Auf der Suche nach der Schatulle von Daris

Es gibt 509 Antworten in diesem Thema, welches 124.919 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (16. April 2018 um 04:25) ist von TiKa444.

    • Offizieller Beitrag

    Daphne stand in der Brandung und schaute auf das Meer hinaus. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, aber welche Wahl blieb ihr denn, als dort zu sein?! Sie hatte lange Zeit darüber nachgedacht, was sie tun sollte, aber es ließ nur einen Entschluss zu. Sie sollte genau dort sein! Rhenus hatte ihr gesagt, dass sie eine Schlacht zu schlagen hatte, Isidora, dass das Meer eine Gefahr barg, sie aber immer an ihrer Seite sein würde. Sie sollte einen alten Fluch beenden, das war ihre Aufgabe und deswegen hatte man ihr die Kräfte gegeben. Noch mehr, als die Angst vor dem Meer, fürchtete sie jedoch den Moment, wenn Daryk bemerkte, dass sie ihn hereingelegt und den Schlüssel für den Geheimgang entwendet hatte. Betreten schloss sie ihre Augen und warf ihre Stirn in Falten. „Es tut mir leid. Verzeih´mir, aber ich kann nicht zulassen … Das ist meine Bürde!“, konnte sie sich nur gedanklich bei ihm entschuldigen. Auch tat es ihr leid, dass sie ihren anderen Freunden nichts davon gesagt hatte. Aber sie alle hatten gerade erst einen Krieg hinter sich gebracht und wie konnte sie von ihnen verlangen, sich gleich in den nächsten zu stürzen? Diese Frauen hatten ihren Namen gerufen, dass hatte sie deutlich hören können, als sie begannen zu singen. Daphne erinnerte das an die Wale, die sich im Frühjahr immer in der Bucht einfanden und trotz des Mangels an Fischen, unangetastet blieben. Geradezu hypnotisch wirkten die Klänge in jener Zeit auf alle. Man sah in ihnen Glücksboten und je lauter sie sangen, desto reicher würden sich die Gefilde mit Nahrung und Perlen füllen. Die Fischfrauen, die Daphne all die Jahre für Legenden oder Sagengestalten gehalten hatte, wirkten aber nicht wie Boten des Glücks, vielmehr brachten sie den Tod. Und doch … etwas in ihr verriet, dass sie ihnen ähnlicher war, als sie es zuvor vermutet hatte.
    Wie am Abend davor, zog sie ihre Stiefel aus, aber warf sie an den Strand. Die Hose hochzukrempeln ersparte sie sich, denn sie würde viel weiter ins Wasser gehen als zuvor. Noch einmal zog sie sich die Corsage über ihre Bluse fest, tastete nach dem Dolch an ihrer Hüfte und setzte einen Fuß vor den anderen.
    Sie merkte, wie sie von selbst Kraft aus den kleinen Wellen zog, die gegen ihre Beine schwappten und blieb stehen, als ihr das Wasser bis zur Hüfte reichte.
    Die Temperatur des Wassers machte ihr nichts aus zu dieser Jahreszeit, lediglich der kalte Wind peitschte ihr um das Gesicht und löste ihr das Band aus den Haaren, der den geflochtenen Zopf zusammenhielt. Schlingernd flog das rote Band hinfort und verlor sich zwischen den Wellen. Die Prinzessin atmete tief durch, während sie sich dann ein paar Strähnen aus ihrem Gesicht fischte und hinter ihr Ohr klemmte. Die Stille begann ihr die Luft abzuschnüren. Es war eines, einem Feind gegenüberzustehen, aber etwas anderes, auf einen zu warten und nicht zu wissen, wo er lauerte. Wie eine schwarze Oberfläche breitete sich der Wasserteppich vor ihr aus und reflektierte an diesem Tag nicht einmal den Wolken verhangenen Himmel. Sie musste ihren ganzen Mut zusammennehmen, um überhaupt an den Horizont schauen zu können.
    „Ich weiß, dass ihr da seid!“, schrie sie mit zittriger Stimme. „Zeigt euch!“
    Jeder Wimpernschlag dauerte gefühlt ein Leben. Daphne spürte, wie sich in weiter Entfernung etwas im Wasser bewegte. Sie spürte es einfach, als wollte das Meer sie warnen. Und kaum schaute sie erneut auf, durchbrachen die Köpfe die Oberfläche und schauten mit blau leuchtenden Augen in ihre Richtung. Ihr Herz blieb fast stehen und konnte sich nicht entscheiden, ob es stolpern oder rasend schnell schlagen wollte. Es hämmerte gegen ihre Brust und Schwindel überkam sie kurz. Als reichte diese markerschütternde Furcht nicht bereits, durchbrach der Ruf ihres Namens die eiskalte Luft. Die Kreaturen in der Ferne fauchten im Chor und fuhren zum Ursprung der Stimme herum, ebenso wie Daphne.
    „Komm nicht näher!“, antwortete sie Daryk, der über den Rundweg zum Strand gerannt kam.
    Daryk blieb stehen und schaute zwischen ihr und den Gestalten im Wasser hin und her.
    „Komm da raus!“, rief er ihr zu, aber Daphne wusste, dass das nicht möglich war. Wenn sie es nicht versuchte, würde sich in Delyveih nie etwas ändern. Deshalb schaute sie ihn an und schüttelte den Kopf.
    „Deswegen holte man mich zurück“, erklärte sie. „Deswegen bin ich wieder hier. Das ist das, was ich zu erledigen habe. Das, was Rhenus von mir verlangt zu tun.“
    Der Hüne materialisierte seine Waffe und Rüstung, ließ den Helm aber noch aus, um Daphne direkt anschauen zu können, während er furchtlos auf sie zulief.
    „Aber nicht allein!“, bestimmte ihre Leibwache.
    „Du kannst nicht schwimmen“, dementierte die Prinzessin sein Vorhaben. „Mit voller Rüstung erstrecht nicht!“
    „Dann lass zu zu uns kommen!“, widersprach Daryk und verwies auf die Kreaturen, die wieder anfingen sich zu nähern.
    „Rhenus sagte, Calypso würde gegen mich verwenden, was mir wichtig ist. Es ist zu gefährlich und deswegen bin ich alleine gegangen. Du solltest nicht bleiben!“
    Der Ritter lächelte bloß und rief in diesem Moment seinen Helm.
    „Lass sie nicht allein“, murmelte er kaum hörbar, weshalb Daphne ihn leicht fragend ansah. Die seltsamen Frauen kamen immer näher und erhoben sich schlussendlich aus dem Wasser. Teils nackt standen sie da, ihre Haut unnatürlich grün verfärbt und von Muscheln bewachsen, wie der alte Rumpf eines Schiffes. Kiemen an ihren Hälsen zeigten, warum sie sich so lange unter Wasser verbergen konnten. Wieder fauchten sie, was wohl mehr dem Ritter galt, als Daphne und legte somit ihre spitzen Zähne frei.
    „Das sind wohl Frauen, die dir diesmal nicht allzu wohlgesonnen sind wie sonst“, witzelte die Prinzessin verunsichert.
    „Hmm“, brummelte der Hüne und wandte sich den Frauen zu. Er blieb neben Daphne stehen und ergriff seine Waffe mit beiden Händen – bereit zum Angriff oder zur Verteidigung. Aber aus irgendeinem Grund hielten die Frauen inne.
    „Boar, sind die hässlich!“, erklang es urplötzlich hinter ihnen und als sich beide umdrehten, standen die fünf Namenlosen, so wie ihre Freunde, am Strand und sahen die Gestalten ebenfalls aus Wasser ragen. Sören schulterte nach seiner weitreichenden Erkenntnis sein Breitschwert und fügte hinzu: „Zählen die noch als Frauen oder … Ich schlage ungern welche.“
    „Nein, nein“, beruhigte ihn Theical. „Das ist wie mit Vampiren. Auch wenn weiblich, das zählt nicht, sobald sie einen fressen wollen.“
    „K-Könnten wir versuchen eines lebendig zu fangen?“, warf Aras ein. „Ich würde gerne eines dieser … Dinger studieren.“
    „Studieren nennst du das, ja?“, vergewisserte sich Thyra grinsend und auch die fünf Namenlosen schauten den Herzog skeptisch an.
    „Ja, studieren“, bestätigte Aras noch einmal. „Ich schlafe nicht mit allem, was Brüste hat!“
    „Vorrangig wollen wir diese Damen von ihrem Leid erlösen“, ergänzte Jaris und zog sein Schwert. „Sie waren auch mal Menschen.“
    Nun wanderte der fragende Blick zum Söldner.
    „Erkläre ich euch später!“
    „Was macht ihr hier?“, schrie Daphne ihren Freunden und Brüdern zu.
    „Dir helfen! Eine Person gegen über hundert ist reichlich unfair“, stellte Theical klar.
    „Außerdem haben wir doch vorgestern bewiesen, wie stark wir zusammen sind“, fügte Thyra hinzu und rief ihren Bogen.
    Auf einen Schlag tauchten die schwarzhaarigen Frauen aus dem Wasser auf und stürmten auf die Gruppe zu. Daryk schob Daphne hinter sich und schlug der ersten, die ihnen zu nahe kam, den Kopf vom Hals. Schlammiges, altes Blut spritze gegen die schwarze Rüstung und es roch nach modrigem Holz.
    „Zurück zum Strand!“, befahl der Leibwächter und stieß Daphne an. Dort, wo sie standen, waren sie ein zu leichtes Ziel, auch wenn Thyra ihnen mit ihren Pfeilen, etwas Raum verschaffte. Gerade, als Daphne ihren nackten Fuß aus dem Wasser setzen wollte, wurde sie von etwas am anderen festgehalten und zu Fall gebracht. Nicht einmal eine Schrecksekunde ließ man ihr, als sie an Daryk vorbei, ins Meer zurückgezogen wurde. In einem großen Bogen wurde sie in die Luft befördert, wo sie noch kurz ihren Namen hören konnte, aber dann übertönte alles die auftürmenden Wassermassen um sie herum, als sie eintauchte. Dort, wo sie gelandet war, konnte Daryk ihr nicht hin folgen ohne unterzugehen. Überall um sie herum war aufgewirbeltes Wasser und ließ kaum keinen weitreichenden Blick zu. Nur, dass ein Schatten sie umkreiste, konnte sie erkennen. Daphne brauchte einen Moment, um festzustellen, wo oben und wo unten war, aber als sie die Sonne über sich entdeckte, schwamm sie genau darauf zu. Schnell tauchte sie auf und erkannte, dass bereits ein Kampf losgebrochen war. Jeder, ihre Brüder und ihre Freunde, kämpften gegen die Kreaturen, die Calypso auf sie losgelassen hatte. Eilig wollte sie wieder zum Ufer, aber bevor sie auch nur einen Zug darauf zumachen konnte, türmte sich eine Welle vor ihr auf und offenbarte eine schwarzhaarige Frau. Lediglich bekleidet mit einen Fischernetz, so wie sie es aus ihrem Traum kannte.
    „Wo willst du denn hin?“, fauchte sie mit ernster Stimme. Die Ähnlichkeit mit ihr war unverkennbar. Die Gesichtszüge alleine reichten aus, um eine Verwandtschaft zu offenbaren, nur, dass Calypso älter war als sie. Mit großen Augen musterte sie die einstige Herzogin, wobei sie es tunlichst vermied, sich die Furcht anmerken zu lassen.
    „Zurück ans Ufer“, antwortete Daphne und spuckte etwas Wasser aus.
    „Zu deinen Freunden? Nein, nein, du bleibst hier, wo du hingehörst.“
    „Nein, danke!“, maulte Daphne und richtete Wasser vor sich auf, um eine Mauer zwischen ihr und der Hexe zu bauen.
    „Du bleibst hier!“, schrie Calypso nun hinter ihr her und vernichtete mit einer Armbewegung Daphnes Barriere. Blitzschnell konnte sich die Frau durch das Wasser bewegen, verflüssigte sich und gewann wieder an Form. Wesentlich schneller, als Daphne dies beherrschte.
    „Was willst du von ihnen?“, brüllte Calypso. „Sie sind Betrüger und gierig, lebendig und doch sterben sie täglich ein Stück. Mit mir kannst du lernen, ewig zu leben. Du bist wie ich, von Rhenus auserwählt sein Reich wieder herzustellen.“
    Daphne drehte sich um und schaute der Frau in ihre hellblau, fast weiß leuchtenden Augen.
    „Ich glaube nicht, dass Rhenus das hier will. Sonst hätte er mich nicht geschickt, um dir den Garaus zu machen.“
    „Er ist nur ein Mann, falsch wie alle anderen auch.“
    „Und wieder, nein danke!“
    Calypso ließ die Prinzessin nicht gehen und machte einen Satz nach vorn. Die Hände Calypsos veränderten sich auf einmal, das konnte die junge Frau im Augenwinkel sehen. Mit ihren krallenartigen Fingern hielt sie Daphne fest und versenkte diese tief in ihrer Wade. Ein lauter Schrei entwich der Prinzessin und reflexartig trat sie nach hinten und damit der Hexe mitten ins Gesicht. Es brachte nichts wie ein normaler Mensch zu schwimmen und, obwohl ungeübt in ihren Kräften, stieß sich Daphne von der Wasseroberfläche ab. Als sei es fester Untergrund, gewann sie Halt unter sich und richtete sich auf, während die Wunde verheilte.
    „Rhenus hat dich verändert wie mich, wir sind gleich. Verschwende diese Kräfte nicht“, erklärte Calypso und stand direkt vor Daphne, die nur höhnisch lachte.
    „Wir sind ja so überhaupt nicht gleich“, protestierte die Prinzessin. „Du bist geisteskrank und ich vielleicht manchmal etwas von Sinnen. Das ist ein Unterschied.“
    Fauchend schlug Calypso nach Daphne, die den Krallen mit einer leichten Rückwärtsbewegung auswich. Auf dem Wasser zu stehen, war wie auf einem Brett im Wellengang zu balancieren. Das erste Mal seit langem, kamen Daphne ihre alten Fähigkeiten ungemein nützlich vor.
    Immer wieder fuhren die spitzen Fingernägel der totgeglaubten Herzogin an Daphnes Gesicht vorbei oder streifen sie gar, aber die Verletzungen verschwanden, ehe sich die Prinzessin ernsthaft über sie Gedanken machen musste. Zur Gegenwehr ergriff sie den Dolch an ihrer Hüfte und zog ihn aus der Halterung, um ihn schützend vor sich zu halten. Hinzukamen die Wassertentakel, die aus ihren Armbeugen flossen.
    „Wie niedlich“, spottete Calypso. „Glaubst du, du kannst dich mit deiner Unerfahrenheit gegen mich zur Wehr setzen?“
    „Versuchen kann ich es!“
    „Das ist reine Zeitverschwendung. Das Ende ist ohnehin, dass du dich zu uns gesellst. Wir sind deine Familie. Wir alle!“
    Daphne ließ ihren Blick schweifen und erkannte erst jetzt, dass all ihre Sklavinnen vom Aussehen her Parallelen aufwiesen. Das war also aus den verschwundenen Prinzessinnen geworden. Handlanger der Herzogin.
    „Ich werde mich“, prophezeite Daphne trocken, „mit allen Mitteln gegen dich wehren!“
    Eine Herausforderung, aber leider umsonst. Das haben sie alle versucht. Du weißt doch; Blut ist dicker als Wasser!“
    Nach diesen Worten, griff Calypso erneut Daphne an und diese wehrte ihre Krallen mit dem Dolch ab, bevor sie die Wassersträngen versuchte um deren Hals zu wickeln. Auch bei der Herzogin verheilten die Wunden viel zu schnell, als dass sie irgendwelche Auswirkungen zeigen konnten. Schneller noch als bei ihr.
    Auch Calypso rief Wasser herbei, nur dass ihre Arme vollständig daraus bestanden und die Form annahmen, die sie wollte. Es standen Jahrhunderte lange Erfahrung gegen Daphne. Urplötzlich bereute sie, dass sie nicht härter trainiert hatte, um herauszufinden, was sie alles konnte oder ihre vorhandenen Fähigkeiten auszubauen. Darauf hatte sie sich vorbereiten sollen, aber nun war es zu spät. Wirbelsturmartig erhob sich das Nass um Daphne und verbarg sie im Auge.
    „Spielen wir jetzt verstecken?“, moserte die Hexe und umkreiste die Prinzessin. Mit schlagendem Herzen verfolgte Daphne den Schatten und behielt ihre verteidigende Körperhaltung bei. Mit einem lauten, sirenenähnlichen Schrei, durchstieß Calypso den Wassersturm und Daphne wich ihr seitlich aus. Mit ihrer freien, linken Hand hielt sie die rechte von Calypso fest und versenkte den Dolch zwischen deren Rippen. So schnell sie konnte, drehte sie sich vor die aufschreiende Frau und trat sie gezielt gegen den Oberkörper. Die Hexe flog rücklings aus dem Wasserwirbel und Daphne folgte ihr. Mit ihren Tentakeln umschloss sie die Herzogin und schleuderte diese in die Luft, um sie mehrfach auf die Wasseroberfläche zu schlagen. Doch bevor Daphne sich über ihre Gegenwehr freuen konnte, verflüssigte sich Calypso und verschwand in den Wellen. Leicht außer Atem drehte sich Daphne einmal im Kreis, aber nichts war zu sehen. Ohne lange nachzudenken, fokussierte die Prinzessin ihre Freunde am Strand und bewegte sich umgehend auf sie zu. Alle kämpften gegen die vielen, gefallenen Prinzessinnen, deren laute Schreie die Meeresluft erfüllten. Vielleicht hatte sie der Herzogin für einen Moment einen Schlag versetzt und konnte zu allen aufschließen.
    So schnell sie ihren Beine über das Wasser trugen, rannte Daphne auf die Küste zu, ohne den Halt auf dem unebenen Untergrund zu verlieren. Sie schaute nicht zurück und entdeckte Daryk unweit von Jaris und Aras. Wenn Wasser nicht gegen Wasser ankam, dann vielleicht Feuer und Blitz. Alleine konnte sie diese Schlacht nicht gewinnen, das wusste sie nun.
    Gerade, als sie deren Namen schreien wollte, erhob sich etwas aus ihrem Schatten heraus. Wieder türmte sich eine Welle hinter ihr auf und diesmal riss es ihr die Beine weg, so dass sie stürzte und in die Fluten fiel. Das Salzwasser wirbelte sie weiter und kaum spürte sie den sandigen Boden unter ihren Fingern, ergriff eine Hand ihre Kehle und zog sie rauf.
    „Du kannst nicht weglaufen!“, fauchte Calypso und drehte Daphne Richtung Strand.
    „Sieh sie dir noch ein letztes Mal an, Prinzessin. Wie sie kämpfen und sich wehren, wie sie dich verteidigen.“
    Die Herzogin presste Daphne an sich, während ihre Krallen in ihre Wange und in den Hals schnitten.
    Sie werden dir schon zeigen, wer hier stärker ist!“, murmelte Daphne mutig. „Du kannst sie nicht alle besiegen!“
    „Das werde ich auch nicht“, gestand die Hexe. „Das wirst du erledigen!“
    Plötzlich spürte die Prinzessin einen immensen Schmerz zwischen Schulter und Hals. Calypso biss ihr tief in das Fleisch und ließ dann lachend von ihr ab. Daphnes Hand schnellte zur Wunde und die gleiche, stinkende Flüssigkeit befand sich an ihren Fingerspitzen, wie jenes, das Anstelle von Blut aus den Sklavinnen floss.
    „Was ...“, setzte die Prinzessin verwirrt an, bevor ihre Stimme versagte und ihr Körper sich wie gelähmt anfühlte.
    „Versuch dich dagegen zu wehren, meine Tochter. Du wirst sehen, das gleiche Gift wie deine Mutter einst zu spüren bekam, wenn auch nicht vollständig, weil sie nicht unseres Blutes ist, wird auch dein Herz erkalten lassen.“
    „Meine Mutter?“, brachte Daphne kaum noch heraus.
    „Es war ein Fehler dich mir wegzunehmen, wo sie dich doch schon im Meer geboren hatte und hier wirst du auch dein Ende finden, wenn du mir nicht gehorchst.“
    Ein Flüstern machte sich in Daphnes Kopf breit, welches immer lauter wurde, je mehr sich Calypsos Gift in ihr ausbreitete. Sie konnte sich weder bewegen noch irgendwelche Magie wirken. Somit heilte die Wunde auch nicht.
    „Versuche dich nicht dagegen zu wehren, es ist ohnehin zwecklos“, zischte Calypso kalt und drehte ihren wehrlosen Körper ihren Freunden zu. „Es endet immer auf die gleiche Weise und nun kenne ich auch dein Herz, was es mir unlängst leichter macht, sie alle zu vernichten!“
    Nur noch stockend konnte Daphne atmen und es war, als würde sie von Wellen hin und her geschleudert werden. Hunderte Stimmen schreiten in ihrem Inneren und sie schaffte es kaum noch ihre eigene zu hören. Es war ein unerträglicher Lärm, lauter, als alles, was Daphne jemals gehört hat. Sie wollte schreien, aber kein Laut wich über ihre Lippen. Wie ein Stein fühlte sich ihr Körper dabei an und versank gefühlt in den Fluten des Meeres, auch wenn sie im seichteren Wasser stand. Alles, was sie noch wahrnahm war, wie das Gift sich durch ihre Adern arbeitete, unfähig sich gegen die Stimmen, die alle ihre Zweifel und Ängste hervorhoben, zu wehren.

  • Die aufspritzenden Wassertropfen funkelten einen Moment im reflektierendem Sonnenlicht, dann regneten sie herab und versanken im feuchten Sand. Jaris zog sein Schwert aus der Wasserleiche, die diesen Namen nun auch im wirklichem Sinne verdiente. Die Frau oder was auch immer sie darstellte, war rückwärts im Uferwasser gelandet, doch kaum war sie zum liegen gekommen schoben sich weitere Gestalten über sie und auf ihn zu. Er sprang mit einem Ausfallschritt nach vorne, und wirbelte seine Klinge dann im Kreis herum. Um ihn herum spritzte Unmengen der trüben übelriechenden Flüssigkeit auf, doch nicht jedes der Wesen fiel. Leichtere Verletzungen, wie ein abgeschlagener Arm oder ein Stich in die Schulter, brachte sie noch nicht dazu sich zu Boden zu begeben. Einzig ein Stoß ins Herz oder ein abgeschlagener Kopf erwies Wirkung. Immer näher drängten sie sich, hieben mit scharfkantigen Krallen auf ihn ein und zerfetzten seine Kleidung und gelegentlich auch seine Haut. Warmes Blut rann aus den Schnitten, doch sie waren nur oberflächlich und für den Moment konnte er das Brennen ignorieren. Normalerweise hätte er sich jetzt mit einem Blitz raum gemacht, doch das traute er sich nicht, jetzt da einige von ihnen im Zweikampf mit diesen Wesen zumindest mit den Füßen im Wasser standen, so dass dafür fürs erste ein Schulterstoß gegen die nächste der unheimlichen Gestalten ausreichen musste. Er runzelte die Stirn. Vorher hätte er sich nichts dabei gedacht seine Blitze in der Nähe von Wasser zu verwenden, jetzt wusste er, dass ein einzelner Fehlgeleiteter sie alle könnte taumeln lassen. Doch so hilfreich dieses Wissen auch war. In seinem Kopf schwirrten andauernd Worte wie Strom, Leiter und elektrische Felder auf, sobald er an seine Blitze dachte. Er schaffte es nicht sie vernünftig einzuordnen. Entschlossen verdrängte er diese Gedanken. Es mochte eine andere Zeit dafür geben. Um ihn herum schrien seine Freunde, ob aus Kampfeslust oder Schmerz vermochte er nicht zu sagen. Entschlossen rammte er einer der Frauen seinen Schwertgriff ins Gesicht und nutzte ihr zurücktaumeln, um aus der Traube auszubrechen, die sich um ihn geschlossen hatte. Er hatte schon bessere gekostet. Erleichtert zählte er seine Freunde durch. Besonders der Anblick Thyras, wie sie Pfeile auf die Wesen, die sich wieder versuchen wollten um ihn zu schließen, abfeuerte und jedes Mal traf, beruhigte ihn. Zacharas stand am Ufer und ließ Flammen regnen, während er ein Ensemble aus Explosionen dirigierte. Daryk bediente sich ebenfalls des Feuers nur schwang er dabei seine Waffe in mächtigem Bogen. Theical stand etwas zurückgezogen, doch wo sein Blick hinfiel drängten sich die Wasserleichen zusammen, wo sie dann meist Zacharas Magie entzweite. Unterdessen hatten sich die Namenslosen zwischen den Wesen aufgeteilt und hieben mit ihren jeweiligen Waffen auf sie ein. Unzählige dieser Gestalten fielen, oftmals noch fauchend und wild zappelnd wie ein Fisch, der erstickt, doch immer mehr kamen auch nach. Erschienen einfach aus den nassen Tiefen als Schatten und tauchten dann durch die schimmernde Oberfläche. Außerdem konnte er Daphne nirgendwo erkennen. Sie war zu Beginn des Kampfes irgendwo aufs Meer hinaus geschleudert worden, doch mittlerweile hätte sie sich wieder zurück zu ihnen arbeiten können. Immerhin war Wasser ihr Element oder zumindest hatte sie das überall herum erzählt. Er blockte den Schlag einer besonders langen Kralle und trat kräftig zu. Die Wasserleiche taumelte fauchend, doch sein Schwert ließ ihren Misston verklingen. Neben ihm hörte er das trügerisch leise Geräusch von Wasser, das durchstoßen wurde, und er fuhr herum. Dann sah er sie. Daphne schwamm mehr als fünfzehn Meter von ihnen entfernt. Eine lächerliche Distanz, wenn man es genau betrachtete, doch das tiefer werdende Wasser und die vielen scharfen Krallen streckten sie für ihn bis in unerreichbare Ferne. Zudem konnte er den Blick gar nicht auf der fernen Prinzessin haften lassen, da sich die Gestalt, deren Auftauchen ihn hatte herumwirbeln lassen, nun auf ihn stürzte. Ein kurzer Schritt zur Seite und eine Klinge, die von unten nach oben stieß, erledigten zumindest diese Angelegenheit recht schnell.
    "Daphne", schrie er der Prinzessin zu und hielt dabei nach weiteren unerwarteten Angreifern Ausschau. "Wir brauchen dich hier." Doch sie zeigte nicht mal andeutungsweise, dass sie verstanden hatte. Genauer gesagt bewegte sie sich gar nicht. Sie wurde nur ein bisschen von den Wellen auf und ab geschaukelt, sodass der Eindruck entstand, dass sie schwimmen würde. Irgendwas hielt sie über der Wasseroberfläche, doch sie war es sicher nicht.
    "Daphne", hörte er dann auch Daryks Ruf hinter sich. Das Platschen ließ darauf schließen, dass er in ihre Richtung rannte, doch irgendwer gebat seinem Bestreben Einhalt. Ob es nun Wasserleichen waren, die sich vor ihn stürzten, oder einer der Menschen, der ihn vor sich selbst bewahren wollte, vermochte er nicht zu sagen. Um sie herum erklang noch immer das Fauchen aus dutzenden Kehlen und die Kreise um sie schlossen sich enger. Neue Gegner schoben sich in sein Blickfeld und er musste sich ihnen zuwenden.
    "Halte durch, Daphne", dachte er vehement. "Halte durch, gegen was auch immer du kämpfst." Dunkle Wolken zogen auf, während sich in ihm Zorn breit machte über den unsichtbaren, nicht zu fassenden Feind. Denn eins war sicher. Die Wasserleichen waren ein Gefahr, doch an die wahre Bedrohung kamen sie nicht heran. Er presste die Zähne zusammen, als er einen weiteren Schnitt an der Hüfte hinnehmen musste.
    "Verdammt seist du, Calypso."

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    Einmal editiert, zuletzt von TiKa444 (29. April 2017 um 07:25)

  • Aras war sehr überrascht, als er Daryk in dieser besonderen Rüstung sah. Ebenso war er überrascht, dass Daryk nun auch Magie zu beherrschen schien. Viele Gedanken schossen ihm durch den Kopf, was es mit dieser Besonderheit auf sich haben konnte. Der Hüne selbst schwieg dazu, aber Aras konnte sich einen neckischen Kommentar dazu nicht verkneifen. "Du bist auch immer für Überraschungen gut, oder?" Nach einem resignierenden Blick fügte Aras an: "Aber lass uns jetzt erstmal Daphne retten."
    Für den Kampf vereinbarten sie wortlos und spontan, ihre Zwiste beizulegen und gemeinsam gegen diese Monster anzutreten. Daphnes Rettung hatte höchste Priorität, obgleich das Helfen der anderen Leute nicht weniger wichtig war. Schnell fuchsten sie sich in den Kampf hinein und brachten jeder für sich ihr Können mit ein. Jaris und Daryk, die wohl mit die geschicktesten Schwertkämpfer unter allen anwesenden, Thyra, welche mit dem Bogen auch unübertrefflich schien und Theical mit Aras zusammen, deren gemeinsame Magie hier sehr nützlich wurde. Jaris dagegen hielt sich mit seinen Blitzen sehr zurück, wofür Aras großes Verständnis hatte. Wusste der selbsternannte Meistermagier gut über die Gefahren in Verbindung mit Wasser bescheid.
    Ohne Blessuren kam Aras schon früh im Kampf nicht davon. Diese Ungeheuer waren sehr aggressiv und agil. Sie sprangen regelrecht aus dem Wasser und fegten mit ihren scharfen Krallen um sich. Im Nahkampf war Aras nicht gut zu gebrauchen, was hier leider nicht gänzlich zu vermeiden war. Einige Schnittwunden an den Armen und Beinen musste er in Kauf nehmen, was aber nichts im Vergleich zu den Wunden war, die er seinen Feindinnen zufügte.

    "Aras, hast du eine Idee?", rief Jaris ihm zu.
    Er wusste nur eine, die in dieser Situation am ungefährlichsten für Daphne war.
    Während er weiter seine Zauber gegen die Wasserleichen sendete, suchte er im eifer des Gefechts ab und an nach Calypso. Irgendwo musste diese Hexe sich aufhalten. Sie musste in der Nähe Daphnes sein, soviel durfte er vermuten. Die wilden Frauen ließen ihm kaum eine ruhige Sekunde, verwickelten ihn ständig in einen Kampf. Doch solange er sie auf gebürtigen Abstand halten konnte, war ihm jedes dieser Monster recht. Mit Flammenstößen, Druckwellen, die Wasser und Sand aufwirbelten, und vielen weiteren Zaubern, vernichtete er viele der Frauen. Trotz der vielen Einzelkämpfe, in die er und seine Kameraden verwickelt wurden, wagte er zu behaupten, sich in diesem Moment fest in die Truppe integriert zu fühlen. Er wusste, dass er in solchen Situationen eine große Hilfe sein konnte. Und so wollte er auch genügend handeln, um all seine Kraft und all sein Wissen miteinzubringen. Wo er nur konnte, half er aus. Mit ausgestreckten Armen drehte er sich im Kreis und führte einen Tanz aus Feuer und Schatten vor. Sich drei der um ihn herumstehenden Bestien als Ankerpunkt wählend, steckte er sie in Flammen und verband die Feuerstränge miteinander, sodass ein brennendes Dreieck entstand, welches er anschließend weiterführend mit seinem weit über den Kopf hinausgestreckten Zauberstab verband. In dieser brennenden Pyramide steckend, watete er langsam durchs Wasser und schleppte die langsam verkohlenden Wasserleichen mit sich, als währen sie fest an ihn gekettet. Seine Kameraden wichen etwas zurück von ihm und machten ihm genügend Platzt. Zwar gelang es ihm, seine Magie im Zaum zu halten, sie räumlich zu begrenzen, jedoch war die immense Hitze des Feuers weit zu spüren. Die Feinde versuchten weiter, ihn anzugreifen, doch wurde jede dieser Bestien, die das Feuer berührte, ebenfalls angekettet und bildete eine neue Verstrebung. Aber Aras musste sich dadurch leider immer mehr konzentrieren, was ihn langsamer machte. Jene Wasserleichen, die dadurch gänzlich dahingerafft wurden, lösten sich automatisch aus der Formation und trieben tot im Wasser
    "Aras, versuche Daphne zu helfen!", vernahm er Jaris' Stimme gedämpft war.
    Wieder wanderte sein Blick gezielter auf die Prinzessin, die immer noch regungslos im Wasser trieb. Aber er erkannte auch, dass sich etwas Ungewöhnliches in ihrer Nähe aufhielt. Es war Calypso, sie schien in menschlicher Form zu sein. Aras sah seine Chance, löste das flammende Gebilde auf und richtete augenblicklich seinen Zauberstab auf Calypso. Mit einem gezielten Schuss, sendete er ihr einen Schattenblitz entgegen. Doch er verhelte sein Ziel. Die Hexe verbarg sich augenblicklich wieder in ihrer Wasserform und ließ den Schattenblitz im flüssigen Nass verebben.
    Er versuchte nun, Daphen direkt zu beeinflussen und konzentrierte sich auf sie. Nur kurz gelang es ihm, sie aus dem Wasser schweben zu lassen und einen knappen Meter weiter zu sich zu holen, bevor sie vom Wasser erhascht und zurückgezogen wurde. Es war Calypso, die Daphne ihm wieder entriss. Er versuchte es erneut, seine Gefährtin aus den Fängen Calypsos zu befreien und konzentrierte sich nun noch mehr darauf. Aber wieder wirkte Calypso ihm entgegen. Sie war wirklich stark, jedoch weckte das in Aras nur den Ehrgeiz, es weiterhin zu versuchen und sich noch mehr hineinzuhängen.
    "Wenn du mich sie nicht retten lässt, muss ich eben gegen dich antreten!"
    Dann versuchte er die Levitation auf das Wasser um sie herum anzuwenden. Dies erwies sich als äußerst schwer, da Wasser keinen wirklichen Ansatzpunkt bot. Während er weiterhin vereinzelte Wasserleichen mit spontanen Schockzaubern abwehrte, versank er immer tiefer in die Konzentration und konnte schlussendlich doch etwas Festes im wilden, aufgewirbelten Wasser erhaschen, dass sich stark zu wehren versuchte. Er wägte ab und kam zum Entschluss, dass er es schaffen könnte, sich Calypso direkt zu widmen, jedoch für den Preis, selbst ein wehrloses Opfer für all das Geschehen um ihn herum zu sein.
    Aber sollte er es versuchen? Sollte er sich in potentielle Gefahr begeben, nur um etwas zu versuchen, was vermutlich sowieso nicht funktionieren würde? Sein Ehrgeiz war zu groß! Er wagte es. Sollte dies eine weitere Prüfung für ihn sein? Wie oft begaben sich schon die anderen in große Gefahr, um einander zu helfen? Und wieviele dieser Gefahren waren für Aras gefährlich genug? Er war kein Mann, der zurückwich, sich verkroch oder ängstigte. Er wollte nie etwas fürchten.
    Einen letzten Gegenschlag übte er aus, um sich für ungewisse Zeit die lästigen Töchter Calypsos vom Halse zu halten. Mit einer gewaltigen Druckwelle, drängte er das Wasser unter sich weg und verschaffte sich somit einen wasserfreien Krater von knappen drei Meter Durchmesser, in welchem er nun auf dem schlammigen Untergrund stand. Um ihn herum die Wasserwand zwei Meter aufgetürmt. Ein kühner Blick hinein und verschwommen konnte er die anderen wahrnehmen. Er richtete seine Hände gen offenes Meer, auf Daphnes Position, und konzentrierte sich wieder auf die unbekannte Macht im Wasser. Er konnte Calypso erhaschen und teilweise umfassen. Doch musste er sich so stark konzentrieren, dass er regungslos dastand und mit den FIngern leicht die Wasserwand berührte. Es gelang ihm, die Hexe im Wasser zu lenken und leicht zu beeinflussen. Sie wehrte sich stark und versuchte sich in Daphnes Umgebung noch mehr zu verbergen. Nur schwer konnte er diese beiden Frauen voneinander getrennt halten, was dieses Unterfangen auch so kompliziert machte. Nur kurz hätte er aus den Gedanken gerissen werden müssen und schon hätte er Daphne anstatt Calypso wieder fixiert und würde selbst vom Wasser überrollt werden.
    Er zwang die Hexe dazu, sich von Daphne zu entfernen und zog sie näher zu sich heran. Jedoch wirkte sie entgegen und zog nun ihn näher an sich. Kurz verlor er den Halt und machte einen Ausfallschritt. Aber er fing sich wieder.
    Eine gefühlte Ewigkeit schien zu vergehen, bis es ihm endlich gelungen war, sie in ihre menschliche Form zu drängen. So sehr hatte er sie schwächen können. Aber auch ihn selbst schwächte es zu sehr. Er brach zusammen und das Wasser umspülte ihn. Er wollte sich wieder aufrappeln, doch plötzlich wurde er an den Beinen gepackt und ins Wasser gedrückt. Die wilden Frauen überwältigten ihn. Sein Gesicht wurde in den Schlammigen Boden in knapp einem Meter tiefem Wasser gepresst. Aras drohte zu ersticken. Das Gewicht von guten neun Frauen lag auf ihm und queckte ihn immer tiefer in den weichen Untergrund, bis sein Kopf fast komplett im Sand verschwunden war. Schmerzen in Rippen und Waden von eindringenen Krallen und Zähnen. Atemnot...
    Er sah sich verloren. Seine Magie konnte nichts ausrichten gegen die Hexe. Er war zu schwach.

    Dann, plötzlich, spürte er, wie zwei Gestalten neben ihm standen und ihn am Bein packten. Aras verschwand langsam in Ohnmacht, konnte sich nur noch mühevoll in der Welt des Bewusstseins halten. Die Last auf ihm wurde geringer, keine Krallen bohrten sich mehr in seinen Rücken. Dann wurde er selbst mit einem kräftigen Ruck aus dem Wasser gezogen und aufgerichtet. Es waren Daryk und Jaris, die zu ihm geeilt waren. Während Aras langsam wieder zu Bewusstsein kam, sah er die beiden Männer die Monster abwehren, die dem Magier zuvor noch das Leben nehmen wollten.
    "Geht es dir gut?", fragte Jaris und verteilte munter weiter Schwertstiche.
    Ganz außer Atem war Aras, krümmte sich leicht und stammelte: "Danke... ihr habt... mich gerettet! Ja, es geht mir gut. Ich muss nur...", eine kurze Handbewegung und er schleuderte eine heranschnellende Wasserleiche ins offene Meer raus, "kurz verschnaufen..."
    Einen schiefen Blick erntete er vom Hünen, den er nur schwer deuten konnte.
    Aras sprach weiter: "Ich konnte Calypso schwächen, aber töten können wir sie bestimmt nicht."

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    Theical hielt sich die Wasserleichen mit Hilfe einer weiteren vom Hals in dem er sie immer wieder auf ihre eigenen Leute losgehen ließ. Er selbst besaß schließlich keine Waffen außer seinen Dolch und der lag wohl noch auf seinem Zimmer. So war das Einzige, das er einsetzen konnte, die Krallen der Leichen. Immer Wasser konnte er sie ja schlecht ertränken.
    Aus dem Hintergrund konzentrierte er sich von daher eher darauf, den anderen den Rücken frei zu halten, allerdings war es für diese nicht immer ersichtlich, welche der Leichen er gerade kontrollierte, weshalb nicht nur einmal die Manipulierte von einem von Daphnes Brüdern oder Jaris niedergewalzt wurde. Aber es tauchten ununterbrochen neue aus den Fluten auf, weshalb das kaum von Bedeutung war.
    Die Hemmschwelle jemanden umzubringen, hatte er glücklicherweise in Ymilburg überwunden, denn mit k.o. schlagen kam man bei diesen ... Dingern nicht weit.
    Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Jaris und Daryk Aras aus dem Wasser zerrten. Er wirkte erschöpft, kam aber wieder auf die Beine. Blieb immer noch das Problem mit Daphne.
    Theical schwenkte den Blick, musste aber abrupt damit aufhören, als sich zwei Wasserleichen von hinten näherten. Den Angriff der einen konnte er noch abfangen, in dem er ihren Arm umlenkte. Durch den Hieb in die Luft verlor sie das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Die zweite Sklavin des Meeres erwischte ihn jedoch am Arm und hinterließ sofort eine blutende Wunde. Theic sog die Luft ein und presste die Hand auf die Stelle. Gerade holte die Frau zum nächsten Schlag aus, da durchdrang ein Pfeil ihre Stirn. Sie verdrehte die Augen und fiel rücklings in den Sand.
    Theic bekam nicht die Möglichkeit sich bei Thyra zu bedanken, denn in der Zwischenzeit hatte sich die zweite Frau wieder erhoben und startete einen erneuten Angriff.
    "Nimmt das denn gar kein Ende?", ranzte er, während er den Schatten und damit auch den Körper der Frau so weit bog, dass dieser das Rückrad brach. Kurz fiel sie wieder zu Boden, verlor das Gleichgewicht, dann aber schwang ihr Oberkörper zurück in die Senkrechte und sie ging erneut auf ihn los, als wäre nie etwas gewesen. "Wenn Daphne sich heilt, ist es okay, bei dir ist das einfach nur unheimlich!" Theical duckte sich unter einem Schlag hinweg. Diesmal konzentrierte er sich auf ihren Arm und ließ diesen herumfahren, sodass die Krallen den eigenen Körper der Frau durchbohrten.
    "Wir brauchen einen Plan." Thyra trat an seine Seite. Mit ihren Pfeilen erledigte sie eine Wasserleiche nach der anderen und mähte auf diese Weise alles nieder, was sich ihnen näherte.
    Theical nickte lediglich und versuchte den Schmerz in seinem Arm zu ignorieren, zumindest bis der Kampf überstanden war. Sein Glück, dass er nicht zwangsläufig auf seinen Arm angewiesen war.
    "Wie sieht es mit Daphne aus?", rief die Jägerin Jaris zu, doch dieser schüttelte nur den Kopf, während er eine der Frauen mit dem Schwert durchbohrte und mit einem Kick von sich schleuderte.
    "Wir kommen nicht mal an sie heran!", rief Daryk.
    "Calypso schützt sie!", fügte Jaris hinzu.
    Theical nutzte die neue Ruhe, die durch Thyra entstand, und versuchte einen Blick auf Daphne zu erhaschen. Sie hockte im Wasser und wurde von der Hexe umkreist. Ihre Augen waren stur auf den Strand gerichtet. Einige Male schüttelte sie den Kopf, dann traten plötzlich Wassertentakel aus ihren Ellenbogen und sie hob sich aus dem Wasser. Sie lief über die Wasseroberfläche und kam auf den Strand zu.
    "Zum Glück, sie konnte sich dieser Irren widersetzen." Thyra wirkte erleichtert und schlug einer der schon zu nahe gerückten Leichen den Bogen um die Ohren.
    "Daphne!", rief derweil Daryk. Er machte sich den Weg frei und lief der Prinzessin entgegen. Diese zuckte jedoch nicht mal mit dem Kopf. Es schien, als würde sie durch Daryk hindurchschauen. Wie hypnotisiert lief sie auf ihn zu, vorbei an den Wasserleichen, die sie nicht einmal wahrnahmen.
    Unsicher blieb Daryk stehen. Er schien ebenfalls zu bemerken, dass etwas nicht stimmte.
    Plötzlich wurden Daphnes Schritte schneller, sie begann zu rennen und schleuderte ihre Wassertentakel einmal nach Daryk und den zweiten nach Jaris. Sie waren diejenigen, die der Prinzessin am nächsten standen. Beide entkamen sie dem Angriff.
    "Wir sind nicht die Feinde!", rief Yorrick entgeistert. Durch sein Rufen auf ihn aufmerksam geworden, nahm Daphne nun ihren Bruder ins Visier, weshalb Theic ihn im letzten Moment aus der Bahn des Wassers stolpern ließ.
    "Was ist denn jetzt los?" Theical versuchte die Leichen von seinen Freunden fernzuhalten, während sie alle auf Daphne fixiert waren. Gemeinsam mit den anderen Frauen griff sie an und fauchte sogar ähnlich.
    "Das muss an Calypso liegen", stellte Jaris fest.
    "Das heißt, wenn wir Calypso erledigen, wird auch Daphne wieder zu sich kommen", kommentierte Zacharas.
    "Und wie wollen wir das machen, du Genie?!", platzte Theical zurück.

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    Die Diskussion der Anderen Interessierte Daryk nicht. Er wollte nur zu Daphne, welche wild fauchend zwischen den anderen Sirenen stand und mit ihren Tentakeln um sich schlug. Mühsam erkämpfte er sich jeden Meter. Beinahe war er in Reichweite ihrer Stränge, nahm sich also in Acht. Eine der Sirenen tauchte im Kniehohen Wasser vor ihm auf und schlug nach ihm. Der schwarze Stahl der Rüstung wehrte den Angriff mühelos ab und er enthauptete das Wesen mit einem schnellen Schlag seiner Waffe. Sein Blick wanderte zu Jaris, welcher sich Daphne von der Seite näherte und ihm mit einer Geste bedeutete, dass er sie festhalten wollte. Ein gefährlicher Plan, aber was hatten sie für eine Wahl?
    „Daphne!“, rief er erneut über das Tosen des Kampfes und des Meeres, was sie tatsächlich dazu veranlasste, ihren Blick auf ihn zu richten. Kurz war Hoffnung in ihm aufgekeimt, sie wäre zu sich gekommen, aber ihre Augen sagten etwas Anderes. Gerade, als sie zum Angriff ausholte, griff der Halbelf nach ihren Armen. Ein schriller Schrei entfuhr ihr, als eine gewaltige Welle die beiden Männer und die neue Meerhexe überrollte und von den Beinen riss.
    Schnell rappelte sich Daryk wieder hoch und sah noch, wie Daphne auf der sich zurückziehenden Welle davonschwamm und im tieferen Wasser untertauchte.
    Da ging sie hin. Alleine.
    „Und weiter geht’s“, hörte er Jaris auffordernd rufen, während dieser sich wieder den Sirenen widmete.
    Nachdem Daryk keine Ahnung hatte, was er sonst tun sollte, folgte er dem Söldner.

    Die Klinge der Waffe glitt durch das Fleisch von Calypsos Sklavinnen und beendete ihre verfluchten Leben schnell. Daryk hatte das Gefühl, jeden einzelnen Tod um ihn herum wahrzunehmen, selbst die, die er nicht sah oder hörte. Es war, als würde er den Herzschlag spüren, der plötzlich verstummte.
    Mit einem Ruck zog er seine Waffe aus der Brust eines der Wesen. Ein Pfeil zischte vor seinem Gesicht vorbei und erlegte ein weiteres Monster, das sich ihm von der Seite genähert hatte. Ohne große Hektik wandte er sich der nächsten Sirene zu, die sich auf ihn stürzen wollte und rammte ihr sie Runenklinge tief in den Bauch. Fauchend fiel sie auf die Knie und griff mit ihren klauenbewähren Händen nach dem Schaft der Waffe. Schwarzes Blut quoll aus der Wunde als sie sich an Seelenspalter festkrallte. Die Waffe im Bauch seiner Gegnerin fixiert Griff er einer weiteten mit bloßer Hand ins Gesicht und lies das Höllenfeuer kurz aufflammen. Kreischend kratzte die Untote an seiner gepanzerten Hand herum und versuchte sich zu befreien. Der Geruch ihres verbrannten Fleischs stieg ihm in die Nase, während die Gegenwehr langsam erschlaffte. Als der Todesritter spürte, dass nur noch sein Griff das Wesen auf den Beinen hielt lockerte er diesen und lies den nun leblosen Körper mit der eingebrannten Hand im Gesicht zu Boden fallen. Mit beiden Händen nahm er wieder seine Waffe und zog sie schlagartig zur Seite, was auch die Aufgespießte von ihrem Leid erlöste.
    Ein kurzer Moment der Ruhe erlaubte es ihm, seinen Blick aufs Meer zu richten. Daphne war nirgends mehr zu sehen. Er hatte sie allein gelassen und nun musste sie vermutlich den Preis dafür zahlen. All diese Wesen, die hier zerschnitten, verbrannt und von Pfeilen durchbohrt wurden waren einst Prinzessinnen gewesen. Die verschwundenen Töchter der Herzogsfamilie, dazu verdammt auf ewig als Sklavinnen zu dienen.
    Die Explosion eines Feuerballs schleuderte Sand und einige der Sirenen durch die Luft. Daryk ließ seinen Blick über das Schlachtfeld schweifen und erkannte, dass der Rest der Truppe momentan gut zurechtkam.
    Der Zacharas Zauber flogen herum und erledigten einige der Biester. Der Ritter hatte keine Ahnung, warum der Mann vorhin beinahe ertrunken war, denn er hatte nur Wasser gesehen. Aber er ging davon aus, dass es schon seinen Sinn gehabt hatte.
    Jaris tanzte beinahe durch die Reihen und fällte mit großen kreisenden Schnitten Feind um Feind.
    Theical stand am Rande des Schlachtfelds und versuchte die Sirenen zu kontrollieren. Es war nicht zu erkennen, ob es ihm gelang oder nicht, aber er tat, was er konnte.
    Daphnes Brüder waren am ganzen Strand verteilt und Thyra stand neben Theical. Lediglich ihre Pfeile sausten durch die Luft.
    „Daryk!“, hörte er Thorvid rufen und wandte sich ihm zu. Der ausgestreckte Arm des Barden bedeutete dem Ritter sich umzudrehen.
    Dort sah er Daphne, wie sie bis zu den Oberschenkeln im Meer stand. Der kurze Moment der Freude wurde sofort von Sorge verdrängt. Mit hängenden Schultern und zur Seite geneigtem Kopf stand sie da und hielt sich den Nacken. Ihre grell blau leuchtenden Augen starrten schwach und ziellos auf die Wasseroberfläche. Seetang hing ihr von der Schulter und in den Haaren, welche sich nass und dunkel deutlich gegen ihre blasse Haut abzeichneten.
    „Lass sie nicht alleine“, erinnerte er sich und begann sofort, in ihre Richtung zu eilen. Sobald er einen Fuß ins Wasser gesetzt hatte spürte er, wie etwas seine Beine festhielt. Ein Blick nach unten verriet ihm, dass es dicke Algenstränge waren, die an ihm nach oben krochen.
    Daphne rührte sich nicht sondern stand einfach da und starrte ins Nichts.
    Mit einem Schnitt der Runenklinge versuchte er, sich aus dem Griff der Wasserpflanzen zu befreien. Schneller, als er sich befreien konnte wuchsen die Stränge nach. Gerade als er sich entschlossen hatte, einfach sein Feuer zu entzünden um alles zu verbrennen, was ihn aufhalten konnte, hörte er eine Stimme:
    „Zeit, mal wieder etwas Spaß mit einem Mann zu haben!“
    Er schreckte hoch und erkannte die Frau neben Daphne, die er bereits auf dem Gemälde im Archiv gesehen hatte.
    Franziska Murchadh, war ihr Name, oder auch…
    „Calypso!“, sagte er leise, aber sicher.
    Ein Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, als sie mit ihren Krallen an Daphnes Hals entlangfuhr.
    „Wenn ich du wäre, würde ich das lassen“, meinte sie hämisch und blickte auf seine Beine, welche immer fester von Algen umschlungen wurden.
    Er gab es auf, sich zu befreien und wartete ab, was sie von ihm wollte.
    Lachend machte sie mit der freien Hand eine ausladende Geste, woraufhin sich sofort eine Wand aus Wasser um die drei bildete und von den anderen abschloss. Keine Hilfe zu erwarten.
    „Was willst du?“, knurrte der Ritter die viel zu junge Frau durch seinen Helm an, während er noch immer spürte, wie Herzschläge hinter der Wassermauer verstummten.
    „Du bist also derjenige welcher“, antwortete sie abfällig, „War auch nicht anders zu erwarten.“
    Er nahm seine Waffe wieder in beide Hände, bereit einen eventuellen Angriff abzuwehren und musterte sie kurz.
    „Welcher… was?“, fragte er dann.
    „Zwar kein Nordmann, aber genauso primitiv, protzig und der größte Muskel befindet sich sicherlich nicht auf dem Hals“, ignorierte sie seine Frage, „die Frauen dieses Landes hatten schon immer einen sehr eigensinnigen Geschmack, aber das nenne ich mal eine Herausforderung.“
    Ein tiefes Brummen entkam seiner Kehle, als er erkannte, dass sie wusste, was zwischen ihm und Daphne wirklich war.
    „Was. Willst. Du“, stellte er seine Frage noch einmal energischer.
    Elegant zog sie ihre Hand von Daphnes Hals weg und schwebte durch das Wasser zu ihm herüber. Irgendetwas sagte ihm, dass er sie nicht angreifen durfte, wenn er Daphne retten wollte.
    „Ich bin ja kein Unmensch“, behauptete sie und strich mit der krallenbewährten Hand über sein Visier, „Ich will euch eine faire Chance lassen, mich zu besiegen. Ich, die ich die Mutter all jener hier bin!“
    Daryk drehte den Kopf zur Seite und überlegte kurz.
    „Tante“, verbesserte er sie dann, denn er wusste, dass Calypso kinderlos gestorben war und ihre Schwester die Erblinie fortgeführt hatte.
    Mit einem wütenden Schrei fuhr die Meerhexe zu ihm herum und schlug mit der Hand nach ihm.
    Ein stechender Schmerz durchzuckte sein Gesicht und sein rechtes Auge, als ihre Klauen den Helm des Todesritters mühelos durchdrangen und tiefe Kratzer in seinem Fleisch hinterließen. Dunkelheit war alles, was ihm der Rest seines Auges noch zeigte, als er seinen offensichtlich nutzlosen Helm verschwinden ließ. Warmes Blut lief ihm über die Wange und durch den Bart und tropfte vor ihm ins Wasser, während er seine Waffe fallen ließ, sich beide Hände vors Gesicht hielt und einen kurzen Schmerzensschrei losließ. Da wo sein rechtes Auge hätte sein sollen war nichts mehr dergleichen. Nur eine blutige Masse, die aus der Augenhöhle quoll.
    „Sie hätten meine Kinder sein sollen!“, kreischte Calypso ihn an und er konnte ihren Atem an seinem Ohr spüren.
    „Und jetzt“, flüsterte sie ihm zu, „hole ich sie mir, eine nach der anderen!“
    „Du kannst sie nicht haben“, keuchte er durch seine Hände, „niemals!“
    Die verdorbene Herzogin lachte auf.
    „Sie gehört mir bereits!“, verkündete sie siegessicher, „Mein Gift arbeitet sich durch ihre Venen und wird sie in einer meiner Töchter verwandeln!“
    Er nahm die Hände aus seinem Gesicht und richtete sein verbliebenes Auge auf die selbsternannte Mutter der Sirenen.
    Sie erwiderte seinen Blick und führte ihre Hand, rot von seinem Blut, zu ihrem Mund und leckte sich über die Finger.
    „Das Blut eines Mannes schmeckt… hervorragend“, raunte sie zufrieden, bevor sie kurz inne hielt und ihre Hand ansah. Sie verzog den Mund zu einem vielsagenden Lächeln, fixierte ihn wieder und kicherte:
    „Aber das weißt du ja selbst.“
    Überrascht zog der Ritter die Augenbraue hoch, was einen brennenden Schmerz durch sein blutiges Gesicht sandte und besonders sein zerstörtes Auge schickte eine Welle der Pein durch seinen Schädel.
    Ohne den Blick von ihm zu lassen, stolzierte sie wieder hinüber zu der kleinen Frau.
    „Deine Tochter hatte recht, Ritter, du bist ein Monster! Wann wolltest du Daphne deine kleinen, schmutzigen Geheimnisse anvertrauen?“, fragte sie höhnisch, „Ich denke das ist ein guter Zeitpunkt, meinst du nicht?“
    Mit diesen Worten hielt sie die blutverschmierte Hand an Daphnes Mund.
    „Koste sein Blut, Kind. Erfahre, was er versucht hat, vor dir zu verbergen!“, wies sie die vergiftete Prinzessin an.
    Diese folgte dem Befehl und fuhr, ohne sich groß zu bewegen, ebenfalls mit der Zunge über die Klauen der Hexe. Kurz leuchteten ihre Augen auf, bevor sie wieder in ihre alte Starre verfiel.
    „Du machst es mir so einfach“, verspottete sie Daryk, „sie wird eine mächtige Dienerin sein!“
    „Nein“, meinte dieser ungläubig, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass Daphne zu schwach war um Calypso zu wiederstehen, „sie wird nicht als deine Sklavin leben!“
    Ein teuflisches Grinsen breitete sich auf ihrem Antlitz aus.
    „Es gibt einen Weg es zu verhindern!“, erwähnte sie beiläufig, „töte sie!“
    Erschrocken zuckte sein Blick zur Prinzessin und er erkannte, dass sie immer noch genauso dastand, wie zuvor.
    War der Tod nicht wirklich ein besseres Schicksal, als ewige Versklavung? Daphne hatte aus dem Totenreich berichtet. Etwas in seinem inneren schrie ihn an, dass er seine Prinzessin nicht mehr retten konnte, aber noch wollte er es nicht wahrhaben. Er spürte, wie die Schlingen um seine Beine ihren Griff lockerten. Wie in Trance griff er nach dem im blutrot verfärbten Wasser liegenden Sponton und nahm ihn wieder auf. Calypso hatte sich auf einen Berg von Wasser zurückgezogen und war längst aus seiner Reichweite. Zögerlich machte er einen Schritt nach vorne, näher an Daphne heran. Dicke Blutstropfen rannen ihm immer noch durchs Gesicht und tropften auf seine Brust und ins Wasser.
    Langsam aber stetig näherte er sich der kleinen Frau, die er um nichts in der Welt verlieren wollte. Aber ewiges Leid konnte er ihr auch nicht antun. Fest hielt er den Schaft seiner Waffe umklammert, als er bei ihr angekommen war. Gerade einen halben Meter vor ihm stand die Frau, die ihm ein neues Leben geschenkt hatte. Leblos verharrte sie in gleicher Haltung, mehr wie eine Statue, als die lebensfrohe Prinzessin, die er kannte.
    „Daphne“, flüsterte er mit gebrochener Stimme, und strich ihr sanft über die Wange „komm zu mir zurück!“
    Sie reagierte nicht, starrte einfach weiter aufs Wasser.
    Er hörte Calypsos schrilles Lachen und wusste, wie sehr sie sich an seiner Verzweiflung erfreute.
    „Ist es nicht Ironie des Schicksal, dass alle deine Frauen sterben?!“, höhnte sie von ihrer sicheren Position aus, „tu es!“
    Daryk verdrängte alle Zweifel, er wusste was er tun musste.
    Das Feuer brannte um ihn herum und er spürte die Hitze der Flammen, als er seine Waffe und Rüstung verschwinden ließ.
    „Nein!“, sagte er leise, „ich werde sie nicht verletzen.“
    Stille kehrte kurz ein, als das Lachen der Meerhexe verstummte. Plötzlich stand sie wieder neben ihm.
    „Tue nicht so, als würdest du etwas für sie empfinden. Das ist eine Lüge!“, warf sie ihm wütend vor.
    Der Ritter ignorierte den Schmerz in seinem zerstörten Auge, als er den Kopf schüttelte.
    „Ist es nicht“, stellte er klar.
    „Du wolltest sie gerade töten!“, klagte sie weiter an, „Ist doch so? Wer tut denn so etwas, wenn er jemanden liebt?“
    Daryk schwieg kurz. Was sollte er darauf antworten? Manchmal war der Tod die bessere Lösung, aber er konnte es nicht tun. Er konnte sie nicht töten. Wie sollte er auch?
    Calypso wartete seine Antwort nicht ab.
    „Wie erbärmlich ihr Männer seid“, lachte sie voller Hass, „große Kriege könnt ihr schlagen, aber wenn es um das Herz geht, seid ihr schnell am Boden.“
    Dem konnte Daryk nichts entgegen setzen. In der Tat würde er lieber eine Schlacht gegen tausende Feinde führen als diesen Moment erleben zu müssen.
    „Aber freu dich ... wir Frauen sind da anders“, schnurrte sie ihm ins Ohr, bevor sie sich an Daphne wandte.
    „Töte ihn“, befahl sie ihrer neuen Sklavin gelangweilt.
    Kaum hatte sie ausgesprochen erwachte Daphne aus ihrer Starre. Sie riss den Kopf herum und ihre blau leuchtenden Augen fixierten Daryk.
    Einen winzigen Moment hatte er Hoffnung, sie wäre wieder sie selbst, aber ihr schriller Schrei zerstörte jeden Rest davon.
    Bevor er eine Chance hatte noch etwas zu sagen, hatten ihre Wasserstränge schon seine Schultern durchbohrt und hoben den einäugigen Ritter ohne Gegenwehr in die Höhe.
    Noch einmal ertönte die spöttische Stimme der gefallenen Herzogin:
    „Hast du gedacht, sie ersetzt dir deine süße, aber tote Familie? Welch ein Witz ... eine Tochter des Rhenus mit einem ... Was bist du? Bückling des Todes? Leben und Tod verstanden sich noch nie. Das wirst du alsbald feststellen.“
    Die Worte bohrten sich in Daryks Geist, so wie Daphnes Tentakel sich in seine Schultern bohrten.
    Ein letztes Mal blickte er seiner Prinzessin in die kalten Augen, die jede Liebe vermissen ließen, und akzeptierte sein Ende durch die Frau die er liebte.

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    Ob sich so ertrinken anfühlte? Erinnern … Sie versuchte sich zu erinnern, was überhaupt geschehen war? Gerade noch stand sie am Wasser und plötzlich hatte sie das Gefühl, sich inmitten des Meeres zu befinden. Sie öffnete gefühlt ihre Augen, aber da war nur Schwärze.
    „Wo bin ich?“, fragte sie sich selbst.
    „Kurz in Sicherheit“, antwortete eine Frauenstimme. „Hier kann dir niemand mehr etwas antun.“
    „Antun?“, fragte Daphne erneut. „Wer will mir denn etwas antun?“
    „Erinnerst du dich nicht mehr? Die ganze Welt.“
    Die Prinzessin durchforstete ihre Gedanken, aber da war nur Rauschen. Ähnlich, als stünde man unter einem Wasserfall und würde den Gesang eines einzelnen Vogels hören wollen.
    „Ich ...“, stockte Daphne und bekam keine Erinnerung zu fassen.
    „Erinnerst du dich nicht an dein Leben? Eines, welches du in Gefangenschaft gefristet hast, bis zu dem Tag, an den man dich an diesen Frauenmörder verkauft hatte?“
    Ein tiefer Atemzug ereilte sie und mit diesem erschienen wieder die Bilder vor ihrem inneren Auge. Daphne erinnerte sich an den Namen, Heinrich, und mit ihm an alles Schlechte, was sie mit diesem Mann verbannt. Kerker, Folter, ihre Flucht und die erneute Finsternis eines Verlieses.
    „Die Welt hat es nie gut mit dir gemeint, nicht wahr?“
    „Nicht, dass ich wüsste.“
    „Die Erniedrigungen und Beleidigungen, die dir widerfahren sind. Das alles kann enden. Du kannst Rache an jenen nehmen, die dir all das angetan haben und noch mehr.“
    Ein Licht tauchte vor Daphne auf, welches wie die Sonne aussah, die sich unter Wasser auf der Oberfläche abzeichnete. Aus diesem heraus sah sie den Strand vor sich und wie der Kampf weiter von statten ging.
    Was ist dort los?“, verlangte sie zu wissen. „Warum kämpfen da alle?“
    „Sie kämpfen gegen uns. Sie wollen uns vernichten.“
    „A-Aber warum?“
    „Weil sie glauben, es zu können. Menschen brauchen keine besonderen Gründe.“
    „Ich … Ich kenne diese Personen dort. Die Frau mit dem Bogen, den Magier und ...“
    Daphnes Blick blieb an den Mann mit der schwarzen Rüstung hängen, der einer schwarzhaarigen Frau seine Waffe aus dem Körper riss.
    „Natürlich kennst du sie. Sie alle haben dich betrogen.“
    „Alle?“
    „Und jetzt versuchen sie dich zu töten!“
    „Mich töten?“
    „Verteidige dich, Kind!“
    Die Prinzessin verstand nicht ganz. Irgendetwas hielt sie fest und umschlang ihren Körper. Sie wollte sich bewegen, etwas sagen, aber brachte, außer in Gedanken, kein Wort heraus. Selbst die Stimme der Frau, die zu ihr sprach, klang seltsam verschwommen.
    Daphne beobachtete das Geschehen und sah, wie Frauen abgeschlachtet wurden, die aussahen wie sie. Was sie bis dahin nicht wissen konnte, war, dass das Gift, welches in ihr arbeitete, den Blick trügte. Sie sah diese Sklavinnen nicht als Wasserleichen, sondern als unschuldige Wesen, die sie bei Weitem nicht waren, zumindest nicht unter der Kontrolle der Hexe.
    Plötzlich konnte Daphne einen Fuß vor setzten.
    „So ist gut“, merkte die Stimme an. „Hilf ihnen!“
    Die Prinzessin war sich unsicher, aber als eine weitere Frau unter den Hieben des brünetten Schwertkämpfers zu Boden ging, wurde sie wütend. Ihr Spiegelbild flackerte leicht im Wasser auf und bezeugte die Ähnlichkeit zu diesen Mädchen. Nach dem ersten Schritt folgte ein zweiter und langsam setzte sie sich in Bewegung. Die Schreie der Frauen klangen jämmerlich und Hilferufe mischten sich darunter.
    Ein Schrei entwich entwich ihrer Kehle und von unbekannter Wut umhüllt, raste sie auf die Gruppe zu, die ihresgleichen bekämpfte. Der erste Schlag galt dem Schwertkämpfer und dem Hünen, welcher sie anschaute, als wäre dies das Letzte gewesen, womit er gerechnet hatte.
    „Daphne“, schrie er ihren Name, als sich einem weiteren Schwertkämpfer zuwandte, der ihr weismachen wollte, sie seien nicht ihre Feinde. Aber dann versagte ihre Kontrolle über ihren Körper wieder und die Stimme erklang erneut in ihrem Kopf.
    „Nicht so schnell“, meinte diese, „Wir sollten den Moment des Triumphs genießen.“
    Alles ließ seltsam verzerrt ab, nicht so, wie es sein müsste, wenn Daphne allein agieren hätte dürfen.
    Irgendetwas stimmt hier nicht ...
    Als ihr Körper erneut gegen ihren Willen handelte, sah sie den Hünen vor sich, den ihr die Frau in ihrem Kopf als Menschenjäger verkaufen wollte. Sie war gezwungen dazu sein Blut zu schmecken. Die Prinzessin durchzuckten hunderte von Bildern. Stimmen und Landschaften wurden ihr offenbart, Orte, an denen sie noch nie gewesen war.
    „Er ist ein Mörder, siehst du!“, fauchte die Stimme.
    Ein Schlachtfeld breitete sich vor ihr aus, beherrscht von Schnee und Eis. Die Dinge, die Daphne dort sehen konnte, ließen ihr das Blut in den Adern gefrieren, ebenso wie den Leichen, die dort in Stücken herumlagen.
    „Warum zeigst du mir das?“, schrie die Prinzessin. „Was hat das mit mir zu tun, wenn ich die Menschen kenne, die ich töten soll? Was hat das für einen Sinn?“
    „Es ist ein Spiel, weil er auch dich umbringen möchte, sieh hin.“
    Als sie wieder ihre Augen nach vorn richtete, tauchte dort der schwarze Ritter auf, den sie zuvor, um einiges jünger, gesehen hatte. Mit seiner Waffe in der Hand, hielt er auf sie zu, blutend und mit direkten Blick in ihre Augen.
    „Er tat so, als würde er mehr für dich empfinden, aber jetzt hat er gemerkt, dass du ihm seine Familie nicht zurückgeben kannst und bist wertlos.“
    „W-Was?“
    „Kannst du es nicht in seinem Blut erkennen?“
    „Ich will es nicht erkennen müssen. Warum quälst du mich mit Teilen von Erinnerungen, die nicht meine sind, aber meine eigenen sind verschwommen?!“
    „Willst du dich wirklich erinnern?“, sprach die Stimme höhnisch. „Dann bitte, erinnere dich.“
    Schmerz ereilte die junge Frau, der ihr den Atem abschnürte. Sie saß ein Zimmer, lehnte gegen eine Tür und weinte. Alles, was sie fühlte, war Einsamkeit, Verwirrung und Wut. Das Gefühl nirgends einen Platz zu haben.
    „Hör auf!“, wimmerte Daphne.
    „Da ist noch mehr … Wie wäre der Pfeil in deiner Brust? Würdest du dich daran gerne erinnern?“
    Ihr Blick wechselte zwischen der Finsternis und der Außenwelt hin und her, wo der Ritter immer noch auf sie zuhielt. Die Prinzessin konnte den dumpfen Schmerz wieder spüren, der ihr das Leben genommen hatte.
    „Jeder versucht dich nur zu verletzten, zu töten oder auszunutzen. Du musst egoistischer werden und dich wehren!“
    Egoistischer werden. Irgendwoher kannte sie diese Worte, aber von wo genau, das konnte sie nicht sagen.
    „Töte sie, bevor er dich töten!“, brüllte die Stimme sie nun an, während sie sich imaginär die Ohren zuhielt. Immer wieder hallte der Befehl in ihrem Kopf wider. Alles Negative prasselte auf sie ein wie ein Platzregen. Trachtete man nach ihrem Leben? Man hatte sie wirklich lange genug für dumm verkauft und in Ketten gelegt.
    Eine Berührung ließ sie aufschrecken und augenscheinlich hatte der Ritter ihre Wange berührt.
    „Töte ihn endlich!“, kreischte die Stimme regelrecht und jene Worte mischten sich mit denen, die der Mann vor ihr flüsterte.
    „Daphne, komm zu mir zurück!“
    „Erlöse ihn vom seinem Leid, das wollte dieser Mann immer, du weißt, dass er sterben wollte. Tue ihm den Gefallen, er sieht in dir nur seine Khyla, mehr ist da nicht. Deine Gefühle sind jedem egal!“
    Ein lauter Schrei entwich der jungen Frau und sie spürte, wie ihr Körper sich wieder bewegte. Ihr ganzer Brustkorb brannte wie Feuer und es breitete sich aus, dabei schlug ihr Herz schneller als die Flügel eines Kolibri. Wieder ereilten sie Bilder, gerade die, wo sie diesen Mann das erste Mal gesehen und wie er sie damals genannt hatte.
    „Haltet alle die Klappe!“, brüllte die Prinzessin schlussendlich. Niemand tötet mich! Niemand erzählt mir Lügen oder nutzt mich aus! Nie mehr! Und mein Name ist nicht Khyla!“
    Daphne riss ihre Augen auf, diesmal richtig und merkte, wie das Wasser aus ihren Armen schoss. Die Wassertentakel formten sich zu Harpunen und durchbohrten den Ritter, an dessen Namen sie sich nicht erinnern konnte. Sie schlugen durch seine Schultern und rissen ihn in die Luft. Noch einmal entwich ihr ein schriller Schrei und diesmal bewegte sich auch ihr Mund dazu, so dass sie wusste, dass dies nicht nur in ihrem Kopf stattfand.
    Plötzlich befand sie sich wieder mitten im Geschehen. Frauen, die aussahen wie sie, wurden getötet und das von Menschen, die sie irgendwie kannte. Ihr Blick huschte zu dem Mann, der weit über dem kniehohen Wasser hing und nur zur ihr hinunter starrte, während seine Arme ihre Wasserstränge umschlossen.
    „Hast du gedacht, sie ersetzt dir deine süße, aber tote Familie? Welch ein Witz ... Eine Tochter des Rhenus mit einem ... Was bist du? Bückling des Todes? Leben und Tod verstanden sich noch nie. Das wirst du alsbald feststellen“, fuhr die Stimme, die sie schon zuvor vernommen hatte, fort und nun bekam auch diese ein Gesicht. Die schwarzhaarige Frau stand direkt neben ihr. Daphnes Blick wechselte von ihr zum Mann in der Luft und sie legte ihren Kopf schief.
    „Wie ist dein Name?“, fragte Daphne mit seltsam verzerrter Stimme, die sie, so glaubte sie zumindest, von sich selbst nicht kannte.
    „Du sollst ihn nicht erneut kennenlernen, sondern töten!“, beschwerte sich die Frau neben ihr. Sie zog eine der Tentakeln aus der Wunde und schleuderte diese der Frau entgegen, die getroffen durch die Wasserwand flog und diese daraufhin zusammenfiel.
    „Ich sagte; Klappe halten! Du hast mir gar nichts zu sagen“, murmelte Daphne und schaute noch einmal hinauf, wo sich der andere Wasserstrang, nachdem er die Schulter durchschlagen hatte, um den Körper des Ritters schlang.
    „Also … Wer bist du?“
    „Du weißt, wer ich bin“, murmelte der Ritter schwach.
    „Was machst du denn da?“, schrie ein anderer Mann aus etwas Entfernung, der das Szenario beobachten konnte. „Lass Daryk runter!“
    Daryk?
    „Hat das Salzwasser dir das Hirn verkalkt?“, maulte die Frau mit dem Boden und schloss zu dem brünetten Mann mit dem Schwert auf, während sie immer noch die anderen Frauen bekämpften. „Du kannst doch dein … Deine Leibwache nicht töten!“
    Leibwache?
    „Ihr könnt sie nicht aufhalten!“, erklang erneut die Stimme von der fremden Frau zwischen den Wellen. „Sie ist da, wo sie hingehört!“
    „Die beiden sind sowas wie ein Paar!“, schimpfte ein kleinerer Mann zwischen zwei Kriegern. „Sie wird ihn nicht töten!“
    „Sieht für mich gerade etwas anders aus“, gestand der Magier und feuerte eine Feuerwelle auf zwei schreiende Frauen ab.
    Daphne bekam Kopfschmerzen. Es fühlte sich an, als stünde sie am falschen Ufer. Von allen Seiten kamen Dinge, die sie tun sollte. Jeder schien mehr zu wissen als sie. Irgendetwas stimmte nicht. Anhand ihrer Erinnerungen lag sie im Recht, aber wenn sie die Finsternis ihrer Gedanken durchforstete, war etwas falsch. Fauchend richtete sich vor den Menschen auf, die sich ihr entgegengestellt hatten.
    „Was willst du, dass ich tue?“, richtete sich immer noch zischend an den Mann, der in der Luft hing.
    Dieser sagte gar nicht, sondern sah sie nur an. Kein Flehen um sein Leben, keine Bitte ihn gehen zu lassen, nichts, während er bereits mit beiden Händen den einen Tentakel festhielt und vor Schmerzen keuchte.
    „Tue es nicht“, wandte sich der Brünette noch einmal an sie, aber Daphne wich mit ihrem Blick nicht von dem Hünen. „Calypso versucht dich hereinzulegen, so, wie sie es mit den anderen auch gemacht hat. Egal, was sie dir erzählt, es ist nicht wahr.“ Die Worte vernahm Daphne sehr wohl, aber die Frau, die Calypso genannt wurde, erzählte genau das Gleiche über sie. Nur der Mann in der Luft sagte gar nichts. Die Prinzessin schaute hinauf und entdeckte, wie sich aus dem einen, noch vorhandenen Auge eine Träne löste, und im Tosen des noch bestehenden Kampfes, ins Meer fiel. Ein weinender Lügner? Das passte nicht zusammen. Wieder spürte sie das Brennen in sich, während Blut an ihrem Wasserstrang hinunterlief. Ähnlich einem Rinnsal, glitt es zu ihren Armen und umhüllte einen hölzernen Armreif, der Daphne aufhorchen ließ.
    „Das war ein Geschenk ...“, erinnerte sie sich vorsichtig und zwar von … Daryk.
    „Hör auf, dich zu erinnern, das bringt dich nicht weiter!“, schrie Calypso und nahm ihre menschliche Form wieder an.
    „Erinnern? Was soll das denn heißen?“, krakeelte die junge Frau mit dem Bogen und schoss umgehend auf die Meeresfrau. Daphne schaute sich um und das vorlaute Mundwerk der Schützin kam ihr umgehend bekannt vor. Sehr bekannt.
    „Leibwächter“, wiederholte die Prinzessin und sofort schossen ihr die Erinnerungen wieder durch den Kopf, während Calypso den Kältepfeilen der Jägerin auswich. „Daryk ist nicht nur meine Leibwache!“
    Erschrocken schrie sie auf, als sie erkannte, was sie tat und das schrille Lachen der Hexe erklang unweit hinter ihr. Daphne schaute zu Daryk auf und konnte nicht glauben, dass sie es war, die ihn dermaßen verletzt hatte. Das musste ein Ende haben!Panisch glitt ihr Blick dabei zum Taschendieb, der sie mindestens genauso perplex anstarrte, wie sie ihn.
    „Theical, der Schatten!“, rief die Prinzessin und als ob er ihre Gedanken lesen konnte, fokussierte er Calypso, die genau mit dem Rücken zur untergehenden Sonne stand.
    „Was soll das?“, schrie die Hexe, die sich für eine Sekunde nicht mehr rühren konnte, aber mehr brauchte Daphne auch nicht. Sie holte mit dem freien Strang aus und bohrte diesen, mit letzter Kraft, Calypso mitten in die Brust. Als Mensch genauso verletzlich wie diese, durchschlug Daphne ihr schlagendes Herz, was sie in ihren Augen ohnehin nicht brauchte. Glucksend starrte die fünfhundert Jahre alte Wasserfrau sie an.
    „Ich bin nicht so wie du“, fuhr die Prinzessin fort. „Weder verbittert noch einsam!“ Sie zog den verlängerten Wasserarm wieder aus deren Brustkorb, während „Franziska“ zu Wasser zerfiel und widmete sich auf der Stelle Daryk, den sie vorsichtig runter ließ. Auf einen Schlag hörten die restlichen Sirenen auf die anderen anzugreifen und gingen auf Abstand.
    „Es tut mir leid, es tut mir leid“, stotterte Daphne und kniete sich erschöpft zu Daryk ins Wasser. Was hatte sie und hätte sie beinahe getan?
    Die junge Frau konnte den Anblick des Mannes, den sie liebte, kaum ertragen. Tiefe Wunden prangten in seinem Gesicht, von denen an seinen Armen abgesehen und Calypso hatte ihm ein Auge herausgerissen.
    „Das bringe ich wieder in Ordnung.“
    Der Hüne lächelte schwach und auf der Stelle begann Daphne hin zu heilen. Viel Energie war nicht übrig, auch wenn sie sich im Wasser befand. Ihre Zauber aufrecht zu erhalten, kostete mehr Kraft, als sie gedacht hatte, abgesehen davon, spürte sie immer noch das Gift in ihrem Körper, welches sich nicht so einfach heilen ließ.
    „Daphne“, erklang Thyras Stimme aufmunternd neben ihr.
    „Lass mich kurz in Ruhe, in Ordnung?!“, wimmerte die Prinzessin und Jaris nahm seine Frau beiseite. Sie musste sich konzentrieren, ihre Tat kurz ausblenden und legte dann ihre Hand auf Daryks Gesicht. Die Wunden zu schließen war eines, aber ein Auge wieder herzustellen, etwas anderes. Daphne spürte, wie all die Kraft aus ihrem Körper wich und als es dem Hünen einigermaßen gut ging, fiel sie neben ihn ins Wasser. Sie war so schwach, dass sie kaum ihre Augen offenhalten konnte. Das Salzwasser umspülte sie, während sich der Hüne erhob. Immer noch konnte sie ihn nicht ansehen. Sie schämte sich, dass sie sich so einfach hatte beeinflussen lassen. Daphne hatte ihre eigenen Freunde angegriffen und sogar Daryk lebensgefährlich verletzt … Womit sollte sie das entschuldigen? Thyra und Theical schauten auf sie hinunter, einem Blick gemischt aus Mitleid und Erleichterung, das konnte sie gerade so erkennen, ebenso einen kurzen Wortwechsel von Aras und Jaris. Daryk hingehen stand mit dem Rücken zu ihr, rief seine Rüstung und Waffe zurück und erhob seinen Spoton. Diesen rammte er ins knöchelhohe Wasser, woraufhin seine Rüstung lichterloh in blutrote Flammen aufging. Auf der Stelle fielen die Sirenen um und lösten sich in schwarzen Rauch auf, welcher in seiner Waffe verschwand. Es war ein seltsamer und unheimlicher Anblick, der alle für einen kurzem Moment zum Schweigen brachte.
    „Sie sind da, wo sie hingehören – bei Xhar!“, klärte Daryk alle nach diesem Vorgang auf und wandte sich wieder Daphne zu. „Ich bringe sie ins Wasser, weg vom Strand“, fuhr er fort, was Thorvid mit einem: „Ich kenne einen passenden Ort! Eine Grotte unweit des Strandes“, beantwortete. Daryk beugte sich zu ihr hinunter und wollte sie hochheben, aber kurz vor der Ohnmacht, versuchte sich die Prinzessin dagegen wehren. Er sollte sie nicht behandeln, als sei nichts passiert, denn gerade noch hatte er in seinem eigenen Blut gelegen. Ihr schlechtes Gewissen trieb sie dazu, seine Hände mit letzter Kraft wegzuschieben und sie brachte nur nuschelnd heraus, dass sie das nicht wollte. Dann wurde alles dunkel um sie herum und sie spürte nur, wie nach hinten ins Wasser glitt.

  • Das dumpfe Dröhnen des Hornes schallte über die Ebene. Er saß auf seinem Reittier, einem prächtigen Hengst namens Shalin, auf der Kuppe des großen Hügels und betrachtete die Szenerie unter ihm stirnrunzelnd.
    "Die Speerträger sollen fünf Schritt zurückweichen", sagte er laut und vertraute darauf, dass einer der zahlreichen Boten um ihn herum die Nachricht überbrachte. "Aber langsam. Es soll wirken, als gewännen sie an Boden." Sein ruheloser Blick galt den schier unendlichen Horden, die gegen die Schilde seiner Soldaten schmetterten. Schmetterten und zerbrachen. Bisher!
    Pfeile verdunkelten den Himmel und die aufflackernden Blitze und Flammensäulen spendeten mehr Licht als die Sonne selbst.
    "Das vierte Regiment soll den Hügel umgehen und sich bereithalten dem Feind in die Flanken zu fallen. Die Königinnengarde wird sie begleiten." Hinter sich war das Wiehern eines Pferdes zu hören, als der Reiter es herum riss und die Fersen spüren ließ. Der Mann zu seiner Linken, Artois, nickte ihm zu, bevor er salutierte und dem Boten folgte. Er würde als Anführer der Königinnengarde seine Männer in den Kampf begleiten. Ein jeder hier auf diesem Feld würde heute seine Waffe schwingen. Er war dabei nicht ausgeschlossen. Kurz wandte er sich vom Schlachtfeld ab und blickte sich um. Hinter ihm, fast vom Horizont verdeckt, ragten die Türme einer Stadt auf. Seiner Stadt. Welch prächtiger Abzug war es gewesen, als er und seine Männer durch die Straßen geritten waren. Jeder der blieb jubelte ihnen zu und die Frauen, die hofften nicht zu Witwen gemacht zu werden, ließen geflochtete Blumen regnen, um ihren Ehemännern Glück zu wünschen, wie es Sitte war. Wie viel Jubel hätte es gegeben, wenn sie gewusst hätten, dass die Armee in weniger als drei Monaten zurückgekehrt wäre. Beinahe geschlagen und kaum noch halb so groß wie zu Beginn. Als letzte Bastion vor einem Feind, den sie in den Bergen hätten schlagen sollen. So wie es ihnen ihre Verbündeten versprochen hatten, als sie sie lockten sich ihrem Feldzug anzuschließen. Nun, ihre Verbündete hatten einen harten Preis gezahlt. Ihre Armeen waren geschlagen und ihre Städte geschleift. Nun drohte ihnen und ihrer Stadt dasselbe Schicksal.
    Mit einem eindringlichen Blick wandte er sich zu dem Mann zu seiner Rechten. Luos war der Anführer seiner Leibgarde und mittlerweile auch ihr letztes Mitglied. In seiner Miene stand nicht der Hauch eines Zweifels. Immerhin diente er unter dem großem Strategen, dem Löwen der Morgenröte. So oft hatten sie beide dem Tod getrotzt. Waren dem Schlag des Xhars durch ein letztes verzweifeltes Manöver oder eine Taktik, die genauso wagemutig wie unerprobt war, entgangen. Beiden war klar, dass sie nicht ewig entkommen konnten.
    Unter ihm zog sich der Wall der Speerkämpfer ein klein wenig zurück und in den Reihen des Feindes brach Jubel aus. Jeder ihrer Gegner wusste gegen wen sie kämpften und keiner von ihnen war restlos vom Sieg überzeugt gewesen, allen Zahlen zum Trotz. Bis zu diesem Moment. Ein Hauch von Zufriedenheit breitete sich in ihm aus. Das hier würde seine letzte Hinterlassenschaft sein, sein Meisterstück. Kurz dachte er bedauernd an Ylenna und seine und ihre Kinder. Er würde dafür sorgen, dass sie weiterleben konnten. Dann zog er sein Schwert und er hörte wie sich der Ton hinter ihm zigfach wiederholte. Es kam ihm unerwartet still vor. Er war hundert- oder sogar tausendfach gewohnt. Mit einem letztem sehnsüchtigen Blick zurück auf die Mauern, deren alabasterweißes Funkeln er kaum erkennen konnte, ließ er Shalin antraben. Das Bild des großen Turmes in der Mitte der Stadt, der selbst aus dieser Entfernung gewaltig wirkte, brannte sich in sein Gedächtnis ein.
    Die kleine Gruppe galoppierte den Hügel hinunter, aus dem Sichtfeld ihrer Gegner heraus. Der steile Abhang war zu jeder Seite hin leicht zu verteidigen und jeder hätte erwartet, dass sich auf der Kuppe die letzten Reste seiner Truppen versammeln würden, sobald der Kampf auf der Ebene verloren wäre. Sie hätten ihn bestimmt ein paar Stunden halten können. Vielleicht sogar bis zum Abend. Am Ende stände jedoch ihre sichere Niederlage.
    Als sie die Stelle erreichten, wo sich die Königinnengarde und das vierte Regiment versammelt hatten, hielten sie nicht an. Die Männer, die sich bis dahin aus dem Kampf zurück gehalten hatten, fielen in ihren Galopp mit ein oder stürmten zu Fuß hinter den Pferden her. Kaum einen Augenblick später kam die Flanke der gegnerischen Horden hinter einer Erhebung zum Vorschein. Ein einziger Kundschafter, der die Seiten des Schlachtfeldes ausspähte hätte genügt, um die in einer Kuhle wartenden Truppen zu entdecken. Doch seine Bogenschützen auf dem Hügel hatten dafür gesorgt, dass sich niemand dieser Stelle genähert hatte. Jetzt fielen erschrockene Blicke auf sie und Offiziere brüllten verzweifelt ihre Befehle, um den Schlachtenlärm zu unterdrücken. Die meisten Menschen dachten, das zu einer guten Taktik ausschweifende Manöver und ausgefuchste Finten gehörten, doch meist genügten schon solch kleine und einfache Dinge. Wie zum Beispiel das Zurückweichen um ein paar Schritte, damit der Gegner dachte, die eigenen Reihen würden zerfallen. Seine Feinde waren nach vorne gestürmt, wie es ihnen die Logik der Schlacht befahl. Jeder Mann drückte sich jetzt dicht an den anderen, da die hinteren in ihrem Eifer nach vorne drängten. Die resultierende Enge und das unvermeidbare Chaos machten es ihnen unmöglich eine funktionierende Phalanx gegen den Kavallerieangriff zu schaffen. Wie rollende Felsen schlugen die Reiter in die ungeordnete Menge ein und schlugen breite Breschen für die Nachrückenden Fußkämpfer.
    "Mein letztes Geschenk an dich Ylenna", war sein letzter Gedanke. Dann überflutete ihn die Schlacht wie eine tosende Flutwelle.

    Blitze brandeten über einen wolkenlosen Himmel. Dunkelheit.

    Die Angst in ihrer Stimme war der einzige Grund, warum er seinen Männern erlaubte die Tür zu öffnen. Ein hochgewachsener, dunkelgekleideter Mann trat ein. Er war allein. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich, als hätte er keinerlei Anlass sich zu beeilen.
    "So lasst ihr also den Wolf in euren Schaafspferch", warf sie wieder ihr manipulatives Netz aus Gift und Lügen aus. "Was glaubt ihr wird er mit euch machen, wenn wir hier fertig sind." Er ignorierte die Worte und wandte sich stattdessen an den Neuankömmling.
    "Ihr seid Jamal", stellte er fest. Ein Nicken folgte.
    "Da liegt ihr richtig", fügte der Fremde hinzu. Mit hochgezogenen Augenbrauen wartete der Mann dann ab, was er als nächstes sagen würde.
    "Ich weiß nicht viel", gab er deshalb schließlich zu. "Wer ihr seid oder was ihr tut. Nur, dass wir Hilfe brauchen." Schon wieder war dieses Knarren aus dem unterem Stockwerk zu hören, das verriet, dass Feinde sich ihnen näherten. Seine Männer umschlossen ihre Waffen fester und stellten sich an die Seiten der Ausgänge. Wie lange konnten sie sich dieser Angriffe noch erwehren.
    "Wissen ist ohnehin nicht viel wert", behauptete Jamal und grinste ihn an. "Nur eine Illusion, die uns davon abhalten soll an dem Sinn unseres Daseins zu zweifeln." Misstrauisch beäugte er den Fremden. Jamal war mal Legende mal Mythos. Mal war er eine Lichtgestalt, mal ein Dämon. Was war er heute. Kurz entschlossen unterdrückte er den Impuls zu fragen, wie der Mann hier herkam und was er zu tun gedachte. Es erschien ihm nicht richtig so etwas nach so einer Aussage anzusprechen und überhaupt hatten sie nicht die Zeit dazu.
    Yamal blickte ihn nur unverwandt an, bis er schließlich zögernd nickte. Sofort trat er an ihm vorbei und auf die junge Frau zu, die gefesselt auf dem einzigem Stuhl im Raum saß. Doch bevor er sie erreichen konnte, warf sich ihm Senna in den Weg.
    "Das dürft ihr nicht", schrie sie beinahe hysterisch und drängte sich mit dem Rücken gegen die Frau, kaum mehr als ein schmächtiges Mädchen mit goldblondem Haar, das ihr in Locken über den Rücken fiel, auf dem Stuhl.
    "Senna", setzte er in beruhigendem Tonfall an und trat neben Yamal, der ruhig stehen geblieben war. Doch er kam nicht dazu weiterzusprechen. Die Frau auf dem Stuhl lachte plötzlich laut auf und umschlang seine Geliebte von hinten mit einem Arm, der eigentlich gefesselt hätte sein sollen. Ohne auf ihre Reaktion zu warten stach sie ihr mit dem Messer von Sennas Gürtel, das er ihr geschenkt hatte, damit sie sich im Notfall wehren konnte, in die Brust. Ihre Augen starrten einen Moment lang fassungslos auf den Knauf, der aus ihr ragte und dann auf ihn, der wie versteinert dastand. Dann erschlaffte sie und glitt auf den Boden vor ihrer Peinigerin. Mit einem Aufschrei löste er sich aus seiner Erstarrung und stürzte sich neben sie. Zerrte ihren kraftlosen Körper samt dem Messer fort von der Hexe auf dem Stuhl.
    "Nein", wimmerte er beinahe und tastete verzweifelt nach ihrer Hand ohne den Blick von ihrem Gesicht abzuwenden. Er fand sie schließlich und drückte sie zwischen seinen Fingern zusammen, als könnte er so neues Leben in sie hineinpressen. Ihre bebenden Lippen verzehrten sich zu einem winzigem Lächeln. Nur die Mundwinkel zogen sich hoch und doch erschien es ihm, als verschwinde all ihre Trauer und ihr Schmerz aus ihrer Miene.
    "Bleib bei mir", flüsterte er ihr zu. Zu mehr fehlten ihm die Worte. Und die Stimme.
    "Sie stirbt", stellte Yamal fest. Er klang dabei völlig mitleidlos. Es war eine Tatsache, die er ohne jegliche Emotion von sich gab.
    "Du", brachte er schließlich hervor. "Du kannst sie heilen. Du musst sie heilen." In seinen Augenwinkeln sah er wie dunkle Gestalten in den Raum stürmten und seine Wachen in aussichtslose Kämpfe verwickelten. Er nahm sie kaum wahr.
    "Das könnte ich", bestätigte Yamal und ging auf die Knie. Nun klang doch ein wenig Mitgefühl in seiner Stimme mit. "Doch das bedeutet, dass sie", er deutete auf die Frau auf dem Stuhl, "frei bleibt, denn ich kann nur eines von beidem tun." Die Hexe verzog ihr Gesicht zu einer grinsenden Grimasse, die jede Schönheit und Unschuld, die sie davor geborgen hatte, augenblicklich vertrieb.
    "Außerdem", setzte der Fremde erneut an. Nun klang seine Stimme bedauernd. "Es wird euch einen hohen Preis kosten. Über euren Tod hinaus." In seinem Rücken fiel der erste der Wächter. Aufgespießt von einer langen Klinge. Zerfetzt von scharfen Krallen.
    "Alles", stieß er laut empor und wiederholte dann. "Ich gebe alles."

    Blitze brandeten über einen wolkenlosen Himmel. Dunkelheit.

    Er schritt durch einen langen Gang. Zu seiner Linken gab eine gewaltige Glasfront den Blick auf die etlichen Wolkenkratzer frei, die sich mit diesem hier maßen. Es mochte durchaus etwas beeindruckendes haben, zu sehen wie die Gebäude Stockwerk für Stockwerk in den Himmel empor ragten, doch heute hatte er keinen Blick für die vermeintliche Schönheit übrig. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen. Zielbewusst schritt er durch die Korridore und ließ mit seinem entschlossenem Blick niemandem einen Zweifel, dass er hier etwas zu suchen hatte. Die Wachmänner und Büroangestellte gingen an ihm vorbei. Muskelbepackte wie Anzugträger widmeten ihm kaum einen Blick oder grüßten ihn beiläufig. Wie sollten sie ihn auch nicht als einen der ihren ansehen. Der dunkelgraue Designeranzug, der ihm jedoch nicht genau passte, da er dem Aussehen entgegen nicht maßgeschneidert war, sah aus als gehöre er genau hier hin und auf etwas anderes achteten diese Leute ohnehin nicht. Deshalb wurde er auch kein einziges Mal angehalten, bis er das Büro erreichte, dass er gesucht hatte. Er hatte absichtlich nicht den direkten Weg genommen, um niemandem, der im Aufzug vielleicht Zeit hatte ihn genauer zu mustern, die Chance zu geben, seinen Zielort zu erraten. Vor der gläsernen Tür blieb er kurz stehen und betrachtete die Assistentin, die im Vorraum des Büros selbst Stellung bezogen hatte. Sie würde ihn nicht einfach so vorbei lassen, doch glücklicherweise hielt sie ihren Blick fest auf einen Stapel Papiere gerichtet, den sie vor sich aufgeschichtet hatte.
    So leise er das fertig brachte öffnete er die Tür und glitt an der Seite der Wand entlang, möglichst weit von der Sekretärin entfernt, bis er nach einer Biegung die Tür zum eigentlichem Büro erreicht hatte. Gerade wollte er seine Hand auf den kupfernen Griff legen, als er neben sich plötzlich ein Papierrascheln vernahm. Erschrocken blickte er sich um, doch die Sekretärin hatte nur umgeblättert und hielt ihren Kopf jetzt auf einem Arm gestützt. Schnell öffnete er die zum Glück geräuschlose Tür und glitt hindurch.
    Der imposante Schreibtisch vor ihm war leer. Der Mann, der dort sitzen sollte, stand ein paar Schritte daneben vor seiner ganz persönlichen Glasfront und starrte auf die Stadt hinunter. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt, doch auch der Senator hatte seine Anwesenheit scheinbar noch nicht bemerkt.
    Er unterdrückte ein Grinsen. Das ganze avancierte zu einem Spaziergang. Man sollte meinen, dass jemand, der sich zur Kaiserwahl bereitstellte, besser geschützt wäre. Schnell und doch leise wie ein Windhauch huschte er rasch über den Parkettboden, den in der Mitte ein großes Abbild des Wappens, eines riesigen Adlers, der einen Stier in den Krallen trug, zierte. Noch bevor dem Senator die Spiegelung in der Glasscheibe auffallen konnte, stand er schon hinter ihm und als sich die in die Ferne gerichteten Augen vor Überraschung und Erschrecken weiteten, fuhr bereits eine Klinge über die Halsbeuge. Der Mann versuchte etwas zu sagen, doch von den durchschnittenen Stimmbändern erklang nur ein schwaches Krächzen und er stürzte zu Boden. Unwahrscheinlich, dass das jemand vor der Tür gehört hatte. Zufrieden trat er einen Schritt zurück und betrachtete den Körper, der in der immer größer werdenden Blutlache lag. Noch heute würde Chaos entflammen. Vielleicht würde Entsetzen die Menschen lähmen oder irgendwelche Narren würden Schuldzuweisungen brüllen. Er befände sich dann bereits weit entfernt, vielleicht außerhalb des Kraters, den auch der Senator verlassen wollte, mit reichlich Kapital für sein neues Leben.

    Blitze brandeten über einen wolkenlosen Himmel. Dunkelheit.

    Er stand inmitten einer tobenden Seeschlacht. Männer schrien zu Hunderten, um ihn herum, und die Steine der Katapulte schlugen auf die aufgewühlte Wasseroberfläche. Hin und wieder trafen sie auch das Deck eines Schiffes. Bohrten sich in ein Kastell oder ließen ein Segel krachend in sich zusammenfallen. Die Luft stank nach Rauch und Feuer. Er selbst deckte seine Umgebung mit Blitzen ein. Sie trafen die heranstürmenden Seemänner, die im Lauf erstarrt und tot umfielen. Seine Kameraden drängten derweil nach vorne. Trugen den Kampf von ihrem Schiff. Nicht wenige übersprangen bereits die schmale Kluft zu dem feindlichem Seegefährt.
    Hinter ihm explodierte mit einem lautem Knall ein Tonbehälter der flüssiges Feuer über die Holzplanken versprühte. Ihn umhüllten die Flammen augenblicklich. Züngelten an ihm hoch und bissen sich tief in sein Fleisch. Mit einem Aufschrei taumelte er zur Seite, stieß gegen die Reling und fiel in seinem wilden Zappeln darüber. Einen Augenblick befand er sich in der Luft, dann schlug er hart auf der Wasseroberfläche auf. Von überall her stürzte sich das Meer auf ihn. Drückte ihn unter die Wellen. Stieß ihn umher wie eine junge Katze ein Wollknäul. Doch es löschte auch die Flammen und legte sich kühlend auf seine schmerzende Haut. Lichtstreifen, drangen zu ihm hindurch und beleuchteten, die Ascheflocken, die mit ihm in den Fluten schwammen. Immer tiefer sank er. Er spürte, wie die Kälte ihn umgriff wie eine stählerne Hand, die ihn sanft in Kissen bettete. Immer tiefer und tiefer. Er wusste nicht, ob einfach seine Sehkraft schwand oder tatsächlich weniger Licht nach hier unten drang. Das Salzwasser drang in seine Lungen, die sich panisch weiteten. Den Druck auf seiner Brust nahm er gar nicht mehr war. Dann versank er in völliger Schwärze.

    Blitze brandeten über einen wolkenlosen Himmel. Dunkelheit.

    Er schlug die Augen auf und fuhr hoch. In dem Raum, den er erwartet hatte, und ein paar Meter vom Bett entfernt, dass er nicht so leer vermutet hätte, öffnete sich gerade die Tür. Einem Instinkt folgend wollte er sofort zu seinem Schwert greifen, doch als das Gesicht hinter der Tür auftauchte, verschwanden all seine Bedenken. Es war nicht so, als ob er die Frau kannte, die das Zimmer wie selbstverständlich betrat, doch sie sah doch so unschuldig aus, dass er ihr nichts böses zutrauen mochte. Sie war nicht mehr jung, jedoch auch nicht viel älter als er, und Ihr Gesicht war durchaus hübsch. Die braunen Haare hatte sie zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt. Sie trug ein weißes Kleid, das von einem silbernem Gürtel um die Hüfte zusammengehalten wurde. Er sah keine Form von Waffe, die sie gegen ihn richten könnte. Außerdem hatte er immer noch die Blitze, um sich im Notfall zu verteidigen. Zumindest redete er sich das ein.
    "Was macht ihr hier", fragte er und war selbst überrascht von der Kühle, die in seiner Stimme mitschwang. Die Frau zog nur eine Augenbraue hoch.
    "Die Frage sollte vielmehr lauten, was machst du hier", entgegnete sie, lächelte ihn dabei aber so warm an, dass er sich obgleich seiner unbeantworteten Frage nicht übergangen fühlte. "Solltest du nicht bei den deinen sein und mit ihnen kämpfen."
    "Ihr meint bei den Elfen?", erwiderte er schließlich nach einer kurzen Pause. "Ich habe keinen Stamm mehr."
    "Ich meine natürlich nicht die Elfen", antwortete sie als sei dies selbstverständlich. "Offenbar weißt du noch kaum etwas."
    Er runzelte die Stirn.
    "Was sollte ich denn wissen", fragte er behutsam nach. Er wusste nicht recht, was er von der Situation halten sollte.
    "Na alles", erklärte sie mit verständnisvollem Lächeln. "Aber keine Sorge. Das wirst du schon noch herausfinden." Er war nicht wirklich zufrieden mit dieser Antwort, doch glaubte er nicht, dass er eine andere bekommen würde.
    "Und warum seid ihr hier?", wollte er stattdessen von ihr wissen, was sie wieder mit einem Lächeln quittierte.
    "Du hast viel Kampf hinter dir", behauptete sie. "Viele Schmerzen und viel Leid. Es wird Zeit, dass du heimkehrst." Mit diesen Worten wandte sie sich um und trat auf die Tür zu aus der sie gekommen war.
    "Wartet", rief er schließlich, als sie die Klinke berührte. "Wohin heimkehren, was habt ihr damit zu tun und wie heißt ihr überhaupt." Sie drehte sich zu ihm und diesmal war ihr Lächeln herausfordernder, verspielter.
    "Mein Name ist Lean", gab sie schließlich preis und verschwand durch die Tür.

    Einen Moment blieb er liegen, dann sprang er aus dem Bett und stürmte hinter ihr her. In dem Vorraum der Gemächer stieß er beinahe mit Thyra zusammen, die ihn halb erschrocken halb belustigt anstarrte.
    "Was ist denn mit dir los?", wollte sie wissen.
    "Diese Frau", sprudelte er hervor. "Du musst ihr begegnet sein, sie ist gerade erst gegangen."
    "Eine Frau", wiederholte sie pikiert und hob eine Augenbraue. "Du hast geträumt. Hier war niemand außer dir und mir." Er sah sich verwirrt um. Anders als durch die Eingangstür, die noch einmal ein paar Meter entfernt lag, verließ man diese Räume nicht. Vielleicht war sie gerannt, doch selbst dann müsste sie Thyra in die Arme gelaufen sein, als diese die Gemächer betrat.
    "Schlimm genug, dass du von einer anderen Frau träumst", stellte diese jetzt fest. "Aber das du ihr auch noch hinterherrennst wie ein verliebtes Rentier." Einen Augenblick starrte er sie fassungslos an, bis ihm auffiel wie das auf sie wirken musste.
    "So war das nicht", verteidigte er sich mit dem dazu wohl ältesten Satz, der ihr wie unzähligen vor ihr nicht mehr als ein Stirnrunzeln entlockte. "Sie hat mir irgendwelches wirres Zeug erzählt über eine Heimat, die ich angeblich hätte." Er stockte kurz. "Es muss wohl tatsächlich ein Traum gewesen sein." Anders konnte er es sich kaum erklären. Er war aufgewacht und war so überzeugt, dass der Traum Wirklichkeit war, dass er aus dem Zimmer gestürzt war.
    "Immerhin passt er zu meinen anderen Träumen", dachte er und ein Schaudern jagte ihm über den Rücken. Er hatte gar nicht an sie gedacht, bis zu diesem Moment, doch anders als gewöhnlich verblassten sie nicht sofort wieder, sondern blieben genau wie die Begegnung mit der fremden Frau in seinen Erinnerungen wie ein schwerer Stein, der ihn zu Boden zog.
    "Wie geht es eigentlich Daphne", fragte er halb um Thyra abzulenken, halb weil ihn diese Frage tatsächlich herumtrieb. Er war sich zwar einigermaßen sicher, dass es ihr gut ging, aber er hatte sie nicht zu Gesicht bekommen seit Daryk sie weggetragen hatte. Tatsächlich wandelte sich Thyras Gesichtsausdruck und sie wirkte plötzlich angespannt.
    "Gut", antwortete sie, jedoch klang sie unsicher. "Glaube ich zumindest. Ich war vorhin bei Daryk und ihr, doch sie liegt einfach nur da und schläft, während er sich weigert einen Deut von ihrer Seite zu weichen. Nichtmal das Essen, dass ich ihm gebracht habe, hat er angerührt und das von Daryk." Sie lachte nervös auf, schien jedoch mit dem Scherz vor allem ihre eigenen Zweifel beiseite schieben zu wollen.
    "Das wird schon", tröstete er sie und schloss sie in die Arme. Sie lehnte sich gegen seine Brust ungeachtet dessen, was zuvor geschehen war. "Du kennst Daphne und Daryk und beide sind nicht so leicht unterzukriegen. Morgen sind wir wahrscheinlich schon mit dem Schiff Richtung Lyc unterwegs. Du wirst schon sehen." Als er ihr leichtes Zusammenzucken bei der Erwähnung der Schiffsreise und Lyc spürte, hätte er sich am liebsten selbst in den Magen geboxt. Sie war ohnehin schon zwiegespalten wegen ihres vermeintlichen Vaters und ihres Stamms, da musste er sie nicht auch noch daran erinnern. Jedoch sagte sie nichts, als sie ihre Umarmung lösten, deshalb ließ er es auch auf sich beruhen.
    "Am besten wir essen erstmal was", schlug er vor. "Und dann gehen wir nochmal gemeinsam zu Daphne und Daryk."

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Bruder Lukas und sein Gefährte Bruder Johann vom Orden zu Ehren des Heiligen Wilhelm von Marten verdrehten die Augen und tippten ungeduldig mit den Füßen auf den Boden. Seit geschlagenen dreißig Minuten warteten sie schon darauf, dass ihr Prälat bereit war, ihre Pilgerreise fortzusetzen. Jedes Mal wenn sie dachten, Vater Wendel würde sich nun endlich von ihrem temporären Begleiter losreißen, begann er erneut damit, vor ihm den Bückling zu machen.
    Vor ungefähr einer Woche hatten sie auf einer Wegkreuzung einen jungen Knappen aufgegabelt, der ihnen fortan Eskorte auf ihren Weg nach Devyleih gegeben hatte. Sie hatten dasselbe Ziel und den drei unbewaffneten Klerikern war das sichere Geleit damals ganz Recht gekommen. Inzwischen wünschten sich zumindest zwei von ihnen, dass der Jüngling doch schnell wieder seines eigenen Weges gehen würde, damit sie ebengleiches tun konnten.
    Erneut beugte Vater Wendel seine glänzende Halbglatze vor dem Knappen. Bruder Johann konnte ein genervtes Seufzen nicht mehr unterdrücken und nur die strengen Blicke Lukas‘ hielten ihn davon ab, den feisten Pfaffen einfach am Kragen zu packen und mit sich zu zerren. Dafür legte Lukas resigniert den Kopf in den Nacken und starrte die Sonne an.
    “Ich danke Euch, junger Herr. Habt vielen Dank. Was hätten wir nur ohne Euch getan?“, wiederholte sich Vater Wendel erneut. Und genauso wiederholte der Bedankte höflich seine Antwort darauf: “Oh ich bitte Euch, ich habe doch überhaupt nichts getan. Es war reines Glück, dass uns niemand behelligt hat."
    In der Tat war die Reise mehr als ruhig verlaufen. Niemand hatte sich der kleinen Reisegesellschaft in den Weg gestellt und weder Dieb noch Räuber hatte sie bedroht. Ob dieser Umstand nun der Anwesenheit Tristan Vogelsangs zu verdanken war oder nicht, sei dahin gestellt, genau wie die Antwort auf die Frage, ob sich eine Bande aus Schurken von einem einzigen Berittenen von ihren Plänen abhalten lassen würde.
    “Euretwegen hat es niemand gewagt, uns zu behelligen. Welche Wirkung ein scharfes Schwert am Gurt eines jungen Mannes doch hat! Ich danke Euch aufs herzlichste für Eure Begleitung, junger Herr. Habt Dank!“ Johann ächzte, Lukas fuhr sich genervt mit der Hand über das Gesicht.
    “Ich danke Euch für Eure Gesellschaft,…“, sagte Triss alias Tristan schließlich, nachdem sie inzwischen jeden einzelnen Altersfleck auf der kahlen Schädelplatte des Vaters hätte zählen können, “nun muss ich jedoch wirklich weiter.“
    “Oh, ja ja! Eure Weiterreise! Ich verstehe. Nun, die Götter seien mit Euch auf Eurer Fahrt über das große Wasser. Geht mit Gott und habt herzlichen Dank für Eure Begleitung.“ Und endlich wandten sich die beiden voneinander ab. Die Brüder schickten ein Stoßgebet gen Himmel und vergaßen vor lauter Glücksgefühle sogar weiter darüber nachzudenken, ob nun ihr Prälat oder der strohblonde Jüngling die größere Pfeife von beiden sei.

    Triss war ein wenig nervös, als sie durch die Straßen Devyleihs ging. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie einen Fuß auf ein echtes Schiff gesetzt! Ob es wohl sehr schaukeln würde? Wie wohl die Mannschaft war? Wir würde man ihr Pferd unterbringen? Und würden sie womöglich überfallen werden? Triss‘ kindliche Neugier überschlug sich mit ihrer Phantasie und ließ sie in Gedanken abdriften, ohne dass sie es merkte. Nur hin und wieder wurde sie durch Skarto aus ihren Tagträumen gerissen. Dem Hengst gefielen die engen Straßen und die vielen Leute gar nicht und wann immer es ihm zu viel wurde, schnaubte er aufgeregt und zerrte an den Zügeln. Schließlich war es wieder einmal so weit, dass er Triss auf diese Weise zurück in die Gegenwart holte. Und als sie deshalb aufsah, stand sie plötzlich bereits im Hafen.
    Ein Wind pfiff ihr um die Ohren, Möwen schrien und vor ihr baute sich die Weite des Meeres auf. Die Schiffe, die vor Anker lagen, starrte die junge Frau mit großen Augen an und staunte. Sie wusste, dass Schiffe groß waren. So groß hatte sie sich jedoch nicht vorgestellt. In einige von ihnen passten bestimmt alle Bewohner eines kleinen Dorfes hinein!
    Sicher hätte Triss noch viel länger Maulaffen feilgehalten können. Doch Skarto protestierte wieder einmal. Ein paar tüchtige Seemänner schleppten sich mit Kisten und Fässern ab. Wie es aussah, wurde gerade eines der Schiffe beladen. Unbeabsichtigt kamen sie dem Hengst dabei näher, als es diesem lieb war. Triss blieb also nichts anderes übrig, als ihn aus dem Weg zu führen.
    Für ein paar Momente beobachtete Triss das rege Treiben der Matrosen. Jedenfalls war sie der Meinung, dass es sich bei ihnen um solche handelte. Sie riss sich aus ihrer gaffenden Pose und sprach einen von ihnen an: “Entschuldigt. Fährt eines dieser Schiffe nach Lyc? Ich brauche eine Überfahrt und würde auch dafür bezahlen…“

  • Die Abreise stand bald an. Daphne war anscheinend immer noch zu schwach und erschöpft. Denn Daryk war auch nirgends am Hafen zu sehen. Auch wenn Zacharas noch immer einige Schmerzen im Rücken hatte und die Schnittwunden nur dürftig behandelt wurden, wollte er es sich nicht nehmen lassen und fleißig mit anpacken. Was waren schon ein paar Schmerzen im Verhältnis zu den Qualen, die Daryk und Daphne in diesem Kampf erleiden mussten.
    Viel hatte Aras nicht zu erledigen, was nicht auch während und nach der Reise hätte gemacht werden können. Einen Brief verfasste er, an Kuen gerichtet. In diesem wollte er ihr mitteilen, dass er doch länger als geplant wegbleiben würde. Sie sollte sich aber gedulden und keine Sorgen um ihn machen. Den Brief überreichte er dann dem Kapitän seines kleinen Kutters, da dieser zeitgleich mit ihnen abreisen wollte.

    Während Aras mit Sack und Pack ein vorerst letztes Mal über den Flur wanderte, wurde er von Maria abgefangen. "Lord Zacharas", hörte er ihre Stimme hinter sich.
    "Ja bitte, Herzogin?" Er setzte den Jutesack ab und begrüßte sie mit einem leichten Händedruck.
    "Hättet Ihr kurz Zeit für mich?"
    Leicht verwundert schaute er sie an. "Ja, ich denke schon."
    "Ich wollte Euch nochmal persönlich danken, mitgeholfen zu haben, meine Tochter vorm Tod zu bewahren." Prompt überreichte sie ihm das Buch in ihren Händen. Dankend nahm er es entgegen und betrachtete den wundervoll verzierten, schwarzen Einband, mit Goldornamenten versehen und der Aufschrift "Notizbuch".
    "Ich habe gehört, Ihr lest und schreibt gern", fügte sie an und beäugte ihn erwartungsvoll.
    Erstaunt öffnete er das Buch und blätterte durch die leeren Seiten. "Oh, danke vielmals! Das ist ein wirklich praktisches Geschenk, Maria!"
    Mit neutralem Gesichtsausdruck sprach sie weiter: "Ich wollte noch etwas anderes mit Euch besprechen..."
    Aras horchte gespannt auf.
    "Es ist mir schon etwas peinlich", fuhr sie fort und presste fest die Lippen aufeinander.
    Aras animierte sie zum Weitereden. "Was kann Euch schon so peinlich sein, dass Ihr mit mir nicht darüber sprechen könnt?"
    "Ich wollte mich aufrichtig bei Euch entschuldigen für meine anfänglichen Worte bezüglich Eurer zukünftigen Verlobten."
    "Was genau meint Ihr?"
    "Es war nicht ich, die da zu Euch sprach. Es lag an Calypsos Fluch. Ich bereue zutiefst meine angreifenden Worte, die ich von mir gab."
    "Oh, ich verstehe." Grübelnd ließ er seinen Blick über den Flur schweifen. "Das klingt logisch in meinen Augen."
    Maria sprach weiter. "Mir ist es egal, welchem Hause Eure zukünftige Gemahlin entstammt. Solange Ihr miteinander glücklich seid, euch respektiert und liebt, ist mir jede Frau für Euch recht. Ob sie nun Adelstochter sei oder nur einfache Schankmaid. Hauptsache, Ihr fandet Euer Glück in ihr."
    "Danke...", sagte Aras verblüfft und gab sich verlegen. "Es freut mich, dass Ihr mir in dieser Hinsicht doch Zuspruch schenkt."
    "Ich hatte nicht das Recht, Eure Entscheidungen in dieser Hinsicht anzuzweifeln."
    Behutsam verstaute er das Buch in seinem Jutesack. "So sehr ich mich auch noch länger mit Euch unterhalten würde, Maria, muss ich nun aber wirklich mit beim Beladen des Schiffes helfen."
    "Dafür habe ich vollstes Verständnis, Zacharas. Ich hoffe, unsere gesellschaftliche Partnerschaft wird noch lange erhalten bleiben."
    "Liegt ganz in meinem Interesse, Maria!", erwiderte er, schulterte seinen Sack wieder, schenkte ihr noch einen sanften Händedruck und folgte dem Flur Richtung Ausgang.

    Draußen angekommen, erblickte er viele Matrosen und Soldaten, die wild herumwuselten und allerhand Utensilien umherschleppten. Fässer, Kisten und Leinensäcke. Waffen und Munition. Nahrungsmittel und Wasser.
    Seine Truppe war auf Anhieb nicht zu sehen, vermutlich waren sie beim Schiff.
    "Kommt dies hier auch auf die Calypso?", fragte Aras einen Matrosen und zeigte auf eines der Eichenholzfässer, die neben dem Karren in Reihe aufgestellt waren.
    "Aye!"
    Beherzt griff der Magier nach dem nächsten Fass, kippte es vorsichtig um und bewegte es rollend vorwärts. Dass er nicht besonders schnell war, war zu erwarten, dennoch war jede helfende Hand nützlich. Die Matrosen überholten ihn zwar und begrüßten ihn jedes Mal mit einem "Aye Herzog!", was ihn aber nur umso mehr anspornte.

    Auf halber Strecke, er konnte nun endlich seine Truppe am Schiff ausfindig machen, wurde er von einem Ritter auf hohen Ross angesprochen. "Entschuldigt. Fährt eines dieser Schiffe nach Lyc? Ich brauche eine Überfahrt und würde auch dafür bezahlen…"
    Verdutzt schaute Aras rauf zum berittenen Fremden. Für den Lord sah er eigentlich nicht so aus, als hätte er danach fragen müssen.
    Er stoppte das rollende Fass, stellte sich mit gegrätschten Beinen darüber und wandte sich dem Reiter zu: "Wer möchte das wissen, wenn ich fragen darf?" Freundlich lächelnd hielt der Lord sich die Hand schützend über die Augen, um nicht von der Sonne geblendet zu werden. "Entschuldigt meine direkte Frage, aber mir ist in letzter Zeit recht viel Negatives widerfahren, was nicht selten mit Soldaten zu tun hatte."
    Leicht verunsichert wirkte der Fremde.
    Aras blickte zum Schiff hinüber, wo seine Kameraden standen und beim Beladen mithalfen. Er haderte, geriet ins Wanken. Was war nun richtig und was falsch?
    Zögerlich rieb er sich sanft über den Hals und schwenkte immerzu zwischen dem Fremden und dem Schiff hin und her.
    "Kann es sein, dass Ihr gar kein Matrose seid?", fragte der Reiter.
    Aras schüttelte den Kopf, schnaufte tief und erwiderte: "Ich mache jetzt einfach Nägel mit Köpfen!" Dann zeigte er dezent zum Schiff rüber, wie auch auf sich selbst. "Es reist ein Schiff nach Lyc. Aber ich kann leider nicht bestimmen, ob Ihr mitreisen dürft. Ich bin Zacharas van Júmen, Herzog von Ymilburg..." Spontan wanderte seine Hand in die rechte Seitentasche, um den Zauberstab provisorisch zu umgreifen. "Und Ihr seid?"
    "Verzeiht meine Unhöflichkeit, Herzog von Ymilburg. Mein Name ist Tristan." Der Reiter blickte zum Schloss und dann wieder zu Aras. "Ich bin hier in Delyveih, oder?"
    "Ja, das seid Ihr gewiss", bestätigte der Magier. "Ich war hier zu Besuch. Und bald gehe ich auf Forschungsreise..."
    "Forschungsreise? Also ist es eine private Expedition?"
    Stirnrunzeln. "Keine Expedition. Ich weiß den wahren Grund für die Reise nicht. Den wollte mir niemand verraten. Ich nenne es nur Forschungsreise, weil ich das ja auch mitunter tun werde."
    Einen Moment herrschte Schweigen. Dann sprach Aras ganz unverblümt: "Wisst Ihr was? Kommt einfach mit und fragt die anderen. Vielleicht können die Euch mehr Auskunft geben." Gesagt, getan. Aras warf sich seinen Jutesack wieder über die Schulter und führte Tristan mit samt dem Fass zum Schiff.

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    Wie ein Idiot kam er sich vor. Wie er da versuchte eine der Vorratskisten auf das Schiff zu wuchten. Er stemmte sich dagegen, zog und zerrte, aber das dämliche Ding bewegte sich keinen Millimeter von der Stelle. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er behauptet, jemand hatte die Kiste am Boden festgeklebt.
    Man hatte ihm gesagt, es wären Feldfrüchte darin, genau konnte er es aber nicht beurteilen, da die Kiste verschlossen war - genug wog sie jedenfalls.
    Erschöpft lehnte er sich gegen das Holz und stieß genervt die Luft aus, während hinter ihm einige Matrosen ziemlich erheitert darüber zu sein schienen, dass er einfach nicht vorankam.
    "Anstatt zu lachen, könntet ihr auch helfen!", murrte er genervt.
    "Jemand, der es schafft, gegen die Sklaven von Calypso zu kämpfen, der wird ja wohl eine Kiste bewegen können." Die vier Matrosen brachen in Gelächter aus, immerhin war die Kiste, fast genauso lang wie Theical groß und offenbar empfanden sie es als sehr witzig, ihn damit allein zu lassen. Mittlerweile bereute er es etwas, seine Hilfe ausgerechnet denen angeboten zu haben. Für die Verhältnisse der Nordmänner war er eben sehr klein, aber dafür konnte er ja nichts.
    "Ohne deine Magie bist du wohl nicht mehr so stark, was?", lachte ein zweiter.
    Theical griemte höhnisch, dann tastete er nach den Schatten der Matrosen.
    Wenige Sekunden später, saß er breit grinsend auf der Kiste, während die vier Männer sich an dieser abschleppten und sie mit ihm darauf wie auf einer Senfte auf das Schiff trugen.
    "Mag sein, dass ich ohne diese Magie nicht sonderlich stark bin, aber ihr müsst zugeben, es ist sehr praktisch." Zufrieden ließ er die Beine baumeln.
    Wütend wurde er von vier Seiten gemustert und Knurren erklang aus der Kehle des einen, kein bösartiges, aber genervt waren die Männer allemal.
    "Wen hat sich denn Aras da angelacht?", fragte Thyra, die an der Rehling des Schiffes stand und von dort aus in den Hafen blickte, um die Menschen bei ihrer Arbeit zuschauen zu können, spöttisch.
    Theic wurde eben über die Planke aufs Schiff getragen, als er ihrem Blick folgte und den Herzog erkannte, der sich in Begleitung eines jungen Burschen dem Schiff näherte.
    Unsicher musterte er ihn. Die schlanke Gestalt war in ein Kettenhemd, Hosen und Reitstiefel gehüllt. Ein Schwert baumelte an einem Waffengürtel und zusätzlich hing am Sattel des Braunen hinter ihm noch ein Rundschild.
    Woher auch immer er kam, er war genauso wenig einer der Nordmänner wie Theical.
    "Der junge Mann sucht eine Überfahrt nach Lyc", rief Zacharas von unten zu ihnen hinauf und zeigte auf die Person neben sich.
    "Ich habe Geld, ich kann die Überfahrt auch bezahlen", fügte der Fremde hinzu.
    Thyra wechselte einen Blick mit ihrem Mann, stützte sich dann auf der Rehling ab und lächelte dem Jüngling entgegen.
    "Ich hätte ja nichts dagegen, aber leider können wir das nicht entscheiden. Das Schiff gehört unserer Freundin und die ist ... ", sie blickte zu Jaris.
    " ... verhindert", ergänzte dieser.
    Theical ließ unterdessen den Blick nicht einmal von dem Fremden. Hoffentlich hatte man vom ihm nicht zu befürchten, dass er einen rücklings von Bord schubsten würde. Dem Schattenmagier rutschte das Herz sowieso schon in die Schuhe, wenn er nur daran dachte, dass er die nächsten Tage vielleicht Wochen nur umgeben von Wasser auf dem Meer treiben würde. Da wollte er sich nicht auch noch darum Gedanken machen müssen, nicht ganz freiwillig vom Schiff geworfen zu werden. Es gab gnädigere Tode, als im Salzwasser zu ersaufen.
    "Aber ich glaube auch nicht, dass sie Nein sagt, wenn man höflich nachfragt", fügte Thyra ihrem Gesagten noch hinzu.
    Theical sprang nun endlich von der Kister herunter und ließ die Männer sie absetzen. Stöhnend lehnten diese sich dagegen, stützten sich ab und führten ihre Hände zum Rücken.
    "Wisst ihr, wann sie zurückkommt?"
    Alle drei zuckten sie die Schultern.
    Daphne musste sich in dem Kampf wirklich verausgabt haben, schon seit Stunden lag sie in der Grotte und schlief - Daryk die ganze Zeit an ihrer Seite. Keiner konnte sagen, wie lang es noch dauern würde, bis sie wieder wach wurde und sich ausgeruht fühlte.
    "Leider nein", meinte er nur, immer noch etwas misstrauisch, aber mit einem Lächeln im Gesicht. "Aber lang kann es nicht mehr dauern und in der Zwischenzeit kannst du uns ja schon mal verraten wie du heißt."
    "Tristan", antwortete ihm der Fremde.

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    So als hätte sie Tage geschlafen, fühlte sich Daphne, als sie aufwachte und schmerzfrei im Wasser trieb. Blinzelnd nahm sie Licht wahr, das von Fackeln, welche in Wandhalterungen angebracht waren. Über ihr hing der Sternenhimmel, umringt von einer Steinwand, was für sie auf die Grotte der Herzogsfamilie schließen ließ. Ein Ort, den sie fast vergessen hatte. Dort hatte man ihr das Schwimmen beigebracht, so wie jedem innerhalb der Familie.
    Immer noch müde, aber wieder im vollen Besitz ihrer Kräfte, richtete sie sich auf und schaute sich um. Noch immer tat ihr die Stelle des Bisses weh, was wohl bedeutete, dass Calypsos Magie nicht vollständig ihre Wirkung verloren hatte, nur die des Giftes. Unsicher fasste sie sich an die Stelle, wo noch immer die Wunde spürbar war. Wahrscheinlich musste dies auf natürliche Weise verheilen, so wie einst der Fluch von Aras. Magie konnte nicht alles ungeschehen machen, was Daphne deutliche ihre Grenzen aufwies. Als sie sich einmal im Kreis gedreht hatte, offenbarte sich ihr der Blick auf den Hünen, welcher mit dem Rücken zu ihr saß. Im gleichen Moment noch, ereilte sie wieder ihr schlechtes Gewissen. Ob er wütend auf sie war? Warum auch nicht, sie hatte ihn angegriffen und damit beinahe umgebracht. Sie schwamm etwas zurück, um Abstand zum steinigen Rand zu bekommen, ehe er sich ihr leicht zuwandte.
    „Wieder wach?“, fragte er in einem verunsicherten Ton, ohne sie gänzlich anzusehen.
    „Ja“, flüsterte Daphne leise.
    „Geht es dir gut“, folgte auf dem Fuß, sodass sich Daryk doch entschied, sie anzusehen und Daphne auf der Stelle ihren Blick abwandte. Die Kratzspuren waren immer noch in seinem Gesicht, was wohl bedeutete, dass sie ihn nicht geschafft hatte, ganz zu heilen. Es war wie eine erneute Erinnerung an das, was geschehen war.
    „Wie geht es dir?“, fragte die Prinzessin hingegen, die sich weniger um ihren Zustand sorgte.
    „Gut“, antwortete der Hüne gewohnt karg.„Sie … hat dir mein ...“
    „Ich weiß“, unterbrach Daphne Daryk forsch, weil er es nicht aussprechen musste, um dass sie wusste, was er meinte. „Ich konnte Dinge sehen, von denen ich nicht weiß, ob es Trugbilder dieser Hexe waren oder ob sie der Wahrheit entsprechen.“
    Es waren schlimme Begebenheiten gewesen, aber keine, die ihn schlimmer dastehen ließen als sie.
    „Was hast du gesehen?“, wollte er von ihr wissen und sie schluckte einmal fest.
    „Dein Überleben im Krieg!“
    Ein betretenes Nicken folgte von Daryk.
    „Wahrheit!“
    Daphne atmete tief ein und auch wieder aus. Natürlich hätte sie sich etwas anderes für ihn gewünscht, ein anderes Leben, dass er nicht um alles, was er hatte, so hart kämpfen musste. Und sie machte es ihm nicht einmal leichter, im Gegenteil. Sie hatte das Gefühl, seine Situation zu verschlimmern.
    „Das macht dich nicht zu einem Monster“, gestand sie ihm und wiederholte die Worte, die sie leise von Calypso in ihrer Trance vernommen hatte. „Deine Taten geschahen nicht grundlos. Du wolltest überleben, aber ich … ich habe dich und die anderen aus einem Trugbild heraus angegriffen.“
    „Ich weiß“, sprach Daryk vorsichtig und drehte sich ganz zu ihr herum.
    „Nein“, widersprach Daphne und schaute immer noch auf die spiegelnde Oberfläche des Wassers. „Du weißt es nicht. Sie war nicht in deinem Kopf und hat dir ihren Hass eingepflanzt, ihre Verachtung allem Lebens gegenüber und versuchte, dich zum Vergessen zu bewegen! Und es wäre ihr beinahe gelungen!“
    „Aber es ist ihr nicht gelungen. Du hast sie besiegt!“
    „Wir haben … wir alle haben sie besiegt, aber ich wollte mich dem alleine stellen, damit nicht geschieht, was geschehen ist.“
    Hättestdu sie alleine besiegt?“
    Daphne schaute auf und warf ihre Stirn in sorgenvolle Falten. Sie musste sich zum Kopfschütteln überwinden, aber um den letztendlichen Sieg wäre es ihr gar nicht gegangen, sondern darum, eine Gefahr für alle gewesen zu sein.
    „Hilfe von Freunden anzunehmen ist keine Schwäche“, fügte Daryk als Antwort hinzu, aber in einem weit aus weniger lauten Tonfall, als sie es erwartet hatte. Geradezu verständnisvoll.
    „Warum hast du mich nicht einfach getötet, als ich dich angegriffen habe. Du konntest nicht wissen, dass ich wieder zur Besinnung komme und nicht eines dieser Dinger werde.“
    Daryk sah sie unmissverständlich an.
    „Weil ich dich … brauche“, brachte er zögerlich hervor. Kein Zögern, als sei es eine falsche Ausrede, aber Worte waren nicht die Stärke des sonst so unnachgiebigen Mannes, das wusste die Heilerin. Nichtsdestotrotz hörte sie die Worte von Calypso in ihrem Kopf, das, was sie dem Hünen unterstellt hatte. Sie erhob ihren Blick wieder, nachdem sie ihn kurz wieder auf das Wasser gerichtet hatte.
    „Sie sagte mir, du würdest mich nur dazu benutzen, das wieder zu bekommen, was man dir genommen hat.“
    Daryk schreckte leicht zurück und erschrak regelrecht.
    „W-Was?“, begann er zu stottern.
    „Sie sagte, ich sei dein Ersatz für Khyla.“
    „Sie lügt! Ich bin nicht mehr der gleiche Mann wie damals, ich brauche nicht die selbe Frau. Ich brauche dich, Daphne, so wie du bist.“
    Die Prinzessin schaute ihn erschrocken an. Sie hatte es in seinem Blut gesehen, aber es zu hören, war eine andere Sache. Kurz hatte es den Anschein gemacht, als wollte ihr Herz von innen nach außen springen, so deutlich konnte sie es schlagen spüren.
    „Ich weiß ...“, flüsterte sie kurz darauf.„Neben all dem Bösen, was dir widerfahren ist, gab es da auch ein paar gute Momente. Nur musste ich mich zu diesen durchkämpfen, vor allem, was mich anging, das verschleierte diese Hexe besonders.“
    Kurz flackerte ein Lächeln in Daryks auf, bevor er sich fing und auf ihren Arm verwies.
    „Weißt du was die Zeichen auf dem Armreif bedeuten?“, fragte er sie und sie konnte es nur verneinen. Bei allem, was sie gesehen hatte, war das nicht dabei gewesen. Auffordernd hielt er ihr seine Hand vom Rand hin und nach einem kurzen Moment reichte sie ihm ihre linke, jenen, an dem sie den Reif trug. Er zog ihn ihr behutsam aus, um ihn besser drehen und wenden zu können, wollte ihr ihn aber gleich wiedergeben. Daryk hielt Daphne den Armreif so, dass sie sehen konnte, auf welche Zeichen er zeigte.
    „Die ersten drei bedeuten Groß, Unsterblichkeit und Ewigkeit ...“
    Die Prinzessin verfolgte die Runen, aber eines war noch übrig.
    „Und das?“, fragte sie und tippte mit den Zeigefinger darauf, während sie näher an den Rand der Grotte heranschwamm.
    Die Stimme des Hünen klang plötzlich wesentlich leiser und nur leise kam die Antwort: „Liebe“, heraus. Verwirrt schaute Daphne auf. Es war ja nicht so, als hatte sie diesen Armreif erst seit ihres Kusses oder in Delyveih geschenkt bekommen. Sie besaß diesen weit aus länger. In einer Zeit, als sie selbst nicht einmal gewusst hatte, was sie empfindet und bloß vor Verwirrung strotzte.
    „Aber ...“, setzte sie deshalb an, „den hast du mit im Gasthaus geschenkt. Du sagtest das wäre ein Brauch, um einer Frau von Adel zu … Ich verstehe das jetzt nicht.“
    „Esistein Brauch. Nur nicht für adelige Frauen, sondern für jene, für die wir mehr empfinden. Es ist ein Zeichen der Zuneigung“, gab Daryk lächelnd zu und hielt ihr den Armreif wieder hin.
    „Dann hast du mich angelogen!“, warf Daphne ihm gespielt wütend vor und ließ etwas Wasser nach oben spritzen, um ihn nass zu machen. „Du hast mich absichtlich im Dunklen darüber gelassen.“
    „Das habe ich, Prinzessin!“
    „Ich hätte sterben können, ohne es zu wissen. Das ist dir bewusst, oder? Alleine in der Schlacht von Ymilburg. Dreimal, wäre ich da gestorben, wenn ich nicht etwas mehr wäre, als bloß eine Prinzessin.“
    Daryks Lächeln schmolz dahin und er schaute kurz weg, als sie erwähnte in Unwissenheit gestorben sein zu können, allerdings kehrten seine Augen zu ihr zurück, als sie die Häufigkeit erwähnte. In all der Zeit, bei allem was geschehen war, konnte sie ihre Geschichte der Geschehnisse während der Schlacht nicht schildern. Da war die Hochzeit gewesen, der beinahe Kuss und dann seine Erkrankung am Fluch.
    „Naja“, fuhr Daphne fort und schaute selbst nach unten. „Da war der Speer, der … der mich getroffen und meinen Unterleib durchbohrte hatte, dann der Oger … und danach heilte ich mit letzter verbliebener Kraft Zacharas, auch wenn mich bei der Explosion ein Holzsplitter erwischt hatte. Rhenus rettete mich und brachte mich zur Mauer, um mich zu heilen.“
    „Dich kann man wirklich nicht alleine lassen“, antwortete Daryk mit resignierten Blick zu ihr hinunter.
    „Anscheinend nicht“, antwortete sie kleinlaut.
    „Werde ich auch nicht mehr!“
    „Also bist du nicht wütend auf mich?“
    „Nein!“
    Daphne richtete sich etwas auf und umfasste mit ihren Händen vorsichtig Daryks Wangen, um ihn etwas zu sich herunterzuziehen. Der Hüne hielt sich abrupt am Rand fest, um nicht ins Wasser zu fallen, während sie ihn küsste. Im Sinne dessen, dass sie sich erneut beinahe verloren hatten, dauerte der Kuss an, von Seiten Daryks konnte sie das nur vermuten, aber er machte nicht den Eindruck, alsbald aufhören zu wollen. Viel mehr änderte sich die Art dessen und wurde fordernder. Daphne legte ihre Arme um den Hals ihrer „Leibwache“ und diese musste den Armreif aus der Hand legen, um mit der anderen Hand ihre Taille zu umfassen, damit sie ihn nicht runter zog. Als sein Griff um ihre Hüfte begann fester zu werden, verflüssigte sie sich scherzhaft und glitt ein paar Meter von ihm weg. Fast mittig der Grotte, in der Nähe der felsigen Treppe, tauchte sie wieder auf und hielt sich über Wasser. Schon wieder schlug ihr Herz bis zum Hals, aber diesmal nicht, weil sie sich fragte, ob er wütend war, denn es war das erste Mal, dass sie mit einem Mann auf dieser Weise zusammen war. Daryks Blick hingegen schien verwirrt. Zumindest sah er so zu ihr herüber, während sie sich mit ihren Armen über Wasser hielt.
    „Hast du nicht gesagt, du willst mich nicht alleine lassen?“
    Grinsend und mit leicht schüttelnden Kopf, erhob sich Daryk und lief zur Treppe, während er seine Rüstung verschwinden ließ. Somit stieg er samt seiner Alltagsbekleidung ins Wasser. Daphne schwamm etwas auf ihn zu und wartete, bis die Treppe verlassen hatte und nur eine Armlänge vor ihr stand. Ihm reichte das Wasser bis zur Brust, was die Prinzessin näher an ihn heranbrachte als sonst. Der Hüne wartete hingegen nicht lange und ergriff ihre Arme, um sie zu sich heranzuziehen, wodurch Daphne ihre Beine um seine Hüfte schlang, damit sie nicht im Wasser unter ging. Wieder schlug ihr Herz deutlich stärker gegen ihre Brust, was Daryk spüren musste, so nah, wie er sie an sich presste. Wieder folgte ein Kuss, wieder war die Botschaft dessen eine andere als zuvor und angetrieben von der Zweisamkeit, drückte sich Daphne leicht von Daryk weg, um an die Knöpfe seines Hemdes zu gelangen. Kaum offen, streifte es der Hüne über seine Schultern und sie umfasste diese, wo sie nicht umhin kam, auch dort die Narben zu ertasten, die ihre Wasserharpunen hinterlassen hatten. Etwas davon abgelenkt, ließ sie den Kuss ausklingen und betrachtete die etwa Handflächen großen Narben. Bedauern machte sich in ihr breit, dass sie diese Verletzungen nicht gänzlich auf Calypso schieben konnte. Sanft strich sie über die Stellen, die zwar verheilt, aber weiterhin sichtbar waren. Sie schaute Daryk kurz an, der ihr einen beruhigenden Kuss auf die Stirn gab, um sie anscheinend verstehen zu lassen, dass sie sich keine Sorgen machen brauchte. Trotzdem … ganz auf sich beruhen lassen, wollte sie das auch nicht. Daphne wendete Daryks Gesicht etwas zur Seite, um ihm zuflüstern zu können: „Das mache ich wieder gut!“
    Sie fing seinen Blick ein, während ihre Handfläche wieder die Wasseroberfläche berührte und der laszive Tonfall in ihrer Stimme, musste ihm verraten haben, wie sie das gemeint hatte. Ihn bloß zu heilen, darauf wollte die Prinzessin nicht hinaus. Abgesehen davon, hatte sie nicht mehr viel zu verlieren, außer ihrem Leben, nachdem ständig getrachtet wurde, mehr oder minder ging es dabei um sie persönlich. Daryk lächelte und küsste sie erneut.
    Durch seine Berührungen erklommen unbekannte Laute ihr Kehle, die der Hüne durch einen weiteren innigen Kuss belächelte, bevor er sie zum seichteren Gewässer, am Rand der Grotte, trug. Vorsichtig setzte er sie darauf ab, während ihre Hände sanft von der Brust nach unten glitten. Kaum hatte sie den Bund seiner Hose ertastet, drangen bekannte Stimmen an ihr Ohr.

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    „Sie können es nicht wissen“, flüsterte Daphne in Daryks Ohr, bevor sie ihm noch einen kleinen Kuss auf die Wange gab und sich verflüssigte.
    Eine Mischung aus Enttäuschung und Wut vertrieb die angenehmen Gefühle aus seinem Geist, als Daphne in seinen Armen zu Wasser zerfloss. Langsam kam es dem Ritter so vor, als würden die anderen nur darauf warten, zum schlechtest möglichen Zeitpunkt aufzutauchen.
    „Daryk?“, konnte er Thyras Stimme hinter sich hören.
    Die Jägerin kam zusammen mit ihrem Ehemann die Treppe zur Grotte hinunter, welcher meinte:
    „Da ist er ja.“
    Fieberhaft versuchte Daryk, sich eine Ausrede einfallen zu lassen, warum er hier ohne Hemd im Wasser saß, als Thyra ihn genau das auch schon fragte.
    Und wo ist Daphne?“, fügte sie noch hinzu.
    „Schwimmen“, antwortete er, was ja sogar irgendwie der Wahrheit entsprach, „sie ist aufgewacht.“
    Noch immer saß er mit dem Rücken zu den Besuchern, weshalb er nur die Schritte der beiden wahrnahm. Da sie verstummten, sie waren wohl am Rand des Beckens angekommen.
    „Und du sitzt im Wasser, weil … ?“, wiederholte Thyra die Frage, die Daryk nicht beantworten wollte.
    Stumm saß er im Wasser, ignorierte die Frage und wünschte sich, die beiden würden einfach wieder verschwinden.
    Kurz war es still, während die Frage noch im Raum hing, bevor Jaris die Ruhe durchbrach:
    „Ich glaube ich weiß, warum“
    Jetzt drehte Daryk sich herum und blickte in das grinsende Gesicht des Söldners. Scheinbar hatte er die herumtreibende Kleidung gesehen und seine eigenen Schlüsse gezogen.
    „Ich glaube, unser Ritter hat sich mit seiner Schwäche auseinandergesetzt!“, mutmaßte er richtig.
    Daryk öffnete den Mund um etwas zu sagen, aber brachte nur ein „ähm“ heraus.
    Sehr hilfreich.
    „Du meinst er übt schwimmen?“, fragte Thyra blinzelnd.
    „Nein, eigentlich meine ich…“, fing Jaris wieder an, wofür Daryk ihn am liebsten ins Wasser gezogen hätte. Da seine Ehefrau ihn aber gar nicht erst ausreden ließ, erübrigte sich das.
    „Das muss dir nicht peinlich sein, Daryk!“, versicherte sie ihm lächelnd, „Es schadet nicht, das zu können, wenn wir auf einem Schiff sind.“
    Noch immer wusste er nicht, was er darauf sagen sollte, also nickte er nur, was Jaris dazu veranlasste, ein Lachen zu unterdrücken.
    „Naja, wie auch immer“, meinte Thyra, nun ebenfalls grinsend, „kommst du essen?“
    Der „Schwimmende“ zog eine Augenbraue hoch.
    „Essen?“, fragte er unsicher nach.
    „Ja essen“, wiederholte Thyra, „du weißt schon, unmenschliche Mengen an Nahrung in dich hineinschaufeln? Deine Lieblingsbeschäftigung?“
    Daryk schüttelte den Kopf:
    „Ich habe keinen Hunger“ Und gerade etwas Besseres zu tun!
    „Keinen Hu … bist du krank?“, hakte sie erstaunt nach.
    „Nein, ich …“
    Ich glaube wir sollten ihn alleine lassen, Thyra“, warf Jaris mit einem vielsagenden Lächeln ein.
    Die Frau verschränkte ihre Arme vor der Brust und schüttelte vehement den Kopf.
    Innerlich seufzte Daryk, denn er wusste, dass sie nicht lockerlassen würde, bis er mitkommen würde.
    „Er hat schon viel zu lange nichts gegessen! Er kommt mit! Daphne wird den Weg auch alleine finden.“
    Alleine … gerade hatte er noch gesagt, er würde sie nicht mehr alleine lassen.
    „Jetzt komm, Herr Ritter!“, befahl die Jägerin, was ihr Ehemann mit einem entschuldigenden Schulterzucken kommentierte.
    Daryk spürte, wie Daphne in Wasserform ihn sanft in Richtung des Beckenrandes schob, wohl um ihm zu zeigen, dass es in Ordnung wäre.
    Zögerlich machte er einen Schritt zur Treppe und da Daphnes Ansporn nicht stoppte den nächsten.
    Zufrieden nickte Thyra und Jaris schüttelte leicht den Kopf. Das Ehepaar ging voraus, während der Ritter widerwillig folgte.
    Unterwegs ließ Daryk noch seine Rüstung erscheinen, um nicht ohne Hemd beim Essen aufzutauchen.
    Zu seinem Erstaunen führte das Ehepaar ihn nicht zurück ins Schloss, sondern zum Strand, wo sie, unweit der Stelle, an der Calypso angegriffen hatte, ein Lagerfeuer errichtet hatten.
    Thyra schien seinen Blick zu bemerken und meinte:
    „Daphne hat uns doch erzählt, dass sie ihre Toten verbrennen. Auch wenn von den Sirenen nicht viel übriggeblieben ist, nachdem du … fertig warst, wollten wir dennoch zumindest ein Feuer entzünden.“
    Daran hatte er nicht gedacht. Es war eine schöne Geste, die Daphne bestimmt freuen würde. Wortlos nickte er der Jägerin zu.
    Wie unzählige Male zuvor kam er bei den anderen am Feuer an. Diesmal ruhten die Blicke aller auf ihm und den neuen Narben in seinem Gesicht.
    „Daryk!“, rief Aras ihm entgegen, „wie geht es Daphne?“
    „Gut“, beantwortete der Hüne die Frage knapp.
    Der Rest akzeptierte die Wortkarge Antwort, als wüssten sie, dass sie nicht mehr aus ihm herausbekommen würden.
    „Und dir?“, wollte Theical wissen, „Was macht dein Auge?“
    „Es sieht“, meinte er ebenso knapp. Daphne hatte seine Funktion wiederhergestellt und die Narben störten ihn nicht. Er war schlimmeres gewohnt.
    „Wo ist Daphne denn?“, bohrte Zacharas weiter.
    „Kommt gleich nach“, rettete der grinsende Jaris den Ritter, „sie war noch eine Runde schwimmen nach dem Aufwachen.“
    Der Ritter konnte im Gesicht von Thyra sehen, dass es ihr sehr schwer fiel, nichts über seine „schwimmversuche“ zu sagen, aber sie schwieg tapfer.
    Theic schlug vor, mit dem Essen noch auf sie zu warten, was allgemeine Zustimmung fand.
    Daryks Blick fiel auf das unbekannte Gesicht des jungen Mannes, der still und unauffällig am Feuer saß.
    „Wer ist das?“, fragte der Ritter, ohne jemanden bestimmtes anzusprechen.
    „Ich bin Tristan“, antwortete der Unbekannte selbst, „ich möchte mit euch nach Lyc fahren. Ich kann auch bezahlen!“
    Daryk musterte den Mann stumm. Er selbst konnte nicht entscheiden, wer auf Daphnes Schiff durfte, aber so wie er sie kannte, würde sie den Namensvetter ihres Bruders mitnehmen. Auch wenn er nicht begeistert davon war, nickte er.
    Wieder ein Grund mehr für die Leibwache, nicht von der Seite der Prinzessin zu weichen.
    Tristan schaute ihn an, als erwartete er noch eine Antwort vom Hünen. Da aber keine mehr folgte blickte er etwas unsicher zwischen den anderen hin und her.
    „Denk dir nichts weiter“, meinte Theical, „der redet nur unter Androhung von Gewalt.“
    „Erfahrungsgemäß nicht einmal dann“, hörte Daryk die Stimme seiner Prinzessin hinter sich, was ihm ein leichtes Lächeln entlockte.
    Sie wurde von allen begrüßt und näherte sich zögerlich dem Feuer, als ob sie Angst hätte, die anderen würden sie verstoßen.
    „Jetzt komm schon her“, forderte Thyra sie sanft auf, „wir wissen, dass du nicht du selbst warst.“
    Lächelnd ging Daphne an Daryk vorbei, wo sie für einen kurzen Augenblick zögerte und dann weiter Richtung Thyra ging.
    Nein. Er hatte keine Lust mehr, es zu verheimlichen. Oft genug hatte er sie in den letzten Wochen beinahe verloren. Schnell griff er nach ihrer Hand und hielt sie fest, woraufhin sie kurz stehen blieb und ihn etwas verunsichert ansah. Daryk sah ihr in die Augen, lächelte und zog sie sanft zu sich.
    Sie war wohl zum selben Schluss gekommen, wie er und folgte seiner Hand. Deutlich war die röte in ihrem Gesicht zu erkennen, als sie sich auf seinen Schoß setzte, sich anlehnte und ins Feuer starrte. Das tat sie wohl, um den Blicken der anderen zu entgehen, die das Paar erwartungsvoll anstarrten.
    „Ich hab‘s gewusst!“, riefen Thyra und Theical nach einem kurzen Moment der Stille.
    Jaris sagte gar nichts, sondern schaute breit grinsend zu Daryk.
    Zacharas schaute betont desinteressiert, und verwies darauf, dass er ja auch mit einer Person niederen Standes in einer Beziehung war.
    Daryk verkniff sich eine Bemerkung und ignorierte die unterschwellige Beleidigung einfach.
    „Moment mal“, warf die Jägerin plötzlich ein, „ihr habt nicht wirklich schwimmen geübt, oder?“
    Der Ritter konnte förmlich spüren, wie Daphne noch roter wurde und versuchte im Boden zu versinken.
    „Schwimmen geübt“, meinte Theical mit einem Grinsen, woraufhin Thyra die ganze Geschichte erzählte, welche alle lachend verfolgten. Sogar Tristan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
    Schön, dass ihr alle was zu lachen habt.
    Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hatte, begann die Gruppe mit dem Abendessen und Daphne rollte sich auf Daryks Schoß ein. Nach dem Essen fragte Tristan erneut, ob er mitfahren könne.
    „Je mehr, desto lustiger“, bestätigte die Prinzessin die Anfrage, „nur leider werden die Mannschaftsquartiere ausreichen müssen, da niemand „Fremdes“ die oberen Kajüten betreten darf. Wenn das in Ordnung ist, könnt Ihr gerne mitkommen. Für mich ist ohnehin meine „wortkarge“ Leibwache zuständig.“
    Lachend sah sie zu ihm auf und drückte seine Hand und Tristan nahm das Angebot dankend an.
    „Ja, ich kann mir schon vorstellen, wofür er alles „zuständig“ ist“, frotzelte Thyra, wofür sie einen „bösen“ Blick von Daphne erntete.
    Beim Essen hatte die Gruppe beschlossen, die Nacht bereits im Schiff zu verbringen, um sich schon einmal an das Schwanken zu gewöhnen.
    Die Umrisse der „Calypso“ waren vom Lagerfeuer aus zu sehen und Daryk fragte sich, ob er wirklich mehrere Wochen auf einem Schiff verbringen wollte, das noch dazu so hieß wie die Meerhexe, die ihm beinahe Daphne genommen hatte.
    Er konnte spüren, wie die Heilerin auf seinem Schoss zitterte und merkte, wie heiß sie war.
    „Ist alles in Ordnung?“, flüsterte er ihr beunruhigt zu, da er wusste, dass sie eigentlich nicht krank werden konnte.
    „Nein“, gab sie leise zu, „mir ist kalt.“
    Kurz sagte sie nichts, bevor sie etwas lauter ergänzte:
    „Bringst du mich ins Bett?“
    Thyra hatte das wohl gehört und kicherte:
    „Müsst ihr was nachholen?“
    Als sie den Blick bemerkte den der Ritter ihr zuwarf, vergewisserte auch sie sich, ob alles in Ordnung war. Nach einer kurzen Erklärung von Daphnes zustand war es den beiden auch gestattet, ohne weitere Sticheleien zu gehen.
    Nachdem die kleine Frau sehr unsicher auf den Beinen war, nahm Daryk sie kurzerhand auf und trug sie zu ihrem Schiff.

  • Auch bei den anderen dauerte es nicht mehr lange bis sie zusammenpackten und das Feuer löschten.
    Der Neue - Tristan - ging ihnen dabei hilfreich zur Hand und sammelte damit Pluspunkte bei der Jägerin.
    Neugierig wie sie war, beschloss sie ihn auszufragen.
    Tristan stand gerade, sein Pferd am Zügel haltend, bei einem der Matrosen und fragte wo er sein Reittier unterbringen könnte. Thyra wartete, bis der Soldat seine Antwort erhalten hatte und klinkte sich dann in das Gespräch ein: "Ein hübsches Tier. Wie heißt es denn?"
    Tristan drehte sich um und lächelte Thyra ein wenig verhalten an. "Skarto."
    Skarto zog unwillig an den Lederriemen, mit denen Tristan ihn hielt, als hätte er verstanden, dass sie über ihn redeten. Eigentlich hatte Thyra den Hengst streicheln wollen, ließ jetzt die Hand allerdings vorsichtig sinken. Sie hatte noch nicht allzu viel Erfahrung mit Pferden und dieses hier schien ihr launisch. Stattdessen wandte sie sich wieder an den Jüngling und ging mit ihm zusammen die Planke zum Schiff hinauf.
    "bist du schon mal zu See gefahren?", fragte sie weiter.
    Tristan schüttelte den Kopf. "Nein. Ich bin schon gespannt wie es wird."
    "Ich bin ehrlich gesagt nicht so heiß drauf", warf Thyra ein. "Ich finde die Vorstellung gruselig, wenn um dich herum nichts als Wasser ist und man in dieser schaukelnden Nussschalte herumschippert ..."
    "Dann bist du also schon mal auf einem Schiff gewesen?", fragte Tristan neugierig.
    Nun schüttelte die Jägerin den Kopf. "Nein. Ich stelle es mir einfach nur nicht angenehm vor."
    "Oh. Achso. Naja ich hoffe so schlimm wird es schon nicht werden."
    Thyra lächelte. "Ich denke nicht. Was verschlägt dich denn auf unser Schiff?"
    "Ich brauche eine Überfahrt nach Lyc."
    Mittlerweile hatte sie das Deck erreicht und standen vor dem Eingang zu den Kajüten. Tristan würde woanders lang müssen, weil er erst Skarto wegbringen musste, also blieben sie stehen.
    "Darf ich fragen warum?"
    "Ich habe gehört mein Bruder soll sich dort herum treiben."
    "Ah, die Familie." Thyra lächelte und dachte an Daphne und ihre Brüder. Was wohl aus ihrem Bruder geworden war?
    Hinter ihr tapste Fenrir auf Samtpfoten übers Deck, hielt aber Abstand zu Skarto, der den Wolf misstrauisch beobachtete.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • “Was für nette Leute!“, dachte sich Triss und lächelte Thyra nach, als diese sich abwandte. Sie alle waren so nett! Thyra war nett, die kleine Prinzessin war nett, der Herzog war nett und ja, auch der mufflige Matrose, der seinen Kameraden inzwischen schon zum dritten Mal zurief, dass endlich jemand diesen strohblonden Hans Guck-in-die-Luft mit seinem Gaul aus dem Weg räumen sollte, war sicher ebenso nett und hatte lediglich schlecht geschlafen. Jeden hier fand Triss nett. Naja, vielleicht mit Ausnahme des muffligen, kahlköpfigen Riesens. Gern hätte Triss viel ausführlicher auf Thyras Frage geantwortet und munter drauf los geplappert. Doch das ging leider nicht. Sie musste an ihre Tarnung denken! Denn während der Zeit mit den Soldaten und den Klerikern hatte sie folgende Dinge lernen müssen:
    Primum war es besser bei der Wahrheit zu bleiben. Je mehr Ausreden man erfand, desto schneller verhedderte man sich darin und begann irgendwann, sich vor lauter erdachten Geschichten selbst zu widersprechen. Deinde war Triss sowieso eine schlechte Lügnerin, auch wenn es sich nur um Notlügen handelte. Sie hatte wenig Talent dafür, aus dem Stehgreif mit plausiblen Erzählungen daher zu kommen. Noch viel weniger konnte sie sie überzeugend vortragen. Und Postremo waren es oftmals Details, die ihr schließlich auf die Füße fielen. Ihre Antwort auf Thyras Frage, was sie nach Lyc trieb, war also nicht unwahr – Nur stark vereinfacht. Triss vermutete ihren Bruder tatsächlich auf der anderen Seite des Meeres. Unter den Männern waren ihr Berichte zu Ohren gekommen, dass nicht alle Soldaten während der letzten Schlacht niedergemetzelt worden waren, sondern einige von ihnen als Gefangene verschifft wurden. Dieses Hörensagen reichte Triss aus und der Reiseplan war gefasst.
    Skarto schnaubte ungehalten und warf seinen Kopf auf und ab. Unruhig scharrte er mit den Hufen auf dem Deck. “Ich auch, Skarto. Ich auch…“, versuchte Triss ihren Hengst zu beruhigen und verlagerte ihr Gewicht leichtfüßig von Knöchel zu Knöchel. Es war so ungewohnt auf diesem Schiff zu stehen. Der Boden war hart und trotzdem kam es Triss vor, als würde er wankend jeder Bewegung nachgeben.
    “Heda, Bursche!“ rief ein Matrose Triss zu. Er musste ein zweites Mal rufen, denn sie fühlte sich im ersten Moment nicht angesprochen. Dann schrak sie aus ihren Gedanken auf und drückte ein plattes “Ja?“ hervor.
    “Du kannst dein Pferd jetzt herbringen!“
    Gesagt, getan. Triss führte Skarto unter Deck, in ein Lager, in dem schon ein paar andere Pferde untergebracht waren. Ein bisschen tat es ihr Leid, ihren treuen – wenngleich sturen – Gefährten dort unten zurückzulassen, eingepfercht und ohne direktes Tageslicht. Doch es war so besser für ihn.

    “Ich bin ein wenig aufgeregt, muss ich gestehen.“ Triss hatte sich an Deck zu zwei ihrer vorrübergehenden Reisebegleiter gesellt. Mit Thyra hatte sie eben gesprochen. Der andere, Theical hieß er wohl, schien etwas schweigsamer zu sein. “Meine allererste Schiffsreise. Und gleich so weit!“ Sie hatte ihre Nase wieder in den Wind gehoben und beobachtete mit leicht geöffnetem Mund, wie sich ein paar Matrosen in der Takelage entlang hangelten. “Hui, wie waghalsig!“
    Thyra stimmte ihr zu; Theic hingegen sah verkrampft auf seine Schuhe.
    “Geht es Euch gut?“, fragte Triss ihn, “Ihr seht ein wenig blass um die Nase aus.“

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    “Geht es Euch gut?“, fragte Triss ihn, “Ihr seht ein wenig blass um die Nase aus.“
    Theical grummelte. Allein bei dem Gedanken daran, dass sie die nächsten Tage auf dem Schiff verbringen würden, wurde ihm schwindelig. Dass das Ganze eine seltendämliche Idee war, wurde ihm langsam auch bewusst.
    "Mir ging es schon besser... Mehrere Tage auf diesem schwimmenden Sarg. Wie soll ich das überleben?" Er fasste sich an den Kopf und warf einen Blick Richtung Meer.
    Tristan musterte ihn währenddessen verwirrt von der Seite.
    "Er kann nicht schwimmen", sprach Thyra in einem Flüsterton, aber dennoch so laut, dass es kaum zu überhören war.
    Theic glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Und obwohl er sich nichts anmerken lassen wollte, konnte er es sich nicht verkneifen, der Jägerin ein "Sag das doch nicht laut!" entgegen zu pfeffern. Wütend sah er sie an. Er war nicht wirklich sauer, aber seit wann wurden die Schwäche der Freunde herumposaunt?
    Thyra konnte darüber scheinbar nur lauthals lachen. Sie hielt sich den Bauch und tätschelte ihm nebenher den Kopf.
    "Wir retten dich schon", meinte sie, "Nachdem wir fertig gelacht haben."
    Theical verschränkte die Arme, brummelte einen Fluch und sah die Frau weiterhin böse an. Ein wenig musste es wirken, als wäre er das bockige Kind.
    "Wenn du eigentlich gar nicht zur See fahren willst, warum machst du es dennoch?" Tristan betrachtete die beiden Freunde skeptisch, wandte sich dann aber an Theic und sah diesen fragend an.
    Theical ließ die Arme mit einem Seufzen hängen.
    "Weil ich offenbar völlig übergeschnappt bin!", stieß er aus.
    Ein verunsicherter Blick von Tristan fand seinen Weg zu Thyra, woraufhin diese mit einem breiten Grinsen heftig nickte.
    "Ich glaube, ich verstehe nicht ganz", bemerkte der Mann kleinlaut. Es schien, als wisse er nicht mehr so recht, was er von ihnen halten sollte.
    "Er will seine Mutter finden", sprach Thyra.
    "Von der ich nur dank eines Gottes weiß, der zu meiner toten Freundin gesprochen hat", fügte er wohl nur wenig verständlich für Außenstehende hinzu. Das alles klang aber auch einfach nur unvorstellbar. Würde er nicht mit eigenen Augen sehen, was seine Freunde mittlerweile für Kräfte hatten, er würde nicht einmal in Betracht ziehen, dass es Götter überhaupt gab. Jahrelang hatte für ihn nur das existiert, was er auch anfassen konnte.
    Wie zu erwarten war, verformte sich Tristans Gesicht zu einem einzigen Fragezeichen.
    "Eines Gottes...?", wollte er wissen.
    Theic warf Thyra einen Blick zu, kurz tauschten sie sich auf diesem Weg stumm aus. Hatte er vielleicht schon zu viel gesagt? Immerhin war dieser Mann für sie fremd. Er machte zwar keinen bedrohlichen Eindruck, aber der Schein konnte trügen.
    Synchron schüttelten sie den Kopf.
    "Lange Geschichte...", meinte sie wie aus einem Mund.
    Tristan wirkte noch immer verwirrt, nahm es aber kommentarelos hin.
    Eine Weile herrschte Stille, in der sie alle aufs Meer schauten und Wellen der See beobachteten, dann bewegte sich Theical langsam von den beiden anderen weg.
    "Ich würde noch in den Hafen gehen", begann er leise, "etwas trinken oder so...man sieht sich morgen."

  • Die Reise hatte begonnen, das Schiff hatte abgelegt. Mit über dreihundert Mann Besatzung stachen sie in See. Zweihundert Matrosen und einhundert Krieger. Das Schiff war randvoll mit allem nötigen, was man für solch eine Reise brauchte und vielleicht auch nicht brauchte.
    Viele Stunden waren sie schon unterwegs, die genaue Reisedauer war wie immer schwer zu definieren. Bisher war es eine ruhige Fahrt mit wenig Wellengang, aber ausreichend Wind, um zügig voranzukommen.
    Aras war fasziniert von allem, was um ihn herum geschah. Ob nun die an der Takelage arbeitenden Matrosen, oder Soldaten, die ihre Runden liefen. Schnell fand Aras seinen Platz am Bug. Mit Buch und Schreibkohle in den Händen, stützte er sich auf der Reling ab und ließ sich die seichte Brise durchs Haar wehen. Das leise Rauschen des Wassers, Kreischen vereinzelter Möwen und Knarzen der Dielen unter ihm, verschafften ihm eine besondere Atmosphäre, die er versuchte, in Schrift festzuhalten. Viele Notizen machte er sich über diverse Dinge, die ihm in den Sinn kamen oder auffielen. Den Sonnenstand verfolgte er, wie auch den Horizont. Er bildete sich ein, in der Ferne eine kleine Insel zu sehen, welche er aber noch nicht in seine vorerst provisorische Karte einzeichnete. Erst wollte er ganz sicher sein, dass es wirklich eine Insel war und nicht etwa nur eine Spiegelung im Wasser.
    Wie er sich so umsah, bemerkte er Theical, der sich langsam seiner Position näherte. Unsicher wirkte der kleine Mann, aber gleichsam auch strebsam.
    "Theical", begrüßte er den kleinen Mann mit fröhlichem Lächeln und reichte ihm die Hand. "Macht dich das Schwanken immer noch nervös?"
    Er nickte angedeutet und klammerte sich vorsichtig an der Reling fest. "Ich hätte die Reise nicht antreten sollen."
    "Ach, mit der Zeit gewöhnt man sich daran", fügte Aras an und machte sich weitere Notizen im Buch.
    "Du hast leicht reden!"
    "Es liegt daran, dass du nicht schwimmen kannst, nicht wahr?"
    Misstrauisch beäugte Theical den Lord darauf. "Los, mache schon deine Witze darüber."
    Aras schmunzelte und winkte ihm ab. "Nein, darüber mache ich keine Witze mehr. Erstrecht nicht auf hoher See."
    Schweigen brach aus. Verständlich. Hatten sich Theical und Aras auch sonst nicht viel zu sagen. Was hätte der Meistermagier auch schon Wichtiges mit dem Schattenbändiger besprechen können? Spontan kam dem Lord nur genau das in den Sinn, was sie beide am ehesten verband.
    Ungewohnt schwer fiel es Aras, den folgenden Satz zu bilden: "Wenn du irgendwie Hilfe brauchst, wegen deiner Schattenmagie, vielleicht kann ich dich etwas unterstützen." Im Nachhinein bereute Aras es schon, dies gesagt zu haben. Er wusste einfach nicht, wie Theical darauf reagieren würde und ob es überhaupt noch in dessen Interesse lag.
    Nach weiteren Momenten des Schweigens und Anstarrens, verkündete Theical dann doch etwas: "Ich bin mal wieder weg." Dies gesagt, entfernte er sich von der Reling und ging von dannen.
    Kurz schaute Aras ihm hinterher. "Vermutlich ist er seekrank und wollte nicht länger das offene Meer betrachten."
    Mit leichten Bedenken, den kleinen Mann vielleicht doch gekränkt zu haben, blickte er wieder aufs Wasser hinaus und machte sich weitere Notizen in sein Buch.
    "Aye Herzog!", erklang eine junge Frauenstimme hinter ihm, die dem Lord zwar bekannt vorkam, er sie aber nicht spontan zuordnen konnte. Doch als er sich umdrehte, um einen kurzen Blick zu riskieren, traute er seinen Augen nicht. Kurzes schwarzes Haar, breites Grinsen und silbernes Krönchen auf dem Kopf.
    "Liandra?", stieß er heiser aus und setzte ein betrübtes Gesicht auf. Irgendwas sagte ihm, dass diese Begegnung nichts Gutes zu bedeuten hatte.
    Mit stolzem Schritt stampfte sie auf ihn zu und nebenher immer mit den Hacken ihrer Stiefel auf. Sie trug einen Matrosenanzug, ähnlich der Matrosen hier an Bord. Aber das Krönchen war trotzdem nicht zu übersehen.
    "Natürlich bin ich es", antwortete sie augenrollend und richtete ihre Kopfbedeckung wieder. "Hast du mich schon vermisst?"
    "Nicht wirklich", grummelte er leise und wandte sich wieder dem Meer zu.
    Liandra trat neben ihn an die Reling, legte ihren Arm um ihn und schmiegte sich an seine Seite. Ihn kurz in die Hüfte knuffend sprach sie weiter und grinste dabei über beide Ohren: "Ich wollte mich mal erkundigen, wie es meinem Lieblingsherzog so geht..."
    "Lieblingsherzog?", stellte er es schiefen Blickes infrage und rutschte einen guten Meter von ihr weg, um weiter an seiner Zeichnung zu arbeiten.
    "Natürlich!", erwiderte sie und rutschte sofort nach. "Also ich mag dich."
    "Offensichtlich ist das so, Liandra..." Kaum hatte er diesen Satz gesagt, griff sie nach dem Buch und entriss es ihm. Aras' Hände wanderten hinterher, er wollte es wieder zurückhaben. Zu flink war sie und klemmte sich das Buch schnell zwischen die Beine. Hochnäsig und mit rausgestreckter Brust präsentierte sie sich und grinste frecher als jemals zuvor. Aras verharrte in angestrengter Position mit halb ausgestrecktem Arm und schaute sich ängstlich um. Zum Glück schien ihn keiner anzuschauen oder auch nur ansatzweise Andeutungen von Verwirrung zu machen. Dennoch war es dem Lord unsagbar peinlich, in dieser lächerlichen Lage zu stecken und von Liandra so provokant vorgeführt zu werden.
    Mürrisch flüsterte er: "Gib' mir das Buch wieder, oder..."
    "Oder was?"
    Gute Frage ihrerseits. Was sollte er nur tun? Laut rufen, damit sie wieder spurlos verschwand und Aras als Depp dastand?
    "Gib' mir einfach das Buch wieder! Das ist ein Geschenk von Maria von Braun!"
    Grübelnd tippte sie sich ans Kinn. "Das ist ein gutes Argument." Dann griff sie wieder nach dem Buch und gab es ihm zurück. Ein kurzer aber intensiver Blickaustausch und sie sprach weiter: "Übrigens wollte ich dir noch sagen, dass ich mit Freuden euren Kampf gegen Calypso und ihre Sklavinnen verfolgt habe!"
    Misstrauisch beäugte er sie daraufhin. "Sag' jetzt bloss, du hast da auch was gedeixelt. Wenn dem so ist, dann schwöre ich dir..." Vorsichtig ballte er seine Hand zur Faust und grimmte sie immer misstrauischer an.
    Unschuldig hob sie die Hände. "Ich spiele jetzt mal wieder die Furchtsame, die Angst vor deiner Magie hat, auch wenn du mir keinerlei Schaden zufügen kannst."
    "Fordere es nicht heraus!", konterte er, konnte aber nicht gänzlich ernst bleiben.
    "Ich muss zu meiner Verteidigung sagen, dass ich auf euch gesetzt habe."
    Da machte er große Augen. "Was habt Ihr?!"
    Liandra redete unverzüglich weiter, mit einer Freude und Überzeugung, dass man echt vermuten musste, sie sei verrückt. "Zu meinem Glück habt ihr dann auch gewonnen. Nun ist Selchior mir etwas schuldig. Er hat nämlich auf Calypso gesetzt."
    Nun war er komplett fassunglos und ließ prompt das Buch fallen. "Wie bitte?! Selchior?!" "Wie verrückt muss man bitteschön sein, um mit ihm..?" Kopfschüttelnd versuchte er auf diese Situation klarzukommen. Was war das nur für eine Göttin, die ihn auserwählt hatte? "Sehr beruhigend, dass Ihr auf unsere Leben Wetten abschließt, Liandra."
    "Sei mal nicht so zynisch, Herzog. Immerhin war ich ja auf deiner Seite."
    "Ich frage mich gerade, ob Ihr, Liandra, mir geholfen hättet, wäre ich tatsächlich in Lebensgefahr gewesen!"
    Die Augen verdrehend entgegnete sie darauf: "Bisher hat doch auch immer alles ganz gut ohne göttliche Hilfe funktioniert."
    Sprachlos war er, da fehlten ihm die Worte. Nur noch enttäuschtes Kopfschütteln brachte er ihr entgegen.
    Plötzlich schreckte sie auf, blickte sich um und richtete ihr Krönchen wieder. "Ich verabschiede mich mal wieder. Vielleicht sieht man sich später nochmal." Mit einem Fingerschnipp war sie verschwunden.
    Dafür kam nun Tristan in seine Richtung.
    "Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich mich zu Euch geselle, Herzog?"
    Verunsichert starrte Aras in Tristans Augen, schüttelte dann aber den Kopf. "Nein, natürlich nicht. Ich freue mich sogar sehr darüber, immer ein nettes Gespräch führen zu dürfen."
    Leicht schielte Tristan auf Aras' Buch. "Verzeiht mir meine Neugier, aber was schreibt Ihr da Besonderes?"
    "Ich..?", fragte Aras verwundert, hätte er nicht gedacht, dass sich jemand wirklich dafür interessiert. "Nur Gedankengänge und Überlegungen."
    Ob Tristan Liandra auch gesehen hatte? Oder hatte er vielleicht nur Aras gesehen, wie er vermutlich nur mit sich selbst sprach? Der Lord wusste noch nicht, ob Liandra nur für ihn sichtbar war, oder jeder ihre Anwesenheit vernehmen konnte. Die Frage war auch, was nun besser gewesen wäre. Sicherlich, für Aras wären beide Optionen peinlich gewesen. Und wollte der Herzog vielleicht auch tief im Innern, dass jemand anders Liandra auch gesehen hatte?
    Die Stille wurde Aras zu peinlich, weshalb er einfach drauf los redete. "Ich bin gerade dabei, eine Theorie aufzustellen. Gut, eher Überlegungen."
    Tristan reagierte nicht darauf und schaute den Lord nur verwundert an.
    Aras redete weiter: "Habt Ihr Euch schon mal gefragt, wie die tief das Meer ist?"
    "Vermutlich nicht in dem Zusammenhang wie Ihr es meint", entgegnete Tristan nach kurzem Überlegen. "Man könnte es doch ausloten."
    Verstehend nickte der Magier, tippte anschließend auf sein Buch und grübelte weiter. "Ich würde aber auch gerne wissen, wie es dort unten aussieht. Vergleichbar mit dem Wattboden vielleicht?" Dann stieß er den jungen Ritter leicht an. "Was meint Ihr, Tristan? Wie könnte es dort unten aussehen?"
    "Ich weiß nicht so genau. Ist es überhaupt wichtig, dies zu wissen? Auf Anhieb sehe ich keinen wirklichen Nutzen darin, mehr über die Tiefen des Meeres erfahren zu müssen... Oder meintet Ihr einfach meine Vorstellung davon?"
    "Exakt!", antwortete Aras knapp. "Was würdet Ihr Euch wünschen, dort sehen zu können?"

    "Eine schwierige Frage, die Ihr da stellt. Spontan kann ich das nicht beantworten..."
    "Müsst Ihr auch nicht", warf Aras ein und schenkte ihm ein erneutes fröhliches Lächeln. Dann stelle er Überlegungen an. Sein Wissen war weitreichend, er hatte ein gutes Verständnis von diversen Dingen. Mechanik, Alchemie, Naturkunde und vor allem Magie. "Vielleicht könnte man eine Apparatur bauen, mit der es möglich wäre, unter Wasser zu atmen." Dann kam ihm der Geistesblitz! "Man müsste ein Schiff bauen, das ab- und auftauchen kann. Bestenfalls aus Metall und kugelförmig, damit sich das Gewicht des Wassers gleichmäßig verteilt. Natürlich ist das nicht ganz ungefährlich."
    Verdutzt starrte Tristan ihn an. "Ihr würdet das doch nicht versuchen, oder?"
    "Sicherlich würde ich das. Die Mittel dazu hätte ich."

  • Jaris schritt in Gedanken über das Deck. Um ihn herum machten die Matrosen respektvoll Platz und warfen ihm neugierige Blick zu. Sie wussten nur, dass er mit ihrer Prinzessin gekommen war, was ihn in ihren Augen wohl zumindest auf die Stufe irgendeines niederen Adligen hob. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Was hätten sie wohl gesagt, wenn sie die Wahrheit kennen würden. Dass er ein gewöhnlicher Söldner war, ohne jeden Rang und Titel. Falls er sich noch immer als solchen betrachten durfte. Jetzt, nach all dem was passiert war.
    Neugierig betrachtete er die verschiedenen Vorgänge auf dem Deck. Matrosen eilten durcheinander, zogen Taue fest, krabbelten in der Takelage und eine Gruppe von ihnen schleppten Kanonenkugeln auf eine der Treppe zu, die in die unteren Decks führte.
    Kanonen! Er runzelte die Stirn. Auf derartiges wie diese Geschütze hatten ihn weder seine Erinnerungen noch diese seltsamen Träume vorbereitet.
    Schaudernd dachte er an das Kriegsschiff aus der vorherigen Nacht. Ihm war nicht klar, ob diese Träume nun Erinnerungen waren, welche er zwar vergessen hatte, die aber im Schlaf an die Oberfläche gewirbelt wurden, oder ob sie einzig seiner Fantasie entsprangen. Fest stand nur, dass das Schiff, auf dem er gekämpft hatte - und gestorben war, woran er nur ungern dachte - wenig mit diesem hier gemein hatte. Die Galeone war schlanker und tiefer, während das andere hohe Aufbauten - beinahe schon Türme - aufwies. Diese sollten im Enterkampf den entscheidenden Vorteil bieten, während die Calypso - der Name verursachte immer noch Gänsehaut bei ihm - gar nicht erst in einen solchen verwickelt werden sollte. Das zumindest hatte ihm ein Matrose eifrig versichert, nachdem er ihn darüber ausgefragt hatte. Der Bursche war erstaunt gewesen, als er ihm die Aufbauten, die laut dem Matrosen als Kastelle bekannt waren, beschrieben hatte. Angeblich waren sie mittlerweile verdrängt worden, nachdem sie Jahrhunderte lang den Seekrieg beherrscht hatten. Jaris kam es unvernünftig vor eine so bewährte Taktik einfach so ins Wasser fallen zu lassen. Selbst wenn diese die Schiffe langsamer machte und schwerfälliger. Er hatte die Kanonen gesehen und auch eine der Kanonenkugeln angehoben. Nach dieser Erfahrung konnte er nicht glauben, dass die Geschütze genügend Kraft besitzen sollten, um sie auch nur zehn Meter weit zu schleudern. Auf jeden Fall könnten sie nicht den nötigen Schwung zustande bringen, der die Kugeln die Bordwände zerschlagen lassen könnte. Vielleicht wäre ein Katapult oder ähnliches zu so etwas in der Lage, aber nicht diese schmalen Röhren, die weder einen Schleuder- noch einen Zugmechanismus boten.
    Mit ein wenig Glück würde seine Vermutung nicht erprobt werden. Sicher war überall mit Piraten zu rechnen, aber ein so großes Schiff würden sie - zumindest laut dem redseligen Matrosen - nur im Ausnahmefall angreifen.

    Aus dem Augenwinkel bemerkte er Zacharas, der am Bug auf einer Kiste saß und sich mit dem "Neuem" unterhielt. Tristan war jung. Jedoch traf das wohl angesichts der niedrigen Lebenserwartung auf die meisten Soldaten zu. Zumindest gab er sich als Soldat aus und auch seine Ausrüstung ließ darauf schließen. Sein Gesicht war fein geschnitten und bartlos, was Jaris beinahe schon an einen Elfen erinnerte. Vielleicht hatte der Bursche ja tatsächlich einen Schuss Elfenblut in den Adern. Bemerkenswert war außerdem, dass er sich mit dem selbstsicherem Gang eines gutem Schwertkämpfers bewegte, jedoch träfe auch das auf einen Soldaten zu. Jaris wusste selbst nicht, warum er dennoch das Gefühl hatte, etwas zu übersehen. Es musste nicht zwingend etwas mit dem jungen Mann zu tun haben, aber irgendeinen Grund musste es ja haben. Irgendetwas, er war sich nur nicht sicher was, kam ihm merkwürdig vor.
    "Narr", schalt er sich selbst in Gedanken. Die letzten Tage hatten ihn dazu gebracht alles und jeden misstrauisch zu betrachten. Als sie abgelegt hatten, war er sich einen Moment sogar sicher gewesen das Gesicht der Frau, die ihn in seinen Träumen gebeten hatte heimzukehren, in der Menschenmenge am Kai gesehen zu haben. Natürlich alles nur Einbildung, doch ständig fühlte er sich beobachtet. In ihm kribbelte der Gedanke etwas vergessen zu haben, was wichtig war.
    Entschlossen suchte er nach einem neuem Thema für seine Gedanken. Die Tatsache, dass sie jetzt auf dem Meer waren, ließ ihn unruhig werden. Das war alles. Nicht dass er sonderliche Angst vor dem Wasser hatte, es war einfach seltsam sich auf dem Hoheitsgebiet eines Feindes zu befinden, der sie noch vor kurzer Zeit beinahe vernichtet hätte. Apropo Calypso. Er hatte Daphne zuletzt gesehen, als sie sich beim Ablegen von ihrer Familie und ihrem Volk verabschiedet hatte. Sie hatte krank gewirkt, obwohl sie davor ja eigentlich geschützt sein sollte. Er wusste von ihr nur, dass Daryk bei ihr war und sonst niemanden ins Zimmer ließ. Eine Maßnahme die ebenfalls nicht gerade beruhigend auf ihn wirkte.
    "Sie ist immer noch vom Kampf geschwächt", rief er sich selbst in Erinnerung. Selbst Daryk hätte etwas gesagt, wenn es schlimmer als das wäre.
    Mit einem Stirnrunzeln entschloss er sich in seine Kabine zu gehen und sich endgültig von den ganzen düsteren Gedanken abzulenken. Vielleicht hätte er Gelegenheit mal wieder ein wenig Zeit mit Thyra zu verbringen, sofern sie denn da war. Sie hatten seit dem Kampf mit Calypso kaum eine ruhige Minute gehabt. Und falls nicht, dann war da immer noch das Buch, das zuunterst in seinem Reisegepäck verborgen lag. Seitdem der General es ihm geschenkt hatte, hatte er ihm kaum einen Blick gewürdigt - er hatte keine Zeit für Geschichte, wo gerade soviel davon in seinem Schädel herumtobte -, doch es könnte auch nicht schaden, es mal in Augenschein zu nehmen. Vielleicht war es ja das, was er übersah oder zumindest etwas, dass ihn vergessen machen konnte, dass er etwas suchte. Auf jedem Fall wäre es besser ein Buch zu lesen als aufgescheucht, wie ein Schaf beim Heulen eines Wolfes, über das Deck zu streichen. Schon wieder zu tief in Gedanken versunken, als dass er seine Umgebung überhaupt wahrnahm, trat er auf eine der Treppenstufen, die ihn nach unten führen würden.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Schwarz lag das Meer unter dem nächtlichen Himmel und unterschied sich nur durch die sanften Bewegungen der Wellen vom diesem.
    Nachdem Theic beinahe eine Stunde im Inneres des Schiffes herumgeirrt war, auf der Suche nach seinem Quartier, hatte er dieses endlich gefunden. Das Schiff glich wirklich einer Festung und wenn man nicht wusste, dass man sich auf dem Meer befand, konnte man das sogar vergessen. Jedenfalls spürte man den leichten Seegang im Inneren nicht. Nur ein Blick durch das Bullauge des Zimmers verriet ihm, dass er keinen festen Boden unter den Füßen hatte. Und wenn er ehrlich war, bereitete ihm das nur noch mehr Magenschmerzen. Zum ersten Mal in seinem Leben bereute er es, dass er niemals das Schwimmen erlernt hatte. Aber mit Mitte Zwanzig war es dafür auch zu spät
    Seine Augen wanderten über das schwarze Meer.
    Was sollte er machen, wenn sie in Lyc angekommen waren? Wo sollte er mit der Suche beginnen? An allen dunklen Orten, die es dort zu besichtigen gab? Den Kerker vielleicht? Bei dem Glück, das er seiner Gruppe zumaß, würde er eine der schönen Zellen zuerst besuchen dürfen.
    Hätte man ihm vor einem Jahr gesagt, dass er einmal mit einer durchgeknallten Gruppe herumziehen würde, die scheinbar alle im Schutz der Götter standen, dann hätte er laut gelacht. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, die Götter hatten lediglich ihren Spaß daran, sie scheitern zu sehen. Selchior damals in der Wüste war das beste Beispiel für diesen Wahnsinn gewesen.
    Er stützte die Arme auf dem Sims des Bullauges ab und legte den Kopf darauf. Mit geschlossenen Augen, versuchte er die anderen auf dem Schiff aufzuspüren. Doch bei der Menge der Schatten, die auf und unter dem Deck umherwirbelten, war das keine leichte Aufgabe, GENAU diese Schatten zu definieren. Er versuchte es an den Bewegungen, der Größe und Form festzumachen.
    Nach einer ganzen Weile musste er jedoch feststellen, dass er lediglich Daphne und Daryk herausfiltern konnte. Die beiden Extreme auf einer Stelle...das konnten nur die beiden sein. Allerdings bewegte sich keiner von beiden. Generell hatte er weder Daphne noch Daryk seit Beginn der Fahrt zu Gesicht bekommen. Von dem Ritter hatte er lediglich erfahren, dass es Daphne nicht so gut zu gehen schien. Sie sollten sich keine Sorgen machen, immerhin war die Prinzessin eine Heilerin und einen Arzt hatten sie auch noch an Bord. Darum machte er sich auch nicht so viele Sorgen. Daphne war stark und nach der Sache mit Calypso war es ihr auch nicht zu verübeln.
    Viel mehr Gedanken machte er es sich darum, was sie auf dem Weg nach Lyc alles auf sich nehmen mussten. Die Geschichte mit Calypso hatte ja gezeigt, dass es Dinge gab, die sie im Meer nicht vermutet hätten. Wer wusste, was unter der Oberfläche noch alles lauerte und nur darauf wartete, dass ein paar möchtegern Götterschützlinge vorbeikamen?

  • „Und dann schob sich nich' nur der große Kopf zwischen den Wellen hervor, sondern auch die Greifarme! Nich' zwei, drei oder vier. Es waren Acht! Acht Greifarme! Und die waren lang, das glaubt ihr mir nich'!“
    Triss beugte sich nach vorn und ignorierte das Gemurmel der Matrosen, die um sie herum saßen. Mit vor Spannung geweiteten Augen hing sie an den Lippen des alten Seebärens und konnte den Fortgang seiner Geschichte kaum erwarten: “Wie-wie lang waren sie?“
    Sehr lang, mein Junge! Von hier wo wir sitzen, bis hoch ins Krähennest ham'se gereicht! Und die ham sich um den Hauptmast gewickelt, als sei unser Schiff nur ne winzige Spielzeugjolle für den Kraken. Einer nach dem anderen sind Männer auseinander gerannt. Aber nich' ich! Ich hab mir den Bootshaken geschnappt und damit einen der Greifarme aufs Deck gespießt. Ha! Und danach-...“
    „Hör sofort auf, den Männern solche Hirngespinste in den Kopf zu setzen!“ Triss klappte ihren Mund wieder zu und wandte sich um. Hinter ihr stand der Erste Offizier höchstpersönlich und schimpfte den Seebären aus. „Das letzte was wir gebrauchen können, ist eine Horde aufgeregter Jungen, die bei jedem Schatten und jeder großen Welle Alarm schlagen. Den Kraken gibt es nicht, genau so wenig wie Meerjungfrauen, Hippokampi, Leviathane oder die Skylla. Und jetzt: Alle Mann wieder auf die Posten, bevor ich euch Beine mache! Wir sind hier auf keinem Nähkränzchen für junge Weibsbilder!“
    Ehe sich Triss versah, waren die Matrosen in alle Richtungen auseinandergestoben. Zum Teil sogar nach oben und nach unten, indem sie sich an der Takelage hinauf angelten oder durch eine der Luken unter Deck sprangen. Sie alle gingen ihren Aufgaben nach, einschließlich des alten Seebärens. Alle außer Triss, denn Triss... nunja. Triss hatte keine Aufgaben.
    Daher blieb sie noch einen Augenblick sitzen und schaute verloren aus der Wäsche. Die sternenklare Nacht hatte sich so wunderbar für abenteuerliche Erzählungen geeignet und nur zu gern hätte sie erfahren, auf welche raffinierte Weise der alte Seebär damals den Kraken besiegen konnte. Vielleicht würde er ihr das Ende der Geschichte erzählen, wenn sie ihn später noch einmal darauf ansprach.
    Schließlich stand Triss doch auf und zupfte sich das Wams zurecht. In einem günstigen Moment hatte sie sich unter Deck umgezogen und Kettenhemd gegen zivile Kleider getauscht. Beides war ihrer Tarnung gleichermaßen dienlich. So flanierte sie über das Deck und beobachtete die Matrosen bei ihrer Arbeit – was letztlich wenig spannend war, da man nur Wache hielt, während der Rest der Besatzung schlief.
    Oder auch nicht. „Herr.. uhrm... Theical?“, machte Triss ihn auf sich aufmerksam. „Guten Abend. Oder gute Nacht, wenn man es genau nimmt.“ Sie schmunzelte. „In den Mannschaftsquartieren herrscht ein schreckliches Schnarchen. Neben... anderen Geräuschen. Ich hoffe, dass ich später trotzdem ein Auge zu bekomme, nachdem ich etwas frische Luft geschnappt habe. Könnt Ihr etwa auch nicht schlafen?“
    Der angesprochene junge Herr schien gerade erst das Deck betreten zu haben. Etwas wortkarg antwortete er: „Ich genieße bloß ein wenig die Nacht.“
    Triss nickte verstehend. Dann legte sie nachdenklich den Finger auf die Lippen. Ob es ihr zustand, mehr über ihre temporäre Reisebegleitung zu erfahren? So lange kannten sie sich noch nicht, doch aus den Gesprächen, die sie bisher mit den anderen führen durfte, hatte sie einige interessante Dinge heraushören können. Und Triss war doch so neugierig!
    „Herr Theical?“ siegte ihre Neugierde schließlich über den Anstand.
    „Ihr braucht mich nicht mit Herr anzusprechen. Oder mit 'Ihr'“
    „Oh, nagut. Also hm...Theical... Ihr – Verzeihung - Du hast neulich etwas von Göttern erzählt, das ich nicht verstanden habe. Was hat es damit auf sich? Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, aber du und deine Begleiter scheinen so... “ Triss blinzelte, weil ihr kein passender Begriff einfiel. Die ganze Gruppe war in ihren Augen ein farbenfroher Haufen illustrer Gestalten! Wie sollte man das in einem Wort zusammenfassen können?
    „...außergewöhnlich! Wer seid ihr? Und wieso sieht man die nette Prinzessin und den grummeligen Riesen nicht mehr?“

    • Offizieller Beitrag

    Daphne lag im Bett und krallte ihre Hände in die Seidendecke unter sich. Die Schmerzen wurden immer schlimmer, aber sie wollte nicht, dass irgendjemand davon erfuhr. Nur Daryk und der Schiffsarzt waren im Zimmer bei ihr, abgeschottet vom Rest.
    „Diese Hexe hatte einen kräftigen Biss“, presste die Prinzessin zwischen ihre Zähne empor, während Daryk ratlos neben ihr saß.
    „Es verhält sich wie das Gift einer Schlange, aber normalerweise müsstet Ihr dieses heilen können“, gestand der Arzt und fuhr sich nachdenklich über seinen blonden Vollbart. Der Hüne hatte ihn über die Kräfte der jungen Frau unterrichtet, aber das machte alles noch viel schwieriger als leichter.
    Der Arzt hatte vorgeschlagen die Wunde auszubrennen, weil er glaubte, sie habe sich lediglich entzündet, aber Daryk hatte dies abgelehnt. Sie wussten immerhin nicht, was die Schmerzen verursachte, Gift oder die Wunde selbst. Vielleicht dauerte es nur eine Weile wie bei Daryks Fluch.
    Von Wasser umgeben, mitten auf dem Meer, fühlte Daphne, dass sie stark genug war, um sich selbst zu heilen, aber die Bisswunde schien dagegen immun. Vielleicht, weil sie von keinem Menschen oder Tier stammte, sondern von Calypso.
    „Sie braucht etwas Schlaf!“, diagnostizierte der Art vage und stellte einen Becher mit grünen Brei neben Daphnes Bett. „Das wird Euch dabei helfen, Hoheit!“
    „Danke“, zischte die Prinzessin und entließ den Arzt danach.
    Vorsichtig reichte ihr Daryk den Becher, damit sie an diesem etwas Nippen konnte, aber alles auf einmal schaffte sie nicht zu trinken. Gemischt mit Alkohol, beruhigte sich zumindest ihr Herzschlag. Ihre Gedanken kreisten um ihre Freunde, als der Schmerz etwas nachließ. Sie wollte sich nicht vor ihnen verstecken, aber nach dem Kampf gegen Calypso, brauchten auch diese etwas Ruhe und sie wollte sie nicht in Sorge versetzen, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Es reichte ihr schon, dass sie Daryk mit ihrem Zustand belastete, nachdem sie nicht gewusst hatten, wie der Kampf gegen die Meereshexe hätte ausgehen können.

    Es wurde dunkel und zu gerne hätte die Prinzessin die Sterne gesehen, denn nirgends waren sie so klar, wie auf dem offenen Meer. Sie träumte davon sogar, als sich schlussendlich doch ihre Augen schlossen und die Erschöpfung über sie hereingebrochen war. Sie wusste, Daryk wachte über sie, so, wie er es immer tat. Am Liebsten wäre sie einfach aufgesprungen und munter auf ihrem Schiff herumgelaufen. Sie hatte kaum etwas davon gesehen und war gleich in ihre Kajüte verschwunden, beziehungsweise getragen worden.
    Tief in der Nacht, mitten in einem nichtssagenden Traum, wandelte sich das Bild in ihren Gedanken und eine ihr bekannte Stimme sprach zu ihr.
    „Es war knapp, aber du hast mich nicht enttäuscht“, sprach eindeutig Rhenus zu ihr.
    „Knapp ist gar kein Ausdruck“, erwiderte Daphne und befand sich plötzlich mitten auf einem endlos scheinenden See oder Meer. Kein Ufer war zu sehen, kein Vogel oder anderes Getier, nichts. Nur unter ihr das schwarze Wasser, auf dem sie stand wie auf festem Untergrund und der indigofarbene Nachthimmel über ihr. Aus der schwarzen See stieg Rhenus empor und lachte.
    „Wenn ich es dir nicht zugetraut hätte, hätte ich dich nicht dorthin geschickt oder ihr ausgeliefert. Dies diente auch dazu, zu testen, wie weit du bist und ob ich es dir zutrauen kann, noch mehr Macht zu geben.“
    „Mehr … Was?“
    „Ich machte einmal den Fehler, die falsche Person damit zu segnen. Ich wollte nicht, dass sich das wiederholt. Der Mensch besteht aus Wasser, seinen Fluss kann du spüren, ihn verändern oder wieder herstellen, aber was ich dir geben will, ist ihn zu lesen.“
    „Lesen?“
    , wiederholte die Prinzessin und Nachfahrin des Gottes unbeeindruckt. „Ist dir entgangen, lieber Urgroßvater, dass ich krank im Bett liege – das erste Mal im Leben?! Ich habe gerade etwas andere Probleme, als den Zugewinn neuer Fähigkeiten.“
    „Eine Kleinigkeit, die sich schnell aus dem Weg räumen lässt. Ich gab Calypso die Fähigkeiten, ich kann diese auch heilen.“
    „Es war mir eine Ehre, deine Fehler zu korrigieren“, antwortete Daphne und klang dabei zynischer als beabsichtigt.
    „Ich hoffe, du verstehst, dass ich sie nicht töten konnte. In erster Linie, weil ich es nicht durfte und auf der anderen Seite, weil ich es nicht konnte. Trotz ihrer Vergehen, war sie mein Fleisch und Blut.“
    „Und auch meines!“, wurde Daphne laut. „Fast über die Hälfte dieser Frauen entsprang meiner Erblinie!“
    „Deswegen habe ich auf dich gewartet. Du tötest nicht leichtfertig, willst helfen und nicht zerstören. So, wie es die Mütter deines … unseres Volkes immer taten. Früher, als sie noch das Zepter hielten und nicht die Väter.“
    „Zepter?“
    „Sie regierten einst über das Volk der Nordfrauen, denn sie schenken das Leben, so wie ich es verkörpere und ich gab meine Kräfte weiter, da eine von ihnen, die Máthair, meine Frau war.“
    Verdutzt blickte Daphne drein. Wobei ihr Blick nach allem, was sie erfahren und erlebt hatte, eher gelangweilt wirkte.
    „Und du erzählst mir das, weil?“
    „Du die nächste Máthair bist.“
    Ein Lachen überkam die Prinzessin.
    „Du vergisst meine Brüder und Tristan. Tristan regiert mein Volk.“
    „Ein Irrtum, wie ich finde“, gestand Rhenus trocken. „Ein Volk, welches das Leben verehrt, himmelt einen Mann als Regent an. Was haben Männer mit einer Geburt zu tun?“
    „Warum bist du dann ein Mann und keine Frau?“
    „Weil ich über das Leben wacheund es nicht zur Welt bringe, das tat meine Frau.“
    Soll ich jetzt noch Streit mit meinem Bruder anfangen? Nein, er kann die Regentschaft gerne behalten“, protestierte Daphne.
    „Das entscheidest nicht du, sondern das Volk.“
    „Dann sage ich nichts!“
    „Die Wahrheit lässt sich nicht verbergen, vor allem deswegen nicht, weil du auf den Ursprung zuhältst. Es ist kein Zufall, dass das Wort „Norden“ im Namen deines Volkes steckt.“
    Mürrisch schaute sie in die blauen Augen ihres Gegenübers.
    „Was genau willst du von mir?“, fragte sie dann.
    „Dass die alte Ordnung wieder hergestellt wird. Der Welt tut es nicht gut, wenn sich Dinge verändern. Einst wollte ich Franziska zur neuen Mutter eines Volkes machen, aber sie hat versagt und es zu ihrem Vorteil genutzt. Aber du ...“
    „Wir werden sehen“, fuhr Daphne Rhenus über den Mund und verschränkte ihre Arme vor sich. „Aber noch bin ich nicht in der Lage dazu, irgendetwas zu tun.“
    „Oh“, merkte Rhenus an, „der Biss. Das ist wahr. Aber glaub mir, dein Denken wird sich alsbald ändern.“
    Rhenus näherte sich ihr und legte seine Hand auf ihre Schulter, da, wo sich eigentlich der Biss befinden sollte, wenn sie nicht mitten in einem Traum gesteckt hätte.
    „Wissen bedeutet Macht“, gab er ihr noch auf den Weg. „Zu wissen, was andere fühlen, wie sie fühlen, kann durchaus von Vorteil sein, erstrecht, wenn man einem Feind gegenübersteht.“
    Mit einem tiefen Atemzug wachte Daphne auf und schaute sich um. Auch Daryk schreckte auf, der sitzend neben ihr eingeschlafen war. Das Erste, was sie spürte war … Nichts. Die Schmerzen waren fort, ebenso wie die Wunde. Erstaunt schaute sie ihre Leibwache an, dem sie ansehen konnte, was er fragen wollte.
    „Rhenus“, antwortete sie knapp und es war wie der Gott sagte. Als sie Daryk ansah, fühlte sie seine Erleichterung, aber auch Erschöpfung.