Dariswüste war. Der Aufwand wäre es nicht wert gewesen. Dreck fand man überall, da brauchte man keine lange Reise unternehmen.
    Und warum ausgerechnet jetzt?
    Theical kam ein anderer Gedanke. Konnte es vielleicht sein, dass es das war, was in dem Pergament stand, dass er Aras übergeben hatte? Die Schatulle von Daris? Eventuell eine Wegbeschreibung? Das würde erklären, warum Aras erst jetzt zu seiner Reise aufbrach. Stellte sich immer noch die Frage, wie er von dem Pergament wissen konnte und wie er das Buchstabenkauderwelsch entziffern konnte. War sein Teil vielleicht nur ein Teil eines Großenganzen gewesen? So viele Fragen, aber keine Antworten.
    Theical schielte zu Aras, der auf seinem Weißen an der Spitze ritt. Jaris direkt hinter ihm. Daneben die zwei Wachen, die ihren kleinen Trupp eskortierten. Was auch immer in der Schatulle war, der Herzog musste sich in seiner Unternehmung sehr sicher sein, ansonsten hätte er kaum mit nur fünf Personen seine sichere Stadt verlassen.
    In jedem Fall wäre es falsch dem Herzog einfach blind zu vertrauen. Theical würde also die Augen offenhalten und beobachten. Er vertraute dem Herzog kein Stück.
    Theical wandte sich zurück zum Horizont. Die Sonne war bereits untergegangen, aber wegen des klaren Himmels und des Mondes war es immer noch angenehm hell. Es schien, dass Aras die verlorene Zeit, die er in der Stadt noch auf sie warten musste, nun aufholen wollte. Hoffentlich würden sie bald eine Rast machen, langsam konnte er wirklich nicht mehr gerade sitzen, sich zu beschweren getraute er sich aber auch nicht.