Was lest ihr gerade? (Non-Fantasy)

Es gibt 725 Antworten in diesem Thema, welches 132.521 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (25. März 2024 um 23:58) ist von Der Wanderer.

  • Der nasse Fisch von Volker Kutscher

    Diesmal also der erste Band der Romanvorlage zu 'Babylon Berlin' - was ich schon nach Lektuere des vierten Bandes ahnte bewahrheitet sich - die Buecher sind ziemlich solide erzaehlte Krimis mit genretypischen Elementen wie dem Ermittler der auf eigene Faust ohne offizielles okay vorgeht, oder die etwas kriminellen Kollegen, und alles mit viel Lokalkolorit angereichert.

    Praktisch alle Dinge die in der Serie keinen Sinn machen (Hypnosedoktor als allwissender Gegenspieler, Erschiessung von Verdaechtigen bei der Vernehmung, ein Kommissar der aus unerfindlichen Gruenden mit Drogen vollegpumpt wird und dann aber freigelassen wird, aber von einem Killer verfolgt,...) sind im Buch abwesend, statt dessen sind die entscheidenden Handlungselemente tatsaechlich plausibel und begruendet.

    Ich frage mich gelegentlich, was Kutscher eigentlich von dem Drehbuch haelt und ob er sich das alles anschauen kann ohne cholerisch zu werden, ich glaube wenn das mein Buch waere koennte ich das nicht.

    Es geht also - wie in der Serie - um einen Zug der jede Menge Gold nach Berlin bringt, Kommunisten die den haben wollen, Waffenschieber und das organisierte Verbrechen - und Kommissar Rath der frisch aus dem Rheinland in Berlin ankommt und sich hier gerne einen Namen machen will.

    Fun Fact: Im Buch ist Charlotte Ritter zu Beginn keine Prostituierte, sondern sie studiert Jura, ist schon bei der Polizei als Stenotypistin taetig, ihr wird aber schon in der ersten Szene die Tatortsicherung anvertraut und sie hat eine Karriere bei der Polizei vor sich.

    Und Gereon Rath ist auch kein traumatisierter Kriegsveteran, sondern er wurde zwar eingezogen aber Deutschland hatte kapituliert bevor er an die Front kam. Und mit der Frau seines Bruders hat er auch nichts.

  • Diesmal also der erste Band der Romanvorlage zu 'Babylon Berlin' - was ich schon nach Lektuere des vierten Bandes ahnte bewahrheitet sich - die Buecher sind ziemlich solide erzaehlte Krimis mit genretypischen Elementen wie dem Ermittler der auf eigene Faust ohne offizielles okay vorgeht, oder die etwas kriminellen Kollegen, und alles mit viel Lokalkolorit angereichert.

    Und da soll bitte nochmal irgendwer darüber meckern, wenn man sich "Das Buch war soooo viel besser als die Serie/Film" als (meist unerwünschten) Kommentar trotz aller Bemühungen nicht verkneifen kann. Ich bin so jemand, gebe ich offen und ehrlich zu. Hat man das Buch erstmal gelesen, kann der eigenen Erwartungshaltung einfach nichts und niemand das Wasser reichen.

    Frage mich auch, wie der Autor über die ganzen Änderungen denkt. Andererseits muss man mit so etwas rechnen, wenn es um die Filmrechte geht. Der/die zuständige Drehbuchautor:in hat sich sicher etwas bei den Streichungen und Änderungen gedacht. Aber dennoch bin ich immer wieder überrascht, was ARD, Sky, Netflix und Hollywood aus so manch Romanvorlagen zaubern. Die dichten mehr an so manche Geschichten ran, als ich dramatische Schilderungen in meinen besten "Hausaufgaben vom Hund gefressen"-Tagen in der Schule :D

    Super spannend, wie du die Vergleiche aufgeführt hast, Thorsten :thumbup:

    Einmal editiert, zuletzt von Octopoda (16. Januar 2024 um 13:55)

  • Wusst ichs doch, dass die Vorlage besser ist als die Serie. Hatte nach den ersten paar Folgen der ersten Staffel schon die Nase voll.

    Film Noir in Weimarer Zeit und dann sowas von öde. :tired:

  • Wonderbook von Jeff Vandermeer

    - oder -

    Der (kreative) LSD-Trip unter den Schreibratgebern

    Man kennt sie ja, die ollen Schreibratgeber. Manche ermüden mit der ständigen Wiederholung der immer gleichen Regel wie Show, don’t tell und listen seitenweise auf, was man bloß nicht falsch machen darf – oder anders. Manche Ratgeber sind eine echte Achterbahn der Gefühle; Kapitel 3 ist ein echter Augenöffner, Kapitel 7 stürzt einen in tiefe Selbstzweifel und Kapitel 9 ist absoluter Blödsinn. Besonders grausame Ratgeber schaffen es sogar, mit ihrem trockenen Regelwerk jeden noch so kreativen Funken abzutöten.

    Und manchmal, hin und wieder, stolpert man über solche Perlen wie Wonderbook - The Illustrated Guide To Creating Imaginative Fiction von Jeff Vandermeer. Nicht gesucht, aber umso mehr gefunden.

    Ich habe dieses Buch jetzt seit Monaten und lese es immer und immer wieder. Manchmal blättere ich es einfach nur durch, weil es so herrlich schräg aufgemacht ist. "Wonderbook" zerrupft, zerpflückt und analysiert alles, was es bezüglich kreativer Fiktion zu zerrupfen, pflücken und analysieren gibt – aber mit Stil.

    Die Texte sind nie langweilig, sondern stellenweise herrlich amüsant, lehrreich und entführen einen in eine schräge Welt. So schräg, dass es sich mit seinen verrückten Illustrationen wirklich ein wenig wie ein abgefahrener Trip in eine fantastische Parallelwelt anfühlt.

    "Wonderbook" hat mich mit seinen wunderbaren Texten, den skurrilen Illustrationen und den vielschichtigen Autoren-Interviews begeistert. Es gibt jede Menge glorreiche Fakten über das spannende Fantasy-Genre und all seine Abzweigungen, die Erforschung von dem, was eine Geschichte ausmacht und generell allem, was das kreative Schreiben mit all seinen Hürden und Sturzflügen so umfasst.

    Dieses Buch ist ein Augenschmaus, ein Motivator für die eigene Fantasie und ein wenig wie ein zerzauster, etwas schräger Professor aus einem Steampunk-Universum, der zwar nicht ganz richtig tickt, aber verflucht geniale Ideen hat.

    Eine tief aus dem Herzen kommende Empfehlung für alle, die auf der Suche nach einem etwas anderen (Fantasy-)Schreibratgeber sind.

  • Sternenflut von David Brin

    Ein alter SciFi Roman, ein Forschungsraumschiff, die Streaker, macht auf einer Routinereise eine Entdeckung - Raumschiffe einer vorzeitlichen Rasse - die ploetzlich die halbe Galaxis dazu bringt die Streakter zu verfolgen um sich der Daten zu bemaechtigen.

    Waehrend die Aliens eine gigantische Raumschlacht anzetteln um der einzige zu sein der die Kontrolle ueber die Entdeckung hat, hat sich die Streaker auf den Planeten Kithrup gerettet - eine Welt die ueberwiegend von Meer bedeckt ist, auf der aber ein paar Insteln aus metallischer Vegetation ueber das Wasser ragen. Hier hofft man, das Raumschiff reparieren zu koennen und irgendwie noch zu entkommen waehrend das Analyseteam versucht zu verstehen was an dem Fund nun so welterschuetternd ist dass er einen Krieg wert ist.

    Aber auch Kithrup ist nicht was der Planet scheint, es gibt mehr als eine Anomalie, fuer einen Planeten der angeblich 400 Millionen Jahre unbewohnt war findet man bemerkenswert viele Spuren auf Technologie hindeuten koennten.

    Eigentlich ist die Geschichte gar nicht so toll, aber der Twist der mich schon damals beim ersten Lesen fuer die Geschichte eingenomment hat ist - die meisten aus der Streakter-Besatzung sind gentechnisch geliftete Delphine denen Sprachfaehigkeiten gegeben wurden und die mit Hilfsgeschirren auch mechanische Arme verwenden koennen. Und ich denke eigentlich ist die Geschichte ueber die Delphine, wie die Besatzung unter Stress reagiert, wie sie mit Menschen interagieren und wie sich ihre Dynamik neu organisiert als der Captain ausfaellt.

    Und das finde ich sehr schoen, plausibel und spannend erzaehlt, und fuer so viele nicht-menschliche Protagonisten ist das ein richtig gelungenes Stueck Worldbuildiung. Da verblasst die Aufhaengergeschichte zu Recht ein bisschen.

  • Eigentlich ist die Geschichte gar nicht so toll, aber der Twist der mich schon damals beim ersten Lesen fuer die Geschichte eingenomment hat ist - die meisten aus der Streakter-Besatzung sind gentechnisch geliftete Delphine denen Sprachfaehigkeiten gegeben wurden und die mit Hilfsgeschirren auch mechanische Arme verwenden koennen. Und ich denke eigentlich ist die Geschichte ueber die Delphine, wie die Besatzung unter Stress reagiert, wie sie mit Menschen interagieren und wie sich ihre Dynamik neu organisiert als der Captain ausfaellt.

    Was? :rofl: Ich mag den Twist in deinem Beitrag. Ich lese und lese und stelle mir natürlich vor, dass die Besatzung menschlich ist und dass es eher um irgendwie klassische Science-Fiction geht, mit Verfolgungsjadg und Raumschlachten etc. Und dann kommen da Delphine vor?! :rofl: Vielen Dank für den Beitrag!

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Kalmann und der schlafende Berg von Joachim B. Schmidt. Vorgelesen von Timo Weisschnur.

    Vor ein, zwei Jahren habe ich hier mal den Roman "Kalmann" von Schmidt besprochen. Ein unaufgeregter kleiner Islandkrimi mit starkem Fokus auf den Protagonisten Kalmann, dem inoffiziellen Sheriff von Raufarhöfn. Er hat eine unbestimmte Behinderung und weiß auch, dass er nicht die hellste Leuchte ist, aber wie solche Figuren halt so funktionieren, hat er auch oft ein paar gute Weisheiten parat. "Kalmann" war ein liebenswürdiges Buch, in dem man Kalmanns Ich-Perspektive durch seine abschweifenden inneren Monologe folgen konnte. Man fuhr mit Kalmann aufs Meer und fing Grönhaldhaie, man stapfte mit ihm durch den Schnee und schoss Polarfüchse, und man begleitete ihn, während sich über den Verlauf des Romans das Verschwinden des Dorf-Unternehmers Róbert McKenzie aufklärt.

    Kalmanns Perspektive war mMn. meisterlich geschrieben. Zwar kein erderschütterndes Buch, aber das wollte es auch nicht sein.

    Dieser zweite Band entstand nicht beabsichtigt. Schmidt sah im Fernsehen die Aufnahmen vom Sturm der Trump-Anhänger auf das Kapitol, und mitten drin war jemand mit einer Islandflagge. Donnerwetter, hat Schmidt sich wohl gedacht. Kalmann war da! Ich muss rausfinden, was er da getrieben hat ...

    Und so beginnen wir Leser Kalmanns Abenteuer beim Verhör durch das FBI. Kalmann, warum warst du dort? Und Kalmann erzählt. Bis zur Hälfte des Buchs erzählt Kalmann, wie sein Großvater starb, war er vor seinem Tod noch von sich gab, wie sein Vater ("Mamas Samenspender") in Amerika ihn gerne kennenlernen wollte, und so weiter. Schmidt bedient sich all der Stärken des ersten Bands, ohne eine Kopie zu schreiben.

    Hier darf man keine sorgfältig konstruierte Detektivgeschichte erwarten. Kalmann #2 ist kein Whodunnit. Ähnlich wie in Band 1 scheint das Verbrechen, das Kalmanns Kumpel Nói sieht, völlig an den Haaren herbeigezogen. Niemand glaubt ernsthaft an einen Mord. Nur stellt sich dann langsam heraus, dass da vielleicht ein bisschen was dran sein könnte ...

    Band 2 fängt den Geist von Band 1 gekonnt ein, ohne ihn zu wiederholen. Das Ergebnis ist dennoch gleiche, und ich bin damit sehr zufrieden: Ein unaufgeregtes, liebenswürdiges kleines Buch. Nichts Weltbewegendes. Meine Empfehlung!


    Genau die Erholung, die ich brauchte, um die letzten <200 Seiten von Elsa Morantes Lüge und Zauberei noch durchzuhalten. Brrrrr...

    Häupter auf meine Asche!

  • Ich habe endlich angefangen "Orlando" (1928) by "Virginia Woolf"
    (Habe vor einer guten weile auch "The waves" und "Mrs. Dalloway" gelesen, dazu aber vill. ein andermal).

    Was kan ich sagen, ich liebs! Obwhol ich erst 44 seiten drin bin, hats mich Woolf und ihren stream of conciousness schreibstil schon seit einiger Zeit Eisenfest in ihrem griff. Wohlgemerkt, ihr stil ist nichts für alle oder easygoing (IMO). Es geht mal schnell oder sachte vorrann, es kan mal sehr abstrakt, mal sublim, metaphorisch, direkt, morbid & wierd werden. Charachtere sind da und fort, manchmal ein statist, manchmal ein sehr dreidimensionales und farbiges portrait. Für mich persöhnlich ist Jeder zweite abschnitt ein Fest; für mein kopfkino und imagination, und für mich verblüfft sie seite um seite. Wo um himmels willen sie ihre wortwörtlich 'vertreumten' beschreibungen hernnimmt.

    Nun noch schnell ein wort Zum eigentlichen Buch (wie viel ich sagen kann ist natürlich begrenzt, aber ich hab ein bisschen was aus dem vorwort ersphähen können!) Wir haben also eine hauptperson namens Orlando, geborener adelssohn, aber Orlando wird durchgehend viele personen, spezifisch geschlächter und ihre rollen repräsentieren. Und von dort aus zieht uns Woolf durch sein anfängliches leben (als eine typ fictionelle biografin) und darrüber hinnaus. Wir werden also von jemanden erzählt, über Orlando, und wie Er, andre teilen Sie, an anderen stellen unbestimmt, die rollen der geschlächter...who knows was mit umgeht und erforscht, soweit binn ich noch nicht! Es ist mir nur klar, das Woolf auf gesselschaftliche geschlächts normen und sozialen rollen ein nuanciertes und tolles theme macht, und das durch eine fiktionale person erforscht, hinterfragen, kritisieren, belächeln usw. wird (was ich aus dem vorwort herrauslesen konnte. Mein fazit ist; ich bin guter dinge das es so traurig wie lustig wird :love:

  • Mindstar Rising von Peter F. Hamilton

    Gehoert fuer mich definitiv zu den SciFi Titeln die beeindrucken - es ist ein actiongeladener Thriller um Industriespionage, Psi-Kraefte und digitalisiertes Bewusstsein in einem England nach der massiven globalen Erwaermung, und Hamilton kann Sci und Fi - nicht nur hat er ein sehr gutes Gefuehl fuer moegliche Technologie und wie sie in einer Welt wirkt, sondern er kann auch toll erzaehlen und einen spannenden Plot aufbauen.

    Was mir bei den ersten Mal lesen nicht aufgefallen ist, aber inzwischen doch negativ zuschlaegt - Hamilton ist strammer Kapitalist. in seinen Geschichten sind fast immer super-Reiche (also - Super-Super-Reiche, auf dem Niveau dass sie etwa fuer eine Party die Vostok-1 Rakete nachbauen lassen, sich mal eben damit in den Orbit befoerdern lassen und vom privaten Raumfahrzeug wieder abholen lassen)) die Protagonisten - hier Julia Evans, Erbe eines Multi-Billionen Konzerns der - nun ja, weit in die Politik reinwirkt, und England nach ihren Vorstellungen gestaltet (was kein Problem ist, sie ist ja eine nette Protagonistin...). Die Sozialisten sind dann die Boesen die vom altruistischen Billionaer bekaempft werden der dann das beste fuer die Menschen will - Elon Musk laesst gruessen...

    Und, nun ja, die Protagonisten haben Sex. Aber nicht einfach so, sondern super-duper-Sex. Sie sind durch Psi-Drogen miteinander verbunden damit jeder auch spuert was der andere empfindet, haben Implantate die den vorzeitigen Orgasmus verbinden und werden beim Akt noch von einem Tantra-Masseur unterstuetzt (sie haben ja, siehe oben, die Kohle um sich das zu leisten). Also, die haben immer und ueberall den absolut besten Sex.

    Man merkt - Hamiltons Gesellschaftsentwuerfe sind nicht ganz ohne.

    Lesen laesst sich's immer noch gut.

  • Beendet: Lüge und Zauberei von Elsa Morante.

    "Endlich ist das vorbei!" Das könnte ich jetzt rufen, denn ich habe das gedacht, als ich es beendet hatte. Aber ich werde mal versuchen, den Geist einer ordentlichen Rezension vielleicht einzufangen, und nicht so viel zu werten. :hmm: Nur so viel: Auf Goodreads hat's zwei Sterne von mir bekommen.

    Erstmal das Technische. "Lüge und Zauberei" ist eine Familiengeschichte, die drei Generationen umspannt. Da ist bei einem Umfang von 900 engbedruckten Seiten in meiner Ausgabe also ordentlich Platz für die Figuren. Erzählt wird die Geschichte vom letzten Mitglied der Familie, Elisa, die mit dem Schreiben bald nach der letzten Beerdigung beginnt.

    Bevor die Geschichte aber beginnt, gibt es eine Einleitung von drei Kapiteln. Darin wird man mental auf das vorbereitet, was noch kommen soll; es wird benannt, dass die Familienmitglieder Elisa heimsuchen und sie umlauern, und dass sie von ihnen getrieben, die Geschichte niederschreibt. Es wird auch erklärt, dass wir eine Geschichte voller Lügen und Verblendung bekommen werden. Das bestätigt sich auch alles im Verlauf der Handlung.

    Diese Struktur aber zeigt bereits die Attitüde wie hier erzählt wird. Jemand wird vorgestellt. Seine Persönlichkeit wird uns erklärt, dann wird sie an einem Beispiel gezeigt und dann erst wird sie in die Handlung eingeflochten. So etwas passiert immer wieder. Das Ergebnis ist ein Gefühl von Monotonie und Wiederholung, und leider ist das hier keiner dieser seltenen Fälle, in denen das zum Vorteil des Buchs funktioniert. Bei einem modernen Roman würde ein gutes Lektorat diese Abschnitte straffen und nur auf das letzte Drittel reduzieren, wo diese vorgestellten Elemente in die Handlung einfließen. Andere Autoren, die auch Familiengeschichten geschrieben haben, hätten manche Kapitel in ein paar Absätzen angehandelt; manche Absätze in einer einzigen Zeile. Emily Brontes "Sturmhöhe" könnte einem in den Sinn kommen, Gabriel Garcia Marquez' "Hundert Jahre Einsamkeit" oder das noch einmal deutlich längere, aber nicht minder großartige "Das achte Leben (Für Brilka)" von Nino Haratischwili. Liebebeziehungen, Verrat, Verblendung. Das gibt es alles tiefer erkundet und besser auf den Punkt gebracht aus der Feder anderer Autoren.

    Nachdem Erzählerin Elisa die Großeltern abgehandelt hat, werden dann die zentralen Figuren ihre Beziehungen eingeführt. Rosalia, die Hure, liebt Francesco. Francesco, der Bauernjunge, der so tut, als sei er adelig, liebt Anna. Anna liebt aber Eduardo. Und Eduardo liebt eigentlich nur sich selbst. Er schwebt über den drei anderen, wie ein böser Geist und vergiftet nur zum Spaß oder aus Langeweile die Beziehungen anderer. Da Eduardo als Adeliger die Zeit und das Geld dazu hat, könnte man die Geschichte durchaus als eine Kritik an einer Standesgesellschaft lesen.

    Die Handlung verläuft sehr schlüssig, lässt sich teilweise Raum für weite Rückblenden, am Ende jedes der sechs Teile des Buchs ist aber zu erkennen, wozu diese dienen. Und doch kann man sich öfter Fragen: Musste das so lange dauern? Diesen Verdacht der Überlänge wird das Buch bis zum Schluss nicht mehr los. In diesen Rückblende-Passagen verliert sich der Fokus etwas, und durch den Erzählstil, in dem die Stimme Elisas eine prominente Rolle einnimmt, gibt die reiche Sprache einem nur bedingt sensorische Details in die Hand, dass man hier von einer besonders immersiven Erfahrung sprechen könnte. Das mag kein moderner Erzählstil sein, aber es wäre auch nichts Negatives, wäre die Geschichte auf den Punkt erzählt.

    Auf diese Weise werden Bedürfnisse von modernen Lesern durchaus vernachlässigt: Der Plot weiß nicht zu überraschen, die Intrigen schockieren wenig, die Dialoge bleiben etwas hölzern und über allem schwebt dieses Gefühl von Überlänge. Einzig die Sprache und der Erzählstil geben immer mal einige Lichtblicke. Wenn Elisa die Handlung unterbricht und ihre Kommentare gibt, glänzt das Buch. Dann gibt es dieses Gefühl, jemandem nahe zu sein, und seine echten Gedanken zu erfahren. Aber leider auch hier: Wären diese Abschnitte etwas kürzer und fokussierter gewesen, wären sie noch besser.

    Dieses Mal gibt es keine Empfehlung von mir. Wahrscheinlich gibt es einen Grund, warum dieses Buch mehr oder weniger vergessen war. Ob die neue, englischsprachige Ausgabe, die diesen Buddy Read, an dem ich teilgenommen habe, das ändern kann, wird sich zeigen.

    Häupter auf meine Asche!

  • A Quantum Murder von Peter F. Hamilton

    Die Fortsetzung von 'Mindstar Rising' ist - was ganz anderes. Hamilton praesentiert ein klassisches Krimi-Setting: Ein super-erfolgreicher Wissenschaftler hat am Ende seiner Karriere ein privates Institut gegruendet in dem er mit sechs Studenten zusammen lebt und forscht. Waehrend eines Sturms ist das Institut von der Aussenwelt abgeschnitten (und auch heftigst durch Alarm gesichert) - niemand kann vernuenftigerweise von aussen gekommen sein, und trotzdem ist der Wissenschaftler am nachsten Morgen tot.

    Nur die Studenten koennen eigentlich vor Ort gewesen sein - ein paar von ihnen haben auch ein Motiv, besagter Wissenschaftler hatte z.B. Sex unter Drogen (ja, hier kommen wir wieder zu Hamiltons Grossthemen...) mit den Studentinnen, es gibt Eifersucht, eine schwangere Studentin - aber ein viel plausibleres Motiv ist das letzte Forschungsthema - ein ueberlichtschneller Antrieb der auf Wurmloechern basiert. Das wiederum deutet auf jemden von aussen hin, auch dass der Rechner geloescht wurde - aber bei der Befragung der Studenten durch einen Psi-Spezialisten kann festgestellt werden dass keiner von ihnen die Tat begangen hat.

    Zu allem Ueberfluss passt der Modus Operandi der Tat zu einem Serienkiller der nur 15 Meilen entfernt in Sicherheitsverwahrung sitzt - aber das Gefaengnispersonal bezeugt dass er seine Zelle nicht verlassen haben kann.

    Garniert mit viel wissenschaftlicher Spekulation bekommen wir hier einen recht klassischen Krimi serviert - wer war's, und wie ist es passiert? Zeugenbefragungen, Laboranalysen, post-Mortem - findet sich alles hier, aber die Aufloesung ist einem SciFi-Roman sehr angemessen.

  • Heyho.

    Spoiler anzeigen

    Eine kleine, sehr anrührende Geschichte über einen Neunjährigen, der versehentlich seine betrunkene Mutter erschießt und daher in einem Kinderheim landet.

    Aus der "Ich-" Perspektive erzählt, trifft Icare, genannt "Pflaume" dort auf Ahmed den Bettnässer, dessen Vater im Knast sitzt, auf Jujube, der eigentlich Julien heißt und den seine Eltern vergessen haben. Auf Simon, der fast alles über die anderen weiß, aber nur wenig über sich selbst. Auf die Erzieherinnen Rosy und Pauline. Auf Camille, seine kleinegroße Liebe und auf Raymond, den Gendarmen, der ihn nach dem Unglück verhören mußte.

    Und er findet im Laufe des Jahres, das er in "Les Fountaines" verbringt heraus, daß ein Unglück unverhofft in Glück münden kann.

    :nummer1:

  • The Nano Flower von Peter F. Hamilton

    Im dritten Band der mit 'Mindstar Rising' begonnenen Reihe dreht Hamilton voll auf - das Buch ist eines der Werke die fuer mich als Beispiel stehen koennen wie SciFi im besten Fall sein kann.

    Es geht also um das Auftauchen einer Blume die ganz harmlos als Geschenk ueberreicht wird - aber eine Analyse kann sie keiner Spezies zuordnen und im Labor findet man, dass ihr Genom nicht irdisch ist. Gleichzeitig tauchen in Kreisen der Unternehmenskonglomerate Angebote auf die eine neue Technologie beschreiben mit der man Atome direkt durch die starke Wechselwirkung neu strukturieren koennte.

    Sowas wie Zufall gibt es nicht - das ist jedenfalls die Maxime des Protagonisten Greg Mandel, Psi-begabter Veteran - ein Alien muss zur Erde gekommen sein und wir verfolgen das Szenario eines Erstkontakts. Und dann beginnt ein Rennen zwischen den verschiedenen Wirtschaftsmaechten, dieses Alien (und damit die neue Technologie) zu finden - bei dem die Bandagen runtergenommen werden. Hochgeruestete Soeldnertruppen kaempfen um die Ueberbringerin der Blume die in einer abenteuerlichen Reise durch die halbe Welt - und dann auch in den Weltraum flieht waehrend Hacker und Computerspezialisten den Cyberspace durchsuchen.

    Neue Technologie, Action, ein spannender Plot, Raumfahrt, viel plausibles Worldbuidling der Erde gut 30 Jahre nach einer globalen Erwaermung... man kommt als SciFi Fan auf seine Kosten.

  • Heyho.

    Wladimir Kaminer - Russendisko

    Keine Ahnung, was man mal so toll an diesem Buch gefunden hat. Ist auch der einzige Grund, warum ich das auf der Arbeit in meiner Pause zuende lese: Es könnte ja noch eine geniale Pointe kommen!

    Allerdings erwarte ich die nicht wirklich.

    Zwei- drei gute Formulierungen bisher (bis zur Hälfte des Buches) und einmal wirklich herzliches Gelächter, mehr war bisher nicht.

    Da habe ich ich wirklich schon besser amüsiert.

  • Experience of the Inner Worlds von Gareth Knight

    In dem Buch geht es um eine Einfuehrung in die esoterische Seite des Christentums - was von Knight mit recht grossen Selbstbewusstsein gemacht wird ('es gibt ja viel Unsinn in der Literatur, aber ich sage jetzt mal wie's richtig laeuft'). Themen sind zum Beispiel die Gralslegende, Alchemie, die Tafelrunde (er ist ein britischer Autor...) oder wie sich der Heilige Geist von den Meistern die von Spiritisten ins Feld gefuehrt werden unterscheidet, was die Essenz der christlichen Mystiker ausmacht und aehnliches.

    Die Lektuere ist interessant, nur ist Knight auch nicht weiser als die Leute die er kritisiert, in Themen wo man sich auskennt merkt man schnell seine Schwaechen, so ist die theologische Position der Kirche zur Willensfreiheit von Engeln (ja, sowas gibts...) durchaus wandelbarer und vielschichtiger als er meint, und seine - nebenbei gegebenen - Ausfuehrungen zur Schreibung von Hebraeeisch widersprechen nun leider beiden Grammatiken die ich zu diesem Thema im Regal habe.

    Ich gestehe dass ich trotz einem Dutzend Buechern zu was Alchemie eigentlich dargestellt hat bisher noch nie eine auch nur halbwegs zufriedenstellende Antwort bekommen habe, insofern sind Knights Ideen dazu so interessant wie andere auch - ebenso verhaelt es sich mit dem Gral.

    Wenn man die Sache dogmatisch etwas entschaerft bleibt eine ziemlich interessant Sammlung von Ideen ueber was christliche Mystik eigentlich ausmachen koennte / ausgemacht haben koennte.

    Eine bessere Antwort bekommt man wohl nicht - ich glaube nicht dass es da um ein Thema geht wo man sagen kann wie's wirklich laeuft...

  • Mihin menet, Suomi? (Wohin des Weges, Finnland) von Mika Aaltola

    Eine Art politisches Tagebuch von einem der Kandidaten fuer die grade beendete Praesidentschaftswahl in Finnland ueber den Zeitraum der Nachwehen von Corona zu der russischen Invasion in der Ukraine.

    Falls Aaltola - wie im Vorwort behauptet - tatsaechlich seine Aufzeichnungen so geschrieben hat, erweist er sich als ueberraschend prophetischer Sicherheitspolitiker - seine Analyse von Russland und den Absichten Putins ist im Nachhinein praktisch fehlerlos. Ansonsten unterfuettert er viele Ansichten mit interessanten Referenzen - wir lesen was Clausewitz zur Teilung Polens zu sagen hat und warum das relevant ist, wieso 'Resilienz' als politische Strategie zwar gut gegen Krisen ist, aber keineswegs ein Allheilmittel, wie unterschiedlich die Vergangenheit in verschiedenen Laendern fuer Politik verwendet wird - nach Aaltola ist der Rebell Jaakko Ilkka einer der am haeufigsten so verwendeten Gestalten).

    Gleichzeitig kann man an seinen Bemerkungen zu Corona sehen wie sehr die Politik eigentlich von der Krankheit ueberfordert war - was er an Ideen dazu entwickelt waere nicht hilfreich gewesen, haette man es in die Tat umgesetzt.

    Insofern mal ein Einblick, wie Aussenpolitik aus der Perspektive eines eher kleinen Landes an der Peripherie aussieht (und - was die Sicherheitspolitik angeht, eine gute Erklaerung warum dieses kleine Land eine gute Million ausgebildeter Soldaten hat...)

  • eine gute Erklaerung warum dieses kleine Land eine gute Million ausgebildeter Soldaten hat...)

    Es hat...hat es ???

  • Es hat...hat es ???

    Yep - allgemeine Wehrpflicht und regelmaessige Uebungen fuer die Reservisten - und nach Aussage unseres Nachbarn (pensionierter Fallschirmjaeger) auch Waffen und Ausruestung fuer alle eingelagert. Es gibt ein (derzeit ausgebuchtes) System von Kursen zur Landesverteidigung fuer die, die keinen Wehrdienst hatten, die Frauen zum Beispiel - da kann man Basistraining machen und sich dann etwa als Luftwaffen- oder Marinehelfer weiterbilden - da ist also noch ein Pool der bei den Reservisten gar nicht eingerechnet ist.

    Auch sonst wird die Sache sehr ernst betrieben - letzte Woche war zum Beispiel die Autobahn gesperrt weil die Luftwaffe Uebung hatte wie sie ohne Flugplatz operieren kann - da wird dann auf der Autobahn gelandet.

    Alleine Jyväskylä hat vermutlich mehr Bunkerplaetze als Berlin - mein Fechtttraining ist in einer grossen unterirdischen Anlage in der im Notfall ein paar tausend Menschen unterkommen.

    Also mit Russland vor der Nase hätte ich das wohl auch ^^'

    Nach zwei Kriegen gegen die Sowjetunion bedeutet 'nie wieder' hier auch was...