Das hier soll im Grunde eine Ansammlung vieler kleiner Ideen werden. Sozusagen eine "Kurzgeschichten"Sammlung. Oder nennt es wie ihr wollt.
Ich bin mir nicht sicher, ob das hier richtig angesiedelt ist, allerdings wird es viele Geschichten geben, die verschiedene Bereiche der Fantasy aufgreifen werden - denke ich mir zumindest. Ich hoffe es. Mein Hirn enttäuscht mich da manchmal.
Wie dem auch sei, ich schmeiße euch die erste kleine Idee hin, die mir bereits vor Monaten kam, wo ich allerdings nie ein wirkliches Ende gefunden habe.
Ach ja, ich nutze diese Ideengrütze (entschuldigt die Wortwahl, ist so xD) für mögliche spätere Ideen für Charaktere, Handlungen und Welten. Vielleicht begegnet einem ja das ein oder andere später an anderer Stelle wieder.
(Wer nebenbei für das Folgende einen gescheiten/besseren Titel findet - ich wäre dem nicht abgeneigt. Mein Hirn hasst Titel.)
~.~.~
Die Weide
Ohne Schuh und auf Zehenspitzen schlich sie hinter das Haus. Das feuchte Gras kitzelte ihre Füße, während ihr das Nachthemd um die Knie wehte. Immer wieder blickte sie sich um, stahl heimliche Blicke zu den finsteren Fenstern. Alles blieb ruhig, kein Licht wurde entzündet.
Nur die Sterne und der volle Mond erhellten ihren Weg durch das knöchelhohe Gras. Am Morgen erst hatte sie es über ihre Handflächen streifen lassen, doch nun hatte sie anderes im Sinn.
Noch einmal sah sie sich zum Haus um. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals; sie schlang die Arme enger um den Tonkrug, bevor sie ihre Schritte beschleunigte.
Über die Wildwiese gelangte sie zu einem Hain, eine kleine Ansammlung von Weiden, die in einer fast halbmondförmigen Anordnung standen. Vor dem größten Baum, versteckt unter den langen, hellgrünen Weidenzweigen, befand sich ein unförmiger Steinklotz. Kaum sichtbare Einkerbungen waren vor Jahrhunderten eingeritzt worden, deren Bedeutung heute kaum noch jemand kannte.
Sie schob einige Zweige aus dem Weg und ließ den natürlichen Vorhang wieder fallen. Der Mond schien sanft durch das Blätterdach, doch da war mehr, das den Weg vor ihr erhellte.
Ein sanftes Glühen ging von der Rinde der riesigen Weide aus. Hier roch es auch anders, nicht mehr nach Tau und Wildblumen; viel mehr herrschte ein Geruch abgestandener Luft, Torf und Erde.
Einige Schritte vor dem mächtigen Stamm hielt sie inne, verstärkte ihren Griff um den Krug, trat dann entschlossen an den Stein, der ihr bis zu den Knöcheln reichte. Ohne Zögern kniete sie sich davor, stellte den verkorkten Krug neben sich und richtete ihr helles Nachtgewand. Mit ihren dunklen Händen griff sie in ihr Haar, um einige getrocknete Apfel- und Pfirsichzweige aus ihrem dichten Zopf zu klauben. Ordentlich platzierte sie diese auf der Mitte des Steins, direkt in einen Ring aus verschiedenen Strichfolgen. Sie nahm den Krug wieder auf, löste den Korken und schüttete etwas von dem Quellwasser, das sie gestern Morgen gesammelt hatte, auf die Zweige. Sofort wurden die vertrockneten Stellen saftig; einige Knospen wuchsen so rapide, dass sie bereits nach kurzer Zeit erblühten und einen süßlichen Duft verbreiteten.
»Wie komm ich zu der Ehre des hohen Besuchs?«, fragte unvermittelt eine Stimme hinter ihr.
Erschrocken wirbelte sie herum und hielt sich die Hand vor die Brust. Sie warf dem großen schwarz-weißen Hasen einen bösen Blick zu, während dieser ein Ohr aufstellte.
»Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du mich nicht erschrecken sollst«, schimpfte sie und strich sich die aus dem Zopf entflohenen Strähnen hinter die Ohren. Mit gespitzten Lippen wandte sie sich von dem Tier ab. Noch einmal goss sie kühles Wasser über Zweige und Stein.
»'Tschuldige«, nuschelte es nun direkt hinter ihr. Als sie flüchtig zur Seite sah, hockte ein rotbrauner Fuchs auf seinen Hinterbeinen neben ihr, der sich gerade über sein Maul leckte. »Also? Was verschafft mir die Ehre?«, fragte der Fuchs und schnupperte in der Luft.
»Muss es denn einen Grund geben?« Sie verschloss den Krug wieder.
»Lass mich überlegen ...«
Sie seufzte. »Es ist Vollmond. Immerhin ist es eine der wenigen Nächte, in denen du umherstreifen kannst.«
»Ach, wirklich? Es ist Vollmond?« Der Fuchs neben ihr war verschwunden. Eine pechschwarze Amsel sprang nun über das Gras, hin zur untersten Spitze der Weidenzweige.
»Halt mich nicht für dumm«, schnaubte sie und strich sich über die gebogene Nase. »Es reicht, wenn es die Leute im Dorf tun.«
»Ich halte dich für alles andere als dumm«, tschirpte es, dieses Mal neben ihrem Ohr. Auf ihrer Schulter balancierte ein Rotkehlchen. Es sortierte seine Flügel, die sich einen Moment in ihrem Haar verfingen und noch mehr davon aus dem Zopf lösten.
»Hast du dich heute Abend wenigstens amüsiert?«, fragte sie unbeirrt.
»Oh ja. Es ist einfach wunderbar, die frische Luft auf dem Fell zu spüren. Oder den Federn. Oder - was auch immer.« Das Lachen des Vogels klang wie eine Mischung aus einem Zwitschern und dem Meckern einer Elster.
»Das freut mich.« Sie schmunzelte schwach. »Warst du einsam ohne mich?«
»Natürlich. Immer.«
Ihre Mundwinkel zuckten weiter in die Höhe. Sacht berührte sie die filigranen Apfelblüten, strich mit der Spitze ihres Zeigefingers die Form eines einzelnen Blattes nach. Sie spürte die Feuchtigkeit unter ihrer Haut.
»Immerhin bist du die Einz'ge, die mir Leckerbissen bringt.«
»Nicht heute.«
»Wie gemein!« Das Rotkehlchen sprang in ihren Schoß und neigte das Köpfchen, als es aufblickte. »Dabei hab ich solchen Hunger.«
Unbeeindruckt reckte sie das Kinn und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hast wieder im Dorf stibitzt. Der Nachbar schimpfte, dass sein Apfelkuchen weg sei. Im Haus gegenüber beschwerte sich die alte Lori, dass ihre gute Salami verschwunden ist. Außerdem rieche ich den Wein und den Apfelmost an dir.«
»Ah ... Und ich dachte, das Bad im Bach hätte alle Spuren beseitigt«, seufzte es.
»Ich hätte dir ohnehin nichts mitgebracht.«
»Du kennst mich einfach zu gut.«
Das Rotkehlchen sprang ins Gras. Kaum einen Wimpernschlag später hockte ein junger Mann mit silbern glänzendem Haar neben ihr, schlank und ohne Kleidung. Sofort wandte sie das Gesicht ab.
Blinzelnd blickte er an sich herab, lachte schließlich laut auf. »Ah, ich vergesse es doch immer wieder.« Glucksend erhob er sich, trat einmal um den breiten Weidenstamm und blieb dann mit in die Seite gestemmten Armen links von ihm stehen. »Besser?«
Sie musterte ihn von unten nach oben. Barfuß und mit am Saum zerfledderten braunen Hosen stand er in seiner grünen Tunika vor ihr. Das Leuchten der Rinde erhellte sein schneeweißes Gesicht, in dem viele Sommersprossen eine Heimat gefunden hatten.
»Besser«, sagte sie nickend.
Im Schneidersitz setzte er sich neben sie, so nah, dass seine Schultern die ihren berührten. Einige Zeit lang sahen die beiden auf den Stein vor sich. Keiner von ihnen sagte mehr ein Wort, genoss stattdessen die Anwesenheit des jeweils anderen. Er verlor sich in ihrer Wärme, sie selbst in der klaren Kälte neben sich.
»Habe ich dir schon einmal gesagt, wie dankbar ich dir bin?«, fragte er unvermittelt leise. Jeglicher Schalk war aus seinen Worten verschwunden.
Sie hingegen lächelte stumm und lehnte den Kopf gegen seinen. Ihr schwarzes Haar mischte sich mit seinem silbernen Schopf.
»Ohne dich wäre ich längst verschwunden«, flüsterte er weiter.
»Bestimmt nicht.«
»Oh doch. Wer interessiert sich schon für einen albernen alten Geist in einer Weide.«
»Reiche ich nicht?«, fragte sie und schürzte die Lippen.
Sein Lachen war voll und klar; es erinnerte sie an den Frühlingswind, der sich in einem Klangspiel verfing. »Oh doch. Sehr sogar. Aber auch du wirst älter. Du wirst vergessen. Wie so viele andere zuvor.«
»Ich könnte dich nie vergessen«, raunte sie und schloss die Augen. Sie musste nicht sehen, um zu wissen, wie er sie von der Seite musterte. Eingehend und so durchdringend, dass es sich anfühlte, als würde er ihre Seele verschlingen. Beinahe wollte sie, dass er es tat.
Nichts geschah. Stattdessen ergriff sie eine vertraute Leere, als er sich erhob.
Auf dem Stein vor ihnen verwelkten die Blüten, färbten sich gräulich gelb. Durch die Zweige flüsterte der Wind und ein Geruch von Fäulnis mischte sich hinein.
»Es ist Zeit«, raunte der Geist der Weide.
Nickend richtete sie sich auf. Sie rieb sich über die Arme, trat von einem Bein aufs andere. Als sie sich zur Seite wandte, war er verschwunden. Schwach lächelte sie, nahm den Krug auf und duckte sich durch die hängenden Zweige. Zitternd huschte sie über die Wiese zurück zu ihrem Haus.
Der Geist saß auf dem obersten Ast seines Baumes, beobachtete, wie das Mädchen vollkommen mit der Nacht verschmolz, als sich Wolken vor den untergehenden Mond schoben. Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen.
»Lebwohl.«
Das Krächzen einer Krähe, die nun an seiner Stelle saß, hallte einsam durch die Dunkelheit.