Auf der Suche nach der Schatulle von Daris

Es gibt 509 Antworten in diesem Thema, welches 123.394 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (16. April 2018 um 04:25) ist von TiKa444.

  • Der Schecke den sie von Jaris erhalten hatte, hatte seine Nervosität zwar abgelegt, sobald sie das Gedränge der Stadt verlassen hatten, doch schien er generell ein unruhiges Tier zu sein, welches am liebsten dauerhaft über die weiten Wiesen galoppiert wäre. Sie hatte Mühe ihn zu zügeln, geschweige denn zu lenken und ihn dazu zu bewegen den anderen Tieren zu folgen. Offenbar hatte Jaris die Pferde wild zusammen gestoppelt, sodass kein Zusammenhalt untereinander herrschte.
    Passt ja auch zum Rest der Truppe, dachte sie mürrisch.
    Wenigstens konnte sie sich annähernd im Sattel halten, weil sie in den Bergen schon öfter auf einem der rentiere geritten war, als sie klein gewesen war und die langen Fußmärsche noch nicht geschafft hatte.
    Dennoch war ein Pferderücken ganz anders als der ruhige Rücken eines Lasttiers, dass es gewohnt war zu trotten und nicht solchen Pfeffer im Arsch hatte. Thyra hatte beschlossen ihren Hengst deswegen ganz klischeehaft Fury zu nennen.
    Als Thyra ihren Blick schweifen ließ konnte sie am Waldrand einen kleinen Punkt ausmachen, der ihnen beständig folgte. Das musste Fenrir sein, dachte sie beruhigt, auch wenn sie sich nicht ausmalen wollte was wohl geschah, wenn er ihren Reittieren zu nahe kam.
    Mittlerweile war sie selbst auch nicht mehr ganz so begeistert von ihrer Reise. Zwar hielt es sie ohnehin nie lange an einem Ort, aber sie wäre dem unausstehlichen Herzog lieber still und heimlich gefolgt. Allein schon wie er auf seinem Pferd saß … genervt verdrehte sie die Augen und wollte Theics Blick einfangen, doch dieser saß im Sattel und quälte sich mit Rhythmus der Stute. Selbst Thyra konnte erkennen, dass er sich bis zum Abend einen tüchtigen Wolf geritten haben würde.

    Irgendwann hatte sie einen Schlenker Richtung Süden gemacht und waren die ganze Nacht stetig in dieser Richtung weiter geritten. Sie hatten nur einmal kurz Rast gemacht, um ihre Pferde zu tränken.
    Yilmburg war schon längst hinter ihnen am Horizont verschwunden, neben ihnen die Sonne aufging und den Himmel in zarte Rosa und Orangetöne tauchte.
    „Herr, wir sollten uns und den Pferden mal eine Pause gönnen“, wandte sich Jaris vorsichtig an den vorne weg reitenden Zacharas.
    „Wenn es euch unbedingt beliebt“, erwiderte er hochnäsig, dabei war ihm anzusehen, dass auch er dankbar war dem Sattel für einige Stunden entfliehen zu können.
    Unter allgemeinem Stöhnen rutschten die Kammeraden von den hohen Pferderücken und ließen sich augenblicklich am Boden nieder. Nur Jaris und Thyra blieben stehen.
    „Wie jetzt?“, fragte die Jägerin pragmatisch in die Runde. „Die Pferde wollen auch Pause. Sie müssen abgesattelt und getränkt werden und wir brauche Feuer!“
    Theic stöhnte. „Ich kann mich kaum bewegen. Meine Beine tuen schrecklich weh!“
    „Solche Arbeiten habe ich noch nicht getan und werde ich auch nicht tun. Dafür habe ich dich mitgenommen, Weib!“, zeterte Zacharas. Jaris und Thyra warfen die Blicke zu die Bände sprachen.
    „Ich gehe uns was zu essen jagen“, wandte sich Thyra an ihn und fischte Bogen und Köcher von Furys Sattel.
    „Wir haben genug zu essen dabei“, antwortete dieser und man merkte, dass er glaubte sie wollte sich vor der Arbeit drücken.
    „Ja, aber kein Fett. Ich denke das könnte Theics Beinen auf die Sprünge helfen. Es dauert nicht lange“, versprach sie und machte sie ohne ein weiteres Wort auf und davon.
    Sie war unendlich froh der nervigen Gesellschaft ihrer Begleiter für einen Augenblick entkommen zu können und sich eine ruhige Stunde mit Fenrir zu machen, der ihr auch schon treuherzig entgegen trottete.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • “Holt Ihr also etwas Holz, werter Theical?”, fragte Aras genervt.
    “Was, ich? Aber meine Beine tuen so weh...”
    “Denkt Ihr etwa, meine tuen nicht weh? Murre ich etwa deswegen rum?”
    Sein Blick wanderte durch die Runde, zu den beiden Soldaten und dann zu Jaris, der auch nicht gerade besonders fit aussah. Schnaufend fragte er weiter: “Wer von euch braucht Feuer?”
    Keine antwortete ihm.
    “Wer von euch braucht Feuer? Niemand?”
    Scheint nicht so, mein Herr”, meinte einer der Soldaten und stützte sich etwas auf seinem Schwert ab.
    “Nun denn! Dann braucht auch niemand Holz holen.”
    “Aber ist denn Feuer nicht trotzdem was Schönes?”, fragte Theical fordernd. “Auch wenn ich in Euren Augen vielleicht nur ein dummer, kleiner Tunichtgut bin, weiß ich sehr wohl, dass Wärme dem Gemüt gut tut.”
    Skeptisch schaute Aras zu ihm hinab. “Also wollt Ihr doch Feuer, oder was?”
    “Wenn ich wüsste, dass ich es dann nur für mich, Thyra und Jaris hätte, würde ich es tun.”
    “Wie meint Ihr?”, fragte Zacharas genauer nach und schaute zu Jaris rüber. “Versteht Ihr die Logik dahinter, Jaris?”
    “Was, ich?” Er fühlte sich sichtlich überrumpelt. Dementsprechend stammelte er sich auch nur grob was zurecht. “Also er meint damit...dass Ihr, meine Durchlauchtheit, ein Lagerfeuer wäre gerade gut genug für Euch und Eure Mannen...Oder irgendwie so, denke ich...meinte Theic es...”
    “Ich weiß sehr wohl, wie Theical es meinte!”, stieß Aras sofort lautstark heraus. “Sagt doch einfach, dass er mich nicht leiden kann, Jaris! Das kränkt mich überhaupt nicht, weil es mir um ehrlich zu sein völlig egal ist. Und ich brauche definitiv kein Lagerfeuer, um mich wohl zu fühlen.”
    “Aber Thyra wolltet Ihr Holz holen lassen, oder was?”, murrte Theic ihm argwöhnisch entgegen. “Auch wenn in Euren Augen Frauen nichts wert sind, ist sie für die Menschheit auf jeden Fall bedeutsamer, als Ihr es jemals sein werdet.”
    Da lachte der Lord, spöttisch und frech. “Ein echt guter Witz, mein Kleiner. Beinahe hätte ich es wirklich in Erwägung gezogen, diesem Glauben zu schenken. Aber trotzdem ist es nicht von Belange für mich. Pfeil und Bogen mögen vielleicht gut genug sein, um einen Hirsch zu erlegen, oder einen Menschen zu töten. Aber es gibt Dinge auf der Welt, bei denen solcherlei Waffen keine Wirkung haben. Der Verstand ist das, was am meisten zählt. Fragt Jaris, er weiß, wovon ich spreche.”
    “Was, ich?”
    “Natürlich du, wer heißt denn hier sonst noch Jaris?”
    “Aber ich weiß überhaupt gar nichts über Euer Vorhaben...”
    “Aber, mein lieber Jaris”, fing Aras an, dabei fast schon wieder innerlich verzweifelnd, “Ihr wisst, dass Ihr mich nicht besiegen könnt, bevor Ihr Euch selbst nicht besiegen könnt!”
    “Na, wenn Ihr das meint...”, kam nur halbherzig zurück.

    Peinliches Schweigen brach aus, jeder wandte sich von dem anderen ab und schaute dumm in der Gegend rum. Die Pferde brausten und schnauften erschöpft, sehnten sich nach Ruhe und scharrten ungeduldig mit den Hufen.
    “Na gut, dann will ich mal nicht so sein”, sagte Zacharas genervt von sich selbst und wandte sich den Soldaten zu. “Geht ihr mal etwas Holz für den kleinen Eiszapfen holen. Ich finde inzwischen eine andere Beschäftigung für die beiden.”
    Und ohne Murren und Zetern gingen die Soldaten los, mit Axt und Säge, das freie Pferd als Lastentier missbrauchend. Theic wirkte wieder mal sehr beleidigt, zügelte sich aber noch. Denn schließlich schien der Lord sich nun doch erbarmt zu haben, zumindest nicht seine Gäste mit solcherlei Arbeit belasten zu wollen.
    Kaum waren die Soldaten außer Sichtweite, nahm sich der Lord ihnen beiden an und führte sie ein Stück ins dichte Gras, am Wegesrand.
    “Setzte euch ruhig, es könnte länger dauern.”
    Skeptisch schauten sie sich gegenseitig an, kamen dann aber doch seinen sehr ungewöhnlichen Angebot nach. Erschrocken zuckte Theic zurück, als Aras gerade in einer seiner Robentaschen griff und die sechs Pergamente hervor nahm. Doch schnell realisierten beide, dass Aras nichts Schlimmes im Schilde führte. Jeder bekam Eines davon. Wie zu erwarten, starrten die unwissenden Begleiter völlig verwirrt auf diese Schriftstücke. Runzelfalten und lange Schnuten waren da noch die geläufigsten Gesichtszüge, bei ihnen.

    “Das hier ist, wie ich es bereits festgestellt habe, eine Wegebeschreibung und ein Grundriss der Katakomben.”
    “Und was wollt Ihr nun von uns, wenn Ihr bereits alles darüber wisst?”, fragte Theical nach, wenn auch nur halbinteressiert.
    Aras legte die übrigen drei Pergamente in die Mitte und drehte sie so hin, dass die Kartenstücke eine eigene Karte darstellen. “Wie ihr beiden seht, seht ihr hier einen Grundriss der Katakomben. Und am Rand der Schriftstücke befindet sich der Text, der reihum gelesen wird.”
    “Ja und? Ich verstehe trotzdem nicht, was Euer Problem nun ist.” Und der kleine Kerl starrte wirklich vehement auf die Schriftstücke.
    Aras legte Seines dazu und richtete nun diese Vier neu aus. Wieder entstand eine Karte, wie auch ein neuer Text. “Wie Ihr nun seht, ist wieder eine Karte zu sehen, die an sich stimmig wirkt.”
    Dann tauschte er zwei gegenüberliegende Pergamente aus und wieder entstand ein Bild, welches ebenso für einen Laien stimmig zu sein schien.
    “Ich kann es drehen und wenden, wie ich will. Es ist immer stimmig und plausibel.”
    “Ist doch schön für Euch...”, murrte Theic genervt und spielte anscheinend viel lieber mit seinen Fingern im Dreck. Jaris dagegen wirkte sehr interessiert. Ob nun wegen Aras´ Sache, oder dem Inhalt der Schriftstücke, welcher, für ihn bekannt, das Wort Irishmir enthielt. Gespannt versuchte er, den Gedanken des Lords zu folgen. Auch wenn dieser sich sehr konfus und wahnwitzig ausdrückte.

    “Wenn ich nun Eures erhaltendes Schriftstück nehme, Jaris, habe ich wieder mehr Möglichkeiten.” Aras nahm es ihm wieder ab und fügte es zu den anderen hinzu. “Ich komme einfach nicht auf die Lösung des Rätsels.”

    “Vielleicht solltet Ihr uns erstmal erklären, was dort steht, bevor Ihr uns hiermit beschäftigen tut”, meinte Jaris leicht genervt und wollte sich fast schon erheben, weil es ihm langsam doch zu wider wurde. Aras lenkte sofort ein und machte eine Handgeste, Jaris damit zum Sitzen bleiben überredend.
    “Ich sehe keinen Grund, euch den Text zu übersetzen, da er für die Karte meines Erachtens nicht relevant ist. Was der Text besagt, ist eine Sache, zu der wir später noch kommen werden, wenn die Zeit dafür reif ist. Es geht mir in erster Linie darum, ob wir, anhand der sechs Zeichen an den Rändern, die richtige Legefolge herausfinden können. Natürlich würde ich auch irgendwann auf die Lösung kommen, aber meine Lebenszeit ist ebenso begrenzt wie eure.”

    “Und was ist mit Thyra?”, fragte Theic nach, der anscheinend wieder geistig zur Runde gefunden hatte.
    “Sie wollte ja unbedingt jagen gehen. Wäre sie noch einen Moment geblieben, hätte ich ihr es auch erzählt, was ich nun euch beiden erzählt habe.”
    “Also ich”, unterbrach Jaris Aras, “werde Euch nicht helfen, solange sie noch fort ist.”
    “Das sehe ich genau so!”, hallte es von Theic entgegen.

  • Reglos starrte Jaris in die tiefschwarze Nacht.Der Himmel war wolkenverhangen, so dass nicht einmal die Gestirne etwas Licht spenden konnten. Die einzigen Geräusche, die er hörte, waren die seiner schlafenden Reisegefährten und das Rascheln des Windes in den Blättern. Nur vereinzelt konnte man einen Tierlaut vernehmen und wenn dann von sehr weit her. Er war überzeugt, dass wirklich nichts in diesem Wald ihnen gefährlich werden würde. Dennoch hatte Jaris darauf bestanden Wache zuhalten. Zum einen, weil er es so gewohnt war, und zum anderem, weil er dann endlich in Ruhe seine Gedanken sortieren konnte, ohne dass ihn irgendein dahingelaufener Herzog das Leben schwer machte. Sie hatten zu viert stundenlang über diesen Karten gegrübelt, die trotz allem genauso wenig Sinn ergaben wie zu Anfang. Selbst Theic hatte schließlich die Neugierde gepackt, auch wenn er mehrmals klar gemacht hatte, wie wenig ihn ihr Abenteuer, wenn man es denn so nennen konnte, im Allgemeinen interessierte. Nicht das Jaris ihm dies vorhalten würde. Von einer freiwilligen Teilnahme seinerseits konnte ja wohl kaum die Rede sein. Er selbst hätte wahrscheinlich längst das Geld des Herzogs vergessen und sich bei erstmöglicher Gelegenheit abgesetzt, wenn da nicht dieses Wort gewesen wäre, was - soviel hatte er wenigstens feststellen können - nicht nur auf einem der Pergamente sondern auf allen sechs zu finden war. Was könnte das bloß... Ein leises Surren unterbrach seine trägen Gedanken und er warf sich zu Boden. Ein paar Meter entfernt ertönte sogleich ein dumpfes "Plock". Jaris hob den Kopf. Ein Pfeil zitterte in der Baumrinde einer großen Eiche vor ihm. Sofort sprang er auf und drehte sich um. "Aufwachen", brüllte er. Doch nur einer der Soldaten hatte ihn gehört. Er stützte sich auf seiner Liege auf und fiel sofort wieder zurück. Ein zweiter Pfeil ragte aus seiner Kehle. Mit einem Fluchen konzentrierte sich Jaris und schuf ein kleines Schild aus verdichteter Luft, als ein weiteres potentiell tödliches Geschoss auf ihn zukam. Es prallte mit dem Geräusch von splitterndem Holz ab und fiel auf den Waldboden. "Aufstehen habe ich gesagt", wiederholte er sich und nun regten sich auch die anderen endlich. Verwirrt beäugten sie die Szene bis sich ihre Augen vor Entsetzen weiteten. Ein weiterer Pfeil prallte an eiserner Luft ab. Jaris spürte wie die Magie an seinen Kräften zehrte. Lange würde er sie nicht mehr verteidigen können. "Beeilung", rief er, "Wir müssen hier weg." Wie aufs Stichwort erklang vom Rande der Lichtung lautes Gebrüll als sich die ersten Angreifer aus den Schatten lösten. "Tötet diese Angreifer", befahl Zacharas schläfrig niemandem bestimmten, doch der verbleibende Soldat fühlte sich wohl angesprochen. Er griff sein Schwert, versuchte seinen vermeintlich noch schlafenden Kollegen zu wecken und fuhr entsetzt zurück. Von ihm war wohl weniger Hilfe zu erwarten. Also ließ Jaris das Schild fallen und schoss einen faustgroßen Feuerball auf die Herannahenden. Der verbrannte den - jetzt, da sich beide Seiten auf der Lichtung befanden - hoffentlich letzten Pfeil auf seinem Weg zu Asche und explodierte dann zwischen den Kriegern. Für den Augenblick war die Umgebung ausreichend erleuchtet um unzählige Gegner zu enthüllen, deren Schwerter, Rüstungen und Äxte den Schein reflektierten. "Wir müssen hier weg", wiederholte er diesmal mit Nachdruck. Er packte den lebendigen Soldaten und rüttelte ihn an den Schultern. "Bring die anderen hier weg. Ich komme nach", befahl er ihm, was mit einem hektischem Nicken quittiert wurde. Zacharas bestieg sofort sein Pferd - er hob sogar persönlich den Sattel auf den Rücken des Tieres - und trieb es Richtung Waldrand, doch Theic und Thyra blieben wo sie waren. "Die werden dich umbringen", behauptete Theic, Thyra nickte und beide sahen ihn zweifelnd an. "Wunderbar, wenn die Leute einem vertrauen", dachte er stumm. "Denkt ihr ich lasse mich für so jemanden wie Zacharas umbringen", sagte er laut, "Wir treffen uns an der nächsten Straße nördlich von hier. Wehe ihr reitet ohne mich weiter." Nach einem Moment des Zögerns wandten beide sich schließlich ebenfalls zu ihren Pferden und folgten Zacharas und dem Soldaten. Keinen Augenblick zu früh denn beinahe gleichzeitig erreichten die ersten bewaffneten Männer ihr kleines Lager.

    Zwei kurze Blitze kurz nacheinander flammten in seiner linken Hand auf und schleuderten zwei Männer zurück. Gleichzeitig beschrieb sein Schwert einen Bogen und biss sich in Fleisch. Überall waren Geschrei und Klingen. Jaris stand mit dem Rücken an den Stamm eines Baumes gedrückt. Drei, vier Mann lagen bereits vor ihm auf dem Laub. Der Rest umkreiste ihn. Lauerte. Eine Schneide testete aus, wagte sich in seine Reichweite. Er schlug sie beiseite und machte einen Ausfallschritt. Ein Schmerzensschrei ertönte. Immer wieder wehrte er ab und stach zu. Immer mehr Schmerzensschreie ertönten. Doch es waren zu viele Gegner. Seine Kraft schwand. Für zwei Klingen war er bereits zu langsam gewesen und sie resultierten in zwei Schnitten auf seinem Oberarm und seiner Hüfte. Er wünschte sich er hätte seine Rüstung vorhin anbehalten, als er sich entschieden hatte Wache zu halten. Doch sie steckte in den Satteltaschen verteilt und der Sattel befand sich neben seinem Pferd. Die Wunden waren nicht tief und nicht gefährlich, doch es fühlte sich an als entweiche jegliche Energie, die er noch hatte, durch sie. Langsam, jedoch stetig. "Halt", rief er. Verdutzte Gesichter starrten ihn an. Einer der Kämpfer schien dies für den richtigen Moment zu halten. Er stach mit dem Schwert nach ihm, doch Jaris konnte zu Seite ausweichen und ließ die Klinge sich in das Holz statt in ihn bohren. Bevor der Mann sie wieder herausziehen konnte, rammte er ihm sein Knie in den Bauch und zog ihm mit einem Fuß die Beine weg. "Halt, habe ich gesagt", wiederholte Jaris jetzt, da er sicher sein konnte, dass er alle Aufmerksamkeit hatte, die er wollte, "Wir müssen nicht kämpfen." Es war schwierig zu verhindern schwer zu atmete. Er durfte keine Erschöpfung zeigen. "Ich will mit eurer Anführerin sprechen", verkündete er und seine Stimme verhallte allein in der wieder eingekehrten Stille.

    Er fand die anderen noch bevor er die erste Straße erreichte. Schon von weitem konnte man die Lichter sehen, die - wie man, sobald man nähergekommen war, erkennen konnte - zu einem kleinem Gasthof gehörten. Theic, Thyra, Zacharas und der Soldat standen schweigend vor einem Schild, das an dem Zaun, der das Gelände umgab, hing. Thyra und Theic wirkten erleichtert als sie ihn sahen, aber auch erstaunt. Der Soldat dagegen zog fragend die Augenbraue hoch. Zacharas starrte nur weiter wie gebannt auf das Schild, auf dem unter der mit Kohleschrift geschriebenen Überschrift "Verbrecher und Gesindel" Schriftstücke in verschiedener Größe hingen. Jaris hatte den Herzog noch nie sprachlos gesehen, doch jetzt fixierten seine Augen einzig das Pergament, dass das halbe Brett einnahm. Es war fast schon ein Plakat. Die Fläche dieses Pergaments bestand größtenteils aus Zeichnungen, da die meisten Menschen, die dies betrachten würden, nicht lesen konnten. Auf dem größten dieser Bilder war detailliert und eindeutig Zacharas zu erkennen. Die anderen konnte man mit etwas Fantasie als schlechte Abbildungen von Theic, Thyra und ihm interpretieren. Unter diesen Bildern stand klein und kaum lesbar:
    "Doppelgänger des Herzogs Zacharas van Júmen. Wird in Zusammenhang mit einem fehlgeschlagenen Angriff auf den echten Herzog verdächtigt. Er und seine Begleiter sind gefährlich und sowohl bewaffnet als auch vermutlich in der Lage Magie zu wirken. Zur Ergreifung führende Hinweise werden mit 50000 Goldkronen belohnt."
    Die Zahl war dreimal so groß wie der übrige Text gedruckt. Immerhin waren sie und die Bilder das einzige was die meisten Leute verstehen konnten und interessierte. Jaris schwang sich vom Sattel seines Hengstes und verzog das Gesicht als er auf dem Boden aufkam. Die Schnitte meldeten sich zurück. Sie brannten mittlerweile wie Feuer und schickten bei jeder Bewegung stechenden Schmerz durch seinen Körper. Er würde sich bald um sie kümmern müssen, wenn er nicht wollte, dass sie sich entzündeten. Vorerst begnügte er sich jedoch damit seinen Gesichtsausdruck wieder zu glätten, bevor die anderen etwas bemerkten. Falls sie das nicht schon längst getan hatten. Andererseits sprach, das Blut, dass seine Gewänder an den entsprechenden Stellen verfärbt hatte, vermutlich sowieso eine eigene Sprache. "Scheint mir, als ob ihr euch verkleiden müsstet eure Durchlauchtheit", sagte Jaris und legte soviel Verachtung und Ironie wie immer in das letzte Wort. Diesmal schwang jedoch auch etwas Schadenfreude mit. Das musste er zugeben.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Theic betrachtete erst Zacharas mit zweifelndem Blick. Dieser schien über Jaris‘ Vorschlag nicht sehr erbaut, wägte wohl aber dennoch diese und andere Möglichkeiten ab.
    Abschätzig sah Theic zu Jaris. Wie hatte es dieser geschafft, gegen ihre Verfolger anzukommen? Sicher, Jaris wirkte stark, aber für einen allein, waren es eindeutig zu viele Angreifer gewesen. Aber trotz dessen war das Einzige, das Jaris davon getragen hatte, jeweils eine Wunde an Arm und Hüfte. Gut möglich, dass er am Ende geflüchtet und den Verfolgern entkommen war. Viele andere Möglichkeiten gab es zumindest nicht. Allerdings stellte sich die Frage, woher er in diesem Fall die Zeit gehabt hatte, seinen Rappen zu satteln. So ganz konnte diese Theorie also nicht aufgehen.
    Theic schüttelte den Kopf. Im Moment gab es andere Sachen, über die sie sich Gedanken machen sollten. Dazu gehörten die Plakate mit den Doppelgängern. Woher kamen sie und wer hatte die Dinger vor dem Gasthaus aufgehängt? Und was sollte das für ein Angriff auf den Herzog sein, von dem die Rede war? Und warum hing ebenso eine missglückte Zeichnung von Thyra und ihm an der Wand. Sie hatten mit der ganzen Sache doch wohl am wenigsten zu tun.
    „Verkleiden? Womit denn?“, fragte Zacharas garstig. Es war ihm anzusehen, dass ihm die Situation überhaupt nicht gefiel und zum ersten Mal konnte Theic so etwas wie Verwirrung in seinem Blick erkennen. Unangebrachterweise gönnte er dem Herzog diese auch.
    Allerdings hatte Aras mit seiner Aussage auch eben das angesprochen, was schon jedem anderen in den Sinn hätte kommen müssen. Keiner hatte etwas in seinem Reisegepäck, das sich als Verkleidung geeignet hätte. Schließlich hatte niemand mit einer solchen Situation gerechnet.
    „Wir könnten auch einfach weiter reiten“, meinte Thyra nach einigem Überlegen. Nachdenklich blickte sie auf die Tür zur Gaststätte. Auch Theic hielt es für keine gute Idee nach dieser Nachricht in das Gasthaus zu rennen. Wer wusste schon, ob nicht irgendwer dort drin saß und sie erkennen würde. Die Chance war schon relativ groß, die Plakate hingen schließlich direkt davor.
    „Mich würde aber schon interessieren, wer die Dinger hier aufgehängt hat. Vielleicht weiß dort drin jemand etwas. Wir sollten nachsehen.“ Zacharas zog sich kurzerhand seine Kapuze über den Kopf und marschierte an der kleinen Truppe vorbei. Durchaus logisch. Das Gesicht zu verstecken sollte bereits reichen, um den Großteil der Menschen zu täuschen, die nicht lesen konnten. Auf den Plakaten waren lediglich die Gesichter abgebildet, keine Kleidung. Aber ob es eine gute Idee war, die Leute direkt darauf an zu sprechen?
    „Was ist mit dem Wappen auf Eurem Mantel?“, fragte Thyra und deutete dabei auf Zacharas Umhang. „Wenn die Leute sie erkennen, dann werden sie vermuten, Ihr wärt der Doppelgänger. Das bekommen wir niemals erklärt.“
    Für Jaris war das Problem schnell gelöst. Aus seinen Satteltaschen holte er einen weiteren Mantel und warf ihn Aras über die Schultern. Danach zog er sich selbst auch die Kapuze weit ins Gesicht. Zu ihrem unverschämten Glück, begann es leicht zu regnen, weshalb es auch nicht komisch erscheinen würde, wenn sie mit verdecktem Gesicht in dem Gasthaus auftauchen würden.
    „Bleibt zu hoffen, dass niemand der Anwesenden im Gasthaus die Beschreibung auf dem Plakat lesen kann“, murmelte Theic zu Thyra, bevor auch er sich die Kapuze überzog und dem Herzog folgte.
    Der Soldat wurde währenddessen beauftragt, auf die Pferde aufzupassen.

    Zwar wurde der Trupp für einen Moment seltsam beäugt, als sie in den Wirtsraum traten, aber gleich darauf galt die allgemeine Aufmerksamkeit wieder Trank und Spiel.
    Zacharas steuerte einen freien Tisch im hinteren Teil des düsteren Zimmers an und ließ sich auf einem der Stühle sinken. Jaris ließ sich neben ihm nieder und auch Thyra und Theic machten es sich mehr oder weniger an dem runden Tisch gemütlich.
    Um den heran sprintenden Wirt zu besänftigen, bestellten sie sich alle Vier einen Humpen. Geduldig warteten sie noch, bis man ihnen ihre Bestellung gebracht hatte. Niemand wollte eine Störung ihres Gesprächs, oder dass jemand Fremdes zuhörte. Bisher war keiner auf sie aufmerksam geworden und so sollte es auch bleiben. Sie konnten wirklich froh sein, dass der Zeichner kein besonders begabter Mann seines Faches gewesen war, sonst sähe die Lage sicher nicht so entspannt aus.
    „So, kann mir jetzt mal einer sagen, um welchen Anschlag es überhaupt geht?“, fragte Thyra in die Runde.
    „Es gab keinen Anschlag!“, meinte Aras harsch.
    „Aber wer denkt sich so etwas dann aus?“, überlegte Jaris.
    „Wahrscheinlich der Gleiche, der die Doppelgänger erfunden hat!“ Aras sah in seinen Krug, den er bisher nicht angefasst hatte und den er wohl auch nicht mehr anfassen würde. „Zumindest weiß ich von keinem Doppelgänger und so etwas wäre mir sicher zu Ohren gekommen.“
    Theic lehnte sich zurück. Was sollte er glauben? Er sah keinen Nutzen darin, sich das mit dem Angriff auszudenken, oder gar einen Doppelgänger zu erfinden. Welchen Zweck konnte man damit auch erfüllen? Wollte man sie vielleicht aufhalten? Die Plakate sahen schließlich ziemlich neu aus. Demnach konnte es sein, dass sie erst vor Kurzem aufgehängt wurden. Vielleicht sogar zu Beginn ihrer Reise. Sehr schnell waren sie immerhin nicht voran gekommen, es war also möglich, dass man sie überholt hatte.
    „Es scheint fast, als will man unsere Reise aufhalten“, sprach Aras das aus, was Theic sich ebenfalls zusammengesponnen hatte. Aber war das wirklich möglich? Wer könnte seinen Vorteil daraus ziehen, wenn die Leute den echten Zacharas für einen Doppelgänger hielten, obwohl es eigentlich gar keinen gab? Oder gab es doch einen? Vielleicht war der Zacharas, der vor ihnen saß, und den sie alle für den echten hielten, der falsche. Wobei die Möglichkeit dafür eine glatte Null betrug. Schließlich hatte er den Herzog seit der Abreise in Ymilburg nicht aus den Augen gelassen. Die Sache war einfach nur komplett wirr und unverständlich. Ihm konnte keiner erzählen, dass jemand hindurchblickte.

  • Thyra fühlte sich mehr als unwohl in der kleinen Taverne, in deren unmittelbarer Nähe ihr Gesicht mit Kopfgeld abgebildet war.
    Auch wenn das Bild draußen von wirklich schlechter Qualität gewesen war fühlte sie sich mit dem Eintreten in das Gasthaus beobachtet.
    Sie hatte zwar ihre Kapuze übergezogen, aber mal ehrlich, ein Wolfsschädel auf dem Kopf war wirklich alles andere als unauffällig.
    Als sie sich einen Weg zum Tisch bahnten, mied die Blicke der anderen Gäste und setzte sich an das dunkelste Ende des Tisches.
    Beim Wirt, der es sehr eilig hatte ihnen etwas anzudrehen, bestellten sie vier Bier. Es war billig und schal. Angewidert verzog sie das Gesicht und stellte den Humpen zurück auf den Tisch.
    „Es scheint fast, als will man unsere Reise aufhalten“, sagte Aras gerade.
    Was du nicht sagst, dachte Thyra und starrte ratlos in die Runde. Die Männer philosophierten nun darüber, wieso jemand so etwas tun sollte, was Thyras Aufmerksamkeit schnell abebben ließ. Es waren ohnehin nur nutzlose Spekulationen. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl nach hinten und verschränkte die Arme unter der Brust.
    „Das Kopfgeld kann man sich gefallen lassen!“, drang es nun von hinten an ihre Ohren. Augenblicklich spitzte sie die Ohren und drehte unauffällig leicht den Kopf, um die Stimme hinter ihr einer Person zuordnen zu können. Sie gehörte einen bärtigen, grobschlächtigen Mann, der in ungepflegten Klamotten durch die Gegend lief. Sein gegenüber sah abgemagert und abgerissen aus. Er nickte eifrig bei den Worten des Bärtigen, was dieser als Anlass nahm fortzufahren.
    „Sie können auf jeden Fall noch nicht weit sein. Man hat sie erst vor zwei Tagen am Stadttor gesichtet, als sie die Stadt verließen. Es kann unmöglich der echte Herzog gewesen sein.“
    Wie immer überlegte Thyra nicht lange, und drehte sich vollends zu den Männern um. „Was macht euch da so sicher?“, fragte sie munter.
    „Was willst du Schnepfe denn?“, fuhr der Mann sie an, während der Magere sie abwertend betrachtete.
    Thyra zuckte zusammen, dennoch fiel ihr geistesgegenwärtig eine Lüge ein: „Wir sind fahrende Musikanten und auf der Suche nach einem Lied.“
    „Aha“, machte der Bärtige misstrauisch. „Wo sind eure Instrumente?“
    „Draußen bei den Pferden. Wir wollen nicht spielen, sondern Stoff für unser Lied bekommen. Wir haben draußen die Plakate gesehen und dachten hier könnten sich Informationen verstecken.“
    „Mhm“, brummte der Mann und versuchte einen Blick unter ihre Kapuze zu werfen, es schien ihm nicht recht zu gelingen. Thyra hielt den Atem an. „Na denn, fahrenden Musikanten kann man keinen Wunsch abschlagen. Was willst du wissen?“
    Unmerklich entspannte Thyra sich wieder und gestattete sich ein Lächeln. „Was ist passiert? Was hat es mit den Doppelgängern auf sich?“
    Der Mann zog eine Augenbraue nach oben. „Das habt ihr als fahrende Musikanten nicht mitbekommen? Naja, ist ja auch noch nicht so lange her. Vor zwei Tagen ist der Herzog von Yilmburg aus der Stadt ausgezogen. Er hatte drei Gefährten bei sich. Kaum hatten sie die Stadt verlassen setzte man ein Kopfgeld auf sie alle aus. Angeblich hätten sie versucht einen Anschlag auf den herzog zu verüben. Es handelt sich um Doppelgänger, die Zacharas aus dem Weg haben wollten. Laut seines treuen Diener Paulus habe es den Herzog schwer erwischt. Sein Leibwächter sei dabei ums Leben gekommen, aber der Herzog selbst habe überlebt und liege nun schwer verwundet im Bett. Deswegen ließ Paulus ein Kopfgeld auf die Doppelgänger und seine Gefährten ausschreiben.“
    „Das klingt nach Stoff aus dem gute Lieder gemacht sind“, antwortete Thyra gelassen, doch innerlich überschlugen sich ihre Gedanken: Paulus? War das nicht der schleimige Schoßhund von Aras?
    „Vielen Dank für die Informationen“, bedankte sie sich noch artig, ehe sie sich wieder zu Theic und den anderen umdrehten. Sie hatten von ihrem Plausch mit dem Mann hinter ihr nichts bekommen und waren immer noch munter am Diskutieren, wer oder was oder warum jemand so etwas tun sollte.
    „Wer sollte mich von meiner Reise abhalten wollen?“, platze es nun aus dem wütenden Aras heraus. Jaris warf seinem Herrn einen entsetzten Blick zu und Thyra konnte sehen, wie er es sogar wagte ihn unter dem Tisch zu treten, aber es war bereits zu spät. Die Männer hinter Thyra hatten mitbekommen, was er gesagt hätte.
    Lauernd wandte der Bärtige sich wieder zu Thyra. „Fahrende Musikanten also?“
    Sofort spürte sie einen Arm, der sich um ihren Hals legte und ihr die Luft abschnürte.
    „Thyra!“, entfuhr es Theic.
    „Lauft!“, brüllte Aras, was die Aufmerksamkeit der ganzen Schenke auf sie lenkte.
    Jaris warf seinem Herrn einen resignierten Blick zu, der sagte: Wie kann ein Herzog mit diesem Ruf so unglaublich weltfremd sein?
    Dies geschah alles innert einer Sekunde und ehe Jaris Thyra zu Hilfe kam, hatte sich ihre Hand schon um das Jagdmesser an ihrem Gürtel geschlossen. Sie riss es aus ihrer Scheide und rammte es dem Mann hinter ihr in den Oberschenkel. Er jaulte geqäult auf und mit einem Ruck befreite Thyra sich und das Messer. Sie packte Theic am Arm stürmte Aras hinterher, der an der Tür auf sie wartete. Sämtliche Männer der Taverne waren ihnen auf den Fersen, doch kaum waren sie durch die Tür gestolpertbegann Aras mit Feuerbällen um sich zu werfen, was die Menge schreiend zurück taumeln ließ. Auch Jaris schien sein Werk getan zu haben, denn er stürzte kurz nach ihnen und blutverschmiert aus der Taverne.
    „Die Pferde!“, brüllte er dem Soldaten zu, doch es war unnötig ihn darauf hinzuweisen. Sobald Lärm in der Absteige ausgebrochen war, hatte er die Pferde bereitgestellt.
    Thyra wollte sich in den Sattel hieven, doch sie rutsche ab und kam wieder am Boden auf, dabei knickte sie mit dem Fuß um.
    „Scheiße!“, fluchte sie und spürte, wie er binnen Sekunden dick wurde. Starke Hände packten sie von hinten, sie schrie erschrocken auf, wollte sich wehren, doch als sie einen Augenblick später im Sattel saß erkannte sie, dass es Jaris gewesen war. Schon saß er im Sattel seines Rappen und sie trieben ihre Pferde mit lautem Gebrüll und erbarmungslosem Fersendruck an.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Geschwind wie der Wind ritten sie davon, ohne auch nur einen kurzen Blick nach hinten zu riskieren. Sie hörten in der Ferne die aufgebrachte Meute ständig Aras´Namen rufen, mit lautem Fluchen und Morddrohungen untermalt.
    Normalerweise wäre der Lord nun sofort umgekehrt und hätte diesem Gesindel Manieren beigebracht. Doch ihm packte ein Gedanke, der es vehement verhinderte. Aras hatte eine dumpfe Vorahnung, dass jemand aus dieser Runde etwas damit zu tun haben musste. Doch nun war nicht die Zeit, diesem Gedanken nachzukommen. Er hätte unweigerlich alle vier töten müssen, um ganz sicher zu gehen. Doch sie waren ihm zu wichtig für sein Vorhaben. Und konnte es überhaupt einer von ihnen gewesen sein?

    Sie ritten immer weiter die Straße entlang, wohl wissend, dass sie schon längst in Sicherheit waren. Aber Aras stoppte nicht und gab auch keinen Befehl dazu. Doch gerade er sehnte sich bestimmt am meisten nach einer Rast, um von seinem Ross herunterzusteigen und die Reise zu Fuß fortzusetzen.
    Theical wurde langsamer und driftete immer mehr von der Gruppe ab. Anscheinend hatte er sogar noch mehr Probleme wie der Lord mit dem Pferd, das ihm deutlich zu groß geraten war. Aras deutete Jaris an, ihm zu helfen und dessen Pferd etwas anzutreiben.
    Ohne Widerwillen tat er das und verschwand im weiteren Galopp hinter den dreien.
    “Für diese halbstarke Runzelkartoffel macht er aber auch alles”, dachte sich Zacharas sofort in dem Moment und schüttelte leicht den Kopf.

    Nach einer Weile erblickte der Lord eine Gabelung, welche eine günstige Position für eine Rast darstellte. Also wandte er sich seinem Gefolge zu, welches anscheinend sehr beschäftigt damit war, ihn tapfer zu ignorieren.
    “Wir machen hier jetzt erstmal Pause”, sagte Zacharas und drosselte langsam die Geschwindigkeit seines getreuen Reittiers, bis sie kurz vor einer Gabelung zum Stehen kamen. Leicht unbeholfen stieg er ab und führte sein Pferd zum Straßenrand ins höhere Gras. Die anderen kamen dem kurz darauf nach und begaben sich ebenso an den Straßenrand. Der Soldat, der schon die ganze Zeit über sehr misstrauisch gegenüber den drei Begleitern gewesen zu sein schien, fing nun eigenständig offensiv ein Gespräch an.
    “Was ist dort drinnen passiert? Wer von euch hat den Lord verraten?” Sofort zückte er sein Schwert und richtete es auf Theical, der doch glatt zu Boden fiel und sich ängstlich die Hände vor die Brust hiel.
    “Ich habe nichts gemacht...”
    “Doch, Ihr wart es, der den Lord verraten hat! Ihr und Euer Weibsstück habt ihn ans Messer liefern wollen!”
    Sofort stellte sich Thyra schützend vor Theical und zückte einen Pfeil, den sie langsam am Bogen positionierte. Der Soldat zögerte nicht lange und stürmte sofort auf sie beide zu. Plötzlich wurde er zur Seite hinweggeschleudert, gefolgt von einem lauten Aufschrei aus Zacharas Richtung: “Schweigt!”
    Der Lord stampfte mit ausgestrecktem Arm und gezückten Zauberstab langsam zu ihnen rüber und zielte vehement auf den Soldaten, der leicht paralysiert auf der steinigen, harten Straße lag.
    “Niemand tötet hier irgend jemanden ohne handfeste Beweise! Und Ihr schon gar nicht!”
    Jaris und Thyra standen wie angewurzelt da und blickten äußerst erstaunt drein. Theic wirkte sehr eingeschüchtert und lag brach da, gleich einem Kater beim Sonnenbaden.
    “Wir beruhigen uns nun alle wieder und überlegen ganz sachlich und fachlich, was genau in diesem Gasthaus passiert ist...”
    “Was soll denn schon passiert sein?”, fragte der Soldat, der sich langsam wieder vom Schock erholte. “Ich sah euch alle panisch hinausrennen und das genügte mir als Grund...”
    “Als Grund für was? Einen Wehrlosen zu töten, ganz feige und jämmerlich?” Er schaute zu Jaris rüber, der immer noch ganz verunsichert mit halbgezücktem Schwert dastand. “Helft ihm auf und bringt ihn an meine Seite!”
    Gesagt, getan. Jaris ging zum Soldaten und half ihm unter ständiger Beobachtung des Lords auf die Beine. Keiner von beiden machte irgendwelche Anstalten, da der Zauberstab stets auf sie gerichtet blieb. Und Aras war nicht dafür bekannt, lange zu zögern. Was er wohl eindeutig soeben präsentiert hatte.
    Beide stellten sich neben ihn und warteten gespannt auf weitere Instruktionen. Das, für den Lord immer noch als Liebespaar darstellende, Duo wich währenddessen immer weiter ins hohe Gras, der kleine Kerl dabei leicht seine Hände um ihre Hüfte gelegt.

    “Senke deinen Bogen, Thyra. Ich bin nicht dein Feind und ich will dir nichts unterstellen. Noch nicht...”
    “Dann haltet Ihr eure Mannen im Zaum, werter Lord...”
    “Und mich lasst Ihr auch in Frieden”, grummelte Theical ängstlich und verkroch sich immer mehr hinter seiner vermeintlichen Beschützerin.

    “Ich will das klären. Ich will wissen, was wir jetzt weiter tun sollen. Ich weiß nicht, wen ich hier noch trauen kann...”
    “Der Einzige, dem man hier nicht trauen kann, seid Ihr”, riefen sie beide.
    Aras gefiel das überhaupt nicht, aber er ignorierte es mal ganz tapfer. Denn er selbst wusste ja wohl am besten, wer er war. Und von den allen hier, war er wohl der Stärkste und Gerissenste. Dies hatte er ja schon eindeutig genug bewiesen.

    “Gerade ihr beiden solltet eure Zungen zügeln. Ihr habt mit Abstand den meisten Grund, mir schaden zu wollen...”
    “Das ist eine Lüge. Und außerdem würden wir uns dann wohl kaum selbst mit auf die Fahndungsliste setzen...”
    “Gerade deswegen, damit ihr nicht in den Verdacht geratet. Ihr könnt es drehen und wenden, wie ihr wollt.”
    Jaris ergriff sofort das Wort: “Wir sollten wirklich nichts überstürzen. Keiner von uns hatte damit gerechnet. Also warum uns gegenseitig verdächtigen? Entweder wir alle sind es, oder eben keiner. Und ich weiß ganz genau, dass dieser Lord hier der Wahre ist.”
    Skeptisch schaute Aras ihn an. “Ist dem wirklich so, Jaris? Wie kommt Ihr nur darauf? Und sagt mir mal eines...” Langsam nahm er Abstand von ihm. “Wie konntet Ihr eigentlich diesen hinterhältigen Angriff so unbeschadet überstehen? Es scheint mir ganz so, als wäret Ihr hier der Verräter...”
    Sofort richtete er seinen Zauberstab auf ihn. “Antwortet mir. Sofort!”

  • Einen Moment lang war Jaris sprachlos, dann brach er in Lachen aus. In lautes schallendes Lachen, das ihm Tränen in die Augen trieb. Als er sich wierder einigermaßen beruhigt und sich die Tränen aus den Augen geblinzelt hatte, sah er, das die anderen ihn anstarrten als habe er den Verstand verloren. Sogar Zacharas gaffte sprachlos mit offenem Mund. "Jetzt?", fragte er laut und versuchte nicht schon wieder laut los zu gackern, "Jetzt misstraut ihr mir." Er erwiderte die Blicke die auf ihm lagen. "Ich hatte schon so oft Gelegenheit euch zu hintergehen oder einfach nur zu töten", führte er aus, "Ihr habt sie mir hingeschmissen. Glaubt ihr ich hätte all das hier auf mich genommen, nur um euch dann hier zu hintergehen. Welchen Vorteil brächte es mir schon." Es dauerte einen Moment bis Zacharas seine Sprache wiedergefunden hatte. "Was weiß ich", antwortete er, "Aus Rache. Vielleicht plant ihr etwas und braucht dafür weiterhin mein Vertrauen." "Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich euch nicht mag. Aber ich bin Söldner und kein Intrigant. Außerdem habe ich, so sehr ich eure Anstrengungen auch würdige, schon für schlimmere Herren meinen Dienst getan. Ihr bezahlt und ich tue was ihr sagt. Nicht mehr und nicht weniger." Zacharas legte die Stirn in Falten und sah ihn zweifelnd an. Dann entspannten sich seine Gesichtszüge und ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Natürlich", antwortete der Herzog schließlich, "Du bist nur ein Söldner, der zufällig in meine Dienste geraten ist. Wie passend. Der tumbe Befehlsempfänger. Ein Bild, dass euch natürlich sehr zugute kommt. Wer misstraut schon einem schlichtem Söldner. Die Berufsehre ist schließlich alles. Ich weiß gar nichts über eure Vorgeschichte. Wer sagt mir, dass ihr der seit, für den ihr euch ausgibt." "Niemand", gab Jaris zu, "Also bin ich entweder der, der sich euch gezeigt hat, oder ein Schauspieler. Das ändert aber nichts daran, dass ihr mich braucht. Zumindest ab dem heutigem Tage. Die Alternative ist: Ich töte euren Soldaten", der Mann neben ihm rückte von ihm weg und griff nach seinem Schwert, "Und greife danach euch an oder fliehe. Vielleicht überlebe ich, vielleicht auch nicht und vielleicht sterbt auch ihr. Theic und Thyra halten bestimmt nicht zu euch. Ihr habt in Ymilburg nichts mehr zu sagen und somit auch keinen Zugriff mehr auf Theics Großeltern als Druckmittel. Im schlimmsten Fall seit ihr tot und im besten steht ihr alleine da, mitten im Nirgendwo, ohne jeden Verbündeten. Ihr könntet mich natürlich auch zu töten versuchen bevor ich euren Soldaten erwische, obwohl ich an eurer Stelle nicht auf Erfolg wetten würde, doch wer sagt euch schon, dass der dann zu euch hält. Jetzt wo ihr keine Macht mehr habt" In diesem Moment zog er eines seiner beiden Messer mit der linken und mit der Rechten sein Schwert. Bevor die anderen reagieren konnten, zerschnitt er den Schwertgurt des Soldaten und hielt die Klinge des Schwertes an die Kehle des Herzogs. Das Diamor glänzte schwarz im Mondlicht. Die tödlich scharfe Schneide war nur ein haarbreit von der Kehle entfernt. Nur der Hauch einer Bewegung, ein Zittern und sie würde die Haut zerschneiden. Der Herzog konnte ihn sicherlich immer noch umbringen, doch dafür würde Jaris ihn mitnehmen. Er versuchte seine Atmung und seine Gesichtszüge zu kontrollieren um seine eigene Angst nicht zu zeigen. Das hier könnte immer noch mit seinem Tod enden. Zacharas riss dagegen die Augen auf, zeigte aber ansonsten, dass musste Jaris ihm zugestehen, kein Zeichen der Verängstigung. Theic starrte Jaris bewegungslos an und zeigte nicht, was er dachte, und Thyra ließ ihren Blick zwischen dem Herzog und seinem Leibwächter hin und her wandern, als überlege sie sich gerade, wen sie mit dem Pfeil durchbohren sollte, der noch immer auf der Sehne ihres Bogens lag. "Ihr seit auf mich angewiesen, genau wie auf die anderen. das heißt ihr behandelt mich, Thyra und Theic ab jetzt mit Respekt, unabhängig unsrer vermeintlichen niedren Stellung, der Stärke oder dem Geschlecht. Euren Soldaten könnt ihr halten wie einen Schoßhund, doch wir sind euch ab heute Gleichgestellt. Dafür werde ich mit euch den Auftrag zu ende führen und euch danach helfen eure Macht zurück zu erlangen, sofern ihr an eurem Charakter arbeitet. Ich kann nicht für die anderen sprechen, aber ich bin mir sicher sie werden es mir gleich tun, sofern ihr sie besser behandelt und sie dafür etwas bekommen und nicht nur aus Zwang handeln sollen. Ihr habt die Wahl. Bedenkt nur was gut für euch ist." Mit diesen Worten nahm er das Schwert weg und drehte sich um. Die Tatsache, dass er weder Feuer noch Stahl in seinem Rücken spürte, interpretierte er als gutes Zeichen, während er sein Schwert und das Messer wegsteckten. Er stieg auf sein Schwert und trieb es an, ohne sich umzusehen, ob jemand ihm folgte. Kurze zeit darauf hörte er jedoch die Geräusche eines Pferdes hinter ihm. "Nun gut", sagte Zacharas, "Aber solltet ihr mich hintergehen, ist unsere Vereinbarung hinfällig und ihr werdet sterben." Jaris antwortete nicht sondern nickte nur und ließ seinen Hengst in einen langsamen Trab wechseln. In den Bäumen um sie herum begannen die ersten Vögel zu zwitschern und Horizont zeigte sich das erste Rot des Morgen. Bald würden sie wieder pausieren. Jaris hatte immerhin noch überhaupt nicht geschlafen, seit sie aufgebrochen waren, und die anderen würden sich über eine Pause bestimmt nicht beklagen. Jaris wusste, dass er trotz seines kleinen Sieges nicht mehr an Vertrauen gewonnen hatte. Zumindest nicht gegenüber Zacharas. "Ich muss mir dringend etwas einfallen lassen, wie ich es zurückerlangen kann", dachte Jaris. Dieses eine Mal hatte er von der Frage seiner Flucht ablenken können, doch die anderen würden bestimmt darauf zurückkommen. Zumindest hatte er etwas Zeit erlangt. Interessant würde es sein, wie Zacharas sich ab jetzt verhalten würde. Bestimmt würde er sich nicht von heute auf morgen ändern, doch zumindest würde er sich vermutlich kontrollieren. Und vielleicht würde er sich sogar bemühen.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Wenige Stunden später legte die Gruppe auch schon ihre Rast ein. In einer versteckten Höhle schlugen sie ihr Lager auf. Ein Feuer entzündeten sie nicht, um vor ungebetenem Besuch verschont zu bleiben. Endlich bekam die Gruppe ihren wohl verdienten Schlaf.
    Der verbliebene Soldat von Aras sollte Wache halten, war aber schon vor einiger Zeit eingeschlafen. Mit gesenktem Kopf lehnte er an der Höhlenwand und schnarchte leicht in sein Kettenhemd. Sein Schwert hielt er nur mäßig umklammert in den Händen.
    Eine ganze Weile hatte er Jaris und Theic angestarrt, doch, da sich weder Jaris noch er bewegten, mussten ihm die Augen wohl zu schwer geworden sein.
    Nu beobachtete Theic ihn schon eine gefühlte Ewigkeit, aber leider wollte ihn der Schlaf nicht erreichen. Zwar waren seine Augen schwer, aber eine innere Unruhe hielt ihn wach. Die Sache mit dem Doppelgänger und mit dem Verräter wühlte ihn zu sehr auf. Außerdem schmerzte ihm der ganze Körper vom Reiten und die Rennerei und Aufregung der letzten Stunden steckte ihm zusätzlich in den Knochen. So etwas war er nicht gewöhnt. Zwar war er meist den ganzen Tag in seiner Heimatstadt herumgelaufen, um Botengänge zu erledigen, aber das war deutlich etwas anderes, als panisch um sein Leben zu rennen.
    Sein Blick fiel auf Thyra. Die Jägerin schien tief und fest zu schlafen. Schwer zu sagen, wenn sie mit dem Rücken zu ihm lag. Zumindest senkte sich ihre Brust gleichmäßig.
    Er fühlte sich schlecht. Bisher hatte oder musste ihn immer Thyra beschützen, weil er selbst zu schwach und feige dazu war. Noch vor wenigen Stunden hatte er sich hinter ihr versteckt wie ein kleines Kind. Dabei war Thrya verletzt und konnte ihren Fuß nicht belasten. In der ganzen Aufregung schien es außer ihm jedoch keiner wirklich bemerkt zu haben. Aber Thyra sagte auch nichts.
    „Theic, bist du wach?“, fragte sie ihn plötzlich. Thyra hatte sich zu ihm umgedreht und sah ihn nun prüfend durch die Dunkelheit an.
    „Ja“, murmelte er.
    „Kannst du auch nicht schlafen?“
    „Nein.“
    Für einen Moment war es wieder still.
    „Lust, die Beine zu vertreten?“
    Theical haderte mit sich, erhob sich dann aber ein wenig aus seinem provisorischen Bett. Thyra tat es ihm gleich, auch, wenn es bei ihr etwas länger dauerte, bis sie sicheren Halt auf ihren Füßen bekam.
    Auf leisen Sohlen schlichen sie sich aus der Höhle, an dem Soldaten vorbei. Es musste schließlich keiner wissen, dass sie sich heimlich davon stahlen. Aber die ganze Zeit flüstern, war auch nicht das Wahre, oder vielleicht noch, dass ihnen jemand lauschte.
    Schweigend entfernten sie sich erst etwas, von der Höhle, bevor Theical sich traute die Stille zu durchbrechen.
    „Wie geht es deinem Fuß?“
    Thyra winkte ab.
    „Geht schon.“ Sie lächelte leicht und deutete dann in eine Richtung. „Lass uns dort lang gehen!“
    Theic zuckte die Schultern. Im Grunde war es ihm egal. Er erhoffte sich nur endlich genug Müdigkeit, um einschlafen zu können.
    Sie ließen das kleine Wäldchen hinter sich und kaum, dass Thyra den letzten Baum passiert hatte, ließ sie sich auf einem Stumpf nieder. Den Fuß weit von sich gestreckt und das Gesicht in den bewölkten Himmel gerichtet. Theical ließ sich neben ihr fallen.
    „Die Männer in dem Gasthaus, die hinter uns saßen, haben gesagt, dass dieser Paulus wohl den Befehl gab die Plakate zu verteilen“, begann Thyra komplett zusammenhangslos. Es dauerte etwas, bis Theic verstand, auf was die Jägerin hinaus wollte. Scheinbar ließ ihr die Sache jedoch auch keine Ruhe. Kurz überlegte er. Traute er dem Diener wirklich zu, seinen Herren zu hintergehen?
    „Das glaube ich nicht", murmelte er. „Der war mir zu unterwürfig. Er hatte Angst. Wer auch immer es war, könnte sich nicht sicher sein, dass sein Plan wirklich aufgeht. Jemand wie Paulus müsste also damit rechnen, dass Aras Rache an ihm nehmen wird, wenn er dahinter kommt. Der Kerl hat ihm doch in dem Fall nichts entgegen zusetzen. Es sei denn, jemand größeres steht hinter ihm.“
    Thyra überlegte lange, bevor sie wieder sprach.
    „Das, oder er wird bedroht. Nur von wem?“, fragte Thyra mehr an sich selbst als an Theic gerichtet. Dieser zuckte nur die Schultern. Woher sollte er das wissen? Er war auch zwei Tage nicht mehr in der Stadt gewesen, und ebenso wie Thyra war er das erste Mal in Ymilburg gewesen.
    „Wie auch immer“, murmelte sie. „Glaubst du, unter uns ist ein Verräter?“ Nachdenklich sah Thyra in den Himmel. Glücklicherweise regnete es nicht mehr.
    Theic ließ sich vom Baumstamm ins feuchte Gras fallen und schüttelte den Kopf. Die Jägerin bestätigte mit einem unverständlichen Gemurmel.
    „Ich kann es mir auch nicht vorstellen. Ich glaube an Jaris Worte. Dem einzigen, dem ich noch immer nicht traue, ist Aras. Aber er ein Doppelgänger? Nein…“
    „Vielleicht bin auch ich der Verräter und du weißt nur nichts davon?“, scherzte Theical. Langsam tat ihm schon der Kopf weh. Ob vor Schlafmangel oder wegen dem scheinbar pausenlosen Denken, konnte er nicht sagen.
    Thyra schüttelte den Kopf. „Du nicht."
    Theical sah auf. „Warum nicht? Was macht dich so sicher?"
    „Das würde bedeuten, ich müsste dir misstrauen und dann könnte ich nicht mehr mit dir reden", lachte sie. Was für eine verquerte Logik. Aber dennoch musste Theic lächeln. Immerhin glaubte er auch nicht, dass Thyra irgendwas mit einem Hinterhalt zu schaffen hatte. Für so boshaft hielt er sie einfach nicht. Wenn er ehrlich war, dann vertraute er dem Soldaten von allen am wenigsten.
    Ein Rascheln im Gebüsch ließ beide aufschrecken und von ihrer entspannten Position aufspringen.
    Thyra zog einen Dolch aus ihrem Gürtel. Auch Theic griff nach dem alten Dolch, den er einmal von seinem Großvater geschenkt bekam. Zumindest jetzt wollte er nicht nur wehrlos daneben stehen.
    Doch entgegen ihrer Erwartungen kam nur Fenrir aus einem nahegelegenen Busch gesprungen.
    Erleichtert atmeten beide auf. Aber Thyra steckte ihren Dolch nicht weg, denn der Wolf schlängelte sich unruhig um ihre Beine.
    „Was hast du?", fragte sie. Fenrir knurrte in Richtung des Buschs. Ratlos sahen sich Theical und Thyra an, dann zuckte die Jägerin die Schultern und schlicht dem Wolf nach.
    Theic warf noch einen Blick zurück. War es eine so gute Idee, ohne jemandem Bescheid zu geben? Seufzend folgte er Thyra.
    Durch enges Gestrüpp folgten sie dem Tier, das sich bequem unter jedem Ast hindurch bewegen konnte, während sie sich einen Weg freischlagen oder außenherum laufen mussten.
    Eine Zeitlang liefen sie zurück zu ihrem Versteck, dann änderte der Wolf aber die Richtung und sprang nach links.
    Erst hinter einem Brombeerbusch blieb er stehen. Lautlos ließ er sich auf den Boden fallen und sah Thyra auffordernd an. Theical hatte absolut keine Ahnung, was der Wolf von ihnen verlangte, scheinbar ging es der Jägerin jedoch anders. Diese kniete sich hinter den Baum und blickte dann vorsichtig um die Ecke. Sofort zog sie ihren Kopf zurück, atmete durch und winkte dann Theic zu sich. Dieser kam der Aufforderung nach, hockte sich neben die Frau und blickte an ihr vorbei.
    Vor ihnen, nicht weit entfernt, stand ein dunkler Schemen im Schatten der Bäume und schien sich wild gestikulierend mit jemandem zu unterhalten. Eine zweite Person konnte Theic allerdings nicht ausmachen. Bei genauerem Hinsehen erkannte er aber den Soldaten, der ihre kleine Gruppe begleitete. Was machte er da?
    Er zuckte zusammen, als ein Krächzen über ihnen ertönte. Sein Blick ging nach oben. Ein dunkler Vogel schwang sich dort gerade durch das Blätterdach und flatterte auf den Soldaten zu. Bei diesem landete er auf dem Arm. Ein wenig fingerte er an seiner Rüstung herum, dann am Bein des Vogels. Mit etwas Schwung gab er ihm Starthilfe, und das Tier glitt in die Luft.
    Thyra und Theical warteten noch, bis der Soldat wieder zurück in Richtung der Höhle verschwunden war.
    „Was war das denn?“, fragte Thyra.
    „Finden wir es heraus!“ Theical legte die Hand an den Mund und gab den gleichen Laut von sich, den Sari immer machte. Danach dreimal den Ruf einer Amsel. Mit etwas Glück wusste der Donnervogel noch, was der Befehl bedeutete. Blieb zu hoffen, dass der Soldat außer Reichweite war, oder sich zumindest nicht mit Vogelgesang auskannte.
    Schon nach wenigen Augenblicken brach Sari durch die Baumkronen und landete auf einem nahegelegenen Ast. In seinen mächtigen Krallen hielt er einen braunen Falken. Dieser wehrte sich, hatte gegen den um einiges größeren Vogel jedoch keine Chance. Stolz fuhr Theic dem Donnervogel kurz über das Gefieder. Er hatte den Befehl wirklich noch verstanden, dabei war es eine ganze Weile her, dass er ihm das aus Spaß beigebracht hatte. Er hätte nicht erwartete, dass es ihm jemals bei etwas hilfreich sein würde.
    Sari flatterte bis auf Theicals Schulter, damit dieser bequemer an den Falken herankam. Flink fingerte er einen Zettel vom Bein des Tieres.
    „Ein Brief?“, fragte Thyra, „Was steht drin?“
    Theical überflog die wenigen Worte.
    „Nur unser ungefährer Standpunkt“, meinte er dann.
    Thyra riss die Augen auf.
    „Heißt das, er ist der Verräter?“

  • Theic und Thyra warteten noch einen Augenblick lang und lauschten in das Dunkel der Nacht. Fenrir ließ ein leises Knurren vernehmen und Sari flatterte hinab und ließ sich auf seinem Rücken nieder. Gemeinsam verschwanden sie im Unterholz.
    „Nanu?“, fragte Thyra verdutzt und sah zu ihrem Begleiter. Dieser grinste nur schief und zuckte die Schultern. Es schien als ob die beiden sich gut miteinander verstanden.
    Als sie den Wolf und den goldschimmernden Vogel nicht mehr sehen konnten wandten auch die beiden sich ab und machten sich auf den Weg zurück zu der kleinen Höhle.
    Thyras Fuß machte ihr mit jedem Schritt mehr zu schaffen und so hinkte sie einige Schritte hinter Theic her, bis dieser es nicht mehr mit ansehen konnte und sie stützte. Dankbar nahm sie seine Hilfe an, doch kurz bevor die Höhle in Sich kam machte sie sich von ihm los und ging den Rest alleine. Sie wollte nicht, dass die anderen sahen, dass ihr Fuß so sehr schmerzte. Es schien ihr sicherer, wenn niemand außer Theic wusste, wer im Moment tatsächlich das Schwächste Glied der Gruppe war – außerdem hatte sie auch ihren Stolz.
    Raschelnd traten sie in die Höhle ein. Der Soldat saß dort wo sie ihn verlassen hatten, seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig, doch beide wussten, dass er nicht schlief.
    Leise schlichen sie in die Höhle und schürten etwas das Feuer. Thyra spürte, wie der Soldat sie durch halb geschlossene Lider beobachtete und setzte sich so, dass Theic sie vor seinen Blicken verbarg. Als sie Holz nachlegte fischte sie einen dünnen Stock aus der Glut und nutzte das verkohlte Ende als Stift. Theic nutzte die Gelegenheit und plauschte über die romantische sternenklare Nacht und warf Thyra immer wieder zweideutige Blicke zu, die sie verschmitzt lächelnd erwiderte. Bald wurde dem Soldat der Pärchenplausch zu kitschig und er schlief tatsächlich ein.
    „Würdet ihr bitte eure Schäferstündchen draußen vor der Höhle lassen?“, murmelte Aras genervt, den sie mit ihrem Geflüster wohl geweckt hatten. Er schien einen leichten Schlaf zu haben. Sofort verstummte Theic und musterte Thyra. Sie hatte ihre Arbeit mit dem Stöckchen beendet und auf den Zettel Das haben wir einem Falken des Soldaten abgenommen. Vielleicht ist er der Verräter geschrieben. Thyra sah wie Theic den Zettel musterte und sie fragend ansah. Sie deutete mit dem Kinn auf Jaris. In Theics braunen Augen blitzte es verstehend auf.
    Mühsam erhob sie Thyra von den knisternden Flammen und humpelte mit Absicht ungeschickt durch die Höhle, scheinbar auf dem Weg zu ihrem Schlafplatz. Dabei stolperte sie über Jaris und landete härter als beabsichtigt auf ihm. Dieser war sofort wac, packte Thyra an den Haaren und legte ihr eine blitzschnell gezückte Klinge an den Hals.
    „Aua, lass das!“, fuhr sie auf. „Ich bin’s nur, ich bin im Dunkeln gestolpert!“
    Augenblicklich beruhigte Jaris sich und ließ sie los. Unauffällig ließ sie den Zettel in seine Hand gleiten und mied den Blick des Soldaten, der nun mit Sicherheit wieder aufgeschreckt war. Dann stemmte sich mit Theics Hilfe wieder in die Höhe.
    „Himmel Herrgott! Hätte ich auf Paulus gehört und euch Vollidioten Zuhause gelassen!“, moserte Aras aus seiner Ecke.
    Thyra murmelte eine leise Entschuldigung und ließ sich dann auf ihr Lager sinken. Die Aufregung ließ nach als sie sah, dass Jaris klug genug gewesen war die Nachricht erstmal wegzustecken und zu lesen, wenn es gerade keiner bemerkte. Ihr Herzschlag beruhigte sich allmählich und sie rollte sich auf den Fichtenzweigen, die ihr Lager von unten warm hielten, zusammen.
    Endlich fielen ihr die Augen zu.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Mit genervtem Schmatzen versuchte Aras sich wieder zu etwas Schlaf hinzureißen. Wohl wissend, dass Thyra und Theical insgeheim etwas im Schilde führten. Doch diese Nacht wollte er sich nicht um solcherlei Probleme kümmern. Schließlich hatte er seinen Soldaten und Jaris an seiner Seite, die genug Schutz gegen diese beiden Gestallten boten.
    Er machte es sich wieder bequem und schloss die Augen. Leise vernahm er das Lagerfeuerknistern, flackerndes Licht und den schwach modrigen Geruch vom ansetzenden Schimmel der Höhlenwände. Immer noch flüsterten sie beide ein wenig, aber merklich leiser, als eben. Die Zeit verrinn und immer tiefer tauchte er in den Schlaf ein, bis er vollkommen weggenickt war. Die Geräusche verstummten langsam, das Licht dimmte sich und sein Verstand begann zu wandern. Er träumte selten, aber dann umso intensiver. Das lag daran, dass er generell nicht sehr viel schlief. Obwohl er ein Herzog war und es sich hätte leisten können, wollte er es sich aber nicht leisten. Er hatte eine Verantwortung! Nicht nur sich gegenüber, sondern auch seinem Gefolge.
    Diese Nacht sollte wieder eine traumreiche Nacht sein. Und kaum war er eingeschlafen, begann es auch schon, das Schauspiel in seinem Kopf. Er befand sich wieder in einem unterirdischen Gang. Ob nun die Katakomben oder ein anderen Gewölbe, sei dahingestellt. Er steuerte ziellos umher, auf der Suche nach einem Ausgang oder ähnlichem. In seiner linken Hand eine Fackel und in der Rechten sein Zauberstab, den er kaum noch halten konnte. Er zitterte am ganzen Körper, sehnte sich nach einem Gegenstand, den er als Fixpunkt verwenden konnte. Doch es war nichts zu sehen, außer kargem Fels, sandigem Boden und der unendlichen Weite.

    "Du kannst nicht entkommen!", ertönte wieder diese grässliche Stimme, welche ihn schon beim letzten Traum heimsuchte. Und nun wahr ihm wieder klar, dass er sich wieder in den Katakomben befinden musste, ohne diese auch nur ansatzweise gesehen zu haben. Doch woher wollte sein Verstand eigentlich wissen, wie es dort aussehen würde? Waren es nur fiktive Wahnvorstellungen, Sehnsüchte, Visionen? Oder steckte doch mehr dahinter und er erlebte nicht etwa einen willkürlichen Traum, sondern die Wahrnehmung eines Anderen?
    "Ich werde dich finden und töten!"
    Aras tastete sich vorsichtig voran, den Zauberstab wohl besonnen für den Kampf bereithaltend. Jeder weitere Schritt ließ ihn mehr erzittern, als würde er bereits vorausahnen, was passieren würde und müsste. Er sah an sich herab, konnte aber nicht viel von seiner Kutte erkennen. Er war er selbst, das stand schon mal fest. Ihn beruhigte das in dem Maße, als dass er nun wusste, dass es nur ein Traum war und keine, ihm völlig unbekannte, Geistesverbindung. Er war erleichtert, er war nicht fähig zu sterben. Im Traum kann er nicht sterben, er schlief dafür zu unruhig.

    Unmittelbar vor ihm erblickte er einen Hohlraum. Er tat den ersten Schritt hinein und wäre fast gestolpert, da sich zu seinen Füßen einige Stufen befanden, die hinab führten, zur Mitte des Raumes. Sein Blick wanderte von Links nach Rechts, an die Decke und zurück. Keine Feuerschale war vorhanden, keine Fackel. Nur seine eigene Licht spendende Feuerquelle bildete den einzigen Trost und Funken in dieser abscheulich düsteren Umgebung.
    Die Stufen stolpernd passiert, tat sich vor ihm eine Art Schrein auf, welcher gut einen Meter hoch war und als Oberfläche ein Steinrelief besaß. Es waren mehrere quadratische Ebenen, in verschiedenen Höhen, die er ertasten konnte. Ein Gebilde, auf dem ersten Eindruck unregelmäßig erscheinend. Es war zu wenig Licht, um diesen Schrein besser untersuchen zu können.

    "Du kannst nicht entkommen. Du bist gefangen in der Dunkelheit!"

    Mit kleinen Tippelschritten umlief er den Schrein und touchierte leicht mit den Knien einen anderen Schrein, der nicht ganz so hoch war, aber ebenfalls eine ähnliche Oberflächenstruktur besaß. Er schwenkte die Fackel hinüber und erkannte nun, dass es Steinplatten waren, welche sich auf diesem Tisch befanden. Die Steinplatten hatten, soweit er es mit diesem spärlichen Licht erkennen konnte, unterschiedliche Farben und Muster. Es waren merkwürdige Zeichen auf diesen eingraviert, oder erhaben dargestellt.

    Ein lautes Poltern hallte durch den Raum. Sofort schreckte er auf und drehte sich instinktiv zum Eingang um, welcher sich, zu seinem Entsetzen, gerade geschlossen hatte. Eine große Steinmauer zierte nun diesen Durchgang und sperrte nicht nur das Restlicht aus, sondern zugleich Aras mit Acrylon ein. Ein großes Ungetüm, aus Schatten und Rauch, breitete sich vor ihm aus und kroch an der niedrigen Decke entlang. Aras wich zurück, ohne zu wissen, was zu tun sei. Sollte er sich wehren? Würden seine Zaubersprüche Wirkung zeigen? War er tief unter der Erdoberfläche? Hielten die Wände überhaupt seinen mächtigen Magiesprüchen stand, oder würde unter den Trümmern begraben werden? Die Gedanken der Gedanken spielten ihm einen Streich. Der Griff des Todes lechzte nach ihm. Die Furcht schürte das erbarmungslose Feuer des Acrylon, dessen Pesthauch die Luft mit Fäulnis erfüllte. Die Zeit schien still zu stehen und doch im gleichen Atemzug an Zacharas vorbei zu rinnen, als wäre es ein reißender Strom aus siedendem Wasser...

    "Ihr seid der Verräter!", sprach eine weibliche Stimme zu ihm. Er realisierte es nur halb, weil er sich gedanklich immer noch auf den Tod vorbereitet hatte. Acrylons Umklammerung der Endgültigkeit hatte nur Augenblicke zuvor des Lords Herz umschlossen und nun befand er sich wieder in diesem Gasthaus. Um ihn herum standen unzählige Menschen, gaffend und brüllend. Jaris war zu sehen, ebenso der Soldat und Thyra. Ihre Stimme war es, welche ihn aus den ersten Traum gerissen hatte. Sie sprach zu ihm und beschuldigte ihn, der Verräter zu sein.
    "Wir wussten es von Anfang an! Ihr habt Theical auf dem Gewissen!"
    Aras begriff gar nichts mehr, was wirklich nur zu selten vorkam. Es war ihm echt zu unlogisch, was gerade passierte. Sein Blick wanderte abermals ziellos umher und stoppte grundlos bei einer, ihm weggewandten, Person. Sie war Verhüllt, die Kapuze weit über den Kopf gezogen. Wer war diese Person, welche seine Augen unterbewusst anpeilten?
    Thyra und Jaris redeten ununterbrochen auf ihn ein. "Sprecht gefälligst! Wer seid Ihr wirklich?"
    "Theical ist tot, nur wegen Euch!"
    "Was hat Euch dazu bewegt, dies zu tun? Was ist Eure Entschuldigung dafür?"
    Sie hielten ihm ein Amulett vors Gesicht. Er ignorierte dieses aber gekonnt und schaute weiter zu dieser Person hin.
    "Habt Ihr es nur wegen diesem Amulett getan?"
    "Was bewirkt es? Sprecht endlich!"

    Und dann drehte die Gestalt sich um und präsentierte ihm das Gesicht...

    "Warum nur?", fragte er seinen Verstand. Er war wieder in der Realität angekommen, in der Höhle. Alle anderen schliefen tief und fest.

  • Das haben wir einem Falken des Soldaten abgenommen. Vielleicht ist er der Verräter. Das stand auf dem Zettel, den Thyra ihm heimlich zugesteckt hatte. Jaris ließ den Zettel schnell wieder in seiner Tasche versinken und riskierte einen kurzen Blick auf den Soldaten. Der lächelte ihn an, als ob sie die besten Kumpel wären. Nun. Er hatte eine Gelegenheit gewollt. Nach kurzem Zögern erhob er sich, ging ein paar Schritte auf dem Boden, der staubtrocken war, als hätte es seit Wochen nicht mehr geregnet, und setzte sich neben den Mann. "Es tut mir leid, dass ich dich bedroht habe, aber ich konnte nicht zulassen, dass du mir in den Rücken stichst", sagte er mit gespieltem Bedauern, "Ich bin mir sicher du verstehst das. Immerhin sind wir beide Soldaten und müssen jede mögliche Bedrohung ausschalten." Falls es den Soldat störte, dass er gedutzt wurde, oder er bemerkt hatte, dass Jaris seine Worte nicht ernst meinte, ließ er es sich nicht anmerken. Tatsächlich winkte er nur ab. "Natürlich. Du musstest dich absichern", erwiderte er und übernahm das Du, "Und ich habe auch niemals angenommen, dass du der Verräter sein könntet, dass will ich klarstellen." Jaris lächelte, als wäre er erleichtert, dass zu hören. Langsam stieg der köstliche Geruch von gebratenem Speck von dem kleinem Lagerfeuer zu ihren Füßen auf. Das half ihm beim Lächeln. "Vielen Dank", antwortete er, "Genau deswegen wollte ich mit dir sprechen." Der Soldat legte die Stirn in Falten. "Du meinst", begann er. "Ganz recht!", unterbrach Jaris ihn und warf einen bedeutungsvollen Blick auf Theical, der gerade die Sättel der Pferde überprüfte, und auf Thyra, die ein paar Meter entfernt ihren Bogen auf Verschleiß untersuchte, "Ich teile euren Verdacht." Der Soldat wirkte einen Augenblick lang erleichtert, bevor er wieder eine Maske des Bedauerns aufgelegt hatte. Wenn Jaris zuvor zweifel gehabt hatte, waren die jetzt vergangen. "Ich habe es gewusst. Hast du Beweise? Und wieso hast du sie eigentlich verteidigt?", fragte er. "Ich habe keine Beweise. Noch nicht. Und genau deshalb habe ich sie auch verteidigt", antwortete Jaris, "Zacharas ist zu vertrauensvoll ihnen gegenüber. Aber wenn jemand, der augenscheinlich auf ihrer Seite ist, seine Meinung ändert, macht das mehr Eindruck als das Wort von Jemandem, der sie von Anfang an verdächtigt hat." Der Soldat lachte auf. "Ganz schön gerissen", behauptete er, "Das hätte ich dir gar nicht zugetraut." Jaris bedankte sich für das Kompliment, doch er hatte dabei ein schlechtes Gefühl. Wenn der Soldat dachte er würde Thyra und Theical etwas vorspielen um besser gegen sie arbeiten zu können, käme ihm vielleicht bald der Gedanke, dass Jaris auch ihn täuschte. Er würde verdammt vorsichtig sein müssen. Zum Glück schien der Soldat nicht gerade sehr helle zu sein. Aber man konnte sich auch täuschen. "Jedenfalls", sagte sein Gegenüber nun, "Freut es mich, dass sich noch jemand neben mir um die Sicherheit des Herzogs sorgt." Er zog seinen Wasserschlauch unter der Uniform hervor und trank einen großen Schluck. Dann bot er ihn Jaris an. Jaris nahm dankend an und ließ das kühle Nass seine Kehle herunterrinnen. Wie es wohl in der Wüste werden würde. Schon jetzt war es, wenn die Sonne wie gerade im Zenit stand, glühend heiß. Aber wenigstens waren überall Quellen und saubere Flüsse. Das würden sich dort wohl ändern. "Wir beide sind die einzigen treuen Gefolgsleute des Hezogs und ich kenne noch nicht einmal deinen Namen", warf er ein, während er dem Soldaten den Wasserschlauch wieder zurück reichte. "Regar", antwortete dieser, "Aber ich bezweifle, dass sich außer dir noch jemand hier dafür interessiert." Einen Moment lang blitzte etwas wie Verbitterung in seinem Gesicht auf, dann war es so schnell wieder verschwunden, dass Jaris sich schon fragte, ob er es sich nur eingebildet hatte. Er unterhielt sich noch einige Zeit mit Regar über verschiedene Themen, die allesamt nichts mir Verrat und Beschützen zu tun hatten, während das Essen zubereitet und eingenommen wurde, und konnte sehr gut nachvollziehen, warum gerade er als Spion entsandt worden war. Er war sympatisch, humorvoll und freundlich. Jaris untersagte sich ihn zu mögen, aber es war schwerer, als er sich vorgestellt hätte. Deshalb erklärte er auch, als die Pferde aufgesattelt und das wenige, was sie hatten, eingepackt war, dass sie von nun an lieber Abstand zueinander halten sollten, wenn sie nicht zu verdächtig auf Thyra und Theical wirken wollten, und trieb sein Pferd an die Spitze des kleinen Zuges. Das Gespräch hatte ihn ratlos zurückgelassen. Er hatte bekommen, was er gewollt hatte, doch leider auch noch einiges was er nicht gewollt hatte. "Vorerst", dachte er, "Sollte ich mich nicht zu sehr damit beschäftigen." Der Zeitpunkt wird so oder so kommen. "Beeilung", trieb Zacharas die Gruppe aus der Mitte heraus an, "Wir müssen einiges an Zeit aufholen." Jaris fragte sich, wann sie Zeit verschwendet haben konnten, wo sie doch die letzten 48 h beinahe pausenlos weggerannt waren, doch ihm entging auch nicht wie angespannt Zacharas heute Morgen war. Er hatte tiefe Augenringe, als habe er nicht allzu viel geschlafen, und seine Augen huschten ruhelos umher. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er denken können, Zacharas habe Angst. Oder er mache sich zumindest Sorgen. "Andererseite", überlegte Jaris sich, "Hatte er vermutlich auch alles verloren, was er hatte." Die Stadt, seine Stellung, sogar seine Macht. Zum ersten Mal fühlte er etwas Mitleid mit dem Herzog. Wenn es darum ging alles zu verlieren, war Jaris Experte. Er hatte es zweimal durchlebt. Und seit dem letztem Mal hatte er auch nichts mehr dazugewonnen, was sich verlieren ließ. Seit wann? Seit Jahren? Zu dem Mitleid gesellte sich ein Stück weit Neid. Wenigstens hatte Zacharas ein Leben, in das er vielleicht zurückkehren konnte. Er nicht. Er würde nach Ablauf dieser Mission wieder alleine sein. Reicher zwar, aber weiterhin Heimatlos. Bezugslos. Ein Leben ohne Sinn. "Sei kein Weichei", schalt er sich selbst. Was brachte es schon zu jammern. Vielleicht mochte er ein sinnloses Leben führen, doch trotzdem mochte er es führen, und dies konnte er nicht mehr allzu lange, wenn er Schwäche zeigte. "Alles Weiche zerbricht", hatte Rendal stets zu sagen gepflegt.

    Sie ritten zwischen hoch aufragenden Bäumen, die ihre Äste tief über ihre Köpfe hängen ließen, daher. Das Sonnenlicht drang nur vereinzelt durch die dichten Blätter und zeichnete auf dem Boden ihre Muster nach. Wäre Jaris Kopf nicht so voller dunkler Gedanken, hätte er das Schauspiel beinahe schön finden können. Unzählige Bäume weiter hörten sie dann die ersten Stimmen. Jaris hob eine Hand und die Gruppe hinter ihm hielt an. Als er sich zu den anderen umdrehte bemerkte er die misstrauischen Blicke von Thyra und Theical ihm gegenüber, er zwinkerte beiden zu. Der Soldat dachte er dürfte sich nicht mit ihnen schlecht Stellen, bevor er keine Beweise gefunden hätte, und Thyra und Theical hatten hoffentlich verstanden, was er vorhatte. Ein gefährliches Spiel, was er hier spielte. "Wir sollten zu Fuß weitergehen", sagte er zu den anderen und glitt aus dem Sattel. Die Pferdezügel wurden an die Bäume gebunden und die Gruppe ging in Richtung der Stimmen. Nur der Soldat blieb auf Befehl von Zacharas bei den Tieren. Als die Stimmen lauter wurden bog sie von der Straße ab und schlichen durchs Unterholz weiter. Hinter einem Busch hockend spähten sie auf eine große Lichtung auf der etlich Wagen in allen erdenklichen Farben und in verschiedensten Mustern gestrichen standen. Auf manchen standen Sprüche wie: "Geldin, der stärkste Mann der Welt" oder "Weissagungen von Liranda". Dazwischen bewegten sich eine ebenso bunte Ansammlung von Menschen. Große breit gebaute Männer, die vermutlich mit einer Hand eine Stahlkugel formen konnten wie Knetmasse. Oder lange schlanke aber muskulöse Männer und Frauen, die sich selbst mitten auf dem Rasen in etwas aufstapelten, dass wie eine Pyramide aussah. Kleine Hunde jagten in einem Rudel über das platt getretene Gras, bis der Befehl eines Mädchens von vielleicht 7 oder 8 Jahren sie zum stehen brachte. Die vielleicht seltsamste Person war ein untersetzter Mann in rotem Frack, violettgelb karierten Umhang und mit einem großem grünblau gestreiften Zylinder auf dem Kopf, der herumlief und sich mit einigen der Menschen unterhielt oder laut rufend Anweisungen gab. Das alles wurde jedoch noch übertroffen von den großen mit an die 3 Meter hohen Metallzäunen umgebenen Bereiche in denen die seltsamsten Tiere standen. Ein grauhäutiges Etwas, dass im Grunde wie ein überdimensionierter Hund mit großen Runden Ohren und einem langem Rüssel dort, wo die Nase hätte sein sollen, aussah, stopfte sich mit letzterem eine gewaltige Ladung Heu in den Mund und trompetete daraufhin fröhlich. Daneben stand ein Tier mit gelben Fell mit braunen Schecken, das das andere an Höhe sogar noch übertraf. Dies lag jedoch vor allem an dem gewaltigem Hals, der den kleinen Kopf des Wesens Meter über den Rest des Körpers hob. In den anderen Gehegen tummelten sich noch andere ebenso fremdartige aber immerhin kleinere Geschöpfe. "Ein Jahrmarkt", stellte Zacharas, der anscheinend seine kalte Ruhe wiedergewonnen hatte, sachlich fest. Jaris runzelte die Stirn. Das was da vor ihm war hatte nichts mit dem gemein mit den kleinen Ansammlungen von Gauklern und Akrobaten, die er als den gelegentlichen Jahrmarkt auf dem Markt von Felodun her kannte. "Sie sind wahrscheinlich auf dem Weg in die östlichen Reiche", fuhr der Herzog fort, "Das könnte eine Mitreisegelegenheit sein mit der wir unerkannt in die Dari-Wüste gelangen. Selbst wenn das heißt, dass wir uns mit diesem Abschaum abgeben müssen." Als Jaris sich zu dem Herzog umwandte, sah er, dass der die Nase gerümpft hatte. "Wie stellt ihr euch das vor?", fragte Jaris. Auch die anderen wirkten eher zweifelnd. "Lasst das nur meine Sorge sein", versprach Zacharas und erhob sich aus dem Gebüsch.

    Der blau, gelb, violett, grün, rote Mann mit Zylinder kam ihnen entgegen, kaum dass sie den Schutz des Waldes verlassen hatten. "Willkommen", rief er und breitete seine Arme in effektheischender Geste aus, "Willkommen in Wilkins kuriositastischem Wanderzoo und Zirkus. Leider findet in nächster Zeit keine Aufführung statt, dafür müsst ihr schon nach Eisenfurt kommen, wenn wir in zwei Tagen dort ankommen." Jaris bezweifelte, dass kurisositastisch ein echtes Wort war, doch er hielt den Mund. "Wir sind keine Zuschauer", behauptete Zacharas selbstbewusst, "Wir sind reisende Schauleute und Suchen einen Arbeitsplatz. Ich bin Z... Aras, der Magier. Das sind Jaris, der Akrobat, Theical, der Trickser, und Thyra, die Kunstschützin" Lindwin besah sie mit erwachtem Interesse. "Schauleute sagt ihr", erwiderte er in Gedanken, "Nun wir haben noch einen Wagen, der seit dem... Der freisteht. Vielleicht könnt ihr in die nächste Aufführung eingebunden werden." Jaris wollte gar nicht wissen, was mit den Vorbesitzern dieses Wagens passiert war. Der Herzog war wirklich verrückt. Sie als Schauleute. Er konnte ein Schwert schwingen oder einen Stapel Holz in Flammen aufgehen lassen, aber Menschen unterhalten? Und wieso sollte er ein Artist sein. Er konnte ein Haus hoch klettern, war beweglich und hatte sich früher aus Spaß sogar einmal an einen Salto herangewagt, aber das wars auch schon. "Wir haben Pferde und einen angeheuerten Söldner, der uns beschützen sollte", klärte Zacharas auf, "Eisenfurt doch im Osten, oder?" Wilkin beäugte misstrauisch ihre Waffen. "Nun, ja", antwortete er schließlich, drehte sich um und ließ sie stehen, "Liranda zeig ihnen den Wagen von... Naja, du weißt schon. Und sag ihnen sie sollen ihren Mann und ihre Pferde binnen einer Stunde holen. Wir müssen unser Nachtlager aufbauen." Mit diesen Worten war er in der Menge verschwunden und eine dürre Frau in mittlerem Alter und braunen Haaren, die so gar nicht wie eine Weissagerin aussah kam auf sie zu. "Hallo", begrüßte sie die Gruppe, "Ich bin Liranda."

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Aras und Liranda unterhielten sich kurz, aber Theical hörte gar nicht zu. Es ging wohl um die Unterbringung ihrer Pferde. Kein sehr spannendes Thema. Vielmehr war er damit beschäftigt Aras Worte zu verdauen. Sie als Schauleute? Was hatte sich Aras dabei gedacht? Er selbst hatte es sich ja einfach gemacht. Schließlich hatte er seine Wenigkeit als Magier vorgestellt. Eben als das, was er auch war. Aber Theical konnte keinen Kartentrick vorführen, er kannte nicht einmal einen, wie sollte er dann ein Trickser sein? Zudem hasste er es irgendwo im Mittelpunkt zu stehen.
    Mitreisen war das eine, aber sich aktiv am Zirkus zu beteiligen, gehörte nicht gerade zu den Dingen, die Theical in seinem Leben unbedingt machen wollte.
    Im Zweifelsfall blieben ihm nur noch seine Schattenkräfte und Sari. Beides nicht gerade etwas, was er jemandem zeigen wollte.
    Sein Blick ging zu Jaris, der ebenso grübelnd die Umwelt verschönerte, wie er. Scheinbar gefiel ihm seine Tarnung ebenso wenig.
    Auf der anderen Seite hatte Aras sicher recht. Der Wanderzirkus war eine gute Tarnung, um mit ihm unerkannt in die Daris-Wüste zu gelangen. Blieb zu hoffen, dass dieser Wilkin sie nicht wirklich an einer Vorführung beteiligen wollte. Man wusste schließlich nie, wer zusah und gerade für Zacharas konnte sowas schnell nach hinten losgehen. Immerhin musste er als Herzog einen gewissen Grad an Bekanntheit genießen.
    „Thyra, sei doch so freundlich und sage dem Söldner Bescheid, er solle hier her kommen. Und hilf ihm die Pferde zu führen.“ Aras wandte sich zu der Jägerin um und sah sie mit einem gespielten Lächeln an. Leicht grummelte sie, kam dem unterschwelligen Befehl aber nach.
    „Ich komme mit“, meinte Theical. Er wollte Thyra nur ungern in ihrem Zustand mit dem merkwürdigen Soldaten allein lassen. Wenn dieser wirklich der Verräter war, dann hätte sie ihm vielleicht nichts entgegen zu setzen. Fraglich war, ob seine Hilfe etwas brachte, aber er würde sich wohler fühlen.
    „Einer reicht ja wohl vollkommen, um ihm Bescheid zu geben und die Pferde zu holen.“ Aras' Worte donnerten Theical entgegen. Allerdings klang seine Stimme weitaus milder als sonst. Theic ließ es an Jaris‘ Drohung und an ihrer Tarnung liegen.
    Nur widerwillig ergab er sich und ließ Thyra allein davonlaufen. Skeptisch sah er ihr noch nach.
    „Folgt mir bitte“, forderte Liranda dann und lief bereits los. Kurz beäugten sich die drei Gefährten noch einmal, dann folgten sie ihr. Über den Platz, vorbei an den Gestalten, die scheinbar keine Knochen hatten und sich in alle Richtungen verbogen, als seien sie aus Kautschuk. Sie formten Pyramiden und sprangen wild durcheinander.
    Zwischen ihnen turnte noch das kleine Mädchen mit ihren Hunden herum.
    Fasziniert sah Theical dabei zu, wie die Tiere jedem Befehl folgten, den die Kleine von ihnen abverlangte. Mal drehten sie sich einzeln nach links, dann gemeinsam nach rechts, schlugen Haken und rollten sich über den Boden. Wie lang es wohl dauerte einem Tier so etwas beizubringen?
    Liranda führte sie an einer Reihe Wagen vorbei, an denen gerade einige Männer werkelten, oder die Zugtiere abspannten. Neben diesen Muskelprotzen wirkten sogar Jaris und Zacharas wie kleine Männchen. Besser war es, es sich mit ihnen nicht zu verscherzen. Die Muskeln waren sicherlich nicht nur zur Verzierung.
    „Da wären wir“, meinte Liranda schließlich und blieb vor einem bunt bemalten, leicht in die Jahre gekommenen Wagen stehen. Sie lächelte die drei Männer an, während diese sich den Wagen näher ansahen. Er war nicht sonderlich groß, sollte aber für fünf Personen als Schlafplatz ausreichen.
    Aras öffnete die Tür und warf einen Blick hinein. An ihm vorbei konnte Theic eine kreuz und quer gestreute Unordnung ausmachen. Ein wenig Dreck zeigte zudem, dass der Wagen schon eine Weile nicht mehr verwendet wurde. Ansonsten schien er aber noch völlig im Takt zu sein. Immerhin besser, als weiterhin in einer Höhle zu schlafen.
    „Ihr werdet euch sicher schnell einleben“, kicherte die Wahrsagerin, als die Aras Blick begegnete, der alles andere als erfreut aussah. „Wenn ihr Hunger habt und euer Nachtlager steht, könnt ihr gern mit zum Essen kommen. Wir haben genug für alle.“ Ein erneutes Lächeln huschte über ihr dürres Gesicht, dann drehte sie sich von der Tür weg. „Bei Fragen, wendet euch einfach an jemanden, wir beißen nicht.“ Noch während sie sprach, begann die Frau plötzlich ein wenig in der Luft zu wedeln. Nach kurzem Umsehen erkannte Theic auch warum. Thyra kam mit dem Soldaten und den Pferden über den Platz gelaufen. Suchend gingen die Blicke der beiden über die seltsamen Gestalten und die Wagen. Als sie die winkende Frau bemerkten, lächelten jedoch beide und kamen auf sie zu.
    Dabei schien der Soldat irgendwas zu erzählen, woraufhin Thyra zu kichern begann. Aus einem Grund heraus, schien sie sich auf einmal ziemlich gut mit dem vermeintlichen Verräter zu verstehen. Schon Jaris hatte sich den ganzen Vormittag mit ihm geplauscht. Bei Gelegenheit musste er Thyra einmal danach fragen.
    „Die Pferde könnt ihr zu unseren stellen.“ Liranda zeigte mit ihrer dürren Hand zu einem provisorisch errichteten Zaun, hinter dem einige bullige Pferde standen, kaum, dass die beiden mit den Tieren vor ihnen standen. Thyra und der Soldat nicken und änderten ihren Kurs ab.
    Liranda verschwand ebenfalls mit der Begründung, dass sie noch etwas zu erledigen hatte.
    Kaum war die Frau verschwunden, wandten sich die Gefährten zu Aras um.
    „Schauleute? Euer Ernst?“, fragte Jaris mit verschränkten Armen.
    „Habt Ihr eine bessere Idee, Jaris?“, gab der Herzog zurück.
    Jaris zögerte, schüttelte dann aber den Kopf.
    „Also reisen wir mit ihnen mit, bis wir hoffentlich unentdeckt in der Daris-Wüste ankommen?“ Theic hatte keine Lust sich mit Aras zu streiten, gebracht hätte es ihm sowieso nichts, also versuchte er sich so gut es ging, mit der ganzen Sache zu arrangieren. Immer noch besser, als sich von eventuellen Kopfgeldjägern in den Hintern treten zu lassen.
    „Gut erkannt!“, schnaufte Aras nur. Er ließ sich auf der Türschwelle des Wagens fallen. „Das ist der Plan.“ Für einen kurzen Moment war Theic überrascht, dass Aras überhaupt einen Plan zu haben schien.
    „Na, wenn das mal gut geht.“ Jaris blickte den Herzog skeptisch an.
    „Was macht ihr denn für lange Gesichter?“, unterbrach Thyra das Gespräch der Männer. Fröhlich kam sie auf den Wagen zugelaufen, den Soldaten im Schlepptau. „Das ist ein Zirkus, da jammert man nicht herum, sondern freut sich über das Leben.“
    „Das kann auch nur von einer Frau kommen“, moserte Aras.
    „Es kann ja nicht jeder so eine miesepeterige Laune haben, wie ihr.“
    Thyra sah sich aufgeregt um. Im Gegensatz zu allen anderen, schien sie sich sogar über den Umstand zu freuen, dass sie nun mit dem Wanderzirkus reisen würden.
    „Wie auch immer“, Aras erhob sich wieder, „bringen wir den Wagen in Ordnung, damit wir unser Nachtlager aufschlagen können.“
    Die Gruppe stimmte dem zu, und machte sich daran, den Wagen bewohnbar herzurichten. Was bedeutete, ihn zu putzen und alles Unnötige loszuwerden, damit alle einen Platz zum Schlafen finden konnten. Aras beaufsichtigte das Ganze, machte selbst jedoch keinen Finger krumm.

    Erst am späten Nachmittag gesellten sie sich mit zu den anderen. Die Mitglieder des Zirkus hatten sich in einem großen Kreis um ein Feuer versammelt, unterhielten sich und lachten miteinander.
    Sie ließen sich ein klein wenig abseits auf dem Boden nieder. Sofort kam der bunt gekleidete Mann, mit dem Zylinder auf sie zugerannt. Wobei rennen der falsche Begriff war, eher kam er angeschwankt.
    „Bedient euch!“, meinte er und deutete auf den Kessel, der über dem Feuer hing. Daneben standen noch einige hölzerne Schüsseln griffbereit auf dem Boden. „Ihr könnt so viel essen und so lang bleiben wie ihr wollt, wenn ihr an unseren Vorstellungen teilnehmt. Ich würde nur vorher gern sehen, was ihr könnt“, meinte Wilkin. Seufzend ließ er sich neben ihnen fallen. In seiner Hand hielt er einen Krug. Der Inhalt war schwer zu deuten, aber wegen der roten Wangen und Nase, konnte es sich nur um etwas Alkoholisches handeln. „Damit ich weiß, wie und wann ich euch einsetzen kann.“ Theic rümpfte die Nase. Wilkin schien ihnen nicht wirklich zu vertrauen. Dass Jaris und Aras Waffen bei sich trugen, machte die Sache sicher auch nicht besser. Wäre er der Mann, würde er wohl ebenso handeln. Schließlich hingen die Einnahmen von den jeweiligen Fähigkeiten der Akrobaten ab, da konnte er es sich nicht leisten, eventuell Tagelöhner bei sich aufzunehmen.

  • Thyra löffelte sich etwas aus dem großen Topf in ihre Holzschale, als Wilkin die Frage nach ihren Fähigkeiten stellte. Sie musste lächeln. Dass sie ihre Fähigkeiten mal so verkaufen würde, hätte sie sich nie träumen lassen, aber die freute sich darauf vor allem vor Aras zu glänzen. Dieser legte gerade die Schüssel zur Seite und antwortete: "Nichts leichter als das!" Auf seinen Handflächen erschienen Feuerbälle und Wilkin sog beeindruckt die Luft ein, meinte aber dann: "Das wird wohl nicht reichen. Ihr müsst schon etwas länger was zu bieten haben."
    Aras musterte sein Gegenüber nur abschätzig und warf die Feuerbälle in die Luft. Auf seinen Handflächen erschienen neue und er begann zu jonglieren. Kreuz und quer flogen die Kugeln durch die Luft. Vor ihm, hinter ihm, neben ihm, über ihm, unter seinen Beinen durch, über Kreuz und über die Schultern. Dabei tanzte Aras sogar ein kleines bisschen und untermalte seine Darbietung mit Mimik und Gestik. Einige der Schausteller stiegen auf seine Show ein, holten kleine Flöten und trommeln hervor und begannen ein Lied im Rhythmus zu Aras Bewegungen zu spielen. Thyra ließ sich hinreißen und begann im Takt zu klatschen und Aras anzufeuern. Nach einigen Minuten flogen die Feuerbälle - mittlerweile 12 an der Zahl - in die Luft und explodierten dort in einem riesigen Feuerwerk. Die Musik verstummte und Aras verbeugte sich galant.
    "Nicht schlecht!", rief Thyra beeindruckt. So viel schaustellerisches Talent hätte sie dem sonst so steifen Herzog gar nicht zu getraut. Auch Theic und Jaris nickten anerkennend und klatschten. Als Aras den Blicken seiner Gefährten begegnete wurde sein Blick wieder kalt und hart. Er schien sich bei seiner Darbietung geöffnet zu haben, was ihm so gar nicht zu behagen schien. Dennoch: Wilkins Segen hatte er.
    "Und du?", wandte sich der Mann mit Zylinder an Jaris.
    Auf Jaris Lächeln erschien ein zurückhaltendes Lächeln. "Es ist eine Weile her, seit ich meine Kunststücke praktiziert habe."
    "Keine falsche Scheu!", munterte Thyra ihn voll Übermut auf. Ein strafender Blick des Leibwächters konnte das freche Grinsen nicht aus ihrem Gesicht wischen. Jaris seufzte, musterte sie alle resignierend und schlug aus dem Stand drei FlicFlacs hintereinander und schloss mit einem Salto.
    "Mit Sprungtüchern oder dem russischen Barren geht es besser", sagte er und schaute bescheiden drein, während Thyra die Kinnlade runterklappte. Hier taten sich wirklich ungeahnte Talente auf.
    "Das lässt sich einreichten", nickte Wilkin und akzeptierte, dass Jaris nicht zu weiteren Kunststücken aufgelegt war.
    Murrend setzte er sich neben Thyra.
    "Was ist los?", fragte sie. "Das war beeindruckend!"
    "Ich bin kein Hund der auf Befehl vor aller Welt Kunststückchen macht!", grummelte der muskulöse Mann.
    "Was ist der Unterschied zwischen der Manege und Aras Umfeld?" Ein neckisches Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Jaris schaute sie an als hätte er sie am liebsten zu Asche verwandelt.
    "Warum muss Regar eigentlich nichts aufführen?", fragte Thyra, um das Thema zu wechseln.
    "Du kennst auch schon seinen Namen?", fragte Jaris erstaunt.
    Thyra nickte verlegen. "Er ist nett ..." Jaris erwiderte ihren Blick verstehend.
    "Nun was kenn der dritte Mann im Bunde?", unterbrach Wilkin ihr Gespräch.
    Theic wurde augenblick blass. "Was? ... Ich?", stammelte er.
    "Na wer denn sonst?" Wilkin hob ungeduldig eine Augenbraue.
    "Nun mach schon!", zischte Thyra und stieß ihm einen Ellbogen in die Seite.
    "Ich ... ich kann nicht" Die Jägerin merkte wie ihr Freund trocken schluckte und sie flehentlich ansah.
    "Auch die besten Schausteller haben Lampenfieber", versuchte nun auch Wilkin aufzumuntern. "Keine Sorge, wie beißen nicht. Zur Not kümmerst du dich eben um die Tiere, falls dein Talent nicht ausreichen sollte."
    Das kratzte nun doch an Theics Stolz, das bemerkte Thyra auf einen Blick, denn das Gesicht ihres Begleiters nahm wieder Farbe an und seine Augen verengten sich entschlossen zu Schlitzen.
    Er stand mit zittrigen Knien auf und stellte sich neben das Feuer in ihrer Mitte. Thyra war unglaublich gespannt, was Theic wohl vorführen sollte. Sie konnte sich - ehrlich gesagt - bei seiner abgerissenen Gestalt kein besonderes Talent vorstellen.
    "Ich brauche kleine Tiere. Ratten oder Mäuse oder so. Sie können auch wild sein", sagte Theic mit belegter Stimme. Sein Unwohlsein schien wieder überhand zu gewinnen.
    Eine Schaustellerin mit feuerroten Locken und grünen Augen sprang auf und holte aus einem der Wohnwagen einen Käfig in dem zwei Ratten saßen. Sie wirkten einigermaßen zahm.
    Sie drückte den kleinen Käfig Theic in die Hand. Er öffnete ihn umständlich und ließ eine Ratte in Freie laufen. Die andere schloss er wieder ein. Erstaunt über die plötzliche Freiheit blieb die Ratte vor Theic hocken und schaute erwartungsvoll zu ihm auf. Dann lief sie im Kreis um seine Füße, machte zwischendrin immer wieder Männchen, sprang wagemutig über einen glühenden Holzscheit und als Theic die Tür öffnete huschte sie freiwillig zurück in den Kasten.
    Thyra hatte zu sehen geglaubt, dass der Schatten der Ratte dem Tier immer einen winzigen Schritt voraus gewesen war, aber das konnte unmöglich sein ... oder doch? Fragend schaute sie Theic an. Dieser setzte sich neben sie und schaute sie auffordernd an. "Jetzt du!"
    "Was war das eben???", fragte sie und musterte ihn neugierig.
    "Das, meine Liebe, war eine einfache Form der Magie. Er kann Schatten kontrollieren. In der Tat nicht mehr als eine kleine Trickserei", antwortete Aras an Theicals statt.
    Theic zuckte mit den Schultern und schaute Thyra triumphierend in die Augen. Anerkennend schnalzte sie mit der Zunge.
    "Mir scheint eure Truppe kennt sich nicht wirklich." Wilkin wurde langsam misstrauisch. Zu Recht.
    "Wir haben uns vor kurzem erst in einer Taverne getroffen und festgestellt, dass wir alle Schausteller sind", erfand Jaris eine sehr fadenscheinige Ausrede.
    "Nun denn", sagte Wilkin. Er war es gewohnt, dass Gaukler oft zwielichtige Gestalten waren, die sich versuchten irgendwie über Wasser zu halten, dennoch spürten alle vier, dass er sie die nächste Zeit im Auge behalten würde. "Die Dame?", nickte er auffordernd in Thyras Richtung.
    Thyra stand auf. In ihrem ganzen Körper kribbelte es. Sie fühlte sich wie in dem Moment kurz bevor sie den treffenden Pfeil im Herz oder ihrer Beute versenkte.
    "Worauf soll ich schießen?", fragte sie und nahm mit einer geschmeidigen Bewegung den Bogen, der neben ihr gelegen hatte, vom Boden auf und legte einen Pfeil auf die Sehne.
    "Wie wäre es mit dem Stern auf Sentas Wohnwagen?", fragte Wilkin und deutete auf den Wohnwagen aus dem die Rothaarige zuvor die Ratten geholt hatte.
    Thyra nickte. Legte einen Pfeil auf die Sehen, zielte ... und schoss meterweit an ihrem Ziel vorbei.
    Erbost sprang Wilkin auf, rannte zu ihrem Pfeil, hob ihn auf und fuhr herum. "Willst du mich zum Narren halten?!", brüllte er ungehalten, doch da hatte Thyra die Sehne Iorweths erneut losgelassen. Mit einem leisen Surren zischte der Pfeil durch die Luft und schlug mit einem Pock im Schaft jenes Pfeils ein, den Wilikin in der Hand hielt und riss das Holz dem Schausteller aus der Hand.
    Erstaunt riss Wilkin die Augen auf und starrte Thyra an, die ihn lässig auf ihren Bogen gelehnt angrinste.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • "Das ist ja kuriositastisch fantastisch!", jubelte Wilkin ganz erstaunt und voller Euphorie strotzend. "Ihr, junge Frau Thyra, seid eine wahre Meisterschützin... Ach, was erzähle ich da..? Meisterpräzisionsschützin!"
    Da grinste sie frech in die Runde und bedankte sich mit einer leichten Verbeugung vor Wilkin. "Ich habe nur gemacht, was Ihr verlangt habt."
    "Und das war wirklich grandios! Ihr alle wart grandios... Naja, bis auf Ihr, wie war nochmal der Name..?" Nachdenklich fordernd blickte er Aras an. "Aras, ja... Ihr müsst noch etwas üben! Aber das wird bestimmt noch mit der Zeit. Dennoch reicht es bestimmt als kleine Eröffnungseinlage..."
    Empört riss der Lord sich hoch und fuhr auf, wie eine Furie, wie ein wilder Eber. "Was Ihr von mir wollt!? Haltet eure Fressluke geschlossen, Ihr halbabgebrochener Wicht von einem Mann! Ich werde Euch schon zeigen, was wahre Magie ist... Ich werde es euch allen zeigen..."
    Mit lauten Getöse, einer beschwingten Drehung zog er seinen Zauberstab hervor, aus der Deckung des Schattens, und ließ einen Blitz direkt in eine der Wimpel tragenden Metallstangen einschlagen. Es rumste und knallte. Lautes Heulen vom weichenden Wind, gefolgt von einem Lichtimpuls, der das ganze Gelände für einen Wimpernschlag taghell erstrahlen ließ.
    Wenn dies noch nicht genug war, riss er den Zauberstab wieder heran, drehte sich erneut um die eigene Achse und schleuderte herumstehende Töpfe, Werkzeuge und andere kleine Gegenstände mit gezielten Treffern hinfort.
    Nur knapp verfehlte einer der großen Hämmer den Kopf eines Schaustellers, welcher unachtsam über das Gelände stolperte, vermutlich noch immer leicht vom Blitz benommen.
    Zum krönenden Abschluss, einem Herzog wohl gerade gut genug, ließ er einen faustgroßen Stein vom Boden in tausend kleine Stücke zerplatzen und schleuderte diese Krümelchen wie Geschosse gegen einen nahegelegenen Baum und bespickte dessen Rinde.

    Alles war still. Alle starrten ihn ängstlich, gar furchtsam an. Selbst Wilkin war erschrocken und verblüfft davon. Thyra fiel glatt die Schale aus den Händen, deren Inhalt sich langsam über den Boden ergoss.
    Aras holte tief Luft und ließ, im Schutze des Überraschungsmomentes, seinen Zauberstab wieder in der Seitentasche verschwinden.
    "Was sagt Ihr nun, Wilkin? Seid Ihr nun überzeugt von meinen Magiekünsten?" Und jetzt blickte Aras ihn fordernd an.

    Mit zittrigem Körper und kreidebleich im Gesicht fing Wilkin an zu stammeln: "Da...da...das war... Ich, ähm... Wir sehen uns dann morgen..." Ohne weitere Worte ging er von dannen und beschleunigte schnell sein Tempo. Aras präsentierte sich stolz, aber auch sehr gekränkt der Gruppe gegenüber. Mit leicht zornigem Unterton wandte er sich an Thyra und Theical: "Behauptet nie wieder, ich sei kein fähiger Magier..!"
    Und dann stampfe er ebenfalls davon, Richtung Tiergehege. Was den anderen entging, waren seine gefolgten Tränen auf dem Weg über das Gelände, vorbei an den bunten Wagen und angetrunkenen Leuten, die sich einen Dreck um Zacharas´ Wohlergehen kümmern würde.
    Es ging ihm körperlich, gesundheitlich gut. Aber sein Innerstes, seine Gefühle waren verletzt. Nicht unbedingt wegen der Torheit Wilkins, sondern viel mehr wegen der aktuellen Lage.
    Schließlich war Aras nun auf der Flucht, mehr oder weniger. Und er war unsicher, ob es nun vielleicht doch an seinen Begleitern lag. Spielte einer von ihnen ein falsches Spiel, so wie es Wilkin verlangte? Dumme kleine Tricks. Kunststückchen, um das zu verbergen, war dieser Leute wahre Natur war? Wem konnte er noch vertrauen? Sich selbst? Oder Jaris, der ihm immer noch etwas misstrauisch gegenübertrat? Oder Regar, der sich anscheinend auch langsam gegen den Herzog wendete?

    Nachdenklich lehnte er sich auf einem Holzbalken ab und beobachtete die exotischen Tiere, wie sie schliefen und amüsierten. Solch ein Wesen müsste man sein. Nicht unbedingt in Gefangenschaft, aber zumindest so unbeschwert. Dieses graue Tier, mit der langen Nase und den großen Ohren, könnte ihm gerecht werden. Prächtig und stämmig wie eine Eiche. Oder eines dieser großen Katzen, mit der gesprenkelten Haut und den langen Krallen. Ebenso gefielen ihm die Vögel, so groß wie er selbst und noch einen Kopf überragend. Schwarzweißes Gefieder und so flink wie ein Hirsch auf der Flucht. Als würden die Vögel sich vor den Feinden verstecken wollen, so sah es aus, wenn sie ihren Kopf dem Erdboden entgegenstreckten.

    Jemand kam zu ihm, auf leisen Sohlen, sofern diese Person überhaupt Schuhe trug. Es war Weissagerin Liranda, die sogar barfüßig unterwegs war. Als hätte sie es geahnt, dass Aras Hilfe oder Zuwendung benötigte, erschien sie zur rechten Zeit und keinen Moment zu spät. Vorsichtig gesellte sie sich zu ihm und lehnte sich ebenso am Holzbalken an. Verführerisch angedeutet, fuhr sie sich durch die braunen Haare und schaute ihn freundlich lächelnd an.
    "Ich habe Euch beobachtet, Gaukler Aras..."
    Leicht angewidert drehte sich von ihr weg und begutachtete nun mehr aus dem Augenwinkel die Tiere.
    "Was benehmt Ihr Euch nun so schüchtern und abweisend?", fragte sie und ruckte etwas näher. "Ihr könnt wirklich gut Magie wirken..."

    "Als wenn Ihr eine Ahnung hättet", brachte er ihr nur abschätzig entgegen.

    "Ich weiß, wer Ihr seid...", begann sie und presste ihren Mund gegen sein Ohr, "Zacharas van Júmen!"
    "Was Ihr für einen Unsinn redet, abscheuliche Frau..." Er ging davon, weiter um die Tiere herum.
    "Ihr braucht nicht weglaufen, Gaukler..." Sie folgte ihm sofort und holte ihn schon bald ein, weil er es eigentlich auch sehnlichst verlangte, eine ihm Gleichgesonnene zu finden. "Ich bin nicht zwangsläufig gegen Euch, Herzog. Schließlich werdet Ihr mir etwas schuldig sein..."

    "Schuldig?", fragte er skeptisch.

    "Ja, schuldig. Ich geleite Euch sicher nach und in Eisenfurt. Ihr wisst, was dort vor sich geht, nachdem Ihr das Evaniskloster besucht habt?"
    Er schüttelte den Kopf. "Egal, was es ist. Ich werde damit noch einmal fertig."
    "Einige Eisenfurter waren nicht sehr erfreut darüber, als sie von dem tragischen Tod der Schwestern erfuhren..."

    "Aber sie waren finster und besessen!", rechtfertigte Aras sich sofort.

    "Sie waren aber junge Frauen. Manche kaum älter wie zwanzig Jahre..."

    "Trotzdem waren sie alle besessen! Zwölf meiner Männer hatten sie auf dem Gewissen. Ganz zu schweigen von den Jungfrauen und Kindern..."
    "Ich zweifle nicht an Eurer Weisheit und Gerechtigkeit, Zacharas van Júmen. Aber sie waren freie gläubige Frauen... Ganz Eisenfurt war kulturell und religiös an ihnen gebunden."

    "Ich habe Eisenfurt niemals dem Glauben beraubt, Liranda! Ebenso wenig tat ich es aus Habgier oder Mordlust. Sie waren blutrünstige Bestien. Triebgesteuerte Scheusale. Vampirinnen!"

    "Aber sie waren Frauen, mit Kindern und Familie..."

    "Sie sind alle tot und das Volk braucht sich nun nicht mehr zu fürchten. Ich werde trotzdem weiter mitreisen, auch wenn Ihr mir nun mit solch kleingeistigen Schaudergeschichten das Fürchten lehren wollt. Ich bin Euch nichts schuldig, Liranda!"
    "Dann bin ich wohl doch gezwungen, den anderen zu sagen, wer Ihr wirklich seid..." Sofort machte sie kehrt und stakste los.

    Und Aras wusste, dass er keine Wahl hatte. Denn vor einer Weissagerin hatte er vollsten Respekt. Schon einmal wandte er sich an eine und dies endete verheerend für deren Volk. "Haltet ein, Liranda... Ich lasse mich drauf ein... Ich lasse mich in Eurer Schuld stehen."

  • Jaris fühlte sich als hätte er auf einem Sack Kiesel geschlafen. Den ganzen gestrigen Tag hatten sie trainieren müssen, doch während die anderen Feuerbälle hin und her warfen, Pfeile schossen oder Tieren sagten, was sie tun sollten, musste er mit den anderen Athleten Pyramiden bauen, Saltos schlagen und ähnliche sinnlose Dinge machen. Zacharas durfte nach seinen Ausbruch vor kurzem im Zelt, der Jaris daran erinnert hatte, dass er immer darauf achten musste, dass er den Herzog nicht zu sehr reizen durfte, sowieso machen was er wollte. Jaris Muskeln brannten, doch trotzdem hievte er sich aus dem Bett und zog sich leise, um die anderen nicht zu wecken, um. Da seine Rüstung immer noch in seinen Satteltaschen verstaut war, musste das Hemd, die Hose und der Mantel ausreichen. Als er fertig war griff er nach seinem Schwert auf dem Boden direkt neben seinem Bett, sowie nach dem Schwertgurt auf der Kommode daneben und schlich sich nach draußen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und am Horizont zeigte sich erst die erste Röte des Morgens, weshalb er nahezu allein in dem Lager war. Nur ein abgemergelter Hund stromerte durch die behelfsmäßigen Gassen, auf der Suche nach irgendwelchen Futterresten. Jaris runzelte die Stirn. Wilkin hatte versprochen an diesem Tag weiterzuziehen. Wirklich viel vorbereitet schien noch nicht zu sein. Es würde wahrscheinlich Tage, vielleicht sogar eine Woche dauern bis sie überhaupt in Eisenfurt wären. Wenigstens würde man dann in dieser Gegend längst nicht mehr suchen und vermuten sie wären schon viel weiter von Ymilburg entfernt. Trotzdem hätte er es lieber gehabt, wenn sie so schnell wie möglich unterwegs gewesen wären. Jaris verließ das Lager und trat in den Wald. Während hinter ihm noch schläfrige Stille herrschte, fand er sich hier bereits inmitten einer leisen, jedoch blühenden Geräuschkulisse wieder. Vögel zwitscherten, Blätter raschelten. Er zog sein Schwert mit einem schneidenden Geräusch und begann es durch die Luft zu wirblen. Kein Mensch konnte eine Kunst bewahren ohne sie zu trainieren. Ebenso war es mit dem Schwertkampf. Nach und nach ging er Übung für Übung durch, die ihm Rendal einst gelehrt hatte. Übte Schrittfolgen, wie beim Tanz, parierte, schlug zu, hieb und wich imaginären Schwertstößen aus. Seine Gegner waren die Schatten und seine Fantasie, doch während er das Schwert schwang und seinem Körper das Denken überließ, kamen sie ihm ganz real vor. Seine Muskeln reagierten wieder wie gehabt. Sie vergaßen ihren Schmerz und spannten bzw. entspannten sich im Wechsel. Er war noch nie so ein bulliger Muskelprotz gewesen, wie die starken Männer des Zirkus, das hatte das Elfenblut in seinem Körper zum Glück verhindert. Stattdessen war er eher der athletische Typ, der zwar keine Stahlmasten verbiegen konnte, dafür aber nichts an Beweglichkeit einbüßte. Wieder seinen Übungen nachzugehen, die im Laufe der Jahre für ihn fast so etwas wie ein Ritual geworden waren, ließ ein Glücksgefühl durch seinen Körper schwemmen. Er war frei, endlich. Mit jedem Schlag wurde er schneller, bis seine Klinge vor den Augen verschwamm. Jeder Schritt war auf jeden Hieb und jeder Stoß auf jeden Sprung abgestimmt. Er hätte ewig so weiter machen können. Es fühlte sich an als könne er es mit der ganzen Welt und im Notfall auch noch mit mehr aufnehmen können. Dann plötzlich tönte jedoch ein Knacken über die Lichtung, das in seinen durch das Adrenalin sensibilisierten Ohren wie eine Explosion klang. Blitzschnell wandte er sich um und richtete sein Schwert auf die Quelle des Lautes. Vor ihm stand, oder vielmehr kniete, Thyra. Sie musste wohl von ihm geweckt worden sein und war ihm dann offensichtlich nach draußen gefolgt. Beinahe so schnell wie er sein Schwert auf sie gerichtet hatte, senkte er es und eilte zu ihr, um ihr auf die Beine zu helfen. Sie sagte nichts, aber ihr Gesicht verzog sich Schmerz, als sie ihr linkes Bein belastete. Jaris war schon vorher aufgefallen, dass sie zeitweise leicht zu humpeln schien. Nun musste das Bein nachgegeben und sie zu Fall gebracht haben. Eine andere Erklärung warum die gewandte Jägerin so laut gewesen war, konnte er sich nicht vorstellen. "Entschuldige bitte", sagte sie, als sie wieder auf ihren eigenen Füßen stand, "Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte nur mit dir sprechen ohne dass Zacharas mir ständig dabei über die Schulter guckt." Jaris winkte ab. "Ich kann euer Bein vielleicht heilen", bot er ihr zögernd an, "Aber ich habe schon seit langem keinen Heilzauber mehr angewandt und keine Ahnung, ob ich es noch hinbekommen." Sie überlegte kurz, nickte dann jedoch und setzte sich ins Gras. Jaris kniete sich neben sie und fasste nach ihrem Knöchel. Einen Moment lang musste er sich konzentrieren, doch dann spürte er wie seine Fingerspitzen vor Energie prickelten. Kurze Zeit später war der Prozess vorüber und er zog die Hände zurück. "Besser", fragte er erleichtert nicht stattdessen die Lichtung in die Luft gejagt zu haben, oder so etwas. Thyra bewegte ihren Fuß prüfend und nickte dann. "Weshalb wolltest du denn mit mir sprechen?", fragte Jaris. "Über den Soldaten", antwortete Thyra, "Und darüber", sie schluckte als ob es ihr nicht behagte den Satz fortzuführen, "Wie wir ihn loswerden."

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Schon seit einiger Zeit hatte er nicht mehr so gut geschlafen. Nicht sehr bequem, aber immer noch besser, als in seinem alten Bett in Gerisa.
    Ein wenig streckte sich Theic, als er sich von seinem Lager erhob und herzhaft gähnte. Danach sah er sich suchend um. Nur noch er, der Soldat und Aras waren in dem kleinen Anhänger. Thyra und Jaris mussten bereits aufgestanden sein. Schulterzuckend stand er auf und schlich sich an Aras vorbei. Dieser lag auf dem Rücken, kerzengerade und die Hände auf dem Bauch über der Decke verschränkt. Hätte er nicht so ruhig geatmet, wäre Theic nie auf die Idee gekommen, dass der Herzog schlief.
    Leise öffnete er die Tür und stieg über die Stufe ins Freie. Hinter sich drücke er sie wieder ins Schloss.
    Die Luft außerhalb war noch frisch und die Sonne erst aufgegangen. Aber das war auch schon alles. Noch war niemand wach, dabei hatten die Zirkusleute noch am Abend zuvor damit geprallt, schnell weiterziehen zu wollen. Soviel dazu.
    Theical sah sich nachdenklich um. Ein wenig Wasser wäre nicht schlecht. Seit sie losgereist waren, hatte er sich noch nicht einmal richtig gewaschen. Er musste selbst langsam riechen, wie die fremdartigen Tiere in ihren Gehegen. Soweit er sich noch erinnern konnte, hatte einer der Artisten erzählt, dass es im Wald einen Fluss gab. Logisch, schließlich mussten sie auch irgendwoher ihr Wasser beziehen. Sei es zum Kochen, oder zur Versorgung der Tiere.
    Ein Blick zurück und er lief auf die dichten Bäume zu. Kaum, dass er den Wald betreten hatte, erklang das vertraute Gezwitscher der Vögel und das Rauschen der Blätter. Es war wohltuend und beinahe wäre auch der Stress der letzten Tage von ihm abgefallen. Doch der ständige Gedanke, verfolgt zu werden, war nicht so leicht zu vertreiben.
    „Ihn loswerden?“, hörte er plötzlich eine Stimme fragen. Erschrocken warf sich Theic hinter einen Busch, rechnet er doch schon mit einem Hinterhalt der eben erwähnten Verfolger. Erst, als er am Boden saß erkannte er, zu wem die Stimme gehörte. Er erhob sie wieder und blickte an dem Gestrüpp vorbei. Tatsächlich sah er dort Jaris hocken. Neben ihm saß Thyra mit angezogenen Beinen. Dass die beiden nicht mehr im Anhänger waren, hatte er schon bemerkt, dass sie aber zusammen herumhingen, hatte er nicht erwartet. Was trieben die hier?
    Ungläubig wurde die Jägerin von Jaris gemustert.
    „Ich weiß nicht“, nuschelte diese in ihren nicht vorhandenen Bart. Kurz sah sie sich im Wald um. „Mit loswerden habe ich auch nicht gleich gemeint, dass wir ihm etwas antun müssen. Aber was ist, wenn er wirklich der Verräter ist und er uns noch gefährlich werden kann?“
    Jaris wirkte nachdenklich.
    „Wenn der Brief von ihm ist, dann gibt es wohl keinen Zweifel. Ich kann schon verstehen, warum sie ausgerechnet Regar geschickt haben. Er ist sympathisch. Du sagtest ja selbst schon, du fändest ihn nett.“
    Thyra nickte.
    Regar. Der Name sagte ihm nicht viel, aber anhand der Worte vorher konnte sich Theic schon denken, um wen sich das Gespräch drehte.
    „Aber ihn loswerden?“, überlegte Jaris weiter. „Wir würden uns bei Aras nicht gerade beliebt machen, wenn wir einfach seinen Soldaten beseitigen, ohne, dass er etwas von unseren Beweggründen wusste. Er wird glauben, einer von uns wäre der Verräter, der alle auf seine Seite gebracht hat und die, die es nicht wollen, umbringen will. Aras ist nicht dumm, aber er ist misstrauisch.“
    „Vielleicht hast du recht, aber was sollen wir sonst machen? Nur herumsitzen und warten, bis etwas passiert?“
    Wie um ihren Worten zu widersprechen stand Thyra auf. Jaris kam ebenfalls wieder auf seine Beine.
    „Ich habe eine Auge auf Regar.“
    Thyra schien über die Worte nicht sehr erfreut zu sein, denn ein skeptischer Ausdruck legte sich über ihr Gesicht.
    „Und wenn das nicht reicht?“

  • „Und wenn wir Aras mit ins Boot holen?“, fragte Theic.
    Jaris und Thyra zuckten nicht mit der Wimper, als er aus dem dichten Geäst drang. Beide mussten ihn schon gehört haben.
    Thyra hob den Blick zu Jaris und auf einmal schossen ihr tausend Fragen durch den Kopf. Diese mussten allerdings erstmal warten, denn es gab ein wichtigeres Problem zu lösen.
    „Aber Jaris meinte doch, dass er denkt, dass einer von uns der Verräter ist, der nur alle anderen auf seine Seite gezogen hat“, warf Thyra ein.
    Jaris nickte. „Er würde an seinem eigenhändig ausgewählten Personal niemals zweifeln. Und Gott bewahre mich an dem Tag, an dem er damit anfängt.“ Die Stirn des Mannes legte sich in tiefe Falten.
    Theic nickte, argumentierte aber dennoch: „Wir haben den Zettel als Beweis.“
    Thyra schüttelte den Kopf. „Den hätte jeder von uns schreiben können.“
    Jaris Blick erhellte sich ein wenig. „Es gibt einen Zauber, der Handschriften abgleicht. Ich kann ihn nicht wirken und ich weiß nicht ob Aras es kann, aber so könnte er überführt werden.“
    „Wenn du nicht weiß, ob Aras es kann, dann hat es keinen Sinn ihn danach zu fragen“, überlegte Thyra, die von der Idee nicht ganz abgeneigt war. Außer von dem Part, bei dem Aras ihre Handschrift auf dem Zettel erkennen würde und wahrscheinlich ein furchtbares Theater machte, warum man ihn nicht sofort benachrichtigt hatte. Sie verdrehte schon mal prophylaktisch die Augen.
    „Fragen kostet nichts“, warf Theic sein.
    „Wir müssen ihn nur überzeugen, diesen Zauber dann auch anzuwenden“, meinte Jaris.
    „Wenn er es aber nicht kann“, warf Thyra ein, „Dann haben wir das Problem, dass er wieder denkt, dass einer von uns der Verräter ist, der alle anderen überzeugt hat, da er seiner Wache auf keinen Fall misstrauen kann und wir auch nicht nachweisen können, dass es tatsächlich Regar war.“
    Jaris und Theic nickten verstehend. „Dann gilt unauffällig heraus zu finden, ob Aras diesen Zauber beherrscht...“
    „Das sollte kein Problem sein“, spottete Theic. „So wie der sich bei den Schaustellern gerade zu profilieren versucht. Hätte nicht gedacht, dass ein Herzog wie Aras sowas nötig hat.“
    Jaris grinste, verteidigte aber dennoch seinen aktuellen Herrn: „Wilkin hat ihn einen schlechten Zauberer genannt, da rastet jeder Zauberer aus.“
    „Ich nicht.“ Theic zuckte gleichgültig mit den Schultern.
    „Du bist ja auch kein richtiger Zauberer“, antworte Jaris und grinste.
    „Hallo? Und was war das mit den Schatten?!“, fragte Theic erbost.
    „Siehst du? Du regst dich doch auf!“
    „Jungs!“, unterbracht Thyra das Gespräch der beiden energisch. „Das ist albern!“
    Sie musterte die beiden Männer die sich noch kurz halb im Spaß, halb im Ernst anfunkelten und dann der Jägerin ihre Blick zu wandten. Sie wartet bis sie die Aufmerksamkeit der beiden hatte, ehe sie fortfuhr: „Also bleiben wir erstmal dabei heraus zu finden, ob Aras diesen Zauber wirken kann und dann zeigen wir ihm den Zettel. Wenn er es nicht kann, müssen wir uns eben etwas Neues ausdenken.“
    Einstimmiges Nicken ging durch die Runde.
    „Dann lasst uns zurück gehen“, meinte Jaris. „Die Schausteller wollten heute ja weiter ziehen. Wir sollten auch anfangen zu packen.“
    Die beiden anderen folgten ihm gehorsam und machten sich auf den Weg zurück zum Wohnwagen.

    Eilig hatten die Gefährten ihre Sachen zusammen gesucht und ihm Wohnwagen verstaut. Viel war es nicht gewesen, aber die hatten ihren Pferden noch die Satteltaschen geleert, damit diese auch lange Strecken mit weniger Strapazen durchstehen konnten. Die Schausteller hatte ihre Zelte in Windeseile abgebrochen. Jeder Handgriff saß und jeder wusste genau, was er zu tun hatte. Die Neuen wurden eingewiesen und wussten auch, was sie beim nächsten Aufbau erwartete.
    Das alles hatte nicht länger als zwei Stunden gedauert und so waren sie am frühen morgen aufgebrochen.
    Nun saßen Thyra und Jaris auf dem Kutschbock ihres Wohnwagens. Ihre Pferde hatten sich in das Geschirr gespannt und der Krieger hielt die Zügel, während Thyra die frühe Morgensonne auf ihrer Haut genoss.
    Theic ritt hinter ihnen gemeinsam mit Aras. Der junge Mann hatte sich davon abbringen lassen zu reiten. Er sagte, er müsse es lernen, denn sie würden ja nicht ewig bei den Schaustellern verweilen, also hatte er sich mit Thyra auf den Kompromiss eingelassen, alle paar Stunden zu tauschen, denn den ganzen Tag wollte er sich dann doch nicht auf einem Pferderücken antun. Thyra schmunzelte.
    „Was ist los?“, fragte Jaris, der einen Seitenblick auf sie geworfen hatte.
    „Nichts“, lächelte sie unverbindlich, aber dann kamen ihr wieder einige ihrer Fragen in den Sinn. Sie wusste, dass Jaris mit Nichten alle beantworten würde, aber sie wollte es wenigstens probieren. „Sag mal“, begann sie zaghaft. „Was verschlägt jemanden wie dich in die Dienste dieses Tyrannen?“

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • "Seid Ihr auch wirklich sicher, dass Ihr mit den Gauklern reisen wolltet?"
    "Warum denn nicht, Theical?"
    "Nun ja..." Kurz wanderte sein Blick zum Wegesrand, als würde er etwas suchen. "Immerhin werdet Ihr ja gesucht..."
    "Und was hat das hiermit zu tun?"
    "Gute Frage..."
    "Natürlich ist das eine gute Frage! Immerhin habe ich sie gestellt." Selbstgerecht hockte er auf seinem Pferd und versuchte seine Unsicherheit mit Arroganz und Abwertung zu überspielen. "Ihr sollt nicht immer so viele unnütze Fragen stellen, Theical. Wollt Ihr denn nicht mal etwas Sinnvolles erlernen oder erfahren?"
    "Was meint Ihr!?", erwiderte der kleine Mann leicht erbost. "Ich finde es gar nicht nett, wie Ihr über mich urteilt."
    "Warum urteilen? Ich lege nur die Fakten offen nieder und erläutere Offensichtliches."
    "Nein, das tut Ihr nicht! Ihr beleidigt mich die ganze Zeit und behandelt Thyra auch nicht angemessen respektvoll."
    "Was Ihr von mir wollt? Seid gefälligst froh, dass Ihr mitkommen könnt... Nur den Wenigsten ist es gestattet, sich überhaupt mir zu nähern. Und außerdem ist das mein Dank an Euch, weil Ihr mir ein sehnsüchtiges Geschenk überreicht habt."
    "Und warum..?"
    "Was warum..?"
    "Und Thyra? Ich verstehe nicht, warum dann sie mitkommen sollte. Und was habt Ihr eigentlich mit Jaris am Hut?"
    "Warum sollte sie denn nicht mitkommen? Ihr würdet ohne sie gar nicht zurechtkommen, mein lieber Theical. Und was Jaris angeht..." Er kehrte in sich und überlegte nochmal die korrekte Formulierung. "Jaris hat sich von Anfang an als würdig erwiesen und eben das ist er auch. Mein Leibwächter, der mich eigentlich vor solchem geistig unterprivilegierten Gesindel wie Euch beschützen sollte..."

    Und da war Theic endlich mal still. Das kränkte ihn sehr, aber Aras störte das nur bedingt. Ihn kümmerten solche Gefühlsduseleien nicht. Er stand über diesen Dingen und wäre eigentlich nur froh gewesen, wenn der Knirps sich gar nicht erst dazu entschlossen hätte, neben Aras zu reiten. Und das kam ihm auch sehr merkwürdig vor. Denn es wirkte ganz so, als wollte Theical es von sich aus. Als ob es ihm etwas nützen würde, oder er dadurch einem bestimmten Ziel näher kommen würde. Doch was sollte es sein?

    "Erzählt mir doch mal, was genau Ihr alles kontrollieren könnt", meinte der Herzog und blickte erwartungsvoll zu ihm hin.
    "Wie bitte?"
    "Eure Magie, Herr Theical. Ihr habt niedere Magie angewandt. Was könntet Ihr denn zum Beispiel noch so alles kontrollieren und lenken?"
    "Ich verstehe nicht ganz, worauf Ihr nun hinaus wollt."

    "Ihr könnt Schatten von Tieren lenken und kontrollieren. Ist das Euch auch schon mal bei etwas Größerem gelungen? Sagen wir mal...einem Pferd."
    "Das finde ich nicht witzig! Nur weil Ihr faule Zauberei anwendet, die mehr Zerstörung als Freude verbreitet, müsst Ihr meine Magie noch lange nicht so abwerten..."
    "Ich habe Eure Magie gar nicht abgewertet. Eure Gefährtin meint, dass es nur Spielerei ist. Ich dagegen finde nicht, dass es nur zur Unterhaltung dient. Ich sehe schon gewisses Potenzial darin."

    Ungläubig blickte Theic ihn an. "Was habt Ihr vor, Aras? Wollt Ihr mich meiner Kräfte berauben? Ich will Eure Hilfe nicht. Eure nicht!"
    "Wer sagt denn, dass ich Euch Hilfe anbieten will? Ich habe nur gesagt, dass in Euch großes Magietalent schlummert." Und dann musterte Aras ihn wieder mal eingehend. "Ich wüsste auch nicht, warum ich einem solchen Flegel in die höhere Magie einführen sollte..."
    "Ich will Eure dumme Magie gar nicht erlernen, Za...Aras! Ich will eigentlich auch gar nicht hier sein, an diesem langweiligen Ort. In dieser Gegend und mit solchen vollkommen unnützen Leuten. Ich mag Euch so schon nicht wirklich, aber mit dieser Aktion habt Ihr echt mal den Vogel abgeschossen!"

    "Warum denken immer alle, dass ich ihnen was Böses will? Wollt ihr alle nicht verstehen, dass schon allein die Geselligkeit mit mir ein Sack Goldstücke wert ist? Was wollt Ihr denn sonst machen? Wieder zurück reisen, zu Eurer Familie? Denkt Ihr etwa, dort habt Ihr es besser? Lernt doch endlich mal, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen... Immerzu wollt Ihr Dies und Jenes, jammert daran rum und faulenzt in dieser Ecke. Wisst Ihr eigentlich auch nur ansatzweise, was ich in meinem Leben schon alles durchgemacht und vollbracht habe? Habt Ihr vielleicht einen Rauch Ahnung von der Komplexität der Wirtschaft und Unterhaltung? Ihr kleiner Wicht wagt es, mich und meine Errungenschaften durch den Dreck zu ziehen und als dumm zu bezeichnen? Ich bin viel weiser, als ihr drei zusammen es jemals sein könntet. Ich bin mächtiger, als ihr drei es jemals zusammen sein könntet..."

    "Und warum sollten wir dann mitkommen, wenn Ihr doch so viel besser und klüger seid, als wir?", fragte Theic sofort ganz spöttisch.
    "Ganz ehrlich, Theical, Ihr seid es nicht wert... Ich weiß ganz genau, dass Ihr von mir etwas wissen wollt. Aber Ihr habt einfach nicht den Schneid, mal Euren Mann zu stehen und es zu sagen."
    "Ihr braucht doch nicht gleich so auszurasten..."
    "Was wollt Ihr? Was liegt Euch auf dem Herzen? Es ist mein Ernst, mit dieser aktuellen Sache. Ich will mit ihnen mitreisen und in Eisenfurt einen Zwischenstopp einlegen. Oder war nur das Eure Frage?"

    Schweigen brach aus. Stille, welche Aras sofort bekräftigte in seiner Vermutung, dass es doch nur schwachgeistige Floskeln waren. Unnützes Pseudointeresse, mit dem Ziel, den Lord aus der Fassung zu bringen. Doch würde es Niemanden so leicht gelingen, dies zu erreichen. Überlegen fühlte Zacharas sich nun, dem kleinen Kerl endlich mal Manieren beigebracht zu haben. Ihn zum Nachdenken gebracht zu haben, auf dass er beim nächsten Mal seine Fragen und Antworten wohl überlegt äußern würde.

    Doch dann unterbrach Theical das Schweigen und fragte: "Könnt Ihr Handschriften abgleichen?"
    "Wie bitte?", stammelte Aras verwirrt. "Wie, Handschriften?"
    "Nein, vergesst es wieder. Es war töricht von mir, Euch sowas zu fragen..."
    "Aber natürlich kann ich Handschriften abgleichen. Wenn der Text lang genug ist und ich die Originalhandschrift der Person kenne. Ihr habt meine Bücherregale gesehen? Alle Bücher habe ich persönlich durchgelesen, übersetzt und korrigiert! Ich habe sogar selbst einige Verfasst. Wenn ich es nicht weiß, dann muss es schon sehr exotisch sein... Oder war das jetzt nur eine rein rhetorische Frage?"
    "Nein, ich meine das ernst", erwiderte Theic.
    "Jetzt sagt aber nicht, dass ich Thyras Handschrift abgleichen soll."
    "Nein, nicht ihre. Aber Jaris´."
    "Jaris, sagt Ihr?" Aras grübelte und überlegte. Fiel ihm Etwas ein, wo Jaris mal was geschrieben hatte? Bis auf ein paar Unterschriften und Verträge eigentlich nichts. Doch war dies genug, um daran Jaris´ komplette Handschrift zu erkennen? Und außerdem stellte sich die Frage, was das bringen sollte. Warum sollte Aras wissen, wie Jaris schrieb? Lag es an Thyra? Wollte Theical etwa einen Brief überprüft haben? Einen Liebesbrief?
    Denn Jaris und Thyra schienen sich ja schon sehr gut zu verstehen. Obwohl sie sich erst seit ein paar Tagen kannten. Und wollte Aras eigentlich Theical helfen? Andererseits konnte er ihm so vielleicht mal einen Denkzettel verpassen und ihn noch viel eifersüchtiger machen. Oder den kleinen Kerl damit näher zu sich selbst finden lassen.
    "Und was ist, wenn es nicht Jaris´ Handschrift ist? Wisst Ihr dann, wem sie gehört?"
    "Exakt!"
    "Ja, dann könnte ich es mal versuchen."

  • Jaris schwieg einen Moment. Seine Geschichte war vieles, aber nicht gerade ruhmreich. Doch was hatte er für Alternativen. Und außerdem wollte er Thyra auch nicht anlügen. "Ich bin ein Söldner", begann er, "Der Hauptmann einer kleinen Bande hat mich als Kind von der Straße geholt nachdem..." Er unterbrach sich. "Ich habe jahrelang bei ihm gelebt und für ihn gekämpft", fuhr er fort, "Ich kann nicht gerade sagen, dass es wohltätig war, aber so war es nun einmal. Als er starb verließ ich die Bande und habe mich mehr oder weniger gut alleine durchgeschlagen." Thyra fragte nicht weiter nach, was vor dem Söldnerdasein gewesen war oder wie Rendal gestorben war - wofür er ihr durchaus dankbar war - , sondern blickte ihn nur nachdenklich an. "Ich habe jede Arbeit angenommen, die es gab. Hin und wieder musste ich auch stehlen um mich über Wasser zu halten. Aber immer nur von Menschen die es vertragen konnten", beteuerte er, "Solche Menschen wie Zacharas. Genau dabei wurde ich erwischt. Das hat ihn jedoch aufmerksam auf mich gemacht und deshalb hat er mir im Austausch gegen den Strick angeboten, sein Leibwächter zu werden. Dazu versprach er mir noch einen guten Lohn und eine Unterkunft. Und so bin ich bei ihm gelandet." Als er geendet hatte, atmete er tief aus. Es war seltsam gewesen über seine Vergangenheit zu sprechen und jetzt wo er sie erzählt hatte, kam sie ihm verdammt kurz und nicht gerade spannend vor. Die meisten hatten sich entweder nicht dafür interessiert oder Jaris hatte ihre Fragen ignoriert respektive sie mit erfundenen Geschichten beantwortet. Er fragte sich, wie er nun wohl auf Thyra wirken musste. Ein Söldner und Dieb. Zwei Berufe, über die nicht gerade die freundlichsten Geschichten kursierten, und Jaris konnte nicht einmal behaupten, dass diese alle übertrieben waren. Eine Zeit lang sagte Thyra tatsächlich nichts, sondern musterte ihn nur abschätzig - wie es ihm vorkam -. Dann fing sie an Fragen über sein frühereres Leben zu stellen. Was das für Arbeiten gewesen waren, die er übernommen hatte, was er alles gestohlen hatte. Einiges davon war ganz alltäglich gewesen, zu anderen Dingen existierten tatsächlich einige Anekdoten. Immer wieder wich er auch Dingen aus, über die er nicht reden wollte, und das musste sie auch bemerkt haben, denn sie runzelte immer, wenn dies geschah, die Stirn. Doch sie ging nicht weiter darauf ein. Mit der Zeit wurde die Unterhaltung zunehmend lockerer, zumal Thyra eine gute Gesprächspartnerin war. Schließlich lachte er sogar mit ihr über das eine oder andere. Immerhin schien sie ihn nicht zu verurteilen. Erst als Jaris davon erzählte wie er in Theics Haus eingebrochen war - er hatte eigentlich gar nicht davon erzählen wollen, doch irgendwie waren sie zu dem Thema gelangt - wurde es stiller. Thyra sah nicht gerade überrascht aus. Immerhin hatte sie ihn dabei gesehen und bestimmt vermutet, dass er es war. "Und was hat dich in diese Lage gebracht", fragte er nun Thyra um die Stille zu brechen. Er wusste nicht, ob sie und Theic tatsächlich ein Liebespaar waren und letztlich ging es ihn auch nichts an, doch jetzt, nachdem er ihr seine halbe Lebensgeschichte erzählt hatte, wäre es nur gerecht, wenn sie ihm etwas über sie erzählte.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Noch einmal sah sich Theic um. Ihr Wagen war einer der letzten und hinter ihnen ritten nur noch einige wenige Darsteller, die die kuriosen Tiere an Stricken mit sich führten. Sie waren weit genug entfernt, um ein Gespräch nicht belauschen zu können.
    Ein Blick nach vorn, verriet ihm, dass auch der Soldat gerade mit etwas anderem beschäftigt war. Er ritt ein gutes Stück vor ihnen und wurde von einem der Schauleute bequatscht. Ihm schien es nicht zu gefallen, aber Theic kam es gerade recht. So könnte er nicht mit ansehen, wie er den Brief an Aras weitergab.
    Er wandte sich zurück und betrachtete dann nachdenklich seine Tasche. Zuvor hatte Jaris den Zettel wieder an ihn übergeben. Je nachdem wer von ihnen gerade neben dem Herzog ritt - Thyra oder Theic - sollte ihn darüber ausfragen, ob er denn Schriften abgleichen könnte. Was er wissen wollte, hatte er erfahren, aber sollte er ihm den Zettel nun wirklich übergeben? Oder doch zuvor die anderen fragen? Schließlich prüfte der Herzog nun nicht mehr, ob es sich bei der Schrift um diesen Regar handelte, sondern ob es Jaris war. Der Unterschied war eigentlich nicht so groß. Thyra konnte es nicht gewesen sein, er auch nicht und der Herzog hatte wohl kaum selbst seinen Standort preisgegeben. Wenn Jaris herausfiel blieb nur noch der Soldat. Allerdings war Jaris sicher nicht sehr begeistert darüber, wenn er davon erfuhr.
    „Was ist denn jetzt? Soll ich die Schrift abgleichen oder nicht?“ Aras sah ihn ungeduldig an.
    Theic zog den Brief aus seiner Tasche. Blieb einfach zu hoffen, dass er das Richtige tat. Noch ein kurzer und unauffälliger Blick zu dem Soldaten, dann reichte er Aras den kleinen Brief. Ein wenig irritiert musterte dieser den Schriebs von allen Seiten, bevor er ihn entfaltete. Augenscheinlich hatte er etwas anderes erwartet. Dann überging er die Worte jedoch sorgfältig, drehte den Zettel etwas, um Thyras Schrift besser lesen zu können. Mehrmals schien er alles durchzugehen und lang besah er sich das Geschriebene. Er schien abzuwägen und gedanklich alte Dokumente durchzugehen. Zumindest dachte sich Theical dies, in Anbetracht der verstreichenden Zeit und des grübelnden Blickes Zacharas‘.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit hob er seinen Blick wieder und ließ ihn über das Kutschgespann schweifen, auf dem Jaris und Thyra saßen. Doch erst bei Regar kam seine Aufmerksamkeit zum Erliegen.
    Geduldig wartete Theical ab und beobachtete den Soldaten ebenfalls. Mittlerweile unterhielt er sich angeregt mit dem Schausteller.
    „Das ist nicht Jaris‘ Handschrift“, meinte Aras dann und wandte sich wieder an Theic. Damit bestätigte er, was sowieso schon feststand. Doch nun hatten sie den endgültigen Beweis und hoffentlich auch den Herzog überzeugt. „Seine ist noch krakeliger. Aber ich kenne die Schrift dennoch.“
    Wieder ging sein Blick zu Regar. Schweigend beobachtete er ihn. Kein Zweifel, auch er wusste nun, von wem der Brief wirklich stammte. Ob dies gut, oder schlecht war, würde sich noch zeigen.
    „Dieser Brief“, begann Zacharas nach einiger Zeit erneut. „Wie alt ist er?“
    „Etwas mehr, als einen Tag. Gestern, als wir in der Höhle geschlafen haben.“
    Auf dem Gesicht des Herzogs zeichnete sich Wut ab.
    „Und da hielt es niemand für nötig, mich bereits darüber zu informieren?“, maulte er los. Seine Stimme blieb ruhig, aber der Zorn, der dahinter steckte, war kaum zu überhören. Dass sich Zacharas übergangen fühlte und sich nicht wirklich darüber freuen würde, war eigentlich abzusehen gewesen, dennoch zuckte Theic etwas zusammen. Sogar sein Pferd machte einen kleinen Schlenker und tippelte etwas von Zacharas weg.
    Der Herzog schien es selbst zu bemerken und richtete seinen Blick wieder auf den Brief.
    „Aber Regar? Das glaube ich nicht! Ich habe ihn selbst erwählt! So ein Fehler wäre mir nie unterlaufen!“
    Theic war sich nicht sicher, ob er etwas darauf sagen sollte, doch sein Mund war schneller als sein Kopf. „Jedem kann mal ein Fehler unterlaufen!“ Sofort bereute er es, als sich das Gesicht des Herzogs in einer finsteren Miene versteifte.
    „Mir nicht“, begehrt er auf.
    Theic blieb still. Er konnte sich vorstellen, dass es den Herzog tief treffen musste, von einem eigens ausgewählten Mann verraten zu werden, aber nach dem Abgleich bestand kein Zweifel mehr. Warum sonst hätte er ihren Aufenthaltsort verraten sollen?
    Etwas anderes beschäftigte ihn.
    „Was wollen wir jetzt machen? Es für uns behalten und ihn weiterhin beobachten, oder ihn zur Rede stellen?“