Es gibt 220 Antworten in diesem Thema, welches 66.710 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (7. Januar 2019 um 11:40) ist von 97dragonfly.

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    @Shaylee Es freut mich, wenn meine Detailvernarrtheit positiv ankommt. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es zu viel des Guten ist und zu sehr abschweift.
    Deine wertvollen Anmerkungen habe ich mir notiert. So etwas hilft mir immer weiter.
    Zu den Sternenkindern sei gesagt: Es war mir im Hinterkopf geläufig, du holst es mir aber jetzt erst wieder bewusst ins Gedächtnis. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der Begriff durchaus passend ist, aber vielleicht überlege ich mir noch eine Alternative für den Fall der Fälle. :)


    Und weil ich kurz nach zwei Uhr nachts nichts Besseres zu tun habe - geht es auch schon weiter. Bin selbst erstaunt.


    Unbehaglich sah Kasim zwischen seinem Freund und den Frauen hin und her. Elin musterte Kadir, der stumm auf seinen Schoß starrte. Seine Selbstsicherheit, die Kasim stets an ihm bewundert hatte, welkte unter dem wachen Blick der Wanderin wie eine Pflanze bei Dürre.
    Der junge Reiter seufzte. Er hatte einen Entschluss gefasst, einen, der dem Prinzen aufstoßen könnte, doch mit Schweigen und Starren kamen sie nicht voran. Die Gefahr, dass sie jemand in diesem Moment aufspürte, vor dem Harun ihn hatte schützen wollen, war allgegenwärtig und er fragte sich, ob sich der Prinz dessen überhaupt wirklich bewusst war.
    Kasim fasste allen Mut zusammen. Zwar hatte der Prinz deutlich gemacht, wie wenig er es leiden konnte, wenn er nichts um sich herum verstand, doch Kasim fühlte sich in seiner eigenen Sprache wohler, als er das Wort an Elin richtete.
    »Wir brauchen Eure Hilfe.« Er verschränkte den Blick mit ihrem. »Ohne Proviant und mit nur einem Pferd kommen wir zu zweit nicht weit. Wir sind mit der Wüste nicht vertraut. Ihr habt recht.« Kurz schöpfte er Atem, um seine Gedanken zu ordnen. Kadirs Finger schlossen sich fester um seine Hand, doch er unterbrach ihn nicht. Schwach lächelnd dankte er ihm im Stillen dafür. »Wir wissen nicht, wer und wie viele uns folgen oder wie nah sie uns bereits sind.« Oder warum sie es tun, setzte er in Gedanken hinzu. »Unsere einzige Hilfe, auf die wir hoffen konnten, hat uns bisher nicht gefunden und wird es wohl nicht. Vielleicht hat er damit gerechnet. Vorerst können wir nicht dorthin zurück, woher wir kommen.«
    Die Wanderin regte sich nicht, während die Augen ihrer Gefährtin zwischen den beiden Männern vor ihr hin und her huschten. Mit einem Knoten im Magen fuhr Kasim fort.
    »Wir erwarten keinen Unterschlupf. Nur etwas Hilfe, um uns zu orientieren und zu wissen, wohin wir uns wenden können. Orte, an denen wenig Fragen gestellt werden.«
    »Ich kann euch nicht versprechen, dass euer Auftauchen keine Fragen aufwerfen wird«, bemerkte Elin in der Sprache der Wüste und lehnte sich auf ihren Kissen zurück. »Ihr seid kein Kind der Wüste und Euer Freund mit dem Namen eines Königs ist so unbeholfen, dass ich glaube, er ist nie zuvor mehr als hundert Schritt durch sie gewandert.« Sie schnaubte, als Kadir nach Luft schnappte. »Ich sagte bereits, die Wüste ist ein Biest, sie verschlingt arglose Reisende gern zum Frühstück.«
    »Wir unterschätzen sie nicht. Ich tue es nicht«, fuhr Kasim dazwischen.
    Die Wanderin schmunzelte. »Nun, zumindest Ihr müsst sie auf Eurem Weg durchwandert habe. Ah, aber Ihr habt Euch treiben lassen, nicht? Seid die große Goldstraße entlanggekommen.«
    Er erinnerte sich daran, wie ein alter Mann in einem kleinen Dorf nördlich von Alsahar die große Handelsstraße so bezeichnet hatte. Es schien ihm Jahre her, nicht wie Wochen, seit er sich an seinen Rat gehalten hatte, ihr zu folgen, wenn er nicht verspeist werden wollte.
    Elin tippte mit dem Zeigefinger gegen ihr Kinn. »Ich denke, diese Reisemöglichkeit steht für euch außer Frage, um ungesehen zu bleiben. Die kleinen Wege zwischen den Dünen hindurch kämen eher in Betracht. Ihr solltet jedoch größere Oasen meiden. Fahrende Händler aus anderen Reichen sind zwar nicht selten, aber man wird sich leichter an Euch erinnern, besonders wenn Ihr ohne Waren unterwegs seid.«
    »Wir könnten sie mit Dingen ausstatten, um den Schein zu wahren«, schlug Elins Gefährtin vor.
    Die Wanderin schürzte die Lippen. »Und was sollen wir ihnen geben? Drittklassige Felle von Ziegen, vergorene Früchte oder doch die Kamelmilch?«
    »Nun, Kamelhändler brauchen nicht viel Gepäck ...«, setzte die junge Frau an, doch Elin schüttelte den Kopf.
    »Keines unserer Tiere ist entbehrlich, Liebes.« Schuldbewusst lächelte sie zu ihren Gegenüber. »Sie sind nicht nur unsere Packtiere.«
    Kasim verstand ihre Zurückhaltung. Die Ziegen und Pferde seiner Sippe waren mehr als ein Zeichen von Wohlstand. In schweren Zeiten waren sie Nahrungsquelle und Zahlungsmittel zugleich. Nie hätte er von ihr verlangt, sich für sie von einem der Wüstentiere zu trennen, wenn es ihr keinerlei Vorteile einbrachte.
    »Nein, ich bleibe dabei, dass ihr kleine Ortschaften anstreben solltet. Dörfer sesshafter Wüstenreiter.«
    Elins Gefährtin verzog das Gesicht, als sie gerade nach ihrem Becher auf dem Tisch griff. »Viele dieser Sesshaften sind Fremden gegenüber misstrauisch. Und dann auch noch Wüstenreiter.« Sie schüttelte sich schwach.
    »Umso weniger werden sie anderen Fremden von Besuchern erzählen«, beendete Elin ihren Gedankengang.
    »Manchmal bist du hoffnungslos guter Dinge«, seufzte die jüngere Frau.
    »Und dafür liebst du mich.« Elin beugte sich zu ihr und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Schläfe. Kasim senkte die Lider, während Kadir neben ihm unverwandt den Blick auf ihnen ruhen ließ. Schließlich wandte sich die Wanderin wieder zu ihnen. »Als Reiter selbst solltet Ihr bei den störrischen Wüstenbewohnern ein höheres Ansehen genießen als manch anderer. Was Euch betrifft«, sie sah zu Kadir, »das ist wiederum eine andere Geschichte.«
    Der Prinz straffte die Schultern. »Macht Euch um mich keine Sorgen. Mein Vater war selbst ein Wüstenreiter.« Obwohl seine Stimme ein wenig brüchig klang, so schwang doch eine Spur Stolz darin. Nicht nur Elin hob die Brauen, als seine Worte sackten.
    »Nun, Ihr seid jedenfalls keiner«, raunte Elin. Sie drehte eine Weile schweigend die Pfeife zwischen ihren Fingern, bevor sie sie in ihren Schoß sinken ließ. »Ich kann euch nur eine grobe Richtung weisen und es wird kein leichter Weg, wenn ihr die Goldstraße und ihre abzweigenden Pfade meidet. Über die Dünen zu reisen ist beschwerlich, besonders ohne Führung.« Plötzlich glitt ihr Blick an ihnen allen vorbei, hin zum Eingang des Zeltes. Kasim drehte den Kopf herum und zuckte zusammen, als er Safir mit verschränkten Armen an einen Balken gelehnt entdeckte. Er war davon ausgegangen, dass er sie bereits zu Beginn des Gespräches verlassen hatte.
    Nun hob Safir die Brauen, während seine Augen hin und her eilten. Als Elin ihn heranwinkte, reagierte er zögernd. Am Ende stand er ungelenk zwischen ihnen, als wisse er nicht, wohin mit seinen langen Gliedern, den Kopf leicht zwischen die Schultern gezogen. Er öffnete den Mund, nur um ihn gleich darauf wieder zu schließen.
    »Ihr wolltet uns ebenfalls verlassen, nicht wahr?«, fragte die Wanderin und auf ihren Lippen zeichnete sich ein hauchdünnes Lächeln ab. »Ich denke, allein zu reisen wird auf Dauer langweilig und wer weiß, wann Ihr wieder in den Genuss von Gesellschaft geratet.«
    »Ich ahne, worauf Ihr hinauswollt«, brummte Safir, ohne jedoch sonderlich erbost zu wirken. Seine Züge waren entspannt und als er flüchtig zu Kasim und Kadir schaute, lächelte er. Er zwinkerte ihnen sogar zu, worauf Kasims Herz einen kurzen Sprung machte. Hatte er zuvor das offensichtliche Starren des Prinzen in Safirs Richtung nicht nachvollziehen können, bekam er mit jedem längeren Blick auf diesen Mann eine Vorstellung davon, was sein Freund womöglich gesehen hatte. »Ich kann allerdings nicht versprechen, dass ich eine verlässliche Quelle bei einer Reise über die Dünen bin.«
    »Oh, jetzt macht Euch nicht wieder kleiner als Ihr seid, Safir«, fuhr Elin lachend auf. »Ich habe Euch immer alles mögliche aufzeichnen sehen. Ganz zu schweigen von Eurem Talent zur Orientierung.« Nun grinste sie. »Und Ihr liebt eine Herausforderung. Seid ehrlich, Ihr habt Euch gelangweilt in den letzten Tagen.«
    Safir setzte zu einer Erwiderung an, schüttelte dann jedoch mit einem leisen Lachen den Kopf. »Ich bin nicht derjenige, der die Entscheidung trifft.«
    Der Prinz zuckte zusammen, als sich alle Aufmerksamkeit auf ihn richtete. Er kaute auf seiner Unterlippe und seine Augen flohen hin und her, ohne einen bestimmten Punkt lange zu fixieren. Kasim konnte nur neben ihm sitzen, seine Hand weiterhin in der seines Freundes, die er fest drückte. Seine Haut auf seiner fühlte sich gut an und seltsam vertraut. Er spürte das Prickeln seiner Finger, während die Wärme aus dem Inneren der Phiole seine Brust unter seiner Kleidung zum Glühen brachte. Er erschauderte bei der Flut an Eindrücken, die mit einem Mal auf ihn einstürmten, ohne dass er sich auf sie konzentrieren musste. Kadirs Nähe, das gespannte Warten der anderen, seine eigenen Gedanken und Befürchtungen, die Angst vor dem Ungewissen, aber auch die Neugier auf das Unbekannte, die ihn hinausdrängte und mit verlockenden Worten ihn zu ködern versuchte, sich ihrer annahm. Es war jenes Gefühl der Aufregung, das in seinem Inneren tobte und ihn zuvor bereits dazu bewogen hatte, dem Prinzen seine Bitte zu erfüllen, an seiner Seite zu bleiben, selbst wenn er irgendwann nach Alsahar zurückkehrte.
    Ihm wurde schwindelig, je länger das gespannte Schweigen andauerte. Kurz flammte das Verlangen auf, Kadir bei den Schultern gepackt und ihn zu schütteln. Ihm lag die Frage auf der Zungenspitze, was ihn noch daran hinderte, einzustimmen, doch er sagte und tat nichts.
    Schließlich atmete der Prinz tief durch und ließ die Schultern sinken. »Ohne Führung werden wir keinen Tag dort draußen überstehen. Ihr habt recht. Weder Kasim noch ich kennen sie gut genug, um alle Gefahren einschätzen zu können.« Er wandte sich an Safir. »Allerdings kann ich nicht garantieren, dass es ungefährlich wird.«
    Kasim blinzelte erstaunt, als er das Funkeln in den Augen des anderen Mannes wahrnahm, die das Flackern der Lichter um sie herum gespenstisch auffingen. »Das macht es nur umso aufregender.«
    Elin klatschte in die Hände und ließ alle dadurch zusammenzucken. »Dann ist es beschlossen. Sagt mir, was ihr vor eurem Aufbruch braucht und ich werde sehen, was ich für euch tun kann.«

  • Mit einem letzten Ruck zurrte Musafir den Riemen fest, bevor er zurücktrat. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete die vollgepackten Ledertaschen, die den abgewetzten Sattel säumten. Ein letztes Mal prüfte er sorgfältig den Sitz des Gurtes, strich schließlich beruhigend über den Hals des tänzelnden Braunen. Schnaubend wandte sich das Tier der Berührung zu.
    Musafirs Lächeln gefror auf seinen Lippen; die Hände zu Fäusten geballt, ließ er den Taumel über sich ergehen, der ihm den Magen umdrehte. Wie stets vor einer ungewissen Reise. Einen Moment schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, schnaufte er tief durch und hielt Ausschau nach seinen neuen Begleitern.
    Im Schatten eines Zeltes entdeckte er Kasim, der sich mit Elin leise in seiner Sprache unterhielt. Die beiden waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie den finsteren Blick nicht bemerkten, den Kasims Freund ihnen zuwarf. Vielleicht störten sie sich auch nicht daran, weil ihnen bewusst war, dass der junge Mann mehr mit sich selbst kämpfte, als dass er sauer auf sie schien. Vor sich hin brodelnd hockte er auf einem Kamelsattel und schaufelte Sand von einem Schuh auf den anderen. Als Musafir sich neben ihn setzte, zuckte er zusammen.
    »Ihr solltet Eurem Freund mehr vertrauen, Nadim«, bemerkte er leise, in dem Wissen, dass der jüngere Mann einen Namen nutzte, der nicht seiner war. Dennoch schien er sich damit wohler zu fühlen als mit der Wahrheit. Für den Moment würde Musafir es durchgehen lassen, genauso wie es Elin tat.
    »Ich vertraue ihm«, brummte Nadim; mit einem Seufzer sackten seine Schultern tiefer. Er sah auf seine Hände hinab, die kraftlos in seinem Schoß lagen. »Es ist nur ...«
    »Es ärgert Euch, dass Ihr sie nicht versteht?«
    Schuldbewusst senkte Nadim den Blick. »Im Gegensatz zu ihm bin ich kein Schwamm, der eine Sprache aufsaugt.«
    Musafir lächelte leise, schaute jedoch auf, als sich ihnen jemand näherte und kurz darauf Isra vor ihnen innehielt. Ihre Armreifen klimperten gegeneinander, als sie die Arme in die Hüften stemmte. Elins Gefährtin betrachtete sie eine Weile schweigend, nur um sich schlussendlich an Musafir zu wenden. »Es ist schade, dass ihr uns so bald verlasst, Safir.«
    Er blinzelte zu ihr auf. »Es musste so kommen, irgendwann.« Der leichte Stoff ihres schmucklosen Kaftans schmiegte sich eng an ihre Kurven; ihre Mundwinkel zuckten, als Musafir starr den Blick auf ihr Gesicht richtete, doch dann wurde ihr Ausdruck ernst. In einer einzigen, geschmeidigen Bewegung löste sie die Kette um ihren Hals und trat einen Schritt vor, um ihm das silberne Schmuckstück umzuhängen. Musafir hielt den Atem an, als ihre Fingerspitzen dabei über seinen Nacken strichen. Die herbe Süße ihres Duftes wehte mit einer Brise heran. Kurz senkte er die Lider, bereute es jedoch im nächsten Moment, da seine Augen direkt auf dem angedeuteten Ausschnitt ihrer Kleidung und dem Streifen dunkler Haut darüber haften blieben.
    »Ich werde Euch vermissen«, flüsterte Isra und streifte mit den Lippen seine Wange. »Und Elin ebenso, auch wenn sie es nie laut sagen würde.«
    Musafir lachte auf, legte die Hand auf die Brust, dort wo nun ein Anhänger in Form eines Auges ruhte. Leicht neigte er den Kopf in ihre Richtung. »Es war mir eine Freude, euch begleiten zu dürfen.«
    Die Wanderin schmunzelte, wobei sich feine Grübchen bildeten. An Nadim gerichtet sagte sie: »Es ist schade, dass ich Euch nicht näher kennenlernen konnte. Euch und Euren Freund.«
    Der Jüngere wich ihrem forschen Blick aus. »Es ist besser so«, murmelte er kaum hörbar.
    Isra schürzte die Lippen. Im gleichen Moment löste sie einen ihrer Armreifen und griff nach Nadims Hand. Er zuckte vor ihr zurück, ließ seine Finger aber in ihre gleiten.
    »Vielleicht begegnen wir uns eines Tages wieder, sofern es das Schicksal will.« Sie schloss den Reif, an dem eine kleine Silberhand im Sonnenlicht glitzerte. Wortlos starrte Nadim darauf herab, die Lippen aufeinander gepresst.
    Noch einmal beugte sie sich vor, legte die Arme um seine Schultern und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Möge Ismet Euch wohlgesonnen sein, mein Prinz.«
    Musafir runzelte die Stirn, fragte sich, ob er die gehauchten Worte missverstanden hatte, während Nadim neben ihm verkrampfte. Isra schenkte ihm ein letztes Lächeln, bevor sie sich mit schwingenden Hüften zu ihrer Gefährtin begab.
    Nachdenklich sah er ihr hinterher. Was folgte war eisiges Schweigen.
    Es war ein schriller Pfiff, der urplötzlich alle zusammenfahren ließ. Elin trat aus dem Schatten, suchte aufmerksam die nähere Umgebung ab. Über eine hohe Sanddüne eilte ein Mädchen mit wehender Kleidung heran und stieß einen weiteren Pfiff aus.
    Bisher hatte Musafir die Wanderinnen mit ihrem wiegenden Schritt stets nur anmutig erlebt, ganz gleich in welcher Geschwindigkeit, ob hinauf oder hinab. Dieses Mädchen hingegen stolperte regelrecht durch den Sand; manchmal schien es nur mit Mühe und rudernden Armen einen Sturz verhindern zu können.
    »Reiter!«, rief das Mädchen atemlos und streckte die Hand in jene Richtung, aus der es kam. »Reiter hinter – hinter den Dünen! Sie … Sie ...«
    Elin steuerte ihr mit ausladenden Schritten entgegen. Ihre Miene war blank, einzig ihre Stirn lag in leichten Falten. »Wie viele konntest du erkennen?«
    »Sie waren zu weit weg«, schnaufte das Mädchen. »Aber zu wenige für … Zu wenige für Wanderer.«
    Musafir erhob sich, sich den Sand von seinem Kaftan klopfend. »Wüstenreiter vielleicht?« Als das Mädchen den Kopf schüttelte, wandte er sich an Elin. »Wir sollten aufbrechen.
    »Ich habe nicht vor, euch herausfinden zu lassen, was sie wollen.« Die Wanderin warf einen Blick zurück zu Nadim, der sich derweil von Kasim aufhelfen ließ. »Wenn ich bedenke, wie viele Reiter uns in letzter Zeit auf die Nerven gegangen sind – und in welcher Art –, sage ich, ihr solltet schnell machen.« Sie fragte ihr Mädchen, wie weit die Reiter noch entfernt waren, doch Musafir hörte kaum mehr hin. Stattdessen schritt er zum Pferd seiner Begleiter und führte es zu ihnen.
    Gemeinsam mit Kasim half er Nadim auf den Sattel. Zittrig krallte sich dieser an den Knauf und nickte seinem Freund knapp zu, der allerdings zögerte, sich hinter ihm aufzuschwingen.
    Unvermittelt drehte sich der Steppenreiter zu Musafir. »Ihr steigt auf.«
    Irritiert sah er zu ihm, dann zurück über die Schulter. Die Frage, wie lange es dauern würde, bis eine Schar unbekannter Reiter über den Dünen am Horizont auftauchte, erfüllte seinen Verstand.
    »Bei Ismet, Safir, lasst das Denken sein und steigt auf das arme Tier, bevor Hochwohlgeboren es um den Verstand bringt!«, schimpfte Elin hinter ihm, die ihn aus seiner Starre löste. Ihn durchfuhr ein Ruck, als sie ihn beinahe in die Flanke des tänzelnden Brauen schob. Nach Luft schnappend schob er einen Fuß in den Steigbügel, den Nadim nur widerwillig freigab. Elin packte unnachgiebig an Musafirs Sitzfleisch, um noch einmal nachzuhelfen. Ob des zusätzlichen Gewichtes schnaubte das Pferd protestierend und Kasim hatte alle Mühe, es zu beruhigen, ehe er die Zügel nach oben reichte.
    Nadim versteifte sich, kaum dass jemand hinter ihm saß. Einen Moment wirkte es, als wolle er nach dem Arm seines Freundes greifen, doch stattdessen schlossen sich seine Finger krampfhaft um den Sattelknauf. Kasim lächelte zu ihm auf, doch als er sich abkehrte, wurde seine Miene hart. Nach kurzem Zaudern zog er das Lederband unter seinem Kragen hervor.
    In der Phiole, die nun zum Vorschein kam, wütete ein wahrer Sturm. Feine Körner trieben hin und her, drückten sich gegen das Glas, wie in heller Aufruhr. Kasim entkorkte das Gefäß mit zittrigen Fingern. Der Wind ergriff seinen Inhalt, wirbelte ihn umher und ließ ihn um den Kopf des Steppenreiters tanzen.
    Musafir hielt den Atem an, beobachtete, wie der Goldstaub zu einer Gestalt anwuchs. Sie glich einem menschlichen Wesen, schien jedoch gleichzeitig seltsam aus der Form gerückt. Lange Glieder entstanden und lösten sich im nächsten Windzug auf.
    Mit einer Böe wehte leises Flüstern heran. Der Staub reckte sich wie jemand, der gerade aus einem langen Schlaf erwacht war.
    Die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Plötzlich entfernte sich das Staubwesen von Kasim, näherte sich stattdessen seinem Freund, bis er ihn umhüllte. Musafirs Herzschlag beschleunigte sich – das Flüstern ergab mit einem Mal einen Sinn.
    »Liebste Layla, Liebste mein.«
    Nadim neigte den Kopf, senkte die Schultern und im nächsten Moment wirkte es, als lege er seine Wange gegen eine Hand aus schimmerndem Gold.
    »Liebste Layla, Liebste mein.« Musafir kam der Name vertraut vor, doch sein Verstand wollte ihn nicht zuverlässig einordnen.
    Ein Frösteln erschütterte Nadims Körper. Nur einen Wimpernschlag später hob er seine Hand, ließ den Staub durch die gespreizten Finger gleiten und bewegte sie hindurch. Dann löste sich das Gebilde vor ihnen auf, bevor es sich bei Kasim wieder verfestigte, der stumm die Lippen bewegte, und stob davon. An seiner statt erstarkte der Wind, wehte ihnen neuerlich Sand und trockene Hitze in die Gesichter. Musafir kniff die Augen zusammen. Er schreckte zusammen, als jemand dem Pferd einen Klaps auf den Hintern gab und es sich ruckartig in Bewegung setzte. Mit in den Ohren rauschendem Puls sah er zurück. Bevor sich ein Sandwirbel zwischen sie schob, erkannte er Elin, die rufend durch das vom heftigen Wind aufgescheuchte Lager eilte. Isra hob zum Abschied die Hand; das Klimpern ihrer Armreifen, das sie sonst stets begleitete, ging im Heulen des Sturmes unter, ehe auch sie aus seinem Blickfeld verschwand.
    Mit einem Aufstöhnen beugte sich Nadim vor, die Hände fest um den Sattelknauf geklammert. Als fiele etwas von ihm ab, als hätte sein Verstand bisher in einer Blase gesteckt, die nun mit einem leisen Plopp platzte, packte Musafir die Zügel fester.
    Kasim war unterdes nirgendwo mehr zu sehen.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (20. Februar 2017 um 23:05)

    • Offizieller Beitrag

    Der eine Teil ist mir glatt entgangen. ^^
    Zwei schöne Szenen. Sie bekommen nun also Unterstützung von Musafir. Immerhin einer, der sich in der Wüste auskennt. Und ich denke, jemand, dem sie vertrauen können. Und von Elin haben sie auch Hilfe bekommen. Na ich denke, das ist das Glück, dass den beiden in letzter Zeit gefehlt hat. ^^
    Der letzte Abschnitt mit dem Wesen fand ich etwas verwirrend und ich musste mehrmals lesen, ehe ich es verstanden habe. Ich habe eine Weile überlegt und denke es liegt daran, dass in der Szene einfach ZU viel beschrieben wird. Dadurch wirkt es mehr verwirrend als erklärend. Aber das kann auch nur an mir liegen. :hmm: Warum genau öffnet Kasim die Phiole eigentlich plötzlich?

    LG, Kyelia

  • @Kyelia
    Es ist gut, dass du das mit dem Wesen erwähnst, ich werde über den ganzen Text noch mal drübergehen, denn irgendwie gefällt mir der Lesefluss nicht wirklich, vielleicht liegt es auch daran. Ich schau auch, dass ich vielleicht etwas die Beschreibungen zurückschraube, allerdings muss ich zugeben, dass einige davon wichtig wären. :hmm: Ich schaue, ob ich da eine Lösung für finde.
    Und vielleicht mache ich in dem Schritt auch deutlicher, warum Kasim die Phiole öffnet, wobei sich das wahrscheinlich im nächsten Teil schon wieder aufklärt.
    Wollte ich nur jetzt gleich loswerden, weil ich so vergesslich bin in letzter Zeit. xD' Eventuell wird sich der Text also oben gleich noch etwas verändern als erst in der richtigen Überarbeitung in meiner Datei.

  • Wind pfiff ihm um die Ohren. Mit geschlossenen Augen stand Kasim auf dem Gipfel einer Düne im Zentrum des Sturmes und lauschte dem Heulen. Strähnen seines Haars kitzelten auf seiner Stirn, Sand flog ihm um das Gesicht und rieb über seine Wangen. Tief atmete er durch, die Hände zu Fäusten geballt.
    Worte seines Großvaters drängten sich in seine Gedanken, gemeinsam mit all jenen Geschichten, die er ihm während langer Regentage erzählt hatte. Ein Lächeln huschte über Kasims Lippen, bis seine Miene erneut ausdruckslos wurde. Wie lang war es her, dass Großvater Salim ihm die Phiole mit den Worten überlassen hatte, stets gut auf sie Acht zu geben? Nun baumelte eben diese bis auf ein paar Krümel leer vor seinem Hals.
    Andere Bilder stoben an die Oberfläche, unliebsam und vermischt mit der Erinnerung an den süß-bitteren Geruch, den das Totenbett seines Großvaters umhüllt hatte. Der Kloß in Kasims Hals schwoll an; unter seinen Lidern brannten Tränen. Er schluckte das aufsteigende Gefühl der Wehmut herunter, das sich wie ein Parasit durch sein Innerstes fraß.
    Er durfte sich nicht auf die Toten fixieren. Im Hier und Jetzt zählten die Lebenden, die er zu schützen versuchte. Er konnte nicht warten und herausfinden, ob die sich nähernden Reite eine Gefahr darstellten. In der Hoffnung, dass Safir mit dem Prinzen weit genug entfernt war, suchte er nach einem festeren Halt im Sand. Der Wind zerrte an seiner Kleidung und den Gliedern, entfesselt durch den freigelassenen Goldstaub, der sich auf ihm tragen ließ. Kasim schwankte und sein Herz schlug heftig und laut in seiner Brust.
    Tat er das Richtige? Wieder und wieder hatte sein Großvater betont, den Korken nicht leichtfertig zu lösen.
    »In jedem winzigen Körnchen Gold steckt mehr Macht, als du dir vorstellen kannst, Kashka«, flüsterte die brüchige Stimme in seiner Erinnerung. Großvater Salims Augen hatten stets gefunkelt, wenn er zu ihm sprach und er ihm mit rauen Händen über den Kopf strich. »So kostbar. Lässt du sie frei, ist es ein Spiel mit dem Feuer. Aber du - du, Kashka, wirst wissen, was du tust.«
    »Hilf mir, Yaw«, raunte der junge Reiter zittrig und öffnete die Lider. Mit den Augen verfolgte er dem seltsamen Tanz der goldenen Körnchen, die sich im Wind reckten und streckten. Eine starke Böe riss die formlose Gestalt auseinander. Dann verschwand das Glitzern und der Sturm gewann an Kraft, sodass er ihn beinahe mit sich zog.
    Kasim hörte das Flattern von Zeltplanen. Töpfe und Pfannen schlugen aneinander, während ein Kamel einsam röhrte. Stumm formte der Reiter ein letztes Gebet an Yaw, jenes Himmelswesen, Herrscher des Tages, der ihn bereits sein gesamtes Leben lang begleitete. Er drückte eine Hand auf das kühle Glas der Phiole - und fühlte sich leer und kalt dabei. Als fehlte ein Teil von ihm.
    Schließlich riss er sich aus seiner eigenen Starre, machte auf dem Absatz kehrt und hastete die Düne hinab. Er stemmte sich gegen die Böen, schützte sein Gesicht vor rauem Sand, der ihm zusätzlich den Atem raubte. Das Lager war kaum mehr auszumachen, doch er konzentrierte sich auf den Weg zwischen den Dünen dahinter. Kasim hoffte, dass die Frauen in Sicherheit waren, solange das Zentrum des Sturmes hinter den Sanddünen tobte.
    Je weiter er sich kämpfte, desto größer keimte Panik in ihm auf, die ihm die Kehle zuschnürte. Er lief so schnell er konnte, stolperte dabei über seine eigenen Füße. Was, wenn er die falsche Richtung einschlug? Folgte er der rechten Spur. Was machte ihn so sicher, dass er nicht im Kreis ging und den Reitern in die Arme lief?
    Doch etwas zog ihn trotz der Zweifel weiter, trieb ihn voran wie ein Gespür, das er nicht abschütteln konnte.
    Er blinzelte durch die dichte Wand aus Sand vor sich, sah kaum die Hand vor Augen. Sand verirrte sich in seine Stiefel, rieb an seiner bloßen Haut, bis diese brannte. Er lief weiter, verlangsamte keinen seiner Schritte.
    Dann sah er die Schwärze in der Luft. Stetig wurde sie deutlicher, hinterließ kleine Spuren, winzige Flecken im hellen Sandsturm. Kasim blinzelte, fürchtete, dass seine Sicht ihm Streiche spielte. Jedoch war es am Ende das Einzige, an das er sich klammern konnte. Es war wie ein Faden, der sich um seine Finger wickelte und ihn mit sich zog, dünn und leicht zu zerreißen.
    Je weiter es ihn zog, desto dichter wurde die Schwärze, bis sie eine formlose Gestalt ergab, die ihm zuzuwinken schien. Kasims Magen schlug einen Purzelbaum, als er das Wesen wiedererkannte. Da wusste er, dass es ihn direkt zu Kadir führen würde. Mit letzter Kraft beschleunigte er seine Schritte, bis hinter einer seichten Düne die Umrisse eines Pferdes samt Reiter auftauchten.
    Safir entdeckte ihn zuerst. Die Augen mit den Händen beschirmt, stieß er einen heiseren Ruf aus. Der Prinz kauerte vor ihm im Sattel, die Hände auf der Brust. Als Kasim sich näherte, erkannte er, dass Kadirs Finger sich im Stoff seines Kaftans krampften. Mit gerunzelter Stirn stolperte der Steppenreiter zu ihnen, kümmerte sich nicht um Safir, der sofort auf ihn einsprach. Seine Aufmerksamkeit galt ganz allein seinem Freund, dessen Gesicht schmerzverzerrt war; Schweiß perlte von seinen Schläfen. Kadir zuckte zusammen, als Kasim sein Knie berührte. Die Augen des Prinzen waren weit aufgerissen und er atmete schwer, als er nun herabblickte. Einen Moment wirkte es, als sehe er durch seinen Freund hindurch, dann entspannten sich seine Züge ein wenig.
    Kasim öffnete den Mund, um etwas zu sagen, erstarrte jedoch in seinem Vorhaben. Stattdessen stierte er auf den dunklen Schatten hinter dem Prinzen, auf den tiefschwarzen Schemen, der die Gestalt einer Frau angenommen hatte - einer gesichtslosen Frau. Ihr Haar flog in alle Richtungen, als sie ihm langsam zunickte, bevor sie die langen Hände auf Kadirs Schultern legte und verschwand. Der Prinz stöhnte auf und krümmte sich über den Sattelknauf. Safir beugte sich über ihn, zuckte jedoch zurück, als Kadir nach ihm schlug.
    »Mir geht es gut«, raunte der Prinz. Seine Finger entspannten sich und auch seine Gesichtszüge wurden weicher.
    »Dir geht nicht gut«, widersprach Kasim. Er tauschte einen Blick mit Safir, der etwas unbeholfen die Achseln zuckte, als der jüngere Mann ihm die Zügel aus den Händen nahm.
    »Was ist im Lager passiert?«, fragte Safir, verstummte jedoch, als Kasim ihm einen langen Blick zuwarf, ehe er das Pferd mit sich führte.
    »Später«, murmelte der Reiter. »Müssen weiter weg.« Er wusste nicht, wie lang der Sturm die Männer aufhalten würde. Bestenfalls würde er sie so sehr verwirren, dass sie die Orientierung und somit ihr Ziel aus den Augen verloren. Schlimmstenfalls hatten sie nur ein paar Minuten Zeit gewonnen. Wenn sie denn überhaupt auf der Jagd nach ihnen waren.

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    Tja, hat wieder etwas gedauert, vielleicht hat es jemand vermisst, vielleicht auch nicht. Ich versuche es noch einmal mit einem neuen Kapitel.
    Zuletzt waren wir bei Kadir und Kasim, die im Lager der Wanderinnen etwas unfreiwillig länger verweilten und nun den Entschluss gefasst haben, mit Hilfe von Elin ihren weiteren Weg zu bestreiten. Safir wird sie nun begleiten, auch wenn ihr Aufbruch überstürzt geschehen musste, denn aus nicht allzu weiter Ferne näherten sich unbekannte Reiter dem Lager. Durch einen Kniff von Kasim gelang vorerst die Flucht.


    - 9 -

    Ranya riss die Augen auf; ihr Herz schlug schmerzhaft in der Brust. Feucht klebte ihr Gewand an der Haut. Eine Weile starrte sie in die Dunkelheit hinauf, lauschte auf das Vibrieren der Zeltplanen und das Schnarchen um sich herum, doch die Gedanken wirbelten zurück zu ihrem Alptraum.
    Bilder der fast ausgebrannten Villa kehrten wieder, Erinnerungen an seltsam verrenkte Körper, ihre eigene Hilflosigkeit. Und all der Rauch. Kurz bevor sie aufgeschreckt war, war ihr gewesen, als hallten die Schreie direkt neben ihrem Ohr aus der Vergangenheit zu ihr heran.
    Sie schluckte, doch der pelzige Geschmack im Mund blieb. Fahrig wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Damit holte sie ihre Familie und ihr altes Leben nicht zurück. Auch nicht mit all der Schuld, die sie spürte. Dennoch war sie da, einem schweren Gewicht auf ihrem Herzen gleich.
    Blind tastete sie nach ihrer Decke, die sie im Schlaf von sich gestrampelt hatte. Sie wickelte sich darin ein, stand auf und taumelte mit steifen Gliedern aus dem Zelt.
    Augenblicklich umschloss sie der kühle Nachtwind, der eine Gänsehaut über ihre Arme und den Rücken trieb. In diesem Moment begrüßte sie es. Ihr Blick glitt über das kleine Lager, das sie vor Sonnenuntergang an einer winzigen Oase aufgeschlagen hatten. Winzig traf es ganz gut; sie glich mehr einem breiteren Wasserloch. Drei, vier Palmen umgaben das sandige Ufer des Quells, an dem sich hier und da einzelne Büchel mit Gras hervorwagten. Ihre Pferde ruhten gesattelt und bereit für einen raschen Aufbruch im Schutz der Bäume.
    Ranya hörte das Plätschern des Wassers, das im Licht der Sterne nur mehr ein schwarzer Teich war. Feine Sandkörnchen rieselten die Dünen hinab, die sich wie kleine Hügel um sie herum abzeichneten, während die Windböen die gigantischen Blätter der Dattelpalmen rascheln ließen. Einen Moment verlor sich Ranya in den Geräuschen, die ihr aufgewühltes Gemüt beruhigten.
    In der Nähe brannte ein kleines Feuer, vor dem sich die Umrisse zweier Gestalten abhoben. Eine davon gehörte Fahid. Der junge Gardist hielt den Kopf gesenkt, als wäre er mit vor der Brust verschränkten Armen eingeschlafen.
    Langsam ging Ranya auf die beiden Männer zu; ihre Zehen vergruben sich wohltuend im ausgekühlten Sand. Vor ihr huschte eine Eidechse von rechts nach links, doch sie konnte sie nicht genauer bestimmen, dafür war es zu dunkel. Harun hätte es gekonnt.
    Sie schob den Gedanken an den Hauptmann beiseite. Er war nicht glücklich gewesen, als sie vor mehr als zwei Tagen von Alsahar im Schutze der Nacht aufgebrochen waren – und er zurückblieb. Zum Abschied hatte er ihr das Versprechen abgenommen, alles Mögliche zu tun, um Kadir zu finden und in Sicherheit zu bringen, bis Harun in der Lage war, ihnen nachzukommen.
    Fahid hob den Kopf, als sie neben ihn trat. Im Licht der Flammen wirkte sein Gesicht gespenstisch dürr; die hohen Wangenknochen stachen mehr hervor denn je, während die untere Hälfte ein dunkler werdender Bart überschattete. Seine wirren Locken standen in alle Richtungen ab, als habe er sich gerade noch die Haare gerauft.
    »Könnt Ihr nicht schlafen?« Unter den Augen des Gardisten prangten dunkle Ringe. Er beobachtete sie dabei, wie sie sich neben ihn setzte, wich ihrem fragenden Blick jedoch aus. Innerlich schüttelte sie den Kopf über sein Verhalten, sagte jedoch nichts und wickelte sich stattdessen nur enger in die Decke. Kurz nickte sie dem anderen Mann zu, der diese Geste stillschweigend erwiderte. Wissam war ihr in den letzten Tagen nicht wie der Gesprächigste erschienen.
    »Eure Männer rauben mir den Schlaf«, seufzte Ranya und nahm dankend den dampfenden Becher entgegen, den Fahid zuvor aus einem kleinen Kessel über dem Feuer gefüllt hatte. Sie pustete über den Rand, schnupperte an dem würzigen Kräutertee und seufzte zufrieden.
    Fahid lachte leise. »Es stand Euch frei, ein eigenes Zelt zu beziehen. Wir sind engen Raum gewohnt.«
    »Ich sagte Euch bereits, dass ich keine Sonderbehandlung wünsche.« Ranya verzog das Gesicht, als sie sich an das umständliche Gebaren der Männer erinnerte. Sie hatten sich darüber gestritten, wer ihr welches Zelt am schmackhaftesten machen konnte. Einige unter den Männern hegten die Ansicht, dass es sich für eine junge, unverheiratete Frau nicht schickte, mit Männern eine Schlafstätte zu teilen. Ranya hatte ihnen mit scharfer Zunge deutlich gemacht, dass sie nicht gedachte, in einem Bett mit ihnen zu schlafen. Zugleich hatte sie die Klinge ihres Dolches unter dem Saum ihres Umhangs aufblitzen lassen. Alle sollten wissen, dass sie sich zur Not verteidigen konnte, sollte jemand auf falsche Gedanken kommen.
    Gleichwohl hatte ihr diese Auseinandersetzung gutgetan. Genaugenommen war sie froh, wenn sie nicht mit Samthandschuhen angefasst wurde. Alles war ihr recht, was sie von den düsteren Gedanken ablenkte, die sie in stillen Momenten wie eine Staubwolke überrollten.
    Es war Fahid gewesen, der mit stoischer Ruhe die Situation entschärft hatte. Nun teilte sie sich das Zelt mit den beiden Jüngsten ihrer Gruppe – zwei Brüder, die keinerlei Schwierigkeit darin sahen, das Nachtlager mit einer Frau zu bewohnen.
    »Habe ich Euch bei einer wichtigen Unterredung gestört?«, wechselte Ranya das Thema und führten den Becher an ihre Lippen.
    Seufzend fuhr sich Fahid durchs Haar. »Nicht wirklich.« Er blinzelte zu den Sternen hinauf und runzelte die Stirn. »Ich frage mich nur, ob wir auf der rechten Spur sind.«
    Ranya starrte ins Feuer. Seit ihrem Aufbruch fragte sie sich dasselbe. Von Stunde zu Stunde, die sie mit offenen Augen durch die Wüste geritten waren, war ihre Zuversicht geschwunden. Nicht einmal Harun könnte Kadir so leicht finden. Sie wollte die Hoffnung nicht einfach aufgeben, allerdings machte ein Blick auf die Einöde um sie herum ihr kaum Mut.
    »Die Spur, die Galibs Männer hinterlassen haben, ist alles, was wir momentan haben«, brummte Wissam. Ranya schaute zu ihm herüber, musterte die hauchfeine weiße Narbe an seiner Kehle; der volle Bart darüber war von grauen Härchen durchzogen, genau wie sein kurz geschorenes Haupt.
    »Wissam hat recht«, bemerkte Fahid und grinste schief. »Allerdings würde ich mich auf diese Spur nicht verlassen. Wenn sie den Prinzen bereits gefunden hätten, wären wir nicht hier.«
    »Hoffen wir einfach, dass wir den Prinzen vorher finden«, schnaubte der ältere Mann und leerte seinen Becher in einem Zug, bevor er ihn in den Sand drückte.
    Und wenn nicht? Ranya getraute sich nicht, die Frage auszusprechen. Galib war zwar für den Tod des Königs verantwortlich – und für so viele mehr –, doch etwas in ihr sträubte sich dagegen, dass er Kadir ein Haar krümmen würde. Dennoch war es ihr zuwider, sollte er in seine Finger geraten. Er sollte ihr nicht noch einen geliebten Menschen nehmen, dachte sie mit eisiger Kälte im Bauch.
    Und was wollte Kadir? Der Prinz, der von der Ferne träumte, seit er ein kleiner Junge gewesen war? Würde er zurückkehren wollen? Nicht zum ersten Mal grübelte sie über seine Entscheidungen nach.
    Wie würde es Alsahar ergehen – ohne Herrscher? Wie es die Wüste wohl verändern würde? Die meisten Randprovinzen verwalteten sich selbst und sie hatte nicht nur einmal von ihrem Vater gehört, dass sich mehr der inneren Oasendörfer und Städtchen entlang der Goldstraße dasselbe Recht hatten erstreiten wollen. Die Unruhen kamen nicht von ungefähr. Die wenigen Nomadenstämme gehörten ohnehin nur sich selbst und die Wüstenreiter waren ein störrisches Völkchen, das dem Wüstenherrscher zwar stets mit Achtung begegnete, aber sonst seinen eigenen Wegen folgte. Einzig der Umstand, dass der König einer von ihnen gewesen war, verband sie eng mit dem Palast.
    Ranya schob den Gedankengang beiseite. Wichtiger war, Kadir zu finden; über den Rest konnte man später sinnieren.
    »Ihr steht dem Prinzen nahe«, sagte Fahid leise. Ranya spürte die Blicke der beiden Männer auf sich und wich ihnen aus, musterte stattdessen den Becher in ihren Fingern. »Meint Ihr, wir sind auf der richtigen Spur?«
    Die junge Frau zuckte mit den Achseln. »Die Wüste ist gefräßig.« Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Ihr Vater hatte ihr und Kadir immer die spannendsten Geschichten über seine Reisen mit dem König erzählt, sie bunt ausgeschmückt – und doch hatte er stets mit diesen Worten geschlossen.
    Sie blinzelte ins Feuer, hob und senkte erneut die Schultern. »Der Prinz kennt ihre Weite nur aus Geschichten und sein – Begleiter … Woher soll ich wissen, welche Himmelsrichtung sie eingeschlagen haben?«
    Wissam schnaubte. »Dieser Jungspund. Was hat sich der Hauptmann gedacht, ihn mit dem Prinzen allein zu lassen?«
    »Er vertraut ihm«, murmelte Fahid. Er klang nicht, als würde er Haruns Meinung teilen. Ranya wusste zu wenig über diesen Gardisten, der aus dem Nichts aufgetaucht war und von dem Kadir in den letzten Wochen so angetan war. Immer, wenn sie nach ihm gefragt hatte, war ihr Freund ausgewichen. Als wäre ihm unangenehm, über den Fremden zu sprechen. Was ungewöhnlich schien für den Prinzen. Wenn ihm jemand gefiel, sprach er für gewöhnlich ununterbrochen von demjenigen. Zugegeben, diese Begeisterung hielt in den seltensten Fällen mehr als einige Wochen an; Kadir war schnell gelangweilt. Wahrscheinlich hatte der Fremde seine Faszination für die Ferne neu entfacht. Ranya war sich sicher, dass es so sein musste.
    Der junge Gardist selbst war ihr bei den wenigen Treffen stets mit Scheu begegnet und ihrem forschen Blick ausgewichen. Meistens hatte er sie wie Luft behandelt und sie hatte keine Lust verspürt, daran etwas zu ändern. Sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte, obwohl er kein schlechter Mensch sein konnte, wenn Kadir ihn in sein Innerstes geschlossen hatte. Sie wollte ihm vertrauen.
    »Kasim stammt nicht aus der Wüste«, fuhr Wissam fort. »Der Hauptmann wäre besser gleich mit dem Prinzen geritten, dann wäre er auch nicht fast gehängt worden.«
    »Wäre, hätte, könnte. Das Schicksal hat es so zurechtgelegt. Wir sollten es akzeptieren und das Beste hoffen«, sagte Fahid mit verkniffener Miene, als glaube er seinen eigenen Worten nicht, und schnippte den Dreck ins Feuer, den er zuvor unter seinen Fingernägeln hervorgeholt hatte.
    Wissam schüttelte den Kopf. »Ismet hat die Königsfamilie nicht mit Glück gesegnet. Langsam kann ich den König – Almaw möge seine Seele führen – verstehen«, brummte er in seinen Bart, während er sich ächzend erhob. »Ich versuche noch etwas Schlaf zu bekommen, bevor wir vor Sonnenaufgang aufbrechen.« Damit nickte er ein letztes Mal Ranya zu und verschwand im nächstgelegenen Zelt.
    Fahid sah ihm mit gerunzelter Stirn nach.
    »Vielleicht sollte ich es auch noch einmal mit Schlaf versuchen«, sagte Ranya nach einigem Schweigen und wollte ebenfalls aufstehen, als der Gardist unvermittelt ihr Handgelenk unter der Decke umklammerte. Mit leicht geweiteten Augen sah sie zu ihm herab, doch als bemerke er erst in diesem Moment, was er getan hatte, ließ Fahid sie los. Ohne sie anzublicken entschuldigte er sich und wünschte ihr hastig eine gute Nacht.
    Doch statt zurück in ihr Zelt zu kehren, hockte sich Ranya wieder neben ihn. Sie wusste ohnehin, dass sie nicht würde schlafen können, viel zu sehr fürchtete sie ihre Träume. Also blieb sie.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (14. Mai 2017 um 23:32)

    • Offizieller Beitrag

    Dennoch war sie da, einem schweres Gewicht auf ihrem Herzen gleich.

    schweren Gewicht

    Ui, es geht hier weiter. Das freut mich. ^^
    Ranya gefällt mir. Sie hat einen starken Charakter, obwohl man von ihr jetzt noch nicht sooo viel gelesen hat, glaubte ich sie doch ganz gut einschätzen zu können. Sie hat ja auch schon einiges mitmachen müssen. Und dass sie davon - in Anführungszeichen - nur Alpträume hat, ist erstaunlich. Sie macht sich ja mehr Sorgen, um ihren Freund, als um sich. ^^
    Das Gespräch und die dazugehörigen Gedanken haben mir sehr gefallen. Und ich hoffe natürlich, dass die Gruppe die beiden noch vor Galibs Leuten findet ... Oder eher, dass Galibs Leute Kadir und Kasim gar nicht finden. :D
    Lass uns nicht wieder so lang auf einen neuen Teil warten. :)

    LG, Kyelia

  • Gemeinsam starrten sie in die Flammen. Der Wind umhüllte sie, spielte mit ihren Haaren und zog an ihren Kleidern. Verstohlen rieb sich Ranya die Arme unter ihrer Decke, während ihr die Wärme des Feuers ins Gesicht blies. Die Stille ließ sie unruhig werden; mehrfach rutschte sie im Sand hin und her, suchte eine bequemere Sitzposition, zog die Beine an, nur um sie wieder von sich zu strecken. Sie versuchte, sich erneut auf die Geräusche der nächtlichen Wüste zu konzentrieren, besonders auf das Schnauben der Pferde oder das Rieseln von Sand, wenn irgendwo eine Eidechse durch die Dunkelheit huschte.
    »Ich bewundere Euch«, bemerkte Fahid unvermittelt.
    Ranya zuckte zusammen. Sie musterte ihn von der Seite, doch der junge Gardist wandte das Gesicht weiterhin dem Feuer zu. Einige Male öffnete und schloss sie stumm den Mund, bevor sie fragte: »Was?«
    Fahids Lippen kräuselten sich. »Ihr seid hier, ohne zu wissen, ob unsere Suche Erfolg haben wird. Ungefährlich ist es auch nicht.« Er lachte leise auf. »Ich kenne Männer, die hätten sich weniger bereitwillig und schnell gemeldet.«
    »Was hält mich schon in Alsahar?«, seufzte Ranya. Sie vergrub ihre Zehen im Sand. »Keine Familie, kein Zuhause, kein Prinz ...« Mit jedem Wort krallte sie die Finger tiefer in ihre Haut.
    »Es ist Eure Heimat«, überlegte Fahid laut, worauf ihr ein Schnauben entglitt. Der Gardist runzelte die Stirn. »Euer Zuhause.«
    »Mein Zuhause ist zu Asche und Staub zerfallen«, knurrte Ranya. Sie schnappte nach ihrem Becher, klammerte sich eisern daran, als könnte er das Zittern ihrer Hände unterbinden. Fahid schwieg indes, holte dann tief Luft und goss sich Tee nach.
    »Ihr habt recht«, sagte er mit belegter Stimme, nachdem er einen großen Schluck genommen hatte. »Aber nicht nur Ihr habt etwas verloren. Die Zwillinge in Eurem Zelt?« Er nickte über die Schulter zurück zu jenem Zelt, aus dem Ranya erst vor einiger Zeit gestolpert war. »Ihr Zuhause ist wirklich kaum mehr als Schutt und Asche. Ihr jüngerer Bruder kam während des Angriffs auf den Palast ums Leben – weil er sich zur falschen Zeit am falschen Ort dem falschen Mann entgegengestellt hat. Wissam?« Fahid sah zur Seite. »Seine Frau wurde während der Panik in der Stadt niedergetrampelt, sein Sohn starb im Feuer, als er versuchte, einen alten Mann von einem brennenden Brunnen zu ziehen.«
    Ranyas Herz schlug heftig. Eigene Erinnerungen stürmten auf sie ein, raubten ihr den Atem; ihre Brust hob und senkte sich in schnellem Rhythmus, während sich ein stechender Schmerz darin ausbreitete. Beinahe entglitt der Becher ihren feuchten Händen.
    Fahid war inzwischen auf die Beine gesprungen und lief hinter ihr auf und ab. »Ali? Seine Verlobte rannte in die Klinge einer irritieren Stadtwache, als sie brennend um Hilfe flehte«, fuhr er lauter als zuvor fort.
    Mit zusammengekniffenen Augen und eingesunkenen Schultern kauerte Ranya am Ufer, glaubte erneut die Schreie zu hören, die Hitze zu spüren, die leeren Augen jener zu sehen, die in ihren Armen gestorben waren, während sie jene mit letzter Kraft aus verqualmten Häusern zerrte … Sie wollte das nicht, brauchte es nicht. Nicht sie zählte, sondern das Ziel, Kadir zu finden.
    »Hört auf«, flüsterte sie rau, presste dann die Lippen aufeinander.
    Doch Fahid hörte nicht auf, als habe er sich gerade erst warmgemacht. »Jeder in unserer Gruppe hat Verluste erlitten, nicht nur Ihr!«
    Ranya riss den Kopf hoch, als sich der Gardist vor sie stellte. Sein Ausbruch hatte sie erschreckt. Ihr war nie in den Sinn gekommen zu fragen, wie es ihm oder den anderen mit der Situation erging. Andererseits hatte sie nie das Bedürfnis, in den Wunden anderer zu bohren, genauso wenig wie sie in ihren eigenen stochern wollte.
    Ihre Kehle war wie zugeschnürt; mit weit aufgerissenen Augen stierte sie zu ihm auf. Was wollte er von ihr? Sie hatte nie behauptet, das Unglück jener Nacht gepachtet zu haben.
    Fahids hageres Gesicht verschwamm vor ihren Augen. Der Gardist schnaufte schwer. Seine Hände ruhten zu Fäusten geballt an seinen Seiten.
    »Aber wisst Ihr was?«, fragte er atemlos, die Stimme gesenkt. »Jeder einzelne von ihnen will zurück nach Alsahar. Und wisst Ihr, warum?«
    Sie wich seinem harten Blick aus, der nun langsam weicher wurde. Noch einmal atmete er tief durch, dann lockerte er seine verkrampfte Haltung und hockte sich vor Ranya in den Sand. Er legte die Hände auf ihre Schultern, versuchte ihr dabei direkt in die Augen zu schauen. »Sie wollen Alsahar nicht im Stich lassen. Die Stadt war und ist die Heimat ihrer Liebsten. Unter ihr sprudelt die Mutter aller Quellen, alles zivilisierte Leben entspringt ihrem Schoß. Die Stadt hat es nicht verdient, jenen überlassen zu werden, die sie nicht schätzen – die ihren Quell verunreinen und mit etwas füttern, das Leben vernichtet, statt bringt.«
    Ranya verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ihr redet, als wäre sie lebendig.« Und als hätte er ein geschriebenes Drama verschluckt.
    Schwach zeichnete sich ein Schmunzeln auf Fahids Mundwinkeln ab. »Sie ist es. Wie die Wüste. Seht Euch um!« Er drehte sich leicht zur Seite, damit Ranya an ihm vorbeisehen konnte, hin zum Feuer, darüber hinweg zum dunklen Wasserloch und dann zu den schemenhaften Sandhügeln. »Jedes Sandkörnchen, jeder Windhauch, jedes noch so kleine Tröpfchen Wasser steckt voller Leben.«
    Ranya konnte Fahids Augen nicht erkennen, doch seine Stimme sprühte sprichwörtliche Funken voller Staunen und Ehrfurcht. Sie schauderte und versuchte noch einmal genauer die Dinge so zu wahrzunehmen, wie der Gardist es tun musste. Doch hinter dem warmen Licht der Flammen erkannte sie nur Dunkelheit – und diese machte ihr vielmehr Angst. Vielleicht würde sie bei Tag alles anderes betrachten, doch im Moment war ihr nicht danach.
    »Und was wollt Ihr mir damit jetzt sagen?«, fragte sie stattdessen und reckte das Kinn vor.
    Fahid blinzelte, öffnete den Mund und zuckte schließlich mit den Schultern. Stöhnend ließ er sich auf den Hosenboden plumpsen. »Ich möchte Euch nur deutlich machen, dass es immer einen Grund gibt, zurückzukehren. Auch wenn Ihr es im Moment nicht seht.«
    »Ohne Kadir kehre ich nicht zurück«, murmelte die junge Frau, stellte den Becher beiseite und schlang die Arme um ihre angewinkelten Beine. Schweigsam kaute sie auf ihrer Unterlippe, bevor sie erneut ihre Aufmerksamkeit zu Fahid wandte. »Und was ist mit Euch?«
    »Mit mir?«, fragte er überrascht und setzte sich gerader hin. Einen Moment wirkte er verlegen, kratzte an seiner stoppeligen Wange und grinste halbseitig. »Ich liebe Alsahar zu sehr, um sie zurückzulassen.«
    »Euer Bruder wartet sicher auf Euch«, rutschte es Ranya heraus, ehe sie sich aufhalten konnte. Doch statt dass sich die Miene des jungen Mannes verfinsterte, lächelte er nur traurig.
    »Sicher tut er das.«
    »Ihr haltet es für falsch, was er tut.« Natürlich tat er das, sonst wäre er nicht hier.
    »Ich dachte, das wäre klar«, seufzte Fahid. »Arin lässt sich immer blenden von Versprechungen. Vor allem, wenn sie ihm so etwas wie Macht verleihen. Er war gefundenes Fressen für Galib.« Er sah erneut zu ihr auf, fing ihren Blick mit dem seinen auf. »Auch deswegen will ich zurück. Um ihn zur Vernunft zu bringen. Er ist ein furchtbarer Hauptmann ...«
    Kurz zuckten Ranyas Mundwinkel in die Höhe. »Er ist ein furchtbarer Gardist.«
    »Er ist ein furchtbarer Mensch«, fügte Fahid hinzu, doch das Lächeln war aus seiner Mimik verschwunden.
    Wieder verfielen sie in Schweigen, bis Fahid sich erhob und ächzend seine Glieder streckte. Dann ließ er den Blick durch die Umgebung schweifen. Über den Dünen zeigte sich das erste dunkelblaue Licht eines nahenden Morgens. »Wir sollten bald aufbrechen.«
    Ranya stand ebenfalls auf, ließ dabei die Decke von ihren Schultern gleiten, sodass sie nur mehr in ihrem Untergewand vor dem jungen Mann stand. Fahids Augen weiteten sich kurz, dann räusperte er sich und wandte sich rücksichtsvoll ab. Die junge Frau zuckte nur mit den Achseln. Einen Moment verharrte sie vor dem Feuer, starrte in die kleinen, züngelnden Flammen und merkte erst, wie heftig sie zitterte, als Fahid ihr erneut eine Hand auf die Schulter legte.
    Wirsch schob sie ihn beiseite und stapfte zurück zu ihrem Zelt, um sich anzuziehen. Sie spürte deutlich den nachdenklichen Blick des Gardisten auf ihr ruhen, doch für den Moment hatte sie genug von seiner Fürsorge.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (25. Mai 2017 um 16:30)

    • Offizieller Beitrag

    Ich muss zugeben, es hat etwas gedauert, bis ich wieder wusste, wer Arin ist, aber bei dem Wort Hauptmann kam es so langsam wieder zurück. Ehrlich gesagt, habe ich auch erst jetzt aufgenommen, dass Fahid sein Bruder ist. Offenbar hatte ich das bis jetzt wirklich verdrängt. :D
    Ein interessanter Teil, der darauf hoffen lässt, dass es nun spannend weitergeht. Die Gespräche waren bisher schön und auch informativ, aber von mir aus, dürfte auch gern mal wieder etwas passieren. :rofl:
    Wenn es nun so deutlich angesprochen wurde, bin ich mir auch fast sicher, dass es für Ranya einen Grund geben wird, wieder in die Stadt zurückzukehren. Spätestens, wenn sie den Prinzen gefunden hat und sie die Stadt vor Galib schützen müssen. ^^
    Ich bleibe neugierig.

    LG, Kyelia

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    @Kyelia
    Ich glaube es gibt in Sternenstaub einige, die gerne verdrängen, dass Arin und Fahid Brüder sind. xD'


    Ich kann nicht versprechen inwieweit nun etwas passiert, aber jedenfalls hat mit das Schreiben der Szene viel Spaß gemacht ... Hö.


    Sand wirbelte unter Galibs schlurfenden Schritten auf; der Gang vor ihm war verlassen. Die Ruhe lag wie ein Tuch über diesem Teil des Palasts. Vom sonstigen Leben war hier nichts zu hören. Kein Geflüster der Dienerschaft, kein hektisches Treiben aus der Küche, kein Scharren von Stiefeln oder das Räuspern der Wachen.
    Trotz der Wärme, die wie eine Bürde über seine Glieder herrschte, fuhr Galib ein Schauer über den Rücken. Er bog in den angrenzenden Gang, der an die Prinzgemächer schloss. Hier erschien ihm die Stille drückender. Fort war das Gelächter junger Adliger, welche die Nähe des Thronfolgers suchten, verschwunden das Rascheln von Buchseiten und die warme Stimme des Prinzen. Alles wirkte trostlos, als hätte sich auf dem Sandstein ein grauer Schimmer festgesetzt. Als würde das Gemäuer selbst über den Verlust klagen.
    Die Schwere der fehlenden Neuigkeiten, die Hoffnung brachten, drückten auf Galibs Herz. Die letzten Reiter, die er ausgesandt hatte, waren noch nicht zurückgekehrt, wobei er hoffte, dass sie sich ohne Kadir ohnehin nicht hierher getrauten.
    Vor dem Durchgang zum Wohnbereich des Prinzen blieb Galib stehen. Mit verschwommenem Blick musterte er die bunten Kissen in der Mitte des Raumes; sie waren frisch aufgeschüttelt und sortiert, so wie der Prinz es mochte, um sich stundenlang auf ihnen auszustrecken. Der alte Diener lächelte, wenn auch nur flüchtig, als die Erinnerungen Zuflucht in seinen Gedanken suchten. Wie oft hatte Kadir dort gesessen und einfach gelesen, wenn er sich unbeobachtet fühlte?
    Mit unbewegter Miene löste der Diener sich aus seiner Starre. Die Sonne erreichte nur die Hälfte des Raumes; unter Galibs Füßen blieb der Marmor angenehm kühl. Er näherte sich dem kleinen Tischchen, auf dem stets eine Schale prall gefüllt mit Trauben und Datteln stand. Selbst jetzt, obwohl der Bewohner der Gemächer fehlte. Als Galib genauer hinsah, erkannte er die matschigen Stellen. Mit spitzen Fingern klaubte er die schlechten Früchte zusammen. Schließlich waren seine Hände voll, doch in der Schale fand sich immer mehr faules Obst. Der alte Diener wollte nach einem Dienstjungen rufen, doch seine Stimme blieb auf halbem Wege in seiner Kehle stecken.
    Zwischen den Datteln und Trauben wanden sich fleischige Maden. Kugelrund begannen sie vor seinen Augen am Fruchtfleisch zu fressen, das sich mit jedem Happen dunkler färbte, bis es beinahe schwarz war. Ein bestialischer Gestank folgte.
    Galib wich zurück, schreckte zusammen, als seine Handflächen klebrig wurden. Mit Ekel, der sich durch seine Eingeweide fraß, schüttelte er die modernden Früchte von sich. Auf dem Boden fielen sie weiter in sich zusammen, bis es nur mehr Klumpen waren. Der alte Diener wisch weiter zurück, wobei er rücklings über ein Kissen stolperte. Inzwischen wurden die Maden zahlreicher, krochen über den Rand der Schale und fielen vom Tisch mit einem leisen Klatschen auf den Marmor. Einige von ihnen labten sich an den schwarzen Resten, die meisten suchten sich jedoch ihren Weg zu Galib.
    Er wollte nach ihnen treten, zog eine seiner Schlappen aus und schlug damit auf diese widerlichen Kreaturen ein, zerquetschte sie unter der Sohle. Wo er jedoch eine traf, tauchten zwei neue auf. Sie krochen ihm auf die Finger, krabbelten unter seine Hosenbeine; dort nagten sie an seinem Fleisch, bissen sich daran fest. Kein Wehren half - kein Kratzen, kein Schaben, kein Ziehen und Zerren.
    Galib war, als rissen sie ihm die Haut herunter. Das Brennen wurde unerträglich. Krächzend sank er in sich zusammen, hoffte auf ein rasches Ende, wenn dies sein vorherbestimmter Tod war ...
    Dann war alles vorbei. Der Schmerz war verschwunden; alles was blieb war Galibs rasselnder Atem, durchmischt mit dem Pulsieren seines außer Takt geratenen Herzens, das ihm in den Ohren dröhnte.
    Zitternd richtete Galib sich auf. Sein Blick verwischte einen Moment; er sah auf seine Finger, tastete seinen Körper ab - keine Maden, kein blankes Fleisch. Selbst die Früchte wirkten bei genauerem Hinsehen saftig und frisch.
    »Ihr seht nicht gut aus.«
    Ruckartig wandte Galib den Kopf. Am Eingang zu den Gemächern stand Elham. Die Seherin verbarg ihre Hände in den weiten Ärmeln ihres Gewandes, während sie ihr Gegenüber ohne Ausdruck musterte.
    Umständlich kniete sich Galib auf eines der Kissen, bevor er sich mit verbissener Miene auf die Beine stemmte.
    »Was sucht Ihr hier?«, krächzte der alte Diener. Er streckte den Rücken durch; heißer Schmerz schoss durch seine Glieder, doch er biss die Zähne zusammen.
    »Schämt Ihr Euch nicht?«, fragte Elham statt eine Antwort zu geben. Ihre grauen Augen leuchteten im Schatten wie blankpolierte Münzen.
    Galib blähte die Nasenflügel auf. »Wofür?«
    Sie machte einen Schritt auf ihn zu; die Reife an ihren Gelenken klirrten aneinander. »Ihr habt den König auf dem Gewissen.«
    Einen Augenblick herrschte Stille, dann verfiel der Diener in kehliges Lachen. Verstohlen hielt er sich die Seite und schöpfte Atem. »Es war des Schicksals Wille! Nadim selbst hat es anerkannt.«
    »Ismets Wille ...« Elham klickte mit der Zunge, fuhr mit den Fingern über den Anhänger über ihrer Brust. Die Hand Ismets. Galib wusste, dass diese Frau irgendwo auch das Auge des Schicksals verborgen hielt - weniger als Schmuckstück, sondern mehr eingebrannt auf ihrer Haut. »Schämt Euch, es als Gottes Wille zu bezeichnen, was Ihr allein zu verantworten habt.« Sie spuckte auf den Boden zwischen ihnen. »Schämt Euch, Eure Gabe so zu missbrauchen. Eure Verbindung mit Eurem Gott zu beschmutzen.«
    Erneut lachte Galib auf. »Meine Verbindung zu Gott?« Dieses Mal war er es, der erst auf sie zutrat und dann zwischen sie beide spuckte. Mit geballten Händen versuchte er, ihr nicht an die Kehle zu springen. »Einmal war sie zu etwas nütze. Einmal in meinem ganzen Leben«, knurrte er.
    Von Kindesbeinen an begleitete ihn der Tod. Dem Mutterleib einer verstorbenen Mutter entrissen, dem Siechen seines Vaters beigewohnt, hatte man ihn stets nur Todesbringer gerufen. Bis eines Tages eine Seherin zu ihm kam und ihm von seiner Verbindung zu Gott berichtet hatte. Zu Almaw. Er begleitete ihn seit Tag und Nacht und er konnte nichts dagegen tun. Er sah die Tode seiner Liebsten voraus. Seiner jungen Frau, seines Sohnes - dahingerafft von einer langanhaltenden Dürre. Wären sie mit ihm gekommen, bei ihm geblieben, hätten sie die Güte der Wüstenprinzessin genauso genossen wie er - sie wären noch bei ihm. Er hätte sie schützen, Almaw irgendwie überlisten können.
    Zu spät hatte er seine Macht über den Gott entdeckt. All die Mühen, etwas von jenem Staub zu erlangen, dass nun gebunden an seinen Leib allein ihm gehorchte.
    Ein Stechen in seiner Brust holte ihn zurück in die Gegenwart. »Sagt mir nicht, wie ich diese zu würdigen habe.«
    »Ihr tut mir leid, Galib«, flüsterte Elham. »Einfach nur leid.« Sie fuhr den Arm aus und ihre Armreifen schlugen wiederholt gegeneinander, während sie durch den Raum deutete. »Ist es das, was Ihr erreichen wolltet? Ein herrenloser Palast? Eine herrenlose Wüste?«
    »Der Prinz wird zurückkehren. Sagt das nicht Euer hochgeschätztes Schicksal?«, schnaubte der alte Diener verächtlich. Elham senkte nur die Hand und sah unverwandt zu ihm. Diese Frau hatte ihn bereits früher in den Wahnsinn getrieben, mit ihrer Nähe zur Prinzessin, nur weil sie eine entfernte Blutlinie mit ihr teilte. Am Ende war sie es gemeinsam mit diesem verfluchten Wüstenreiter gewesen, die Schuld an ihrem Tode trug und ihre Seele auf ihren Rücken geschnürt hatte.
    Etwas schien in ihm zu reißen. Einem Platzen einer Wasserblase gleich. Schnellen Schrittes überwand er den Abstand zwischen ihnen, doch als er nach ihrem Hals greifen wollte, zuckte er erneut zurück. Taumelte. Ihr Gesicht war mit einem Mal übersät mit Maden. Sie krochen zwischen ihre Lippen, in Nase und Ohren, schienen sich sogar unter ihre Augäpfel zu quetschen. Je weiter er von ihr wich, desto mehr Maden tropften wie Perlen von ihr herab, so wie ihre Haut und das Fleisch an ihren Knochen. Mit einem Aufschrei riss Galib die Hände hoch.
    »Ihr verbrennt Euch die Finger, Galib«, sprach das, was einst die Seherin gewesen war und nun nur mehr einer verfaulenden, wandelnden Leiche entsprach. Sie kam ihm näher, hinterließ dabei einen fürchterlichen Gestank nach Fäule und eine Spur aus rottendem Fleisch, das ihr in ganzen Stücken vom Leibe fiel.
    Der alte Diener stieß gegen den Tisch, der scheppernd umfiel. Dumpf zersprang die Schale, die Früchte verteilten sich und Galib rutschte auf zermatschten Trauben aus. Atemlos flehte er, der Alptraum möge endlich vorbei sein. Er kramte nach dem Glas in seinem Ärmel. Es war so heiß, dass es sich in seine Haut eingebrannt hatte und alles Ziehen es nicht davon löste. Die Wut auf Almaw fraß sich in altbekannten Bahnen durch seinen Magen, sein Herz, formte böse Flüche auf seinen Lippen.
    Das Monster hockte sich derweil vor ihn und streckte eine knochige Hand nach ihm aus, an der nur mehr ein Fetzen Haut klebte. »Ihr seht nicht gut aus, Galib. Ihr solltet Euch ausruhen.«
    Schwärze versuchte sich seiner Habhaft zu machen. Sein Verstand drohte ihn im Stich zu lassen. Mit letzter Kraft biss er sich auf die Zunge, riss das Glas von seiner eigenen Haut unter dem Ärmel hervor und wollte den Korken lösen, doch Elham legte ihre Hand auf seine. Beinahe ließ er das Gefäß fallen, doch sie hielt es gemeinsam mit ihm fest. »Wagt es nicht, Euch gegen einen weiteren Gott zu erheben, Galib. Das ist der letzte Rat, den ich Euch gebe.« Damit wandte sich das dunkel gewandete Skelett von ihm ab und ließ ihn allein zurück.

    • Offizieller Beitrag

    Der alte Diener wisch weiter zurück, wobei er rücklings über ein Kissen stolperte.

    wich? von weichen und nicht von wischen? :hmm:

    Etwas schade finde ich, dass der letzte Teil unterbrochen wurde, gerade, als es spannend wurde - gemein. :D
    Dafür war der neue Abschnitt wieder gut geschrieben und auch etwas düster und unheimlich, wenn nicht sogar widerlich - mag ich ja sehr gern. XD
    Galib scheint nicht nur das Verschwinden des Prinzen als Problem zu haben. Da gibt es glaube ich eine Sache, über die er sich mehr Sorgen machen muss. Ich frage mich ja, was das mit den Maden zu bedeuten hat Eine Art Vision, was passiert? Das würde aber bedeuten, dass sowohl Elham als auch Galib nicht mehr lange machen. :hmm:
    Naja, was auch immer du damit ausdrücken wolltest, ich bin mir sicher, wir erfahren es. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. ^^

    LG, Kyelia

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    Zitat von Kyelia

    wich? von weichen und nicht von wischen?

    Da kam wohl mein kleiner Sachse durch. :rofl: Ja, ich meinte wich. Meine Güte, dass mir das nach dreimal lesen nicht aufgefallen ist ... Oder Galib wollte insgeheim den Boden wischen, wer weiß. :D


    Schnaufend hockte Galib halb auf den Kissen; sein Herz schmerzte bei jedem Schlag. Er verzog das Gesicht, legte dabei eine Hand auf seine Brust. Nur zögerlich beruhigte sich sein Innerstes. Die Übelkeit blieb, fraß sich durch seinen Magen wie eine dieser Maden, die mit Elham verschwunden waren, gemeinsam mit dem Gestank.
    Er begann, an seinem Verstand zu zweifeln. Nicht zum ersten Mal hatten ihn diese Schreckensvisionen am helllichten Tage übermannt und ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Wie konnte er sich nur so die Blöße geben?
    Er sah auf das Glasgefäß in seiner Linken – und erschrak. Seine gesamte Handfläche war von Bläschen überzogen, während die Haut sich blutig färbte. Fahrig zog er seinen Ärmel zurück. Dort, wo das Glas sonst ruhte, war sein Arm gerötet und ein kleiner Kreis Brandbläschen bildete sich darum.
    Galib schluckte den Brechreiz herunter, der ihn wiederholt überrollte. Das Brennen seiner Haut, der juckende Schmerz kam erst in diesem Moment in seinem Verstand an. Ächzend erhob sich der alte Diener, musste jedoch auf halbem Wege innehalten, weil der Raum sich um ihn drehte. Außer Atem taumelte Galib zum Durchgang Richtung Flur.
    Das Glas unter seinen wunden Fingern vibrierte, mehr als üblich. Galib biss die Zähne zusammen. Er musste die Ketten erneuern, musste den Staub neu binden. Immer wieder sagte er sich die Schritte in Gedanken auf, wie ein Gebet flüsterte er sie.
    Ketten erneuern, Staub binden.
    Er war so darin vertieft, dass er nicht bemerkte, wie er im Kreis lief. Inzwischen war er zurück bei den Gemächern des Prinzen. Irritiert sah er sich um, murmelte etwas davon, dass sich jemand um die Unordnung kümmern müsse, und kehrte um. Seine Füße schlurften über den Marmor.

    Ihr Gewand wehte bei jedem Schritt. Mit rasendem Puls eilte Elham durch die schmalen Straßen des Marktviertels, mied die offenen Läden und Stände. Wie ein Schatten verbarg sie sich vor den Augen anderer, ihre Schritte waren lautlos. Die Kapuze ihres grauen Umhangs tief ins Gesicht gezogen, bog sie um eine Häuserecke und hielt in einer Seitengasse vor einer schmalen Tür.
    Auf ihr dreifaches Klopfen öffnete sich ein Spalt, durch den sie schlüpfte. Sie folgte dem Jungen die verborgene, unebene Treppe hinab, hinein in den nach Moder und Feuchtigkeit riechenden Raum, in dem die Lampen spärlich leuchteten.
    Resul saß gemeinsam mit Harun am Tisch, die Köpfe über einer rissigen Karte zusammengesteckt, die sich an den Rändern wellte. Erst als Elham ihren Umhang ablegte und ihn auf einen Fellhaufen legte, sah ihr alter Freund auf.
    »Wo wart Ihr, meine Schöne?« Resuls schiefes Lächeln strahlte trotz der Lähmung seiner rechten Seite Wärme aus, die sofort Elhams Herz erweichte.
    »Ihr seid noch immer ein Schmeichler, alter Haudegen«, sagte die Seherin und verkniff sich ein Schmunzeln. »Ich war eine Runde spazieren.«
    »Spazieren?« Harun sah nun ebenfalls auf, die Stirn gerunzelt. »Ihr?«
    Nun erlaubte sich Elham doch ein Lächeln. »Ihr seht, Hauptmann, auch ich bin nur ein einfacher Mensch.«
    »Das bezweifle ich«, murmelte Harun, widmete sich bereits wieder der Karte. Sein linker Arm ruhte in seiner Schlinge, doch das schien den Hauptmann nicht weiter zu beeinträchtigen.
    Resul musterte Harun einen stillen Moment, schüttelte dann den Kopf und erhob sich, um Elham seinen Platz anzubieten. Sie lehnte ab, begnügte sich stattdessen mit jenem Haufen Ziegenfelle, auf dem bereits ihr Umhang ruhte.
    Ihr alter Freund gesellte sich zu ihr. »Und, habt Ihr etwas neues auf Eurem Spaziergang erfahren?«, raunte er, den Blick auf Harun gerichtet.
    Elham schwieg, dann stieß sie schwer die Luft aus. »Wir müssen uns beeilen.«
    »Hat der Wahnsinn seine Finger ausgestreckt, eh?« Resuls linker Mundwinkel zuckte.
    »Galib täuscht, wenn er denkt, einen Gott auf lange Dauer beherrschen zu können.«
    »Den Tod kann man nicht beherrschen«, brummte Resul und kratzte sich an seinem ergrauten Bart.
    Harun sah erneut auf; er runzelte die Stirn, schien über etwas nachzudenken, doch letztendlich sah er nur zurück auf die Karte.
    Elham betrachtete ihn lange. »Ihr macht Euch Sorgen um den Prinzen.«
    Unvermittelt schlug Harun mit der flachen Hand auf den Tisch. »Anstatt auf der Suche nach ihm zu sein, sitze ich hier fest!«
    Elham konnte seinen Zorn nachvollziehen, der sich vor allem gegen sich selbst richtete. Wie oft hatte er bereits versucht, sich heimlich davonzustehlen, nur um sich dem stoischen Resul gegenüberzusehen, der ihn daran hinderte, sein Haus zu verlassen? Sie hatte aufgehört zu zählen.
    »Und anstatt in der Stadt nach dem Rechten zu sehen, verbringe ich meine Zeit untätig mit … mit Karten!« Harun fegte die Karte mitsamt den Steinen vom Tisch, die sie bisher an Ort und Stelle gehalten hatten.
    Resul schnaufe. »Wenn Ihr unsere Arbeit hier noch einmal als untätig bezeichnet, ziehe ich Euch eigenhändig den Säbel über den Schädel. Und glaubt mir, das schaffe ich auch noch mit einer Hand.«
    Der Hauptmann lachte auf, deutete mit einer ausladenden Geste durch den schlecht beleuchteten Raum. »Ich verbringe die Tage im Untergrund wie Euer Gefangener, während im Palast alles im Chaos versinkt.«
    »Ihr könnt dort momentan wenig ausrichten. Erinnert Ihr Euch? Der Galgen wartet noch auf Euch und das wird auch niemand Eurer wenigen Verbündeten ändern können«, bemerkte Resul ruhig. »Es ist nicht einmal sicher, wer noch auf unserer Seite steht. Es mag Euch nicht gefallen, doch viele Wachen haben Angst vor Arin und seinen Wutausbrüchen. Selbst die Stadtwache geht ihm aus dem Weg.«
    »Sie haben noch mehr Angst vor Galib und dem Schatten, der ihn seit dem Tod des Königs auf lautlosen Sohlen begleitet«, sagte Elham mit finsterer Miene. Harun brummte etwas, sammelte dann jedoch wortlos die Karte ein.
    »Der Prinz ist sicher bei seinem Begleiter«, sagte die Seherin in die neuerliche Stille hinein. Der Hauptmann warf ihr einen flüchtigen Blick zu. »Solange sie zusammenbleiben, sind sie stärker als sie glauben. Als Ihr glaubt.«
    »Sagen Euch das Eure Visionen?« Harun schnaubte. Seine Schultern spannten sich an, als er einhändig versuchte, die Karte wieder auf dem Tisch zu glätten. Resul erhob sich, um ihm zu helfen.
    »Es braucht keine Visionen, um zu sehen, was sie sind. Nur weil Ihr Eure Augen davor verschlossen haltet, heißt das nicht, das andere dies ebenso tun.« Elham schloss eine Hand um ihre Kette.
    »Tut mir einen Gefallen und verschont mich damit, Seherin«, knurrte Harun. »Langsam fürchte ich, dass der König recht hatte: Ihr bringt nur Unglück.«
    Die Seherin verzog nur einen Augenblick den Mund, dann fasste sie sich wieder. Sie atmete kurz durch, dann erhob sie sich und legte sich ihren Umhang an. »Ihr sprecht im Zorn und ich bin mir sicher, dass Ihr Eure Worte bereuen werdet, Hauptmann.« Sie trat zu ihm heran und er zuckte vor ihr zurück, als sie ihm eindringlich entgegensah. »Werdet Euch endlich Eurer Verbindung zu Gott bewusst, dann findet Ihr vielleicht eine Lösung, wie Ihr die Stadt wieder zur Vernunft bringen könnt.« Damit wandte sie sich herum.
    Resul fing sie an der Tür ab. Er legte ihr seine gesunde Hand auf den Arm und musterte sie schweigend. Dann holte er Luft und flüsterte: »Wir brauchen dich, Elham.«
    Ihre Mundwinkel zuckten und heimlich legte sie ihre Hand auf seine, strich mit den Fingern über die feinen Härchen. »Ich kann nicht viel ausrichten, Resul. Das weißt du genauso gut wie ich.« Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich bin nur eine Dienerin Ismets. Es liegt nicht an mir, seine Fäden zu durchtrennen und neu zu knüpfen.«
    Ihr alter Freund hielt sie weiterhin fest, dann schlang er seinen Arm um sie, drückte sie eng an sich, bevor er sie mit sichtlichem Schwermut ziehen ließ. Sie spürte seinen langen Blick noch, als sie bereits auf dem Weg die Treppe hinauf war.

    • Offizieller Beitrag

    »Und, habt Ihr etwas neues auf Eurem Spaziergang erfahren?«

    groß

    Ich mag Elham. Sie scheint klug und beherrscht zu sein. xD Allerdings kann ich auch Harun verstehen, der da nicht einfach nur sitzen und nichts tun will, sondern raus und kämpfen - wenn es sein muss. Aber ich fürchte, das würde es nicht besser machen. xD
    Ein schöner Teil. Du hast eine Menge interessanter Charaktere, die dort zusammenarbeiten, oder auch nicht. Es bleibt spanennd und wunderschön geschrieben :)

    LG, Kyelia

  • *holt tief Luft und pustet die dicke Schicht Staub fort*
    Ich hab leider keinen neuen Abschnitt dabei. Zum einen, weil ich meine Gedanken und Szenen im Kopf hierzu nicht aufs Papier bekomme (dabei ist Sternenstaub bereits fertig geplant), und zum anderen, weil ich beschlossen habe, erst mal Greta zu beenden, bevor ich mich wieder hier reinstürze.

    Meine Frage, die sich mir nun stellt: Besteht noch Interesse an der Geschichte? Ich werde sie auf jeden Fall für mich zu Ende schreiben, aber wenn ich letztlich hier nur allein mit mir rede, dann muss ich gestehen, dass ich hier nichts einstellen brauche.
    Ich verstehe, dass durch die langen Pausen das ohnehin schon maue Interesse geschrumpft ist. Auch, dass es noch andere Gründe gibt. :) Aber ... ja.
    *setzt sich hin und wartet*

    • Offizieller Beitrag

    Auch, wenn die Antwort etwas verspätet kommt: Ja, ich hätte noch Interesse daran, diese Geschichte zu Ende zu lesen. Da ist es mir egal, wie lang ich auf einen Teil warten muss. Da bin ich sehr geduldig. (Ich habe in letzter Zeit sowieso nicht mehr so viel Zeit, also passt das ganz gut D)
    Nein, also meinetwegen kannst du die Geschichte gern weiterführen. Wenn nicht öffentlich im Forum auch gern per PN oder E-Mail. 8o Ich will doch wissen, wie es weitergeht und vor allem, wie das alles endet. :panik:

    LG, Kyelia



    Wenn es ein Buch gibt, das du wirklich lesen willst, aber das noch nicht geschrieben wurde, dann musst du es selbst schreiben.
    - Toni Morrison -

  • @Kitsune

    Hallo. Ich hab mich bei dir jetzt bis über die Hälfte vorgearbeitet und nun mal nachgesehen, ob diese Geschichte überhaupt beendet wurde.
    Wurde sie nicht. ||
    Aber du fragtest ja, ob Interesse besteht. 8o Also wenn du noch Entscheidungshilfe brauchst - JAAAAAAAAAAAA, sehr großes!!!!!! Bitte schreib weiter! Das muss doch beendet werden. :grumble: Ich will unbedingt wissen, wie das ausgeht. Ich warte auch, kein Problem. ^^

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • So, @Kitsune, jetzt bin ich durch. Obwohl ich wusste, das du nicht weitergeschrieben hast, war ich doch von dem plötzlichen Abbruch jetzt total überrascht. Deshalb noch einmal: Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn du die Geschichte fortsetzen würdest.

    Spoiler anzeigen


    Zuerst - für mich ist es eine der faszinierendesten und spannendsten Geschichten hier im Forum. Ich finde den Plot einfach fantastisch und die Charaktere sehr authentisch. Du hast ihre Besonderheiten sehr gut herausgearbeitet. Und du schaffst es, dem Leser immer nur kleine Häppchen zu servieren, die sicher einige Fragen beantworten, aber damit mindestens doppelt so viele neue aufwerfen. So erzeugst du süchtigmachende Spannung.
    Für mich, die innerhalb weniger Tage alles im Stück gelesen hat, war es nicht schwer, die Namen der Personen und den Überblick zu behalten. Das ist sicher nur ein Problem, wenn man Posts liest, zwischen denen mehrere Tage oder gar Wochen liegen.
    Was mich besonders begeistert hat, waren deine Beschreibungen. Mit welcher Sicherheit du dir die Zeit genommen hast, Gefühle detailliert wiederzugeben und Orte vor dm geistigen Auge deiner Leser zu zeichnen. Ich bin in meiner Geschichte mehrfach diesbezüglich gerügt worden, dass ich zu ausführlich bin. Du bist auch ausführlich, aber das langweilt in keiner Minute. Im Gegenteil. Es enstanden Bilder des Orients vor meinen Augen, die ohne diese Beschreibungen nicht so eindrücklich gewesen wären. Die Stadt, der Palast, das Zeltlager der Wanderinnen, Resuls Kellergeschoss - alles Orte, die ich mir nur deshalb super vorstellen kann. Ereignisse wie der Sandsturm, das Feuer, die Revolte im Palast lassen einen fast das Atmen vergessen beim Lesen. Und diese fast zarten Szenen, in den Gefühle die Handlung bestimmen wie z.B. das Gespräch zwischen Fahid und Ranya ... ;(
    Ich würde gern wissen wollen, wo die Verbindung zwischen Prinz, Kasim, Safir, Harun und all den anderen ist. Ob Kadir König wird und Harun wieder sein Hauptmann. Und Ranya seine Königin. Und und und... Schreib weiter, bitte ! :stick:

    Edit:

    Wenn nicht öffentlich im Forum auch gern per PN oder E-Mail. Ich will doch wissen, wie es weitergeht und vor allem, wie das alles endet.

    Das gilt auch für mich.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • @Tariq
    Du hast mich mit deinem Kommentar zum Lächeln gebracht. Vielen, vielen Dank, dass du gelesen hast, obwohl hier seit über einem Jahr nichts passiert ist.
    Ich habe dieses Projekt nicht aufgegeben. (Danke auch an @Kyelia, ich hab dich auch nicht vergessen.) Ich will weiterschreiben. Ich werde weiterschreiben. Es krankt nicht am Plot oder ähnlichem. :)

    Aber auch ich muss erst wieder reinkommen. Ich hab mittlerweile auch meine Welt etwas weiter ausgebaut - Alsahar vor allem als Oasenstadt.
    Eeeeeine kurze Geschichte hierzu spukt mir seit Wochen im Kopf herum. Wenn ich die zu Papier bringen konnte, klappt es vielleicht mit dem Rest auch wieder. ^^

  • @Kitsune

    Ich habe gerade das erste Kapitel deiner Geschichte gelesen und bin jetzt am zweiten. Ich finde deinen Schreibstil sehr schön, denn du beschreibst ein prächtiges Farbenspiel und die Bilder werden in meinem Kopf lebendig, genau so mag ich es.

    Und ganz toll finde ich, dass die Geschichte im Osten spielt. Ich liebe Wüstengeschichten, hat wahrscheinlich mit meiner noch immer anhaltenden Liebe für Aladdin und 1001 Nacht zu tun.

    Der Prinz und seine Leibgarde finde ich auch sehr eine tolle Idee, ich persönlich mag es immer, wenn in Fantasy Geschichten nicht die typischen Mann und Frau Liebesgeschichten oder gegenseitige Anziehung beschrieben wird. :D

    Freu mich schon aufs weiterlesen. :love:

    Liebe Grüsse

    97dragonfly

    "Ein Schloss ohne Gruft, das wäre wie, wie ein Einhorn ohne Horn!"

    Eigenes von Fly
    Schatten unter London

    Einmal editiert, zuletzt von 97dragonfly (6. Januar 2019 um 23:19)