Guten Abend, Forum
Hiermit stelle ich dann auch mal wieder ne Geschichte rein, is ja doch einige Tage her inzwischen.
Es handelt sich um eine Kurzgeschichte von ca. 50 Buchseiten, die teils etwas (Betonung auf teils etwas) surrealistische Züge hat - kommt mir also bei etwaigem Feedback nicht mit Logik (was nicht bedeutet, dass die Geschichte völlig sinnlos ist, wurde bereits falsch verstanden)
Die Geschichte entstand nach etwa 3/4-jähriger Schreibblockade, um wieder ins Schreiben reinzukommen und mich dann wieder meinen alten Projekten zu widmen; die Sprache ist also recht eingestaubt und nicht gerade von bestechender Brillanz
Hoffe, es liest trotzdem jemand.
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Der verlorene Hut
Kurzgeschichte
Der Moment war wie geschaffen für Kayne.
Die Welt schien sein Vorhaben zu unterstützen, die Szenerie entbehrte nicht einer angemessenen Dramatik. Kein einziges Mal spähte der Mond zwischen den schwarzen Wolkenfetzen hindurch, als wolle er gar nicht sehen, was sich unten abspielte.
Gesenkten Hauptes ging Kayne langsam auf das Geländer der alten Eisenbahnbrücke zu, das ihn, gusseisern und über Jahrzehnte hinweg verrostet, einladend anlächelte. Es rief nach ihm, mit lockender, süßer Stimme, versprach ihm, allen Qualen und der ewigen, auf immer zur Ergebnisligkeit verdammten Suche ein Ende zu bereiten, ihn aus dieser Welt zu befreien.
Was danach geschehen sollte, wusste er nicht, obwohl er Hoffnungen hegte, dass ein neuer, ein weiterer Ort für ihn entstehen könnte.
Kayne war allein auf dieser Welt. Jahre hatte er auf der Suche verbracht, auf der Suche nach Erfüllung, nach dem Glück, wie manch einer einfacheren Gemütes es wohl bezeichnet hätte, doch hatte er es nicht gefunden, nur in seltenen Fällen eine leise Ahnung davon; rauschartig und schnell vorübergehend. Nichts konnte ihn erfüllen, und noch weniger verlieh irgendetwas seinem Leben Sinn, den es so sehr benötigte.
Vielleicht vermochte es nur sein eigener Tod.
Sein schwerer schwarzer Mantel, der ihn durch all die Jahre trüber Düsternis begleitet hatte, lastete schwer auf Kaynes Schultern, doch er brachte es nicht übers Herz, ihn zu Boden gleiten, ihn fallen zu lassen. Dieser eine treue Begleiter sollte ihn gemeinsam mit dem breitkrempigem Hut auf seinem langen schwarzen Haar und dem Messer in einer Tasche seines Mantels in den Tod begleiten.
Er hatte überlegt, sich mit dem Messer ein Ende zu bereiten. Es hätte eine gewisse Ironie gehabt, wäre jedoch zu einfach gewesen, zu trivial und seiner nicht würdig. Wenn er schon nicht glücklich sein konnte, so wollte er doch wenigstens einmal fliegen, diese größte aller Freiheiten genießen, nach der ein jeder Mensch sich sehnte und die doch nur den wenigstens zur erfahren je gestattet war, bevor er der Welt den Rücken kehrte.
Das Metall war eiskalt, sobald er es berührte, biss sich der Frost in seine Haut, und zudem rau. Schmutzigbraun färbten sich seine Hände vom Rost, als er sich mühsam hinaufzog und dann schwankend, um sein Gleichgewicht ringend, oben stehen blieb, auf einem schmalen Grat balancierte, auf dessen beiden Seiten das verhasste Leben und der ungewisse Tod lauerten. Fahrig wischte er sie an seinem Mantel ab, in die unergründliche Finsternis zu seinen Füßen starrend.
Schwach zeichneten sich die Reflexionen eines Flusses gegen die Dunkelheit ab; Schemen von Bäumen ließen sich zu beiden Seiten des Wassers ebenfalls ausmachen. Wie weit es in die Tiefe ging, wollte er gar nicht wissen.
Kaynes Knie wurden weich und trotz der Kälte der Nacht brach ihm am ganzen Körper glühend heißer Schweiß aus. Es gibt keine andere Möglichkeit, rief er sich ins Gedächtnis, schloss die Augen und sog ein letztes Mal den Geruch der Nacht tief in seine brennenden Lungen ein.
Er konnte nur hoffen, dass er in die richtige Richtung fiel; als ein sofortiger Aufschlag ausblieb, hatte er Gewissheit. Eisiger Wind riss ihm die Augen mit unerbittlichen Fingern sofort wieder auf, so sehr er sie auch zusammenpresste, und trieb ihm im selben Atemzuge Tränen hinein. Wie ein Paar schwarzer Flügel blähte sich sein Mantel hinter ihm auf; das Messer fiel aus der Tasche und entschwand mitsamt dem Hut seinem Blickfeld.
Kayne dagegen konnte nicht fassen, was geschah, als er mitten in der Luft ruckartig zum Stillstand kam, anstatt weiter seinem tödlichem Ziel entgegenzustürzen. Gehetzt sah er sich um. War selbst das nur eine Illusion und er, der er in der Luft schwebte, nur noch ein bereits vom eigenen Körper losgelöster Geist, der sogleich den Aufprall seiner sterblichen Hülle beobachten würde können? Sollte das sein Schicksal sein, noch grausamer als das Leben, diese seine Welt nicht verlassen zu können und zudem nicht einmal mehr ein Teil ihrer zu sein?