- Offizieller Beitrag
Hey liebe Forengemeinde,
hiermit eröffne ich die Fortsetzung von Ein Jedermanns-Traum. Wieder wird es ein Projekt von @Miri und mir. Das heißt: wir wechseln uns mit dem Schreiben ab.
Die Geschichte baut im Wesentlichen auf dem vorherigen Teil auf, also wäre es gut, wenn man diesen gelesen hat. Wir geben uns aber Mühe das Geschehen nochmal so weit wiederzugeben, dass auch Neueinsteiger mitlesen könnten. Ich hoffe, das wird uns auch gelingen.
Ansonsten würde ich den ersten Teil einfach mal posten und wünsche viel Spaß beim Lesen.
Kapitel 1
Nachwirkungen
Mit trübem Blick stand er vor dem schmucklosen Stein und starrte auf die feinen Lettern, die dort hineingeritzt waren. Die Hände hielt er in den Hosentaschen vergraben las er immer wieder den Namen.
Anna Williams.
Verzweifelt kämpfte er gegen die Tränen an. Ein Jahr war seit ihrem Tod vergangen, und er war weit davon entfernt darüber hinwegzusein. Er konnte sich noch immer nicht erklären, wie es dazu kommen konnte. Für ihn war Anna immer die unschuldige junge Frau gewesen, die sie vorgab zu sein. Nie hätte er erwartet, dass sie in Wirklichkeit Experimente an Menschen durchgeführt hatte. Woher hätte er es auch wissen sollen? Anna hatte ihm nie einen Anreiz gegeben, wirklich daran zu glauben. Sie war immer freundlich und aufgeschlossen gewesen.
"Warum hast du das gemacht?", flüsterte er dem Stein entgegen, wohl wissend, von ihm keine Antwort zu erhalten. Schon oft hatte er sich diese Frage gestellt, aber nie eine Antwort bekommen und es war klar, dass er auch keine mehr erhalten würde. Anna war tot, Mia in psychiatrischer Behandlung. Dort war sie auch gut aufgehoben. Seit dem Vorfall hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Warum auch? Für ihn war die junge Pharmazeutin ebenso gestorben, wie Anna. Obwohl sie einmal eine seiner besten Freunde war.
"Ihr hättet wissen müssen, dass ihr damit nicht durchkommt." Menschenexperimente durchzuführen, um Klone herstellen zu können. Schon allein der Gedanke klang für Nick wahnsinnig. Das Schlimmste war jedoch, dass es den beiden Frauen tatsächlich gelungen war. Zwei Klone hatten sie erschaffen. Ein freundlicher, Bumblebee, der nun mit ihnen zusammen lebte, und dann war da noch jener, den Nick erschossen hatte.
Er schloss die Augen und wischte sich mit der Handfläche über das Gesicht. Bei dem Gedanken an das Monster, kam ihm sofort wieder das Bild von Anna in den Kopf, wie sie blutüberströmt auf dem kalten Laborboden gelegen hatte. Ihr war nicht mehr zu helfen gewesen.
Ein Schluchzen verließ seine Kehle. Warum hatten sie das riskiert? Sie, Anna und auch Mia, hätten wissen müssen, dass sie damit nicht durchkommen würden. Es war erschreckend. Diebstahl, Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Diese Irren hatten wirklich einen Menschen aus dem Krankenhaus entführt, jemanden, der sein Gedächtnis verloren hatte, und ihn als Grundmaterial für die Versuche verwendet. Es war klar, dass sich früher oder später jemand, oder in ihrem Fall, etwas an ihnen rächen würde.
Nick wurde schummrig, als er an Mias Aussage vor Gericht dachte. Laut ihr wollten die beiden die Welt mit ihrem Handeln verbessern. Bis jetzt wusste Nick nicht, inwiefern sich nun etwas zum Besseren gewendet hatte. Die Taten der beiden waren moralisch verwerflich, sonst nichts. Aber trotz dessen war es ihm unmöglich die Gefühle, die er für Anna empfand, von sich zu schütteln. Auch ein Jahr später noch nicht. Sie bedeutete ihm einfach zu viel, schließlich hatte er sie geliebt, seit er sie das erste Mal getroffen hatte.
Der nervige Klingelton seines Handys riss Nick aus den Gedanken.
In aller Ruhe warf er noch einen letzten Blick auf den Grabstein, dann zog er seine Hand mitsamt dem Gerät aus der Hosentasche. Evies Name leuchtete auf dem Display auf. Die Journalistin hatte ihm gerade noch gefehlt.
"Was gibt's?", fragte er, anstatt einer Begrüßung. Er wusste, es war besser bei Evie direkt auf den Punkt zu kommen, sonst quasselte die Frau einen gestandenen Mann in Grund und Boden.
"Wo steckst du? Wir wollen anfangen", kam es zurück. Für den ersten Moment war er verwirrt, doch die anderen Stimmen im Hintergrund verrieten ihm schnell, auf was Evie hinaus wollte. "Ich sagte dir doch, dass ich nicht kommen werde. Das ist nicht gerade ein Freudentag für mich."
Ein Stöhnen war von der anderen Seite zu hören.
"Du bist an ihrem Grab, oder?"
Nick bewegte seinen Kopf, obwohl er wusste, dass Evie ihn nicht sehen konnte.
"Ich verstehe", eine kurze Pause entstand. "Es wäre dennoch schön, wenn du noch kommen könntest."
Nick verdrehte leicht seine Augen, während er sich vom Grab abwandte und ein wenig den schmalen Weg entlanglief. Außer ihm war kaum jemand auf dem Friedhof unterwegs. Nur eine alte Frau, die gefasst eines der Gräber mit einer Schaufel bearbeitete.
"Evie, wir haben doch darüber gesprochen."
"Ja, und deshalb müsstest du wissen, dass es für uns alle nicht gerade ein Jubeltag ist, aber gerade deshalb haben wir uns entschieden, Bumblebees ersten Geburtstag an diesem Tag zu feiern. Eben um das Trübsal aus unseren Gedanken zu vertreiben."
Nick seufzte. Evie hatte Recht. Bumblebee, das war der einzig überlebende Klon, den Mia und Anna hergestellt hatten. Nach seiner Befreiung vor einem Jahr hatten sie sich entschieden, seinen Geburtstag an diesem Tag zu feiern. Da niemand sagen konnte, wann genau der Klon das Licht der Welt erblickte.
"Nun gut, ich werde sehen, was ich machen kann."
Ein freudiger Ruf schallte durch die Leitung.
"Super, dann warten wir mit dem Abendessen auf dich. Bring dir etwas Warmes zum Anziehen mit. Wir sitzen auf dem Balkon."
Damit schien das Gespräch auch beendet zu sein, denn bevor Nick noch irgendwas hätte sagen können, hatte Evie aufgelegt und nur noch ein Piepen erklang aus dem Handy.
Genervt nahm Nick es vom Ohr.
Mit Sicherheit hatte Evie den Anruf schnellstmöglich beendet, um ihn daran zu hindern, dass er seine Meinung noch einmal änderte.
In einer fließenden Bewegung steckte er das Gerät zurück in seine Hosentasche und folgte dann dem Kiesweg zurück zu Annas Grab.
Sie würden also auf dem Balkon essen. Zu verdanken war dieser Umstand sicherlich Carl. Der Mann, den Anna und Mia entführt und für ihre Versuche missbraucht hatten. Zwar erinnerte sich dieser aufgrund einer seltenen amnestischen Krankheit nur noch bedingt an seine Gefangenschaft, aber es genügte, um ihm eine Phobie vor engen Räumen zu bescheren. Laut eigenen Aussagen bekam er immer ein beklemmendes Gefühl.
Neben den Blumentöpfen, die noch immer neben dem Grab standen, blieb er stehen und ging in die Hocke.
Sanft strich er über die Blüten der Sonnenblumen.
Auch ihn überkam ein beklemmendes Gefühl und zwar jedes Mal, wenn er Carl oder Bumblebee sah. Die beiden waren das Ergebnis, dass Anna und Mia hinterlassen hatten- quasi ihr Vermächtnis - und dementsprechend konnte Nick keinen von beiden ansehen, ohne direkt wieder an Anna erinnert zu werden. An ihre schlechte Seite. Deshalb hatte er auch nicht vorgehabt, auf die Geburtstagsfeier des Klons zu gehen. Lieber wollte er hier bleiben, am Grab seiner besten Freundin und den Duft der Sonnenblumen genießen. Den Duft von Annas Lieblingsblumen. Sie machten ihm klar, dass sie auch eine gute Seite hatte. Die, die er eigentlich kannte. Die fröhliche und freundliche Seite, die mit dem sonnigen, wenn auch manchmal leicht aufbrausendem Gemüt.
Mit der einen Hand nahm er die erste Blume aus ihrem Topf und setzte sie endlich in das, für sie vorgesehene, Loch. Mit der kleinen Gartenschaufel, die er von Zuhause mitgebracht hatte, schob er die Erde wieder etwas um die Pflanze. Evie und die anderen würden noch etwas warten müssen.