Auf der Suche nach der Schatulle von Daris

Es gibt 509 Antworten in diesem Thema, welches 124.922 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (16. April 2018 um 04:25) ist von TiKa444.

    • Offizieller Beitrag

    Seit Stunden murmelte Aras den Zauber vor sich hin, welcher Daryk laut Aussage des Herzogs „unaufhaltbar“ machen sollte. Daryk fühlte sich tatsächlich grandios. Er spürte, dass irgendetwas anders war als vor dem Zauber, aber konnte nicht sagen, was es genau war. Entspannt stand der Hüne in seiner schwarzen Rüstung zwischen den Bauern Ymilburgs, welche der Speerphalanx der Nordmänner Rückhalt geben sollte. Die untrainierten Männer mit ihren Mistgabeln und schnell geschmiedeten Schwertern, zitterten teilweise und sahen nicht aus, als wären sie der Aufgabe auch nur annähernd gewachsen. Neben ihm stand ein Junge, vielleicht siebzehn Jahre alt, der wie gebannt die Mauer anstarrte. Er erinnerte Daryk an seine eigene erste Schlacht im Schnee seiner Heimat. Damals gerade sechzehn Jahre alt, hatte Daryk nach kurzer Ausbildung Speer und Schild in die Hand gedrückt bekommen und war auf seine Feinde zumarschiert. Bereits damals ohne Angst und ohne Zögern, denn er war sich sicher, dass Xhar über ihn wachte und so war es scheinbar auch. Er sollte sich beweisen in den nächsten Tagen und das würde er!

    Der Einschlag des Rammbocks in das Stadttor riss Daryk aus seinen Gedanken und lies den Jungen neben ihm zusammenzucken. Hektisch versuchten Männer die Mauer zu verlassen als der zweite Einschlag das Tor aufbrach und Torhaus in sich zusammenfiel. Sofort ging der Schildwall in Stellung und richtete die Speere in Richtung des zerstörten Mauerteils. Die Bauern drängten sich dicht hinter die Nordmänner um zu verhindern, dass einfallende Gegner die Phalanx verschieben konnten. Auch der Junge neben ihm kam seiner Pflicht nach und stemmte seinen Körper in die Menge. Ein etwas älterer Bauer vor Daryk aber versuchte seine Position zu verlassen und zu fliehen. Daryk stellte sich ihm in den Weg und zeigte wortlos nach vorne zum Platz des Bauern. Dieser hatte offensichtlich mehr Angst vor dem schwarzen Ritter als vor den anrückenden Feinden und fügte sich in sein Schicksal.

    Die ersten Fußsoldaten Bornholms bahnten sich ihren Weg durch den Schutt und stürmten ohne größere Ordnung auf den Schildwall zu. Die Nordmänner ließen ihre Speere vorschnellen und fällten die ersten Feinde ohne größere Probleme. Gelangweilt von seiner Position in den hinteren Reihen, bahnte sich Daryk einen Weg durch die Bauern, welche ihn ungehindert passieren ließen. Erst, als er direkt hinter den Reihen der Speerträger stand, blieb er stehen und hob seine Waffe. Mit der Zeit gelang es einigen der feindlichen Soldaten, die Speerspitzen zu überwinden, und die Schilde anzugreifen. Langsam tat sich eine Lücke in den Reihen der Verteidiger auf und Daryk trat schnell nach vorn, um sie zu schließen.
    Er hatte das Gefühl am richtigen Ort zu sein, denn hier konnte er sein, was er war – ein Krieger. Schon immer hatte er sich bei Kämpfen wohler gefühlt, als er vor anderen Menschen zugeben wollte und schon immer hatte er das Gefühl gehabt, dafür geboren worden zu sein. Die letzte Nacht, die Begegnung mit Xhar, hatte ihn nur weiter bestätigt. Daryks Platz war hier. Auf dem Schlachtfeld. Allerding schlich sich noch ein anderes Gefühl in sein Unterbewusstsein. Es war Sorge. Sorge um seine Freunde, die sich ebenfalls irgendwo mitten in einer Schlacht befanden. Sofort spürte er Aras Zauber wirken und fühlte sich schwach und krank. Schnell umklammerte er seine Waffe fester, verdrängte die Angst um die Anderen und konzentrierte sich ganz auf die nahenden Feinde. Der Zweifel war vergessen und er konzentrierte sich ganz auf die Worte seines Gottes: „Beweise dich in den kommenden Tagen. Dein Wille muss ungebrochen bleiben!“, hatte Xhar von ihm gefordert. Da kam auch schon der erste Soldat auf ihn zu gerannt und wollte die vermeintliche Lücke nutzen um den Wall zu durchbrechen. Mit einem kräftigen Stoß trieb Daryk ihm den Stoßdorn seiner Mordaxt durch das Kettenhemd zwischen die Rippen. Schreiend hing der Mann an Daryks Waffe und wurde sofort von mehreren Speeren der Nordmänner durchbohrt. Dies ließ alle Zweifel und alle Ablenkung aus Daryks Bewusstsein schwinden. Es gab nur noch diese Schlacht, nur noch diesen Moment, nur noch den nächsten Gegner.
    Der Staub des zerstörten Torhauses versperrte die Sicht auf die heranstürmenden Feinde und so konnte Daryk nur die sehen, die bereits durch das Loch geklettert waren. Immer mehr Männer drängten sich durch das Loch und immer mehr fielen den Speeren und Pfeilen, die alle paar Sekunden von der Mauer flogen, zum Opfer.
    Ein Soldat schaffte es irgendwie, bis in Daryks Reichweite vorzudringen, und Daryks Stoß in sein Gesicht auszuweichen. Daryk zog die Waffe zurück und hakte den Bart der Axt in den Nacken des Mannes ein. Mit einem kräftigen Ruck trieb er die untere Spitze der Klinge in den Hals seines Opfers, welches nach vorne gerissen wurde und leblos liegen blieb.
    Dann näherten sich einige Soldaten mit Schilden. Sie kämpften sich durch den Staub und Schutt und stürmten auf die Verteidiger los. All seine Kraft legte Daryk in den ersten Stoß, welcher das Schild eines Feindes traf und durchbohrte. Er spürte, wie der Dorn in den Arm des schreienden Mannes eindrang, zog die Waffe schnell zurück und hakte die in das Schild ein. Erneut zog er kräftig am Schaft der Axt, was dem Feind das Schild entriss und ihn schutzlos dastehen ließ. Sofort schickte Daryk einen weiteren Stoß gegen den Schutzlosen, welcher dessen Leben schnell beendete.
    Erneut riss Daryk seine Waffe zurück und richtete sie gegen den nächsten Feind. Dieser kam aber gar nicht in den Genuss, Daryks Klinge spüren zu dürfen, sondern fiel, einen Pfeil im Hals steckend, röchelnd zu Boden. Ein weiterer Mann war wohl von Aras Schockwelle getroffen worden und Flog in hohem Bogen durch die Luft.
    Unter seinem Helm grinsend ging Daryk einen Schritt nach vorne und wandte sich seinem nächsten Opfer zu. Der Mann verteidigte sich besser und lies den Stoß am Schild an sich vorbei gleiten. Auch verhinderte er, dass Daryk seine Waffe in das Schild einhaken konnte, lies dabei aber viel Platz um seine Beine. Der Hüne angelte mit der Axt nach den Beinen des Angreifers und brachte ihn so zu Fall. Auf dem Rücken liegend hatte der Gefallene Daryks mächtigem Hieb nichts entgegenzusetzen.
    Kurz schien der Ansturm von Bornholms Armee schwächer zu werden, dann sah Daryk, wie Jaris wild gestikulierend auf der Mauer stand. Sein Schwert hatte wohl auch einigen Männern das Leben gekostet und war blutüberströmt.
    „Daryk! Oger!“, rief der Halbelf ihm zu.
    „Haha, sehr witzig!“, winkte Daryk ab, aber Jaris schüttelte vehement den Kopf und schrie: „Nein! Da sind Oger!“
    Verwirrt blickte Daryk zurück zum zerstörten Tor und erkannte eine riesenhafte Gestalt, welche sich langsam durch den Staub abzeichnete. Tatsächlich schob ein Monster seinen Körper durch das Loch. Ein drei Meter großes Ungetüm, bewaffnet mit einer Holzkeule, die selbst Daryk nicht hätte heben können, rannte auf den Schildwall zu. Aber schon nach wenigen Schritten blieb der Oger mit erhobener Waffe stehen und erstarrte zu Eis. Verdutzt starrte Daryk das Wesen an und fragte sich was passiert war, da zerplatzte die Eisskulptur in tausende Splitter, als ein weiterer Oger hindurchrannte. Das Zweite Ungetüm wurde nicht von seltsamen Frostzaubern gestoppt und pflügte ungebremst durch den Schildwall. Männer, Schilde und Speere flogen umher und die Phalanx löste sich auf. „Rückzug!“, konnte man irgendjemanden rufen hören und sofort begannen alle sich in die Straßen der Stadt zurückzuziehen, während eine große Anzahl feindlicher Soldaten in die Stadt strömten.
    Bauern wie Soldaten strömten an Daryk vorbei, welcher sich aber selbst nicht vom Fleck rührte. Er blieb wo er war und starrte den Oger an, der noch immer Menschen durch die Luft schleuderte und von den Pfeilen, die ihn tragen gänzlich unbeeindruckt schien. Die dicke Haut des Ogers musste wie eine Rüstung wirken und ein tieferes eindringen der Pfeile verhindern. Als das Monster ihn bemerkte brüllte es ihn an und schien ihm Angst machen zu wollen. Daryk grunzte verächtlich unter seinem Helm und dachte gar nicht daran sich einschüchtern zu lassen. Er nahm seine Waffe in beide Hände und bereitete sich auf den Kampf seines Lebens vor.
    Die anderen Soldaten schienen keine gesteigerte Lust zu haben, sich mit dem Hünen anzulegen und überließen ihn gerne dem Oger. Das Biest rannte auf Dark zu, hob seine Keule und schmetterte sie an sie Stelle, an der der Ritter gerade noch gestanden hatte. Mit einem schnellen Schritt war Daryk dem Angriff ausgewichen und stieß mit seiner Axt nach der Hand des Ogers. Im Gegensatz zu den Pfeilen war Daryks Angriff in der Lage, die Haut des Ogers zu durchdringen. Brüllen ließ dieser die Keule fallen und schlug mit der anderen Hand nach Daryk. Erneut wich dieser aus und lies die Axt auf den Rücken des Ungetüms niedergehen. Dieses reagierte mit einem gewaltigen Rückhandschlag, welcher Daryk an der Brust traf und einige Meter durch die Luft fliegen ließ. Der Aufprall raubte Daryk kurz den Atem, aber er weigerte sich aufzugeben und rappelte sich auf. Seine Waffe hatte er nicht losgelassen und so stellte er sich stabil hin und richtete die Spitze der Waffe in Richtung des Ogers. Das mit nur begrenzter Intelligenz gesegnete Wesen dachte nicht daran seine Waffe wiederaufzuheben, sondern stürmte auf den schwarzen Ritter zu. Erneut wich Daryk dem Oger aus und stieß den Dorn der Axt in dessen Fleisch. Dann drehte er sich um und kletterte auf das Dach des Hauses hinter ihm. Unter ihm auf der Straße begann das Biest wütend zu brüllen und um sich zu schlagen. Daryk betrachtete das Schauspiel amüsiert und schätzte den Abstand zum Oger ab. Etwa fünf Meter. Mit seinem Höhenvorteil sollte das in Reichweite sein. Er drehte seine Axt um, sodass der Dorn nach unten zeigte nahm Anlauf über das Dach und sprintete zur Kante des Daches, wo er sich kräftig abstieß und in Richtung des Biests sprang. Sofort schenkte der Oger ihm wieder seine volle Aufmerksamkeit und hob die Arme. Mit voller Wucht traf Daryk auf das Monster, welches es aber schaffte ihn in der Luft zu fangen. Allerdings war Daryk zu schwer und sein Angriff zu kräftig, sodass sich der Dorn der Mordaxt tief in die Schulter des Ogers bohrte. Kurz brüllte der Oger auf, bevor er Daryk mit einem Ruck von seiner Waffe trennte, welche in seiner Schulter stecken blieb, und mit einer halben Drehung in Richtung eines andern Gebäudes schleuderte.
    Er meinte seinen Namen zu hören als er krachend eines der Fenster durchbrach und hart auf dem Esstisch des Wohnhauses aufschlug, welcher natürlich auf der Stelle nachgab und zusammenbrach. Er gönnte sich eine Sekunde Atempause, bevor er sich aus den Holzsplittern freikämpfte und sich fragte, warum er keine Schmerzen spürte. Ob das an Aras Zauber lag? Als er durch das Loch in der Wand blickte, durch das er gekommen war erkannte er, wie der Oger die Axt aus seiner Schulter zog, auf den Boden warf und in Richtung des Hauses marschierte.
    Der Oger und machte sich daran, das Loch in der Wand soweit aufzubrechen, dass er hindurchpasste.
    Nachdem er seine Hauptwaffe verloren hatte, zog er den Dolch aus seinem Stiefel und machte sich wieder bereit für einen Angriff.
    Da das Loch in der Wand noch zu klein war, begann das Monster, mehr und mehr von der Wand wegzureißen, sodass das Dach bedenklich zu knarzen begann. Daryk erkannte seine Chance und stellte sich vor einen Stützbalken in der Mitte des Raumes. Endlich hatte der Oger die Wand durchbrochen und betrat das Haus. Wieder rannte er auf Daryk zu, der sich kurz vor dem Einschlag des massiven Körpers durch einen Sprung zur Seite aus dem Weg des Biests rettete. Das anstürmende Ungetüm durchbrach den Stützbalken, das ohnehin schon geschwächte Dach brach zusammen und begrub Mann und Monster unter sich.

    • Offizieller Beitrag

    Daphne bekam ihr Zeichen dadurch, dass die Kämpfe in den Straßen begannen und die ersten Gegner den Wall aus Soldaten durchbrachen. Thyra machte sich auf den Weg zu ihrer nächsten Station, Daphne musste hingegen zum Fluss. Sie sollte ihn mit ihrem Volk halten, bis sich zur Not alle anderen in die Burg zurückgezogen hatten und genau das hatte sie vor. Aras verteidigte seinen Weg mit seiner Magie, was die Heilerin wunderte, woher er diese bezog. All die Wochen hatte sie damit verbracht, ihm damit zu helfen, aber die wahre Hilfe schien eine andere geliefert zu haben. Kuen, die sich tapfer mit den anderen auf der Mauer schlug, ehe sie aufgegeben wurde. Das verdiente ihren Respekt, auch wenn das die Heilerin nicht gern zugab. Jaris schrie immer noch Befehle, während sie ihrem augenscheinlichen Vetter, durch ein Nicken, zu verstehen gab, dass sie loszog. Daryk machte sich mit der Speerphalanx bereit und nahm Haltung an.
    Verspürte sie Angst? Ja! Schon einmal war sie gestorben und die Hoffnung, ein drittes Mal leben aufzuerstehen, hatte sie nicht. Ebenso wie sie um die Leben ihrer Freunde und Brüder fürchtete. Soweit es ihr in der Macht stand, würde sie den Tod jedes einzelnen verhindern und sollte die ganze Welt erfahren, was sie im Stande war zu leisten. Der einzige tröstende Gedanke war, dass Theical etwas weiter abseits die Straßen und Hinterhalte kontrollierte. Er war unlängst nicht in Sicherheit, aber auch nicht an der Front, wie manch andere, um deren Gesundheit sie sich mehr als Gedanken machte. Ausblenden musste sie es, aber konnte es nicht. Dies war die erste wirkliche Schlacht für sie. Die Rückeroberung der Burg demnach fast lachhaft in ihrer Erinnerung.
    Vom noch stehenden Teil der Mauer eröffnete sich ihr ein Blick über die Stadt, mit Sicht zum Fluss, wo der andere Rest der Nordmänner wartete. Ihr Ziel. Ohne wirklich nachzudenken, setzten sich ihre Beine in Bewegung. Mit gewohnter Eleganz bewegte sie sich fort, sprang über Vorsprünge, rollte sich auf steinerne Untergründe ab, im Wissen, dass jede Blessur verheilen würde. Aber das ging der Prinzessin nicht schnell genug. Sie war zu weltlich, zu langsam, dafür, dass sie mit Kräften des Wassers gesegnet worden war. Sie ließ ihre Gedanken freie Bahn und schon kam das Wasser an ihren Armen zum Vorschein, die das Dach eines Hauses ergriffen und sie nach vorne schleuderten. Ihre Beine taumelten hoch über den Köpfen der Männer, die ihre Stellung hielten, tapfer und unnachgiebig. Weiter fassten ihre Wasserarme nach einer Zinne einer Mauer und brachten sie auch so ein Stück weiter voran.
    Irgendwann gab es keinen Widerstand mehr, an dem sie sich zum Fluss hin hätte festhalten können, also rief sie nach Arthur, der in der Nachhut stand und auf Befehle oder Informationen wartete. Wenn es eines gab, was zwischen ihr und ihren Brüdern stimmte, dann war es die geradezu wortlose Verständigung. Sie rief nur seinen Namen und umgehend erfasste Arthur die Wasserstränge und schleuderte seine Halbschwester, im Halbkreis, einige Meter weiter. Was für den Mann mit einem immensen Kraftaufwand verbunden war. Aber so wie er, taten es ihm die Krieger nach ihm gleich. So lange, bis sie Thorvid auffing und auf den Boden der Tatsachen niederließ. Ein letzter Widerstand, ehe sie die Burg erreichten.
    Ihre Brüder, darunter auch ihr Volk geltend, kämpfte weiterhin in einer Art Formation. Immer wieder erhoben sie ihre Schilde, stachen mit Schwert und Speer auf Feinde ein. Kaum erlangten diese fremden Männer den Fluss, begann ein Wettlauf um die Zeit. Daphne bewies sich mit ihrer neu erlernten Magie. Sie schleuderte Gegner zurück, hielt sie auf Abstand, aber gegen den drohenden Widerstand war selbst sie machtlos. Immer mehr Soldaten drangen durch den Riss in der Mauer und ihre Freunde konnten kaum noch etwas dagegen ausrichten. Vereinzelt ergriff sie jemanden und warf diesen in die Reihen der eigenen Männer, aber wirklich effektiv war das nicht, so lange sie wieder aufstanden.


    Im Augenwinkel sah sie, wie die Mauer aufgegeben wurde, wie Theical die Fallen losbrechen ließ, aber das konnte sie vor einer Konfrontation nicht schützen. Viel mehr versuchte sie ihresgleichen zu beschützen. Ihre verlängerten Arme wurden zu Waffen und heilen lag ihr in diesem Moment fern. Kein Krieger hielt sich an die Gesetze ihres Landes, worüber sie froh war. Sie sahen sie nicht als Tochter eines Herzogs, sondern standen mit ihr Seite an Seite einem mächtigen Gegner gegenüber. Wiederholt stemmten sich Soldaten gegen den Schildwall und Metall schlug auf Metall. Wenn irgendwo ein Mann nachgab, rückte der nächste vor. Plötzlich entdeckte sie ein Ungetüm in den Massen. So etwas hatte sie noch nie gesehen, bekam aber ein Namen durch den Schrei eines Bauern.
    „Oger!“, schrie er und erst da erkannte sie die Art des Ungetüms. Eine Kreatur, die kaum ein Kräftemessen zuließ. Doch kaum hatte sie dieses Wesen, auf der anderen Seiten des Flusses, ins Auge gefasst, sah sie ebenso Daryk, der sich einen unausgeglichenen Kampf mit diesem lieferte.
    „Daryk“, schrie Daphne, als sie ihn von dem Monster in ein Haus werfen sah. Doch kaum den Name ausgesprochen, für eine Sekunde der Ablenkung, verspürte sie einen Widerstand an ihrem Körper. Kaum wandte sie sich dem Ursprung zu, starrten sie zwei starre, rehbraune Augen an. Die eines feindlichen Soldaten. Ein Ruck ereilte sie und erst jetzt verstand Daphne, dass der Soldat seinen Speer in ihrem Unterleib versenkt hatte. Dieser verschwendete aber keine Zeit mit der Frau und wandte sich anderen Gegnern zu. Auch der Widerstand der Nordmänner schien zu schwinden. Ungläubig blickte die Heilerin zur Wunde, aus der ungehalten Blut sickerte und noch ehe sie zurücktaumeln konnte, wurde sie aufgefangen.
    „Ich hole Hilfe!“, erklärte die Person hinter ihr und rief umgehend nach ihrem Bruder Yorick.
    „Thorvid?“, erkannte Daphne ihre Bruder augenblicklich an der Kapuze und konnte fast nicht glauben, seine Stimme zu vernehmen. Tief und ruhig. Als wollte er sie nicht beunruhigen.
    „Wir sagten Euch, dass sei kein Ort für eine Frau!“, ermahnte er sie und rief wiederholt nach dem legitimen Verwandten.
    „Hilf mir auf!“, entgegnete hingegen Daphne.
    „Ihr braucht einen Arzt!“
    Ich bin mein eigener Arzt!“, fauchte die Prinzessin nun, die ihren Peiniger fest im Blick hatte und wie er von anderen Nordmännern bedrängt wurde.
    „Hilf mir auf!“, wiederholte sie fluchend und versuchte sich derweil selbst aufzurappeln. „Noch einmal sterbe ich nicht. Zumindest nicht hier!“
    „Ihr könnt nicht ...“, setzte Thorvid an, aber ehe er den Satz beenden konnte, stand seine Schwester schon blutend auf ihren Beinen.
    „Jetzt reicht es!“, nuschelte Daphne unter starken Schmerzen, die ihr fast die Sicht nahmen. „Ich lasse mich nicht noch einmal ins Totenreich schicken, nicht in meinem Alter.“
    Blitzschnell schossen die Wasserstränge nach vorne und umwickelten den Hals des Mann in Rüstung, der sie verletzt hatte. Ohne, dass dieser eine Chance hatte, zerrte Daphne diesen zu sich heran und ergriff ihn mit ihrer rechten Hand am Helm, den sie ihm entriss.
    „Lass uns tauschen!“, knurrte sie enttäuscht darüber, dass es im Krieg tatsächlich nur zwei Möglichkeiten zu geben schien und packte dem Soldaten ins Gesicht. Augenblicklich begann sie, durch sein Wasser, ihre Wunden zu schließen. So lange, bis von dem jungen Mann nur noch ein brauner Haufen hautüberzogene Knochen übrigblieben. Ausgemergelt und ausgetrocknet, ließ sie ihn zur Seite umfallen und atmete tief durch. Es fühlte sich an, als hatte sie stunden geruht, was wohl bedeutete, dass sie die Energie einer Person nicht nur weitergeben, sondern auch behalten konnte. Als sie sich zu Thorvid herumdrehte, starrte dieser sie nur überrascht an.
    „Ich erkläre dir das alles, wenn wir das überlebt haben“, versicherte sie ihm und er nickte bloß.
    „Wenn ...“, wiederholte Daphne in ihren Gedanken und wandte sich wieder dem Schlachtgeschehen zu, wo sie ebenso von Arthur und Yorick kurz, aus der Ferne, angesehen wurde, als hatten sie bei der ganzen Schlacht noch keinen Magier gesehen. Doch ihnen blieb nicht Zeit lange ihren Gedanken nachzuhängen. Bogenschützen positionierten sich auf den eroberten Häusern und auf den Schutthaufen dessen, was von den Gebäuden übrig war. Pfeile prasselten auf sie nieder und auch, wenn immer wieder Gegenfeuer kam, fielen einige Nordmänner dem hölzernen Regen zum Opfer. Ihre Brüder kamen nicht voran, musste sie doch den Fluss halten, also rannte Daphne los. Sie ließ ihre Leute zirka hundert Schritte hinter sich, bevor sie wieder die wässernen Tentakel bildete, die nun mehr zu Speere oder Harpunen verkamen. Über einen Brunnen, beförderte sie sich selbst in die Höhe und spießte die erst besten Soldaten umgehend auf. Sie versuchte nicht daran zu denken, dass diese Männer, wie Kuen zuvor, bloß einem Befehl folgten, sondern versuchte sie als Monster zu sehen, die ihr gegenüber ebenso wenig Erbarmen zeigten. Ein Dritter fiel und wurde durch einen Helm hindurch aufgespießt. Als seien sie so leicht wie Federn, schmiss Daphne die Soldaten durch die Gegend und nach dem dritten folgte auf dem Nachbardach ein vierter. Diesen umwickelte sie und warf ihn hoch in die Luft, so dass seine Knochen auf der Straße unter ihm zerschellten. Ihre Magie war nicht so effektiv gegen Feinde wie Jaris´ Blitze oder wie Aras´ Feuer. Sie musste sich andere Dinge einfallen lassen, um schnell zu töten. Sie handhabte es wie als Schurkin. Dem Feind ausweichen, schneller sein als er, aber ausgestattet mit ihrer Magie, konnte sie selbst einige zu Fall bringen. Einige vor ihr gefroren zu Statuen, sie sie mit einem Hieb der Stränge zerschlug. Thyra verlor sie nicht mal in diesem Getümmel gänzlich aus den Augen. Feuer loderte in den Straßen, Fallen schnappten zu, Fallgruben stürzten ein. All dies konnte Daphne aus ihrem Augenwinkel sehen, aber sich nicht darauf konzentrieren. In unmittelbarer Nähe eines Schutthaufens, der wohl mal ein Hause gewesen war, blieb sie stehen und schlug mit ihrem Wasser rundum. Blutüberströmt stand sie da, aber nicht mehr nur mit ihrem eigenen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich mit ihrer Anspannung und ebenso erneuten Erschöpfung. Viel zu schnell verließ sie wieder ihre Kraft, kaum dass sie welche gewonnen hatte. Aber ehe sie sich darüber Gedanken machen konnte, erhoben sich hinter ihr die zerfallenen Gesteinsbrocken und ein ohrenbetäubendes Brüllen durchbrach die metallischen Klänge. Mit großen Augen starrte Daphne dem riesigen Oger direkt ins Angesicht und dieses Ding sah nicht nur übel aus, es stank auch noch. Sofort schnappte sich der Oger Daphne und brachte sie auf Augenhöhe. Die Hände dieses Wesens ergriffen sie wie eine Puppe und drohten ihr ebenso einfach das Genick zu brechen. Daphne konnte erst einmal nur den Griff mit Hilfe der Wasserarme lockern und sie so vor dem Ersticken bewahren, aber dieses Untier besaß selbst eine übermenschliche Kraft, die mit der der Heilerin fast übereinstimmte. Erbittert biss Daphne sich auf die Zähne und wehrte sich gegen den Oger, bevor ihr Blick neben den Fuß dessen fiel. Dort lag die Axt von Daryk, der diesem Vieh zuletzt gegenübergestanden hatte. Nur wo war der Hüne? Erst jetzt erinnerte sie sich an das Gebäude und wie der Ritter durch die Mauern geworfen wurde.
    „Was hast du mit ihm gemacht?“, krächzte die Heilerin mit dem wenigen Atem, der ihr blieb. Mit aller Kraft versuchte sie ihre Magie zu erweitern, damit die Wasserarme wuchsen und weiter reichten, als ihren Körper vor dem Zerquetschen zu bewahren, aber dies war in ihrem Zustand leichter gesagt als getan.
    Dem Oger schien nicht einmal die klaffende Wunde etwas auszumachen, welche an seiner Schulter prangte. Panik ergriff sie. Diese Kreatur war für sie kaum zu schlagen, wenn es nicht einmal Daryk … Die Heilerin wollte nicht zu ende denken. Am liebsten hätte sie laut losgebrüllt, aber ihr wurde unaufhörlich die Luft aus ihrem Körper gepresst. Vier Rippen brachen ihr, das konnte sie deutlich spüren, aber abgesehen von einem schmerzerfüllten Rauen, konnte sie keinen Laut von sich geben. Kraftlos war sie dem Weinen näher, als dem wütenden Toben, aber durfte ihre Körperspannung nicht verlieren, ansonsten hätten sie die Hände zermalmt. Denn er ließ es sich nicht nehmen, sie eilig mit beiden Pranken zu packen, als er merkte, dass eine allein nicht ausreichte.
    Doch plötzlich regte sich etwas hinter dem Oger. Steine rieselten einem Haufen hinunter, der zu einem Berg aus schwarzem Metall heranwuchs. Daphne hätte gerne erleichtert durchgeatmet, aber das war ihr nicht möglich. Mit finsterer Miene stierte sie dem Oger bloß ins Gesicht, um seine Aufmerksamkeit weiterhin zu behalten. Er durfte sich nicht umdrehen! Daryk schwankte ein paar Schritte nach vorn und zog sich dann den Helm vom Kopf, da dieser den Zusammensturz nur mäßig überstanden hatte. Verbeult und zerkratzt, schien der Ritter nichts mehr durch das Visier zu erkennen. Fest umklammerte er einen Dolch, während ihm Blut die Stirn hinunter rannte. Kaum schien Daryk den Oger ins Auge gefasst zu haben, verlor er keine Zeit und rannte lautstark auf sie und das Monster zu. Daryk rammte dem Oger mit all seiner Kraft und versenkte tief den Dolch in dessen Rücken. Überrumpelt von diesem plötzlichen Angriff, stolperte der Riese nach vorn und ließ Daphne endlich los, welche auf den harten Boden unter sich viel. Hustend und nach Luft ringend, hielt sie sich ihren schmerzlich ihren Oberkörper. Endlich durfte sie ihre Schmerzen beklagen, die fast den Speerhieb überboten. Zuletzt schien der Oger nicht eine Rippe ganz gelassen zu haben, weshalb sich die Heilerin umsah, um eine erneute Quelle der Jugend auszumachen. Dabei entging ihr nicht, dass der Oger sich wieder Daryk zuwandte und dieser sich unter einem Schlag des Riesen hinweg ducken musste. Noch während er sich in der Hocke befand, nahm er die am Boden liegende Axt zur Hand und verpasste dem Ungetüm einen tiefen Schlag in sein rechten Bein, weshalb der Oger vor Daryk auf die Knie ging. Keine Sekunde ließ der Hüne nun mehr verstreichen, um sich links neben dem Monster zu platzieren und nach einer schwungvollen Handhabe, dem Oger die Waffe im Nacken zu versenken. Für wenige Sekunden starrte Daphne die Kreatur an, ehe sie leblos nach vorne fiel. Kaum hatte er den Oger erledigt, näherte sich Daryk der Heilerin.
    „Das wurde aber auch Zeit“, jammerte Daphne, die dies versuchte heiter klingen zu lassen, wobei sie Todesängste ausgestanden hatte.
    „Geht´s dir gut?“, kam Daryk umgehend zum Punkt und schaute auf sie hinunter. Daphne nickte knapp.
    „Ich fühle mich etwas zerknautscht, aber es geht. Und dir?“
    Doch bevor der Hüne ihr eine Antwort geben konnte, kämpfte sich Yorick, mit einigen Männern, durch die versprengten Soldaten und kam unweit der beiden zum Stehen.
    „Das Liebesgeflüster muss warten“, rief er seiner Schwester zu. „Der Fluss wird aufgegeben, wir ziehen uns in die Burg zurück!“
    Daphne atmete tief durch, was kaum möglich war und rappelte sich mit Daryks helfender Hand wieder auf. Jede Bewegung tat ihr weh, aber so ging es sicherlich jedem. Sich gerade aufrichten war Schwerstarbeit. Daryk war von einem Haus begraben worden und zeigte nicht einmal annähernd ihre Erschöpfung. Allein deshalb schon, riss sich die Heilerin am Riemen. Hörner erklangen in der Ferne, die Yoricks Aussage bestätigten. Und als sie ein paar Schritte mühselig vor die nächsten gesetzt hatte, hielt Thorvid auf sie zu, im Schlepptau einer der feindlichen Bogenschützen.
    „Hier!“, kommentierte der Namenlose und warf seiner Halbschwester den Feind vor die Füße. „Nimm sein Leben für Eures!“
    Ungläubig starrte die Prinzessin ihren Bruder an, dessen Gesichtsausdruck keine Widerrede zuließ. Kurz schaute die junge Frau dann auf den Gefangenen nieder, der ihren Blick finster erwiderte. Wie viele ihrer Leute hatte dieser wohl auf den Gewissen? Sicherlich genug, um später davon erzählen zu können. Kurz wollten Daphne Zweifel ereilen, aber es half alles nichts. Ihre Rippen waren gebrochen und mit ein wenig Pech, könnten diese noch ihre Lungen durchbohren, also tat sie, was unvermeidlich war. Sie packte dem Mann ins Gesicht und sorgte dafür, dass sie überlebte. Noch einmal erklangen die Hörner und Daryk, Daphne und die Nordmänner begaben sich zum Fluss, wo ab dem dritten Ertönen des Signals, das Öl entzündet wurde, damit die Flucht weitestgehend, gesichert war. Auf dem Weg,fiel Daphne der Wasserfall in der Ferne auf. Jener, der unterhalb von Aras´ Turm war.
    „Lauft schon einmal vor, ich komme nach!“, wandte sich die Heilerin an die Männer und schlug eine andere Richtung ein – flussaufwärts.
    „Was hast du vor?“, rief ihr Yorick hinterher.
    „Feuer löscht man doch bekanntlich am besten mit Wasser“, antwortete sie, aber gab natürlich den Kern ihrer Idee nicht preis. Wäre auch ungünstig im Angesicht ihrer Feinde gewesen. Aber Daphne hatte eine Idee. Solange die Feuerwand tobte, würden sich am Fluss die Angreifer sammeln, um die Burg einnehmen zu können. Wenn sie es schaffte, genug Wasser zu sammeln und zu bündeln, um es dann in einer riesigen Welle auf die Feinde niedergehen zu lassen, dann hätten sie ein wenig an Zeit gewonnen.

  • Die Mauern der Burg türmten hoch über der Stadt auf. Schulter an Schulter, Seite an Seite standen auf den zinnenbewehrten Wehrgängen Männer und sogar einige Frauen, die die Verteidigung ihrer Stadt nicht allein dem anderem Geschlecht überlassen wollten. Eine unzählbare Menge aus grimmig dreinschauenden Gesichtern und blitzendem Eisen, doch er wusste, dass sie trotz ihres Plans, der bisher erstaunlich gut funktioniert hatte, wie ein Wassertropfen im Angesicht einer Flutwelle scheinen mussten. Erschöpft streckte er die Glieder. Die Schlacht tobte schon seit Stunden und er fühlte sich ausgepumpt und leer. Sein Körper war übersät mit blauen Flecken und flachen Einschnitten, die das Salz in seinem Schweiz brennen ließ. Die ganze Zeit in der er überzeugt gewesen war, dass sie siegen würden, siegen mussten, war wie weggeblasen. Verloren sie eine Stellung, konnten sie sich bisher immer zurückziehen, fiel ein Krieger, füllte ein anderer seine Lücke. Das hier war jedoch die letzte Bastion, das letzte Aufgebot, die letzte Möglichkeit. Fiel die Festung so viel auch die Stadt und ihnen wären alle Fluchtwege versperrt. Die, die sich auf die Schiffe zurückgezogen hatten, als noch Zeit dafür war, hätten vielleicht eine Chance, aber die Männer und Frauen, die neben ihm standen wären dem Feind restlos ausgeliefert. Genauso wie Daphne, Theical, Zacharas, Daryk und Thyra, die ein paar Meter von ihm entfernt auf einem der vielen Türme stand, die noch über die Mauer hinausragten. Er hatte sie nicht mehr gesehen, seit Daphne sie vor dem Einsturz in der Mauer bewahrt hatte. Es existierten keine Worte, die die Erleichterung, die er verspürt hatte sie lebend und nahezu unverletzt aufzufinden, als sie das Innere der Festung betreten hatten. Daryk dagegen stand keine zwei Schritte von ihm entfernt. Seine Kleidung war blutbefleckt, er machte jedoch keinen Hehl daraus, dass der Großteil davon nicht von ihm stammte. Theical, schweißüberströmt aber ohne sichtbare Wunden, befand sich direkt neben Zacharas und Kuen. Dem Herzog war die Anstrengung anzusehen, so wie ihnen alle, doch die ehemalige Soldatin ihres Feindes hatte den Arm auf seinen gelegt und das schien ihm Kraft und ein entschlossenes Funkeln in den Augen zu geben. Daphne dagegen war die einzige, die er in der Menge nicht finden konnte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die taffe Schurkin gefallen war. Nicht mit ihren Fähigkeiten und bestimmt nicht schon wieder. Das konnte einfach nicht sein und angesichts der zwar besorgten, aber nicht bedrückten Gesichter der Nordmänner sprachen auch dagegen. Das Tor schloss sich krachend unter seinen Füßen und ließ eine leichte Erschütterung durch den Stein gehen. Die letzten Flüchtigen waren durch die schweren Holzflügel gelangt. In Minuten würden die Feinde den aufgegebenen Fluss überwunden haben und sich wie eine Flut über sie ergießen.
    Plötzlich ertönte ein lautes Donnern und Rauschen aus der Ferne. Über den Dächern, die die Sicht auf den Fluss versperren, wuchs eine gewaltige Wassermasse und senkte sich bedrohlich nach vorne. Von Geisterhand festgehalten, wurde sie mit einem Ruck nach vorne gestoßen und ergoß sich krachend auf alles, was in ihrem Schatten lag. Selbst aus der Entfernung konnte man Männer schreien hören. Häuser, die nahe dem Fluss gestanden hatten, stürzten geräuschvoll ein und Pferde wieherten. Sprachlos starrten hunderte auf die Szene, die immer noch vor ihren Blicken verborgen lag. Dann erhob sich erster Jubel, als ihnen bewusst wurde, dass die Welle ihren Feinden gegolten haben musste. Daphne erschien auf dem Platz. Sie wirkte ausgezerrt und erschöpft rannte jedoch auf die scheinbare Sicherheit der Festung zu. Der Jubel wurde lauter und ergoss sich über sie. Einige wollten schon zu den Torflügeln eilen und sie für die Prinzessin öffnen, doch sie zog sich bereits an einer Wassertentakel die Mauer hoch und kam zitternd auf dem Wehrgang zum Stehen. Die Umstehen begrüßten sie und klopften ihr beglückwünschend auf die Schulter. Jaris jedoch bemerkte, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge und kam zeitgleich mit Daryk und Thyra bei der Schurkin an. Die Soldaten um sie herum wichen respektvoll zurück. Aus irgendeinem Grund sahen sie sie und die anderen ihrer Gruppe als Anführer an und gehorchten ihren Befehlen. Dabei waren sie bis auf Zacharas und Daphne natürlich weder von Adligem Geblüt noch von entsprechendem Range, der dies rechtfertigte. Allein die Tatsache, dass sie Begleiter des Herzogs waren, schien auszureichen.
    "Geht es dir gut", fragte Daryk sofort und hielt ihr eine helfende Hand hin. Daphne stützte sich widerspruchslos an dem Hünen ab, nickte aber.
    "Es geht schon", behauptete sie.
    "Warst du das mit der Welle?" fragte Jaris, obwohl ihm die Antwort natürlich bekannt war. Daphne nickte wieder.
    "Es hat aber nicht genug erledigt, um sie lange aufzuhalten", behauptete sie mit finsterer Miene und bestätigte damit, was Jaris gedacht hatte. Die Welle musste etliche verletzt und wer weiß wie viele getötet haben, aber die gegnerische Armee war einfach zu groß, um davon ernsthaft geschwächt zu werden. Aber immerhin mussten sie jetzt gegen ein paar Männer weniger kämpfen und die Wassermassen hatten bestimmt die Brücken zerstört, was ihnen Zeit verschaffte.
    "Dafür werden sie sich jetzt kaum in unsere Nähe wagen", gab Thyra mit einem Grinsen zu bedenken. "Geschweige denn in deiner." Nun stießen auch Zacharas und Theic zu ihnen. Schnell schilderten sie ihnen die Umstände. Sofort gab der Herzog Anweisungen, dass die Soldaten die Zeit nutzen sollten, um sich auszuruhen.

    Kaum zwei Stunden später erklangen die ersten Hörner von dieser Seite des Flusses. Sofort stürmten die Soldaten wieder auf die Mauern und nahmen ihre Positionen ein. Die Pause, die sie genutzt hatten um zu verschnaufen und etwas zu sich zu nehmen, hatte ihnen sichtlich gut getan. Neuer Elan machte sich breit, jedoch nur so lange, bis die ersten Soldaten, die zwischen den Häusern erschienen, die Straßen schwarz färbten. Es waren noch immer so viele. Tausende. Allem zum Trotz waren sie den Verteidigen bestimmt immer noch um mehr als das doppelte überlegen. Vielleicht sogar das Dreifache. Kriegsmaschinen rollten durch den daliegenden Schutt. Wahrscheinlich waren sie größtenteils für die Länge ihrer Pause verantwortlich, nun würden sie ihnen es dutzendfach zurückzahlen müssen. Schwere Steine lagen in den Munitionswägen für die Katapulte und die Belagerungstürme warfen bedrohliche Schatten auf den Platz vor der Festung. Anspannung kroch durch die Reihen der Verteidiger und hunderte Bogen spannten sie im gleichem Moment, als Jaris das Kommando dafür gab. Wieder war es Thyra, die zuerst schoss und einen Gegner in unmöglicher Ferne erledigte. Prüfend warf er einen Blick auf die Jägerin. Er hatte sie schon schwierige, ganz und gar unglaubliche Schüsse ausführen sehen, aber diese Reichweite konnte einfach kein gewöhnlicher Bogen haben. Der in den Händen der Nomadin glitzerte auch ungewohnt. Sie sah seinen fragenden Blick nicht, da sie schon wieder den Bogen spannte. Der nötige Pfeil erschien einfach übergangslos und angelegt an der Sehne. Er kniff die Augen zusammen. Wofür waren dann überhaupt, die in dem Köcher, den sie mit sich trug und der immerhin bereits zur Hälfte leer geschossen war. Seine Gedanken kehrten wieder zu den Gegnern zurück, die langsam in gewöhnliche Schussweite kamen, und er wandte sich gezwungenermaßen ab. Die Fragen würde sie ihm auch später noch beantworten können. Hoffentlich.
    "Feuer", brüllte er entschlossen und ein dichter Teppich aus Pfeilen erhob sich in den Himmel und verdunkelte die Sonne.

    Sie fielen hinab und prasselten in einem tödlichem Regen auf die gegnerischen Reihen ein. Metallplatten wurden durch schlagen, Leder durchbohrt und Haut aufgerissen. Die Schreie der sterbenden erklangen nur kurz, dann wurden sie von den nachrückenden Massen niedergetrampelt. Immer näher kamen die Leitern und Belagerungstürme. Steine flogen über die Mauern, schlugen in ihrem Rücken in die aufragenden Palastgebäude. Jaris umklammerte sein Schwert fester. Ein Gedicht kam ihm in den Sinn. Er wusste nicht woher, doch es stammte bestimmt nicht aus diesem Leben.

    "Krieg ist wichtig
    Liebe nicht
    Töten so richtig
    Hassen ist Pflicht

    Wir schmeißen Speere und Pfeile
    Auf alle Feinde, die wir haben
    Wir treiben Stöcke und Keile
    In alte Wunden und Narben

    Ich träume
    Von einer anderen Zeit
    Versäume
    Nur Krieg, Tod und Leid

    Wir können uns hassen
    Ein Spiel der Intrigen
    Schlag um Schlag verpassen
    Doch wir können nicht lieben

    Was hilft es zu sterben
    Ohne gelebt zu haben
    Und den Tod zu vererben
    Ist alles, was wir gaben

    Ich träume
    Von einer anderen Zeit
    Versäume
    Nur Krieg Tod und Leid

    Eines Tages
    Wird es so sein
    Eines Tages
    Blumen statt Stein

    Liebe ist wichtig
    Krieg ist es nicht
    Leben so richtig
    Träumen ist Pflicht"

    Ein Pfeil riss die Haut an seiner Wange auf und er zuckte zurück. Um ihn herum war die Hölle ausgebrochen. Geschosse flogen von beiden Seiten, Leitern stießen krachend gegen die Mauer und wurden postwendend zurückgestoßen. Doch nicht alle. Die ersten Feinde sprangen auf den schon jetzt blutverschmierten Wehrgang. Körper, die sich ihnen entgegen drängten, verhinderten, dass sie den Halt auf dem glitschigem Boden verloren. Zorn übermannte Jaris. Ein Blitz stieß mit einem Knall herab. Nicht von seinen Händen sondern vom Himmel. Dunkle Wolken waren aufgezogen. Er traf den Platz mitten vor der Festung und allein der Donner warf Dutzende um. Auch seine Ohren klingelten, doch er verschwendete keine Zeit, sondern trieb die Klinge in den ersten gegnerischen Soldaten, den er vor sich hatte. Der Mann hatte sich zusammengekauert und hielt die Hände auf den Ohren. Im Krieg gab es keine Gnade.
    Wie von etwas fremden gesteuert, automatisch und gewissenlos, wirbelte er durch die feindlichen Reihen. Seine Klinge fuhr herab auf seine Feinde wie die Axt eines Henkers und genauso oft nahm sie Leben. Weitere Blitze flackerten auf, ferner jetzt zwar, jedoch immer noch nah genug, um seine Feinde zusammenzucken zu lassen. Heranfliegende Schneiden oder vorstoßende Speere ignorierte er schlichtweg. Eisen durchschlug sein Kettenhemd am rechten Oberarm, hatte jedoch zuviel Kraft verloren, um die Haut mehr als oberflächlich anzuritzen. Eine Prellung blieb trotzdem. Ein Speer schaffte es nicht durch die Rüstung, hinterließ aber eine schmerzhaft pochende Stelle. Es war ihm egal. Seine Feinde sollten bluten und wenn er sein Leben dafür ließ, war ihm das recht. Mehrfach retteten seine Freunde ihn, was er nur am Rande registrierte. Daryk stieß einen Mann, der sich seitlich an Jaris heranschlich von der Mauern, Daphne schleuderte einen weiteren hinfort. Ein Soldat, der hinter ihm stand, ging in Flammen auf, als einer von Zacharas Feuerbällen ihn traf. Eine Klinge hielt nur Zentimeter von seinem Hals entfernt inne und verschaffte dem Söldner genügend Zeit um deren Träger zu erledigen. Der Pfeil, der ihn wohl erledigt hätte, wurde einen Bruchteil, bevor er auf seiner Schläfe auftraf, von einem anderem aus der Luft gewischt. Der Schock riss Jaris aus seinem Wüten und ließ ihn zurückschrecken. Der Zorn war wie weggeblasen. Alle Schmerzen und Eindrücke stürmten auf ihn ein. Er war blutüberströmt, doch kaum etwas davon war sein eigenes, die Spur seiner Verwüstung zog sich über Meter entlang der Mauer hinweg. Doch ohne seine Freunde wäre er längst tot.
    Sein Blick fiel auf Thyra, die ihn ebenso schockiert ansah, wie er sie. Es war ein unglaublicher Schuss gewesen, doch sie musste gesehen, wie er dem Zorn anheim fiel. Wie hatte es ihm egal sein können, ob er starb. Allein ihr zuliebe. Hinter der Jägerin traf just in diesem Augenblick eine Leiter auf den Stein und unzählige Feinde ergossen sich über den Wehrgang. Ohne nachzudenken rannte er zu ihr. Das Blut, das seine Füße zum Rutschen brachte, die Körper, die verstreut vor ihm lagen, hielten ihn auf, so dass er erst bei ihr ankam, als die ersten Gegner sie schon ins Visier genommen hatten. Er blockte eine der Klingen, die auf sie zuschossen, mit seiner eigenen. Thyra erschoss, zwei weitere Angreifer, bevor deren Schwerter sie erreicht hatten. Ein Faustschlag ließ den Soldaten, dessen Klinge er blockiert hatte zurücktaumeln und von der Mauer fallen.
    Gemeinsam wichen sie zurück, während immer mehr Gegner auf sie einstürmten. Die Verteidiger warfen sich verzweifelt gegen die Eindringlinge, die diesen Abschnitt zu übernehmen drohten. Sie mussten ihn halten. Mächtige Explosionen erklangen, als Zacharas dutzende von Feuerbällen und Blitzen in die feindliche Menge warf, doch immer mehr drängten nach. Flammen wischten über die Verteidiger hinweg und verbrannte Freund wie Feind, jedoch in erster Linie die Verteidiger. Der Mann in schwarzer Rüstung, der sie unlängst vor der Bedrohung gewarnt hatte, hatte eine der Leitern erklommen oder im Inneren eines der Belagerungstürme empor gestiegen. Sein Feuer, mit dem sie bereits Bekanntschaft gemacht hatten, fraß sich in die ihm entgegenschwemmenden Truppen und dutzende Ritter in ebenso schwarzen Rüstungen fingen alles ab, was gegen ihn geschleudert oder geschossen wurde.
    Jaris blickte zu Thyra, die an seiner Seite stand und Pfeile schoss. Jeder einzelne kostete einem Gegner das Leben, doch selbst das schien nicht zu helfen. Diese Schlacht drohte verloren zu gehen und sie mit ihr. Es konnte so nicht enden. Es sollte so nicht enden. In seinem Kopf formte sich ein Gedanke, der sich in letzter Zeit schon öfter in sein Bewusstsein geschlichen hatte. Er war nur zu ängstlich gewesen, doch jetzt konnte er es nicht ertragen zu sterben, bevor er es versucht hatte. Energisch drückte er Thyra hinter die letzten Reihen der Verteidiger. Auch hier flogen Pfeile über die Brüstung, doch wenigstens griffen sie keine mordlustigen Soldaten an. Verwirrt blickte sie ihn an, als er auf ein Knie fiel. In ihren Augen machte flammte Angst auf, hoffentlich weil sie dachte, dass er zu verletzt war, um zu stehen, und nicht weil sie ahnte, was er vorhatte. Er musste schreien, um den Lärm der um sie herum tobenden Schlacht zu übertönen. Natürlich war hier nicht der richtige Ort dafür und jetzt nicht die richtige Zeit, aber was wenn es der letzte Ort und der letzte Zeitpunkt, der ihnen blieb, war.
    "Willst du mich heiraten?"

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Verdutzt starrte Thyra den Söldner an, der in blutverschmierter Rüstung vor ihr kniete und ihr gerade einen Antrag gemacht hatte.
    Die Schwerter schienen sich in Zeitlupe zu bewegen, die Pfeile in der Luft hängen geblieben. Mehrmals klappte sie den Mund auf und wieder zu, wie ein Fisch, der auf dem Trockenen lag. Dann spürte sie einen kräftigen Stoß in die Schulter. Hinter ihr stand Daryk.
    "Nun sag schon ja!" Er grinste.
    Die Jägerin drehte sich wieder ihrem Freund zu, der langsam ein wenig verunsichert wirkte, dann platze sie raus: "Ja!"
    Als Jaris aufsprang, sie in den Arm nahm und sich einmal mit ihr drehte, prasselte das Geschehen um sie herum wieder in Echtzeit auf sie herein. Hinter Daryk erschien Daphne mit Theical, Aras Kuen und Yorick.
    "Na dann", sagte Daphne und schubste Yorick nach vorne. "Du darfst sowas doch."
    "Was? Jetzt? hier?", fragte der Nordmann verdattert. Auch Thyra war überrascht, aber Jaris antwortete: "Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn ich sterbe, dann will ich in meinem nächsten Leben wissen, dass du meine Frau gewesen bist."
    Thyra errötete und senkte verlegen den Blick.
    "Na los!" Daphne schubste ihren Bruder abermals auf das Pärchen zu und Yorick fügte sich grinsend. Hinter ihnen tobte die Schlacht, immer mehr Feinde strömten über den Wehrgang und auf sie zu und dennoch ergriff Jaris Thyras Hand und vermittelte ihr ein Gefühl, dass wie Welt ihr nichts anhaben konnte. Zu gern gab sie sich dieser Illusion hin und blickte zu Yorick, der begann: "Wir haben uns hier versammelt ... eigentlich um einen Krieg zu führen", er lachte und Daphne zwickte ihn in die Seite, "aber auch, weil sich zwei Liebende gefunden haben."
    Daryks Kopf ruckte nach oben, blitzschnell zog er einen Dolch und warf ihn hinter Thyra. Ein dumpfer Aufschlag, ein Röcheln, dann stellte er sich wieder aufrecht hin und sagte er zu Yorick: "Kannst weiter machen."
    Dieser nickte und fuhr fort: "Jaris, möchtest du Thyra Donnerstochter zu deinem angetrauten Weib nehmen. Sie lieben und ehren, bis das der Tod euch scheidet? ... Was ziemlich bald sein könnte", brummelte der Nordmann in seinen Bart. Thyra warf ihm halb bösen, halb erheiterten Blick zu.
    "Ja, ich will", antwortete Jaris ernst.
    "Das ist so rührend. Mir bleibt glatt die Luft weg", säuselte Theic, während er einen Soldaten, der Yorick angreifen wollte, sich selbst würgen lies.
    "Thyra Donnerstochter, möchtest du Jaris zu deinem angetrauten Mann nehmen. Ihn lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?"
    "Ja, ich will."
    "Das rührt mich zu Tränen", nuschelte Daphne, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und mit der gleichen Bewegung und einem Wassertentakel einen Feind zur Seite.
    "Nun, dann: Kraft meines Amtes ... Adels ... was auch immer: Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau. Du darfst deine Braut jetzt küssen."
    Jaris schloss Thyra in die Arme, presste seine Lippen leidenschaftlich auf ihre, zog sein Schwert und erstach einen herannahenden Feind, ohne den Kuss zu unterbrechen.
    Selbst Aras schien die überstürzte Hochzeit zu rühren, denn er sagte: "Dann lasst uns lieber gehen, bevor es zu heiß wird." Und warf einen Feuerball auf einen Feind, der schreiend ein paar Meter zurückgeschleudert wurde.
    Lachend lösten sich die Liebenden von einander. Sofort wurde Thyra von Daphne in die Arme geschlossen, während Jaris anerkennende Schulterklopfer von den Männern bekam. Bis ein Pfeil Daryks Brust traf. Natürlich vermochter dieser nicht das Eisen zu durchschlagen, doch die kleine Delle im schwarzen Eisen holte sie alle schmerzhaft zurück in die Gegenwart. Thyra zog ihren Bogen und gemeinsam mit den anderen stürzte sie sich wieder ins Kampfgetümmel. Aber diesmal mit einem warmen Gefühl in der Brust, was das Töten umso absurder machte.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

    • Offizieller Beitrag

    Der kurze Moment der Freude verflog schneller, als es Theical lieb war. Zurück in der Realität kehrte er zum Ernst der Lage zurück und begab sich zusammen mit den anderen Bauern, wieder zurück in die Gassen. Die feindlichen Soldaten zogen langsam, aber stur Richtung Stadtzentrum, weshalb auch Theic sich wieder dorthin auf den Weg machte. Tatsächlich hatte er sich dazu überwinden können, seine Kräfte auch bewusst an Menschen anzuwenden, und er musste zugeben, es war wirklich praktisch, die Feinde einfach umkehren oder gegen die eigenen Leute rennen zu lassen. Auch die ganzen Fallen und Hinterhalte der Stadtbewohner und Soldaten aus Gerisa taten ihr übriges, dass die feindlichen Truppen nur mühselig vorankamen. Aber leider kamen sie das immer noch. Und es war einfach kein Ende in Sicht. Ganz davon zu schweigen, dass Theic sich einbildete, einen Oger durch die Straßen walzen gesehen zu haben. Und damit war sicher nicht Daryk gemeint.
    "Noch mehr!", rief einer der Männer um ihn herum. Eine Frau rannte an ihm vorbei, in der Hand eines der Schwerter, die sein Großvater geschmiedet hatte.
    Theical nickte Habger zu, der nur unweit von ihm stand und sprang dann über eine Tränke auf den Vorsprung eines Hauses. Von dort aus überwand er den Abstand bis zum Dach und positionierte sich dort hinter der Feueresse. Dank Daphne, ihren Kletterfähigkeiten und einer Menge Geduld hatte er sich ebenfalls einiges angeeignet. Zwar war er noch lange nicht so geschickt wie die Schurkin, aber hierfür reichte es aus. Schließlich wollte er nirgends einbrechen.
    Von seiner höheren Lage aus, konnte er die feindlichen Soldaten sehen. Sieben waren es an der Zahl. Mit etwas Glück würden sie mit ihnen fertig.
    Er gab seinem Großvater, der in einer dunklen Gasse zusammen mit den anderen wartete, ein Zeichen, deutete die Anzahl der Feinde an.
    Anschließend konzentrierte er sich auf die näher rückenden Schatten und griff gedanklich nach dem letzten in der Reihe. Er zerrte ihn zurück und ließ ihn in der Bewegung verharren. Die anderen Soldaten schienen nicht bemerkt zu haben, dass ihr Kumpane nicht mehr anwesend war, denn sie rannten blind weiter. Und während sie nun auch ins Blickfeld von Theics Mitstreitern rückten, die sich aus der Gasse stürzten, kaum, dass die Feinde auf einer Höhe waren, sorgte Theic dafür, dass sich der Manipulierte selbst mit den eigenen Fesseln fesselte. Kaum war das geschafft, ließ er ihn kopfüber in die Tränke fallen, über die er eben noch auf das Dach geklettert war. Gerade so lang, bis der Mann sein Bewusstsein verlor.
    Dann glitt sein Blick zu den Kämpfenden. Er suchte seinen Großvater und fand ihn gemeinsam mit der Frau gegen einen der gerüsteten Soldaten kämpfen. Die beiden schienen ihre Schwierigkeiten zu haben. Offenbar war der Feind einer derjenigen, die wirklich eine jahrelange Ausbildung im Kampf genossen hatten.
    Auch bei ihm fischte Theic nach dem Schatten. Doch so einfach wie sein Kollege ließ er sich nicht manipulieren. Er wehrte sich und vollführte seine Angriffe gegen Habger weiter - deutlich langsamer und unkoordinierter allerdings.
    Den beiden gelang es, den Mann zurückzudrängen, bis ihm Habger schließlich das Schwert zwischen Rüstung und Helm in den Hals stoßen konnte. Das verzweifelte Röcheln, als der Kerl versuchte weiterzuatmen, hörte Theical sogar bis auf das Dach. Und beinahe hätte er deshalb die Präsenz hinter sich nicht bemerkt, die sich lautlos näherte. Gerade rechtzeitig warf er sich zur Seite, rutschte dabei aber ab und stolperte bis zum Vordach zurück. Mühselig kam er dort zum Stehen, bevor er einen Blick über die Schulter werfen konnte.
    Hinter ihm schlitterte der feindliche Soldat die Schräge hinab und wirbelte sein Schwert in seine Richtung. Offenbar hatte er Theic auf dem Dach bemerkt und vorgehabt, ihn von hinten auszuschalten.
    Auf einen Zweikampf allerdings überhaupt nicht vorbereitet, wich Theic dem Schlag ungelenk aus, ehe er den Dolch zog, den er von seinem Großvater bekommen hatte. Gegen das Schwert des Soldaten, wirkte das Messerchen geradezu lächerlich. Tatsächlich stieß der Feind ein kurzes Lachen aus. Ob nun wegen des Dolches, oder weil Theic zitternd vor ihm stand und unsicher zu ihm aufblickte, war schwer zu erraten. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem.
    Was nun?
    Rein instinktiv blockte er einen weiteren Angriff des Soldaten mit dem popeligen Dolch. Er wurde zurückgedrängt oder besser gesagt, geschoben, konnte er mit der Kraft hinter dem Schlag kaum mithalten. Ein erneuter Hieb, doch diesmal griff Theical nach nach dem Schatten des Mannes, ließ ihn stolpern und sprang im gleichen Moment zur Seite. Es war eine reflexartige Handlung und eigentlich dachte er weniger darüber nach, als es einfach zu machen. Das Ergebnis jedenfalls konnte sich sehen lassen.
    Der Soldat stieß einen überraschten Ruf aus, als er erst ins Leere stach und dann mit seinem Fuß neben den Dachvorsprung ins Leere trat. Dann verschwand er laut polternd und mit einem beinahe ohrenbetäubenden Schmatzgeräusch aus Theics Blickfeld.
    Erstarrte blieb dieser stehen und starrte auf die Stellen, an der eben noch sein Feind gestanden hatte. Erst nach einer gefühlten Ewgigkeit lugte er über die Kante des Daches und sah den Mann unglücklich verbogen und den Oberkörper im eigenen Schwert versenkt in der Gasse liegen. Lebendig sah anders aus. Er hatte ihn umgebracht ... den Kerl, der selbes still und heimlich mit ihm auch machen wollte.
    "Junge, geht's dir gut?", hörte er eine Stimme von weit weg rufen. Seine Augen wollten sich jedoch nicht vom Anblick des Toten lösen, weshalb er nur mechanisch nickte.
    Das war einmal ein Menschen gewesen. Ein Mensch, der lediglich Befehlend folgte. Einige von ihnen sicher auch nicht freiwillig.
    Theic versuchte den Gedanken daran zu verdrängen. Dafür war keine Zeit!
    Er schüttelte den Kopf und sah zu seinem Großvater, der neben dem Haus stand und besorgt zu ihm empor blickte.
    "Du bist blass", stellte er geistreich fest. "Sicher, dass du weitermachen kannst?"
    Theic hielt einen bissigen Kommentar zurück, bevor er noch immer etwas zittrig vom Dach kletterte.
    "Lass uns das zu Ende bringen!", meinte er nur und stapfte die Gasse weiter zu Zacharas' Burg. Dorthin waren die meisten Schatten unterwegs.

  • In der Ferne erblickte Aras eine große Menschenansammlung, die sich schleppend zur Westmauer begab. Es waren einfache Bürger. Frauen und Kinder, die ziellos umherirrten. Die wenigen Wachen in der Nähe schienen nicht aufschließen zu können, um sie alle zu beschützen.
    "Ich muss dort hin!", meinte Aras und zeigte in gemeinte Richtung.
    "Seht, der See!", rief Kuen mit weit aufgerissenen Augen. "Unruhiges Wasser ist nie ein gutes Zeichen!"
    Sofort schwenkte Aras zu Daphne um, doch sie zuckte mit den Schultern. "So weit reicht meine Magie nicht."
    "Selbst wenn dort der Feind ist, kommt er nicht weit", warf Jaris ein. Daryk bestätigte es. "Bevor die den See überquert haben, sind die schon längst tot."
    "Aber die Boote", meinte Aras weiter. "Die Leute sind auf dem See ungeschützt!"
    "Zacharas hat vermutlich recht", fügte Kuen an. "Egal, was sich dort befindet, es wird kein Boot passieren lassen."
    Aras wandte sich wieder Daphne zu. "Willst du mitkommen zum See? Vielleicht kannst du dort mit aushelfen."
    Kurz grübelte sie und stimmte ihm dann zu. Gemeinsam entfernten sie sich von der Zinne und suchten die nächste Treppe auf. Aber Kuen stellte sich ihnen in den Weg. "Ihr wollt euch mutwillig in Gefahr begeben. Das kann ich nicht zulassen!"
    Energisch deutete Aras auf den See und drängte sie etwas zur Seite. Doch sie blieb hartnäckig und versperrte ihnen weiterhin den Weg. "Ich komme mit euch! Ich habe geschworen, Zacharas zu beschützen!"
    "Es ist zu gefährlich für dich, Kuen..."
    "Ihr tragt keinerlei Rüstung und habt keinerlei Nahkampferfahrung", konterte sie ihm mit aufgedrücktem Finger. "Ich will helfen wo ich nur kann. Hier oben auf der Mauer kann ich nichts bewirken."
    Schnaufend senkte er den Kopf.
    Daphne lenkte ein: "Gut, dann komm mit."
    Fröhlich grinsend ließ sich Kuen das nicht zweimal sagen, setzte sich den Helm auf und folgte ihnen die Treppe hinunter. Mit sicherem Geleit gingen die drei mit ein paar weiteren Wachen zum westlichsten Torhaus auf der Anhöhe. Es war der kürzeste und sicherste Weg zum See. Und wie Aras es von der Mauer aus gesehen hatte, schien der westliche Teil der Unterstadt noch halbwegs sicher zu sein.

    Kaum betraten sie die Unterstadt, huschten schon die ersten feindlichen Soldaten aus der nächsten Straßenecker hervor. Ein gezielter Treffer und der erste flog im hohen Bogen durch die Luft und landete unsanft auf einem unbestimmten Häuserdach. Kuen zückte ihr Schwert, doch waren Daphne und Aras schneller und sendeten bereits ihre Magiefertigkeiten gegen die anstürmenden Meuterer. Feuerbälle zum Abfackeln und Wasserstränge zum Löschen, Herumwirbeln und Wegstoßen. Wild flogen Daphnes Arme umher und schlugen die Peitschen flüssigem Nass um sich. Vom Burgwall zischten Pfeile hinab und dezimierten weitere Soldaten. Kaum einer kam auch nur näher als fünf Meter, was Kuen etwas kränkte. Es war ihr anzusehen, dass sie sich leicht überflüssig fühlte, zwischen diesen beiden Magiekundigen.
    Und Aras fiel nichts Besseres in den Sinn, als die Frage: "Was für eine Torte sie wohl haben wollen?"
    "Wie bitte?", hallte es kurz von beiden Damen zu ihm hindurch, gefolgt von verdutzten Gesichtern.
    "Für die Hochzeit von Thyra und Jaris", meinte Aras weiter und schleuderte im gleichen Atemzug weitere Feuerbälle und Schockzauber auf die Gegner ein.
    "Wir befinden uns in einem Kampf und Ihr denkt über die Hochzeitsfeier nach?", warf Kuen ein und wollte ihm angedeutet mit dem Schild auf den Hinterkopf schlagen.
    "Wann denn sonst, wenn nicht jetzt?", konterte er zurück und elektrisierte im gleichen Atemzug ein paar Soldaten, deren Köpfe Daphne mit ihren Tentakeln zusammenstoßen ließ.
    Aras kam die Eingebung wie gerufen: "Kirsch-Erdbeere fände ich gut, mit schön viel aufgeschlagener Sahnebutter."
    "Keine Ahnung, was Ihr von uns wollt", warf Kuen völlig perplex ein und wagte sich nun etwas offensiver voran.
    "Sommerliche Blumengestecke mit bunten Schleifen verziert", sprach der Lord weiter und lenkte sich mit ein paar Schattenblitzen ab. Das viele Grübeln über die Hochzeitsfeier strengte seinen Kopf recht stark an.
    "Sonnenblumen!", erwiderte Daphne prompt, als sie kurz von der Namensgeberin geblendet wurde. "Und mal wieder anständige Kleidung. Einmal wieder sauber und ordentlich aussehen!"
    "Kuen, was meinst du dazu?", fragte Aras interessiert und schenkte ihr kurz einen Augenblick. Kuen dagegen zuckte nur mit den Schultern und stach nebenher die Männer einzeln ab. Mit dem großen Schild parrierte sie die wenigen Schläge der Angreifer, welche selbst schon extrem erschöpft wirkten.
    "Welchen Raum nehme ich nur dafür?", murmelte Aras vor sich hin und versank kurz tiefer in Gedanken. Während er reihum Sachen in die Luft sprengte und Schockzauber verteilte, nebenher noch Daphnes Wassermagie mit Blitzen unterstützte, fiel sein Blick auf die Ymilburg, die unter ständiger Belagerung stand. Ein Seufzen entglitt ihm, was er aber mit Schulterzucken beantwortete. "Es wird sich schon ein geeignetes Plätzchen dafür finden."
    "Die Burg scheidet erstmal aus", erwiderte Daphne grinsend.
    Aras nickte bestätigend. "Zur Not veranstalten wir das Fest auf dem Anger."
    "Zacharas, ich wollte Euch schon des Öfteren fragen", fing Kuen ein neues Thema an, "was es mit diesem Amulett auf sich hat, das Ihr ständig bei Euch habt."
    Verdutzt schauten sich Daphne und Aras kurz an, schwiegen aber dazu.
    "Es ist kein Andenken an Engel oder sonst jemanden, soviel weiß ich bereits..."
    "Nun ja", ließ sich Aras nun doch zu einer Antwort erweichen, "das ist ein Geisteramulett."
    "Was ist das?", hinterfragte Kuen skeptisch des Lords kryptenhafte Äußerung und ließ ihren Unmut über diese Verwirrung gleich am nächstbesten Feind aus.
    "Damit kann man einen Geist rufen. Du sagst laut seinen Namen und er kommt vermutlich."
    "Und wie heißt der Geist?", fragte Kuen weiter.
    Mit Räuspern erwiderte er leise: "Acrylon."
    "Ihr habt genuschelt!", erwiderte seine Geliebte und fing an frech zu lachen. "Sprecht etwas lauter und deutlicher..."
    Da musste auch Daphne kurz lachen, was die Gegner so hart irritierte, dass sie nur dumm wie Ölgötzen dastanden.
    "Rebhuhn an Birnensoße und dazu Kräuterbrot", schlug Daphne ein Gericht für die Hochzeit vor und schmatzte angedeutet.
    "Wildschweinsbraten mit Pellkartoffeln und Krautsalat!", gab auch Kuen nun einen Einfall von sich.

    Schritt für Schritt kämpften sie sich durch die Straßen und Gassen, redeten weiter über die Hochzeit und andere organisatorische Dinge. Sogar einigen Feinden war dieses Gerede etwas suspekt, was sie weiterführend sogar aus deren Konzept brachte. Umso leichteres Spiel hatten die drei dann und Kuen bekam auch noch ettliche Gegner ab. Irgendwann erreichten sie dann die Menschenmenge, die schon vom Weiten den dreien zujubelte und mit Eifer um Rettung erbat. Konnten die verblieben Wachen um sie herum nur wenig Schutz bieten, während die äußeren Reihen der Bauern und Bäuerinnen sich mit Mistgabeln und Schaufeln zusätzlich den Angreifern zur Wehr setzten.

    Erst als die Drei das Gedränge komplett erreichten, sahen sie, was das Problem war. Zwischen ihnen und dem Tor schnitten mehrere Reihen feindlicher Schwertkämpfer ihnen den Weg ab. Die Bogenschützen auf den Wällen hatten schon die ganze Zeit auf sie geschossen, konnten jedoch nur wenig gegen deren Rüstungen ausrichten. Selbst hinuntergeworfene Steine und Speere konnten nicht viel ausrichten.
    Aras visierte an und fegte mit einem Wisch die ersten Zwanzig hinfort, während Daphne einige andere mit Wasserspeeren bewarf. Kuen blieb etwas im Hintergrund und passte nur auf, dass sich keiner zu weit vortraute. Gemeinsam schafften sie es dann mit wenigen Verlusten die Schwertkämpfer vorerst in die Flucht zu schlagen und somit den Weg zum Tor freizuräumen.
    "Öffnet das Tor!", schrie Kuen den Wall hinauf und stampfte nebenher nördlich der Bürgermeute umher, vereinzelte Angreifer aus der Nebenstraße überwältigend und zurückdrängend.
    Aras begab sich an das hintere Ende und beschäftigte dort die Gegnermassen mit seinen Feuerbällen und Schockzaubern. Und Daphne sicherte den südlichen Teil mit ihrer Magie ab. Nahezu sekündlich rief Aras eine Salve magischer Geschosse hervor und schleuderte sie den Angreifern entgegen.
    "Fruchtpudding für die Kinder", stammelte er vor sich hin, verschwendete dabei keinen Blick zum Tor. Er musste sich voll und ganz auf die Soldaten fixieren, die garantiert sehr erpicht drauf waren, den Lord zu erhaschen. Aras wusste, dass seine Aktion mitten im Getümmel riskant war. Aber er war kein Feigling, er brauchte die Herausforderung! Er vertraute seiner und Daphnes Magie, wie auch dem Geschick Kuens. Die anderen hatten schon genug vollbracht, während Aras nur zusehen und bangen konnte. Sicherlich, ein paar Soldaten und Bogenschützen hatte er auch zur Strecke gebracht. Dennoch schien sein Einsatz in Anbetracht der nahezu wundersamen Taten seiner Truppe noch zu gering.
    Mit Drängen und Quetschen rannten die Bürger aus der Stadt und verstreuten sich am Ufer in alle Richtungen. Aras und Kuen waren die letzten beiden, die das Tor passierten, bevor das Gatter wieder heruntergelassen wurde.
    Sie erreichten das Seeufer, doch es war bereits geschehen. Viele der Boote waren schon unterwegs zum anderen Ufer und befanden sich mittig des Sees. Deutlich konnte Aras erkennen, wie das Wasser immer unruhiger um den Booten herum wurde. Beinahe ein Strudel entstand, der alles einfing.
    Sofort stürmten sie zum nächsten freien Boot und banden es los. Im Schlepptau waren weitere Flüchtlinge, aber Aras scheuchte sie hinfort. "Bleibt am Ufer und wartet! Wir müssen den anderen helfen!"
    Die Meute war in Panik und wollte nicht auf Aras hören. Die Boote wurden überbesetzt und ebenfalls losgebunden. Mehr als Worte wollte und konnte der Lord seinem Volk nicht entgegenbringen. Nun noch die Magie gegen sie einzusetzen, um sie daran zu hindern, die Stege zu verlassen, wäre falsch gewesen. Aber was war falscher? Die Bürger der vermeintlichen Gefahr auf dem See oder an Land auszusetzen? Er wollte keine Boote zerstören und vermutlich dadurch noch mehr Schaden anrichten als unbedingt nötig. Er ließ sie rudern und schnappte sich eines der Paddel. Kuen und Daphne taten es ihm gleich und ruderten so kräftig sie konnten. Kuens verdutzter Blick zeugte davon, dass sie noch immer nicht verstanden hatte, was Aras vermutete und fragte nochmal nach: "Warum wollt Ihr die Stadt verlassen?"
    "Ich will nicht die Stadt verlassen. Dort draußen sind Naga!"
    "Nager?", fragte Kuen verwundert nach. "Was ist so schlimm an Bibern?"
    "Keine Nager", korrigierte Daphne sie und lehnte sich noch mehr ins Paddel.
    "Schlangenwesen mit menschlichem Oberkörper", erklärte Aras, hielt währenddessen immer ein Auge auf die Seemitte und eines auf die unmittelbare Umgebung des Bootes. "In der Wüste sind wir mal welchen begegnet. Sie stammen wohl aus der südlichen Wüstengegend."
    "Aber was machen die bei uns im Wasser?", fragte Kuen entsetzt nach und ruderte immer schneller. "Die müssen wirklich keine Skrupel haben, wenn die sogar aus der Wüste hierherkommen."
    "Auch wenn die aus der Wüste kommen, können die ebenso im Wasser leben. Und ich muss dir recht geben, Kuen. Sie sind tatsächlich sehr gefährlich."
    "Und wenn es nur Fische sind..?"
    Aras schüttelte den Kopf und legte kurz das Paddel beiseite, damit er sich mehr auf den See konzentrieren konnte. Und plötzlich erblickte er etwas kurz die Seeoberfläche streifend. Eine Flosse oder ähnliches. Aber viel zu groß für einen Fisch.
    "Zesnar liegt südlich der Daris-Wüste und wie ich Bornhold einschätze, ist er ein mächtiger Mann. Wenn er schon Oger unter seine Fittiche nehmen konnte, warum nicht auch Wassermonster oder gar geflügelte Bestien?"
    Und dann geschah es...
    Die vordersten Boote wurden urplötzlich zum Kentern gebracht. Viel konnten Aras, Daphne und Kuen noch nicht erkennen, aber es lauerte tatsächlich etwas im Wasser, das seiner Beschreibung nahekam. Laute Schreie ertönten, Hilferufe und aufwühlendes, plätscherndes Wasser. Der Strudel erfasste ihr Boot, sie kamen gegen die Strömung nicht an. Daphne wollte sofort mithilfe ihrer Magie gegensteuern, doch Aras ermahnte sie im ruhigen Ton: "Lass uns ruhig vom Sog erwischen und schneller in die Mitte treiben."
    "Das könnte turbulent werden, Aras. Ich kenne mich mit solchen Ereignissen aus..."
    "Das ist kein natürlicher Sog und das weißt du auch..."
    Wieder wurde ein Boot umgeworfen, überall flogen Holzsplitter und Menschen herum. Dann linste ein Kopf aus dem Wasser, direkt neben Aras. Kiemen und Schlangenaugen, wie auch schuppige Ansätze und eine mit Stacheln versehene Rückenflosse, die sich bis hinauf zum Schädel zog. Messerscharfe Reißzähne fauchten Aras an. Reflexartig schleuderte der Magier dem Wesen einen Blitz entgegen, woraufhin es einen gewaltigen Satz nach hinten machte und davon schwamm. Viel Wasser wühlte es dabei auf und schnellte zu einem anderen Boot hin, um dessen Insassen in Angst zu versetzen. Was in der Ferne mit den anderen Booten geschah, mussten sie ausblenden, denn es zeigte nur Schreckliches.
    Daphne stand auch schon bereit und ballte ihre Magie in Form von einem großen Wasserbogen, der sich steuerbordseitig über den Kahn ins Wasser erstrecke. Kuen hörte auf zu paddeln. Sie war so erschöpft, in voller Rüstung kein Wunder. Während das Boot weiter davon trieb, entledigte sie sich erstmal von Helm, Schwert und Schild, um kräftig durchzuatmen.
    Doch wurde ihr keine Pause gegönnt, denn schon kamen mehr Naga auf sie zu. Umzingelt von geschätzt zwanzig Schlangenwesen wussten sie nur einen Ausweg. Aras machte sich bereit, nahm Defensivhaltung an und provozierte die Angreifer mit vereinzelten Schüssen aufs Wasser. Daphne schlängelte den Bogen langsam um den Kahn, um somit einen eigenen kleinen Strudel zu erzeugen, der es den Schlangenwesen erschweren sollte, die Reling zu erklimmen.
    Kaum griff Kuen wieder nach ihrem Schwert, attackierten die Naga das Boot. Mit hechteten Sprüngen schossen sie pfeilartig aus dem Wasser, ihre Klauen und Holzspeere voran, und stürzten sich auf sie. Was von Daphnes Wassertentakel nicht erfasst wurde, wurde sofort von Aras' Zaubern erwischt und wieder ins Wasser getrieben. Zeitgleich wehrte Kuen andere ab und rammte dem erstbesten Naga ihr Schwert in die Brust. Mit gekonnter Drehung schnitt sie ihn entzwei und erwischte gleich noch den nächsten. Sofort schnippte Aras' Hand nach hinten und verpasste den nächsten beiden Schlangen einen Blitzschlag. Gemeinsam kombinierten sie ihre Fähigkeiten. Zacharas erzeugte nun auch einen Feuerbogen, ließ ihn ebenso um das Boot kreisen -jedoch um einiges schneller- und verdrillte beide Elemente ineinander. Während der Kahn immer stärker vom Strudel in Rotation versetzt wurde, stellte sie Kuen nun einfach an die Reling und schlug auf die Naga ein, die es auch nur wagten, ihren Körper aus dem Wasser zu strecken.
    Allmählich erschöpfte Daphne und ihre Wassertentakel riss ab. Aras war sofort zur Stelle und stellte sich mehr mittig, um der Wassermagierin mehr Schutz zu bieten, um sich zu erholen. Ihm war bewusst, dass er selbst auch nicht mehr lange durchhalten würde. Er musste sich etwas einfallen lassen, denn die brennenden Protuberanzen zehrten viel seiner Kraft auf.
    "Kuen, richte deinen Schild über Daphne aus", rief er schnell und bewegte sich ebenso zu ihr rüber. Ohne Zögern kam sie seiner Aufforderung nach und kauerte sich über ihr zusammen. Dann ließ Aras die Feuerstränge los und zielte auf die Steuerbordseite. Kaum wollten die Naga dort auf sie zu springen, schleuderte er ihnen eine Druckwelle entgegen, woraufhin sie wiedermals im hohen Bogen hinfort katapultiert wurden. Die Holzsplitter und andere Utensilien, die ebenfalls durch die Luft gewirbelt wurden, ließ der Meistermagier sofort gegen sie prallen, um sie zu durchlöchern.
    Er hätte noch viel mehr mit ihnen angestellt, doch schon kamen weitere von der anderen Seite und überwältigten das Trio. Sie drohten sie unter ihren Körpermaßen zu erdrücken, doch Aras' nächster Zauberspruch war bereits zur Stelle und schleuderte alle samt in die Höhe. Die Wucht war so gewaltig, dass das Boot ein gutes Stück hinabsank, um nur Sekunden später wieder aufzusteigen. Weitere Naga folgten, vereinzelt, welche leichter abgewehrt werden konnten. Kuen rappelte sich wieder auf und kämpfte weiter. Den Schild ließ sie Daphne zum Schutz da.
    Waffenhiebe hier, Magie dort. Ein nicht endender Strom aus Naga ereilte sie. Zurückgeschleuderte besannen sich erneut und griffen wieder an, selbst die Kopflosen und anderen Toten zuckten noch vor sich hin und schlugen mit ihren Klauen um sich.
    Nur wenige Augenblicke richtete Aras gen Westen, zu den anderen Booten. Sie schienen freie Bahn zu haben. Aber dann erkannte er, warum dies so war. Alle Naga hatten es nun auf den Lord abgesehen. Als hätten sie gewusst, dass er sich ihnen persönlich annehmen wollen würde.
    Noch eine ganze Weile kämpften sie Seite an Seite gegen die nicht gerade intelligent wirkenden Monster, doch sollten sie sich mächtig geirrt haben. Plötzlich krachte es gewaltig und die Holzdielen unter sich gaben nach. Regelrecht zerfetzt wurde der Kahn. Weit hinauf wurde alles gerissen. Aras, Kuen, Daphne, Trümmerteile, Körperfetzen, Wassermassen und unzählige Naga. Wie eine gewaltige Fontäne schossen sie empor und rissen alles mit sich.
    Instinktiv versetze Zacharas seine Geliebte in Levitation und fing ihren Fall ab.
    Kuen war außer sich und schrie im Wahn: "Acrylon, Acrylon!"
    Aras realisiert es erst nicht, er war zu sehr auf sie fixiert. Doch plötzlich schoss ein greller Strahl aus seiner Brust heraus, zuchfetzte seine Robe und ließ das Amulett wie von Geisterhand herauswedeln. Noch im Fall erkannte er, was Kuen getan hatte und versuchte wenigstens noch ihres und Daphne Fall zu entschleunigen. In der Luft manifestierte sich der grelle Nebel zum Acrylon, ungeheur mächtig und gewaltig! Seine vier Arme mit den vier Säbeln brachten sich sofort über seiner linken Schulter in Stellung und zeichneten einen großen Halbkreis unter sich.
    "Welcher Tölpel hat mich gerufen?!", schrie er mit tiefer, finsterer Stimme und die Säbel schnitten alle samt durchs Wasser, erzeugten eine gigantische Fontäne -beruhend auf den harten Einschlag- und rissen die Wasseroberfläche mit sich. Alle Naga, die sich zuvor im Bereich des Bootes aufhielten, wurden von den Säbeln erfasst, filetiert und scheibchenweise in der Luft verteilt. Wie ein Felsen krachte er in den See und erzeugte eine drei Meter hohe Welle, die sich ringförmig ausbreitete. Aras klatschte nur wenige Momente später auf. Ungeheure Schmerzen plagten ihn sofort, die er aber versuchte zu ignorieren. Gebrochene Knochen und harte Prellungen waren nicht auszuschließen, dennoch hielt er den Schmerzen stand und sandte seine ganze Konzentration weiterhin auf die Damen. Wenigstens Kuen wollte er ans sichere Ufer transportieren. Daphnes Fall war leider nicht aufzuhalten, aber er versuchte ihn bestenfalls zu verlangsamen.
    Laut kreischte seine Geliebte, fluchte und winselte. Sie hatte ihm schon oft gesagt, dass sie ungern von Magie berührt werden wollte. Umso heftiger reagierte sie nun, von seiner levitierenden Kraft gesteuert zu werden.

    • Offizieller Beitrag

    Daphne schlug auf die Wasseroberfläche auf und in ihrer menschlichen Form fühlte es sich an, als würde sie auf einen gepflasterten Weg prallen. Es presste ihr die Luft aus den Lugen und sie konnte kaum atmen. Nur wimmernd entwich ihr ein leiser Schrei. Trümmer flogen noch immer um sie herum und der seltsame Geist verschwand so schnell wie er gekommen war. Eine seltsame Gestalt und nicht gerade sehr freundschaftlich geprägt, wie sie sah. Feuer prasselte auf sie nieder, was wohl einst Fragmente des Bootes gewesen waren. Ohne Rücksicht auf den Träger des Medaillon, oder Danebenstehende, hatte dieser Kerl alles zerstört. Er hatte zwar auch die Naga getötet, aber etwas mehr aufpassen hätte er können. Sie konnte sich kaum bewegen, weil jeder Zentimeter ihres Körpers schmerzte. Krieg war wirklich scheiße, stellte sie fest. Wenn sie das überleben würde, würde sie sich hüten, so schnell wieder an einem teilzunehmen. Erst langsam kehrte ihr Gehör für die Umgebung zurück und Schreie, wie Plätschern war zu vernehmen. Als sich Daphne umsah, sah sie Aras im Wasser treiben, der seine Hand nach Kuen ausstreckte, um sie sicher am Ufer abzusetzen. Auch ihm schien es nicht gut zu gehen, so sehr, wie er mit Krächzen und Stöhnen beschäftigt war. Er war mindestens genauso hart auf dem Wasser aufgeschlagen und die Heilerin sah nirgends einen Gegner dessen Wasser sie sich bemächtigen konnte. Sie war ausgebrannt, kaum noch etwas von ihrer Magie übrig und so schnell konnte sie sich nicht erholen, um sich und Zacharas zu heilen. Also blieb nur eine Entscheidung. Sie bewegte sich langsam auf Aras zu, glitt mehr durch das Wasser, da schwimmen zu schmerzhaft gewesen wäre.
    „Halt still!“, nuschelte sie vollkommen erschöpft dem Herzog zu.
    „Geht es dir gut?“, fragte Aras gleichauf und die Prinzessin schnaufte nur, verzog dabei mitunter ihr Gesicht,
    „Ging schon mal besser, aber auch schlechter!“, antwortete sie ihm grinsend, ehe sie ihm ihre rechte Hand ins Gesicht hielt. Mit letzter Kraft heilte sie seine Rippenbrüche, Prellungen und den Bruch seines linken Armes. Ein verdutzter Gesichtsausdruck von Aras folgte, als er sich merklich erholte.
    „Womit hab ich denn das verdient?“, forderte er lächelnd zu wissen und Daphne sah zum Ufer.
    „Gewöhn dich nicht dran“, stotterte sie. „Ich bin nach der Heirat etwas sentimental, glaub ich.“
    „Ich bin dir nun noch mehr schuldig. Ich weiß gar nicht, wie ich all dies begleichen soll!“
    Wieder versuchte Daphne ein Lachen auszustoßen, aber wurde von der mangelnden Fähigkeiten einzuatmen, unterbrochen.
    „Wenn ich mal ein Arsch bin“, fuhr sie angestrengt fort. „Dann sei einfach auch nicht nachtragend.“
    Ein Nicken des Herzogs erfolgte und er gab sich einverstanden, aber bevor sie es wiederum ebenfalls mit einem Nicken absegnen konnte, fing ihr Unterleib zu brennen und als sie ins Wasser schaute, stecke ein Stück Holz in ihrem linken Unterbauch. Blut vermischte sich mit dem Wasser des Sees.
    „Du brauchst einen Arzt!“, stieß Aras aus.
    „Welch Ironie“, presste Daphne zwischen ihren Lippen empor und hielt ihren Atem an. „Ständig versucht mich irgendetwas zu durchlöchern. Und noch schlimmer; die Heilerin braucht einen Arzt.“
    Sie versuchte ihre Tränen zu unterdrücken, aber nicht wegen des Trümmerteils, welches in ihrem Körper steckte, sondern, weil für den Krieg nicht geschaffen schien. Nicht gegen so viele, nicht so unerfahren wie sie war. Von einer Schurkin zur Kriegerin zu werden, war wohl in ein paar Tagen etwas viel verlangt.
    „Kuen?“, schrie Zacharas seiner vermeintlichen Geliebten entgegen. Daphne war nicht dumm, sie hatte den vertrauten Umgang der beiden schon längst bemerkt. „Hol ein Boot hierher, schnell!“
    Kaum hatte Aras die Bitte ausgesprochen, setzte sich die Soldatin bereits in Bewegung.
    „Ist es schlimm?“, fragte der Herzog weiter und Daphne schüttelte den Kopf.
    Sterben werde ich daran vermutlich nicht, dazu fühlt es sich nicht tief genug an, aber wehtun könnte es trotzdem weniger.“
    „Beeil dich!“, ermahnte Aras ein weiteres Mal die Soldatin. Aber bevor es die blonde Frau auf ein Boot schaffte, wirbelte sich Wasser hinter Daphne auf und eine ihr bekannte Stimme erklang.
    „Vielen Dank Herzog, aber ab hier übernehme ich das“, wandte sich die Person an Aras und Daphne bemerkte nur zwei Arme, die sie aus dem Wasser hoben und wieder zu Wirbeln wurden. Gefangen in einem wilden Strudel, spürte sie, wie sie sich fortbewegten, konnte aber zu keiner Seite etwas erkennen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, welche ihr unter den Schmerzen wie Stunden vorkamen, aber irgendwann löste sich der Strudel auf und sie befand sich wieder auf der Mauer. Eben jene, die sie zuvor noch mit ihren Freunden verteidigt hatte und lehnte an einer Wand, die mal ein Turm gewesen war. Es war dort plötzlich deutlich ruhiger. Anscheinend hatte es der Rest geschafft, sich dort ein wenig Luft zu verschaffen und den Gegner zurückzudrängen.
    „Hör mir zu“, sprach die Stimme plötzlich weiter und eine Hand wandte Daphnes Gesicht herum. Sie erkannte einen Mann in ihrem Alter mit langen, schwarzen Haaren und einem Gesicht wie aus Porzellan gefertigt. Die eisblauen Augen starrten sie eindringlich an und wirkten auf sie unheimlich vertraut. Doch ehe sie sich darauf konzentrieren konnte, spürte sie einen Ruck und der Fremde zog ihr das Holz aus dem Unterleib.
    „Ich kann nicht zulassen, dass du hier stirbst, verstehst du das?! Dazu war dein Leben zu teuer“, sprach er zusammenhangslos daher und presste seine Hände auf die Wunde.
    „Teuer?“, japste Daphne und bemerkte, wie ihr das Atmen leichter fiel. Ihre Wunde schloss sich und all ihre Gebrechen verschwanden schlagartig.
    „Du bist wie ich“, fuhr der Mann fort. „Wir sind ein Blut, auch wenn du mehr meiner Geliebten Marene gleichst als mir. Immer nur auf andere bedacht und nie auf sich selbst. Auch als meine Urenkelin, musst du damit aufhören. Es ist wichtig, dass du egoistischer wirst. Denn ohne Blick auf dich selbst, verlierst du dich in anderen und das ist gefährlich.“
    Daphne konnte ihre fragende Miene nicht verstecken. Wer war Marene und wer war der Mann vor ihr und was redete er denn da?
    „Wer bist du?“, fragte Daphne deshalb und der Fremde stieß ein Lachen aus.
    „Ich bin Rhenus. Wer sonst?“
    Die Heilerin riss ihre Augen auf. Der Gott des Wassers saß vor ihr und hatte sie gerettet? Sie blickte in das Antlitz der Gottheit, die in ihrem Land mehr als verehrt wurde und sollte von seinem Blut sein? Dann hatte Jaris mit seiner Vermutung also Recht behalten, dass eine Verbindung zischen ihnen bestand?
    „Ich habe dich von meinem Bruder nicht zurückbringen lassen, dass du dich wenige Tage später wieder töten lässt. Dein Leben wird nicht kampflos sein, aber dazu ist es zu früh.“
    „Ich verstehe nicht ganz ...“, stammelte Daphne verwirrt.
    „Du musst lernen, deinen Charakter festigen und darfst dich niemals von anderen lenken lassen. Mache aus deinem Leben, was du willst. Xhar gibt nur ungern Seelen her und ein drittes Mal wird er das nicht machen. Ich habe ihm ja auch nichts mehr zum Tausch anzubieten.“
    „Tausch?“, wimmerte die junge Frau und verstand nur Hafenmöwe.
    „Das erkläre ich ein andermal, hier ist nicht die richtige Zeit dafür, aber sei gewiss, dass du nicht alleine bist. Es gibt so … viele, die ein wachendes Auge auf dich haben.“
    „Deine Augen“, fiel es Daphne auf. „Die sind wie die von ...“
    „Keine Sorge, der ist nicht von unserem Blut, dann wäre er gesprächiger. Das ist mehr eine Laune der … Natur.“
    Ein Zwinkern folgte vom Gott und er bedachte sie mit einem Kuss auf die Stirn, während an einer Biegung Jaris, Daryk und Thyra auftauchten. Danach erhob sich der Mann, der sich ihr Vorfahr nannte und drehte sich zu den drei anderen herum.
    „Daphne?“, erklang die besorgte Stimme ihrer Freundin, die sich umgehend auf sie zubewegte, während sie dem Mann in der dunkelblauen Rüstung nur wenig Aufmerksamkeit schenkte.
    „Mir geht es gut, mir geht es gut!“, beruhigte die Heilerin die Jägerin eilig und ließ sich von ihr aufhelfen. Daphne sah wie Rhenus neben Jaris stehenblieb und seinen Blick seitlich zu ihm wandte.
    „Glückwunsch, Neffe“, glaubte die Prinzessin zu hören. „Eine bessere Wahl hättest du nicht treffen können.“
    Jaris stand ebenso verwirrt da und starrte den Mann an.
    „Was bei allen ...“, nuschelte der Söldner und sah Rhenus nach, der geradewegs auf die Mauer zulief. An Daryks Seite senkte Rhenus seinen Blick und sah ihn nicht direkt an, nuschelte aber etwas, das konnte Daphne an den Bewegungen seiner Lippen ausmachen.
    Ein Soldat, der an einer Leiter die Mauer erklomm, fasste Rhenus ins Gesicht und stieß ihn mit Leichtigkeit wieder hinunter, sodass dieser noch ein paar feindliche Männer mit sich riss. „Sag meinem Bruder einen schönen Gruß oder vielleicht doch lieber nicht, dann glaubt er noch, ich mag ihn.“
    Der Kampf war also noch nicht vorbei. Immer mehr strömten wieder an den steinernen Abhängen empor und der Hüne nahm zuerst den Kampf wieder auf.
    Noch einmal drehte sich Rhenus indessen um und lächelte.
    „ Hochzeiten sind mir immer willkommen, denn wo zwei Leben sich finden, entsteht über kurz oder lang ein Neues“, verlautete er. „Versucht nur zu überleben! Hilfe naht!“
    Danach löste er sich in einem Wasserwirbel auf und verschwand.
    „Was war das denn für ein Kauz?“, murmelte Thyra leise.
    „Ich glaube, mein Opa!“, nuschelte Daphne verwirrt, weshalb Thyra sie ungläubig anstarrte. Die Heilerin blinzelte einmal abwesend und wandte sich ihrer Freundin zu. „Also nicht direkt. Wenn das stimmt, was Jaris erzählte, dann mein Urgroßvater mit mehr „Urs“, als ich jetzt aufzählen möchte.“
    „Er sagte, dass Hilfe nahen würde“, wiederholte Jaris und kaum hatte er seinen Satz beendet, ertönten Hörner in weiter Entfernung. Es war Zeit weiterzukämpfen.

  • EinKnall ertönte als einer der riesigen Steine, die die Katapulte schleuderten,hinter der Mauer einschlug und einen ehemaligen Stall zu Trümmer zerfetzte.Staub rieselte über ihren Köpfen nieder wie Regentropfen.Jaris schlug eine Klinge beiseite und rammte den Soldaten, der sie gegen ihngerichtet hatte sein eigenes Schwert in den Bauch. Ein Pfeil surrte nebenseinem Ohr vorbei und traf einen der heranstürmenden in den Hals. Der Halbelfwagte einen kurzen Blick auf die Schützin und erlaubte sich ein Lächeln. Thyra.Seine Frau. Selbst jetzt, da er sich wieder inmitten des Kampfes befand, wardie Wärme in seinem Herzen geblieben. Selbst das Gewitter war abgeklungen undeinzig vereinzelte Windböen erinnerten an das Unwetter. Leider änderte dasalles an ihrer nach wie vor misslichen Lage. Theical hatte sich wieder zu denverbleibenden Kämpfern in der Stadt gesellt, die versuchen sollten diefeindlichen Truppen zubeschäftigen und von der Burg abzuhalten. Zacharas, Daphne und Kuen waren denMenschen am See zur Hilfe geeilt, da es dort wohl Schwierigkeiten gegebenhatte. Der gegnerische Magier dagegen, der die Verteidiger immer noch inFlammen hüllte, stand noch immer auf der Mauer, während seine schwarz gerüsteteLeibwache verhinderte, dass irgendjemand auch nur in seine Nähe kam. Pfeileflogen immerzu auf diese Truppe zu, doch nur Thyras zerschlugen gelegentlichein Rüstungsteil und selbst ihre wurden jedes Mal von einem Schild gebremst,wenn sie in Richtung des Jungens, der sie nur Tage zuvor vor dem heutigemgewarnt hatte, flogen. Daryk und Jaris rannten dagegen immer wieder auf dendichten Kokon aus Schwertkämpfern zu, doch keiner von ihnen schaffte es denstählernen Ring zu durchbrechen. Zudem schienen die Rüstungen ähnlich wie Kuensmit Leder ausgekleidet zu sein, was seine Blitze erheblich abschwächte.Plötzlich ertönte ein lautes Donnern aus der Richtung des Sees. Seine Gedankenkehrten sofort zu Zacharas, Daphne und Kuen zurück. Hoffentlich war nichtspassiert. Doch er war hier und nicht am See und das Donnern, hatte den Mann,gegen den er gerade focht, wohl abgelenkt. Jedenfalls hatte der Mann denBlick von ihm gewendet. Er gehörte der Leibwache des Magiers an und Jarisnutzte die Situation schnell aus. Mit einem präzisen Stoß trieb er seine Klingein die schmale Spalte zwischen Schulter und Helm. Der Soldat verkrampfte sichsofort und fiel dann tonlos - abgesehen von dem Scheppern beim Aufprall - zur Seite. Unversehens klaffte eineLücke in dem Ring der Leibgarde. Der Junge stand kaum zwei Meter von ihmentfernt und hatte von der Situation nichts mitbekommen. Ganz anders als Daryk,der sich zu Jaris in die Lücke warf und Verwirrung unter den Wächtern stiftete.Dem Söldner kam das gerade rechts, mit vier schnellen Schritten und zweiHieben, die die, die ihn aufhalten wollten, aus dem Gleichgewicht brachten, warer bei dem fremden Magier. Dieser Trug zwar immer noch dieselbe Rüstung wieseine Leibgarde, doch Jaris nutzte den Schwung seines Ansturms und stieß zu.Die Spitze seines Schwerts durchschlug den harten Stahl und drang durch dasweichere Leder darunter. Die Klinge schnitt nahezu widerstandslos durch dasFleisch, bis sich an der anderen Seite wieder auf die Rüstung traf. DerHelm des Jungen ruckte herum und die Augen hinter den Viesierschlitzen sahenihn ungläubig an. Dann kippte der Körper nach hinten. Sofort sprangen Soldatenauf Jaris zu, der sofort zurücksprang und um sein Leben gegen die Wucht desAngriffes kämpfen musste. Andere fingen den Magier auf, bevor er den Bodenerreichte und zerrten ihn in Richtung der Leitern. Mühsam unterdrückte Jarisseine Zweifel. Dieser Magier war lange nicht der jüngste auf diesemSchlachtfeld, aber bestimmt einer der gefährlichsten. Außerdem konnte ein Treffer wie dieser möglicherweiseüberlebt werden. Trotzdem ereilten ihn Gewissensbisse. Immerhin hatte dieserKerl versucht sie zu warnen. Welche Gründe er auch immer gehabt hatte. DieSoldaten in den schwarzen Rüstungen ließen von Jaris ab und zogen sich über dieLeitern zurück. Die gewöhnlichen Krieger verblieben auf der Mauer, im Kampf mitden Verteidigern. Thyras Pfeile erledigten noch ein paar der schwarz gerüstetendurch gezielte Schüsse in den Halsbereich, während Daryk und Jaris ihnen dieLeitern hinab folgten. Klug war es vermutlich nicht, dennoch erschien esrichtig, sicherzugehen, dass sie nicht zurückkamen. Der Söldner sprang dieletzten zwei Meter hinab und hetzte an der Mauer entlang, doch blieb plötzlichstehen, als Daphne hinter einer Biegung vor ihm auftauchte. Sie saß auf dem staubigenBoden und unterhielt sich mit einem schwarzhaarigen Mann, ungeachtet derSchlacht, die weiterhin um sie herum und über ihren Köpfen tobte.
    „Daphne?“,rief Thyra, die ihnen offensichtlich gefolgt war, und stürmte an Jarys undDaryk vorbei an die Seite der Heilerin.
    „Mir geht es gut, mir geht es gut!“, behauptetediese und nahm die dargebotene Hand an. Der Mann, mit dem sie geredet hatte,drehte sich erstaunlicherweise zu Jaris um und musterte ihn einen Augenblick.
    „Glückwunsch, Neffe“, lobte er ihn dann. „Einebessere Wahl hättest du nicht treffen können.“
    Mit aufgerissenen Augen starrte der Söldner den Gott, der er sein müssen.
    „Was bei allen ...“, entfuhr es ihm, doch der Gotthatte sich bereits abgewendet und schritt in Richtung statt davon. Das Heer,das dort wartete schien ihn nicht weiter zu interessieren. Er sagte nochirgendetwas, das Jaris nicht verstand, doch er war sich auch nicht sicher, obes für die Allgemeinheit oder nur für Daryk, der direkt daneben stand, gedachtwar. Währenddessen war ihm offensichtlich irgendetwas am Boden aufgefallen, daer seinen Blick auf denselben richtete. Jaris suchte die Stelle nachirgendetwas Besonderem ab, fand jedoch nichts. Ein erstickter Schrei ließseinen Kopf wieder hochschnellen. Der Gott schleuderte gerade ein paar Meterentfernt einen Soldat auf dessen Kameraden.
    „Sagmeinem Bruder einen schönen Gruß oder vielleicht doch lieber nicht, dann glaubter noch, ich mag ihn“, rief er ihnen zu.
    Hinter ihm rannten weitere Soldaten auf die Leitern zu. Soldaten, die inwenigen Augenblicken gegen die Verteidiger auf den Mauern kämpfen würden.
    „Hochzeiten sind mir immer willkommen, denn wo zwei Leben sichfinden, entsteht über kurz oder lang ein Neues“, gab der Gott ihnen noch mit. „Versuchtnur zu überleben! Hilfe naht!“
    Dann löste er sich urplötzlich in einem Wasserwirbel auf.
    „Waswar das denn für ein Kauz?“, wollte Thyra leise wissen, als befindeer sich immer noch bei ihnen..
    „Ich glaube, mein Opa!“, behauptete Daphne undstimmte Jaris damit insgeheim zu.„Also nicht direkt. Wenn das stimmt, was Jaris erzählte, dann mein Urgroßvatermit mehr „Urs“, als ich jetzt aufzählen möchte.“ Thyrawarf erst ihrer Freundin, dann ihrem Mann einen undefinierbaren Blick zu.
    „Er sagte, dass Hilfe nahen würde“, erinnerte Jarisauch um das Thema von der ganzen Sache mit den Göttern wegzulenken. Im selbenMoment erklangen Hörner der ferne und zerrissen die vergleichbare Stille, diehier unten herrschte in Fetzen.
    "Schnell",instruierte Daryk sie. "Wir müssen zurück. Das war das Signal." Niemand hatte Einwände und siekletterten die Mauer wieder hoch. Oben sahen sie dann gerade noch mit an, wieihre Gegner scharenweise in dieandere Richtung zurückwichen undzum Boden zurückkehrten. Nur noch wenige verblieben auf der Mauer.Offensichtlich wurden die Truppen woanders gebraucht. Mit den verbleibendenKämpfern würden die Verteidiger vermutlich selbst fertig werden, weshalb siesich stattdessen in den Hof begaben, auf dem sich derweil hunderte von Reiterversammelt hatten. Ein weiterer Stein krachte am Rande des Platzes in den Steinund zerquetschte ein paar Unglückselige. Was sollte das warten. Es könnteihnen jetzt nur noch schaden.
    "Habtihr Zacharas gesehen", fragte sie ein etwasuntersetzter Mann, der auf sie zu watschelte. Greo Lynchwar der Anführerder Stadtwache von Ymilburg und auch wenn er selbst kaum zum Kämpfen geeignet schien, wohl ein hellesKöpfchenin Sachen Verbrechensbekämpfung und Ordnung erhalten. Dummerweise hatte einKrieg wenig mit diesem zu tun, was ihn für die Aufgabe endgültig unqualifiziertmachte.
    "AmSee", erklärteDaphne schnell und fügtedann ein "Esgeht ihm gut." hinzu, als sie die Blickeihrer Freunde bemerkte.
    "Aberwas sollen wir jetzt machen?", wollte Greowissen und rangverzweifelt die Hände.
    "Angreifen",erwiderte Jaris ohne zu zögern. "Wiees der Plan war."
    "Oderwollt ihr, dass euch eure Männer auf dem Burghofwegsterben?", ergänzte Daryk und bedachte seinenGegenüber mit einem finsteren Blick, der diesen zurückweichen ließ.
    "Aber...aber der Lord...",stammelte der Anführerder Stadtwache.
    "Würde uns da zustimmen",beschloss Thyra entschieden und Daphne nickte, während sie den Mann ebenfalls durchdringend ansah.
    Wenig später saßen sie alle auf ihren eigenen Pferden, die extrafür sie bereitgestellt worden waren. Nur Zacharas´wies einen leeren Sattel auf. Jaris hoffte wirklich, dass es dem Herzog gutging. Egal wie er sich in der Vergangenheit verhalten hatte, er hatte dochimmer zu ihnen gestanden und sich in letzter Zeit scheinbar tatsächlich zubessern versucht. Natürlich hoffte er auch, dass Theical in Ordnung war, doch dass dieser nicht hier war, gehörte immerhin zum Plan. Erhatte seine Gabe mittlerweile erstaunlich gut im Griff, doch das schützte ihnnicht gegen Pfeile oder Wurfwaffen.
    Das Donnern der Pferdehufe erhob sich über die Mauern der Stadtund überdeckte seine Gedanken.

    Schutt und Asche spritzte auf, als sie über die Straßen zwischen den zerstörten Gebäuden ritten. Auf dem Platz waren sie auf relativ wenig Widerstandgestoßen, doch nun näherte sich die Gruppe, der sie zugeteilt worden waren,langsam dem verbleibendem gegnerischem Heer. Jaris hatte den Überblickverloren, wie sehr es inzwischen geschrumpft war, doch der Enthusiasmusin seinen Gliedern verdrängteseine Zweifel. Immerhin hatten sie jetzt mit den Elfen eine deutlich bessereChance. Da sie übereine Anhöheritten, konnten sie bereits einen großen Trupp Gegner sehen. Sie wären ihnen haushoch überlegen gewesen, wenn sie nicht von einer ebenso starken Truppe Elfen aufder gegenüberliegenden Seite bedrängt worden wäre. Ihre Gruppe, die kaum auszwei Dutzend Reitern bestand, könnte dem Kampf nun den richtigen Anstoß geben.Schreiend stürmten sie auf ihren Gegner zu, der mit jedem Hufschlag näher kam.
    Krachend prallten sie gegen den Feind. Pferdehufen schlugen gegenBrustharnische und zermalmten Knochen. Schwerter durchtrennten Fleisch undSehnen. Lanzen durchlöcherte Stahl und Haut. Jaris ließ seine Stute in einerTraube von Gegnern tänzeln. Die Erschöpfung war größtenteils von ihm gewichen, da Daphne sofreundlich gewesen war, sie alle zu heilen, bevor sie wieder in die Schlachtritten. Die Begegnung mit ihrem Vorfahren musste revitalisierende Effektegehabt haben, da die Schurkin voller Energie mit Wassertentakeln um sichschlug. Kein Vergleich zu der ausgelaugten Person, die mit ihm auf der Mauergestanden hatte.
    Seine Klinge durchstieß die Rüstung seines Gegners an dessenSchulter und mit einem Aufschrei sank der Mann zu Boden. Plötzlich bäumte sichJaris Pferd auf und erzitterte, als die Spitze eines Speeres durch seinen Bauchgestoßen wurde. Der Halbelf sprang noch gerade rechtzeitig vom Sattel ab, bevorder Pferdekörper ihn unter sich begraben konnte. Wild ging er auf den Träger derStangenwaffe zu und deckte ihn mit einem Hagel aus Schlägen zu. Ihr Angriffhatte die feindliche Truppe erheblich geschwächt und die Elfen drängten sieimmer mehr in ihre Richtung. Nicht mehr lange, dann würden sie inalle Richtungen davonrennen. Aber zwischen den Körpern ihrer Gegner lagenauch Leichen der Verteidiger, die im jähen Ende dieser Schlacht ihr eigenesgefunden hatten. Auf ihrer Seite drohte sie die Menge der Gegner zu überrennenund hielten sie nicht stand, würden sie sich einfach vor den Elfen zurückziehenkönnen. Verzweifelt stemmte sich Jaris gegen die Last der Gegner, die ihmentgegen gedrängt wurde. Aus den Augenwinkeln sah er, wie ein Mann derStadtwache strampelnd und um sich schlagend von seinem Pferd gezogen wurde undein anderer verzweifelt weiter focht, obwohl der Schaft eines Speeres ausseinem Körper herausragte.
    Ein Schlag traf ihn unvorbereitet und stieß ihn zu Boden. Erwollte sich geradezu Seite rollen, da fiel sein Blick plötzlich auf Thyra undDaphne, die Seite an Seite standen. Daryk stand ein ganzes Stück entfernt und kämpfte gleich gegen drei Feinde. Ein ungleicher Kampf. Für die Soldaten... Plötzlich fiel ihm jedoch eine Hand voll Bogenschützen auf, die ein paar Meter von den beiden Frauen entfernt Stellung bezogen hatten. Sie legten gerade auf diese an und schossen eine Hand voll Pfeile auf sie ab. Unglücklicherweise standen sie so, dass Thyra und Daphne die Gefahr gar nicht bemerkten. Er öffnete den Mund, um eineWarnung zu rufen. Doch bevor er einen Ton herausbekam, bemerkte er eine Klingeaus seinem Augenwinkel herabfahren. Es war zu spät um die eigene zu heben oderauf dem Boden zu probieren auszuweichen.

    Die Klinge schoss heran und ihm kam es vor, als ob die Zeitplötzlich langsamer ablief. Sein vermutlich letzter Atemzug hallte ihm in den Ohren nachund seine Gedanken schweiften zu Thyra. Er konnte so nicht gehen. Nicht ohnesie vor den Pfeilen gewarnt zu haben. Doch es war zu spät. Er kniff die Augenzusammen und wartete auf die Schneide des Schwertes.

    Verwundert öffnete er die Augen wieder und blickte sich nach derKlinge um. Sie war da, direkt über ihm, doch sie war tatsächlich langsamer geworden.Merklich langsamer. Beinahe zum Stillstand verurteilt. Ohne nachzudenken rollteer sich zur Seite, stand auf und stach mit seiner eigenen zu. Sie traf den Mannund kostete ihm das Leben, doch er fiel nicht zu Boden. Beziehungsweise erfiel, doch er tat das unglaublich langsam. Ebenso wie die Klinge vor ihm.

    Es war ihm egal, wie seltsam es war, was die Ursachen waren oderob er das wiederholen konnte. Er sprintete zu Thyra und Daphne schlug diePfeile, die sich ihnen weiterhin langsam näherten, zur Seite. Sie flogen in völlig andereRichtung weiter und würden wohl die eigenen Männer treffen. Jedenfalls, wennsie je dort ankamen. Er sah sich um, wollte gerade das Schwert erheben, um sichso vieler Feinde wie möglich zu entledigen, da wurde ihm schwarz vor Augen under sank zu Boden.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Blut spritzte über das Schlachtfeld, als Daryk den Stoßdorn seiner Waffe im Hals des ersten Soldaten versenkte. Während dieser noch röchelnd zu Boden fiel, nutzte ein anderer die Vermeintliche Gelegenheit und überwand mit zwei schnellen Schritten den Abstand zu Daryk.
    Dieser gab sich keine Mühe, dem Hieb des Schwertes auszuweichen, da er wusste, dass dieser Angriff den Plattenpanzer nicht durchdringen konnte. Er zog lediglich den Kopf ein bisschen zurück, da er keinen Helm mehr trug und lies den Hieb am Brustpanzer abgleiten. Dann griff er dem überraschten Soldaten, der keine Anstalten gemacht hatte, sich wieder aus seiner Reichweite zu begeben, an den Hals. Offensichtlich hatte sein Feind nicht damit gerechnet, dass Daryk sich nicht für seinen Angriff interessierte und starrte ihn mit großen Augen an, als Daryk das Leben aus ihm herausquetschte. Verzweifelt versuchte der Mann, den Griff um seinen Hals zu lockern, aber wurde schon nach kurzer Zeit zu schwach um sich zu wehren. Noch bevor der Mann ganz tot war, wandte sich der schwarze Ritter dem dritten Soldaten zu und ging einen Schritt auf ihn zu. Mit beiden Händen hielt der letzte der drei seinen Speer umklammert und im war deutlich anzusehen, dass er Angst hatte. Panisch stieß er mit dem Speer nach Daryk, welcher in aller Ruhe weiter auf den Soldaten zuging. Er ließ den inzwischen Toten in seiner rechten fallen und wischte den Speer zur Seite. Ein weiterer halbherziger Angriff folgte, welchen Daryk nicht einmal mit einer Parade würdigte, da er, wie der Schwerthieb zuvor, ohnehin keine Chance hatte seine Rüstung zu durchdringen. Einen dritten Stoß gab es nicht, da Daryk seinem Widersacher den Stoßdorn in den Bauch gerammt hatte. Schreiend fiel dieser auf die Knie und versuchte sein Blut daran zu hindern aus seinem Bauch zu fließen. Ein schneller Hieb von Daryks Axt trennte den Mann von seinem Leben – und seinem Kopf.

    Kurz fragte sich Daryk, wie dieser Bornholm es geschafft hatte, mit so einem erbärmlichen Haufen Soldaten das halbe Land einzunehmen, als ihn ein Pfeil am Rücken traf. Allerdings flog dieser nicht gerade, sondern seltsam seitlich und prallte wirkungslos ab.
    Schnell drehte er sich um und sah Jaris, von dem er hätte schwören können, dass er gerade noch deutlich weiter weg stand, wie er bei Thyra und Daphne stand und mit erhobenem Schwert zusammensackte.
    „Nein!“, kreischte Thyra und eilte zu ihm, „Nein, nein, nein, nein!“
    Auch Daphne kniete sich sofort zu ihm herunter und legte ihre Hand auf seine Stirn.
    „Er ist gesund“, verkündete sie, „nur… total erschöpft.“
    Sie schloss die Augen und übertrug etwas Energie an Jaris, welcher sofort tief einatmete und die Augen öffnete. Thyra seufzte erleichtert und drückte dem perplexen Mann sofort einen Kuss auf die Lippen.
    Auch Daryk war erfreut, Jaris wohlauf zu sehen, hatte aber auch die Umgebung im Blick. Die Streitmacht der Elfen war zum rechten Zeitpunkt eingetroffen und die angreifende Armee wurde langsam aber sicher in die Flucht geschlagen.

    Einige Stunden später waren auch die letzten von Bornholms Männern tot, verjagt oder gefangen genommen. Eigene Verletzte wurden versorgt und die Gefallenen in provisorische Gräber gelegt, um sie beizeiten ordentlich zu bestatten.
    Nachdem der schmutzige Teil der Arbeit getan war, begannen die Vorbereitungen für die Feier, denn sowohl der Sieg, als auch eine Hochzeit waren zu feiern.

    Mit der Hilfe der Nordmänner und der Elfen wurde der unbeschädigte Ballsaal der Burg schnell geschmückt und Fässer voller Met herbeigeschleppt. Zacharas hatte Pudding und Wildfleisch in rauen Mengen herbeigeschafft und irgendwie auch eine Erdbeertorte für das Brautpaar aufgetrieben.
    Daphne hatte zusammen mit Kuen und anderen Frauen aus der Stadt spontan ein Brautkleid für Thyra geschneidert. Ein eigentlich unauffälliges und dezentes Kleid, das aber, mit einer überlangen Schleppe versehen, trotzdem alle Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Sie sah aus, wie eine Braut aussehen musste, als sie mit Jaris nach dem Essen den Tanzabend eröffnete. Eng aneinander geschmiegt schwebten die beiden über die Tanzfläche und bald reihten sich auch die anderen, angeführt von Aras und Kuen in die Tanzenden ein. Theic hatte seinen Ausflug in die Straßen Ymilburgs scheinbar gut überstanden und tanzte etwas unbeholfen mit Daphne.

    Ausgelassen tanzten auch die Verteidiger Ymilburgs um das Brautpaar herum und die Musik der Nordmänner trieb alle an. Alle bis auf einen. Daryk stand am Rande der Feier an eine Säule gelehnt und beobachtete das Treiben. Gedankenverloren strich er sich durch den Bart, als er Thyra und Jaris glücklich und innig tanzen sah. Obwohl er sich für die beiden freute, kam er nicht umhin, sich an seine eigene Hochzeit zurückzuerinnern. Damit kamen auch all die schmerzlichen Erinnerungen wieder in den Sinn, die damit verbunden waren. Nachdenklich rieb er seinen rechten Handrücken und stellte wieder einmal fest, dass nichts mehr dort war. Bis vor wenigen Wochen war an dieser Stelle, verdeckt von den Wunden seiner Folterung in den Kerkern von Lyc, das Zeichen seiner Ehe eingebrannt gewesen. Bei seiner Hochzeit hatte er sich, wie es in seiner Heimat Brauch war, ein Zeichen, das ihn an seine Ehefrau erinnerte, in die Haut seines Handrückens gebrannt. In seinem Fall die Rose, die er ihr bei ihrer ersten Begegnung auf dem Turnier des Königs geschenkt hatte. Er hatte gewonnen, war zum Ritter geschlagen und zum Mitglied der Königswache ernannt worden. Ebenso hatte er das Recht erworben, die Rose an die Frau seiner Wahl zu verschenken.
    Die letzten fünf Jahre war die Rose allerdings von anderen Zeichen verborgen gewesen. Ebenso wie sein Gesicht war auch seine Hand gezeichnet worden, sodass er jedes Mal wenn er seine Hand sah daran erinnert wurde, was er verloren hatte. Dies war dank Daphne nun vorbei.
    Heute aber half auch die Tatsache, dass seine Narben geheilt waren nicht, dies alles zu vergessen.
    Schnell zupfte er sich die Ärmel des Hemdes, das Daphne ihm auf die Schnelle genäht und mit den Worten So kannst du nicht auf eine Hochzeit gehen!“ überreicht hatte, zurecht. Tatsächlich war sein eines zerfranstes Leinenhemd, das er noch besaß nicht wirklich geeignet damit irgendwo hinzugehen, geschweige denn auf einer Hochzeit aufzutauchen. Normalerweise hätte er als Ritter auch seine Rüstung tragen können, aber diese war nach der Schlacht arg ramponiert gewesen und momentan bei der Reparatur.
    Daryks Kopf schmerzte und leichter Schwindel überkam ihn, was er beides auf die schlechte Luft im Ballsaal schob. Langsam bahnte er sich seinen Weg durch die feiernden Gäste und verließ erst den Ballsaal und dann die Burg. Draußen war die Luft deutlich kühler und fühlte sich frischer an. Ein Lagerfeuer prasselte gemütlich und einladend vor sich hin, was Daryk dazu veranlasste sich ihm zu nähern.
    Dort angekommen erkannte er Arthur und Yorick die neben einem Fass Met auf einem Baumstamm saßen und entspannt die Flammen beobachteten.
    „Da ist ja der Ogerschlächter!“, rief Arthur ihm entgegen.
    Die Nordmänner hatte ihm diesen Namen gegeben, als sich sein Sieg über den Oger herumgesprochen hatte. Kein schlechter Aufstieg, wenn man bedachte, dass er vor der Schlacht noch selbst der Oger war.
    Wortlos setzte Daryk sich auf einen weiteren Baumstamm gegenüber von den Beiden.
    „Was treibt euch denn heraus?“, fragte Yorick, scheinbar überrascht von seiner Anwesenheit.
    Schulterzuckend antwortete Daryk: „Zu warm.“
    Grinsend lehnte sich Arthur zu seinem Prinzen hinüber. „Der ist genauso gesprächig, wie unser Anhängsel!“, meinte er belustigt und reichte Daryk einen Krug mit Met.
    Daryk nahm den Krug an und bevor er sich fragen konnte was Arthur meinte, ertönte neben ihm das Klimpern einer Laute. Überrascht drehte er sich zum Geräusch und erkannte Thorvid, der gut versteckt, im Schatten des Baumstamms auf dem Boden saß und an den Seiten des Instruments zupfte.
    „Gefällt Euch die Gesellschaft nicht?“, wollte Yorick wissen und lehnte sich nach vorne, sodass das Feuer sein Gesicht beschien.
    „Hochzeiten sind… anstrengend“, wich Daryk der Frage aus und hoffte, dass der Prinz es dabei belassen würde.
    Yorick winkte ab: „An meine kann ich mich kaum erinnern. Ich weiß nur noch, dass mir der Schädel brummte und ich mir die Schulter ausgekugelt hatte.“
    Laut lachend stieß Arthur mit ihm an und erklärte, er habe die selbe Erinnerung an Yoricks Hochzeit. Momentan brummte Daryks Schädel ebenso, aber die frische Luft schien etwas zu helfen. Während Arthur seinen Krug leerte, lies Yorick seinen wieder sinken, kniff die Augen zusammen, blickte an Daryk vorbei in Richtung der Burg und meinte: „Steht nur noch eine offen.“
    Daryk hörte Daphnes Stimme hinter sich fragen: „Darf man sich zu euch gesellen, oder belästige ich die Herren mit meiner Anwesenheit?“
    „Niemals, Prinzessin!“
    , verneinte Arthur sofort und wollte sich erheben.
    „Bleib sitzen, Arthur!“, verlangte Daphne, „Wir sind hier nicht auf einem Bankett.“
    Daryk drehte sich zu ihr herum und stellte fest, dass das bodenlange rote Kleid, dass sie trug im Schein des Feuers wunderschöne Schattenspiele zeigte.
    Sie lächelte als sie um den Baumstamm herum zu Thorvid ging, welcher sich inzwischen ebenfalls auf den Baumstamm gesetzt hatte. Sie legte den Kopf schief, zupfte an ihrem Kleid und meinte: „Thorvid? Der Stoff bleibt im Holz hängen.“
    Wortlos legte Thorvid seine Laute beiseite und zog die Beine an, sodass Daphne auf seinem Schoß Platz nehmen konnte.
    „Habe ich euch bei irgendetwas unterbrochen?“, fragte sie fröhlich in die Runde, während Thorvid versuchte ihre Haare zu bändigen und aus seinem Gesicht fernzuhalten.
    Grinsend begann Yorick zu erzählen: „Ja, wir haben gerade über - “
    „Nein, hast du nicht.“
    , unterbrach Daryk die Ausführungen des Prinzen. Er wollte nicht weiter über Hochzeiten sprechen und er wusste, dass dies auch nicht Daphnes Lieblingsthema war.
    „Worüber gesprochen?“, hakte sie jedoch nach und legte erneut den Kopf schief, was eine schwarze Haarsträhne in Thorvids Gesicht tanzen ließ.
    Arthur musterte seine Halbschwester und merkte an: „Darüber, dass es wirklich langsam Kühl wird, Hoheit!“ Offensichtlich spielte er auf ihr Kleid an, welches einen tiefen Rückenausschnitt hatte und für die Verhältnisse der Nordmänner sehr viel offenbarte.
    „So kalt ist es auch nicht“, widersprach Daphne und drehte sich zu Thorvid um, „und was bei allen Pferden machst du da hinter mir?“
    Thorvid zog sich eine Haarsträhne aus dem Mund und krächzte: „Ersticken, Hoheit.“
    Yorick und Arthur brachen in schallendes Gelächter aus und auch Daryk konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    Erneut legte die Schurkenprinzessin ihren Kopf schief und meinte gespielt beleidigt: „Wenn das so ist.“
    Grinsend erhob sie sich vom Schoß des wortkargen Mannes und ging um das Feuer herum.
    Daryk erwartete, dass sie zu Yorick oder Arthur gehen würde, aber sie blieb vor ihm stehen, wandte ihren Brüdern den Rücken zu und lächelte ihn mit hinter dem Rücken verschränkten Armen an. Da Daryk im Sitzen etwas kleiner war als die stehende Daphne, sah er zu ihr hinauf und bevor er verstanden hatte was sie vorhatte, saß sie auch schon auf seinem Schoß.
    Er spürte die Blicke der drei Brüder auf ihm ruhen, als das Lachen schlagartig verstummte.
    Eigentlich hatte er einen Widerspruch der drei erwartet, welcher aber ausblieb. Stumm tranken die drei weiter und Daphne fragte, ob sie auch etwas zu trinken bekäme.
    „Sofort, Prinzessin“, meinte Arthur und wollte sich erheben um ihr etwas zu holen.
    „Warte!“, forderte Daphne, „Wir teilen!“ Sie schaute über ihre Schulter zu Daryk, welcher sich kurz im Anblick ihres Rückens verloren hatte und einen Moment brauchte, um zu begreifen, was sie wollte.
    „Ehm.. Klar“, stimmte er zu und hielt ihr die rechte Hand mit dem Krug hin.
    Lächelnd nahm sie diesen und führte ihn an ihren Mund. Ein paar Schlucke später stellte sie das Getränk auf ihrem Schoß ab und wandte sich wieder ihren Brüdern zu. Daryk konnte dem Gespräch nicht folgen, da er zu sehr damit beschäftigt war, herauszufinden, was er mit seiner linken Hand anfangen sollte. Plötzlich nahm Daphne diese und presste ihre eigene rechte Hand mit gestreckten Fingern dagegen.
    „Ihr habt recht“, meinte sie zu ihren Brüdern, „die sind groß genug um die Herren im Ballsaal einhändig zu verhauen!“
    Lachend stimmte Yorick ihr zu: „Sag ich doch! Hier ist der sicherste Platz für dich. Zwischen Ogerschlächter und Brüdern.“
    „Ich weiß ja nicht, ob ich das gut finde“
    , überlegte Daphne lachend und legte nun auch Daryks zweite Hand in ihren Schoß. „Langsam wird es tatsächlich kühl“, flüsterte sie und lehnte sich an Daryks Brust an. Daryk wusste nicht was er darauf sagen sollte, also schwieg er, wie so oft. Ihm war warm.
    Seine Kopfschmerzen waren auch besser geworden, wobei er nicht sagen konnte, warum.
    Mit einem schnellen Blick zu den Brüdern überprüfte er deren Reaktion. Sie tauschten schulterzuckend Blicke aus und machten keine Anstalten irgendetwas zu unternehmen. Yorick betrachtete das Geschahen zwar, schien aber nicht weiter interessiert, wohingegen Arthur sich lieber seinem Krug widmete und diesen leerte. Thorvid zog sich seine Kapuze tiefer ins Gesicht und nahm seine Laute wieder zur Hand. Trotzdem fragte sich Daryk, ob er bald mit einem der Brüder neben seinem Bett sitzend erwachen würde.
    „Schlechte Nachrichten!“, verkündete Arthur, „das Fass ist leer!“
    „Dann holen wir eben ein neues“
    , beschloss Yorick und erhob sich von seinem Baumstamm.
    Arthur tat es ihm gleich und folgte ihm in Richtung Burg.
    „Thorvid!“, rief Yorick, „beweg dich!“
    Der Gerufene legte sein Instrument beiseite, erhob sich langsam und schlurfte gemächlich zu seinen Geschwistern.
    „Wollt Ihr sie hier ganz alleine lassen?“, fragte Arthur.
    „Sie ist nicht alleine“, erwiderte Yorick, „und wenn sich ein Mann traut sich dem Ogerschlächter zu nähern und es schafft, sie ihm abzunehmen, hat er es verdient.“
    Daphne setzte sich wieder auf und räusperte sich mit geneigtem Kopf. Yorick ging grinsend seines Weges, wobei Daphnes Halbbrüder ihm stumm folgten.
    „Es tut mir so leid!“, entschuldigte sich Daphne und lehnte sich wieder an Daryk an, „früher waren sie noch viel schlimmer…“
    „Alles gut“
    , meinte Daryk nur und lächelte.
    Daphne schien zufrieden mit seiner Antwort, streichelte leicht seine Hand und lehnte nun auch ihren Kopf an seine Schulter. Mit geschlossenen Augen saß er da und genoss diesen Moment. Zum ersten Mal seit vielen Jahren spürte Daryk Hoffnung in sich aufsteigen. Hoffnung, dass auch sein Leben noch zu einem guten Ende finden könnte. Ein Gefühl, das er nicht erwartet hatte, noch einmal zu spüren.
    Dennoch fragte er sich, wie sich etwas gleichzeitig so richtig und so falsch anfühlen konnte. Er fühlte sich wohl in diesem Moment. Sehr wohl. Aber Daphne hatte ihm erzählt, dass Khyla und Lyenne ihn begleiteten und beobachteten und er war sich nicht sicher, ob er wollte dass seine Familie ihn mit einer anderen Frau sah.
    Daryk konnte nicht sagen, wieviel Zeit vergangen war als Daphne plötzlich unvermittelt fragte: „Hattest du nie Angst zu sterben?“
    Er öffnete die Augen und schüttelte den Kopf: „Nein.“
    Sie drehte ihren Kopf nach oben und sah ihn an. „Beim Oger hatte ich schreckliche Angst!“, gab sie zu, „Er war viel stärker als ich und widersetzte sich allem, selbst der Magie! Ich konnte meine Knochen nicht so schnell heilen, wie er sie mir brach.“
    Unwillkürlich schossen Daryk Bilder in den Kopf. Bilder von Menschen die vom Oger angegriffen worden waren und nicht in der Lage waren sich selbst zu heilen oder Magie zur Verteidigung einzusetzen. Bilder von Daphne, wie sie ebenso aus dem Leben gerissen wurde. Ein kurzes Kopfschütteln vertrieb den Gedanken und er antwortete: „Gut, dass du sie überhaupt heilen kannst…“
    Ein unsicheres Lachen verriet, dass Daphne sich darüber wohl auch Gedanken gemacht hatte: „Ja, ich wäre vermutlich erneut nicht mehr hier, wenn ich es nicht könnte ... Oder wenn du nicht gewesen wärst.“ Wieder lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und flüsterte: „Danke.“
    Leicht zog er sie zu sich: „Gern.“
    Daphne drehte ihren Kopf und sah zu ihm auf. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie die Platzwunde auf seiner Stirn. „Soll ich sie heilen?“, fragte sie lächelnd.
    Ebenfalls lächelnd sah er herunter in ihre Augen und schüttelte er den Kopf: „Das heilt von alleine, spar deine Kraft.“
    Ihr Blick wanderte von seiner Stirn zu seinen Augen. Kurz schwieg sie, bevor sie ein unsicheres „wenn du meinst…“ äußerte.
    Einige Sekunden sahen sie sich einfach nur in die Augen, bevor Daphne ihr Gesicht unmerklich näher an seines brachte. Ein Gedanke zuckte durch seinen Geist. „Küss sie!“, schrie sein Gefühl ihn förmlich an und er tat es ihr gleich.
    Kurz bevor sich ihre Lippen trafen zuckte sie merklich zusammen, als eine wohlbekannte und momentan komplett unerwünschte Stimme beide aus der Zweisamkeit riss: „Daryk, wir müssen reden.“
    „Müssen wir nicht“
    , widersprach Daryk grimmig, hob den Kopf und hoffte, der Herzog würde einfach gehen.
    Aber Aras blieb hartnäckig: „Es ist wichtig!“
    Daryk verdrehte die Augen. „Dann sprich“, knurrte er in Richtung des Störenfrieds.
    „Nicht hier“, entgegnete Aras, „komm bitte mit, es ist wirklich wichtig.“
    Daryk atmete tief durch, löste seinen Griff um Daphne, hob sie sanft von seinem Schoß und stellte sie vor sich auf den Boden.
    „Wenn es nicht wirklich wichtig ist, bring ich ihn um!“, grummelte er leise in seinen Bart.
    Widerwillig erhob er sich vom Baumstamm und hatte sofort das Gefühl, Habger hätte ihm seinen Schmiedehammer gegen den Schädel geschlagen. Stärker als jemals zuvor kamen seine Kopfschmerzen und der Schwindel zurück. Er sah Daphne noch einmal an und drehte sich dann um, um zu Aras zu gehen. Das Atmen fiel ihm von Sekunde zu Sekunde schwerer und er fing an zu zittern. Schwankend tat er einen Schritt, bevor er auf die Knie fiel. Die Umrisse des Herzogs verschwammen vor seinen Augen und kurz schaffte er es, sich mit den Armen auf dem Boden abzustützen, bevor auch diese sein Gewicht nicht mehr tragen wollten. Mit dem Gesicht voraus fiel er auf den Boden, wo er schwer atmend liegenblieb.
    „Daryk!“, hörte er Daphne noch rufen, bevor sein Bewusstsein einmal mehr in Dunkelheit versank.

    • Offizieller Beitrag

    Da war es wieder. Dieses Klingeln in den Ohren, wenn man mit anderen Sachen beschäftigt war. Der Ursprung des Tinnitus hatte für die Prinzessin ganz klar einen Namen. Aras. Vielleicht sollte der Herzog erlernen, bestimmte Situationen erst zu begutachten und sich dann dazu entscheiden, wahllos Namen herumzubrüllen. Dabei ereilten sie Gedanken daran, was wohl geschehen wäre, wenn der Herzog sie nicht unterbrochen hätte. Ein Kuss etwa? Aber der Schaden war angerichtet und der Moment verflogen, im Gegensatz zu der Hitze in ihrem Gesicht, was der Heilerin ein Seufzen entlockte. Als Daryk aufstand und sie vorsichtig von seinem Schoß hob, um auf Zacharas zugehen zu können, kam Daphne nicht umhin zu bemerken, dass er seltsam schwankte. Und kaum hatte sie es bemerkt, kippte der Hüne schon vornüber. Der Herzog bewegte sich genauso schnell auf den Bewusstlosen zu, wie sie aufschreckte und sich zu ihm begab.
    „Daryk!“, entglitt es ihr dabei und sie kniete sich zu ihm hinunter.
    „Und ich fragte mich schon, wann das passieren würde“, nuschelte Zacharas und Daphne schaute ihn erschrocken an. Keine Zeit übermäßige Fragen zu stellen, schrie die Heilerin nach ihren Brüdern. Diese sahen das Szenario aus der Ferne, ließen das Fass fallen und rannten auf die drei zu.
    „Kaum lässt man euch aus den Augen ...“, frotzelte Yorick zunächst. „Da hat wohl jemand zu viel getrunken.“
    „Nein!“, dementierte Daphne sofort und fühlte Daryks Stirn. „Er hat Fieber! Von Wein bekommt man kein Fieber und ich kann ihn nicht heilen. Warum kann ich ihn nicht heilen?“
    „Das sind die Nachwirkungen des Fluches“, mischte sich Aras ein.
    „Was denn für ein Fluch?“, fiepste Daphne mit hoher Stimme.
    „Den ich über ihn ausgesprochen habe. Der, der seine Kampfkraft steigerte.“
    „Das war ein Fluch?“, wurde die junge Frau lauter und konnte es nicht fassen, was sich die Männer da ausgedacht hatten.
    „Ich wollte es ihm gerade nochmal sagen, dass es mich wundert, dass es ihm so gut geht.“
    „Gut geht?“, schrie Daphne nun. „Sieht das für dich nach einem guten Zustand aus? Warum leiden wegen deiner Ideen eigentlich immer andere? Kannst du mir das mal verraten?“
    Sauer, aber zu beschäftigt, sich jetzt um den Herzog zu kümmern, wies sie ihre Brüder an, Daryk hochzuheben. Damit sie die Feierlichkeiten nicht unterbrachen, lotste Aras sie durch einen Seitenausgang und führte sie schnellstmöglich in den Gästetrakt der Burg. Allem voran, öffnete Aras eine Tür zu einem Zimmer, wo die drei Männer den Hünen etwas unsanft auf ein Bett niederließen.
    „Bringt mir kaltes Wasser in einer Schüssel und ausreichend Tücher!“, befahl die Heilerin umgehend, die wegen dem Fieber besorgt war, aber kaum hatte sie die Knöpfe an seinem Hemd gelöst, um ihm mehr Raum zum Atmen zu geben, erkannte sie schlimmeres als das. Daryks Oberkörper wies Quetschungen auf und glich einem einzigen blauen Fleck. Verletzungen, die von dem Kampf gegen dem Oger stammen mussten. Hinzu kamen kleine Schnittverletzungen, eine seltsame Brandwunde am Arm und … Sie faltete ihre Hände über den Kopf zusammen. Er hatte keinen Ton zu ihr gesagt, dass es ihm so schlecht ging, verweigerte sogar eine Heilung, da sie nicht jeden Kratzer von ihm behandeln sollte. Das waren keine Kratzer und durch den Fluch konnte sie nicht einmal sagen, ob er innere Verletzungen hatte. Ein verzweifelter und wütender Schrei folgte von ihr, der selbst die Brüder auf Abstand gehen ließ, dabei fing sie an zu zittern. Thorvid schien ihrer Bitte nach dem kalten Wasser nachkommen zu wollen und verließ lieber den Raum. Sie spürte, wie ihre Augen sich veränderten und fuhr zu den restlichen Männern herum.
    „Verschwindet!“, zischte sie. „Wer nicht helfen kann, geht!“ Dabei schaute sie auch Aras an. Sie bat Yorick lediglich Verbände zu bringen, damit sie die vermeintlichen Rippenbrüche fixieren konnte. Sie versuchte sich zwanghaft an das zu erinnern, was sie gelernt hatte, aber nach all der Zeit, ohne Studien über die Heilkunst, hatte sie einiges vergessen, wofür sie sich selbst am liebsten geohrfeigt hätte. Dass die Wunden sich nicht magisch behandeln ließen, war nicht mal das Schlimmste für sie. Es war immer wieder die Tatsache, dass sie anderen beim Leiden zusehen musste. Etwas, wovor der Arzt sie schon zu Anfang gewarnt hatte. Nicht alle Kranken waren namenlose Gesichter, über die sie sich weniger Gedanken machen würde. Sie hatte ihre Studien vernachlässigt, nachdem sie von den Toten zurück gewesen war, ebenso wegen der magischen Kraft dies zu tun. Sie konnte ja nicht ahnen, dass Zauber ihre Magie blockieren konnten. Und alles nur wegen des Fluchs. Sie wollte wütend auf Aras sein, konnte es aber nicht, denn die Schlacht hatte überall seine Opfer gefordert und sie verstand, dass Daryks gesamtes Potenzial zu nutzen, irgendwie dazugehört hatte. Aber nun saß sie vor den Trümmern, die sie wieder zusammenfügen musste. Sie musste einfach.
    Ich könnte Euch beim Verband anlegen helfen!“, wandte sich Arthur gewohnt höfisch an seine Halbschwester und diese nickte. Yorick verließ mit Aras zusammen den Raum, um ihr das zu bringen, was sie verlangt hatte. Wie in Trance zog sie sich das Wissen aus den Fingern, was sich irgendwann mal angeeignet hatte. Es war mehr ein Reagieren, als ein fachmännisches Vorgehen. Aber was sollte sie da schon falsch machen? Viel kaputtgehen konnte nicht mehr.


    Als der Verband angelegt war, begutachtete sie den Rest der Verletzungen. Die Brandwunde, die an seinem Arm prangte, hatte sich rot verfärbt und wies auf eine Entzündung hin. Vielleicht rührte daher das Fieber. Aras stand irgendwann wieder in der Tür, als Daphne den Hünen soweit versorgt hatte, dass sie über die nächsten Schritte erst einmal nachdenken musste.
    „Das hätte nicht passieren dürfen!“, meinte er kleinlaut und die Heilerin konnte nichts weiter tun, als ihm kalt beizupflichten.
    „Der Fluch tut so etwas normalerweise nicht!“, fügte der Herzog hinzu und erklärte Daphne die Symptome, die sich danach normalerweise zeigten, nur vergaß er an der Stelle, wie verletzt Daryk war. Er hatte sich einem Oger gestellt, war durch Wände geflogen und ein Haus war über ihm zusammengebrochen. Selbst der Körper eines noch so großen und starken Menschen hatte seine Grenzen. Vor allem bei einem Mann wie ihm, die Zweifel oder Ängste zu verstärken, war mehr als leichtsinnig gewesen, wusste die Heilerin doch um die Vorwürfe und Albträume, die ihn plagten.
    „Tu´ das nie wieder!“, forderte sie von Aras, der sie weiterhin ansah. Daphne verließ das Zimmer, stieß den Herzog absichtlich an und lief in die Bibliothek. Zacharas folgte ihr natürlich, immerhin hatte er sich geschworen, sich ändern zu wollen und wollte das alles so nicht auf sich sitzen lassen – das vermutete Daphne zumindest.
    „Willst du mir noch mehr weise Ratschläge geben?“, schimpfte sie, während sie in dem riesigen Raum ankam und zu den Kräuterbüchern lief. Sie riss eines nach dem anderen aus dem Regal und blätterte wahllos darin herum. Wenn sie nicht das richtige fand, dann warf sie es einfach wütend hinter sich.
    „Wie ich bereits sagte, das hätte nicht passieren sollen und konnte auch niemand vorhersehen. Ich sagte ihm, dass es auch Zweifel verstärken könne. Er wusste teils, was er da tat.“
    „Teils – da haben wir es.“
    „Ich habe nur vergessen, ihm direkt alles über den Entzug zu erklären, aber wir hatten auch kaum Zeit zum Nachdenken. Es wird ihn sicherlich nicht umbringen.“
    „Genau, Aras!“, maulte sie ihn lautstark an und warf ein Buch mit aller Kraft in eine Ecke, wobei sie zuerst versucht war, es dem Herzog ins Gesicht zu schleudern. „Es wird ihn nicht umbringen, aber leiden darf er! Es ist doch erstaunlich, wie viel Mann überleben kann, nicht wahr?!“
    Plötzlich hatte sie ein Buch über Salben in der Hand und atmete erleichtert aus.
    „Wir waren im Krieg. Er als Ritter mit der Kraft … so konnte er viel mehr ausrichten.“
    Daphne wusste, dass Aras nicht ganz unrecht hatte, aber das half ihr in diesen Stunden auch nicht weiter. Die Wut, die sie verspürte, gab ihr die Kraft weiterzumachen, die sie brauchte. Irgendwo hoffte sie, dass Aras das verstehen würde. Also weiterhin sauer, setzte sie sich wieder in Bewegung und blieb neben ihm stehen.
    „Er als Ritter … Dann frag ich mich, warum nicht auch Kuen mit diesem Fluch belegt wurde … Sie als Soldatin.“
    Aras schwieg.
    „Genau“, flüsterte Daphne erbost. „Weil Daryk kein Mensch ist, der dich sonderlich interessiert.“
    Sie lief weiter und versuchte zu retten, was zu retten war. Der erste Tag war dabei der schwerste. Daryks Fieber wollte nicht sinken und Daphne musste den Arm aufschneiden, um die Entzündung zu öffnen. Sie wusste ja, oder ahnte, dass sie ihn irgendwann wieder heilen konnte, aber in der Zwischenzeit, wo es nicht so war, musste sie ihn am Leben erhalten. Das hieß, all das entzündete Fleisch zu entfernen, damit es ihn nicht weiter vergiften konnte. Das er davon nichts mitbekam, glaubte sie nicht. Immer wieder zuckte der Hüne und öffnete kurz seine Augen, murmelte etwas auf einer anderen Sprache, wenn auch kaum hörbar oder verständlich. Daphne versicherte ihm, dass alles halb so schlimm sein würde, wenn er sich nur zusammenriss. Er hatte eine immense Schlacht überlebt, gegen einen Oger bestanden, sodass ihn die Brandwunde und gebrochenen Knochen nicht umbringen durften. Blutverschmiert rieb sich Daphne die Stirn und ließ ihre eigene Erschöpfung nicht zu. Theical brachte ihr ab und an etwas zu essen vorbei, als er das mit Daryk mitbekam und fragte häufig nach seinem Befinden, wenn er nicht gerade beim Aufbau der Stadt half. Auch er sah niedergeschlagen aus, wollte angesichts ihrer Bemühungen nicht darüber sprechen.
    „Bei einem Met vielleicht, wenn es dem anderen besser geht!“, vertröstete der Taschendieb seine Freundin und lächelte müde. Thyra und Jaris gaben sich auch die Klinke in die Hand, wobei Daphne sie aufforderte ihre Zeit zu genießen. Sie hatten gerade geheiratet, waren vereint und sollten nicht ihre Zeit mit negativen Dingen belasten. Für die Jägerin kam das gar nicht infrage und stand nicht zur Debatte. Wenn sie Hilfe brauchte, sollte sie einfach Bescheid geben, immerhin ging es um einen Freund „den Fettsack“, wie sie ihn trotz seines schlechten Zustandes nannte, damit ihre Freundin lächelte. Aras hielt Abstand, aber legte Daphne allerhand Bücher vor die Tür, so wie sie einst ihm den Tee.
    Alle versuchten zu helfen, sie war tatsächlich nicht allein und sollte die Hilfe auch annehmen. Vorerst konnte sie ohnehin nur abwarten. Ihre Brüder waren schon den ganzen Tag damit beschäftigt, ihr die ganzen Menschen vom Leib zu halten, die wegen eines verstauchten Knöchels Heilung verlangten. Der Preis für die Offenbarung ihrer Kräfte. Daphne wusste nicht, ob es an ihrer Müdigkeit lag, dass sie plötzlich eine Art Euphorie verspürte. Sie nahm einen Keks von einem Teller, den Theical ihr dagelassen hatte und verließ Daryks Zimmer mit einem Buch in der anderen Hand. Dort waren so viele Pflanzen aufgeführt, dass sie für das Heraussuchen Aras fast Danken musste – vielleicht irgendwann einmal. Einige waren schwer zu finden oder zu bekommen, aber ein paar wuchsen in der Gegend, manche waren auch im Sinn und Zweck verfehlt. Wie Knoblauch gegen Vampire, da musste sie die anderen fragen, ob dies geholfen hätte. Draugr oder allerhand zombieartiger Wesen und Untoter, von denen sie noch nie etwas gehört hatte. So schlecht ging es Daryk immerhin noch nicht. Es entlockte ihr kurz ein Seufzen, bis sie die richtige Seite fand.
    Sie hatte sich entschieden Heilerin zu werden, weil zu helfen ihr im Blut lag und als sie diesen Entschluss gefasst hatte, konnte sie noch nicht magisch heilen. Also warum nun darum ein Drama machen? Sie eilte die Treppen hinunter und umging die Meute, die zu ihr wollte, indem sie in der Burgküche, die am Seitenausgang lag, eine Schürze und ein Kopftuch mitnahm. Dabei fiel ihr auf, dass sie immer noch das rote Kleid trug. Nicht einmal umgezogen hatte sie sich, also wirbelte sie herum und holte dies nach. Sie würde dem Fluch schon zeigen, wer das letzte Wort hatte. Kurz darauf verließ Daphne die Burg und machte sich auf in den Wald. Allmählich fiel das Laub von den Bäumen und verfärbte sich in alle möglichen Farben. Der Spätsommer schien fast beendet. Wieder verging ein Jahr, aber jenes endete anders, als die anderen davor. Sie besaß Freunde, war nicht mehr allein unterwegs und hatte in den vergangen Monaten mehr erlebt, als in all der vorangegangenen Zeit. Sie hatte viel über andere gelernt und auch über sich selbst. Erkannte allmählich, was in ihr vorging, auch wenn sie scheute es in ihren Gedanken laut auszusprechen, als könnte es jemand anderes hören. Sie traute es sich nicht einmal selbst zu verraten, aber dabei musste sie ihr Herz in diesem Moment schon zur Ruhe mahnen. Stirnrunzelnd lief sie weiter, als sie an einem kleinen Fleck mit Kamille niederkniete. Als sie es einsammelte, rutschte der Armreif zu ihrem Handgelenk und gekünstelt begann sie zu jammern. Ihren Kopf lehnten sie dabei an die Rinde eines Baumes und schlug zweimal sacht dagegen.
    „Da hast du dir was eingebrockt“, sprach sie zu sich selbst. „Warum auch einfach, wenn man die Königin der Komplikationen ist!? Das werden wir uns mal dezent aus dem Kopf schlagen.“
    „Er ließ dich auf seinem Schoß sitzen!“, erklang ihre eigene Stimme im Hinterkopf.
    „Ich saß auch bei Thorvid!", antwortete sie dieser laut.
    „Er hat dich merklich an sich rangezogen!"
    „Hochzeiten, Schlachten, die sorgen schon mal für kurzzeitige Sentimentalitäten. Das hat nichts zu bedeuten!“
    „Für uns schon!"
    „Sei endlich still!“
    „Du weißt, dass du mit dir selbst redest?“
    „Ja! Und das alles dürfen wir nie jemanden erzählen. Niemals! Immerhin gab es keinen Kuss! Das ist vielleicht nur eine Phase, weil sich eh jeder auf uns stürzt. Die Witze, die Anspielungen. Das ist verwirrend. Und außerdem … seine Vergangenheit. Es war vielleicht ein Moment der Schwäche, der Blendung falscher Tatsachen oder Erinnerungen. Er war verheiratet und ich ähnle seiner Frau. Vielleicht wollte er kurz ausblenden, dass sie für immer fort ist.“
    Die andere Stimme von ihr schwieg. Ja, das war vermutlich die Erklärung für das am Lagerfeuer. Verrannt in den Leben anderer, wovor sie Rhenus noch gewarnt hatte. Sie musste in der Tat egoistischer werden. So ein Ausrutscher durfte ihr nicht noch einmal passieren, auch wenn es der erste dieser Art war. Vor allem, wenn nicht sie diejenige sein wollte, die den Schaden erlitt.
    „Schluss damit!“, mahnte sie sich deshalb selbst und fuhr über ihr Gesicht. „Fangen wir einfach nochmal von vorne an und diesmal ohne Einflüsse anderer! Es hat ja niemand mitbekommen.“


    Beschlossen war beschlossen und wollte umgesetzt werden. Sie versuchte keinen Gedanken daran zu verschwenden, was hätte passieren können – was hätte sein können, denn es war nicht!
    Sie konzentrierte sich auf die Heilung und Rettung des Hünen, dessen Fieber nicht sinken wollte. Gerne hätte sie sich mit Thyra und den anderen über den Rest der Hochzeit ausgetauscht, mit weglassen einiger Details, die sie selbst betrafen, aber sie wusste ja, dass ihr dies nicht fortlief, auch wenn sie ein schlechtes Gewissen plagte. Sie hatte keinen Schimmer, welche Auswirkungen der Fluch hatte und wie viel sich davon in seinem Zustand widerspiegelten. Es schien eine aneinander gereihte Folge allem zu sein, was es für Daphne unlängst schwerer machte, darauf zu reagieren. Also gab es nur eine Möglichkeit – nicht aufgeben. Die Stunden rasten an ihr vorbei und irgendwann wurde es für sie unmöglich zu sagen, wie viel Zeit vergangen war oder um welche Tageszeit es sich wirklich handelte. Sie verhielt sich schon fast, wie eines der untoten Wesen, von denen sie nebenbei gelesen hatte, wenn es einmal keinen Verband zu wechseln oder kalten Wickel zu erneuern gab. So manches Mal wollte ihr die Augen zufallen, aber sie riss sie unentwegt auf. Tag und Nacht bemerkte sie nur, da Diener vorbei kamen, die den Kamin entfachten oder Kerzen daließen. Irgendwann waren die meisten Bücher über Kräuter gelesen und Daphne nahm andere zur Hand, aus denen sie wahllos begann vorzulesen. Manchmal lustige Geschichten, manchmal traurige Sonetten. Es kam mitunter vor, dass Daryk irgendetwas murmelte, aber egal wie nah sie den kleinen Sessel an das Bett heranschob, sie verstand kaum etwas. Irgendwann, es musste die zweite Nacht zum dritten Tag gewesen sein, stellte sich die erste Besserung ein und Daphne konnte etwas durchatmen. Das Fieber sank und die Salben zeigten Wirkung. Müde zog sie ihre Beine an und las, nur zur Sicherheit, noch ein paar Zeilen in einem Buch, bevor sie sich eigentlich selbst einmal zur Ruhe betten wollte. Aber sie hatte die Rechnung ohne die Erschöpfung gemacht, die dafür sorgte, dass binnen weniger Zeilen, ihre Augen zufielen.

    • Offizieller Beitrag

    Eine einsame Träne rollte Daryks Wange hinunter als er, umgeben von Dunkelheit, neben dem kleinen Körper seiner Tochter kniete. Vorsichtig, als könnte er noch etwas beschädigen, nahm er sie in den Arm und strich ihr eine Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht. Langsam tropfte das Blut aus der Schnittwunde an Lyennes Hals, als ihr leerer Blick, an ihrem Vater vorbei, in die schwärze hinter ihm starrte. Plötzlich atmete sie röchelnd ein und ihre toten Augen fixierten Daryk, bevor sie ihre Hand hob und auf ihn zeigte. „Du hast uns nicht beschützt“, krächzte sie ihn anklagend an.
    Mit steifen Bewegungen kletterte sie aus seinen Armen uns stellte sich mit schiefem Kopf vor ihren Vater. Das rote Rinnsal aus ihrem Hals wollte einfach nicht enden. „Ich konnte es nicht!“, verteidigte sich Daryk mit gebrochener Stimme, wusste aber dass sie recht hatte.
    „Es ist deine Schuld, dass wir tot sind!“, kreischte sie wütend, „du hast es nicht verhindert und jetzt ersetzt du uns mit einer anderen? Du willst deine Familie ersetzen! Durch eine Prinzessin, der Tochter eines Herzogs! Reicht dir die Tochter eines Barons nicht mehr?“
    Das schreiende Kind sandte mit jedem Wort Blutspritzer in Daryks Richtung. Sie kam näher, legte ihre Hand auf seine Brust und flüsterte: „Du bist ein Monster Vater. Dein ganzes Leben lang sind alle um dich herum gestorben, warum also sollte es bei ihr anders sein?“
    Darauf hatte Daryk keine Antwort. Mit starrem Blick fixierte er das Mädchen, dessen Kleid inzwischen von ihrem eigenen Blut getränkt war.
    Sie zog ihre Hand zurück und hinterließ einen kleinen blutigen Handabdruck auf seiner Brust. „Sie ist schon einmal gestorben, nur Tage nachdem sie dich kennen gelernt hat!“, fuhr das Blutverschmierte Kind mit schriller Stimme fort, „Warum wurde ihr Körper verbrannt und unsere müssen als Draugr in der Höhle der Verräter wandeln? Warum darf sie dennoch leben und wir mussten sterben? Warum rettest du sie und uns nicht? Ihre Seele gehört Xhar, sie hat nichts im Reich der Lebenden verloren!“
    Verzweifelt suchte Daryk nach Worten, um sich zu erklären, aber es gelang ihm nicht. Er hatte dem nichts zu entgegenzusetzen.
    Seine Tochter jedoch, war noch nicht fertig mit ihm. Immer mehr Blut lief aus ihrem Mund und immer mehr erinnerte ihr Sprechen an das Geräusch eines Ertrinkenden. „Du verdienst sie nicht Vater! Du bist ein Monster! Du verdienst den Schmerz und die Trauer!“
    Daryk vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Es tut mir leid…“ keuchte er mit tränenerstickter Stimme.
    „Tut es das?“, fragte Lyenne gurgelnd und Daryk sah sie wieder an, „Tut es dir Leid, dass Daphne lebt? Tut es dir leid, dass du mehr für sie fühlst als nur Freundschaft?“
    Schweigend senkte Daryk seinen Blick und schüttelte sacht den Kopf.
    „Du gehörst zu uns, nicht zu ihr! Komm zu uns Vater, dann wird alles wieder gut“, flüsterte das Mädchen in sein Ohr.
    Erschrocken schaute er sie an, als er erkannte, was sie ihm sagen wollte.
    Lyenne fiel auf die Knie und wiederholte sie mit zitternder Stimme: „Komm zu uns, Vater!“ Dann kippte sie auf die Seite, verdrehte die Augen und hauchte ein letztes „Wir… brauchen dich hier…bei uns…“, bevor ihr zarter Leib die Spannung verlor und wieder leblos wie zu Anfang dalag.
    Erneut nahm er seine Tochter hoch und streichelte ihr Gesicht. Unter seiner Berührung fing der kleine Körper an zu Staub zu zerfallen und das letzte bisschen, das ihm von seiner Tochter geblieben war, rieselte ihm durch die großen Hände. All diese Kraft, die in ihm steckte und dennoch war er zu schwach gewesen, seine Familie zu retten.
    Noch bevor Daryk irgendetwas denken konnte hörte er hinter sich die Stimme seines alten Freundes: „Da ist ja der Königsmörder, für den ich mein Leben gelassen habe!“
    Daryk fuhr herum und blickte in das Blutverschmierte Antlitz von Alistair. Die Spitze des Pfeils, der ihn damals getötet hatte, durchbrach sein von blonden Haaren umrahmtes Gesicht knapp unter dem rechten Auge, welches seltsam aus seiner Höhle ragte.
    „Ich bin kein…“, fing Daryk an, sich zu verteidigen, wurde aber von Alistair unterbrochen:
    „Die Zeichen in deinem Gesicht sagen etwas anderes!“
    Verblüfft fasste der Beschuldigte in sein Gesicht und spürte, wie die altbekannten Narben seine Haut wieder überwucherten. Auch seine Hände und Arme schienen zu leben, als sich die Brandverletzungen über sie ausbreiteten und ihm sein „verdientes“ Äußeres zurückgaben. Kurz sah er die Rose auf seinem Handrücken aufblitzen, bevor sie von den Zeichen seines Verrats verschlungen wurde.
    „Nein!“, flüsterte er ungläubig und starrte seine Hände an.
    Mit hängender Schulter und schiefem Kopf stand Alistair vor ihm und nickte.
    „Oh doch mein Freund!“, grinste er, „komm, wir haben noch viel vor uns!“
    Daryk sah sich in der Dunkelheit um. „Wohin?“, fragte er, „hier ist nichts?!“
    Das schiefe Lächeln unter dem Pfeil und das eine braune Auge, das Daryk fixierte, lies Alistair unheimlich aussehen. „Hier ist alles was wir brauchen!“, meinte er und wies auf eine Tür, die plötzlich in der Dunkelheit erschien.
    Der Königsmörder schluckte. „Was werde ich dahinter finden?“, wollte er wissen.
    Alistair zuckte die Schultern und erwiderte trocken: „Eine düstere Wahrheit.“
    Nach einem tiefen Atemzug trag Daryk zu der Tür, öffnete sie mit einem Ruck und trat hindurch.
    Sofort fand er sich in den Gängen des Schlosses von Felodun wieder. Noch einmal sah er Amela und die Soldaten Heinrichs vor sich.
    Daphne stand an derselben Stelle, an der sie das letzte Mal auch gestanden hatte.
    Mich würde ja brennend interessieren, woher Ihr das wisst!”, maulte sie Aras an.
    Amela setzte ein widerliches Grinsen auf und klärte sie auf: „Woher wohl? Er weiß es von mir!“
    Angeekelt wandte sich Daphne schimpfend ab und Daryk hörte sich selbst „Jetzt!“ brüllen.
    Jaris‘ Blitz erhellte die Umgebung als der Hüne sich wie fremdgesteuert gegen die Tür warf und diese durchbrach. Als würde die Zeit langsamer ablaufen sah er, wie die Soldaten ihre Pfeile losließen und in Richtung der Gruppe feuerten, die durch die Türe strömten. Quälend langsam sah Daryk, wie seine Hand sich Daphnes Arm näherte und ihn umschloss, um sie aus der Schussbahn zu ziehen. Als wollte der Pfeil auf sich aufmerksam machen, blinkte seine Spitze im Licht und bahnte sich unaufhaltsam seinen Weg durch die Luft. Bald wurde Daryk bewusst, dass er sein Ziel verfehlen würde, aber er zog weiter an Daphnes Arm. Langsam aber sicher zerrte er sie in die Flugbahn des Pfeils, welcher immer näher in Richtung Daphne flog. Mit all seiner Kraft versuchte der Hüne sich selbst davon abzuhalten, die Heilerin in ihr verderben zu ziehen, aber immer weiter schleifte er sie ins Verderben. Als der Pfeil endlich sein Ziel fand, sackte Daphne in sich zusammen und blieb reglos liegen. Die allumfassende Dunkelheit umhülle Daryk wieder und alles was blieb war das Gewissen, Daphne in den Tod gerissen zu haben.

    Schockiert starrte er die Stelle an, an der gerade noch Daphne gelegen hatte und konnte nicht fassen, dass er es gewesen sein sollte, der ihren Tod zu verantworten hatte.
    „Dieses eine Mal ist es gutgegangen“, riss Alistair ihn aus den Gedanken, „weil sie noch einmal wiederkommen durfte. Du hattest schon immer mehr Glück als Verstand, Freund!
    „Ich wollte sie retten!“
    , schrie der Ritter seinen Freund an, „Ich wollte nicht, dass das passiert!“
    Alistair lachte laut auf. „Ich wollte auch nicht, dass das passiert!“, knurrte er und schnipste gegen den Pfeil in seinem Kopf, „und dennoch ist es geschehen!“
    Daryk biss sich auf die Zunge und blickte Alistair an.
    Wortlos zeigte dieser in die Dunkelheit, wo sich sofort die nächste Türe bildete.
    „Was jetzt?“, fragte Daryk unsicher.
    Wieder legte sich ein unheimliches Grinsen auf Alistairs Gesicht, als er meinte: „Wie es hätte sein sollen!“
    Erneut atmete der Ritter tief ein und trat durch die Tür.

    Diesmal änderte sich nichts, noch immer stand er in Dunkelheit. Dann zerriss der Knall einer Peitsche die Stille und der Schrei einer Frau folgte ihm nach. Sofort wusste er, wo er war. Er rannte den Gang des Kerkers entlang und näherte sich der Zelle in der sich Heinrich an Daphne ausließ. Immer wieder ertönte das Knallen der Peitsche und Daphnes Schreie wurden immer verzweifelter.
    Endlich erreichte Daryk die Zelle und erkannte Heinrich, wie er mit der Peitsche erneut ausholte und den Rücken der Heilerin malträtierte. Schnell entledigte sich Daryk des Peinigers und näherte sich dem Häufchen Elend, dass einmal Daphne gewesen war. Schwach und leblos hing sie in den Ketten, die sie fixierten und ihr zerfetzter Rücken zeugte von unzähligen Stunden der Qual, die sie durchlebt haben musste.
    Schnell machte er sie los und wollte sie stützen, aber sie fiel einfach nach hinten um und blieb liegen.
    Ein letztes Mal öffnete sie die Augen, starrte ihn vorwurfsvoll an und krächzte: „Du hast versprochen mich zu beschützen!“ Dann verdrehte sie die Augen und versank in einen nicht mehr endenden Schlaf.

    Zum zweiten Mal umfing ihn die Finsternis und er drehte sich wütend zu Alistair um.
    „Sie ist hier nicht gestorben!“, brüllte er, „Ich habe sie gerettet!“
    Alistair zog seine Augenbrauen hoch und meinte nur: „Ja, um sie dann kurz darauf in einen Pfeil zu stoßen! Gut gemacht, du Held!“
    Daryk sagte nichts, wusste er doch, dass Alistair recht hatte sondern ging auf die nächste Tür zu, welche sein Freund aus Kindertagen erschuf.
    Fragend schaute Daryk den vom Pfeil durchbohrten an, welcher sagte: „Was du beinahe getan hast!“

    Kaum durch die Tür getreten, erkannte Daryk das Zelt, in dem er befragt und gefoltert worden war und sah erneut Daphne auf dem Boden vor sich liegen. Er wusste, was sie getan hatte und fühlte sich topfit. Die Heilerin hingegen lag mit dem Gesicht nach unten neben einer ausgezehrten Mumie auf dem Boden, die Hand noch in seine Richtung ausgestreckt. Er wusste genau, welche schreckliche Wahrheit ihn erwarten würde, wenn er Daphne umdrehte. Dennoch tat er es und musste schlucken, als er in das vertrocknete Gesicht der Frau, die ihn gerettet und geheilt hatte blickte. Ihre ausgezehrten Augenhöhlen starrten ihn leer und vorwurfsvoll an, als wollten sie sagen „mein Leben war mehr wert als das!“
    Mit Tränen in den Augen wandte er sich von ihr ab und sofort versank die Welt um ihn herum wieder in Dunkelheit und Alistair stand wieder vor ihm.
    „Keine Ausrede diesmal?“, wollte er wissen, was Daryk mit einem Kopfschütteln bestätigte.
    „Wohlan denn!“, rief Alistair, verbeugte sich übertrieben und öffnete die nächste Tür.
    „Womit du besser dran gewesen wärst!“, hörte Daryk ihn noch verkünden, bevor er sich in den Trümmern eines Hauses wiederfand.
    Das Brüllen des Ogers forderte Daryk förmlich auf, sich schneller auszugraben, als er selbst es für möglich gehalten hätte. Kaum den Kopf vom Schutt befreit, sah er Daphne, wie sie in den Händen des Ogers hing und verzweifelt gegen dessen Kraft ankämpfte. Mit dem Dolch in der Hand rannte Daryk auf den Oger zu, blieb aber an einem Stein hängen und fiel zu Boden. Panisch sah er zu Daphne hinüber, welche leblos im Griff des Ogers hing.
    Lauf knackend gaben ihre Knochen endgültig nach, als der Oger ihren wehrlosen Körper zermalmte.
    „Nein!“, schrie Daryk mit aller Kraft und rappelte sich auf. Das Monster aber schleuderte Daphnes seltsam verdrehten Körper in seine Richtung und kurz bevor sie auf Daryks Brust aufschlug löste sie sich in Rauch auf und Daryk stand wieder in der Dunkelheit.
    Schockiert fiel er auf die Knie. Wie sollte das die bessere Alternative für ihn sein?
    „Keine Zweifel, was zwischen euch sein kann“, beantwortete Alistair diese Frage. Kopfschüttelnd kniete Daryk da und versuchte zu verstehen was hier vor sich ging.
    „Die letzte Tür“, kündigte Alistair an, „Was du wirklich bist!“
    Unwillig, auch nur eine einzige Tür mehr zu betreten schüttelte Daryk weiterhin den Kopf.
    „Was ist mit deinem berühmten Willen?“, spottete Alistair, was der Angegriffene mit einem wütenden Blick bedachte. Die Aussicht darauf, dass es alles enden könnte, lies Daryk sich noch einmal aufrafften und durch die letzte Tür schlurfen.
    Er saß am Lagerfeuer und blickte in die Flammen. Auf seinem Schoß saß Daphne, und lehnte sich an ihn an. Sie drehte ihren Kopf und sah freudig lächelnd zu ihm auf. Einige Sekunden sahen sie sich einfach nur in die Augen, bevor Daphne ihr Gesicht unmerklich näher an seines brachte. Ein Gedanke zuckte durch seinen Geist. „Küss sie!“, schrie sein Gefühl ihn förmlich an und er tat es ihr gleich.
    Kurz bevor sich ihre Lippen trafen zuckte sie merklich zusammen. Ein kurzes Stöhnen verriet, dass irgendetwas nicht in Ordnung war und Daryk blickte an ihr herab. Er entdeckte seine eigene Hand, wie sie den Griff des Dolches umklammerte, der sich in ihr Herz gebohrt hatte. Entsetzt starrte sie ihn an und Blut quoll aus ihrem Mund, welches ihr den Hals hinunterlief.
    Völlig entgeistert ließ er den Dolch los und schrie nach Alistair: „Das ist nicht, was ich bin!“
    „Wir werden sehen!“
    , entgegnete dieser lachend und schlug Daryk seine Faust ins Gesicht.

    ***

    Mit einem Schrei schreckte Daryk hoch und sah sich um. Er lag auf dem Rücken in einem Zimmer der Burg des Herzogs. Neben ihm lag hing Daphne schlaff in einem kleinen Sessel und bewegte sich nicht. Ihr rechter Arm hing an der Seite herunter und war voll Blut, ebenso ihr Gesicht.
    „Daphne“, presste Daryk durch die Zähne und drehte sich auf dem Bett um nach ihr zu greifen. Sofort durchzuckte ein stechender Schmerz seinen Oberkörper und er bemerkte die Bandagen, die um seine Brust gewickelt waren. Der Ritter ignorierte den Schmerz und drehte sich weiter zu Daphne. Schnell bemerkte er, dass das Rot auf ihrer Haut wohl von einer Salbe kam, die auf einem kleinen Tischchen neben dem Bett stand. Erleichtert griff er dennoch nach der Heilerin und berührte sie leicht an der Hand.
    Daphne zuckte zusammen, was Daryk schreckliche Bilder in den Kopf schickte. Blinzelnd öffnete sie die Augen und lächelte ihn müde an.
    „Alles gut“, sagte sie mit sanfter Stimme, „du hast nur geträumt.“
    Er wollte ihr sagen, was er fühlte, was er gesehen hatte und was er fürchtete, aber er brachte nur ein krächzendes „du…“ heraus, bevor er den Kopf wieder auf das Kissen zurücksinken lassen musste.
    „Ja, ich bin da“, sagte sie lächelnd, „jetzt schlaf weiter!“
    Schwach schüttelte er den Kopf, aber sie nahm seine Hand und streichelte sanft darüber, was ihn schnell wieder in einen – diesmal traumlosen – Schlaf sinken ließ.

    • Offizieller Beitrag

    Nachdem sich Theic die letzten Tage nach der Schlacht noch Vorwürfe gemacht hatte, dass er mehr als nur eine Person umgebracht hatte – er wusste nicht mal mehr viel von der Hochzeitsfeier seiner Freunde, hatte er da versucht die Sorgen zu ertränken. Bei der Menge, die er vertrug, kein leichtes Unterfangen. So hatte er trotz seiner Größe beinahe eines der Metfässer allein getrunken. Allein bei dem Gedanken meldete sich sein noch immer schmerzender Kopf. Es war noch nie vorgekommen, dass er wirklich solch schwerwiegende Konsequenzen nach dem Trinken zu bekämpfen hatte. Dabei musste er aber auch feststellen, dass er noch nie so viel getrunken hatte.
    Mittlerweile kam er mit seinem Gewissen jedoch besser klar und das lag sicher nicht am Alkoholspiegel. Sein Großvater hatte Recht behalten. So etwas gehörte zu einer Schlacht und um die zu schützen, die man als Freunde bezeichnete, lohnte es sich, eine schwere Last auf sich zu nehmen. Davon abgesehen, hatte er geholfen, die Toten zu beerdigen und mehr als das konnten sie jetzt sowieso nicht mehr machen.
    Sari Vogel plusterte sich auf seiner Schulter auf, als mit dem Tablett in seinen Händen um eine Ecke bog. Daphne hielt sich noch immer den größten Teil des Tages bei ihrem teameigenen Oger auf und versuchte ihr Bestes, ihn wieder auf die Beine zu bringen.
    Er war gerade auf dem Weg, Daphne das Essen aufs Zimmer zu bringen – manchmal kam er sich vor wie ein billiger Diener.
    Aus einem anderen Gang kam ihm Thyra entgegen. Es war das erste Mal seit der Schlacht, dass er sie ohne Jaris sah und länger als ein paar Sekunden. Offenbar verfolgte sie den gleichen Weg wie er, denn sie blieb breit grinsend stehen und wartete auf ihn.
    „Krankenbesuch?“, fragte er nur und sofort nickte die Jägerin.
    „Ich muss ja schauen, wie es dem Fettsack so geht.“
    Den letzten Weg liefen sie zusammen.
    „Wo hast du Jaris gelassen?“
    „Er wollte zu den Elfen, die noch immer vor der Stadt lagern. Viel Zeit hatten wir damals ja nicht.“ Sie lächelte vor sich hin und schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein.
    „Ihr habt es wohl schon satt, verheiratet zu sein?“, neckte Theical und hob etwas die Schulter, als sich Sari bewegte und die Krallen unangenehm ins Fleisch bohren wollte.
    Wie lang war es eigentlich her, dass er sich wirklich einmal mit der Jägerin unterhalten hatte? Er ging die letzten Tage durch, konnte aber nichts finden.
    Thyra grinste vielsagend. „Niemals! Du solltest es auch mal versuchen.“
    Theical lachte gehemmt.
    „Fang du auch noch an! Es reicht, wenn mein Großvater ständig nervt. Aber ich kann mir wohl kaum jemanden aus der Luft zaubern.“
    Sari hüpfte zu Thyra, krächzte kurz, als die Jägerin ihn verwirrt musterte und machte es sich dann bequem, ganz, als wollte er die Frau provozieren. Diese strich ihm jedoch lächelnd durch sein Gefieder und kümmerte sich dann nicht weiter um den übergroßen Vogel. Stattdessen setzte sie zu einer Erwiderung auf Theicals Aussage an, wurde aber unterbrochen, als Daphne aus Daryks Zimmer kam und ertappt stehen blieb. Sofort breitete sich auf dem Gesicht der Jägerin ein breites Grinsen aus, das nichts Gutes verheißen ließ.
    „Und Daphne“, begann sie mit wackelnden Augenbrauen. „Wann ist es bei dir soweit?“ Sie knuffte die kleinere Frau scherzhaft in die Seite, was diese nur die Stirn runzeln ließ.
    „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“
    Theic warf Thyra hingegen ein verschmitztes Grinsen zu, konnte er sich denken, worum es ging und auf was sie anspielte. Die Jägerin lachte ebenso frech zurück.
    „Na sicher...", gaben sie synchron von sich. Beide formten sie ihren Mund kindisch zu einem Kuss und machten dabei übertrieben laute Kussgeräusche.
    Daphne blickte sie trocken an.
    „Ihr habt da was im Gesicht.“
    Thyra musterte ihre Freundin und fuhr sich dann gespielt ernst über das Kinn.
    „Ich glaube fast, sie hat es wirklich vergessen.“
    Theical runzelte nun ebenfalls die Stirn. „Zu viel getrunken, oder was?“
    „Frusttrinken?“, witzelte Thyra weiter.
    „Ja, weil sie nicht an seine Lippen kam.“ Der Taschendieb machte eine Geste mit den Händen, die einen Größenunterschied andeutete.
    „Gerade du musst den Mund aufreißen. Dein Bart ist länger, als du groß bist“, konterte Daphne, was der Jägerin ein heiteres Lachen entlockte.
    „Jetzt macht sie sich direkt an den nächsten ran. Du stehst also auf Bärtige. Theic, lauf lieber weg!“
    Der Taschendieb stimmte in das Lachen ein.
    „Ich glaube kaum, dass ich mir Sorgen machen muss.“
    Daphne lachte nun ebenfalls. „Nein, eher nicht, dafür bin ich noch viel zu müde. Lass uns drüber reden, wenn ich mich mal ordentlich im Wasser ausgeruht habe. Die letzten Tage kam ich einfach gar nicht dazu.“
    Thyra kicherte in die Hand und schien sich beinahe nicht mehr zu fassen.
    „Ja, so hat das bei mir damals auch angefangen. Erst kann man wegen zu vielen Sorgen“, sie machte Anführungszeichen bei dem Wort Sorgen, „nicht schlafe und dann, weil man anderes zu tun hat.“ Sie wurde ganz rot im Gesicht, als sie sich das Lachen verkniff, bis es dann doch aus ihr herausbrach.
    „Ihr seid so kindisch.“ Daphne verdrehte gespielt genervt die Augen, aber das Grinsen in ihrem Gesicht verriet, dass sie nicht wirklich sauer über ihre Witze war.
    „Wie geht es eigentlich dem Fettsack?“, lenkte Thyra auf das eigentliche Thema zurück und zeigte Richtung Tür.
    „Das könnt ihr ihn gern selbst fragen. Er ist aufgewacht und ich konnte ihn endlich heilen. Der Fluch hat seine Wirkung verloren.“
    Deshalb sah die Heilerin also so erschöpft aus.
    „Oh, dann lassen wir euch lieber allein.“ Theic sah auf das Tablett in seinen Händen. „Nur wird das Essen kaum reichen.“ Er drückte Daphne das Essen in die Hände. „Ich laufe noch mal los und hole mehr. Oder noch besser, ich sage in der Küche Bescheid, dass gleich ein hungriger Bergriese vorbeikommt.“ Mit diesen Worten ließ er die beiden Frauen stehen und rannte den Flur zurück in die Küche. Mit Daryks Erwachen waren sie nun endlich wieder komplett und konnten die Schlacht hinter sich lassen.

  • Jaris betrat das große Zelt durch die Vorhänge aus Leinen, die vor dem Eingang hingen. Der Stoff war weiß gebleicht und brannte im Sonnenschein beinahe in den eigenen Augen. Genau wie bei all den anderen Zelten um ihn herum. Er konnte sich einfach nicht erklären, wie ein so großes Lager so sauber bleiben konnte, wo es doch in den Schlamm eines Schlachtfeldes gebaut war. Von den Hinterlassenschaften der Armee, die vorher hier gewesen war, war dagegen nichts mehr zu sehen. Außer rußgeschwärzte Zeltstangen und vereinzelt aus dem Boden ragende Holzpfosten war nach der Schlacht ohnehin nicht mehr viel übrig gewesen. Die Elfen hatten bei ihrem Angriff ganze Arbeit geleistet.
    "Seid gegrüßt", empfing ihn der hochgewachsene General formell, noch während er die Stoffbahnen hinter sich ließ. Jaris hatte den Namen des Mannes vergessen. Er war ihm ohnehin nur ein einziges Mal begegnet, nachdem er ihn in der Elfenstadt kennen gelernt hatte. Mit einem Nicken erwiderte er die Begrüßung. Notdürftig zwar, aber er hatte nicht wirklich Lust die nächste halbe Stunde Höflichkeiten auszutauschen, wie es laut Protokoll vorgesehen wäre. Also ließ er es gleich bleiben. Der Elf quittierte es mit zusammengekniffenen Lippen, sagte jedoch nichts dazu.
    "Ihr wolltet mich sprechen?", fragte der Söldner und blieb vor dem Schreibtisch, dessen Platte aus Eschenholz mit aufwendig geschnitzten Rosen verziert worden war, stehen. Dies war aber auch das einzige Möbelstück, das sich nicht durch zweckmäßigkeit heraus tat. Ein einfachen Feldbett, eine Truhe, der Sitzhocker hinter dem Schreibtisch und ein Schemel davor. Jaris verzichtete jedoch auf die Möglichkeit zu sitzen. Er hatte nicht vor lange zu bleiben und war auch nicht darauf aus diesen Umstand zu verbergen. Vielleicht hatten die Männer und Frauen, die ihnen so selbstlos zur Hilfe geeilt waren und ohne die sie wohl kaum eine Chance gehabt hätten, weniger Kühle verdient. Doch es gab einen einfachen Grund für ihn schnell wieder zur Burg zurückkehren zu wollen. Seit der Hochzeit hatte er zwar die meiste Zeit mit Thyra verbracht, jedoch reichte schon dieser kurzer Ausflug um in seiner Brust ein schmerzhaftes Ziehen zu erwecken. Man merkte eben, dass sie die letzten Monate andauernd zusammen verbracht hatten, wenn auch nicht allein. Da war dies eine unerfreuliche Ausnahme.
    "Ich bin mir sicher ihr habt viel zu tun", zog der Elf die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Da hatte er durchaus recht. Zacharas hatte ihnen ein großes Zimmer zur Verfügung gestellt, für das er ihm beinahe alle Streitigkeiten vor der Schlacht verzeihen konnte. Mit einem ausgesprochen weichen Bett. Nach kurzer Erwägung beschloss er das dem General lieber nicht zu sagen, sondern lächelte nur höflich.
    "Kein Problem", er stockte kurz bei der Anrede. "General." Hoffentlich war der Kerl kein Herzog oder sonstig adelig. Bei so etwas konnten die Elfen - diese Erfahrung musste er leider bereits machen - sehr pingelig sein. Immerhin rief er nicht sofort seine Wachen, um ihn Köpfen zu lassen.
    "Gut", behauptete der General, obwohl Jaris sich nicht sicher war, ob er ihm da zustimmen konnte. "Denn ich wollte noch mit euch sprechen, bevor wir abreisen." Dies verblüffte den Söldner etwas, so dass er nur ein wenig geistreiches "Aha" erwidern konnte. Was könnte dieser Elf nur von ihm wollen. Einem einfachen Mann, wo man derzeit doch freie Auswahl zwischen Herzögen, Prinzessinnen und Grafen hatte.
    "Ihr wisst sicher, dass wir enge Beziehungen mit dem Volk von Irishmir unterhielten", begann der hochgewachsene Mann. Jaris nickte automatisch. Er hatte keine Ahnung von den Bündnissen und Abkommen, die seine frühere Verwandschaft gehabt hatte. Sein Volk war ausgerottet. Zumindest bis auf den Teil derer, die vermutlich noch immer in der Daris Wüste hockten und eine leere Gruft bewachten. Und dieser Teil hatte versucht ihn und seine Gefährten zu töten.
    "Vor ein paar Jahrzehnten haben wir einmal eine Delegation bei uns zu Besuch gehabt", erklärte der Elf und ging dabei hinter dem Schreibtisch hervor und öffnete die Kleidertruhe. "Wir haben Gastgeschenke ausgetauscht und dann über unsere Handelsbeziehungen gesprochen." Jaris hatte keinen Schimmer, weshalb er das erzählt bekam. Mehrere Jahrzehnte? Er hätte den Elf nicht viel älter als ihn geschätzt, allerdings konnte man das bei Elfen nie gut sagen. Nach einer Zeit erhob sich der Mann wieder und hielt ein dickes Buch in den Händen, dessen Titel allerdings von seiner Hand verdeckt wurde.
    "Unter anderem dieses Buch über die Geschichte eures Volkes", eröffnete er dem Söldner und hielt ihm den Wälzer hin. "Ich möchte, dass ihr es bekommt. Vielleicht hilft es euch mehr über eure Herkunft zu erfahren."
    "Viel mehr kann ich von meiner Herkunft gar nicht wissen", dachte er in Hinsicht all der Erinnerungen in seinem Kopf. "Oder eher kann ich von meiner Herkunft nicht nicht wissen." Ein Großteil war noch immer verschwommen. Auch wenn sich immer mehr herauskristallisierte. Zum Beispiel, dass es in einem anderem Zeitalter, so lange vergangen, das selbst die Geschichten darüber bereits Legenden nach sich zogen, die vergessen worden waren, Brauch gewesen war, das Braut und Bräutigam zusammen weg fuhren. Das nannte sich Flitterwochen und käme ihm jetzt tatsächlich sehr gelegen. Vielleicht sollte er das Thyra einfach mal vorschlagen. Natürlich erst, wenn Daryk wieder auf den Beinen war. Zumal sie dann vermutlich ohnehin weg fahren müssten, da hier schlicht kein Essen mehr für sie übrig blieb.
    Eine viertel Stunde später verließ er das Zelt des Generals wieder. In Gedanken versunken uns sichtlich verblüfft. Das Buch hatte er sich unter den Arm geklemmt. Um ihn herum begannen bereits die ersten Bestrebungen das Lager abzubauen. Bald würden die Elfen verschwinden, aber die Fragen würden bleiben.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Verdutzt blickten die beiden Frauen Thiecal hinterher, der sich auf den Weg in die Küche machte.
    Thyra zuckte mit den Schultern und wandte sich Daphne zu. Die ehemalige Schurkin wirkte müde und ausgezehrt. Die Jägerin nahm ihr das Tablett aus der Hand und deutete auf das große Glas Wasser.
    "Nimm. Daryk kriegt ja gleich." Thyra wusste, dass das Gals nur ein Tropfen auf dem heißen Stein war, aber so wie Daphne wirkte konnte sie alles Wasser gebrauchen. "Wir suchen dir erstmal eine schöne große Badewanne und du kannst in Ruhe essen und schlafen. Lass mich nur schnell nach dem Fettsack sehen."
    Daphne nickte müde und folgte ihrer Freundin und dem mittlerweile leeren Wasserglas zurück in das Zimmer des Patienten.
    Daryk wirkte schon wieder recht fit. Er saß auf dem Bett und löste die Verbände, die Daphne ihm angelegt hatte, für die Zeit, in der sie ihn nicht hatte heilen können. Als er die beiden Frauen sah lächelte er.
    "Na?", machte Thyra und grinste. "Wie geht es dir?"
    "Ich hab Hunger", murmelte Daryk.
    "Keine Angst. Die Ogerfütterung beginnt gleich. Theic ist schon unterwegs."
    Daryk grinste müde. "Daphne sieht müde aus ...", kommentierte er bloß.
    "Jaja, ich bringe deine Geliebte gleich in die Badewanne." Thyra konnte sich ein kleines Lachen nicht verkneifen.
    "Ich bin nicht seine Geliebte!", rief Daphne hinter ihr.
    Gespielt erstaunt drehte sich Thyra zu ihr um. "Immer noch nicht?" Dann wandte sich wieder an den Ritter. "Du solltest dich beeilen, Dickerchen." Sie stupste Daryk in die Seite und bemerkte dabei seinen unglücklichen Gesichtsausdruck. Sofort schaltete sie einen Gang zurück. Irgendwas musste zwischen den beiden vorgefallen sein, was beiden so gar nicht passte oder womit sie nicht umzugehen wussten.
    Dankbar, dass Theic genau in dem Moment in den Raum kam, wechselte sie das Thema.
    "Daphne, die siehst nicht nur erschöpft aus. Ist sonst noch irgendwas, was dir auf der Leber liegt?"
    Daphne schien nicht zu wissen was sie sagen sollte. Nervös spielte sie mit dem Saum ihres Hemdes herum. "Yorick hat doch erzählt, dass es meinem Vater nicht gut geht ..."
    Thyra nickte, während Theic ihren Arm nahm und sie bei Daryk auf die Bettkante setzte.
    "Und?", fragte sie.
    "Ich fühle mich schlecht, weil wir uns im Streit getrennt haben."
    "Dann solltest du zu ihm fahren", meinte Theic, dem Familie sehr wichtig war, pragmatisch.
    Daphne schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht. Ich bin immer noch ein bisschen angefressen, weil er nichts gegen die Heirat mit Heinrich unternommen hat ... Nur weil der Vertrag schon geschlossen war. Immer dieses höfische Protokoll. Er hat immer gesagt meine Brüder wären seine Sinne. Tristan die rechte Hand. Yorick die Linke. Arthur seine Augen und Thorvid seine Ohren. Sören der mit dem richtigen Riecher, Ole der Ertastende und Arnrich der Geschmack, der Vorsichtige, der Bedenkende." Während sie redete war Daphne aufgesprungen. Thyra musterte ihre Freundin besorgt, traute sich aber nicht sie zu unterbrechen. "Und ich? Ich war sein HERZ! Sein Herz beschützt man! Das Herz hält alles am Leben. Warum hat er mich nicht beschützt?" Verzweifelt blickte Daphne in die Runde. Thyra wurde einer Welle Mitleid erfasst und legte vorsichtig eine Hand auf den Arm der Heilerin.
    "Er war sicher selbst überfordert", versuchte die Jägerin zu trösten.
    Daphne seufzte tief und ließ sich wieder auf das Bett fallen. Thyra sah wie Daryks Hand Richtung der von Daphne kroch, aber im letzten Moment zurück zuckte. Unwillkürlich fragte sich die Jägerin, was zwischen den beiden vorgefallen war.
    "Aber wahrscheinlich hast du Recht, Theic. Ich sollte zu ihm gehen", sagte Daphne nach einer Pause.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

    • Offizieller Beitrag

    Nachdem Daryk endlich erwacht war und bevor sie von Thyra zum Schlafen geschickt wurde, versuchte Daphne den Hünen ein weiteres Mal zu heilen. Der noch geschwächte Ogerschlächter konnte sich kaum rühren. Ihm musste jeder Knochen wehtun und sprach kaum ein Wort. Nur ein Raunen verließ seine Lippen, als er sich vorsichtig aufrichtete und hinsetzte. Was sollte er auch sagen? Nicht einmal sie sprach über das, was sich beinahe ereignet hatte. Hinfort schweigen – das war die passende Reaktion. Und je mehr sie darüber nachdachte, desto sicherer wurde sie sich, dass das nur ein flüchtiger Moment gewesen war, dem man nicht zu viel Bedeutung geben sollte. Immerhin sagte er auch nichts. Nicht die geringste Gestik ließ irgendeinen Zweifel daran zu, dass er sogar vermied sie anzusehen. Daphne schaute auf die bestickte Bettdecke hinunter und dachte nach. Zu langes Schweigen verriet, dass etwas nicht stimmte, der offene Umgang fehlte, weshalb sie schließlich aufsah und gezwungen lächelte.
    „Versuchen wir es einfach nochmal.“
    Daryk schreckte auf und schaute sie nun doch an.
    „Vielleicht klappt es jetzt mit dem Heilen!“, fuhr die junge Frau fort. Kaum vorgeschlagen, nickte der Hüne leicht abwesend und atmete tief durch. Daphne schritt etwas näher an das Kopfende heran und betrachtete kurz ihre rechte Hand, ehe sie diese vorsichtig auf Daryks Brust platzierte. Auch sie atmete tief durch und schloss ihre Augen. Und endlich … sie erkannte den Fluss und die Wellen in seinem Inneren. Sie konnte wieder ihre Magie bei ihm wirken. Es war wie inmitten eines Sturmes zu stehen. Vor ihrem inneren Auge bäumten sich riesige Wellen auf, die gegen brüchige Küsten und Klippen schlugen. Immer mehr Gestein bröckelte ins Wasser und alles war umgeben von einer sternlosen Nacht. Im Glauben daran, dass dieser Zustand von den Verletzungen stammen musste, versuchte sie das Meer zu beruhigen. Wie bei dem Glattstreichen von Papier, fuhr sie mit ihrer Hand über die Wellen, so lange, bis sie anfingen sich zu fügen. Im gleichen Moment wuchsen die Knochen wieder zusammen, Wunden schlossen sich und Müdigkeit schwand. Sie öffnete wieder ihre Augen und spürte nur das schnell schlagende Herz des Hünen.
    „Nun dürfte es besser sein!“, sprach sie zu ihm, ohne ihn wirklich anzusehen. Im Augenwinkel konnte sie ein kurzes Lächeln erkennen, ehe auch er verhalten zur Tür sah. Wieder dieses Schweigen und Daphne schwor es sich durch die Nachricht ihrer Brüder zu unterbrechen, nämlich jene, dass es ihrem Vater nicht gut ging und sie alsbald aufbrechen würden. Sie wurde von dieser Nachricht genauso überrascht wie Yorick, denn wer den Herzog kannte, wusste, dass dieser nicht einmal von hundert Mann niedergerungen werden konnte.
    „Wie geht es ...“
    Kaum hatte Daryk dazu angesetzt, schob er seine Beine seitlich vom Bett und setzte sich hin. Sie fühlte sich gezwungen die Karten auf den Tisch zu legen und unterbrach ihn mit:
    „Ich gehe nach Hause!“
    Dabei hob sie ihren Kopf und blickte ihn unverwandt an. Auch Daryk fuhr herum und betrachtete ungläubig ihr Gesicht.
    „Mein Vater leidet an einem Fieber. Wer, wenn nicht ich, könnte ihn davon kurieren.“ Ihre Stimme verkam zu einem flüstern. Mürbe warf sie ihre Stirn in Falten, bevor sie ihre Lippen aufeinander presste und auf die Bettdecke schaute.
    „I-Ich kann nicht“, sprudelte es aus ihr heraus. „Ich kann ihn nicht sterben lassen, egal welcher Zwist zwischen uns stand. Er ist und bleibt mein Vater.“
    Tränen eroberten ihr Gesicht und die Stimme erstarb unter einem Schluchzen.
    „Ich bin ihm schon lange nicht mehr böse. Ich weiß, dass er jeden Bewerber weggeschickt hat, so lange, bis ihm keine Wahl mehr blieb. Er wollte mich nie verletzen, aber ich hab ihm das Herz gebrochen. Ich habe Angst zurückzukehren und ihm in die Augen zu schauen.“ Daryk saß immer noch neben ihr und schaute sie an. Irgendwann ergriff er ihrem Handgelenk und zog sie zu sich heran. Er nahm sie einfach in den Arm und drückte sie fest, als würde er verstehen, was sie meinte. Tat er mit Sicherheit sogar, aber das war nicht die Antwort, die sie sich eigentlich erhofft hatte. Vielmehr schämte sie sich dafür, so schnell wieder mit dem Weinen zu beginnen, wo sie es geschafft hatte, so lange zu unterdrücken. Sie war erschöpft, müde und ihre Kraft reichte nun mehr kaum noch aus, um ein Tropfen vom Fallen abzuhalten, denn hätte sie dies gekonnt, wären kaum Tränen aus auf Daryks Hals gelandet. Er meinte es gut, aber sie musste das beenden. Um ihretwillen. Kurz, vielleicht für ein paar Sekunden, nicht mehr, lehnte sie an seiner Schulter, dann löste sie sich draus und schob ihn vorsichtig von sich weg.
    Nein“, wimmerte sie. „Das führt nirgends hin. Ich werde zurückgehen und bereinigen, was es zu bereinigen gibt.“
    Als sie dies aussprach, fühlte sie sich wie ein Spiegel, der zerbrach, denn wenn er nicht mitkam, sollte dies ein Abschied sein. Aber fragen konnte sie ihn nicht. Wie konnte sie? Selbst wenn sie es versucht hätte, ihre Kehle hätte nicht die Worte formen können, weil sie die Antwort fürchtete. Aber kaum war ein allzu langes Schweigen ausgebrochen, schaute sie auf, während Daryk weiterhin vor sich den Boden betrachtete.
    „Soll ich …“, murmelte er, als die Stimmen von Thyra und Theical vor der Tür erklangen.
    Ich lasse dich etwas essen“, erklärte sie vor einer Antwort. „Du musst Hunger haben und du brauchst, nach all der Zeit, etwas zu essen!“
    Sie bewegte sich zur Tür und öffnete sie, dabei schaute Daphne nicht zurück, sondern schloss die Tür einfach hinter sich. Doch kaum im Beisein ihrer Freunde, wurde sie wieder gefühlt ein Wimpernschlag später mit einem Teller zurück ins Zimmer geschoben. Diesmal herrschte wirklich Schweigen zwischen ihr und Daryk, welches Thyra gekonnt überspielte, während Theical nach Essen für den Hünen verlangte. Aber auch sie schien zu merken, dass die Situation mehr als unangenehm war. Die Jägerin blickte zwischen beiden hin und her, während Theical wieder auftauchte und alle über ihren Zustand nachhakten. Sah man ihr es nicht genug an? Sie wollte schlafen, jede Heilung erschöpfte sie. Die Tage ohne oder mit kaum schlaf hatten den letzten Rest ihrer Reserven vollkommen ausgeschöpft. Sie erzählte von ihrem Vater, woraufhin Thyra beschloss ihre Freundin zu begleiten, so wie sie für alle sprach. Aber sie hatten Daryk nicht einmal gefragt, aber er widersprach auch nicht.
    "Aber wahrscheinlich hast du Recht, Theic. Ich sollte zu ihm gehen", sagte Daphne nach einer Pause.
    Für eine Sekunde atmete sie erleichtert aus.
    „Schon komisch, was ein Fluch anrichten kann!“, fuhr Theical fort, dem Daphne den Grund dafür geschildert hatte, dass sie Daryk nicht sofort heilen konnte.
    „Fluch?“, murmelte Daryk verwirrt.
    „Ja, Aras´ Zauber“, setzte Thyra an, die ebenfalls davon wusste. „Er hat anscheinend vergessen die Nebenwirkungen zu erwähnen.“
    „Er wollte es dir am … Lagerfeuer sagen“, stockte Daphne leise, die direkt vor dem Ogerschlächter stand, wie ihn neuerdings Yorick und viele andere nannten. Thyra nahm sie irgendwann an der Hand und begleitete sie hinaus. Sie sahen ein, dass so mit Daphne nicht anzufangen war und beschlossen, dass sie sich im Wasser ausruhen sollte. Das Zimmer neben ihrem „Patienten“ war ihres, deshalb scheuchte Thyra ein paar Diener los, damit man ihrer Freundin eine Kupferwanne mit Wasser bringen sollten.
    „Du solltest wirklich schlafen“, ermahnte die Jägerin die Heilerin. „Männer machen einem ständig Sorgen, was?“
    Thyra lächelte ehrlich und Daphne lächelte zurück.
    „Es gibt bisher nichts, worum ich mir Sorgen machen müsste, außer um meinen Vater.“
    „Du wirst sehen, wir reisen nach Delyveih und dann heilst du ihn. Das ist doch mittlerweile einer deiner leichtesten Übungen.“
    Betreten nickte die Heilerin und folgte Thyras Befehl erst einmal ordentlich durchzuschlafen.


    Die Müdigkeit, die Daphne ereilt hatte, war mit kaum etwas zu vergleichen. Sie konnte ihre Gedanken kaum noch festhalten. Gerade wollte sie noch etwas tun, da war der flüchtige Moment schon verflogen und sie stand nachdenklich im Raum. Aras hatte ihr das Zimmer neben Daryks rasch anpassen lassen, neben all den anderen Aufgaben, denen er anscheinend nachkommen musste. Vermutlich hatte Thyra da auch ihre Finger im Spiel gehabt – eigentlich ganz sicher. Wachen hatten eine Kupferwanne, anstelle des riesigen Bettes platziert und eine kleinere Schlafstelle eingerichtet, da sie doch weniger in weichen Kissen schlief. Den Blick in den Spiegel vermied sie. Sie wollte nicht sehen, wie sehr sie alles geschlaucht hatte. Die Schlacht, die schlaflosen Nächte. Immer wieder sprach man sie darauf an, wie blass sie aussah, der Glanz einer Prinzessin anscheinend vergangen, aber sie fand keine Zeit dem nachzutrauern.
    Daphne spürte Wassertemperaturen kaum, daher war es ihr ebenso egal, wie kalt die Wanne bereits war, als sie hineinstieg. Erschöpft tauchte sie unter und wischte sich dann das Wasser aus dem Gesicht.
    Sie würde also nach Hause zurückkehren … nach Hause. Nach all den Jahren klang dies vollkommen fremd für sie, wobei sie doch dort aufgewachsen war. Trotzdem wollte sie nicht, dass ihr Vater starb und ihre letzte Erinnerung, an ihn, der Streit war. Das würde sie sich nie verzeihen, wenn sie diese Sache nicht aus dem Weg räumte und viel zu lange stand dieser Zwist schon zwischen ihr und ihrer Heimat. Die Angst wie sie reagieren würden, wenn sie plötzlich wieder vor den Toren stand. Ihre Mutter kalt und verhalten – so vermutete Daphne. Aber ihr Vater?! Früher gab es keinen Mann, der annähernd an ihn herangereicht hätte. Der Größte für sie, der Beschützer und Bewahrer. Und obwohl umgeben von Söhnen, ruhten seine Augen stets auf ihr. Ein blonder, riesiger Mann, dessen einzige Verbindung zu seiner Tochter die winzigen Muttermale waren, die sie als Kind vor Gerüchte behütetet hatten. Mächtiger als ihr Vater, waren nur die Hallen. Immens hohe, durch Säulen getragene, Räume, die das geringste Flüstern weitertrugen. Das Schloss von Delyveih kam ohne viel Prunk aus. Dort gab es keine verzierten Springbrunnen, Blumenkästen oder Rosengehänge, dort erzählte alles eine Geschichte. Bilder über Bilder zeigten Ahnen, deren Geschichten längst erzählt, ihre Stimme erloschen, aber nicht vergessen waren. Als Günstlinge Rhenus´, der das Leben verkörperte, gab es für sie nichts wichtigeres, als dieses zu ehren, selbst wenn es vorüber war. Daphne wusste, dass der Tod nicht das Ende darstellte und doch schien sie enttäuscht über diese Tatsache. Wenn es dort nicht endete, was kam danach?
    Müde lehnte sie ihren Kopf an den Rand der Wanne und beobachtete, wie ihr überlanges Haar die Oberfläche des Wassers schwarz färbte. An so viel hatte sie sich geschworen nicht zu denken, aber ihr Geist besaß andere Pläne. Würden sie alle nach Delyveih begleiten und wenn ja … Wollte sie das überhaupt? Dort endete ihr Versteckspiel und sie würden alles kennenlernen, was sie betraf. Dort war sie keine Heilerin, keine Magierin oder Schurkin. Dort war sie die Tochter eines Herzogs, Prinzessin von Delyveih und so frei wie ein Vogel im Käfig, dessen Flügel man bricht, damit er nicht davonfliegen kann.
    In Gedanken versunken, merkte sie nicht einmal, wie die Zeit verging. Die Sonne zog an ihrem Fenster vorbei und ehe sie es sich versah, wurde der Raum dunkler und damit auch ihre Augen schwerer.


    Schon lange hatte Daphne nicht mehr geträumt. Zumindest konnte sie sich an keinen ihrer Träume erinnern. Alles lag in einer nichtssagenden Dunkelheit, Erinnerungen vermischten sich. Sie wusste, dass sie schlief. Ihr Leben war viel zu turbulent, als dass es so ruhig sein konnte. Sie wollte ihre Augen öffnen, aber es gelang ihr nicht. Leise bahnte sich, aus der Finsternis heraus, ein Summen zu ihr. Eine Melodie, die sie kannte, aber nicht mehr selbst wiedergeben konnte. Plötzlich konnte sie ein Licht sehen, so klein, als sei es bloß ein Schlüsselloch und genau das war es. Schlagartig wurde ihr klar, wo sie war. Im Schrank, in den sie immer von ihrer Großcousine, ihrer einzigen, weiblichen Aufsicht, gesperrt worden war, wenn sie nicht brav das getan hatte, was man von ihr verlangt hatte. Immer dann, wenn ihre Mutter nicht zugegen war. Wie schon als Kind, fing sie an, wild gegen die Tür zu hämmern.
    „Sei still!“, mahnte sie eine Stimme vor dem massiven Holzgebilde.
    „Wer ist da?“, fragte Daphne überrascht, denn die Frau klang nicht wie ihre Cousine. Die Stimme war älter, reifer und etwas tiefer, aber dennoch nicht unbekannt.
    Vorsichtig lugte sie durch das Schlüsselloch, wo sie umgehend ein eisblaues Auge erspähen konnte und erschrocken gegen die hintere Wand stieß.
    „Wir haben keine Zeit zu verlieren! Wenn du zurückkehrst, solltest du etwas wissen“, fuhr die Frau fort. „Sie wird auf dich warten.“
    „Wer?“, fragte Daphne reflexartig und bemerkte erst jetzt, dass sie klang wie ein Kind. Wie sie als Kind.
    „Egal was geschieht, du darfst nie auf sie hören. Sie kennt kein Erbarmen, keine Gnade und lebt von Rache. Sie wird gegen dich verwenden, was dich ausmacht. Sie ist wie eine Krankheit, die zu deinem Herz schleicht und es zum Stillstand bringt.“
    Ja, aber wer denn?“
    „Franziska ...“, flüsterte die Frau und Daphne schnellte wieder zum Schlüsselloch.
    „Die Franziska?“, hakte sie verwirrt nach. „Aber sie ist tot! Ihr Selbstmord ist über fünfhundert Jahre her“
    Du müsstest am besten wissen, dass das nicht immer etwas zu bedeuten hat. Ihr Präsenz liegt wie ein düsterer Schatten über unser Land. Sie wird dich, mit deinen Kräften, zu ihrem Ebenbild machen wollen. Auf so etwas hat sie nur gewartet, aber du bist nicht wie sie“, die Fremde hielt kurz inne, „Du bist wie ich.“
    „Ja, aber ...“
    „Es ist kein Zufall, dass du ihren Namen trägst, anstatt meinen. Ihr Einfluss ist bereits lange unter euch und verseucht unser Erbe. Schaffe Klarheit, lass dich nicht vergiften oder ins Meer locken. Wenn sie kommt, darfst du ihr nichts geben, woran sie sich festhalten kann. Sie muss ein Schiff ohne Anker bleiben. Denn sieht sie Land, kann sie nichts daran hindern, dort zu siedeln und alles ins Chaos zu stürzen. Sie verdreht Wahrheiten zu Lügen oder schafft Unwahrheiten, wo Zweifel sind. Wenn du es nicht schaffst, dann gibt es kaum Hoffnung, dass es andere können. Du unterscheidest dich vom Rest. Du warst eingesperrt, hast die Fesseln gelöst und die Freiheit kennengelernt. Die Wahl, in allem was du fühlst. Lass dir das nicht nehmen.“
    Mit aller Kraft schlug Daphne gegen die Schranktür.
    „Wer seid Ihr?“
    „Du bist nicht allein, weder in dieser Welt noch in der anderen.“
    „Sagt mir Euren Namen!“
    „Auch ich bin stets bei dir, vergiss das nicht. Das war ich immer, selbst bei deinem Tod. Ich stehe allen meinen Töchtern bei, auch wenn ich keine mehr davor bewahren kann, was im Meer auf sie lauert … Ich war nicht stark genug.“
    „Wo geht Ihr hin? Lasst mich hier nicht zurück!“
    „Befreie dich. Manchmal lässt sich Feuer nur mit Feuer bekämpfen oder in dem Fall mit Wasser. Baue eine Mauer um dich herum auf, hinter die sie nicht schauen kann.“
    „Wartet ...“, schrie das Kind aus ihr heraus.
    Panisch rückte Daphne im Schrank herum und stemmte ihre Beine gegen die Tür. Immer wieder trat sie gegen diese, doch das Holz war wie der Käfig, an den sie zuvor gedacht hatte. Unnachgiebig und wie aus Eisen. Wut stieg in ihr herauf. Selbst in ihren Träumen saß sie schon in dem Martyrium ihrer Kindheit fest. Alles schränkte sie ein und kein Licht war am Ende in Sicht. Schreie erklommen ihre Lunge, wodurch sie plötzlich das Wasser aus der Luft sog und um sich herum sammelte. Ohne die Schmach des Ertrinkens, sammelte sich immer mehr Wasser in dem kleinen Schrank, bis der Druck so groß wurde, dass das Holz darunter zerbarst. Ein Schrei in die Freiheit folgte und als Daphne sich umsah, stand sie inmitten der Wanne, dessen Inhalt sich mehr im Raum befand, als noch um sie herum. Sie atmete als sei sie bis zur Erschöpfung gerannt. Vereinzelte Tropfen fielen noch zu Boden und zeugten von der Welle, die den Raum heimgesucht hatten. Schlagartig erinnerte sie sich an ihren Traum, an das, was ihr gesagt wurde und obwohl noch nicht gänzlich in der Wirklichkeit angekommen, wusste sie, dass dies kein einfacher Traum gewesen war. Etwas lauerte in Delyveih, die Frage war nur was. Sie sollte ungebrochen sein, stur, sich dem widersetzen, was da kommen würde. Viele Mythen und Legenden waren in dem von Nebel umgebenen Land erzählt worden, aber welche von ihnen war nun mehr als das? Es hatte etwas mit Franziska zu tun und auch Calypso wurde in der Vergangenheit bereits von Rhenus erwähnt. Anscheinend musste sie selbst herausfinden, was es mit all dem auf sich hatte. Wie so oft, schien ihr niemand klare Worte oder Erklärungen entgegenbringen zu wollen.
    Ganz langsam stieg sie aus der Wanne und merkte in der Dunkelheit, dass die Tür einen Spalt offen stand. Die Lichter des Flures schienen hinein und als Daphne nach draußen sah, war da nichts. Sie musste aufgesprungen sein. Leise schloss sie diese wieder und beschloss wach zu bleiben. Dies war der Tag, an dem die Nordmänner zurückkehren würden und auch, wenn sie diesmal nicht für ewig getrennt blieben, wollte sie ihnen zumindest eine gute Heimreise wünschen.
    Und dabei blieb es auch. Eine Umarmung und ein Kuss auf die Stirn, dann setzten die Männer die Segel. Daphne schwor so schnell es ihr möglich war, nachzukommen. Deshalb verlangte sie ihr Pferd, welches in den Stallungen des Herzogs untergebracht worden war. Zur Zeit der Schlacht konnte man Avalon nicht auffinden, aber das hatte ihr der Züchter bereits gesagt, dass dieser Hengst kam und ging wie es ihm gefiel. Sie war nur froh, dass er anscheinend immer anwesend war, wenn sie ihn brauchte. Und erneut drängte sich ihr der Gedanke auf, dass dies nicht nur für das Pferd galt.

    • Offizieller Beitrag

    „Der Herzog empfängt keine Gäste“, versuchte der Wachmann vor dem Arbeitszimmer des Herzogs Daryk abzuwimmeln.
    „Ich bin kein Gast“, meinte dieser ruhig und wollte an dem Mann vorbei durch die Tür gehen.
    Mit einem schnellen Schritt stellte sich die Wache in Daryks Weg und sah zu ihm auf.
    „Der Herzog empfängt niemanden“, stellte er klar, „egal ob Gast oder nicht!“
    Die Schmiede aus Devyleih hatten ganze Arbeit geleistet und die Rüstung in Rekordzeit wieder einsatzbereit gemacht. Daher stand der schwarze Ritter, abgesehen vom Helm, in voller Montur vor dem Wächter und zog die Augenbraue hoch.
    Mich wird er empfangen“, sagte er voraus und schob seinen Widersacher aus dem Weg.
    Der Mann gab nicht so einfach auf und zog sein Schwert. Schnell richtete er es auf Daryk und wiederholte: „Ich kann Euch nicht hineinlassen!“
    Unbeeindruckt von der Waffe grinste Daryk den Soldaten an und griff nach der Klinge seines Schwertes. Mit einem Ruck entriss er dem Wachmann das Langschwert und warf es zur Seite. Klirrend landete es irgendwo im Gang auf dem Boden und sein Besitzer schaute ihm überrascht hinterher.
    „Dann geh wenigstens aus dem Weg“, verlangte Daryk und schob den Mann erneut zur Seite.

    Verdutzt blickte Aras von seinem Schreibtisch auf, als Daryk das Zimmer betrat.
    „Daryk? Was willst…“, fing er an, verstummte aber schnell als er den Blick des Ritters bemerkte.
    Hinter Daryk schob der Wachmann seinen Kopf durch die Tür.
    „Verzeiht, Herr“, entschuldigte er sich, „Ich konnte ihn nicht aufhalten.“
    Aras winkte ab. „War zu erwarten. Ich werde mit ihm fertig, schließt die Tür!“
    „Das werden wir sehen!“
    Der Soldat verbeugte sich kurz und tat wie ihm geheißen.
    „Du hast mich verflucht!“, warf Daryk dem Magier mit ruhiger Stimme vor.
    „Ist es nicht egal, wie man es nennt, solange es das tut, was ich angekündigt habe?“, blockte der Lord die Anschuldigungen ab.
    Er hatte nicht unrecht damit, aber der Fluch an sich war auch nicht Daryks Problem dabei.
    „Das ist wahr“, stimmte er Zacharas zu und ging langsam auf den Schreibtisch zu, „bis darauf dass du vergessen hast die Nachwirkungen zu erwähnen!“
    „Es war wichtig, dein ganzes Potential zu nutzen! Du hättest den Oger niemals ohne meine Hilfe besiegt!“
    , verteidigte sie der Herzog mit erhobenem Zeigefinger.
    Aus einer Ecke des Raumes war Kuen, welche gerade Bücher in ein Regal einsortiert hatte, zu hören: „Mein Herzog wollte keine Zweifel in Euch sähen! Das hätte Euch nur geschwächt!“
    „Zweifel?!“
    , knurrte Daryk und näherte sich dem Schreibtisch weiter. Wenn es eines gab, woran Daryk niemals zweifelte, waren es seine Fähigkeiten im Kampf.
    „Bist du sicher, dass es nicht daran lag, dass du Angst hattest ich würde dein ‚Angebot‘ ablehnen?“, verlangte er zu wissen. Inzwischen war er am Schreibtisch angekommen und blickte auf den sitzenden Zacharas hinunter. Zurückerinnert an die Magier seiner Heimat, welche ebenso nur auf ihr eigenes Wohl aus waren, spüre Daryk eine tiefe Abscheu gegenüber dem Mann.
    Schweigend kratzte sich der Zauberer am Kinn und musterte Daryk. Nach kurzem schweigen zeigte Aras auf Daryk und meinte: „Ich glaube dein Problem liegt bei dir selbst, Daryk!“
    „Tut es das“
    , knurrte dieser und tat sich schwer seine Wut in Zaum zu halten.
    Lächelnd nickte Aras. „Ist es nicht viel eher so, dass du sauer bist, dass ich euch am Lagerfeuer… gestört habe? Dass du deine tote Frau nicht mit Daphne ersetzen kannst, die ihr oh so ähnlichsieht, weil sie dir als Ritter auch gar nicht zusteht?“
    Daryk fühlte seine Hände sich zu Fäusten ballen und musste seinen ganzen Willen aufbringen um den Herzog nicht über seinen Schreibtisch zu zerren und durch den Raum zu werfen.
    Ganz dünnes Eis, Herzog!, spie er Aras entgegen. Einerseits hatte er natürlich recht. Daryk war wütend, dass dieser Moment unterbrochen worden war, aber die Anschuldigung, Khyla durch Daphne zu ‚ersetzen‘ war zu viel.
    Kuen hatte wohl gesehen, dass Daryk sich anspannte und kam herübergelaufen.
    Sie griff Daryk am Arm und meinte: „Das reicht jetzt, der Herzog muss…“
    „Der Herzog muss gar nichts!“
    , unterbrach Daryk die Frau und schob sie fester als eigentlich beabsichtigt von sich. Sie stolperte ein paar Schritte zurück und wollte sofort wieder auf ihn zulaufen, bevor sie den Blick des Ritters bemerkte und wie angewurzelt stehen blieb.
    „Hör zu, es tut mir Leid, was mit deiner Familie geschehen ist“, sprach Aras in einem Tonfall, der es schwer machte ihm zu glauben, „aber auch ich habe jemanden verloren, der mir wichtig war. Und bei der Schlacht hätte ich beinahe alles verloren, was ich besitze! Ich weiß was du…“
    Weiter kam der Herzog nicht, denn Daryk, dem der Geduldsfaden jetzt endgültig gerissen war, hatte über den Tisch gegriffen und ihn am Kragen gepackt. Er zog den Magier über seinen Schreibtisch und hielt ihn sich vors Gesicht.
    „Du weißt gar nichts!, schrie er Aras ins Gesicht, „hast du eine Ahnung wie es ist alles zu verlieren, was du hast, was du bist? Die Menschen die du liebst, deine Familie. Deine Heimat, Deinen Namen! Ich habe alles verloren, nicht einmal mein verfluchtes Gesicht hat man mir gelassen. Jede Nacht höre ich die Schreie meiner Familie, wie sie in meinen Armen verbluten, jede Nacht spüre ich die Brandeisen, die mir Mörder und Verräter ins Gesicht brennen, für Taten, die ich nicht begangen habe. Du hast mich drei Tage leiden lassen, um deine verfluchte Stadt zu retten und mir nicht einmal gesagt, was passieren wird. Drei Tage habe ich alles was ich je geliebt habe sterben sehen. Drei verdammte Tage.“
    Einmal atmete er tief durch und sammelte sich wieder. Ganz langsam und mit einer Ruhe in der Stimme, die hoffentlich klarmachte, dass er nicht scherzte, zischte er den Herzog an: „Wenn du es noch einmal wagst, deine verdammte Magie auch nur in meine Richtung zu wirken, oder meine Familie zu erwähnen reiße ich dir die Zunge raus und stopf sie deiner kleinen Verräterfreundin in den Hals! Hast du mich verstanden?“

    Ohne die Antwort auf seine Frage abzuwarten ließ er Aras los und drehte sich zur Tür. Der Herzog, landete auf seinem Schreibtisch rief nach seinen Wachen. Sofort öffnete sich die Tür und vier Soldaten stürmten herein. Der einsame Wachmann vor der Tür hatte offensichtlich nichts anderes erwartet und Verstärkung gerufen.
    „Schafft diesen Mann aus meiner Burg!“, verlangte der Herzog und kletterte von seinem Schreibtisch.
    Zögerlich kamen die Wachen auf Daryk zu, welcher nur meinte: „Macht euch keine Mühe, ich finde die Tür alleine.“
    „Bin ja auch alleine reingekommen.“
    Mit diesen Worten schob er sich an den Männern vorbei und ließ den schimpfenden Hausherren, sowie die Burg hinter sich.

    Draußen schien die Sonne, als wäre hier alles wie immer. War es aber nicht. Nachdenklich stapfte Daryk durch die Straßen der Stadt und sah sich um. Überall waren Leute damit beschäftigt, die Schäden an der Stadt zu reparieren und zerstörte Gebäude wiederaufzubauen.
    So in etwa musste es in seinem Körper aussehen, wenn Daphne seine Wunden heilte. Nur schneller. Körperliche Wunden konnte sie problemlos heilen. Seelische vermutlich auch, aber scheinbar wollte sie das nicht.
    Als er an einer Taverne vorbeikam, die aussah, als könnte sie die Nacht überstehen ohne zusammenzufallen, beschloss Daryk dort zumindest einmal den Abend, wenn nicht sogar die Nacht, zu verbringen. Irgendwo musste er ja schlafen und er hatte so eine Ahnung, dass es nicht in der Burg sein würde.
    Stickige Luft schlug dem Ritter entgegen, als er durch die Tür ins Innere des Gebäudes trat. Wie immer, wenn er durch eine Tür trat, die nicht gerade zu Aras Arbeitszimmer gehörte, musste er den Kopf einziehen.
    Der Schankraum war gut gefüllt, aber ein Tisch in der Ecke war noch frei. Langsam schritt er durch das Gasthaus und beanspruchte den Tisch für sich. Neben dem Tresen saß ein Spielmann, der auf seiner Laute vor sich hin spielte und Daryk mit seiner tief ins Gesicht gezogenen Kapuze stark an Thorvid am Lagerfeuer erinnerte. Aber warum sollte Daphnes Halbbruder hier in einer Taverne sitzen und Laute spielen.
    Schnell schüttelte Daryk den Kopf, um die Gedanken an den Abend am Lagerfeuer zu vertreiben, und bestellte sich etwas zu trinken.
    Hunger hatte er keinen, da Theic ihm so viel zu essen gebracht hatte, dass nicht einmal er es nach drei Tagen fasten hatte aufessen können.
    Bald brachte der Wirt seine Bestellung und am Nachbartisch begannen die Nordmänner zu tuscheln und ‚heimlich‘ auf ihn zu zeigen.
    Auch wenn es ihm frühergelungen war, trotz seiner Größe in der Masse zu verschwinden, machte die schwarze Rüstung mit dem blutroten Stein das fast unmöglich. Daryk war bemüht, die Männer einfach zu ignorieren und trank still seinen Met.
    Seinen Blick auf den Tisch gerichtet, versuchte er zu vergessen, was geschehen war. Das Lagerfeuer, die Tatsache, dass Daphne ihn von sich geschoben hatte und auch die Tatsache, dass sie nach Hause wollte und er nicht wusste, ob sie seine Anwesenheit wollte oder nicht.
    Bald war der erste Krug geleert und der Wirt brachte bereits einen neuen, ohne dass Daryk etwas sagen musste. Vermutlich war es offensichtlich, dass ein Mann, der alleine in die Taverne kam und alleine an einem Tisch saß nicht viel mehr vorhatte außer zu trinken.
    „Stimmt es, was man über euch sagt?“, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.
    Langsam hob Daryk den Kopf und blickte in die grünen Augen einer der Nordmänner. Eine ganze Traube der Soldaten aus Devyleih hatte sich um ihn versammelt und starrte ihn erwartungsvoll an. In der Annahme, sie sprachen von dem Oger nickte er kurz und wusste bereits, dass es vorbei war mit seiner Ruhe.
    „Ihr habt wirklich einen Oger mit bloßen Händen getötet?“
    , fragte ein anderer ungläubig.
    War ja klar, dass wieder irgendjemand was dazu erfindet.
    „Nein“, wiedersprach der Ritter kopfschüttelnd und nahm einen tiefen Zug aus seinem Krug.
    Beinahe enttäuscht blickte der Haufen Soldaten ihn an. „Dann seid ihr also nicht der Ogerschlächter?“, quäkte jemand aus der zweiten Reihe.
    Daryk kratzte sich am Kopf und sah ein, dass er wohl mehr als nur „doch“ antworten musste, wollte er nicht stundenlang weiterdiskutieren.
    „Ich habe aber eine Axt benutzt“, fügte er daher hinzu.
    Die Menge brach in tosendes Geschrei aus und ungefragt setzten sie sich zu ihm an den Tisch und bestellten eine Runde. Auch für ihn. Immerhin.
    Schulterzuckend nahm er es hin und leerte seinen Krug.
    „Wie war es?“, fragte einer der Männer, „wie fühlt es sich an, einen Oger zu töten?“
    Daryk ignorierte die Frage. Wie sollte es sich schon anfühlen? Auch nicht anders als bei jedem anderen Gegner auch. Daryk spürte keine Freude, kein Erbarmen und kein Mitleid, wenn er seine Feinde besiegte. Warum auch? Er hatte ihnen nicht angeschafft, ihn anzugreifen.
    Das einzige Mal, dass er etwas wie Genugtuung verspürt hatte war Heinrich gewesen, aber das war… etwas anderes. Etwas Persönliches.
    Allem Anschein nach hatten die Männer verstanden, dass er nicht mit ihnen reden wollte, denn sie hatten sich damit abgefunden und unterhielten sich untereinander. Leider hielten sie es nicht für nötig, auch seinen Tisch zu verlassen, daher saß Daryk nun inmitten der betrunkenen Nordmänner, die eine Runde nach der anderen bestellten. Gelangweilt saß er da und lauschte dem Klang der Laute zwischen dem Lärm der Trinkenden.
    „Habt ihr die Zofen gesehen, die der Prinz für die Prinzessin mitgebracht hat?“
    , fragte einer in die Runde.
    „Nicht nur gesehen“, grinste ein anderer, „sogar in meinem Zelt gehabt!“
    „Welche? Die Blonde oder die Brünette?“
    , wollte jemand, den Daryk gar nicht sehen konnte, wissen
    Laut grölend rief ein weiterer: „Die Blonde! Die andere war nämlich bei mir!“
    Schallendes Gelächter brach aus und krachend stießen die Krüge zusammen und verschütteten einen nicht unerheblichen Teil ihres Inhalts über den Tisch.
    „Wenn das eure Ehefrauen wüssten“
    , lachte der, der nach den Zofen gefragt hatte und stieß noch einmal mit den Frauenhelden an.
    Daryk blickte auf. Offensichtlich sollte man auch in Devyleih das Brandzeichen zur Hochzeit einführen, um die Männer an ihren Schwur zu erinnern.
    „Was interessiert mich meine Frau“, winkte der Soldat ab, „ich wusste ja nicht einmal, ob ich wieder nach Hause komme und sie wieder sehe!“
    „Genau!“
    , stimmte der andere Ehebrecher mit ein, „abgesehen davon, würde ich für unsere Prinzessin jede andere Frau sitzen lassen!“
    Mit fest zusammengebissenen Zähnen starrte Daryk den Mann an und musste sich sehr anstrengen, ihm nicht den Krug an den Kopf zu werfen.
    Er erhob sich vom Tisch und der Klang der Laute verstummte einen Moment, bevor er zwischen dem tosenden Applaus der Betrunkenen wieder zu hören war.
    Schweigend und mit starrem Blick verließ er den Tisch mit den Ehebrechern, setzte sich an einen der inzwischen frei gewordenen Plätze an der Theke und bedeutete dem Wirt, ihm noch einen Krug zu bringen.
    „Was könnte einen so großen Mann wie euch belasten?“, fragte der alte Wirt, als er Daryk die Bestellung vor die Nase stellte. Stumm nahm der Ritter den Krug auf und begann zu trinken, als ein „meine Schwester“ neben ihm ertönte.
    Daryk fuhr herum und sah Yorick, der sich neben ihn gesetzt hatte.
    „Dabei ist sie so winzig“, führ der Blonde grinsend fort und Daryk starrte wieder wortlos geradeaus.
    „Bei den Göttern“, lachte der Wirt, „eine Frau! Was auch sonst.“
    Wieder einer dieser Momente, in denen Daryk sich wünschte sich in Luft auflösen zu können, aber egal wie sehr er es auch wollte, er blieb wo er war.
    Er fragte sich, warum eigentlich alle wussten, was am Lagerfeuer gewesen war, wo er doch alleine mit Daphne war. Wie auch immer, jetzt war er hier und musste die Situation über sich ergehen lassen.
    „Warum redet Ihr denn nicht mit ihr?“, wollte der Wirt wissen und schenkte Daryk noch einmal nach.
    Lachend nahm Yorick einen Zug aus seinem Krug und meinte dann: „Weil er weniger Angst vor Ogern hat, als davor mit einer Frau zu reden!“
    Mit leerem Blick schaute Daryk ihn an und stellte fest, dass er vermutlich recht hatte. Wieder nahm er einen großen Schluck aus dem Krug und überlegte, was er tun musste, um dieser Unterhaltung zu entkommen.
    Der Wirt sah ihn amüsiert an und meinte nur: „Dann sucht ihr vermutlich euren Mut auf den Böden dieser Krüge?“
    „Bringt mal schön neue, bis er ihn gefunden hat“, verlangte Yorick, warf eine Handvoll Goldmünzen, auf den Tisch und erhob sich wieder vom Tresen, „Ich muss mich um Männer kümmern, die nicht genug Angst vor meiner Schwester haben!“
    Ohne wirkliches Interesse schaute Daryk dem Prinzen hinterher erkannte aber zu seiner Verwunderung, dass er zu den Nordmännern ging die Daryks Tisch in Beschlag genommen hatten.
    Nach einer kurzen Unterhaltung schlug er dem ersten die Faust ins Gesicht und warf ihn in Richtung des Tresens. Der Ritter hielt seinen Krug fest als der Mann in die Theke einschlug und schenkte dem Kerl keine weitere Beachtung. Ein Vorteil seiner Körpergröße war, dass er für gewöhnlich selbst entscheiden konnte, ob und wann er in eine Kneipenschlägerei einsteigen wollte. Momentan hatte er das Gefühl, dass der blonde Prinz die Lage alleine unter Kontrolle hatte. Daher beschloss er einfach sitzen zu bleiben und seinen schon bezahlten Met zu genießen. Zumal sich der ‚Barde‘ tatsächlich als Thorvid herausstellte, der nun ebenso wie Yorick durch die Soldaten pflügte und ihnen die verdiente Abreibung verpasste.
    Ein lautes Krachen verriet, dass einer der Soldaten Thorvids Laute abbekommen hatte. Der Mann der kurz darauf mit blutender Nase und Holzsplittern im Gesicht in Daryk stolperte, bestätigte diese Vermutung. Der Trinkende Ritter wischte den Verletzten etwas ungeschickter als normalerweise beiseite, wie andere eine Fliege und wandte sich wieder seinem Getränk zu. Er konnte den Krug gar nicht so schnell leeren, wie der Wirt ihm nachschenkte. Verwundert, wie der Mann so ruhig bleiben konnte, während um ihn herum sein Laden zerlegt wurde, bemerkte Daryk wie Yorick einen der Männer am Fuß in seine Richtung zerrte.
    „Wollt Ihr auch mal?“, grinste der Prinz, was selbst Daryk ein Lächeln entlockte.
    „Gerade nicht“, lehnte er ab und leerte einen weiteren Krug.
    Mit einem Schulterzucken trat Yorick den am Boden liegenden Mann in den Bauch und lies ihn sich vor Schmerzen krümmen. Noch einmal wandte er sich an Daryk und fragte ob dieser seinen Mut schon gefunden hätte, stürzte sich aber wieder ins Getümmel, als er keine Antwort erhielt. Langsam spürte Daryk, wie der Met seine Wirkung tat und seine Sinne ein wenig getrübt wurden. Noch lange nicht in einem Maße, dass ihn beunruhigte, aber es war spürbar.
    Kurz darauf kam der nächste Nordmann zum Tresen getaumelt und Daryk erkannte ihn als denjenigen, der behauptet hatte, jede Frau für die Prinzessin sitzen zu lassen. Er beschloss, dass dies der Zeitpunkt war, auch etwas zur Schlägerei beizutragen und schlug den Kopf des Mannes auf die Theke. Als dieser bewusstlos zusammensackte widmete er sich dem nächsten Krug.

    Anscheinend hatte die Schlägerei ein Ende gefunden, denn Yorick und Thorvid setzten sich links und rechts von Daryk und bestellten auch jeweils einen Met. Kurz warf der Ritter noch einen Blick hinter sich und fand wie erwartet die Soldaten am Boden liegend oder gekrümmt aus der Taverne eilen.
    „Was ist los mit Euch?“, zerstörte Yorick die neu eingekehrte Ruhe wieder, „Was hat meine Schwester getan, dass Ihr hier alleine rumsitzt, anstatt das nächste Lagerfeuer aufzusuchen?“
    Daryk strich sich über den Kopf und überlegte. So richtig hatte er darauf auch keine Antwort. Er hatte einfach das Gefühl, dass sie seine Anwesenheit nicht ertrug und noch weniger alleine mit ihm sein wollte. Immerhin hatte sie ihn von sich geschoben und schien fast froh, als Thyra und Theical das Zimmer betreten hatten.
    Yorick starrte ihn immer noch an, was Daryk klarmachte, dass er auf eine Antwort wartete.
    „Gezeigt, dass sie lieber alleine ist“, nuschelte er etwas unsicher in seinen Bart.
    Überrascht schauten die beiden Brüder sich an und Daryk fühlte sich ein wenig wie in einem Verhör. Nur dass dieses Gespräch mehr wehtat als alle Verhöre in der letzten Zeit.
    „Dann fragt sie!“, verlangte Yorick, „am Abend der Hochzeit sah es für mich nicht so aus, als wollte sie alleine sein. Immerhin nahm sie in Kauf, sich vor uns zu Euch zu setzen!“
    Das stimmte auch. Irgendetwas war an diesem Abend anders gewesen und auch als er von seinem Traum erwacht war saß sie an seinem Bett. Würde sie das tun, wenn sie alleine sein wollte? Er rieb sich die Augen. Er hatte so viele Fragen und so wenige Antworten. Irgendwo in diesem Gewirr aus Gefühlen wanderten auch immer noch die Geister seiner Familie herum.
    „Vielleicht ist in diesem Krug der nötige Mut“, schlug der Wirt vor und schenkte noch einmal nach.
    „Wenn er noch lange sucht, kann er nicht mehr reden“, meinte Yorick belustigt.
    Der Verhörte starrte wieder mit glasigen Augen geradeaus und griff nach dem Krug. Kurz wunderte er sich wo seine Kraft geblieben war, stellte dann aber fest, dass Thorvid den Krug festhielt und ihm in die Augen starrte.
    „Das ist genug!“, bestimmte der Mann mit der Kapuze und weigerte sich, den Krug loszulassen. Mit Gewalt wollte Daryk sich den Krug nicht holen, also ließ er ab und schaute die drei Männer um ihn herum abwechselnd an.
    „Und jetzt?“, fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte.
    Yorick nahm einen Schluck seines Mets und meinte: „Thorvid ist anscheinend der Meinung, dass Ihr mit ihr reden solltet. Und wenn der das sagt…“
    „Sollte ich es vermutlich tun“, vollendete Daryk den Satz gedanklich, lies den Kopf sinken und nickte. Sie hatten wohl recht. Er erhob sich von seinem Platz bedankte sich knapp für die Gastfreundschaft und verließ die Taverne mit einem klaren Ziel vor Augen.

    Inzwischen war es Nacht geworden und die schwarzen Mauern der Burg türmten sich über der Stadt auf. Daryk hatte nicht erwartet, heute noch einmal dorthin zurückzukehren, aber es fühlte sich richtig an.
    Die Wachen hatten scheinbar keine Order erhalten ihn nicht mehr hereinzulassen und da er alleine herausgelaufen war, wusste auch keiner an der Tür von Aras Befehl ihn zu entfernen. Wie selbstverständlich stapfte er schwerfällig durch das Burgtor und suchte den Weg zu dem Zimmer in dem Daphne schlief.
    Nach kurzem Herumirren fand er schließlich Daphnes Wohnraum. Eine gefühlte Ewigkeit stand er vor der Tür und überlegte ob er klopfen oder es doch lassen sollte, als er eine Stimme aus dem inneren hörte. Er war sich sicher, es war die Stimme einer Frau, aber nicht Daphnes oder Thyras. Er schluckte sein schlechtes Gewissen, sie zu belauschen herunter und hielt das Ohr an die Tür.
    „Du bist nicht allein, weder in dieser Welt noch in der anderen“, konnte er die Stimme sagen hören, „Auch ich bin stets bei dir, vergiss das nicht. Das war ich immer, selbst bei deinem Tod. Ich stehe allen meinen Töchtern bei, auch wenn ich keine mehr davor bewahren kann, was im Meer auf sie lauert … Ich war nicht stark genug.“ Die Stimme wurde immer leiser und schwächer, sodass Daryk sich immer fester an die Tür presste. Mit dem rechten Unterarm kann er an die Türklinke und die Tür schwang auf. Gerade noch konnte er verhindern ins Zimmer zu fallen und hielt sich am Türrahmen fest.
    Seine getrübten Sinne nahmen eine bleiche Figur wahr, welche, mit Algen behängt, neben Daphnes Wanne kniete und mit ihr redete. „Befreie dich. Manchmal lässt sich Feuer nur mit Feuer bekämpfen oder in dem Fall mit Wasser“, flüsterte die Frau, die aussah, als hätte sie wochenlang im Wasser gelegen, „Baue eine Mauer um dich herum auf, hinter die sie nicht schauen kann.“
    Noch während sie den letzten Satz sprach, erhob sie sich von der Wanne und drehte sich zu Daryk, der ohne eine Chance sich zu verstecken in der Tür stand und nach einer Ausrede suchte.
    Bevor ihm irgendetwas in den Sinn kommen konnte, bewegte sich die Wasserleiche übernatürlich schnell neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    „Lass sie nicht allein, die anderen waren es und verloren den Kampf!“
    , wies sie ihn an und verzog den verfaulten Mund zu einem schiefen Lächeln.
    „Kampf?“, wiederholte Daryk leise, bekam aber keine Antwort mehr, da die Frau bereits verschwunden war.
    Während er sich noch fragte, ob er wieder träumte, begann Daphne in ihrer Wanne zu schreien und das Wasser spritzte in alle Richtungen heraus. Mit leuchtend blauen Augen begann Daphne sich zu erheben und Daryk beschloss, dass das nicht der richtige Zeitpunkt für so ein wichtiges Gespräch war. Schnell zog er an der Tür, versuchte sie zu schließen und versteckte sich in dem Zimmer, in dem er die letzten drei Tage gelegen hatte.
    Nachdem er sowieso schon hier war, legte er sich auf das Bett und während er noch einmal darüber nachdachte, was gerade passiert war fiel er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

    Am nächsten Morgen erwachte er erstaunlicherweise ohne Kopfschmerzen und fragte sich erneut ob er die Begegnung mit der Wasserleiche geträumt, oder sich im Alkoholrausch eingebildet hatte. Dann stellte er fest, dass seine Schulter voller Algenblätter war und schloss daraus, dass sie wohl echt gewesen sein musste.
    Er fragte sich, was für ein Kampf Daphne bevorstand und warum er sie nicht alleine lassen durfte. Nicht dass er das vorhatte, aber man konnte ja nie wissen.
    Da er wusste, dass die Nordmänner heute abreisen wollten, kratzte er die Algen von der Rüstung und ging zum Lager der Männer aus Devyleih.
    Die anderen waren bereits da, wobei Aras ihn keines Blickes würdigte, was Daryk auch nur recht war. Theical stand neben Aras und sah aus, als hätte er seine Verabschiedungsrunde bereits beendet. Thyra und Jaris verabschiedeten sich gerade von Arthur und Thorvid, während Yorick seine Schwester im Arm hielt und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte. Sie versprach so schnell wie möglich nachzukommen und trat einen Schritt zur Seite, als sie Daryk sah.
    Yorick kam auf ihn zu, reichte ihm die Hand, klopfte ihm auf die Schulter und flüsterte: „Bis bald!“

  • Verkrampft nahm Aras wieder Platz auf seinem Stuhl, bevor Kuen kopfschüttelnd auf ihn zu stiefelte.
    "Verräterfreundin hat er mich betitelt!", murrte sie und zeigte provokant zur Tür. "Habt Ihr gehört, wie er mich genannt hat?!"
    "Lass' doch gut sein", bewertete er abwimmelnd und lehnte seine Unterarme auf dem Tisch ab. "Es ist verständlich, dass er diesbezüglich so in Rage ist..."
    "Aber das ist noch lange kein Grund, mich mit reinzuziehen!"
    "Es ist ja nicht so, dass er keine Kritik verkraftet", meinte Aras und schob ein paar Bücher zur Tischecke. "Er hat halt nur noch keinen Weg gefunden, mit seiner Vergangenheit abzuschließen... Jeder hat mal diese Phase, an der es sich entscheidet. Dank dir, Kuen, konnte ich meine überwinden. Natürlich trugen auch Daphne und Theical ihren Teil dazu bei..."
    "Das ist mir egal, was für eine Phase er durchmachen muss! Nur weil er der körperlich Stärkste hier ist, ist er noch lange nicht berechtigt, dies jedem unter die Nase zu reiben..."
    Erstaunt blickte Aras drein. "Ach, du meinst die Oger-Sache."
    Sie nickte kräftig. "Es beleidigt mich zutiefst, wenn man den ganzen Sieg nur auf dieses eine Ereignis münzt."
    "Kuen, beruhige dich wieder." Er deutete auf die Bücher hin. Sie rubbelte sich kurz übers Gesicht und nahm sich dann die Bücher, um sie rüber zum Regal zu bringen.
    Aras sprach weiter: "Gönne es den Leuten, denn sie sehen nur das Außergewöhnliche."
    "Außergewöhnliche?!", hinterfragte sie harsch und stopfte wütend die Bücher in die freien Lücken. "So einiges war außergewöhnlich in dieser Schlacht. Habt Ihr das Gewitter bemerkt? Die Wassermagie der Prinzessin oder die Meisterschützin? Sogar Eure Tat am See war eine Erwähnung wert."
    "Kuen, ich bin mir ziemlich sicher, Daryk schmerzt es ebenso sehr, dass er nur an seinen schrecklichen Taten gemessen wird und nicht an seinen guten."
    "Schön, dass Ihr so denkt", konterte Kuen und ließ das letzte Buch in der Sammlung hart zu Boden fallen. Aras schreckte sofort rum und starrte sie verdutzt an.
    Sofort hob sie es wieder auf, rollte dabei aber mit den Augen. "Ich möchte auch mal gelobt werden. Ich möchte nicht ständig bei anderen im Schatten stehen und munter Beifall klatschen."
    "Also ich bin stolz auf deine Leistung, Kuen."
    Stöhnend entgegnete sie: "Nicht Ihr sollt mich loben, sondern die anderen."
    "Macht es so einen großen Unterschied?"
    "Für mich macht es das."
    Tief schnaufend stützte er seinen Kopf auf der Hand ab und wagte einen flüchtigen Blick zur Tür. "Ich sehe meinen Fehler ein. Ich hätte Daryk gar nicht erst dieses Angebot machen sollen. Anscheinend kann ein Fluch niemals gut enden."
    Von Kuen kam keine Reaktion darauf.
    Aras sprach weiter: "Darum werde ich ab sofort niemals wieder einen Zauber an irgendjemanden anwenden."
    Daraufhin schaute sie ihn verdutzt an, sagte aber immer noch nichts.
    "Und das Finsternispulver werde ich auch wieder einziehen."
    Nur ein hartes Naserümpfen ihrerseits.
    "Am Ende schaden sie sich doch wieder nur selbst und mir wird es vorgehalten." Mit diesen Worten erhob er sich von seinem Stuhl, ging zur Tür und trat kurz aus. Er blickte zu den Wachen, winkte sie heran und verkündete: "Wenn Daryk später wieder in die Burg will, lasst ihn einfach. Ich möchte keinen unnötigen Zwist mit ihm."
    Ohne Widerworte oder andere Anspielungen bestätigten sie nickend und bezogen wieder Stellung. Aras ging wieder in sein Zimmer und schloss die Tür. Anschließend leistete er Kuen in den Regalen Gesellschaft.
    "Herzog?", flüsterte sie zögerlich und knetete leicht die Schriftrolle in ihren Händen.
    Er betrachtete sie aus den Augenwinkeln und deutete zum Weiterreden an.
    Nach kräftigem Schlucken sprach sie weiter: "Hättet Ihr den Fluch auch bei mir angewandt, hätte ich es Euch erlaubt oder drum gebeten?"
    "Definitiv nicht!", bestätigte Aras sofort und griff beherzt nach ihrer Schriftrolle. Nach kurzem Betrachten stelle er fest, dass sie ihm völlig unwichtig war, also bugsierte er sie wieder im freien Regalfach.
    Kuen musterte ihn eingehend, versuchte seine Gesten zu deuten. Etwas betrübt schaute er drein, aber nicht wütend oder verärgert. "Warum nicht?"
    "Weil du eine Frau bist", erwiderte er trocken und zählte leise die Bücher ab. "Ich tue Frauen kein körperliches Leid an."
    Sie nickte angedeutet. "Und bei Euch selbst?"
    Da schüttelte er den Kopf und winkte ab. "Viel zu riskant! Bei mir hätte er immer die negative Wirkung."
    Stirnrunzelnd fragte sie nach: "Warum? Nicht falsch verstehen, aber ich habe Euch in der Schlacht stets besonnen und mutig erlebt."
    "Da ich die Nachteile kenne, hätte ich sie sofort reflektiert, sobald man mich verletzt hätte."
    Da lachte sie dezent. "Irgendwie kann ich das nicht glauben, Herzog."
    "Es ist ja nicht so, als hätte ich es noch nie getan", erwiderte er daraufhin. "Ich war fünfzehn, da habe ich den Fluch entdeckt. Und wie man das so als junger Bursch macht, probiert man alles an sich selbst aus."
    Skeptisch schaute die drein. "Ihr habt Euch mit fünfzehn Jahren selbst verflucht?"
    Aras nickte und erzählte weiter. "Anfangs lief alles gut, ich fühlte mich recht normal. Bis ich mich durch einen dummen Zufall am Finger geschnitten hatte... Sofort spürte ich den Schmerz und steigerte mich immer mehr hinein."
    Immer größere Augen machte Kuen und suchte Halt am nächstgelegenem Regal. "Was genau geschah?"
    "Ich sperrte mich ein und kauerte mich unter den Tisch. Einen ganzen Tag lang winselte und jammerte ich. Alles tat mir weh, ich konnte mich nicht mehr bewegen. Und ständig plagten mich grässliche Bilder..."
    "Und wie ging es aus?"
    "Irgendwann wurde ich ohnmächtig und fiel in einen tiefen Schlaf. Als ich wieder aufwachte, war bereits nächster Morgen und die Wachen hatten meine Tür eingetreten."
    Ihr stockte kurzzeitig der Atem. Beherzt griff sie sich an die Kehle und rieb sich sanft daran. "Das verstehe ich aber nicht... Warum wendet ihr dann trotzdem weiterhin diesen Fluch an, wenn er Euch selbst doch so sehr schadet?"
    "Weil er bei anderen ähnlicher Willensstärke positiv wirkt." Dies gesagt, verließ er die Regale und Kuen und ging wieder zu seinem Tisch rüber. Sie glotzte ihn nur verblüfft an, während ihre Hände ferngelenkt über die Buchrücken strichen. Aras bemerkte ihre Verwirrung und bat sie mit lockender Geste zu sich ran. Nach tiefen Durchatmen kam sie der Bitte nach und nahm auf der Tischkante Platz.
    Aras begann zu erzählen. "Ich leugne nicht, dass ich den Fluch auch gerne mal an Gefangenen angewendet habe. Meine Vermutung schien sich bestätigt zu haben, dass er die Opfer schwächt... Bis einer dabei war, der ähnlich wie Daryk keine Angst zu kennen schien. Bei ihm hatte es den umgekehrten Effekt, er wurde immer stärker dadurch."
    "Und was ist mit ihm geschehen?"
    "Nichts weiter. Ich habe den Fluch ausklingen lassen und konnte den Gefangenen wieder normal verhören."
    "Und warum habt Ihr ihn nun auf Daryk angewendet?"
    "Er kam mir stark genug vor, diese Strapazen zu überstehen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er sich mit einem Oger anlegt, oder dass Daphne keine Verfluchten heilen kann. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich den Vorschlag nicht gebracht."
    "Also Daphne ist daran garantiert nicht schuld", entgegnete sie schmollend.
    "Ich gebe ihr auch meine Schuld dafür. Das hätte mir ebenso passieren können, wäre ich der Heilmagie mächtig."
    "ich möchte auch nicht mehr, dass Ihr eure Freunde verflucht. Die setzen ihre Kräfte schließlich auch nicht gegen ihresgleichen ein..." Kurz unterbrach sie sich selbst, fügte dann aber an: "Außer natürlich Daphnes heilende Magie. Die ist ja schließlich gut für uns..."
    "Kuen", sprach er und nahm ihre Hand, "keine Magie ist gänzlich gut oder böse. Ich hätte ebenso gut Thyra mit einem Feuerball treffen können, oder Theical wäre in einen meiner Schattenblitze gelaufen. Dann wären sie mir diesbezüglich böse gewesen. Es kann alles passieren. Ebenso hätte Jaris mich mit einem Blitz treffen können."
    "Aber es ist nicht passiert", widersprach sie und schlug sanft ergriffene Hand auf den Tisch. "Immer passiert den anderen etwas wegen Eurer Magie. Und das macht mich traurig. Ich weiß, dass Ihr es nicht böse meintet, ihr es Daryk nicht wünschtet. Aber ständig habt Ihr das Pech."

    ***

    Am nächsten Tag war der große Abschied. Die Nordmänner reisten wieder ab. Da durfte der Lord natürlich nicht fehlen. Zusammen mit Kuen bedankte er sich nochmal bei allen, besonders bei Yorick, Arthur und Thorvid. Seiner Truppe dankte er auch für die großzügige Hilfe, was sie ihm auch mit dezent freundlichen Blicken wiedergaben. Nur mit Daryk fühlt er sich noch nicht so recht verbunden, weshalb er ihn auch keine Worte schenkte, aus Angst, wieder etwas Falsches zu sagen.
    Als Daphne ihr Pferd holte und verkündete, auch nach Delyveih zu reisen, wollten natürlich auch die anderen gleich mitkommen. Aber Zacharas dankte ab. Seine Gründe waren diesmal wirklich berechtigt. Der verachtende Blick Daryks hatte damit aber nichts zu tun. Dem Lord war bewusst, dass der Ogerschlächter auf der Reise über ihn herziehen könnte. Jedoch wollte und konnte Aras dies nicht verhindern. Der Abschied war kurz und ohne viele Worte. Kuen hielt sich auch zurück, was ihr aber sichtlich schwerfiel.

    ***

    Ein paar Tage später abends saß Aras wieder im Schlafzimmer auf seinem Stuhl und las sich nochmals sein Geschriebenes durch. Ein Brief an die Elfen, in welchem er ihnen nochmals nachträglich seinen Dank verkündete. Zacharas wusste nicht, ob er persönlich nochmal dort vorbeikam, darum wollte er den Brief am Folgetag mit einem Boten verschicken lassen.
    Viel dachte der Lord in den letzten Tagen über alles nach, was ihm und Kuen vorgeworfen wurde. Sprach aus Daryk noch der Fluch? Oder waren es seine wahren Empfindungen?
    Aras konnte es nicht leugnen, dass er von Daryk nie sehr viel hielt. Auch nun zweifelte er an seiner Entscheidung, sich beim Hünen entschuldigt zu haben. Sicherlich war die Entschuldigung ehrlich gemeint und auch nötig. Jedoch befürchtete er, dass dies mit der Fluch-Aktion verspielt worden war.
    Zacharas wollte Daryk nie damit schädigen oder ihm das Leben erschweren. Ebenso wenig wollte er damit Daphne beunruhigen oder gegen sich aufhetzen. Es war nie so geplant vom Lord und trotzdem war es nun geschehen.

    Kuen lag derweilen in ihrem Bett und starrte die Decke an. Ein weißes Nachthemd trug sie, welches Zacharas ihr neu gekauft hatte. Sonst hatte er nur Damenbekleidung verschiedener Frauen, mitunter einiger Sklavinnen. Er lag immer viel Wert darauf, dass sie ordentlich eingekleidet waren, sofern er sie nicht unbekleidet herumlaufen ließ.
    Mit Schmuck hätte er auch bieten können, doch lehne Kuen dies vorerst ab. Seine Reichtümer wollte sie nie. Weder gestohlen, gekauft oder geschenkt.
    "Wann wollt Ihr morgen los?", fragte sie in die Stille des Raumes.
    Kurz hielt er inne und drehte sich anschließend zu ihr um. "Gegen Mittag vermutlich."
    Ein flüchtiger Blick von ihr mit nach hinten gestreckten Kopf, gefolgt von einem leichten Schmunzeln.
    Aras schmunzelte zurück. Freute er sich so sehr darüber, Kuen bei sich zu haben. Sein Schriftstück legte er sogar für einen Moment nieder, was wahrlich zeigte, dass sie ihm mehr bedeutete als alles andere.
    Doch ihre Geste war nur von kurzer Dauer. Wieder starrte sie nach oben und zog sich die flauschige Decke mehr zum Hals hoch.
    Sie gähnte und schmatzte provokativ laut, schniefte kurz und räusperte sich.
    Aras reagierte nicht drauf, sondern wandte sich wieder dem Schriftstück zu. Er wusste, dass sie nicht müde war, sondern sich nur profilieren wollte, um ihn aus der Reserve zu locken. Auch wenn er sich grundlegend geändert hatte und auch fortführend ändern wollte, ließ er sich diesbezüglich nicht so schnell auf einen Kompromiss ein.
    Kaum setzte er wieder die Feder an, redete sie weiter: "Und wann seid Ihr wieder zurück?"
    Er setzte ab, verharrte erneut und ließ sich wieder dazu hinreißen, die Feder beiseite zu legen.
    Und sie sagte weiter: "Nur, um grob abschätzen zu können, ab wann ich mir Sorgen machen sollte." Ein Grinsen konnte sie sich nicht verkneifen.
    "Mache dir meinetwegen keine Sorgen, Kuen." Er erhob sich und ging zu seinem Bett rüber, das nur zwei Meter neben ihrem stand. Leicht schüttelte er das Kissen auf und schob die Decke etwas zur Seite, um sich auf die Bettkante zu setzen. Seine Sandalen ausziehend sprach er weiter: "Bisher bin ich immer lebendig nachhause gekommen."
    "Ach wirklich?", spöttelte sie frech und drehte ihren Kopf zu ihm. "Das hätte ich nun nicht erwartet."
    Nur aus den oberen Augenwinkeln betrachtete er sie daraufhin skeptisch. "Ich muss eh nochmal mit dir Reden bezüglich morgen reden, Kuen." Anschließend nahm er im Bett Platz und warf sich die Decke über.
    "Ihr meint, ob ich Euch verlassen werde?", fragte sie und stützte sich seitlich auf dem Kissen ab. "Wenn ich niemals innigere Nähe zu Euch wollte und mich einfach davonstehle?"
    "Natürlich kann ich dich hier nicht festhalten..."
    "Ihr wisst, ich gelte in Bornholds Reich als vogelfrei. Ich kann nirgendwo sonst hin."
    "Das ist mir bewusst. Dennoch weiß ich nicht, ob ich dir wirklich in diesem Maße vertrauen kann."
    "Liebt Ihr mich nur, weil ihr wieder zaubern könnt, oder auch generell?"
    "Schwer zu beantworten... Einerseits trug dein Kuss viel dazu bei. Andererseits hätte ich mich vermutlich auch so in dich verliebt."
    "ich weiß nicht, ob mir das als Antwort reicht..."
    "Eines ist sicher", führte er fort und richtete sich erneut auf, "ich werde dich solange lieben, bis du mich wirklich verrätst..."
    "Keine Sorge, das werde ich nicht."
    "Warum denkst du das?", hinterfragte er interessiert.
    "Ich verspreche Euch, ich werde hier auf Euch warten..." Dann grinste sie ihn frech an. "Unter einigen Bedingungen."
    Skeptisch war sein Blick auf sie gerichtet. "Und die wären?"
    Mit spitzen Lippen und verträumten Blick sagte sie: "Bleibt bitte so, wie Ihr nun seid."
    Er schänkte ihr ein Lächeln und nickte. "Ich werde mich bemühen, dies einzuhalten..."
    "Nicht nur bemühen, Herzog!", ermahnte sie ihn im freundlichen Ton. "Ihr werdet es tun! Keine Diskussion!"
    "Ja, ist doch gut. Ich werde es tun."

    "Desweiteren verlange ich, dass Ihr nie wieder Eure Magie an mir anwendet!"
    "Hätte ich es nicht getan, wärst du jetzt tot."
    "Ihr wisst, wie ich das meine... Und zu guter Letzt verlange ich, dass Ihr mir ein neckisches Geschenk mitbringt, bei Eurer Heimkehr."
    "Da ich vermute, dass meine Heimkehr in einem Stück und als ganzer Mann dies nicht erfüllen mag, ziehe ich in Betracht, dir ein materielles Geschenk mitzubringen."
    Sie bestätigte es kopfnickend.
    "Aber ich habe auch einige Bitten an dich", entgegnete nun Aras. "Duze mich in Zukunft. Wir sind schon lange über die nur Bekanntschaft hinaus."
    "Gut, wenn Ihr... du es wünschst..."
    "Bitte bleibe mir treu in meiner Abwesenheit."
    "Das kann ich nicht versprechen", gab sie sofort zurück und kniff verschmitzt die Augen zusammen. "Ihr... du kannst es eh nicht kontrollieren, was ich in deiner Abwesenheit alles mache."
    Gespielt mürrisch kniff er ebenfalls die Augen zusammen. "Natürlich kann ich das nicht kontrollieren. Aber ich brauche dich. Ich will nicht noch einmal von einer Frau enttäuscht werden."
    "Ja, ich werde mir Mühe geben, dir treu zu bleiben."
    "Und bitte setze dich nie wieder ohne meine Erlaubnis auf meinen Thron."
    Unschuldig hob sie ihre Hände und verdrehte hart die Augen. "Ich dachte halt, ich wär allein..."
    Ein skeptischer, aber nicht ernst gemeinter Blick von ihm.
    Was sie nur konterte mit: "Und außerdem war ich erschöpft vom vielen Gelaufe."
    "Gute Nacht, Kuen."
    "Gute Nacht, Herzog."
    Gerade wollte er die Augen zumachen, da ertönte wieder ihre Stimme: "Und ich soll wirklich nicht mitkommen?"
    Ein letztes Aufstöhnen seinerseits. "Nein! Du bleibst hier und behältst den Wiederaufbau der Stadt im Auge."
    Anschließend herrschte wirklich Ruhe und beide schliefen gemütlich ein.

    • Offizieller Beitrag

    Theical genoss die Ruhe, die ihre erneute Reise mit sich brachte. Kein tobendes Kampfgeschrei, keine sterbenden Menschen, kein Jammern und kein Klagen. Die wenigen Tage, die sie nun wieder unterwegs waren, schienen ihm seit Ewigkeiten die ersten entspannten zu sein. Und das lag nicht nur daran, dass ihre Gruppe nicht vollständig war.
    Wenn er jetzt noch laufen und nicht reiten würde, die Welt wäre super.
    „Seht mal!“ Daphne deutete in die Ferne, wo am Rand eines Waldes ein kleines Dorf vor ihnen auftauchte. Drei Händlerkarren vor sich, näherten sie sich der Häusersammlung, die auf den unzähligen Landkarten, die sie Zacharas vor ihrer Abreise noch entwendet hatten, nicht einmal eingezeichnet war. Demnach war das Dorf wohl nicht sonderlich bedeutend. Aber eine willkommene Abwechslung.
    „Vielleicht finden wir hier etwas“, züngelte Thyra neben ihm, als sie ihr Pferd etwas antrieb und an ihm vorbeiwackelte.
    Theical grinste zurück, fing damit aber auch den Blick von Daphne ein, die sie beide misstrauisch beäugte. Der Taschendieb wandte die Augen wieder dem Dorf zu. Er hatte sich mit der Jägerin darauf eingespielt, die Schurkin und Daryk näher aneinander zu bringen. Auch, wenn die beiden das noch nicht wussten und sicher auch nicht befürworten würden. Sie beide hatten Probleme und Sorgen in ihrer Vergangenheit, die keiner von ihnen dort gelassen, sondern mit in die Gegenwart geschleppt hatte. Der Ansicht der Jägerin nach, hatten sie sich nach alle dem etwas Glück verdient. Dem konnte er nur zustimmen.
    „Wollen wir über Nacht hier bleiben?“, fragte Jaris in die Runde, als sie das Dorf betraten und durch die Reihen von Bauern und Händlern schritten. Über die Köpfe dieser hinweg, zeigte er auf ein Gasthaus.
    „Ich bin dafür!“, säuselte Thyra. „Die Sonne geht sowieso bald unter.“
    „Ich auch!“ Theic war bei allem dabei, was mit einem vernünftigen Bett zu tu hatte. Wie schnell man sich doch an diesen Luxus gewöhnte, früher hatte er auch nur eine lausige Strohmatratze gehabt. Außerdem bot ihnen eine Nacht in diesem Dorf genug Zeit, sich etwas umzuschauen.
    Auch Daryk und Daphne stimmten der Idee zu. Es schien wirklich keiner Lust zu haben, am Abend die Zelte aufzuschlagen.

    Im Gasthaus waren schnell mehrere Zimmer gebucht und auch bezahlt. Es war vergleichsweise billig, Im Gegensatz dazu, was sie in der letzten Zeit vor der Schlacht ausgegeben hatten.
    Während die anderen noch die Zimmer begutachteten, erklärte sich Theical bereit, die Pferde in die Stallungen zu bringen, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden und diese anschließend zu versorgen. Thyra wollte ihm dabei helfen und zog auch Jaris in die Sache hinein. Nach ihrer Ansicht, war es so einfacher, sich unerkannt aus dem Staub zu machen und nach einer Möglichkeit zu suchen, ihren Plan umzusetzen.
    So kam es auch, dass sie, kaum, dass sie fertig waren, zu dritt den kleinen Markt des Dorfes aufsuchten. Für so wenige Menschen herrschte hier reges Treiben. Viele Stände und einige Karren fanden ihren Platz. Offenbar kamen hier jeden Tag fahrende Händler vorbei. Ein guter Platz, um etwas Fieses auszuhecken.
    „Los, kommt mit!“, forderte Theical die beiden frisch verheirateten auf. Sein Schatten griff nach den ihren und sie kamen seinem Willen nach, ihm nach links zu folgen. Nicht, dass sie sich in ihrer Überraschung wirklich hätten wehren können. Seit der Schlacht hatte er diese neue Kraft erstaunlich gut unter Kontrolle. Zumindest bei normalgewichtigen und normalgroßen Menschen. Alles darüber, war schon schwieriger. Vom Willen einmal abgesehen, zehrte ein großer Schatten viel mehr Energie.
    „Man, ich kann selbst laufen“, beschwerte sich die Jägerin lachhaft. Theic gab sie frei und anstatt seiner, zog nun Thyra Jaris mit sich. „Hier gibt es eine Menge Händler“, stellte sie anschließend fest und wackelte mit den Augenbrauen, während ihr Ehemann nur die Augen verdrehte.
    „Haltet mich aus diesen Plänen bitte raus“, meinte er. Sonderlich glücklich schien er mit der Entscheidung nicht zu sein, Daphne und Daryk zu verkuppeln. Nicht, weil er es ihnen nicht gönnte, aber wenn da wirklich Gefühle waren, dann würden sie allein zusammenfinden. Das hatte schließlich auch bei ihm und Thyra wunderbar geklappt. Theic und die Jägerin waren jedoch anderer Meinung. Manchen musste man eben auf die Sprünge helfen. Der Taschendieb als Dauerjunggeselle hatte davon natürlich massenhaft Ahnung …
    „Und was schwebt dir vor?“, verlangte Theical zu wissen und ignorierte dabei den Einwand des Söldners. „Ich will nur ungern, dass Daryk auf mich sauer wird.“ Ein unsicheres Lachen entkam seiner Kehle. Dem Brocken hatte er schließlich nichts entgegen zu setzen. Der würde ihn mit einem Schlag über den Rand der Welt schleudern.
    „Ach was“, die Jägerin winkte ab. „Du manipulierst einfach seinen Schatten und das war es schon.“
    Theical hob eine Augenbraue.
    „Wie stellst du dir das vor?“ Er machte eine ausschweifende Geste, die bedeuten sollte, wie viel größer der Schatten des Ritters war. „Der Kerl hat einen Oger erledigt, was soll ich kleiner Wicht da ausrichten?“
    Thyra legte eine Hand an ihr Kinn und sah überlegend über den kleinen Markt.
    „Du könntest ihn zum Tanzen bringen.“ Sie legte den Kopf schief. „Ein eng umschlungener Tanz kann Wunder wirken. Das schafft ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, wenn man die gleichen Bewegungen ausführt.“
    „Ähm … “ Theical hob eine Augenbraue, als die Jägerin grinste.
    Tatsächlich kam er sich etwas übergangen vor. Hatte er nicht eben noch gesagt, dass er den Fleischberg nicht manipulieren konnte? Es war schließlich nicht so, als hätte er es nicht schon versucht. In ein paar Wochen vielleicht …
    „Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte er und blickte die Jägerin bohrend an.
    „Ja, aber das wäre doch total niedlich.“ Die Jägerin tänzelte etwas hin und her, ganz als bewegte sie sich zu einer Musik, die nur sie hören konnte. „Oder Daphne … Daphne ist sicher leichter. Du lässt sie einfach in seine Arme springen.“
    „Und dann?“, lachte Theical, „stehe ich mein restliches Leben immer daneben und lasse sie Sachen machen, die sie nicht wollen.“ Er schüttelte den Kopf. „Es muss einen anderen Weg geben.“
    Abrupt blieb Thyra stehen. „Ich hab’s! Wir sperren sie in einen Raum!“
    Theical verschränkte die Arme hinter dem Kopf und drehte sich zu ihr um.
    „Du meinst, wie letztens? Da haben wir sie zwar nicht eingeschlossen, aber weil ich Daryk nicht in mein Zimmer gelassen hatte, musste er zu Daphne.“
    Thyra ließ bedauernd die Schultern hängen. „Hast recht.“
    Ruhe breitete sich zwischen ihnen aus, als sie geknickt weitergrübelten. Das erste Mal seit Tagen, dass sie das machen konnten, ohne, dass einer der beiden Opfer ihnen im Nacken saß.
    „Ein gemeinsames Essen zu zweit?“, schlug Jaris hinter ihnen seufzend vor. „Der Große isst doch für sein Leben gern. Das wäre also nichts, an was er sich stoßen würde.“
    Synchron wandten sich Theical und Thyra zu dem Söldner um.
    „Das ist eine wunderbare Idee“, Thyra klatschte in die Hände. „Ein romantisches Essen unter dem Sternenhimmel! Mit Blumen und Kerzen.“
    Das klang doch zumindest nach keiner Idee, die schon von vornherein zum Scheitern verurteilt war.
    „Der Gastwirt in der Taverne kann uns sicher auch helfen. Ich hoffe nur, das Geld reicht“, murmelte Theical mehr zu sich selbst, als zu den beiden anderen.
    „Großartig, dann besorgen wir die Blumen und Jaris läuft schon mal zurück und … “, begann Thyra, wurde aber von einem empörten Jaris unterbrochen.
    „Warum ich?“
    „Es war deine Idee“, meinte Theic und zuckte die Schultern.
    „Sobald wir die Blumen haben, kommen wir nach.“ Thyra drückte ihm einen Kuss auf, dann suchte sie schon aufgeregt den Markt nach einem Stand ab, der mit Blumen dienen konnte.
    Jaris grummelte etwas Unverständliches, machte sich dann aber wirklich auf den Weg zurück ins Gasthaus.
    „Ihr versucht also zwei Liebende zu vereinen?“, erklang eine gelispelte und raue Frauenstimme hinter Theical und erschreckte ihn so sehr, dass er dümmlich nach vorn stolperte und beinahe auf dem groben Kopfsteinpflaster zum Liegen gekommen wäre. Als er sich gefangen und umgedreht hatte, stand eine alte Frau in einem kunterbunten Gewand hinter ihm und lächelte schlagseitig zu ihm hinauf – was durch die vielen tiefen Falten einfach nur unheimlich aussah. Zumal die etwas korpulentere Frau sogar noch einen guten Kopf kleiner war als er. Wo kam sie auf einmal her? „Vielleicht kann ich helfen.“ Die Alte besaß zu ihrem Lispeln zudem eine derart kratzige Stimme, dass Theic Schwierigkeiten hatte, sie überhaupt zu verstehen. Er ließ sich jedoch nichts anmerken und nickte stattdessen. Hatte die Alte sie etwa belauscht?
    Die Händlerin kicherte seltsam unheimlich, was Theic trotz allem, was er in der Schlacht gesehen oder nicht gesehen hatte, eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Die Schrulle erschien ihm alles andere als vertrauenserweckend.
    „Vor einiger Zeit“, sprach die Alte und trat zwei Schritte von ihnen weg, um einen Korb von ihrem Rücken zu wuchten. Sie begann darin zu kramen, während sie weitersprach. „hat mir ein guter Freund etwas gegeben, das Euch sicherlich helfen könnte.“
    Ehe Theical reagieren konnte, drückte die Frau ihm ein Buch ohne Titel in die Hand. Sofort beugte sich Thyra neugierig über seine Schulter, um ebenfalls einen Blick zu erhaschen.
    Der Taschendieb schlug das Buch auf und blätterte einige Seiten durch. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und als er aufblickte, lächelte auch die Jägerin schelmisch zurück.
    „Das könnte funktionieren“, meinte er und klappte das Buch wieder zu.
    „Aber ich muss Euch warnen. Wenn Ihr der Anleitung nicht genau folgt … “ Sie ließ ihren Satz unvollendet.
    „Was dann?“, bohrte Theical unsicher nach.
    „Ach, nicht so wichtig“, die Alte winkte lachend ab. „Was soll schon schiefgehen?“
    Das klang nicht sonderlich überzeugend, wenn Theical ehrlich war. Skeptisch sah er dabei zu, wie sich die Händlerin erneut zu ihrem Korb bückte. Ein Ächzen und Stöhnen erklang, ehe sie sich mit einer hässlich gezimmerten Kiste wieder aufrichtete.
    „Das gebe ich euch noch dazu.“ Die Kiste wuchtete sie Thyra in die Armen. „Ich habe seinerzeit alles gesammelt, was Ihr braucht.“
    Theical hob eine Augenbraue. So wie die Alte aussah, hatte sie das auch nötig.
    „Und was kostet uns der Spaß?“
    „Zwei Kupferstücke für das Buch.“
    Das war viel zu billig. Immerhin handelte es sich um ein Buch. Es schien fast, als wollte sie das Ding loswerden.
    „Mehr nicht?“, fragte er skeptisch. „Und die Kiste?“
    „Die gebe ich euch.“ Sie machte eine dramatische Pause. „Kostenlos.“
    „Wir sind im Geschäft“, meinte Thyra und schlug mit der Alten ein. Schneller, als Theic seinen Namen aussprechen konnte, hatte die Jägerin das geforderte Geld aus den Taschen gezaubert und es der Händlerin überreicht.
    „Ich wünsche euch beiden viel Erfolg.“ Die Alte lächelte, dann schulterte sie ihren Korb wieder und verschwand zügig zwischen den Menschen, als flüchtete sie vor ihnen.
    „Ich habe kein gutes Gefühl dabei.“ Theical runzelte die Stirn und warf einen letzten Blick zurück. Doch die Alte war nicht mehr zu sehen. „Warum schenkt sie uns das alles? Da ist doch was faul.“
    „Einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul“, meinte Thyra nur. Aber auch sie sah unsicher zurück. „Ich fand die alte Schrulle auch unheimlich, aber wenn es klappt, dann ist es doch gut, oder?“
    Theic zuckte die Schultern. Er blickte auf das Buch. „Ja, WENN es klappt. Wir wissen, was Zacharas mit Daryk angestellt hat.“
    „Das ist ja wohl kaum zu vergleichen.“
    Theic entschied sich, das vorerst so stehen zu lassen. Sie würden ja merken, wie vertrauensvoll das Buch wirklich war. Nicht, dass sie zum Schluss noch jemanden umbrachten, weil die Alte sie verarscht hatte.
    „Okay, holen wir erstmal die Blumen!“, meinte er.

  • Sie hatten den ganzen Tag gebraucht die nötigen Zutaten zusammenzusuchen und schließlich den Trank zu brauen.
    Jaris hatte sich irgendwann kopfschüttelnd abgesetzt und die beiden machen lassen.
    Thyra schnippte gegen das kleine Glasfläschen, das sie gegen das Licht hielt und in dem eine violette Flüssigkeit schimmerte.
    "Fertig", strahlte sie.
    Theic nickte. Bei ihm war das Unbehagen größer geblieben, aber auch er hatte es irgendwann über Bord geworfen und sich von Thyras Begeisterung anstecken lassen.
    "Jetzt müssen wir nur noch das Essen einfädeln...", fügte Thyra hinzu.
    "Hm ... falls das nicht klappt-" "Das klappt!", unterbracht Thyra Theics Einwände. Theic hob abwehrend die Hände. "Ich meine ja auch nur falls ... ich würde mir das Essen als Plan B aufheben. Vielleicht können wir die beiden zu was zum Trinken überreden und schütten es den beiden ins Met?"
    Thyra überlegte eine Weile. Dabei wischte sie sich eine lose Strähne aus dem Gesicht. "Wahrscheinlich hast du Recht. Sicher ist sicher."
    Sie nickte und stand auf. Gemeinsam mit Theic machten sie sich auf die Suche nach Daphne und Daryk, aber auch nach Jaris, damit das Ganze weniger verdächtig wirkte.
    Nach einer Weile saßen sie alle am Tisch.
    "Ich geb die erste Runde aus!", rief Thyra und sprang auf.
    "Huch? Was ist der Anlass?", fragte Daphne.
    Aus dem Augenwinkeln beobachtete Thyra, wie sich Jaris ein amüsiertes Grinsen verkniff. "Ähm ... Reise und Freunde und Sonne und ... ich brauche für sowas keinen Grund?!", stammelte die Jägerin wenig geistreich und machte auf dem Absatz kehrt, bevor weitere Fragen aufkamen.
    Theic folgte mit den Worten: "Ich helfe dir tragen!"
    Gemeinsam machten sie sich also auf zur Theke und bestellten fünf Krüge Met. In Zwei davon kippten sie jeweils die Hälfte ihres Gebräus. Unter heftigen Blubbern vermischte es sich mit dem Alkohol, bis es schließlich farblos und still darin zurückblieb. Thyra und Theic starrten jeweils in einen Krug. "Meinst du, dass das ein gutes Zeichen ist?", fragte Theic in einen der Becher hinein.
    Thyra zuckte mit den Schultern. "Wird schon schief gehen."
    Theic zuckte mit den Schultern und nahm einen Krug mit Trank und einen ohne Trank.
    "Links Trank, rechts ich, links Trank, rechts ich", murmelte er, als er sich auf den Weg zurück zum Tisch machte.
    Neben ihm murmelte Thyra: "Rechts, rechts, rechts."
    Kurz bevor sie beim Tisch ankamen hielt Theic inne. "Ääääh ...", dann zuckte er mit den Schultern und reichte Daphne den rechten Trank.
    Thyra wusste, dass sie die andere Hand als Theic gewählt hatte und reichte Daryk den linken Krug, Jaris den mittleren und nahm selbst den Rechten.
    "Auf eine ruhige Reise", sagte Theic hob und den Krug und stieß mit den anderen an. Sie leerten ihre Krüge in einem Zug, in der Hoffnung Daphne und Daryk würden mitziehen und dabei nicht bemerken, dass ihr Met ein wenig seltsam schmeckte.
    Als Thyra den Krug absetzte, blickte sie in das mit lila Flecken übersäte Gesicht ihres Freundes. "Theic, du hast da was im Gesicht ... Quark."
    Erschrocken schlug Thyra die Hand von den Mund, als sie wie ein Frosch quarken musste, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
    "Quark?", machte Theic. Er erwiderte ihren Blick entsetzt.
    Neben ihnen bracht Jaris in schallendes Gelächter aus, dass die beiden anderen überhaupt nicht verstanden.
    "Das ist nicht Quark!", machte Thyra und boxte Jaris auf die Schulter, der sich immer mehr vor Lachen krümmte.
    "Was ma- quarken wir denn jetzt?", fragte Theic verzweifelt. Das war zu viel. Jaris fiel rücklings lachend von der Bank, selbst um Daryk Mund spielte ein Grinsen, auch wenn er nicht wirklich verstand was vor sich ging, nur Daphne schien einigermaßen besorgt.
    "Soll ich euch heilen?"

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

    • Offizieller Beitrag

    Seit vier Tagen waren sie unterwegs und fast die Hälfte war geschafft, aber daran vermochte Daphne an diesem Abend nicht zu denken, als ihre Freunde plötzlich quakend vor ihr saßen.
    „Soll ich euch heilen?", fragte sie, aber es funktionierte nicht. Das gab es nur in einem Fall.
    Sagt mal, seid ihr verzaubert worden?“, fuhr sie fort, als sie keine „Erkrankung“ an sich feststellen konnte. Die Köpfe der beiden quakenden Freunde lief rot an, was Jaris nur noch mehr zum Lachen brachte.
    „Hast du mit einem von Aras´ Zaubersprüchen experimentiert?“, wollte Daphne verwirrt von Theical wissen, aber Thyra fand vor ihm ihre Stimme wieder.
    „So-quak in der Qu-art!“
    „Vielleicht solltet ihr beiden mal im schlauen Bu...“, setzte Jaris voller Atemnot an, wurde aber von einem leichten Tritt seiner Frau unterbrochen.
    „Wir quak-en mal in meinem Quak nach, vielleicht quak-en wir eine Lös-quak!“, stotterte Theical und nahm Thyra an ihrem Arm, um die Gästeräumlichkeiten aufzusuchen. Als Daphnes verwirrter Blick zu Daryk schweifte, zuckte dieser ebenso fragend mit den Schultern.
    „Weißt du, was sie haben, Vetter!?“, bohrte die Heilerin weiter bei Jaris nach, nutze dabei sogar den um Ecken bekannt gewordenen Grad ihrer Verbindung und dieser schaute vom Boden auf.
    „Nein!“, dementierte er zögerlich. „Aber ich werde mal nach dem Rechten gucken, bevor meine Angetraute noch grün wird und den nächsten Teich zum Laichen sucht.“
    Kopfschüttelnd stand er auf und verließ den Tisch. Daphne schaute nun Daryk an, der sich wieder schweigend seinem Abendessen widmete.
    „Weißt du, was das sollte?“
    Wortlos schüttelte dieser den Kopf und aß weiter. Die beiden benahmen sich seit Tagen seltsam, tuschelten oft und schauten sie komisch an. Irgendwas taten sie oder planten sie, aber was, das wusste die Heilerin nicht. Lag es vielleicht immer noch an ihrer Rückkehr oder ihren Kräften. Nein, das konnte nicht sein. Selbst Thyra hatte einen Bogen von einer Göttin bekommen, die ebenso schnell wieder verschwunden wie sie aufgetaucht gewesen war. So wie sie ihrer Freundin mitgeteilt hatte. Und auch Theical hatte sich leicht verändert. Vielleicht durch den Krieg, dem Wissen, dass seine Mutter noch lebte und seinen stärker werdenden, eigenen Mächten. Sie hatten auch keinen wirklich boshaften Gesichtsausdruck, vielmehr grinsten sie verstohlen und taten so, als sei alles in bester Ordnung. Es war rätselhaft. Daher stocherte Daphne weiterhin appetitlos in ihrem Essen herum.
    „Findest du nicht auch, dass die beiden sich seit einiger Zeit seltsam benehmen?“, durchbrach die Heilerin die aufgekommene Stille, wobei der Schankraum voller Menschen war. Daryk schaute von seinem Teller auf und dachte kurz nach, bevor er sich zu einer Antwort durchrang.
    „Ein wenig, ja“, antwortete er karg, was von ihm auch nicht anders zu erwarten gewesen war. Seit dem Lagerfeuer konnte man ihre „Beziehung“ als etwas unterkühlt bezeichnen, zudem auch Daphne ihren Teil beitrug. Aber wie mit jemanden umgehen, den man beinahe geküsst hatte und es dann endete, wie es dort geendet hatte – in Totschweigen? Daphne war sich sicher, dass die anderen diese angespannte Situation bereits mitbekamen, wenn zwei der Gruppe nur das Nötigste miteinander redeten. Wobei Daryk das wohl immer tat. Wenn Reden Silber war und Schweigen Gold, dann war dieser Ritter ein reicher Mann. Daphne rührte und stocherte daher weiter im Essen herum. Sie hasste es, wenn irgendetwas unausgesprochen blieb, wollte aber auch nicht diejenige sein, die mit diesem Thema anfing. So war sie nicht erzogen worden. Dennoch störte sie der Umstand und wenn schon Schweigen, dann konnte man das auch einfach gekonnt ignorieren und sich zwingen weiterzumachen – immerhin wollte sie niemanden die Reise verderben, wenn das Ziel schon anstrengend genug war.
    „Ein wenig?“, hakte sie nach. „Sie haben gequakt!“
    Kurz stieß der Hüne ein Lachen aus, räusperte sich aber, als er den Bissen hinunterschluckte.
    „Kommt davon, wenn man mit Magie spielt, die man nicht versteht.“ Er hielt kurz inne. „Es sah aber aus, als hätten sie eine Idee!“
    „Hoffentlich“, sprach Daphne. „Wobei ich mich frage, was sie genau da gemacht haben.“
    In aller Eile, hatten Thyra und Theical ihre Krüge dort stehenlassen und die Heilerin konnte es sich nicht verkneifen, erst an ihrem zu riechen und dann an denen ihrer Freunde.
    „Riecht etwas säuerlicher, aber warum sollten sie sich verzaubern wollen?!“
    Immer mehr Rätsel taten sich auf.
    „Und warum mischen sie es in ihr Met?“
    Daryk schaute sie an und hob seine rechte Braue, bevor er seinen Löffel neben sich legte und dann noch einmal eindringlicher ansah.
    „Du meinst, sie wollten uns die beiden Mets geben?“, platzte es aus der Heilerin heraus, der es nun wie Schuppen von den Augen fiel.
    „Sie haben wohl die Krüge vertauscht!“, stellte Daryk fest, der als ehemalige Wache eines Königs so ein Vorgehen kannte oder zumindest damit rechnen musste.
    „Aber“, setzte Daphne nun vollkommen verwirrt an, „warum sollten die beiden wollen, dass wir quaken?
    „Ich glaube nicht, dass das zu ihrem Plan gehört hat“, vermutete der Hüne anscheinend. „Sie wollten irgendetwas anderes mit …“, er zögerte einen Moment, „uns machen!“
    „Uns?“, entglitt es Daphne entsetzt. Sie wusste nicht einmal, dass es ein „uns“ gab, geschweige ein „sie“ oder Ähnliches. Schön, dass man sie davon in Kenntnis setzte, dass … Sie ließ ihre Schultern hängen und legte nun endgültig ihr Essbesteck auf den Tisch. Die beiden hatten sich schon nach Daryks Heilung komisch benommen, da sie den Beinah-Kuss anscheinend gesehen hatten. Sie dachte eigentlich, mit dem Herunterspielen und der Beteiligung an den Witzen, hätte sie dies umgehen können. Vielleicht wollten sie beenden, was fraglich im Raum stand und interpretierten mehr in die Geschichte hinein, als es Daphne tun wollte.
    „Das … ist mir jetzt fast unangenehm“, nuschelte sie und schob Daryk ihren Teller hin, den sie ohnehin nicht mehr aufessen würde. Den ganzen Abend nahm ihr der Gedanke an Delyveih sowieso schon den Hunger. Der Hüne schaute den Teller an.
    „Was ist?“, fragte er.
    „Ich habe keinen Hunger heute, iss du meine Portion!“
    Daphne lehnte sich auf ihre rechte Hand und schob den Teller gänzlich neben den von Daryk.
    Mehrfach wechselte der Blick von ihm zwischen dem Teller und Daphne hin und her.
    „Du musst auch etwas essen“, dementierte er ihr Vorhaben, aber Daphne winkte ab.
    „Ich hab ein halbes Brot gegessen, das reicht.“
    „Das reicht nicht mal für dich“, antwortete er und schob der Heilerin wieder den Teller zurück.
    „Ich bin ein großes Mädchen und kann das gut einschätzen. Ich werde wegen einem Abend nicht verhungern!“, protestierte Daphne und ließ den Teller wieder auf die andere Seite wandern.
    „Groß?“, frotzelte Daryk und zog seine Brauen hoch, woraufhin Daphne ihren Kopf schief legte und grinste.
    „Rein metaphorisch“, korrigierte sie. „Groß genug, um zu entscheiden, keinen Hunger mehr zu haben und dem übergroßen Ritter ihr Essen zu überlassen, der einige Tage geschwächt war. Du kannst das besser vertragen. Wir wollen doch nicht, dass du vom Fleisch fällst.“
    Daryk erwiderte ihr Lächeln und lehnte sich wegen des Lärms um sie herum etwas über den Tisch.
    "Der übergroße Ritter, muss aber auch dafür Sorgen, dass die kleine Prinzessin genug zu essen bekommt. Immerhin war sie auch geschwächt!"
    „Die Prinzessin heilt und erholt sich recht schnell, der Ritter nicht. Ess´ es!“
    Daryk lehnte sich zurück und verschränkte seine Arme, was wohl eine Ablehnung des Angebots gleichkam.
    „Du widersprichst einer Prinzessin?“
    „Was, wenn?“, bekam sie als Antwort, die gespielt herausfordernd klang. Kleine Prinzessin, die man nicht ernst nahm? Man forderte eine Prinzessin, dass sollte man sie auch bekommen.
    „Das ist ja fast eine Beleidigung!“, stellte Daphne im gleichen Tonfall fest.
    „Was macht die kleine Prinzessin, wenn der große Ritter sie 'beleidigt'?“, forderte Daryk zu wissen und ließ sich etwas tiefer in seinen Stuhl sinken. Die Heilerin begann sich umzusehen und entdeckte in dem gefüllten Gasthaus allerhand Menschen. Eindeutig weniger Frauen als Männer. Was nicht verwunderlich war, denn diese reisten weniger durch das Land. Ganz im Gegensatz zu Händlern und Kaufleute, die eben meist männlicher Natur waren.
    „Wie viele Herrschaften hier, siehst du, die gewillt wären dich herauszufordern, Ritter Übergroß?!“
    Der besagte Ritter ließ ebenfalls seinen Blick schweifen und kam zu dem Ergebnis: „Keinen!“
    Daphne nickte und schnalzte einmal mit ihrer Zunge. Damit hatte sie gerechnet. Daher schob sie ihren Stuhl zurück und lief langsam um dein runden Tisch herum.
    „Seht Ihr“, sprach sie Daryk scherzhaft höfisch an und nahm ihren Teller Linseneintopf zur Hand, der mittlerweile in der Mitte stand. Dann stellte sie sich hinter ihn und drehte den Teller herum, wodurch der Inhalt sich gänzlich über Daryks Kopf ausbreitete. Als er leer war, platzierte sie diesen auf der Glatze des Ritters und klopfte ein paar mal provokant auf das Holz.
    „Schicker Hut, ist der neu?“, kam gespielt arrogant über ihre Lippen, um das mit der Prinzessin noch etwas hervorzuheben. Daryk zuckte kurz zusammen und zog die Schultern an, als ihm vermutlich die lauwarme Brühe am Hans hinuntertropfte.
    „Igitt ...“, nuschelte er.
    „Ich mag ja vielleicht klein sein, aber ich bin anscheinend die einzige hier, die keine Angst hat.“
    Scherzhaft rückte sie den Teller noch mehrfach zurecht und merkte nicht einmal, dass die Gespräche immer mehr um sie herum verstummten. Der Hüne nahm in einer bedrohlichen Schweigsamkeit den Teller vom Kopf, wischte sich den Eintopf vom Kopf und schob ebenfalls seinen Stuhl zurück, was Daphne Anlass dazu gab, einen gewissen Sicherheitsabstand einzunehmen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er dies auf sich sitzen ließ, aber trotzdem war seine Reaktion oder das Ausmaß dessen, abzuwarten. Langsam stand er auf und nahm die beiden noch halb vollen Teller von Theical und Thyra zur Hand, die nicht fertig essen konnten.
    „Nein, nein“, mahnte Daphne den Hünen. „Leg´ das schön wieder hin.“
    „Soso“, nuschelte Daryk und drehte sich langsam um, was Daphne das Startzeichen zur Flucht gab. Eilig sprang sie über drei Tische und wich gekonnt anderen Krügen und Tellern aus. Daryk hingegen folgte ihr auf die Weise, dass er einfach die Tische vor sich herschob, als seien sie gar nicht da. Andere Gäste wurden zwar beim Mahl gestört, schienen aber viel mehr an dem Ausgang dieses Szenarios interessiert, als dass sie sich darüber beschwerten. Das unpraktische an geschlossenen Räumen war, dass sie ein Ende besaßen. Also kam Daphne recht schnell an einer Wand an, die ihre Flucht beendete.
    „Du kannst fortlaufen, aber du kannst dich nicht verstecken“, mahnte sie Daryk und Daphne wandte sich mit dem Rücken zur Wand dem Hünen zu, der vielleicht noch zehn Schritte von ihr weg war.
    „Platz, sitz, pfui, aus“, erwiderte Daphne wieder im arroganten Ton. „So etwas macht ein Ritter nicht!“
    „Bist du sicher?“
    „Ähm, ja!“, antwortete sie gedehnt.
    Aus einer der hinteren Reihen von Gästen erklang ein: „Kipp es ihr über!“, was Daphne empört dreinblicken ließ. Einer der Nachteile, wenn man nur von Herren umgeben war – sie hielten anscheinend auch noch zusammen. Grinsend, und anscheinend in seinem Vorhaben bestätigt, näherte sich Daryk der Heilerin unaufhaltsam.
    „Du weißt, ich könnte mich jetzt einfach aus dem Staub machen. Förmlich zwischen den alten Dielen verschwinden, aber ich werde es nicht machen, weil du das auch nicht kannst. Das wäre nicht fair. Dennoch, überlegt dir gut, was du tust.“
    Das war der letzte Versuch, scherzhaft an sein Gewissen zu appellieren, aber unbeeindruckt davon, kippte Daryk ihr die beiden Teller über. Daphne stieß einen Seufzer aus und atmete stockend ein, als sich der kalte Brei über ihr ausbreitete. Es landete in ihren Haaren, auf ihrer Schulter und in ihrer Bluse. Steif, wie ein Storch im Salat, regte sie sich zunächst kein Stück, während man Daryk dafür noch Beifall klatschte. Mit sich zufrieden, stellte er die Teller am benachbarten Tisch ab und verschränkte seine Arme vor sich. Die Heilerin schaute ihn von unten heraus aus und plusterte ihre Wangen auf, während sie angeekelt ihre Schultern hochzog.
    „Das ist so gar nicht ritterlich!“, murmelte sie, musste sich aber das Grinsen unter schwersten Bemühungen verkneifen.
    Die Farbe steht dir, Prinzessin!“, gab Daryk grinsend von sich.
    „Ich weiß nicht“, konterte sie, „grün war nie so meine Farbe, dafür hebt sie deine Augen hervor.“
    Kaum ausgesprochen, fischte sich Daphne etwas aus dem Ausschnitt und verteilte es Daryk, auf Zehenspitzen, im Gesicht, der seine Augen schloss und es hinnahm.
    „Du hast da was im Bart“, fuhr sie fort und machte eine umkreisende Geste an ihrem Gesicht. Daryk wischte sich angedeutet etwas über sein Kinn.
    „Wo? Da?`Besser?“
    Daphne brach in heiteres Gelächter aus und schüttelte mit dem Kopf.
    „Nein!“, antwortete sie fast unter Tränen und bekam kaum Luft. Immer wieder, wenn sie zu weiteren Worten ansetzen wollte, übermannte sie das Gelächter.
    „Die anderen beiden haben vielleicht gequakt“, kam fiepsend über ihre Lippen, „aber grün sind wir!“
    Auch Daryk begann lauthals zu lachen und fragte kurz darauf: „Und jetzt?“
    Die Heilerin hielt sich den Bauch und stützte sich an der Wand ab, an die sie sich manövriert hatte.
    „Ich weiß nicht genau“, setzte sie quietschend an, „aber wir sollten baden gehen!“
    Daryks Lachen stoppte und er schaute Daphne überrascht an, was die Heilerin dazu brachte, noch einmal ihren Satz zu reflektieren. Abrupt lief sie rot an, was mit dem grün um sie herum sicherlich ein eigensinniges Farbenspiel abgab.
    „A-Also“, warf sie schnell stotternd ein, „ich meinte du in einer Wanne und ich in einer anderen. Alles andere wäre ja, nicht wahr?! Reichlich seltsam!““
    Dort wäre sie nun gerne in den Dielen des Gastraumes versunken – wortwörtlich. Daryk lächelte bloß und wischte sich noch einmal etwas von den Linsen aus dem Gesicht.
    „Geh schon mal vor“, gab er in einem beruhigenden Tonfall von sich. „Ich regle das hier mit der Meute und der Sauerei!“
    Nickend hatte Daphne nichts dagegen, dass er diesen Part übernahm, immerhin hatte er die größte Menge auf die kleinste Person verteilt. Watschelnd, wie eine Ente, bewegte sich die Heilerin fort, als sie das Badehaus aufsuchen wollte. Die Linsen bahnten sich ihren Weg durch ihre Kleidung, was ein wahrlich ekliges Gefühl darstellte.
    Anscheinend angelockt von dem Gelächter der Gäste, dem Applaudieren und Grölen, standen plötzlich wieder Theical, Thyra und Jaris am Treppenaufgang des Hauses und starrten Daphne verwirrt an, die aussah, als sei die in den Topf des Wirtes gefallen.
    „Ich hoffe, ihr habt euer Quakproblem gelöst!“, gab Daphne lachend von sich. Die drei nickten betreten und sahen sich gegenseitig an.
    Das habt ihr von eurem seltsamen Plan, was immer der bezwecken sollte … Wir sehen aus wie Frösche und ihr quakt so. Das nächste Mal macht doch irgendwas mit hübschen Schwänen, wobei, lieber nicht, sonst enden Daryk und ich geteert und gefedert!“
    Kopfschüttelnd lief sie an ihren Freunden vorbei.
    „Alles nur wegen euch!“
    Sie hoffte, dass das Zeug nicht noch den Weg in ihre Hose fand. Natürlich hätte sie wütend auf Theical und Thyra sein können, war sie aber nicht. So gelacht hatte sie seit einer Ewigkeit nicht mehr. Als sie vor der Tür stand atmete sie tief durch und entdeckte den steinernen Schuppen gegenüber des Gasthauses, was wohl das Badehaus darstellen sollte. Immer noch watschelnd, hielt sie direkt darauf zu und öffnete die Tür.
    „Es war so klar ...“, nuschelte sie und seufzte. Dieses Gegend gehörte eben nicht zu den besser betuchten, aber worüber beschweren, drum herum kam sie nicht, es sei denn, sie wollte in ein paar Stunden aussehen wie ein Brückengnom.