Auf der Suche nach der Schatulle von Daris

Es gibt 509 Antworten in diesem Thema, welches 124.023 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (16. April 2018 um 04:25) ist von TiKa444.

  • Wieder flackerten die wärmenden Flammen eines Feuers in ihrer Mitte.
    Die Temperaturen waren steil gefallen, nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war und Thyra war näher an die Flammen gerutscht. Dort wo die Sonne ihre Haut getroffen hatte, stellt sich bei der kühlenden Dunkelheit ein kribbeln ein, dass auf ihre Wunde am Hals ausstrahlte.
    Sie kämpfte gegen den Drang dichter an Jaris zu rücken. Allerdings flüsterte eine kleine Stimme, dass es nicht nur an dem Vampirbiss lag.
    Energisch wischte sie die Gedanken zur Seite. Sie hatten wichtigere Probleme. Dieses Stampfen im Sandsturm war unheimlich gewesen. Sie fragte sich, wie Jaris es so früh hatte hören können. Sie selbst hatte ein ausgezeichnetes Gehör, konnte sie doch am kleinsten Rascheln im Unterholz feststallen, welches Tier es verursacht hatte. Schlussendlich kam sie zu dem Schluss, dass Jaris die Vibrationen, die das Stampfen verursacht hatte, einfach vor ihnen gespürt hatte.
    So starrten alle wortkarg in die Flammen, als wieder das Knurren hinter ihnen ertönte, das sie schon eine Nacht zuvor vernommen hatten.
    Sie hoben die Blicke und starrten in die wirklich wütenden Gesichter der Nomaden. Keiner machte Anstalten die Schakale zurück zu rufen.
    "Was habt ihr getan?!", wetterte das Oberhaupt ohne ein Begrüßung.
    "Was sollen wir schon getan haben?", fragte Aras verständnislos und erhob sich, um seinem Gegenüber ebenbürtig zu sein.
    "Der Sandsturm war allein eure Schuld! Glaubt ihr wir haben das Stampfen darin nicht gehört?!", schimpfte der Mann.
    "Verzeiht, aber der Sturm war sicherlich nicht unsere Schuld", versuchte nun Jaris in ruhigem Ton zu schlichten. Thyra warf Theic einen fragenden Blick zu. Dieser erwiderte ihn, zuckte aber eben so ahnungslos wie sie nur mit den Schultern.
    "Wollt ihr-", begann der Mann, wurde aber von einer dunkelhaarigen Frau unterbrochen. "Schur, sie wissen es wirklich nicht. Sie haben es nicht mit Absicht getan."
    "Ist mir egal was sie getan haben oder auch nicht! Sie haben unser aller Grab geschaufelt!" Für den Mann, den die Frau Schur genannt hatte, gab es nun kein Halten mehr. "Das werdet ihr bezahlen!"
    "WAS DENN BEZAHLEN?!", brüllte nun Aras, dem endgültig der Geduldsfaden gerissen war. "Wir wissen doch nicht einmal für was!"
    Die Frau lächelte beschwichtigend und schob Schur weiter nach hinten zu seinen Gefolgsleuten.
    "Ihr habt den alten Wüstenkönig Senchor geweckt", erklärte sie.
    Verständnislos sahen sie Jaris und Aras an, doch Thyra befiel eine dunkle Ahnung und an Theics plötzlich aufrechter Haltung erkannte sie, dass es ihm ebenso ging.
    "Der Stein", flüsterte Theic.
    "War es ein schwarzer Stein? Recht hässlich, schief?", fragte die Nommadin.
    Thyra antwortete mit einem Nicken.
    "Dann ist es tatsächlich so. Ihr seid über sein Grab gegangen", antwortete sie.
    "Das stimmt nicht!", begehrte Aras auf, doch dann fiel sein finsterer Blick auf Regar, welcher vergeblich versuchte den Todesblicken auszuweichen.
    "Ihr müsst das in Ordnung bringen!", schaltete sich Schur nun wieder ein.
    " Und wie?", fragte Aras, von den Geschehnissen etwas überrannt.
    "Weiß ich doch nicht! Von uns hat ihn schließlich seit Jahrtausenden keiner mehr geweckt", erwiderte Schur kalt.
    Wieder kam ihnen die - Schurs? - Frau zu Hilfe: "Ihr müsst zurück gehen. Ich denke am Grab wird er sich euch zeigen und euch sagen was er verlangt."
    Mit diesen Worten verschwanden die Nomaden wieder in der Nacht. Thyra fand es wirklich unheimlich, wie schnell sie mit der Dunkelheit verschmelzen konnten. Auch die Schakale zogen sie mit gefletschten Zähnen zurück.
    Dann hallte noch einmal Schurs Stimme körperlos durch die Nacht. "Nehmt denjenigen mit, der verantwortlich ist und wenn ihr wieder genau an dieser Stelle seid, zeigt euch meiner Frau Mina erkenntlich, denn sie war es, die euch geholfen hat!"
    Alle hörten die unausgesprochene Drohung in den Worten und Thyra hatte das Gefühl, dass niemand sie in den Wind schlagen würde.
    Aras diabolischer Blick fiel auf Regar, in dessen Augen Angst stand, die sich bei Aras folgenden Worten in blanke Panik verwandelte. "Na dann zurück, ehe der Sandsturm uns auf der Suche nach dem Schuldigen erneut überrollt!"

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Aras kochte innerlich vor Wut. Sein Gemüt brannte heißer als das Lagerfeuer und am liebsten hätte er nun alles kurz und klein gehauen. Doch er musste sich beherrschen. Er war Herzog und als solcher war er gezwungen, weiterhin einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch diese Dusseligkeit von Regar nervte Aras von Tag zu Tag mehr. Diese Reise war die reinste Katastrophe. Vom Beginn in Ymilburg, über die Steckbriefe, weiter zu den Gauklern und Vampiren, bis hierhin zum Wüstenkönig. Und an keiner Sache war er wirklich dran schuld. Immer nur beteiligt, oder maximal teilschuldig.
    "Alle ausrotten müsste man!", dachte er sich. "Die Schakale sollen sie fressen! Unfähiges Pack."

    "Echt nicht schön, dass wir nun schon wieder umkehren müssen, weil jemand von uns", sein Blick verharrte auf Regar, "nicht mal ordentlich die Füße heben kann."
    Dieser schien sich keiner Schuld bewusst gewesen zu sein und erwiderte prompt: "Es hätte so gut auch jedem anderen passieren können, mein Lord."
    "Nein, Regar! Ihr wart es, der den Wüstenkönig gerufen hat."
    "Wir wissen doch noch gar nicht, was genau passiert ist", warf Jaris ein, versuchte so den drohenden Streit zu schlichten. "Vielleicht war es auch wirklich nur ein Sandsturm und die Nomaden wollten uns nur Angst machen."
    "Nein, das glaube ich nicht!", rief Thyra in die Runde. "Nomaden sind keine schlechten Menschen. Wir... Die Nomaden erzählen keine Schauergeschichten, ohne Beweise dafür zu haben."
    "Der selben Meinung bin ich auch", meinte Aras zustimmend. "In dieser trostlosen Ödnis ist jedes Wort Gold wert. Man darf nichts unterschätzen. Wer einmal dem falschen Pfad folgt, ist verloren."
    "Und was soll dieser Wüstenkönig sein?", fragte Theical nachdenklich besorgt.

    "Da sie meinten", stellte Zacharas sofort eine Theorie auf, "er hätte was mit dem Sandsturm zu tun, gehe ich davon aus, dass er kein gewöhnlicher, sterblicher König ist."
    "Nicht sterblich?" Theical riss die Augen weit auf. "Meint Ihr, er ist ein Wandelnder? Ein Seelenloser?"
    Und der Lord stellte eine weitere Theorie auf. "Möglich wäre es durchaus. Ein Hexenmeister, oder ein Dschinn vielleicht. Wollen wir hoffen, er ist kein Lich."
    Und dann ging erstrecht die Fragerei los. Alle vier berieselten ihn wie ein Streuselgebäck.
    "Was ist ein Lich?" "Woher wisst Ihr soviel darüber?" "Warum habt Ihr noch nicht viel früher davon berichtet?" "Sind Dschinns häufig anzutreffen?"

    "Ich habe viele Bücher und Inschriften studiert, die sich eingehend mit mystischen Wesen beschäftigten. Oftmals ist es schlauer nach einem Buch zu greifen, wie nach den Sternen. Wie oft aber Dschinns tatsächlich vorkommen, weiß ich nicht."

    "Also reisen wir morgen vor Sonnenaufgang zurück?", wurde er erwartungsvollen Blickes gefragt.
    "Spätestens dann reisen wir zurück! Am liebsten würde ich es sogar schon jetzt tun, aber nun ist es eindeutig zu dunkel."
    "Und was meint Ihr, Aras, erwartet uns dann dort?"
    "Ich denke mal, dieser schwarze Stein ist eine Art Obelisk. Vermutlich gehört zum Eingang eines Tempels oder Grabmals."
    "Ihm meint also, wir müssen in eine Gruft hinabsteigen?"
    "Im besten Fall schon, im schlimmsten Fall kommen wir nicht mal so weit. Aber nun will ich mich erst mal mit Theical alleine unterhalten. Wegen seiner Magiekünste."
    Große Augen machte der kleine Mann da. "Was, jetzt? Zu so später Stunde?"
    "Wann denn sonst? Je früher, desto besser. Merkt Euch das, mein Lieber. Und außerdem sind nachts die Schatten besonders präsent."
    "Aber warum denn heute Nacht? Das geht mir alles so schnell..."
    "Sollen wir es morgen vor der Ruine beginnen? Am besten noch, wenn uns der Wüstenkönig im Nacken sitzt."

    Sie nahmen wieder alle am Lagerfeuer platz und Theical setzte sich mit Aras etwas separat.
    "Also, dann erzähle mir mal, wie du deine Magie wirkst."
    Stark verwirrt schaute Theic den Lord an. "Wie meint Ihr das nun? Ich konzentriere mich auf die Schatten und forme sie..."
    "Ich verstehe. Also bist du ein Fokussierer."
    "Wie meint Ihr? Gibt es da noch was anderes außer Fokussieren?"
    "Ich bin nicht so sehr mit dem Schattenelement vertraut, weiß aber, dass es zwei Varianten des Magiewirkens gibt. Das Fokussieren und Morphen."
    "Was ist das? Brauche ich das auch?"
    "Das musst du für dich selbst entscheiden. Morphen ist deutlich mächtiger, aber auch schwieriger zu beherrschen. Ich empfehle dir aber das leichtere."
    "Und was ist, wenn mir das andere mehr liegt?",fragte Theic spöttisch. Damit stieß er aber auf Granit bei Zacharas.
    "Du beherrschst nicht mal das einfache Fokussieren perfekt und da willst du schon wieder nach den Sternen greifen..."
    "Aber ich weiß ja nicht mal, was man alles machen kann mit der Elementarkraft."
    "Alles Mögliche!", meinte Aras dann ganz trocken und spontan. "Du kannst Kreaturen leiten und befehligen, Gegenstände neu platzieren, sie komplett umformen und sogar Seelen aufspalten."
    "Moment!", warf Thyra sofort ein, die schon die ganze Zeit über halb mitgehört hatte, sich aber nicht einmischen wollte. "Das geht jetzt aber wirklich ein wenig zu weit, Herzog..."
    "Was du jetzt hier rum motzt, Thyra? Ich werde ihm niemals das Seelenspalten lehren. Das ist selbst für mich zu krank..."
    "Aber Ihr habt es erwähnt."
    "Weil es existiert. Und weil ich es bereits selbst ein Mal angewendet habe. Von daher weiß ich sehr gut, wie grausam das ist..."
    "Ihr habt tatsächlich einem die Seele gespalten?", wimmerte Theical bitterlich. "Wie sieht das denn aus, wenn einem die Seele gespalten wird?"
    Sofort stieß Thyra ihn in die Rippen. "Ich bitte dich!"
    "Es sieht wahrlich nicht schön aus. Aber das ist ja nun auch nicht relevant. Es geht jetzt einzig und allein um das Fokussieren von Schatten."
    Da maulte sie schon wieder. "Ihr redet immer von Fokussieren, habt es aber nicht ein Mal erläutert. Zeigt uns doch einfach, was die beiden Arten sind."
    Mit leichtem Stöhnen erhob er sich, zückte seinen Zauberstab und schoss einen Blitz in die Luft.
    "Das ist Morphen. Ich erzeuge Magie ohne Medium."
    "Ihr habt ein Medium, Aras", maulte Thyra weiter. "Euren Zauberstab!"
    "Das ist kein Medium, sondern ein Führungsstab. Damit lenke ich meine Zauber präziser." Er steckte ihn wieder weg und nahm Grundhaltung ein. Beine leicht gespreizt, Arme senkrecht an den Seiten hinab hängen lassen und Kopf geradeaus. Beide schauten gespannt auf ihn und auf das, was kommen möge.
    Dann riss er ruckartig die Arme hoch und klatschte in die Hände. Ein Knall ertönte, gefolgt von einem ebenso kraftvollen, aber weniger gerichteten Blitz. Dieser zwirbelte leicht spiralförmig gen Himmel und zerstreute sich in der ewigen Finsternis der Nacht.
    Sie waren geplättet und applaudierten noch lauter, wie Aras seine Blitze. Er empfand es nicht als würdig genug, um sich vor ihnen zu verbeugen. Dafür war er sich selbst viel zu kritisch.
    Anschließend ging er zum Lagerfeuer und nahm sich ein kleines Stück davon heraus. Dieses, leicht lodernde Holz warf er im hohen Bogen hinfort, weg von der Gruppe.
    "Jetzt fokussiere ich!", sprach er und zückte wieder seinen Zauberstab. Dann fixierte er seinen Blick auf das besagte Objekt und sprach seine Worte. Ein einsamer Funke, kaum heller glimmend als erlöschende Glut, raste mit ungeheurer Geschwindigkeit auf das Ziel und zerfledderte den Ast in tausend Fasern. Wie ein kleines Feuerwerk verpufften die entzündeten Späne in der Luft.
    "Ich fokussierte das brennende Holz. Und das meine ich mit Fokussieren und Morphen. Ich selbst beherrsche beide Formen nahezu perfekt. Von daher bin ich auch fast jede Situation vorbereitet..."
    "Hat man ja gesehen, bei den Vamps", spöttelte Thyra feixend.
    Schiefen Blickes erwiderte Aras: "In FAST jeder Situation."
    "Wir wollen uns jetzt nicht streiten", unterstützte Theic den Meistermagier und animierte ihn gleichzeitig durch windende Handbewegungen zu weiteren Aktionen. "Brauche ich auch diese Ritualformeln, die Ihr ab und an mal murmelt?"
    "Ja!" Kurz und prägnant. "Aber du brauchst nicht alle achtzehn Grundformeln mit ihren Komplementären erlernen. Zwei müssten reichen."
    "Achtzehn?", grummelten sie beide erstaunt.
    "Habe ich etwa genuschelt, oder warum hinterfragt ihr mein Geäußertes?"
    "Wie viele Formeln und Riten kennt Ihr denn, wenn ich fragen darf?", entgegnete Theic interessiert. Und der Lord überlegte.
    "Vierzig eigene Zauberformeln", fing er an aufzuzählen, "fünfzehn Komplementäre, zehn Ansätze und an die dreihundert Fragmente." Und stolz steckte er sich wieder seinen Zauberstab in die Seitentasche. "Aber nun zurück zum Wesentlichen. Bei mir ist das Zauberwirken eine Kombination aus Worten und Gefühlen. Man hat die Formel und die Emotion. Man muss seinen Kopf frei von allem machen und nur noch an einem Gedanken festhalten. Es muss der wundervollste Gedanke sein, den man für sich selbst kennt. Dieser ist der Katalysator und über den wirken dann die Zauber. Je mächtiger der Gedanke, desto mächtiger auch der Zauber."
    "Und was ist Euer Gedanke, Lord?"
    "Das werde ich niemals verraten! Sonst verliert er seine Wirkung!" Natürlich war dies nur die Halbwahrheit. Denn ein ausgesprochener Gedanke dieser Kategorie, bei solch einer Person, war aggressiv genug, um die Welt ins Chaos zu stürzen. Nicht der Gedanke selbst, aber die daraus resultierenden Taten.

  • Jaris konnte nicht leugnen, dass er beeindruckt war. Ein ganz klein wenig zumindest. "Demnach benutze ich also das Morphen?", fragte er. Der Herzog, der es sichtlich genoss im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, nickte. "Wie wirkt ihr Magie Jaris", fragte der Lord, "Ist es eine vorbereitete Tat oder mehr ein Reflex." "Ein Reflex", entschied Jaris, "Weniger etwas was ich bewusst tue. Wenn ich Magie wirken muss, tue ich es." "Verstehe", erwiderte Zacharas, "Eine barbarische Art und Weise, kaum effektiv und kraftraubend, geradezu ineffizient, aber mit etwas Anleitung könntest du dich verbessern." Er sah Theic an. "Ihr beide könntet das. Nichts im Vergleich zu mir, aber Potenzial ist vorhanden und immerhin lernt ihr vom Besten." Thyra schnaubte. "Natürlich seid ihr das", sagte sie sarkastisch, aber der Herzog überhörte sie. "Jetzt, meine Gefährten, sollten wir zu Bett gehen. Es ist schon spät und wir haben morgen einen wichtigen Tag vor uns."

    Die Wagenräder gruben sich durch tiefen Sand. Die Achsen quietschten bedrohlich. Der Sturm hatte ihnen nicht besonders gut getan. Sie kamen nur langsam voran und die Sonne brannte auf ihre Köpfe herab, als konzentriere sie ihre ganze Kraft nur auf sie. Vielleicht waren Zacharas Blitze gestern abend zu ihr durchgedrungen und hatten sie verletzt. Der Herzog ritt ein paar Meter vorneweg und Thyra blieb im Inneren des Wagens. Blieben nur noch Theic und Jaris, die nebeneinander auf dem Kutschbock saßen. "Ich wollte mich übrigens noch bedanken", sagte er mehr zu sich als zu seinem Nebenmann, "Hättest du die Ratten nicht auf die Vampirinnen gehetzt wäre ich jetzt wohl tot. Es ist jetzt schon das zweite Mal, dass du mir das Leben retten musstest. Ich sollte wohl lieber versuchen das nicht zur Gewohnheit werden zu lassen." Theic verzog nur unglücklich das Gesicht. "Genau. Ratten aufhetzen. Das ist alles was ich kann", sinnierte er. "Du hast doch gesehen wie nützlich es sein kann. Und ich bin mir sicher, dass du noch andere Talente hast. Ich kenne dich ja kaum", behauptete Jaris. "Genau das ist es ja", erklärte Theic, "Ich kenne dich auch nicht. Keiner kennt hier irgendwen. Du bist ein Söldner, Thyra eine Jägerin und Zacharas ein Herzog. Was wissen wir schon voneinander." Die Worte riefen Erinnerungen an Thyras Versprecher am gestrigen Tage. "Wir... Die Nomaden", hatte sie gesagt. War es wirklich nur ein Versprecher gewesen. Der Lord dagegen hatte durchaus Züge eines gewöhnlichen Adeligen. Zumindest derer die Jaris bisher kennengelernt haben "durfte". Als Kind verhätschelt und als Erwachsener mit zu viel Macht vertraut. Doch auch er ließ immer wieder Zweifel an seiner Alltäglichkeit aufkommen. Zum Beispiel die Sache mit dem Moor, von der Fragwürdigkeit seiner Psyche ganz zu schweigen. Selbst Theic schien bei all der Normalität, die er verkörperte oder zu verkörpern versuchte, immer wieder ein Geheimnis vermuten. "Na und?", erwiderte Jaris schließlich, "Dann kennen wir uns eben nicht. Ist das wirklich wichtig. Bedeutsam ist doch ob wir uns vertrauen." "Und?", fragte Theic, "Tust du das?" "Dir und Thyra sofort und selbst Zacharas in gewisser Weise", behauptete Jaris, "Und was ist mit dir? Wer bist du? Und viel wichtiger. Wem vertraust du?"

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Abwartend blickte Jaris ihn an. Das war eine gute Frage. Vertraute er einen von ihnen? Jetzt, wo er so darüber nachdachte: Thyra auf jeden Fall und Jaris auch. Und obwohl er den Herzog noch immer nicht wirklich leiden konnte, wollte er ihm ebenfalls vertrauen schenken. Schließlich war er losgezogen, um Thyra zu helfen, obwohl er sich eigentlich nicht gut mit der Jägerin vertrug und wegen ihrer blöden Idee auch sauer auf sie war. Ein so schlechter Mensch war er vielleicht gar nicht.
    Doch Regar traute er alles zu. Keiner wusste, wo er die letzten Tage in Eisenfurt war und was er gemacht hatte. Es wäre eim Fehler ihm zu trauen uns Theic konnte nicht so recht verstehen, warum der Lord ihn weiterhin mitreisen ließ.
    "In gewisser Weise vertraue ich euch wirklich, also Thyra, dir und Zacharas", murmelte er schließlich. "Aber ich weiß nicht, ob ich euch wirklich mein Leben in die Hände legen würde."
    Zwar hoffte schon darauf, dass ihm jemand zu Hilfe eilte, wenn er in Schwierigkeiten steckte, aber darauf verlassen konnte er sich nicht.
    Jaris nickte nur, sagte aber nichts. Theic war ihm dafür auch dankbar. Es war ihm unangenehm darüber zu reden. Er war erst seit einigen Tagen mit der Gruppe unterwegs und Thyra kannte er auch noch nicht viel länger. Es dauerte eben etwas, bis man sich da an jemanden gewöhnte, gerade wenn man sein bisheriges Leben allein verbracht hatte. So schnell vertraute man da niemanden.
    "Und was hast du zuvor gemacht, also bevor du nach Ymilburg kamst?", hakte Jaris nach einiger Zeit nach. Theic überlegte kurz, ob er es erzählen sollte, allerdings sprach nicht wirklich etwas dagegen.
    "Mein Großvater war Schmied und eigentlich hätte ich sein Handwerk erlernen müssen, aber selbst dafür war ich zu schwach", Theic ließ ein schmales Grinsen über sein Gesicht wandern, "deshalb habe ich für ihn - und für andere - Botengänge innerhalb Gerisas erledigt." Jetzt, wo er davon erzählte klang sein Leben gleich noch langweiliger. Fast schon einschläfernd. Im Gegensatz dazu, wie Jaris sein Leben bisher verbracht hatte. Thyra hatte ihm vor einiger Zeit, lang und breit erzählt, was Jaris gemacht hatte, bevor er zu Zacharas Leibwächter wurde.
    "Das ist doch nicht schlimm. Dann bist du eben nicht so stark, oder kannst mit einem Schwert umgehen", meinte der Söldner. "Dafür weist du aber, wie man ein Schwert schmiedet."
    Amüsiert lachte Theical auf.
    "Das Wissen bringt mir nur nicht viel, wenn ich den Stahl nicht stark genug mit dem Hammer bearbeiten kann."
    "Dafür hast du andere Talente", meinte Jaris.
    "Ja, ich kann Ratten herumkommentieren, welch brauchbares Talent!" Theical lachte noch etwas mehr. Nun gut, vielleicht würde er in Zukunft auch mehr als das können, wenn Zacharas ihm etwas beibrachte, mit dem er etwas anfangen konnte. Aus dessen wirren Äußerungen konnte er sich jedoch noch nicht viel nehmen. Er wusste zwar nun wo der Unterschied zwischen Morphen und Fokussieren lag, aber das brachte ihn nur unwesentlich weiter. Wie er jetzt mehr aus seiner Schattenkontrolle machen sollte, war ihm schleierhaft.
    "Hier müsste es sein", hörte er plötzlich Zacharas sagen. Verwirrt sah sich Theic um und fixierte dann skeptisch die Umgebung. Überall Dünen und Sand.
    "Seid ihr euch sicher? Das sieht hier aus, wie alles andere auch. Hier ist kein Stein", murrte er nur, nahm den Blick aber nicht von der Wüste. Vielleicht hatte er nur irgendwas nicht mitbekommen.
    "Er muss beim Sandsturm verschüttet worden sein", verlautbarte Zacharas.
    "Oder wir sind am falschen Fleck", grübelte Jaris. Er sah sich ebenfalls suchend um. Der Lord hatte wohl zu lang in der Sonne gestanden. Die Wüste sah überall gleich aus, niemand könnte hier einen Ort hundertprozentig wieder finden.
    "Ihr Ungläubigen! Ich irre mich fast nie, also helft mir gefälligst." Zacharas sprang von seinem Pferd und sah sich etwas in der Wüste um.
    "Helfen wobei? ... ", Theical stoppte, als der Herzog begann etwas mit dem Fuß im Sand zu graben. Nun hatte er endgültig den Verstand verloren.
    Jaris und Theic bewegten sich keinen Zentimeter von der Stelle und sahen sich nur besorgt an, während Thyra aus dem Wagen gesprungen kam und neben dem Kutschbock stehen blieb.
    "Warum haben wir angehalten?" Sie zog eine Augenbraue hoch und musterte Zacharas ebenso irritit wie Theic.
    "Der Lord glaubt die Stelle gefunden zu haben, die die Nomaden meinten", antwortete Jaris ihr.
    "Und nun sollen wir den Stein ausgraben", grummelte Theic.
    "Wir können doch nicht die halbe Wüste umpflügen. Das ist doch Irrsinn!", beschwerte sich Thyra lautstark und sprach damit aus, was Theic nur dachts.
    "Redet nicht dumm und fangt endlich an!" Zacharas grub weiter mit seinen Schuhen im Dreck, um sich die Hände nicht schmutzig machen zu müssen.
    Eine Weile sah Theic ihm noch dabei zu, dann sprang er vom Kutschbock und begann an einer anderen Stelle ebenfalls zu graben. Wenn sich selbst Zacharas dazu herunter ließ, nach einem Stein zu graben, dann konnten sie es ihm auch gleich tun. Und umso schneller waren sie letztendlich auch fertig und konnten sich irgendwo einen schattigen Platz suchen. Der Lord musste ofdenbar dringend aus der Sonne.

  • Eine gefühlte Ewigkeit später in der die Sonne und die Hitze und die Arbeit in der Hitze Thyras Laune so weit versaut hatten, dass selbst die Milch sauer werden würde, würde sie sie nur anschauen, rief Theic: "Hier! ich glaube hier ist was!" Hektisch begann er weiter zu graben, Aras und Jaris eilten ihm zu Hilfe, während sie sich nicht sonderlich schnell dem Ort des Geschehens näherte. Selbst Regar bequemte sich dazu beim Graben zu helfen.
    Dennoch kam tatsächlich eine schwarze Spitze zum Vorschein. Begeistert schlug Theic in die Hände: "Ich habe es gefunden!"
    Nun begann Thyra den anderen doch zu helfen, auch wenn die dabei einen Flunsch zog. Keiner störte sich daran.
    Nach einer Weile hatte sie den Stein wieder so weit ausgegraben, dass er knie hoch in die Wüste ragte. Er schien jedoch tiefer im Sand zu stecken.
    Aras strich über die Inschrift, die durch die Jahrtausende beinahe unlesbar geworden war.
    Seltsame Hieroglyphen reihten sich aneinander und nur Aras vermochte sie zu entziffern "Hier ruht der Mächtogste aller, jener der den Sand beherrscht, jener dessen Stampfen ganze Völker vernichtete, jener dessen ...", las der Lord vor.
    Danach verschwand die Schrift im Sand.
    "Es scheint wirklich ein ganzer Tempel zu sein", sinnierte Aras weiter, während er den Stein mehrmals umrundete und ein wenig mit dem Fuß im Sand grub, um etwas mehr freilegen zu können.
    "Und da sollen wir rein?", fragte Theical skeptisch.
    "Das heißt, wir müssen das ganze Ding ausgraben?", bohrte Jaris weiter und blickte den Lord entgeistert an.
    "Na das könnt ihr schön selbst machen!", fauchte Thyra und versuchte ihrer Laune Luft zu machen. Es funktionierte nicht wirklich. "Das dauert ja ewig!"
    "Weiber", raunte Zacharas nur und warf Thyra einen missbilligenden Blick zu.
    Die Jägerin wollte etwas erwidern, doch just in diesem Augenblick kam heftiger Wind auf und bließ ihnen den Sand in die Augen. Thyra presste die Augen zusammen und hielt sich die Hand vor Mund und Nase, damit sie in dem Durcheinander noch genügend Luft bekam. Sie taumelte zu Theical und beide kauerten sich aneinander, als eine mächtige Stimme durch ihren Kopf donnerte. Erschrocken riss sie die Hände vor die Ohren, merkte jedoch, dass dies nichts brachte und stattdessen Sandkörner ihre Atemwege verstopften. Also presste sie die Hand wieder vor ihr Gesicht.
    "Wer seid ihr, dass ihr es wagt meine Ruhe zwei Mal zu stören?!", fegte die Stimme und wirbelte dabei noch mehr Staub auf.
    "Entschuldigt Herr", begann Aras platt und dumpf gegen den Wind, wurde jedoch sofort unterbrochen.
    "SEI STILL, ELENDER!" Stille.
    "Was willst du, damit du uns und die Wüste in Ruhe lässt?", fragte Jaris zaghaft.
    "SEI STILL, ELENDER!" Stille.
    "Wir tun wirklich alles", versuchte es nun Theic. Seine Stimme war brüchig.
    "SEI STILL, ELENDER!" Stille.
    Thyra platzte die Hutschnur. Die Strapazen, die schlechte Laune, die Hitze und der Bewegungsmangel ließen sie jeglichen Respekt vor irgendwem vergessen: "Himmel, Arsch und Zwirn! Bist du in den Gedanken hängen geblieben, oder was?! Kein Wunder, dass du schon seit Jahrtausenden tot bist und keine Ruhe findest! Wahrscheinlich weißt du nicht mal wie man Ruhe schreibt!"
    "SEI STILL-" "Nein, ich bin nicht still! Willst du uns hier in einer Dauerschleife gefangen halten, bis der Sand unsere Skelete freigeschürft hat?Hast du sonst nichts drauf?"
    "Hm, gar keine so schlechte Idee", sagte die Stimme nachdenklich. Theic stieß Thyra den Ellbogen in die Rippen, doch diese verschränkte nur trotzig die Arme vor der Brust. "Also, was ist jetzt?"
    Verwirrung breitete sich in ihr aus, aber sie merkte, dass es die Empfindungen des Geistes waren und nicht ihre eigenen. Seine übliche Masche schien nicht zu funktionieren.
    Ungeduldig wippte Thyra mit der Fußspitze. Je schneller der Scheiß hier gegessen war, desto schneller konnte sie nach Hause.
    "Ich will das Elfenblut!", kam dann die Antwort.
    Thyra zog eine Augenbraue nach oben. "Woher sollen wir bitte Elfenblut bekommen?"
    "Es ist unter euch", kam die gehässige Stimme. Bei Thyra fiel der Groschen. Das Gehör! Ihr Blick zuckte zu Jaris und dieser bestätigte ihr mit weitaufgerissenen Augen, dass er tatsächlich gemein war.
    Was zum Henker?!, durchschoss es ihren Kopf, aber dann kam ihr eine Idee, als ihr Blick auf Regars gemeines Grinsen fiel.
    "Er war's nicht!", rief sie. "Sondern der da!" Sie deutete auf Regar, der sie erst hass- und dann angsterfüllt anschaute.
    "Du willst mit mir verhandeln?", fragte der Geist erstaunt.
    Thyra stöhnte. "Du warst zu Lebzeiten auch kein Dedektiv, oder?"
    "Sie ist ganz schön frech", sagte der Geist scheinbar zu sich selbst. Dann leises Murmeln, in dem der Geist immer wieder die Stimme verstellte. Der Wind ebbte ab und der Sand legte sich um sie. Mittlerweile war die Sonne schon hinter dem Horizont verschwunden und Thyra begann zu frösteln.
    "In Ordnung. Das Drecksblut!", erschallte die Stimme von neuem. "Aber bringt mir das Opfer an dem Ort, an dem schon andere ihr Opfer brachten."
    "Und wo soll das sein?", fragte Thyra.
    "Von hier aus nicht im Norden, nicht im Süden, nicht im Wetsen und nicht im Osten!", kam die Antwort. "Oh, und ihr solltet auf euer Opfer achten! ... Wenn ihr es verliert seid ihr daran schuld, wenn ich die Nomaden heimsuche und sie auf euch hetze!"
    Alle vier fuhren herum und sahen Regar der sich klammheimlich davon gestohlen und ein Pferd bestiegen hatte. Er gab seinem Tier die Sporen und sprengte über die Ebene. Die Starre der Gefährten löste sich.

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  • "Schnell, wie müssen hinterher!", rief Thyra und wollte sofort zum Wagen sprinten. Doch Aras packte sie an der Schulter und hielt sie auf. "Es hat keinen Zweck. Er ist bereits zu weit weg, um dass wir ihn jetzt einholen können."
    "Aber wir brauchen ihn, sonst holen die Nomaden uns!"
    "Wir brauchen ihn nicht, Thyra. Zumindest jetzt nicht sofort." Erwartungsvoll war sein Blick auf sie gerichtet, die dann doch allmählich klein beigab. Theical klinkte sich dann ein: "Aber was sollen wir nun tun?"
    "Wir werden erstmal das weiter tun, was wir auch zuvor gemacht haben. Den Tempel freilegen."
    "Seid Ihr jetzt vollkommen des Wahnsinns?", fuhr Jaris sofort auf. "Wir wissen ja gar nicht, wie groß und tief der überhaupt ist. Das könnte Tage, wenn nicht sogar Wochen dauern!"
    "Stunden!", berichtigte Aras ihn nüchtern. "Wenn wir zusammenarbeiten, geht das ganz fix."
    "Und wie gedenkt Ihr, das zu machen?"
    "Entweder mit Zauberei, oder per Muskelkraft..."

    "Zauberei!", riefen alle drei sofort im Chor, schwiegen dann einen Moment und begannen dann, zu zweifeln. Der Herzog war leicht irritiert.


    "Muskelkraft ist sicherer!" "Zauberei geht schneller und effektiver..." "Das ist zu gefährlich. Der Tempel könnte dann einstürzen."
    Aras machte kehrt und stahl sich gemütlich davon, während sie weiter herumdiskutierten. Er ging zum Wagen und schaute nach, ob sie nicht vielleicht doch etwas zum Schöpfen dabei hatten. Zum Glück waren zwei kleine Schalen vorhanden. Mit denen ging es allemal schneller.
    Er blickte zurück, sie stritten sich weiter. Das gefiel ihm schon etwas, er konnte es nicht verbergen. Sein leichtes Grinsen war deutlich zu sehen.
    "Manchmal sind sie echt wie kleine Kinder."
    Langsam machte er sich auf dem Weg zurück zu ihnen und stellte sich wieder dazu, als wäre nichts gewesen. Sie berieselten sich munter weiter mit Pros und Kontras, Meinungen und Äußerungen. Und Aras grinste immer mehr. Echt amüsant, dieser Moment.

    "Also ich fange dann schon mal an zu graben", warf Zacharas leise ein und stapfte zum schwarzen Stein hinüber. Mit der Schale grub er los und drückte den feinkörnigen Sand zusätzlich mit den Händen und Füßen hinweg. Warum er das nun tat, wusste er auch nicht so recht. Also er wusste schon, warum er den Tempel freilegen wollte, aber er wusste nicht, warum er es auf diese primitiv anmutende und ineffiziente Weise tat. Und kaum hatte er begonnen, verstummten sie und fixierten ihre Blicke auf ihn. Er ließ sich nicht beirren und machte einfach weiter. Schließlich hätte er ihnen dann wieder was vorwerfen können. Und das machte er zu gerne.
    "Herzog?", ertönte Thyras fragende Stimme.
    "Ja, was denn?"
    "Wie, was?"
    "Einer muss doch den Anfang machen, wenn sich niemand entscheiden kann!"
    "Ja, aber das dauert doch ewig."

    "Je länger ihr wartet, umso länger dauert es auch. Damit habt ihr schon recht."

  • Jaris schnaufte. Egal wie viel man von der Unendlichkeit abzog, es blieb immer noch einiges übrig. Trotzdem nahm er sich eine der Schüsseln und begann zu graben. "Lasst das die anderen das machen", wies ihn Zacharas an, "Ihr müsst Regar fangen." Jaris sah Theic und Thyra an. Sie sahen nicht besonders erfreut aus, nickten aber zustimmend. Also drückte er Theic die Schüssel in der Hand und schwang sich auf seinen Hengst. "Bitte lass mich jetzt nicht im Stich", dachte er an das Tier gerichtet und tatsächlich. Dieses Mal begehrte der Rappe nicht auf. Aus dem Stand fiel er in den Galopp, als sei er froh sich endlich einmal nicht zurücknehmen zu müssen. Jaris wäre ein genügsamer Trab lieber gewesen, aber er zügelte den Hengst nicht. Regar musste bereits einen gewaltigen Vorsprung haben und im Gegensatz zu ihm konnte er reiten. Das Gute an einer Wüste war jedoch, dass man, sofern es Windstill war, die Fußspuren eines anderen noch stundenlang nachverfolgen konnte und Jaris Reittier um vieles mehr Feuer hatte als Regars. Schon nach wenigen Minuten tauchte ein dunkler Punkt am Horizont auf und mit jeder Sekunde wurde der Abstand zwischen ihnen geringer. Als er in Rufweite war ließ Jaris einen gleißenden Blitz aus seiner Hand fahren, der vor dem Pferd Regars in den Sand fuhr. So heiß, dass er diesen augenblicklich in Glas erstarren ließ. Das Tier scheute, stieg auf die Hinterbeine und ließ Regar in den fallen. Jaris Hengst blieb mit einem Wiehern einige Meter von dem Soldaten entfernt stehen. Als seine Füße den Boden berührten, kämpfte sich Regar gerade auf die seinigen. "Könnt ihr das wirklich verantworten", fragte der Soldat und zog sein Schwert, "Mich zu opfern wegen eines Steins. Das passt vielleicht zu Zacharas aber doch nicht zu euch. Ihr habt ein Gewissen." Mit diesen Worten griff er an. Jaris zog sein eigenes Schwert und wehrte den Schlag in derselben Bewegung ab. Regar stolperte vorbei. "Du verstehst nicht", antwortete Jaris, "Wir wissen, dass du ein Verräter bist. Wir alle." Regar schlug erneut zu. Jaris parierte und setzte selbst einen Hieb an. Regar schaffte nur mit Mühe die Diamorklinge von seiner Brust wegzuhalten und verlor einen Moment lang das Gleichgewicht. Jaris nutzte das aus und trat ihm die Beine weg. "Aber was ist mit dir", fragte der Soldat keuchend, während rr sich wieder hochkämpfte, "Tu nicht so überrascht. Du bist doch selbst einer der Widerständler? Wie hättest du sonst entkommen sollen." "Das braucht dich nicht zu interessieren", erwiderte Jaris, "Nur so viel. Ich gehöre nicht dem Widerstand an. Anders als du." Regar grinste. "Aber ich doch auch nicht", sagte er. Jaris musterte ihn verwirrt. "Aber... Zu wem gehörst du dann?", fragte er und ließ sein Schwert kreisen. Regar verzichtete auf eine Antwort sondern griff erneut an. Eine Drehung des Handgelenks und sein Schwert flog in hohem Bogen davon. Es bohrte sich in den Sand. Jaris streckte den Arm aus und Regar stolperte zurück. Den Hals, an den sich die Klinge drückte, durchgestreckt. Er stolperte und fiel rückwärts zu Boden. Jaris trat über ihn und setzt die Schneide wieder an seinen Hals. "Also", fragte er. Regar hielt seinem Blick stand. "Ich habe euch nur an den Widerstand verraten um der Sache von Zacharas zu schaden", erklärte er, "Der andere Soldat, der bei dem Angriff starb, hätte genauso gut ich sein können. Die Angreifer wussten noch nicht einmal, wer ihnen die Informationen zuspielte. In Wahrheit diene ich einer anderen Macht", er grinste, "Den Ewigen. Denen die sich den Mächtigen widersetzen und die wahre Macht schützen. Denen die stehen, egal wie oft sie gefallen sind. Den Unvernichtbaren. Den Elfen von Irishmir." Es war wie eine Wasserwelle, die über Jaris hereinbrach. Die Worte ergaben keinen Sinn und doch waren sie ausgesprochen worden. Seine Gedanken kehrten wieder zu den Dokumenten zurück, auf denen das Wort Irishma jedes mal aufs neue zu lesen war. Er erinnerte sich nur dunkel an den Stamm seine Mutter aber nie im Leben konnte er ihn mit dem hier in Verbindung bringen. Sie waren friedfertige Dorfbewohner gewesen, denen Weisheit und Würde, aber bestimmt keine unbezwingbare Macht innegewohnt hatte. Sonst hätten die Banditen sie nicht so leicht überwältigen können. Mit einem Zucken des Handgelenkes schlug er den Mann, der vor ihm lag K.O.. In seinem Kopf türmten sich so viele Fragen auf und er hätte sie Regar alle nur zu gern gestellt, aber er wusste nicht, ob er dessen Worte vertrauen konnte. Außerdem musste er zurück. Der Schlag auf den Kopf würde wenigstens verhindern, dass der Soldat den anderen davon erzählte. Sie durften es nicht erfahren, dies war allein Jaris Sache.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Fix und fertig hielt Theic in seinem Tun inne. Er schwitze so sehr, dass er schon ein ganzes Meer mit der salzigen Flüssigkeit hätte füllen können.
    „Ich kann nicht mehr", jaulte Thyra. Die Jägerin legte die Schale beiseite und drückte ihren Rücken durch. Stöhnend tat Theic es ihr gleich und blickte auf den Graben, den sie um den Stein ausgehoben haben. Sie hatten ein gutes Stück des Steines freigelegt und scheinbar handelte es sich dabei um die Spitze eines Turms. Nichts, was seine Laune sonderlich anhob. Denn je größer das Ding war, desto länger würde er in der prallen Sonne gebraten.
    „Sehen wir es ein, das wird so nichts", raunte Thyra ihm entgegen und zeigte auf Aras, der noch immer schaufelte. Nur ab und an machte der Herzog eine Pause und trank einen Schluck aus seiner Feldflasche.
    „Und was machen wir sonst? Den Geist um Hilfe bitten, damit er mit einem seiner Stürme den Weg freimacht?" Theic versuchte seiner Stimme so viel Sarkasmus einzutrichtern wie nur möglich. Dabei war das gar nicht seine Art, aber im Moment wusste er nicht, wie er sonst seine Laune auf einem annehmbaren Level halten sollte. Die Hitze machte ihn fertig.
    „Das wäre eine Idee", lachte Thyra, klang dabei aber ebenso ironisch. Theical konnte ein Grinsen nicht verhindern. Mit den Kräften am Ende machte er mit der Ausgrabung weiter. Wenn sie nur herumstanden war ihnen auch nicht geholfen und außerdem fühlte er sich schlecht, wenn er Zacharas nur zusah, wie dieser schier unermüdlich weitergrub und er sich nur faul unterhielt.
    „Hier ist etwas!", rief der Lord plötzlich. Begeistert sprang Thyra dem Herzog entgegen und auch Theic ließ von seiner Arbeit ab. Egal, was Aras gefunden hatte, es war interessanter, als weiter zu graben.
    Bei ihm angekommen, legte Zacharas gerade ein mit Holz verbarrikadiertes Turmfenster frei.
    „Wenn wir Glück haben, ist nicht der ganze Tempel mit Sand gefüllt“, bemerkte er und betrachtete nachdenklich das Fenster.
    „Glaubt Ihr, wir könnten dann schon hier einsteigen und so in das Innere gelangen?“, fragte Theic und ging neben dem Lord in die Hocke.
    „Hoffen wir es“, stimmte dieser zu. Er legte die Schüssel beiseite und drückte dann mit den Händen an der Öffnung herum. Das Holz war durch die Sandstürme und die Jahre gesplittert und morsch, aber noch immer ohne Löcher. Es sah also ziemlich gut aus, was das Innere des Turmes anging.
    „Da kommt Jaris zurück“, lenkte Thyra die Aufmerksamkeit auf den Leibwächter, der auf seinem Pferd auf sie zugetrappelt kam. Hinter ihm trabte das Pferd des Soldaten her und bei genauerem Hinsehen, konnte Theic auch den bewegungslosen Körper von Regar sehen. Schlapp hing dieser auf dem Rücken des Tieres.
    „Ich habe ihn“, meinte Jaris überflüssigerweise. Er stieg von seinem Gaul und kam zu ihnen gelaufen. Theic wusste nicht, ob er es sich nur einbildete, oder ob es an der Sonne lag, aber aus irgendeinem Grund hatte Jaris einen leicht gequälten Gesichtsausdruck.
    Aras würdigte ihn keines Blickes, sondern richtete seinen Zauberstab auf das Holz. Kleine Blitze schossen aus dem Stab und ließen das Holz in kleine Splitter zerspringen.
    „Und wir haben den Eingang“, meinte er dann zufrieden. Jaris war die Erleichterung anzusehen, dass er nicht mehr graben musste.

  • Zu viert versuchten sich einen Blick in die Öffnung zu erhaschen.
    Es war stockdunkel und Thyra konnte nichts im Geringsten erkennen.
    Sie zog sich zurück und hob einen Stein auf, der zu ihren Füßen lag, beugte sich wieder in das dunkle Fenster – wobei sie Jaris ein wenig zur Seite drängte – und ließ den Stein fallen. Leise zählte sie die Sekunden, bis sie Aufprall hören konnte. Sechs.
    „Und? Wie tief ist es?“, fragte Theic nervös.
    Thyra grinste schief. „Ich habe vergessen wie man das ausrechnet. Aber ich denke es ist machbar.“
    Aras verdrehte genervt die Augen. „Natürlich ist es machbar! Egal wie tief, wir kriegen das schon hin!“
    „Wie kriegen wir Regar da runter?“, warf Jaris in die Runde.
    Theic eilte zum Wagen und fischte ein dickes Seil heraus. „Damit müsste es gehen.“
    Jaris nickte und band das Seil unter die Achseln des reglosen Soldaten. Gemeinsam zerrten die beiden Männer den schweren Körper zu der Öffnung im Turm. Thyra sah Jaris zögern, konnte es aber nicht einordnen. Sie maß dem ganzen keine große Bedeutung zu. Ihr behagte es auch nicht einen Menschen zu opfern, auch wenn Regar jetzt kein allzu großer Verlust für sie alle wäre. Er hatte sie schließlich nur in Schwierigkeiten gebracht.
    gerade wollten Jaris und Theic den Mann über die Kante schubsen, als Aras Einwände verlauten ließ: „Wartet! Ich gehe vor! Ich werde den Turm auskundschaften und falls Regar aufwacht wird er uns unten nicht mit gezücktem Schwert erwarten!“
    Thyra zuckte mit den Schultern. Sie hatte keine Einwände. Besser der Lord als sie. Er hatte mit seiner Magie eventuellen Gefahren am meisten entgegen zu setzen.
    Aras stieg auf den schmalen Sims und rückte sich ein wenig zu Recht.
    Er stemmte sich mit den Armen ein bisschen ab, sodass er mit den Füßen die gegenüberliegende Wand erreichte und klemmte sich dann mit den Rücken an die Wand unter ihm. So arbeitete er sich Stück für Stück nach unten.
    „Ähm Aras?“, fragte Thyra in die Dunkelheit, in der nur noch das Gesicht des Herzogs zu erkennen war.
    Wütend schaute dieser nach oben. „Was ist?!“
    Thyra trat von einem Fuß auf den anderen. „Was machst du, wenn der Turm nach unten hin breiter wird?“
    „Improvisieren!“, kam die bissige Antwort, dann verschwand sein Körper endgültig in der Dunkelheit.
    „Sag Bescheid, wenn wir Regar ablassen können!“, rief sie ihm noch hinterher, erntete aber nur ein angestrengtes Schnauben.
    Sie warteten … und warteten. Nach einer schieren Ewigkeit hörten sie es poltern, einen lauten Fluch und dann: „Ihr könnt!“
    Gemeinsam stopften sie Regar durch das Loch, packten das Seil und ließen ihn langsam ab.
    „Hab ihn!“, ertönte Aras‘ Stimme und erleichtert ließen sie sich in den Sand fallen. Diese Hitze würde sie umbringen. Thyra sehnte sich nach der Kühle der Berge.
    „Jetzt Theic!“, befahl der Lord.
    „Warum ich?“, unsicher blieb der kleine Mann an dem Loch stehen. „Wie kamt ihr runter?“
    „Mit meiner Technik kommt man fast bis zum Boden."
    „Ihr wisst, dass ich kleiner als ihr bin?“, fragte Theic zweifelnd.
    „Mach jetzt!“, brüllte der Lord ungehalten. Zögernd kletterte Theic in das Fenster und ahmte die Technik des Herzogs nach.
    Zweifelnd warf er nochmal einen Blick zu der Jägerin, die versuchte aufmunternd zu lächeln. „Zur Not landest du eben auf Regar.“
    Nun huschte auch über Theics Gesicht ein gequältes Lächeln, ehe er in der Dunkelheit verschwand. Wieder warten, wieder poltern, wieder fluchen.
    „Theic! Alles in Ordnung?“, brüllte sie in den dunklen Schacht.
    „Ja“, stöhnte dieser am anderen Ende.
    „Ladys first“, murmelte Jaris und deute auf den Eingang. Thyra schüttelte entschieden den Kopf. „Sicher nicht. Ich werde während du kletterst noch Iorweth holen." Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand im Wagen. Die Sonne und die Hitze hatten ihr zugesetzt und sie merkte, wie der Vampirspeichel wieder an Macht gewann. Sie hatte von ihm weggemusst. Besser der Vampir überfiel sie, wenn Aras und Theic in der Nähe waren, um einzugreifen.
    Sie hörte wie Jaris sich umständlich auf den Sims hievte und hinab in den Turm glitt. Sein Arm schien dabei eher hinderlich zu sein, doch schließlich schaffte er es.
    Thyra warf einen Blick auf ihren Bogen und entschied ihn doch besser hier zu lassen. Er war bei der Klettertour zu unhandlich und sie konnte es sich nicht leisten ihn bei einem Sturz zu zerbrechen, allerdings kam ihr ein anderer sinnvoller Gedanke. Das Seil. Aras musste Regar schon losgeknotet haben. Es wäre sicherlich sinnvoll das eine Ende am Wagen festzuknoten, um den Aufstieg zu erleichtern. Sofern sie jemals wieder nach oben kommen würden.
    Gedacht, getan. Dann stahl sich ein schiefes Grinsen auf ihre Lippen. Sie hätten es auch zum Abstieg verwenden können. Sie kicherte, als sie den Knoten auf seinen Halt überprüfte.
    „Bist du unten?“, brüllte sie.
    „Jep. Kannst kommen“, hallte Jaris Stimme zu ihr hinauf.
    Sie warf das Seil durch die Öffnung, packte es und glitt ohne einen weiteren Blick an die Sonne zu verschwenden in die Dunkelheit. Ihr Füße stemmte sie an der Wand ab, während sie sich Stück für Stück nach unten hangelte.
    Am Boden des Turms warteten Aras und Jaris, beide mit einem feuerball auf der Handfläche und Theic, der sie böse mit verschränkten Armen musterte.
    „Aber Hauptsache ich falle die letzten drei Meter!“, schimpfte er und Thyra sah beschämt zu Boden. „Ist mir eben erst gekommen.“
    Schnaubend wandte Theic sich ab und marschierte voraus. Es gab nur eine Richtung.
    Niedergeschlagen trottete Thyra hinter der Gruppe her. Sie hatte es ja nicht mit Absicht gemacht und Theic hatte sie erst recht nicht verärgern wollen.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Mit Regar auf dem Buckel trottete Aras voran, Jaris ganz hinten und die anderen beiden in der Mitte. Sein Feuerball tänzelte auf der Hand und leuchtete ihnen den Weg. Zwar konnten sie trotzdem nicht viel sehen, aber es würde schon irgendwie klappen. Ebenso wussten sie ja nicht mal, wohin sie genau mussten. Und von daher war die Orientierungslosigkeit mit und ohne Licht sowieso Ein und Dasselbe.
    Sie folgten dem Gang, der Boden war mit Sand bedeckt. Das Gestein sah schon etwas brüchig aus, würde aber sicherlich noch einige Jahrhunderte überstehen. Zumindest war der Turm ja bis jetzt immer noch einigermaßen intakt geblieben. Und so jung konnte dieser Tempel bestimmt nicht gewesen sein. Immerhin waren die Wände stellenweise mit Ornamenten und Schriftzeichen, wie auch Symbolen bestückt. Diese zeugten annähernd vom Alter dieses Bauwerks. Hieroglyphen waren es und diese existieren schon seit einer gefühlten Ewigkeit.
    Die gruppe schenkte diesen erstmal keine Beachtung. Viel wichtiger war es ihnen, einen Fixpunkt zu finden. Einen Raum, oder einen Gegenstand. Etwas, woran man sich orientieren kann. Denn der Turm bot keinerlei Detail, welches von Bedeutung wäre.

    Finster war es, zu finster für deren Geschmack. Alleinig dem Lord gefiel es hier ansatzweise, in der Dunkelheit. Er war es von seiner Burg gewohnt, auch mal nachts im Schutze der Dunkelheit herumzulaufen. Er empfand es als Befreiung, als Leben. Sicherlich, es war beängstigend und beengend. Aber es war real. Theical dagegen fürchtete sich sichtlich sehr, was ihm nicht zu verübeln war. Er war halt recht klein und die Finsternis ließ alles viel größer und monströser wirken. Aras konnte nur ansatzweise empfinden, wie Theical sich hier gefühlt haben musste. Doch andererseits war es dem Lord relativ egal, was andere bedrückte. Was ihm keine Angst machte, durfte auch anderen keine Angst machen. Er stieß schon oft mit dieser Philosophie auf Ablehnung.

    Aras stoppte abrupt, als er im flackernden Licht die Wand zu seiner Linken verschwinden sah. Die Wand selbst verschwand nicht, aber es zweigte ein Weg ab, welcher diese Illusion erzeugte. Er war es schon fast gewohnt, nur geradeaus zu laufen und nur diese beiden Wände zu sehen. Er blickte kurz zurück und konnte geradeso noch einen kleinen Lichtschein sehen, welcher durch das freigelegte Loch des Turms in diesen Gang fiel. Kaum größer als ein Sternenpunkt am allnächtlichen Himmel. Es gab ihm nur geringfügig einen Anhaltspunkt von der zu schätzenden Entfernung dieser beiden Standorte. Er überschlug es kurz im Kopf. Nicht mal fünfzig Schritte hatten sie getan und waren doch schon so lange unterwegs. Es fühlte sich zumindest wie eine Ewigkeit an, bedingt durch die Eindrücke und Details dieses unbekannten Terrains.

    "Wo gehen wir nun lang?", fragte er die Gruppe und schwenkte seinen Feuerball von Links nach Rechts. Es standen zwei Wege zur Auswahl.
    "Warum gehen wir nicht einfach weiter geradeaus?", frage Thyra entnervt. "Es ist so scheiße finster hier, in diesem Tempel!"
    "Jaris, was meint Ihr?", fragte er weiter. "Wir stimmen jetzt einfach mal ab. Ich enthalte mich."
    "Wenn ich so recht überlege", begann Jaris, "wäre die Abzweigung vermutlich eine bessere Wahl..."
    "Wie kommt Ihr darauf?", fragte der Lord, auch wenn er vermutlich schon längst die Antwort darauf kannte.
    "Wir sind bis jetzt ungefähr sechzig Schritte geradeaus gelaufen, also müssten wir im Grunde bereits im Tempel sein. Wenn wir nun weiter dem geradeaus folgen, könnte es passieren, dass wir direkt zu einem anderen Turm laufen. Und das wäre äußerst unproduktiv."
    "Aber es muss ja nicht so sein", meinte Theical dann und stimmte Thyras Worten zu.
    "Also gehen wir weiter in diese Richtung!" Und die Gruppe lief weiter. Sicherlich war es dem Lord und Jaris nicht recht, aber der Lord wollte sich nicht ohne Grund der Abstimmung enthalten. Er wäre sowieso immer gegen die Mehrheit gewesen und dann gäbe es immer ein Stechen. Des Weiteren hatte er alle Zeit der Welt. Wer würde ihn schon hetzen, nachdem er sich selbst bereits schon so gehetzt hatte?
    Ob sie nun richtig lagen, würde sich noch zeigen. Aber zumindest waren sie nun schon mal ein gutes Stück weiter vorangekommen und verloren auch allmählich die Angst. Die Wände veränderten ihre Struktur und Form. Säulen zierten nun in regelmäßigen den Gang, welche ihn nicht nur optisch aufwerteten, sondern auch zugleich Halt boten.
    Aras Blick fixierte sich auf die Ornamente an diesen Säulen. Und er begann nachzudenken. Die Bilder und Reliefs zeigten merkwürdige Figuren und Symbole. Es waren Frauen zu sehen, mit eigenartigen Schlangenkörpern. Sie hielten Speere und Morgensterne in den Händen und führen eigenartige Rituale durch. So interpretierte er es zumindest in diese Bilder hinein. Ob es nur Abbilder von Göttern waren, von Glaubensbekenntnissen? Oder waren es reale Geschichten, die hier präsentiert wurden? Nur schwer konnte er die Schriften entziffern. Die Gruppe ließ ihm ja auch kaum Zeit zum Lesen und Studieren dieser Texte. Auf jeden Fall gefiel es ihm nun umso mehr, in der Dariswüste unterwegs zu sein. Er war fasziniert, es waren neue Erfahrungen und Eindrücke. Viel Wissenswertes war hier bestimmt zu entdecken. Er musste nur Zeit dafür finden, um vielleicht noch einen Sympathisanten.
    "Naga", sagte er neutral in die Leere hinein.
    "Wie bitte?" Was?"
    "Naga", wiederholte er es. "An den Wänden hier."
    "Wo sind hier Nager?" Verwundert schaute Thyra sich um.
    "Nicht Nager! Naga!"
    "Also ich sehe hier keine Ratten", murmelte Theical und fuchtelte leicht mit seinen Händen herum.
    Aras stöhnte entnervt und scharrte mit seinen Füßen an den Wänden entlang. "Schlangenfrauen meine ich. Seht ihr die nicht?"
    "Schlangenfrauen?", fragte Thyra beunruhigt und schmiegte sich ungewollt näher an Aras an. "Schon wieder heimtückische Frauen?"
    "Ich meine die Reliefs an den Wänden, Thyra. Ich denke nicht, dass hier noch welche existieren, oder jemals existiert haben."
    "Und woher wollt Ihr das wissen, Aras? Vielleicht gibt es hier ja doch welche?"
    Jaris erwiderte ihr sofort: "Thyra, er hat nur von den Bildern hier gesprochen. Das dient nur als Information für uns."
    "Als Information, für was?", fragte sie weiter. "Aras sagt nie etwas ohne Grund..."

    "Und das kommt aus Eurem Mund", spöttelte der Lord.

    "Ja! Das aus meinem Mund!", maulte sie und ließ wieder von ihm ab, um sich nun näher an Jaris ranzumachen. "Können wir nun weitergehen, ohne diese Nager weiterhin zu erwähnen?"
    "Naga, Herr Gott nochmal!", fuhr Aras auf. "Ist das denn so schwer!?"

  • Seine Schritte hallten im dunklen Gang. Einzig die Feuerkugel von Zacharas diente als Lichtquelle und warf ihr spärliches Schimmern auf die Zeichnungen und Bildnisse an den steinernen Wänden. "Wenn wir hier sterben, wird uns nie einer finden", dachte er und musste schlucken. Wer konnte schon sagen wie alt diese Gemäuer war. 100 Jahre, 500 Jahre, 1000 Jahre? "Stopp", sagte er und hob eine Hand. Selbst Zacharas blieb stehen und sah ihn verwundert an. "Da ist etwas. Ein Geräusch." Dieses mal lachte niemand. Alle sahen sich nur unruhig in der Dunkelheit um. Da war es. Unglaublich leise, aber deutlich genug. Ein schleifendes Geräusch. "Wir sollten die Grabkammer lieber schnell finden", schlug er vor und ging weiter. Das metallische Schleifen seiner Klinge, die aus ihrer Scheide glitt ließ sie alle erschrocken zusammenzucken, aber der Griff fühlte sich beruhigend in Jaris Hand an. Schritt für Schritt taten sie und Jaris horchte immerzu aufmerksam in die Dunkelheit, aber da war nichts mehr. Vielleicht hatte er sich ja dieses eine Mal getäuscht. Die Besorgnis den Turm zu verlassen legte sich bald, denn der Gang ging in eine kurve über, die beständig abwärts fuhr. Die Luft roch abgestanden und modrig, obwohl ganz bestimmt nichts mehr vorhanden war, das modern konnte. Nach Minuten, die ihnen wie Stunden vorkamen taten sich zu beiden Seiten plötzlich die Wände auf und um sie herum war nur noch schwärze. Eine Handbewegung von Zacharas genügte und der Feuerball nahm an Intensität zu während er nach oben schwebte. Nach und nach kroch sein Lichtschein über den glatten Steinboden, bis er doch Säulen und dahinter Wände erreichte, die den Saal begrenzten. An jeder Säule, die parallel zu den Wänden, wenige Meter von diesen entfernt, verliefen, war ein kleines rundes Feuerbecken angebracht. Sie waren jedoch schon lange kalt und verloschen. Ansonsten wiesen die glatten Oberflächen der Säulen keinerlei Verzierung auf. Der Saal selbst war riesig, bestimmt 100 m lang und breit, und doch leer bis auf einen steinernen Block in der Mitte, der auf einer Erhebung stand. "Ist das...", begann Theical. "Ein Sarg", beendete Zacharas nüchtern seinen Satz, "Oder viel mehr ein Sarkophag." Ein dumpfer Ton erklang hinter ihnen und als sie herumfuhren sahen sie nur noch zwei Steinplatten, die vor den Ausgang geglitten waren und diesen versperrten. Mit einem Zischen entbrannte in den zwei Feuerbecken, die der Tür am nächsten lagen, eine Flamme und sogleich darauf in dem anliegendem Becken eine selbige. Nach und nach loderten alle auf und tauchten den Raum in ein helles Licht, was jedoch kälter schien, als die Hitze, die von ihnen ausging, vermuten ließ. Zacharas ließ seine Feuerkugel verlöschen. Sie machte keinen Unterschied mehr. Sie sahen sich ratlos an. "Und was jetzt", fragte Thyra laut in den Raum hinein als erwartete sie, dass er antwortete, "Müssen wir Regars Blut über dem Sarg vergießen, oder was?" Plötzlich fuhr ein Luftstoß durch den Raum, den es so tief unter der Erde in einem abgeschotteten Raum nicht hätte geben dürfen und wirbelte Staub von Boden auf. Der Staub selbst erleuchtete in einem hellem Licht, als ob er ebenso wie die Feuerbecken brannte, und formte sich zu einer einzelnen Rune, die in der Luft zu schweben schien. "Was bedeutet das", fragte Jaris Zacharas, der damit noch am ehesten etwas anfangen könnte. "Ja", antwortete ihm der Herzog ohne überlegen zu müssen.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Ja.
    Was auch sonst? Es wäre auch zu einfach gewesen, wenn sie Regar einfach in einen Raum geschubst und ihn dort zurückgelassen hätten.
    „Und wie viel?“, fragte Thyra. Sie blickte zu dem noch immer schwebenden Sand. Dieser formte sich neu und Zacharas las erneut vor: „Alles.“
    Theical schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Das konnte wohl nicht der Ernst von diesem blöden Geist sein. Zwar konnte er Regar nicht leiden, aber deshalb brachte man doch noch lange keinen um. Zumal der Soldat sich nicht einmal wehren konnte. Er lag bewusstlos auf dem Boden, an der Stelle, an der ihn Zacharas abgelegt hatte.
    „Und wer hat das Vergnügen?“, fragte Jaris. Alle blickten sie zu Aras.
    „Wieso muss eigentlich immer ich alles erledigen, sobald es euch zu unangenehm wird?“, blaffte dieser genervt los. „Ich bin doch nicht euer Sam.“
    „Kann dieser blöde Geist das nicht selbst machen?“, fragte Thyra in den Raum hinein. Dabei fixierte sie ihren Blick auf dem schwebenden Sand. „Und versuch gar nicht erst mit diesem unverständlichen Haufen Buchstaben zu antworten. Zuvor hast du auch mir uns gesprochen, oder bist du dir jetzt zu fein dafür?“
    Theical zupfte an ihrem Ärmel, um sie zu beruhigen.
    „Thyra sei still, sonst machst du ihn noch wütend.“
    „Was denn? Ist doch wahr.“ Thyra verschränkte die Arme vor ihrem Körper und blickte noch immer schwebenden Haufen an. Langsam verformte er sich und bildete neue Buchstaben.
    „Was schreibt er?“, fragte Jaris. Ein bedenklicher Blick legte sich auf Thyra.
    „Dass sie den Mund halten soll“, antwortete Zacharas. Mit aller Kraft machte er sich daran, Regar in Richtung des Sarkophags zu schleifen.
    Theical beobachtete Zacharas nur dabei, während sich Jaris daran machte, ihm zu helfen, was mit einem Arm nicht leicht war. Gemeinsam zerrten sie ihn bis an das Podest heran und ließen ihn dann dort liegen.
    „Also bringen wir ihn um und zack, das war’s?“, fragte Jaris.
    „Hoffen wir es“, meinte Aras. Er zog seinen Zauberstab aus dem Mantel und richtete ihn auf den Soldaten. Theical wandte seinen Blick ab, und betrachtete stattdessen die schmucklosen Säulen im Raum. Das Letzte, das er sehen wollte, war das sterbende Gesicht Regars.
    „Wartet!“, rief Thyra plötzlich, weshalb er seinen Blick doch wieder hob und ihn auf die Jägerin richtete. Auch Zacharas und Jaris wandten sich ihr zu und sahen sie fordernd an. Thyra deutete auf den Sand, der sich erneut umformte. „Er will uns etwas sagen. Warum auch immer er das nicht persönlich macht, sondern mit diesem Hokuspokus.“ Den letzten Teil ihrer Aussage flüsterte sie nur noch, aber es war immer noch laut genug, damit es jeder verstehen konnte.
    Zacharas richtete seinen Blick auf den Sand zu verzog das Gesicht. Erst nachdenklich, dann zornig.
    „Was sagst du da?“, knurrte er.
    Erneut formten sich die Zeichen um.
    „Niemals!“
    Verwirrt blicken sich die Kameraden an, dann von Zacharas zu dem schwebenden Sand und wieder zurück. Es war schwer zu sagen, was vor sich ging, wenn man immer nur eine Antwort verstand und sich unter den Zeichen des anderen nichts vorstellen kann.
    „Ähm“, begann Jaris nach einiger Zeit, „Worum geht es?“
    Zacharas umgriff seinen Zauberstab noch etwas mehr, sodass schon das Weiß seiner Knöchel hervortrat.
    „Er hat erfahren, wohin unsere Reise geht.“
    „Das heißt?“, fragte Theical nach. Er wusste nicht, ob das nun eine gute oder schlechte Neuigkeit war. Zacharas Reaktion nach zu urteilen, wohl eher das Zweite. Wollte er sie etwas daran hintern, der Schatulle von Daris nachzujagen? Schließlich war er ein alter Wüstenkönig. Er dürfte einiges dagegen haben, wenn sie einfach die Schätze der Wüste an sich rissen.
    „Er will mit“, meinte Zacharas nüchtern.
    „Er will was?“, rief Thyra aus. „Wie stellt der sich das vor? Man hält uns doch für irre, wenn wir uns mit einem Haufen Dreck unterhalten!“
    „Stell dich nicht immer so dumm!“ Zacharas Blick ging wieder zu dem noch immer bewusstlosen Körper von Regar. „Er will nicht in der Gestalt mit, die er jetzt hat.“

  • Thyra war einfach nur genervt.
    Erst forderte der Geist so ein super bescheuertes Opfer und nun war er sich plötzlich zu fein mit ihr zu reden.
    Wahrscheinlich sucht er sich jedes Mal eine neue Person aus, mit der er redet, dachte sie. So als könnte er sich nur auf einen konzentrieren.
    Sie verwarf den Gedanken. Denn selbst wenn es so wäre, hätten sie auch nichts davon.
    Ungeduldig wartete sie, bis der Geist Aras erklärt hatte, was er zu tun hatte. Es schien endlos zu dauern und der Staub verformte sich immer wieder zu einer schier endlosen Anleitung. Plötzlich fiel der Staub zu Boden.
    "Was müssen wir tun?", platzte es sofort aus ihr heraus.
    Der Herzog musterte sie abschätzig, doch daran hatte sich schon gewöhnt und es war ihr egal. "Wir sollen ihn auf den Sarg legen und dann einen Schlitz in seine Stirn schneiden."
    "Und weiter?", fragte Thyra. "Nichts und weiter. Das war's. Himmel, warum muss ich mich immer mit so einen dämlichen Pack rumschlagen?"
    "Und dafür hat der Geist jetzt eine halbe Stunde gebraucht?", murmelte die Jägerin zu sich selbst und wurde den Verdacht nicht los, dass Aras ihnen einen Großteil der seltsamen Unterhaltung mit dem Staub verschwieg.
    Dennoch half sie Aras, Theic und Jaris den reglosen Regar auf den Sarg des alten Wüstenkönigs zu hieven.
    "Jetzt den Schnitt", murmelte Aras und trat zur Seite, als Jaris sein Schwert hob, welches er noch immer in den Händen hielt.
    "Wartet", ging Thyra dazwischen. "Damit geht es sicherlich besser." Sie zog ihr Jagdmesser aus dem Futteral und reichte es Jaris.
    "Endlich bist du mal zu was zu gebrauchen", zischte Aras.
    Thyra warf ihm einen vernichtenden Blick zu, verzichtete aber auf eine Antwort, denn nun wurde es spannend.
    Jaris setzt die Klinge am Kopf des Soldaten an und zog sie über seine gesamten Stirn. Sie hinterließ eine schwach blutende Wunde. Sobald er das Messer vom Kopf des Mannes nahm, fegte wieder dieser eigenartige Wind durch die Halle und brachte die Feuer in den Schalen zum flackern. Aller Staub und Sand, der am Boden zu finden war, kroch in dünnen Armen auf das Podest zu, auf dem der Sarg lag. Thyra wich hektisch einigen der Arme aus, die sich gegen die Schwerkraft nach oben schoben und in der Wunde an Regars Kopf verschwanden. Zurück blieb nur eine blasse Narbe, dort wo Jaris ihn geritzt hatte.
    Gespannt betrachteten die Vier den Soldaten. Eine ganze Weile geschah nichts, dann schlug er plötzlich Augen auf. Thyra erschrak. Sie waren so leer wie die eines Toten.
    "Keine Sorge, kleine Nomadin. Wenn wir unser Ziel erreicht haben, gebe ich ihn wieder frei", zwinkerte er ihr zu. Etwas eckig und hölzern richtete er sich auf. "Ist ewig her, dass ich einen Körper hatte. Ich danke euch Herzog", fuhr er an Aras gewandt fort. Dieser musterte ihn nur kühl. Ihm schien es gar nicht in den Kram zu passen, dass der Selchor sie begleitete.
    Der Wüstenkönig war hatte sich jedoch schon Theical zugewandt. "Interessant. Elementarmagier. Fokussieren oder Morphen?" "Fokussieren", murmelte Theic perplex, doch der König hörte ihm schon gar nicht mehr zu. "Oho ... was haben wir denn hier. Süßes Blut, mein Lieber. Dich hätte ich ja lieber gehabt. Du wärst eine gewisse Steigerung zu dem hier gewesen", sagte Selchor, während er um Jaris herum scharwenzelte. Diesem schien es gar nicht zu behagen, denn er drehte sich um die eigene Achse mit, um den Geist nicht aus den Augen zu verlieren, aber dieser hatte das Interesse an dem Söldner schon längst wieder verloren.
    Thyra begriff, dass sie mit ihrer These gar nicht so falsch gelegen hatte. Der Wüstenkönig konnte sich tatsächlich nicht sehr lange auf etwas Bestimmtes konzentrieren. Sein Wesen war flatterhaft und sie konnte erkennen, dass er Spaß daran hatte Leute mit seinen Gedankensprüngen zu verwirren. "Wohl an, Freunde. Wie kommen wir hier wieder raus?", riss er Thyra aus ihren Gedanken und klatschte dabei in die Hände.
    "Ich dachte Ihr habt den Tempel bauen lassen", fragte sie erstaunt.
    "Ja, aber ich kann mich da nicht mehr so genau dran erinnern..."
    Verwirrt sahen die Gefährten ihren - gezwungener Maßen - neuen Freund an, aber Aras hatte sich mal wieder am schnellsten gefangen. "Zurück zum Turm!"
    "Die Tür ist versperrt", wandte Theic ein.
    "Kein Problem, das haben wir gleich!", erneut klatschte Selchior in die Hände und die dicken Felsblöcke, die hinter ihnen zusammen geglitten waren, schoben sich nun wieder auseinander und dieses schleifende Geräusch von vorhin drang zu ihnen.
    Einen Augenblick später glitten Wesen, halb Frau, halb Schlange um die Ecke in den Raum hinein.
    "So viel zum Thema Mythos", sagte Thyra mit in der Situation völlig unangebrachtem Sarkasmus in der Stimme. "Könnte ich mein Messer wieder haben?"

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    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Sieben Stück! Wobei vermutlich schon eine hätte ausreichen können, um die Truppe umzubringen.
    "Das kann doch jetzt nicht wahr sein, oder?", maulte Aras und stellte sich in Angriffsposition.
    "Wo kommen die jetzt auf einmal her?", fragte Theical Selchior.
    "Ich wusste gar nicht, dass meine Hüter noch leben."
    "Echt jetzt!?" Thyra war mehr als nur sauer. "Ein vermaledeiter Haufen Dreck seid Ihr!"
    "Und wie sind die Hüter Fremden gegenüber eingestellt?", fragte der Lord interessiert, um auf das Kommende vorbereitet zu sein.
    "Keine Angst", erwiderte Selchior sofort und riss unbeholfen die Arme hoch. "Sie werden mir gehorchen. Ich bin einer von ihnen." Selbstbewusst stakste er mit offenen Armen langsam auf sie zu und nickte ihnen einvernehmlich zu.
    Die Truppe schaute ganz schön verwirrt. Was auch immer Selchior gerade vorhatte, es grenzte an Schwachsinnigkeit. Schizophrene Neigungen waren dabei auch nicht ganz auszuschließen. "Ihr wisst aber schon, dass Ihr gerade in einem menschlichen Körper steckt, oder?"

    Doch ihn interessierte das recht wenig. "Haltet ein, meine Lieben! Ich bin es, Euer König!"
    Leicht verdutzt schauten die Schlangenfrauen drein und sich gegenseitig an. Züngelnd und fauchend unterhielten sie sich untereinander und klapperten munter mit ihren Rasseln an den Schwänzen herum. Sehr bedrohlich wirkten sie und nicht gerade auf Friede beharrend.
    "Wer seid Ihr?", fragten sie im Chor zischend. "Wer hat den König geweckt?"
    "Ich bin der König!" Dann zeigte er auf die Truppe. "Sie haben mich geweckt. Ihnen habe ich diesen Wirtskörper zu verdanken."
    Sofort wandten sich alle Blicke auf sie. Die Naga zückten die Speere und Säbel und bildeten eine undurchdringliche Wand. In dieser Formation, selbst dem Wüstenkönig etwas unbehaglich, krochen sie langsam über den sandbedeckten Boden und wollten die Truppe in die Enge treiben.

    "Echt grandios!", maulte Aras genervt. "Wie klar war mir das? Ihr seid doch alle nicht mehr ganz knusprig!"
    "Was Ihr Euch jetzt so aufregt, Aras? Ihr habt es doch selbst beschworen, mit Euren Schauergeschichten..."
    "Schweigt, Ihr Bastarde!", kreischten die Frauen und reckten uns die spitzen Speere entgegen. Selchior wich nicht zurück und wurde eigentlich auch vollkommen ignoriert. Sie schlängelten sich einfach um ihn herum.

    "Selchior, tut was!", rief Aras ihm erzürnt zu und schleuderte als Warnung einen Feuerball vor die Frauen. "Bleibt uns fern, ihr Bestien!"
    "Warum müssen es immer Frauen sein?", jammerte Theical und klammerte sich wieder an Aras' Kutte fest.
    "Bin ich etwa der einzige Gutsherr im ganzen Land, der noch klar im Kopf ist? Immer solche Pseudokönige!"
    "Schweigt, Bastard!" Die Arme wirbelten durch die Luft, die Säbel und Speere gleich mit. Bis jetzt war alles nur Einschüchterung. Doch ein richtiger Kampf war nicht zu vermeiden. Zu gern hätte der Lord ihnen seine Magie präsentiert, doch war die Gefahr zu groß, dass er den König hätte verletzen können.
    Und dieser tat natürlich nichts weiter, außer dumm glotzen und mit bedeutungslosen Geplänkel auf die Schlangenfrauen einzureden.
    "Hört ihr nicht? Ich bin Selchior, euer König! Ich befehle euch, mir zu gehorchen!"
    "Einfach nur klasse, wie Ihr eure Untertanen im Griff habt..."
    "Schweigt, Unwürdiges Pack. Ich bin euer aller König..."

    Immer weiter drängten die Naga sie zurück, doch langsam reichte es Aras. Er schleuderte erneut einen Feuerball, nun direkt auf sie. Doch sie parierten ihn gekonnt mit den breiten Klingen und teilten sich nun etwas auf. Eine links zwischen Säulen und Wand hindurch, ebenso eine rechts und die übrigen in der Mitte. Sie krochen sogar halb an den Wänden empor und wunden sich eben wie Schlangen um die Steinsäulen. Feuerbälle, schockende Zaubersprüche, Eiszapfen und andere Magie wendete er an. Aber nicht half. Als wären sie immun, gegen solcherlei schwache Magie.
    "Anscheinend wollen sie es nicht anders", murmelte der Lord und bereitete sich auf einen mächtigeren Zauberspruch vor. Jaris wollte das nicht und zurrte an Aras' Arm, auf dass er seinen Stab fallen lassen sollte, bestenfalls nicht mal an die Magie denken möge.
    Doch Zacharas tat es trotzdem und richtete seine gesamte Konzentration auf die nächstgelegene Stützsäulen. Sichtlich begann sie auf seine Worte zu reagieren und schien zu zerbrechen. Er versetzte sie in Schwingungen und versuchte, die Enden gegeneinander zu verdrehen, den ganzen Stein dabei aber nicht aus der ursprünglichen Form zu bringen. Es rieselte Staub und Geröll hinab. Thyra brüllte ihn an, klatschte laut in die Hände und trat ihn in die Kniekehle. "Hört auf, Aras. Ihr wisst doch gar nicht, ob die Statik des Raumes solche Erschütterungen verkraften kann..."
    "Ihr begrabt uns noch alle!", entgegnete Jaris und verpasste dem Lord einen leichten Klaps ins Gesicht.

    Selchior folgte den Frauen und faselte weiterhin von Gehorsamkeit. Die Frage war nur, wem sie überhaupt Gehör schenkten. Oder wer ihm Gehör schenkte.

    "Es könnte aber auch sein, dass sie meine Feinde sind", sagte er dann ganz spontan und hielt sich nachdenklich den Zeigefinger an die Lippen. "Ich würde vorschlagen, dass wir von hier verschwinden." Er klatschte zweimal laut in die Hände, machte kehrt und stakste gleichgültig davon. Ohne das Spektakel weiter zu beachten, überließ er die Truppe augenscheinlich ihrem Schicksal.

    "Selchior!", brüllte Aras durch den ganzen Saal, durch den ganzen Tempel. "Ich befehle Euch, uns zu helfen!"
    Doch er trottete seelenruhig davon und murmelte sich was zurecht.
    "Was sollen wir jetzt nur tun, Aras?", fragte Thyra.
    "Warum soll immer ich alles richten..?" Er schreckte auf. Ein dumpfes, aber heftiges Grummeln drang zu ihnen hindurch und brachte die Erde zum Beben.
    "Warum zaubert Ihr denn nicht?"
    "Weil es nichts bringt..." Wieder grummelte es. Diesmal näher und lauter. "Was war das? Noch mehr Naga?"
    "Er hat uns verraten", rief Jaris in die Runde. "Aras hat uns betrogen!"
    "Ich habe gar nichts..."
    "Selchior, Ihr habt uns betrogen!", rief der kleine Mann ihm böswillig zu. "Selbst Zacharas van Júmen zeigt mehr Initiative in größter Not!"
    Aber Selchior hörte nicht hin und ging weiter in Richtung Ausgang. Es grummelte ein drittes Mal. Und nun schienen auch die Schlangenfrauen etwas ungeduldiger zu werden. Ob es ihnen vielleicht auch Unbehagen bereitete?

    Die Truppe flüchtete an die hintere Wand, von wo dieses Geräusch kam. Die erhofften sich dadurch Zeit zu gewinnen und vielleicht eine gewinnbringende Lösung zu finden.
    Doch die Kreaturen holten schnell wieder auf, was ihnen sogar Spaß zu machen schien. Bis die Vier zu deren Bedauern und der Naga Freude in die Ecke getrieben worden waren.
    Sie setzten zum verheerenden Stoß an. Mit weit ausgeholten Armen, waren sie bereit zuzustechen. Die Truppe schien verloren.
    Doch dann bebte die Wand zu ihrer Linken. Sie vibrierte und bekam Risse. Die Frauen schreckten auf und rissen die Köpfe herum.
    Plötzlich wurde die Wand durchbrochen und gewaltige stierähnliche Kreaturen stürmten auf den Hinterläufen mit Karacho in die Opferkammer hinein. Mit langen Eisenketten, Feuerpeitschen und Streitäxten bewaffnet, Lederharnischen und Kettenhemden geschützt rannten sie wie eine Kavallerie durch den Raum. Erdbeben, Wirbelwinde und Donnergrollen, waren nichts dagegen.
    Sie holten weit aus mit den Peitschen und rissen die Frauen eine nach der anderen mit. Mit fest verschnürten Hälsen in den Peitschenschlingen und verknoteten Ketten, wurden sie mit lauten Getöse hinweggezogen, durch die gegenüberliegende Wand hindurch und immer weiter. Ein dichter Staubdunst hüllte alles ein und behinderte stark die Sicht, wie auch das Atmen.
    "Was zur Hölle war das!?", schrie Thyra auf. Damit hatte sie den anderen auch gleich die Worte aus den Mund genommen. "Habt ihr diese Bullen gesehen?"
    Aras schaute sich um. Von der offenen Wand neben sich, durch den verwüsteten Saal, bis zur anderen Wand, welches auch ein großes Loch zierte. Überall lagen Trümmer, Sandhaufen und Geröll herum. Ein Wunder, dass die Decke noch hielt, obwohl schon einige Säulen stark gelitten hatten.
    "Wie war das noch gleich mit der Statik?", fragte Aras in den Raum hinein und schielte zu Thyra hinüber. Diese schenkte ihm nur ein abfälliges Pfeifen.

    Aras stand nun direkt in der Schneise und konnte weit von Ende zu Ende des Tempels blicken. Oder zumindest so weit, wie das flackernde Licht zuließ.
    Ein einsamer Nachzügler tauchte auf. Er rannte ihm entgegen und blieb unmittelbar vor dem Lord stehen. Hatte Aras angst? Keiner wusste es so genau. Sogar er selbst schien eher verwirrt, als panisch. Er schaute sich diesen Stier etwas genauer an. Breite Schultern, an die drei Meter groß, sehr stämmig gebaut und mit schwerer Rüstung bestückt. In seinen Händen hielt er jeweils einen Streitkolben, welcher jeder für sich schon Theical überragen würde.
    Er schnaufte tief, Sand und Staub atmete er aus. Seine Haut glühte leicht orange, ähnlich heißer Glut in der Esse. Er war kein gewöhnliches Tier, das stand fest.

  • Jaris hielt den Atem an. Einen Moment lang fixierten die beunruhigend intelligent wirkenden Augen des Wesens Aras, dann ließ es den Blick über den Rest der Truppe wandern. Einige Sekunden lang geschah nichts, bis der Mannstier ein Schnaufen ausstieß, sich umdrehte und auf klackernden Hufen verschwand.
    "Was war denn das", fragte Theical leise, als fürchtete er das Geschöpf könne ihn hören und umkehren.
    "Egal", behauptete Thyra, "Diese Viecher haben die Nagas vertrieben."
    "Wir sollten schleunigst hier raus. Die Statik könnte uns tatsächlich gefährlich werden", wechselte Jaris das Thema und deutete auf einen großen Riss in der Gewölbedecke, den seine Augen ausgemacht hatten. Selbst Zacharas verzichtete auf einen Einwand und so folgten sie dem Mannstier aus dem Saal heraus, der so lange unbeschadet dagelegen hatte und nun vermutlich keine Stunden mehr hatte. Der Weg hinauf war vor allem wegen der Steigung deutlich anstrengender, aber auch unheimlicher, da überall tote Nagakörper herumlagen. Das ließ sie alle sorgenvolle Blicke tauschen. Die Schlussfolgerung lag nicht fern, dass ihre Schlächter umkehren könnten, nachdem sie alle erwischt hätten und Ausweichen gehörte zu den Dingen, die man lieber auf einer freien Fläche als in einem engen Gang tuen sollte. Umso erleichterter waren sie alle als sich Sonnenlicht vor ihnen zeigte. Tatsächlich fehlte von den Mannstieren jede Spur, obwohl es keinen anderen Ausgang als das Seil im Fenster gab, das mit ziemlicher Sicherheit nicht einmal einen von ihnen gehalten hätte. Vielleicht hatten sie die Abbiegung, an der sie vorbeigegangen waren, genommen. Das Seil zu erklimmen war vor allem für Jaris mit seinem gebrochenem Arm eine Qual, jeden Zentimeter musste er sich förmlich erkämpfen, auch wenn er sich mühte sich nichts anmerken zu lassen oder langsamer zu sein, als er es mit zwei Armen gewesen wäre, doch letztendlich gelange er nach draußen in eine Wüste, über der die Sonne langsam im Abendrot versank.
    "Ihr habt euch ja ganz schön Zeit gelassen", hörte er plötzlich eine Stimme von der Seite. Regar, oder vielmehr sein Körper, hatte sich an den Wagen gelehnt und schaute gelassen zu wie er sich aus dem Loch hievte.
    "Ihr seid noch hier", fragte Jaris ungläubig.
    "Was? Natürlich. Wieso"?, erwiderte der Wüstenkönig, "Wir haben doch ein Abenteuer vor uns." Er schien hellauf begeistert zu sein.
    "Ernsthaft?", fragte Thyra, die mittlerweile Jaris an die Oberfläche gefolgt war, unvermittelt hinter ihm, "Erst lasst ihr uns zum Sterben zurück und wartet dann hier. Ihr seid undankbar, treulos, ..."
    "Unglaublich gut aussehend, brilliant, ...", schlug Selchior vor.
    "Bedauernswert und ohne jede Ehre", vollendete Thyra ohne ihn zur Notiz zu nehmen.
    "Hey, ganz ruhig", versuchte der Wüstenkönig sie halbherzig zu beschwichtigen, "Das waren doch nur ein paar Naga und immerhin habe ich die Bullen gerufen, nachdem ich raus war."
    "Nur ein paar Naga", höhnte Theical, der sich nun ebenso zu ihnen gesellt hatte, "Und warum habt ihr erst gehandelt nachdem ihr euch aus dem Staub gemacht habt?"
    "Die Stiermenschen wurden von mir einst in weiser Voraussicht beschworen, um mein Grab zu schützen. Die Nagas haben nur ein paar meiner Untertanen dort unten eingesperrt um etwaige Totenräuber abzuhalten", beantwortete Selchior Theicals Frage nicht.
    "Und wieso wolltet ihr sie nicht Treffen", versuchte es Theical erneut.
    "Achso. Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit", behauptete der Wüstenkönig, "Von wegen ich hätte sie mit einem Zauber gebunden, ohne sie zu fragen und sowas. Außerdem mussten sie nur meinen Leichnam beschützen, nicht meinen Geist in einem anderem und oder noch lebendem Körper und diese Dinger können verdammt nachtragend sein. Wegen ein paar läppischen Epochen. Ich bin vor knapp tausend Jahren nur einmal ganz kurz für ein paar Minuten aus meinem Schlummern aufgewacht und habe versucht meinen Körper wieder in Schuss zu bringen, was mit einem Skelett gar nicht mal so einfach ist. Man war das Geschrei da groß. Meine linke Hälfte vom Beckenknochen liegt glaube ich immer noch hinter der Säule direkt neben meinem Grab. Deshalb versuche ich auch nichts mehr mit meinem altem Körper. Wegen dem Skelett meine ich, nicht wegen den Stieren. Obwohl die sicherlich auch ihren Teil dazu beigetragen haben." Er runzelte die Stirn als sei er soeben an einen äußerst interessanten Gedanken geraten.
    "Ihr!" Aras hatte nun das Seil als letzter erklommen und stand mit zusammengekniffenem Auge und vorgeschobenem Kinn vor dem Fenster. "Ihr unwürdiger, ihr wertloser Bastard." Er zog seinen Zauberstab und bevor Jaris ihn aufhalten hätte können - er war sich auch nicht sicher, ob er es versucht hätte - schleuderte er bereits einen Blitz auf den Wüstenkönig. Dieser ignorierte den Herzog völlig und starrte zum Himmel und als der Blitz ihn traf ignorierte er eben diesen. Die Elektrizität schien einfach an ihm abzuperlen, wie Regen an einer Glasscheibe. Als gäbe es nichts was ihn davon ablenken könnte wandte er sich dem Sonnenuntergang zu, während der Blitz sich eigentlich noch immer in seinen Rücken bohrte.
    "Ist das nicht wunderbar. Ich liege hier jetzt seit Jahrtausenden vergraben im Sand und die Sonne geht noch genauso wie zu meiner Zeit abends unter und morgens auf", sinnierte er, "Tut sie doch, oder?" Er drehte sich wieder um und betrachtete erstaunt den Blitz, der auf seiner Brust tobte.
    "Sieh mal einer an. Elektrizität. Wurde die mittlerweile entdeckt? Also auch ganz offiziell?", fragte er und zuckte enttäuscht die Schultern, als er keine Antwort erhielt, "Dann wohl nicht. Wurde seit einer Ewigkeit von Magiern genutzt und keiner kommt auf die Idee es für was anderes als ein paar Funken zu gebrauchen. Schade eigentlich."
    "Ganz ehrlich. Seid ihr auf Drogen", wollte Thyra wissen.
    "Nein", antwortete Selchior verwundert, "Sollte ich?"
    Zacharas machte eine Miene als müsse er in eine mit Zitronensaft gefüllte Schnecke beißen, lies den Blitz jedoch versiegen.
    "Ihr erklärt euch jetzt", verlangte er vom Wüstenkönig, "Was sind eure Ziele."
    "Ach, ich liebe Menschen", behauptete Selchior, "Immer versuchen sie alles zu erreichen, selbst wenn sie so winzig klein und so unterlegen sind. Das Risiko ist ihnen egal. Das nenne ich Ehrgeiz. Das ist wahre Hingebung." Er schaute verträumt über ihre Köpfe hinweg, als schwebten seine Gedanken in fernen Galaxien, statt bei ihnen hier.
    "Hallo." Thyra winkte vor seinen Augen umher. "Erde an Selchior. Auch wenn ihr übergeschnappt seid, könnt ihr doch zumindest Zacharas Frage beantworten. So schwer war die doch gar nicht.
    "Übergeschnappt?", fragte er und strahlte dabei, als sei das ein Kompliment, "Vielen Dank. Aber ihr seid auch nicht mehr ganz bei Trost. Ihr alle", er nickte ihnen beifällig zu, "Und ach ja die Frage. Nun. Ich will hier sein."
    "Hier sein, und?" , fragte Zacharas.
    "Na leben. Noch ein paar Sonnenuntergänge sehn. Und vielleicht auch Aufgänge. Kommt ganz darauf an wie wir die Abende verbringen", er zwinkerte vertraulich in die Runde, "Auf eigenen Beinen stehen, nicht auf solchen Pseudoriesenbeinen, die Reisenden Angst einjagen sollen, und den heißen Sand unter den Füßen fühlen, wie er im Sonnenlicht kocht. Natürlich ein letztes Abenteuer erleben. Ach und selbstverständlich noch einmal ein Windrad sehen. Ich liebe Windräder. Ihr nicht auch?"

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Theical starrte den Wüstenkönig ungläubig an. Der Kerl war übergeschnappt und das war noch maßlos untertrieben. Wahrscheinlich lag er viel zu lang in seinem mit Sand verschütteten Loch oder er stand in seinem früheren Leben zu lang in der Sonne.
    "Ihr seid irre!", rutschte es ihm heraus.
    "Oh vielen Dank", freute sich Selchior. Er klatschte in die Hände und drehte sich erneut dem Sonnenuntergang entgegen. Thyra nutzte die Zeit, um mit dem Finger gegen die Stirn zu tippen und anschließend kreisende Bewegungen mit dem Finger um die Schläfe zu machen.
    "Wollen wir ihn wirklich mitnehmen?", fragte Jaris skeptisch. Er betrachtete den Rücken des ehemaligen Königs, an der Stelle, an der ihn der Blitz getroffen hatte.
    "Niemals!", zischten Thyra und Aras synchron. Das erste Mal, dass sie sich wirklich einige waren.
    "Aber haben wir denn eine andere Wahl?", wandte Theic ein. "Ich fürchte, abschütteln lässt er sich nicht, mal ganz zu schweigen davon, ihn zu überreden, in sein Grab zurück zu kriechen."
    Aras strich sich mit der Hand über das Gesicht.
    "Ich habe keine Lust mich mit noch so einem Idioten herumzuschlagen. Das halte ich nicht aus."
    "Idioten?", knurrte Thyra.
    "Ich muss Theic zustimmen. Er wird kaum auf uns hören. Und vielleicht kann er uns ja nützlich sein." Jaris schien in eine tiefe Überlegung zu fallen.
    "Was meinst du?", fragte Thyra sichtlich interessiert.
    "Er ist dee König der Wüste, wir sind in einer Wüste. Er hat sicher mehr Ahnung von einer solchen, als wir", gab Jaris zu bedenken. Er hatte schon recht. Dem König fielen die Navigation und auch Nahrungsbeschaffung sicher leichter, als ihnen. Allerdings, wenn er sich den Alten so ansah, dann war er sich seiner Hilfe nicht mehr so sicher. Er war einfach zu verwirrt und unaufmerksam. Eher noch brachte er sie in noch größere Schwierigkeiten.
    "Worüber redet ihr denn?", wandte sich eine weitere Stimme in die Runde ein. Alle sahen sie auf und blickten augenblicklich in das strahlende Gesicht des Königs. Die Sonne war inzwischen untergegangen, weshalb seine Aufmerksamkeit wohl ein neues Ziel suchte.
    "Über dich!", gab Thyra unverblümt von sich.
    "Ich hoffe doch nur Gutes."
    "Ganz sicher nicht", grummelte Thyra. "Nicht?", fragte er, kurz schwand das Grinsen, kehrte aber im selben Wimpernschlag zurück. "Nun ja, auch gut. Was gibt es denn zu essen? Ich habe seit hunderten von Jahren nichts mehr gegessen."
    Theic konnte sich nicht vorstellen vor einem König zu stehen. Eher erschien er ihm wie ein Kind, dem man die Welt erst noch erklären musste. Aufgedreht und scheinbar taub für alle negativen Kommentare.
    Ohne eine Antwort abzupassen, watschelte Selchior auf die Rückseite des Wagens, öffnete dann die Tür und blickte hinein.
    "Ist das euer Tempel? Ziemlich mickrig, nicht? Wenn ich an meine Zeit zurück denke; zwanzig Schlafzimmer, weitläufige Hallen. Ist der Welt in den letzten Jahren der Wohlstand abhanden gekommen?" Theic war sich nicht sicher, ob Selchior bemerkte, dass keiner ihm zuhörte. Falls er es bemerkte, dann war es ihm egal.
    "Der hat doch denn Schuss nicht gehört." Thyra verschränkte die Arme und sah in Richtung des Wagens. "Es war schlimm genug Regar zu ertragen und jetzt den da." Sie machte eine ausschweifende Handbewegung in Selchiors Richtung.
    "Oh!", stieß Selchior aus. "Ein Bogen... wem gehört der?" Der König kam aus dem Wagen und hielt Thyras Bogen in der Hand. Unbeholfen schwenkte er ihn in der Gegend herum.
    "Bist du wahnsinnig!", brüllte die Jägerin und entriss ihren Schatz aus den Händen des Königs. "Fass ihn nie wieder an, hast du verstanden?" Eiskalt fixierte sie ihn und versteckte den Bogen hinter ihrem Körper.
    "So viel Temperament." Selchior schien die angespannte Lage gar nicht zu begreifen, dafür wirkte er immer noch zu sorglos. Theical war sich sicher, der König würde Thyras Heiligtum dennoch wieder in die Hände nehmen, wenn diese nicht hinsah. Bei dem Blutbad wollte er nur ungern dabei sein.
    "Okay, heute macht eine Weiterreise keinen Sinn mehr, also werden wir hier rasten", meinte Zacharas. Genervt sah er aus und müde schlich er um den Wagen, um die Pferde abzuspannen. Die anderen halfen ihm kurzentschlossen. Nicht nur, um ihm zu helfen, sondern viel mehr um Selchior aus dem Weg zu gehen.

  • Wütend stapfte Thyra davon, den Bogen an sich gepresst.
    Wenn der König ihn jemals wieder anfassen wollte, mochte Gott ihn schützen.
    Sie hörte noch wie Aras etwas von rasten sagte, aber dann verschwand das Lager hinter der nächsten Düne.
    Zwar wusste sie, dass sie sich nicht allzu weit entfernen sollte, aber wenn sie länger blieb würde sie den König vermutlich er würgen.
    „Wohin des Weges?“
    Thyra fuhr herum und blickte in das Gesichte Regars, welches mit der Stimme von Selchior sprach.
    „Verschwinde!“, brüllte Thyra, obwohl sie wusste, dass es sinnlos war. Resignierend machte sie kehrt und stiefelte so schnell zu den anderen zurück, dass Selchior fast rennen musste, um mit ihr Schritt zu halten.
    Vielleicht konnte sie seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken, anders war es zwecklos.
    Dafür, dass Selchior alles so aufregend fand, war er – dem Himmel sei Dank – überraschend schnell eingeschlafen. Wie ein Kind hatte er sich zusammen gekugelt und lag nun dicht neben dem Feuer, das in wärmen sollte.
    Notgedrungen waren die übrigen Vier enger zusammen gerutscht. Thyra saß zwischen Theic und Aras und starrte in die Flammen.
    „Was machen wir jetzt?“, fragte sie leise in die Runde, um den König nicht wieder zu wecken.
    „Weiter reisen“, murmelte Jaris. Was anderes blieb ihnen wohl wirklich nicht übrig. Die Jägerin bezweifelte ernsthaft, dass Selchior ihnen eine große Hilfe sein würde.
    Aras knurrte nur zornig. Entweder hatte er keine Lust zu reden oder er hatte keine Wörter um seinen Zorn zu beschreiben. Letzteres konnte Thyra gut nachvollziehen.
    „Pssst!“, machte es plötzlich hinter ihnen. Sie fuhren Synchron herum und blickten in die Gesichter von Schur und Mina. Sie waren alleine, auch keine Schakale begleiteten sie. Fragend blickten die Vier die Nomaden an.
    Schur trat nervös auf der Stelle, aber als Mina ihm einen Ellbogen in die Seite rammte begann er zu sprechen: „Ihr habt seiner Seele einen Körper gegeben?“
    Die Reisenden nickten einstimmig.
    „Fehler. Großer Fehler“, murmelte Thyra gereizt.
    „Ja, er kann sehr anstrengend sein“, flüsterte Mina.
    „Ihr wusstet-„, brüllte Aras, doch unwilliges grunzen Selchiors ließ ihn seine Stimme dämpfen. „Ihr wusstet, dass er uns darum bitten würde? Warum habt ihr uns nicht gewarnt?“
    Auch in Thyra breitete sich Zorn aus. Nomaden waren ehrliche Menschen. Was trieb Schur dazu, so ein falsches Spiel zu spielen?
    Schur hüstelte unsicher. „Nun, deshalb bin ich hier.“ Er stockte, ehe er weiter sprach. „Mina sagte, ich sei euch etwas schuldig.“
    „Allerdings“, antwortete Thyra und verschränkte die Arme. „Wir sind ein ehrliches Volk!“ Jetzt war es raus. Aber die anderen hatten nach ihrem Versprecher neulich ohnehin etwas geahnt.
    Was solls?, dachte sie und zuckte innerlich die Schultern. Es war ja kein großes Geheimnis.
    Mina schaute sie fragend an, sagte aber nichts sondern nickte nur sachte. Schur ergriff wieder das Wort. „So ist es. Deswegen werde ich euch ein Geheimnis verraten.“
    „Wahrscheinlich genauso nutzlos, wie alles andere was ihr uns geraten habt!“, fauchte Aras aufgebracht, aber Theic beschwichtigte ihn: „Lass ihn ausreden. Ich möchte wissen, was er zu sagen hat.“
    Aras schnaubte, fügte sich aber.
    „Nun, es ist so: Selchiors Seele ist auf dem Jenseits wieder ausgespuckt worden“, begann Schur mit seiner Erklärung. „Nicht einmal da konnten sie ihn ertragen. Jedenfalls ist er ein Rückkehrer. Wisst ihr wie man Rückkehrer nennt?“
    Zacharas nickte benommen und als auffordernde Blicke ihn trafen hauchte er: „Dschinn.“
    „Ganz genau“, bestätigte Schur. Thyra bekam große Augen. Einen Dschinn? Sie warf Selchior einen skeptischen Blick zu und lauschte dann wieder Schurs Ausführungen.
    „Da ihr ihm seinen Körper geschenkt hat, muss er euch eure Wünsche erfüllen.“
    „Wie viele?“, fragte Theic. „Drei?“
    Schur schüttelte den Kopf. „Drei gibt es nur von jenen Dschinn, die ohne Gegenleistung gehorchen müssen. Also beschworen wurden. Ihr hingegen habt Selchior ein Geschenk gemacht. Ein ziemlich großes sogar. Er wird euch zehn Wünsche gewähren müssen.“ Durchdringend schaute er in die Runde, dann ergriff seine Frau das Wort. „Gebraucht sie klug, besonders den letzten. Es ist vermutlich die einzige Möglichkeit ihn zurück in seinen Tempel zu verbannen.“
    Thyra blinzelte und als sie wieder scharf sehen konnte, war das Nomadenpärchen in der Dunkelheit verschwunden.
    Sie sah auf und blickte in Aras triumphierendes Gesicht. „Ein Dschinn!“, jubelte er leise. Die Übrigen warfen sich nur zweifelnde Blicke zu. Wenigstens hatte Schur seine Schulden beglichen und den Ruf der Nomaden wieder reingewaschen.

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    - F. Scott Fitzgerald

  • Schadenfroh rieb der Lord sich die Hände und grinste die Truppe frech an. "Ein Dschinn! Das gefällt mir ausgesprochen gut."
    "Oh nein, das ist gar nicht gut", erwiderte Thyra ihm sofort. "Was auch immer Ihr Euch nun für finstere Pläne ausdenkt, vergesst es."
    "Es ist ja wohl sonnenklar, dass mir generell schon mal zwei Wünsche zustehen", meinte Aras selbstgerecht und stolzierte triumphierend im Sand herum. "Zehn weniger zwei macht acht. Wir sind zu viert, also bekommt jeder zwei Wünsche gutgeschrieben..."
    "Also so geht das nicht!", warf Theical sofort Veto ein. "Ihr könnt Euch keine Wünsche einheimsen. Das ist eine Gemeinschaftssache..."
    "Nein, ist es nicht!", murrte Aras und beharrte auf seine Worte. "Ich habe von uns allen die meiste Arbeit gemacht, also steht mir auch der meiste Lohn zu."
    "Ihr habt gar nichts gemacht, Herzog!", maulte Thyra gleich wieder, wohlwissend, dass es nicht stimmte. "Ihr verdient keine Extrawurst, nur weil ihr ein Herzog seid."
    "Es wird hier nicht diskutiert", unterbrach Jaris den Streit. "Niemand erhält vorerst Wünsche. Wir haben nur zehn und die müssen gut durchdacht sein."
    Aras winkte ihm ab. "Was Ihr wieder erzählt? Wir brauchen an sich nur drei Wünsche. Den Schatz von Haemotsu, Selchiors Verbannung und mein privates Glück."
    "Privates Glück", spöttelte Thyra gleichgültig und pfiff ihm was. "Was macht Euch schon glücklich, was Ihr noch nicht besitzt?"
    "Aber mit den anderen beiden Dingen hat der Herzog recht", meinte Theical nachdenklich. "Wenn er wirklich jeden Wunsch erfüllen kann, ist unsere Reise womöglich hier und jetzt beendet."
    "Nein, niemals!", erwiderte Jaris schon wieder. "Wir werden uns weiterhin normal verhalten, als wäre nichts geschehen. Wer weiß schon, wie er reagieren wird, wenn er erfährt, dass wir es wissen?"
    "Jaris hat vollkommen recht", stimmte nun der Lord ihm zu. "Wäre ich er, würde ich es voll ausnutzen und euch drei extra in Gefahren bringen, um euch zu Wünschen zu zwingen."
    "Naja, so viel anders seid Ihr nun aber auch nicht...", spöttelte Thyra augenrollend.
    "Leute!", ranzte Theical alle drei an und verpasste erstmal leichte Ohrfeigen. "Schon mal daran gedacht, dass er uns vielleicht keine gewähren will? Er hat doch dasselbe Ziel, wie Zacharas." Er blickte zum Lord. "Und Euch wollen wir doch auch nicht behindern."
    Da feixte Aras. "Nur ein Tor schenkt Euren Worten Glauben."
    Sie wollten ihm gerade erwidern, da streckte er mahnend die Hand aus. "Dennoch bin ich gewillt, diesen jetzt Glauben zu schenken. Und ich impliziere das nicht als Grund, mich nun als Toren bezeichnen zu lassen. Wir legen uns jetzt schlafen und reisen morgen gemütlich weiter, als wüssten wir von nichts."
    "Und was ist, wenn wir uns was wünschen?", fragte Thyra nach.
    Der Lord verstand es nicht. Akustisch schon, aber sachlich nicht. "Warum sollten wir uns was wünschen? Wir haben es doch gerade eben abgeklärt."
    "Ich meine einen nicht ernst gemeinten Wunsch. Eine Floskel, ein lauter Gedanke. Sowas wie: 'Ach ich wünschte, hier wäre eine Oase.'"
    "Ich denke kaum, dass er das ernst nehmen wird", sagte Aras und wollte ihnen gleich damit jedes weitere Wort verbieten. Er hatte keine Lust mehr auf diesen Quatsch. Er wollte einfach nur noch schlafen gehen und was schönes träumen. So machte er es dann auch und ließ die anderen weiter diskutieren. Mit schönen Gedanken an Engel und ihre Tochter Apel wiegte er sich sanft in den Schlaf und begann auch schon bald zu träumen. Es war ein grenzenloser Übergang vom Gedachten zum Geträumten. Und er träumte weiterhin das, was er vorher im Kopf hatte.
    Er träumte, sie beide wären in seiner Feste, im Thronsaal. Sie saß auf dem Thron und er hielt um ihre Hand an. Sie waren allein, selbst Paulus war nicht anwesend. Und Engel schien sich sehr zu freuen. Er wollte, dass sie ihm antwortet, doch sie zögerte. Es war nur ein Traum und dieser wollte verhindern, dass Aras seine Glückseligkeit fände.
    Stattdessen ertönte seine Stimme, die von Selchior.
    "Ein schöner Gedanke ist das. Möchtest du ihn dir nicht wünschen, auf dass er Realität wird?"
    Sofort wachte Aras wieder auf. Schweißgebadet war er und sein Herz pochte wie wild. Er suchte Selchior auf und fand ihn schnell. Doch er schlief scheinbar tief und fest. Ebenso wie die anderen sich inzwischen schlafengelegt hatten.
    "Was geht hier vor? Hat er uns etwa doch gehört? Weiß er mehr, wie wir ahnen?" Der Lord war nun unschlüssig. Sollte er weiterschlafen und ein solches erneutes Erlebnis riskieren, oder etwa wachbleiben und die Zeit anderweitig totschlagen? Machte es ihm angst, Selchior in seinen Träumen wiederzufinden? Konnte der Wüstenkönig überhaupt träumen? War ein Dschinn auch in der Lage, die Träume anderer zu sehen und zu beeinflussen?

  • Der Morgen war kühl, wobei der Begriff kühl in der Wüste bei Tag recht relativ zu sehen war. In allen Fällen brannte die Sonne in ihrem Gesicht und es gab nichts was sie dagegen unternehmen könnten.
    "Ein wenig kalt hier. Ist es nicht kalt?", fragte Selchior der die Arme wärmend um sich geschlungen hatte, jedoch grinste als gäbe es nichts großartigeres, "Nicht das ich mich noch erkälte." Der Gedanke daran entlockte ihm ein glückliches Lachen.
    "Krank war ich schon lange nicht mehr. Dabei ist es so lebendig."
    "Ja genau. Wahnsinnig kalt. Wir sollten aufpassen, dass wir nicht erfrieren", entgegnete Jaris sarkastisch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Pferde wirkten ebenso unglücklich mit den Temperaturen. Kein Wunder. Sie waren mit ihrem dicken Fell ja kaum für die Wüste gemacht. Trotzdem ließen sie sich nach einigem zureden und einem gutem Teil ihrer kostbaren Wasservorräte überreden loszutrotten. Der Wagen rumpelte hinter ihnen her.
    Um die Tiere zu schonen hatten sie sich dazu entschlossen neben dem Zug herzugehen und wechselten in kurzen Zeitabschnitten die Pferde, die den Wagen ziehen mussten. Regars war offensichtlich aufgegangen, dass das Überleben in der Herde bessere Chancen hätte und war in der Nacht zum Lager zurückgetrottet, auch wenn sein Herrchen nicht mehr der war, der er einst gewesen war.
    "Die Wüste", leitete Selchior, der ununterbrochen redete, ein, "Tolles Land, aber nicht viel wert. Ich hatte mir ja eigentlich überlegt mit dem Aufwachen noch ein- zweitausend Jahre zu warten, dann ist jeder Kubikzentimeter Sand hier Gold wert. Wegen dem Öl, wisst ihr. Klebriges schwarzes Zeug was gut brennt. Naja. Vielleicht im nächsten Leben. Oder vielleicht doch lieber zehntausend Jahre. Dann ist hier gar keine Wüste mehr sondern der letzte größere Wald der Erde. Klingt doch Paradox, oder?" Jaris runzelte die Stirn, Thyra zuckte nur mit den Schultern und Theical schüttelte den Kopf. Nur der übliche Blödsinn. Zacharas drehte sich um und öffnete den Mund.
    "Nein, das ist kein Unsinn verehrter Herzog. Und der wissenschaftliche Begriff für Vorhersagen heißt nicht Humbug sondern Temporalanalyse. Nun ja. In viertausenddreihundert Jahren natürlich erst, aber ich bin schon der Meinung wir sollten mit den korrekten Bezeichnungen arbeiten", unterband Selchior Zacharas Versuch ihm eine Entgegnung zu erwidern. Der Herzog schloss den Mund.
    "Und nein Thyra, es enttarnt mich nicht wenn du jetzt fragst, was du denn als nächstes sagen willst und dann etwas vollkommen Unsinniges von dir gibst wie Hrndgl. Wie du auf diese Wort kommst weiß ich allerdings auch nicht." Er gluckste.
    "Das hättest du genauso gut erraten können", behauptete Thyra, "Und außerdem haben wir nichts von dem gesagt, was du prophezeit hast."
    "Ja. Weil ich euch davon abgebracht habe. Zeit kann umgeschrieben werden, meine Liebe. Auch wenn es in bedeutenden Fällen nicht gerade sehr einfach ist", erwiderte der Wüstenkönig, "Und wo wir gerade davon sprechen. Du wirst dich das fragen Zacharas. Oder eher hättest dich das gefragt. Ich werde euch damit nicht entscheidend helfen. Damit könnte ich die Zukunft im großen Maß ändern und das will doch keiner."
    "Ihr seid verrückt", sagte Theical ungläubig, "Restlos verrückt."
    "Oh danke", antwortete Selchior fröhlich, "Und es sind Echos, die ich vernehme, da ihr fragen würdet. Leider kann ich keine vernehmen, wenn ich und meine Zukunft direkt betroffen wäret, so ist das mit dem letztem Tod passiert. Noch so eine Frage die ihr nicht stellen braucht. Echos aus der Zukunft? Na klar. Zeit ist nicht linear, wie ihr es behauptet hättet, hätte ich euch die Behauptung aufstellen lassen. Aber die Diskussion endet sowieso gleich, da ihr von etwas abgelenkt werdet."
    "Abgelenkt?", fragte Zacharas, "Aber wir sind mitten in der Wüste, falls es euch noch nicht aufgefallen ist. Hier ist weit und breit nichts außer Dünen und Sand. Was sollte uns hier ablenken?"
    "Wie gesagt", erwiderte Selchior, "Keine Temporalanalysen zu wichtigen Dingen."
    "Leute", rief Jaris, "Ich würde sagen wir nennen das fürs erste Zufall." Er deutete auf den Rauch eines Lagerfeuers, der hinter einer Düne in einer Säule aufstieg.

    Sie lagen dicht in den Sand gepresst und beobachteten das Lager. Es war klein, bestand vielleicht aus drei, vier Zelten. Soweit draußen trotzdem eine echte Rarität. Zumal es nicht von Nomaden erbaut worden war, sondern von gewöhnlichen Soldaten.
    "Wir müssen näher ran", flüsterte Jaris, "Wir sollten wissen was sie vorhaben."
    "Au", flüsterte Selchior zurück. Dann ertönte ein dumpfes Klopfen. Jaris wollte sich noch umdrehen, als auch ihn etwas am Schädel traf und es schwarz um ihn herum wurde.

    Als sie wach wurden lagen sie auf einem Stoffboden. Jaris richtete sich mühsam auf, was höllische Schmerzen durch seinen Schädel schickte. Schon wieder eine Beule am Kopf. So langsam schien das zu einer unschönen Angewohnheit von ihm zu werden. Thyra und Theical waren schon hellwach und funkelten die Männer an, die ihre gezogenen Schwerter auf sie gerichtet hatten. Es mochten zehn bis zwanzig sein.
    "Seid ihr wahnsinnig", brüllte Selchior plötzlich neben Jaris, während er sich genau wie Zacharas hochkämpfte, "Einfach so einen Vorgesetzten angreifen." Einer der Soldaten vor ihnen blinzelte verwirrt.
    "Was?", fragte ein anderer geistreich.
    "Schaut nicht so blöd. Ich bin von General Blauweiß persönlich hergeschickt worden und hätte nicht erwartet, dass man mich und meine Leibgarde so empfängt." Jaris verkniff sich jede Frage sondern versuchte sich so gerade und würdevoll aufzurichten wie es ein Leibgardist getan hätte und den Soldaten dabei empörte Blicke zuwerfen. Er hoffte die anderen würden es ihm gleichtun.
    "General, wer?", wollte einer ihrer Gegenüber wissen.
    "Wie bitte", schrie Selchior so laut, dass Jaris froh war, dass es in seinen Ohren ohnehin bereits rauschte, "Soll das etwa heißen sie kennen den General nicht. Den Helden der Ankorschlucht, den Verteidiger der Ostwache. Das ist ein Frevel. Führt diesen Mann ab und verpasst ihm zehn Peitschenhiebe. Ist hier sonst noch einer der bei diesem Namen nicht vor Erfurcht erbebt? Drohend sah er einen nach dem anderen an. Schuldbewusst wichen die Männer dem Blick des Wüstenkönigs aus, während sie alle verzweifelt überlegten, ob sie ihr Unwissen preisgeben und dafür eine Strafe riskieren sollten. Sie entschieden sich alle dagegen.
    "Ich habe einen Befehl gegeben", herrschte Selchior die Soldaten an und deutete auf den Mann, der es gewagt hatte nach dem General zu fragen, "Na los." Sofort ergriffen zwei der Soldaten den verwirrten Mann und schleiften ihn aus dem Raum. Jaris hätte durchaus Mitleid mit ihm haben können, wenn da nicht diese pochende Beule wäre, die ihm einer derer vor ihm verpasst hatte. So verschwand der Angeklagte aus dem Zelt, ohne das sich jemand beschwerte.
    "Und jetzt zu euch", donnerte Selchior, "Zuerst Schwerter wegnehmen und Haltung annehmen." Augenblicklich schoben sich über ein Dutzend Schwerter in ihre Schneide und die Soldaten verkrampften sich steif.
    "Und jetzt möchte ich gerne die Abschrift eurer Berichte haben. Der König interessiert sich sehr für die Sache und will, dass ich diese Papiere schnellstmöglich ihm bringe", befahl der Wüstenkönig deutlich beruhigter.
    "Welche Sache?", fragte einer der Soldaten mit einem letztem Rest an Misstrauen.
    "Na der Sache", erwiderte Selchior, "Der Sache, die ihr hier treibt. Kann ich annehmen, dass du deine Schweigepflicht brichst, da du so darauf versessen bist, dass wir die Sache beim Namen nennen. Oder weißt du vielleicht gar nicht was das für eine Sache ist? Bist du möglicherweise sogar ein Spion, der es herausfinden soll? Und jetzt beeilt euch. Ich will so schnell wie möglich mit meinen Begleitern weiterreisen."

    Im Handumdrehen hatten sie die Berichte und waren wieder auf dem Weg zurück zu ihrem Wagen und den Pferden. Zum Glück hatten die Tiere es für viel zu heiß befunden um sich unnötig zu bewegen und waren immer noch an Ort und Stelle. Leider hatten sie ihre Wasser- und Nahrungsvorräte in dem Lager nicht auffüllen können, da sich die Soldaten wohl irgendwann darüber verständigen würden, dass sie alle weder von General Blauweiß noch von der Ankorschlucht oder der Ostwache gehört hatten. Wenn dies so weit war, wären sie hoffentlich bereits über alle Berge. Oder besser über alle Dünen. Als sie die eine derer überquert hatten, die sie außer Sichtweite des Lagers brachte, zückte Jaris seinen Dolch und presste ihn blitzschnell an den Hals des Wüstenkönigs.
    "Du kannst Blitze absorbieren und einen Haufen von Idioten dazu bringen Habacht zu stehen, aber kannst du auch bluten", fragte Jaris mit drohendem Unterton.
    "Ganz ehrlich", antwortete Selchior, "Keine Ahnung. Ich mach das hier auch zum ersten Mal. Die Sache mit dem als Untoter wieder auf der Erde wandeln und so. Aber keine Sorge. Wir müssen es nicht herausfinden, da ich sowieso bereits weiß, welche Fragen du stellen wirst. Und ich werde sie sogar beantworten, was nicht heißt, dass das deine Fragen aufklärt. Du kannst das Messer wegstecken. Es mag euch vielleicht verwirren, aber ich hasse Gewalt. Bis auf die natürlich, die nötig war ,um an diesen Körper zu kommen und der um mich zu verteidigen."
    "Wer bist du?", sprach Jaris die erste Frage aus ohne sein Messer von der Stelle zu rühren..
    "Zu unpräzise. Ein Wiedergänger, wenn man es so nennen will", antwortete Selchior.
    "Und was warst du bevor du dazu wurdest? Vor deinem Tod. Du hast schon angedeutet, dass du diese Wahnvorstellung mit der Zukunft bereits hattest, als du noch ein Mensch warst" Selchior grinste wie ein Kind an Weihnachten.
    "Jetzt stellst du die richtigen Fragen. Mit einem Fehler. Ich war, ich bin kein Mensch. Ich bin ein uraltes Wesen. Ich konnte Galaxien sehen, die Sterne zogen vor meinen Augen vorbei und der Raum vermischte sich mit der Zeit. Das ist natürlich auch heute noch der Fall. Es ist eine Schönheit, die Tränen in jede Augen schießen lässt, die sich ihr öffnen, und die, die es nicht sehen können, sind selig, da sie wissen nicht was sie nicht sehen können. Wüssten sie es würde ihr Herz zerschellen." Einen Moment lang war es still, denn niemand sagte ein Wort. Selbst der Wind schien sich erinnert zu haben unter wessen Kontrolle er stand, nämlich unter der des Wüstenkönigs, und schwieg vorsichtshalber. Selchiors Augen schienen auf Jaris gerichtet, als spreche er ihn im besonderen an.
    "Sie haben mich bereits früher Wüstenkönig genannt. König der Wüste. Nicht König einer bestimmten Epoche. Ich herrsche über jedes Sandkorn und über all die Dünen. Über die brennende Sonne und die tobenden Stürme. Zu jeder Zeit. Es gibt andere wie mich, die über anderes herrschen, aber hier ist die Wüste, hier gibt es nur mich." Sie tauschten Blicke, die sich allesamt nicht einig waren, ob sie zum Lachen oder zur Erfurcht auffordern sollten.
    "Oh", stieß Selchior plötzlich aus und Jaris zuckte so zusammen, dass die Klinge tatsächlich leicht die Haut ritzte, "Seht ihr das. Seht ihr wie der Sand das Sonnenlicht reflektiert. Vielleicht könnte ich in diesem Körper ja sogar einen Sonnenbrand kriegen. Wie Aufregend."
    Er machte sich los, was ihm auch gelang, da Jaris keine Gegenwehr leistete, und ließ sie verdutzt stehen. Nachdenklich betrachtete Jaris das Messer. Rotes Blut benetzte den vordersten Teil der Schneide. Der Wüstenkönig hatte geblutet. Nicht sehr viel, das Messer hatte ja auch nicht tief genug geschnitten um die Schlagader zu erwischen, aber er hatte geblutet. So viel Macht, die er sich zumaß, und dann doch so verletzbar.

    "Das muss ziemlich wehgetan haben", vermutete Thyra, während sie den weißen Verband um Jaris Arm abwickelte.
    "Was", fragte Jaris verwirrt. Er hatte seinen Gedanken nachgehangen.
    "Als du dich im Zelt aufgerichtet hast", erklärte Thyra, "Du hast dich auf den gebrochenen Arm gestützt, ich habe es genau gesehen."
    "Hab ich das?", fragte Jaris und runzelte die Stirn. Er konnte sich an keinerlei Schmerz erinnern. Vielleicht hatte er ihn wegen der Kopfverletzung und dem Adrenalin nicht wahrgenommen.
    "Das gibt´s nicht", behauptete Thyra plötzlich und Jaris blickte sie erstaunt an. Sein Arm war von jeglichem Verband befreit und sah wie neu aus. Keine Blauen Flecken mehr zu sehen. Testweise bewegte Jaris ihn. Es schien ganz normal. Kein Schmerz.
    "Aber er war doch gebrochen", erinnerte ihn Thyra fassungslos.
    "Meine Wunden verheilen eben immer schnell", erwiderte Jaris schulterzuckend, wobei er selbst ziemlich überrascht war. Obgleich es stimmte. Er hatte sich bisher von allem immer ziemlich schnell erholt, zumindest wenn man den Söldnern seines früheren Zuhauses, des Lagers, glauben schenkte.
    "Aber nach kaum einer Woche. Das ganze hätte mindestens viermal so lange dauern sollen", fragte Thyra zweifelnd.
    "Dann habe ich ja Glück gehabt. Vielleicht war es kein komplizierter Bruch, oder nur angebrochen", vermutete Jaris gut gelaunt, da er offensichtlich endlich dieses nervige Handicap verloren hatte, und stand auf, "Bestimmt lag es vor allem aber an deiner Heilkunst. Vielen Dank nochmal. Wenigstens brauche ich dann den Verband nicht mehr."
    "Ja, vermutlich", stimmte Thyra halbherzig zu. Sie schien nicht vollends überzeugt zu sein, richtete sich aber ebenfalls auf.
    "Wir sollten vermutlich nach draußen gehen, Zacharas hat sich die letzte Stunde nur mit den Berichten beschäftigt und kann es sicherlich nicht erwarten so viele beim Vortragen seiner Schlussfolgerungen auszuschließen wie es nur möglich ist", sagte sie und griff nach dem Türgriff. Die vorherigen Ereignisse hatten sie so gut es ging verdrängt, aber jetzt, da Ruhe eingekehrt wae, kam die alte Verlegenheit zusammen mit den Erinnerungen wieder zurück. Sie öffnete die Tür und das letzte Abendrot der untergehenden Sonne flutete den Wagen. Sie waren den ganzen restlichen Tag weitergereist und hatten ihre Spuren verwischt und mittlerweile schien das geheimnisvolle Lager eine Ewigkeit entfernt zu sein.
    "Das sollten wir wohl", stimmte er ihr zu und verließ den Wagen.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Draußen saß Aras über die Zettel der Soldaten gebeugt und studierte sie eingehend. Theic blickte ihm über die Schulter, aber wie Thyra selbst konnte er nur sehr langsam lesen und so mit dem Tempo des Herzogs nicht mithalten, der alle paar Sekunden eine Seite weiter blätterten. "Mhms" und "Ahas" und ab und zu auch erstaunte "Ohs" glitten beim Lesen über die Lippen des Zauberers.
    Thyra ließ den Blick auf der Suche nach dem Wüstenkönig schweifen, aber dieser stand immer noch abseits in der Sonne, die Arme von sich gestreckt und ließ sich braten. Regar würde sich umgucken, sollte der Geist jemals wieder seinen Körper verlassen. War er überhaupt noch in seinem Körper oder hatte Selchoirs Geist Regars verschluckt? Gerade wollte sie die Frage laut stellen, als der Wüstenkönig schon rief: "Nein habe ich nicht!" Er zwinkerte Keck. "Ich habe ihn in die unterste Ecke seines Bewusstseins verdrängt. War gar nicht so schwer. Euer Soldat schien keinen besonders starken Charakter zu haben..." Thyra musterte den König kurz, würdigte ihn aber keiner Antwort, sondern gesellte sich zu Theic, Aras und Jaris, der mittlerweile zu den anderen beiden aufgeschlossen hatte.
    "... scheinen nichts Besonderes in der Wüste gemacht zu haben", hörte sie Aras gerade sagen, der mit zunehmender Hektik und Verzweiflung die Seiten um- und wieder zurück schlug.
    "Könntest du vorlesen was da steht?", fragte Thyra höflich.
    "Nichtmal lesen kannst du?!", blökte der Herzog gleich wieder los. Die Jägerin verdrehte die Augen. "Doch, aber ich fürchte, dann sitzen wir morgen noch hier."
    Zacharas seufzte theatralisch, begann dann aber zu lesen: "Montag, 3. Tag nach der Sommersonnenwende:
    Nur im Dunkel in der Sonne nicht,
    und in des Tages schwindendem Licht, können die Wesen
    sich fortbewegen.
    Sie sind unschlagbar mit dem Schatten vereint,
    keiner kann sich retten, der begrabene Sehnsüchte beweint.
    General, wir können nicht zurück zu Ihnen kehren,
    sind dazu verdammt in der Wüste zu sterben.
    Wir flehen euch an, gebt lieber auf,
    einen zu fangen ist ein elender Brauch.
    Niemand hatte bisher die Macht,
    einen zufangen, damit er in dunkelster Nacht über ihn wacht."
    "Naja begabte Dichter waren die Soldaten nicht gerade, oder?", fragte Theic trocken.
    "Mich beunruhigt mehr, dass es eine Warnung zu sein scheint", warf Jaris ein.
    "Aber wovor?", grübelte Thyra. Sie kannte beim besten Willen keine Wesen die sich nur in der Dämmerung fortbewegten.
    "Oh", sagte Selchiors Stimme plötzlich neben ihr. "Müssen wohl die Schattenghule gemeint sein."
    Aras entglitten die Gesichtzüge. "Schattenghule?!"
    "Ja", nickte Selchior unbeeindruckt. "Wir haben bei Tagesanbruch die Grenze zu ihrem Reich überschritten."
    "Und ihr habt es nicht für nötig befunden uns zu unterrichten?!", brauste Aras endgültig auf. Die Tatsache, dass in seiner Stimme unverkennbar Panik mitschwang jagte Thyra einen Schauer über den Rücken.
    Sie wandte sich zu Selchior um und erstarrte. Vor ihr stand ihr stand ihr Vater. Allerdings nicht wie sie ihn kannte, sondern in seinen besten Jahren.
    "Vater?", murmelte sie.
    "Thyra, mein Kind! Komm mit mir auf die Jagd", lächelte ihr Papa freudig und kam auf sie. Benommen taumelte sie ihm entgegen, wollte die Umarmung, die er andeutete erwidern. Es war ihr egal wo er plötzlich hergekommenn war. Er hatte sie als das, was sie war anerkannt. Gerade als sie nah genug war, um ihn anfassen zu können, schlossen sich seine Hände um ihren Hals und drückten erbarmungslos zu.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald