Was lest ihr gerade? (Non-Fantasy)

Es gibt 728 Antworten in diesem Thema, welches 134.342 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (16. April 2024 um 14:56) ist von kalkwiese.

  • Ich habe jetzt das Hörbuch zu Unkenrufe von Günter Grass angefangen, weil ich noch ein Hörbuchguthaben im Probemonat hatte. Warum nicht damit die weniger guten Grass-Bücher abgrassen (see what I did there?!), oder zumindest die, die als weniger gut gelten.

    Unkenrufe ist eine Liebesgeschichte über einen deutschen Witwer und eine polnische Witwe, die sich in Danzig/Gdanzk begegnen und sich verlieben. Die beiden gründen eine deutsch-polnische Friedhofsgesellschaft und die Geschichte sei laut Klappentext (der auch gerne mal in Irre führt, weil Marketing) ein Gleichnis zur deutsch-polnischen Aussöhnung sein.

    In den 90ern hatten Grass' Bücher irgendwie diese biographische Phase betreten. "Ein weites Feld" ist ja zur hälfte Fontane-Biographie und arbeitet ganz viel mit Briefen und Dokumenten, und auch die Novelle "Im Krebsgang" von 2002 (die gute Kritiken bekam) wird von einem Journalisten erzählt.

    "Unkenrufe" ist der Vorgänger und hier rekonstruiert ein alter Mitschüler des Witwers die Geschichte aus des Witwers Tagebuch. Das ganze wirkt bisher deutlich zwangloser als in "Ein weites Feld", aber irgendwie fehlt auch hier ein bisschen der Pfeffer für mich. Das Skurrile und Phantasievolle des frühen Grass ist es ja, was mich an ihm immer angefixt hat. :hmm: Vielleicht höre ich auch wegen des Hörbuchs nicht so genau hin, aber ... wie soll ich sagen: Ein guter Grass ist anspruchsvoll, aber lohnend. Ein weniger guter Grass ist anspruchsvoll ... und unbefriedigend. Dazu habe ich gerade nicht die Energie. ^^

    Häupter auf meine Asche!

  • Ohja, ganz vergessen. Bin mit Unkenrufe durch.

    Joa, es war wirklich nicht sonderlich spannend. Grundsätzlich ist die Idee der deutsch-polnischen Friedhofsgesellschaft, die mit einer guten Idee beginnt und dann durch Kommerzialisierung so verfremdet wird, dass es nichts mehr mit der Ausgangsidee zu tun hat, eine gute. Denke ich.

    Aber es ist eben auch irgendwie recht ereignisarm. Die Figuren tun eben nicht wirklich was, sondern alles stößt ihnen irgendwie zu ... ist einfach eine recht schwache Geschichte geworden. Ohne Pfeffer, wie ich schon meinte. Etwas fad, aber nicht so ein Monster wie "Ein weites Feld", also deutlich harmloser. Formulieren kann Grass immer noch, wenn auch nicht mehr so wie ein Berserker wie in der Danziger Trilogie. Vielleicht das die Reife des Alters?

    Insgesamt wohl nicht so der Rede wert.

    Häupter auf meine Asche!

  • So, neues Hörbuch.

    Ehrenwort von Ingrid Noll.

    Holladiewaldfee, die Frau kann erzählen! Das ist was, was ein Günter Grass über die Jahre irgendwie verlernt zu haben scheint.

    Was haben wir hier? Es ist ein Kriminalroman, aber auch eine Familiengeschichte. Der Opa wird alt und stürzt. Er kommt ins Krankenhaus und die Eltern glauben, dass er bald sterben wird. Das freut sie, denn sie wollen sein Erbe. Der Sohn Max, der nebenher mit einem Erpresser zu tun hat, kümmert sich vorbildlich um den Opa und päppelt ihn, entgegen aller Erwartungen, wieder auf. Da möchte der Vater etwas nachhelfen ...

    Ja, sehr unterhaltsame Komödie bisher. :D Von Ingrid Noll kann man das ein oder andere lernen.

    Häupter auf meine Asche!

  • Das Tagebuch der Anne Frank. Das ist an unserer Schule damals irgendwie durch den Lehrplan durchgerutscht. Durch das Erstarken rechter politischer Kräfte ist mir diese Bildungslücke irgendwie wieder ins Bewusstsein getreten und so fülle ich die jetzt. Die Erzählweise funktioniert natürlich schon etwas anders als bei Romanen, die ich sonst zu lesen gewohnt bin.

  • So, neues Hörbuch.

    Ehrenwort von Ingrid Noll.

    Holladiewaldfee, die Frau kann erzählen! Das ist was, was ein Günter Grass über die Jahre irgendwie verlernt zu haben scheint.

    Was haben wir hier? Es ist ein Kriminalroman, aber auch eine Familiengeschichte. Der Opa wird alt und stürzt. Er kommt ins Krankenhaus und die Eltern glauben, dass er bald sterben wird. Das freut sie, denn sie wollen sein Erbe. Der Sohn Max, der nebenher mit einem Erpresser zu tun hat, kümmert sich vorbildlich um den Opa und päppelt ihn, entgegen aller Erwartungen, wieder auf. Da möchte der Vater etwas nachhelfen ...

    Ja, sehr unterhaltsame Komödie bisher. :D Von Ingrid Noll kann man das ein oder andere lernen.

    Wenn man viel Stumpfes zu tun hat, dann hat man auch Zeit für Hörbücher ... Ja, bin durch.

    Tolles Buch! Wirklich, es hat alles, was man braucht. Humor, Morde, Tragik, Gesellschaftsthemen, gute Figuren, gute Prosa, keine Nebensächlichkeiten. Ist natürlich grundsätzlich leichte Kost, aber die Pflegeproblematik geht einem doch sehr nahe.

    Es ist schwieriger, über gute Bücher zu reden ... aber ich kann es wirklich nur empfehlen, mehr noch als "Der Mittagstisch", den ich vor einer Weile mal gelesen habe.

    Häupter auf meine Asche!

  • Im Urlaub mal Zeit fuer Das Kapital im 21. Jahrhundert von Thomas Piketty

    Das war vor ein paar Jahren mal ziemlich in den Zeitungen diskutiert - insgesamt ist es ein Sachbuch, aber Piketty kann gut erklaeren, daher ist es, denke ich, gut allgemeinverstaendlich ohne dass man Wirtschaft studiert hat.

    Worum geht's?

    Eine der Erzaehlungen unserer Gesellschaft ist, dass wir uns in einer Meritokratie befinden, wo die, die studieren, einen guten Job haben, Risiken eingehen, Ideen verwirklichen das meiste Geld verdienen und Vermoegen machen. Piketty konstantiert dass das so halb richtig ist, dass die letzten 50 Jahre da aber eine ziemliche Ausnahmesituation waren und das aller Wahrscheinlichkeit in Zukunft nicht mehr so sein wird - weil auch ein perfekter Markt den Einfluss des Kapitals nicht ausbremsen kann.

    Der relevante Parameter ist das Verhaeltnis von Kapitalrendite zu Wachstum - die Kapitalrendite war historisch immer so um die 5% - das Wachstum aber nur in Ausnahmefaellen.

    Was passiert wenn das Wachstum hoch ist - sagen wir 10% wie in China in vergangenen Jahrzehnten, ist, dass Loehne rasant steigen - im Lauf einer Generation um gut einen Faktor 15. Damit ist das, was die Eltern moeglicherweise verdient haben koennen und was zu vererben ist geringer als das, was die letzte Generation an Vermoegen erarbeitet hat. Bei hohem Bevoelkerungswachstum wird ein Erbe aber dann noch auf viele Kinder verteilt, so dass sich Erben nicht lohnt.

    Umgekehrt gab es historisch lange Zeit eine Gesellschaft in der man durch Arbeit nicht zu Reichtum kommen konnte - Piketty zitiert amuesanterweise Balzac mit Le Père Goriot um das zu verdeutlichen, wo einem jungen Adeligen klargemacht wird dass er sich ins Zeug haengen und Recht studieren kann, und wenn er zu den besten gehoert kann er Richter werden und 5000 im Jahr machen - oder wenn er jahrzehntelang Intrigen mitmacht kann er vielleicht einer der handvoll Advokanten werden die 50.000 machen - oder er heiratet eine Erbin, und bekommt so eine Million Vermoegen die auch 50.000 im Jahr abwerfen - ohne Anstrengung. Arbeit lohnt sich nicht, man kann so kein Vermoegen machen, das geht nur durch Heirat und Erben.

    Piketty zeigt anhand historischer Linien dass das die fast zwingende Folge aus kleinem Bevoelkerungs- und Wirtschaftswachstum ist - Kapital wirft mehr Rendite ab als Arbeit, Vermoegen vermehren sich selbst je groesser sie sind und lassen Arbeitseinkommen weit hinter sich, das Vermoegen konzentriert sich immer mehr in den Haenden weniger. Ohne die Zerstoerungen zweier Weltkriege die in grossem Umfang Vermoegen vernichtet haben wuerden wir immer noch in der Welt Balzac's leben.

    Und diese Gesellschaft steht uns wieder bevor - wer heute 25.000 Euro hat kann die nur mit kleiner Rendite zur Bank bringen, wer 250.000 hat kann sich eine Wohnung oder ein Haeuschen kaufen und damit immerhin 5% Kapitalrendite in Form von Miete (oder eingesparter Miete) erzielen, wer 2.5 Millionen hat kann sich einen Anlageberater leisten und hoehere Rendite erzielen - und wer 30 Milliarden hat (wie etwa die Harvard-Uni) - der kann sich fuer 100 Millionen im Jahr ein Team von Anlagespezialisten leisten und 10% Jahresrendite erziehlen.

    Wer hat dem wird gegeben - wenn man Piketty liest versteht man besser was die Mechanismen dahinter sind.

    Der Einblick hat mir gut gefallen.

  • Mal eine veredelte (verfilmte) Schmonzette

    Der Duke und ich

    Julia Quinn

    Erstes Buch der Reihe "Bridgerton"

    Prinzipiell handelt diese Reihe von der Familie Bridgerton, eine adlige Truppe im London des Regency und den Versuche der acht Kinder, einen geeigneten Ehegesponns zu finden.

    (WIkipedia sagt: Der Begriff des Regency umschreibt eine kurze Epoche (ca. 1810–20) in der Geschichte des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Irland, die durch Umbrüche in der Technik (beginnende Industrie) und Kultur gekennzeichnet ist. In Teilgebieten der Geschichtswissenschaft wird der Zeitraum unterschiedlich abgegrenzt. Die Epoche der Regency ist zu unterscheiden von der Régence in Frankreich.)

    Dieses Geschichte ist eigentlich eine recht übliche Liebesgeschichte. Obwohl sich beide gegenseitig mögen, gibt es Komplikationen, die ein Happy End um reichlich 300 Seiten nach hinten verschieben. Prinzipiell hat man zu Beginn den Eindruck, dass es wichtig sei, dass die Story in Adelskreisen spielt. Aber es ist nicht wirklich wichtig. Weder wird wirklich thematisiert, dass ihre Familie rangmäßig unter der Seinen steht (was im wahren Leben vielleicht doch hie und da eine Rolle gespielt haben mag) und auch die Hierarchie zwischen Mann und Frau klingt sehr sehr heutig. Es gibt keine. (Bis auf das Daphnes (die Protagonistin aka "ich") Bruder fast Schnappatmung bekommt, als er die Brüste seiner Schwester sieht =O )

    Geschrieben ist die Geschichte in einem heiteren Ton und fliegt leicht über die Seiten. Trotz einiger Prügeleien und einem Duell kommt (für mich jetzt) wenig Dramatik auf. Aber das ist ja auch nicht wirklich nötig.

    Was hat mich an dieses Buch gebracht? Das Internetz!

    Ich habe bei YT einige Trailer und Fanvideos der Verfilmung gesehen. Ich gebs zu, ich fand den Darsteller des Simon recht... ansprechend. ^^

    Dummerweise hat man sich beim Cast der Verfilmung nur recht ungenau an Julia Quinns Beschreibungen gehalten. Man wollte wohl beim Cast bunt und divers daherkommen, so ist Simon im Buch ein blonder Blauäugling, im Film jedoch ein Mann mit dunkler Haut und dunklen Augen. Die ganze Londoner Gesellschaft dieser Zeit ist in der Filmreihe von dunkelhäutigen Leuten durchsetzt, selbst Königin Charlotte kann ihre weit südliche Herkunft nicht verleugnen.

    Da England zu diesen Zeiten schon viele Kolonien in Übersee hatte, sind dunkle Leute nicht per se unwahrscheinlich, aber dass der Duke of Hastings (Simons Vater) ein sehr sehr afrikanisch anmutender Mann gewesen sein soll... Ich weiß nicht. Der Titel des Duke ist in der Rangfolge der britischen Peers damals der Höchste nach dem König gewesen.

    Irgendwie bin ich immer über Simons "stahlblaue Augen" in Quinns Beschreibung gestolpert und es hat mich doch aus dem Lesefluß gerissen.

    Meine Einschätzung:

    Schreibstil dem Genre entsprechend angenehm leicht. Inhaltlich keinne überbordend überraschenden Wendungen (auch Genre-typisch). Lesbar, wenn man Liebesromane mag.

    Man sollte sich halt den Film oder Teile davon entweder nicht ansehen oder gekonnt temporär von der internen Festplatte schubsen.

    Vier Sterne von Fünfen :heart: :heart: :heart: :heart:


    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Hallo,

    ich lese grade mein 4 Buch vom Krimi Autor Markus Hünnebeck. Ich bin jetzt die Namen des Todes von ihm angefangen und habe schon Sommers Schuld und Sommers Tod gelesen. das 3 Fällt mir grade nicht ein.

    Ich liebe seine Bücher und verschlinge sie auf Kindel in 2 bis 3 tagen.


    Das Tagebuch der Anne Frank. Das ist an unserer Schule damals irgendwie durch den Lehrplan durchgerutscht. Durch das Erstarken rechter politischer Kräfte ist mir diese Bildungslücke irgendwie wieder ins Bewusstsein getreten und so fülle ich die jetzt. Die Erzählweise funktioniert natürlich schon etwas anders als bei Romanen, die ich sonst zu lesen gewohnt bin.

    Das bin ich irgendwann mal angefangen. Allerding bin ich dann drüber weg gekommen es weiter zu Lesen. ich finde ihr Tagebuch zeigt am Besten wie es damals Wirklich war. Für mich als Geschichtsliebhaberin ist es ein Muss ihr Tagebuch zu lesen. wie gefällt es dir? das was ich bis Jetzt Gelesen habe hat mir gut gefallen. ich bin bis zu versteck gekommen und an die Stelle wo Dr Dussel heißt der glaube ich ins versteck kommt. :)

    Einmal editiert, zuletzt von Chaos Rising (26. Juli 2021 um 13:48) aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Wielin mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Das bin ich irgendwann mal angefangen. Allerding bin ich dann drüber weg gekommen es weiter zu Lesen. ich finde ihr Tagebuch zeigt am Besten wie es damals Wirklich war. Für mich als Geschichtsliebhaberin ist es ein Muss ihr Tagebuch zu lesen. wie gefällt es dir? das was ich bis Jetzt Gelesen habe hat mir gut gefallen. ich bin bis zu versteck gekommen und an die Stelle wo Dr Dussel heißt der glaube ich ins versteck kommt. :)

    Nun bin ich auch erst auf der Hälfte des Buches angelangt und ich schätze, die zweite Hälfte wird noch stärker verdeutlichen, wie bedrückend die Lebensumstände in ihrem Versteck waren. Es ist eine ganz andere Art, wie man hier den Krieg kennenlernt und eine sehr wichtige dazu, weil nicht 'einfach nur' die Grausamkeit der Kämpfe gezeigt wird, sondern man erhält hier einen sehr detaillierten Blick aus Sicht einer Jüdin, der mir in vielen anderen Präsentationen des 2ten Weltkriegs zu kurz kommt. Es zeigt sehr nachdrücklich, was wir Menschen eigentlich antun, wenn wir sie diffamieren, nur weil sie anders sind. Und es sensibilisiert dadurch für den richtigen Umgang mit unseren Mitmenschen. Das macht dieses (Tage-)Buch meiner Ansicht nach sehr wertvoll.

    Für mich persönlich sind 'gut' oder 'nicht so gut' irgendwie nicht die passenden Kategorien, um dieses Buch zu beurteilen. Es ging ja nicht darum, eine 'gute' Geschichte zu erzählen. Ich sehe es - wie schon erwähnt - eher als wertvollen Bericht einer Zeitzeugin, der der Nachwelt glücklicherweise in die Hände gefallen ist.

  • Das bin ich irgendwann mal angefangen. Allerding bin ich dann drüber weg gekommen es weiter zu Lesen. ich finde ihr Tagebuch zeigt am Besten wie es damals Wirklich war. Für mich als Geschichtsliebhaberin ist es ein Muss ihr Tagebuch zu lesen. wie gefällt es dir? das was ich bis Jetzt Gelesen habe hat mir gut gefallen. ich bin bis zu versteck gekommen und an die Stelle wo Dr Dussel heißt der glaube ich ins versteck kommt. :)

    Nun bin ich auch erst auf der Hälfte des Buches angelangt und ich schätze, die zweite Hälfte wird noch stärker verdeutlichen, wie bedrückend die Lebensumstände in ihrem Versteck waren. Es ist eine ganz andere Art, wie man hier den Krieg kennenlernt und eine sehr wichtige dazu, weil nicht 'einfach nur' die Grausamkeit der Kämpfe gezeigt wird, sondern man erhält hier einen sehr detaillierten Blick aus Sicht einer Jüdin, der mir in vielen anderen Präsentationen des 2ten Weltkriegs zu kurz kommt. Es zeigt sehr nachdrücklich, was wir Menschen eigentlich antun, wenn wir sie diffamieren, nur weil sie anders sind. Und es sensibilisiert dadurch für den richtigen Umgang mit unseren Mitmenschen. Das macht dieses (Tage-)Buch meiner Ansicht nach sehr wertvoll.

    Für mich persönlich sind 'gut' oder 'nicht so gut' irgendwie nicht die passenden Kategorien, um dieses Buch zu beurteilen. Es ging ja nicht darum, eine 'gute' Geschichte zu erzählen. Ich sehe es - wie schon erwähnt - eher als wertvollen Bericht einer Zeitzeugin, der der Nachwelt glücklicherweise in die Hände gefallen ist.

    Ja ,ich auch Hätte die eine das nicht aufgehoben in der Hoffnung das sie wieder kommt wäre es mit Sicherheit verloren gegangen.

  • Laurent Binet - Die siebte Sprachfunktion.

    1980 wird Roland Barthes, ein bedeutender Semiotiker, von einem Auto angefahren und kommt ins Krankenhaus. Sein Kollege Michel Foucault ist Zeuge und erklärt dem Ermittler Bayard, dass es Mord war. Bayard erklärt Fouclault verwirrt, dass Barthes noch lebt.

    Da Barthes vor dem Unfall mit dem linken Präsidentschaftkandidaten Mitterand gegessen hat und die Polizei eher zum anderen politschen Lager gehört, wurde Bayard, der diese ganzen Schwulen, Arbeitslosen und Intellektuellen nicht leiden kann, ausgesandt, um etwas zu finden, was man gegen Mitterand verwenden kann.

    Doch bald stellt man fest, dass Barthes ein Manuskript gestohlen wurde, an dem der amtierende Präsident ein großes Interesse hat, und das nicht in falsche Hände geraten darf ...

    Hach, was ist das hier nur für ein Buch?! In ein intellektuell verschwurbeltes Milleu wird hier ein etwas trashiger Krimi gesetzt und es ist bisher ziemlich unterhaltsam - vorausgesetzt, man interessiert sich fürs Thema. Die Figuren werden teilweise übel, aber auch liebenswert karikiert. Manchmal meldet sich der Erzähler als ein Ich zu Wort und signalisiert, dass manche Details pure Erfindung sind - so wird der Leser daran erinnert, dass hier Geschichte und Fiktion nicht sofort zu unterscheiden sind.

    Ja, es macht eine Menge Spaß und es ist angenehm zu lesen, aber nur solange man nicht dagegen allergisch ist, beim Lesen mitzudenken. Sonst ist es definitiv keine Entspannungslektüre.

    Häupter auf meine Asche!

  • Kollaps von Jared Diamond

    Wie der Titel andeutet, geht es um den Zusammenbruch von Gesellschaften, insbesondere aus oekologischen Gruenden. In dem Buch geht Diamond mehrere Fallstudien durch, unter anderem die Osterinsel, die Wikingersiedlungen in Groenland, die Maya oder die Anasazi-Kultur.

    Er arbeitet fuenf Themenfelder heraus die eine Gesellschaft auf diese Weise gefaehrden koennen:

    * unvollstaendiges Verstaendnis fuer oekologische Zusammenhaenge

    * kulturelle Traditionen die es schwer machen eine Gesellschaft zu aendern

    * Veraenderungen im lokalen Klima

    * Zusammenbruch von wichtigen Handelspartnern

    * Einwirkung von aeusseren Feinden

    Besonders unheimlich sind die isolierten Kulturen - wie z.B. die Osterinsel. Die hatte urspruenglich reichen Waldbestand und ermoeglichte im Windschutz des Waldes Ackerbau, mit Kanus waren reiche Fischgruende um die Insel verwertbar etc. Durch konsequente Rodung wurde der Waldbestand auf Null reduziert - dadurch vernichtete Erosion grosse Teile des Ackerbodens, der Rest war mangels Windschutz weniger ertragreich, in schlechtem Wetter gab es kein Feuerholz - und es konnten keine Kanus mehr gebaut werden worauf auch nicht mehr gefischt werden konnte, so dass die Bevoelkerung sich in Buergerkriegen und Verteilungskaempfen dann auf 1/10 ihres Bestandes reduzierte.

    Diamond spekuliert was wohl dem Mann der die letzten Baeume gefaellt hat durch den Kopf gegangen sein muss - sowas wie 'Wir brauchen keine Baeume, wir brauchen Arbeitsplaetze!' oder 'Die Technik wird's schon richten!' - oder etwas ganz anderes.

    Genauso unheimlich sind aber seine Positivbeispiele fuer nachhaltiges Wirtschaften - an der Spitze Tikopia, eine 5 km^2 (!) Insel die seit 3000 Jahren eine Bevoelkerung von etwa 1300 Menschen ernaehrt. Unheimlich ist das, weil diese Bevoelkerung auf keinen Fall wachsen darf - so dass es allerhand Traditionen gibt um das zu verhindern - wie etwa auch Abtreibungen und Kindstoetungen. Mit Gaensebluemchen hat Nachhaltigkeit also nicht unbedingt was zu tun.

    Diamond gibt auch mehrere moderne Beispiele wo Ackerboden ueberbewirtschaftet wird, Wald gerodet wird oder Erosion guten Boden zerstoert, und er setzt die These in den Raum ob der Voelkermord von Ruanda nicht in erster Linie ein Verteilungskampf um den Ackerboden war - der zu diesem Zeitpunkt schon rein rechnerisch die Bevoelkerung nicht mehr satt bekommen konnte.

    Diamond zieht die Parallelen nicht explizit, aber sie stehen im Raum - wie steht das denn mit unserer Autarkie --wenn jetzt kein Oel mehr geliefert wird, haelt das unsere Gesellschaft aus? Wenn Australien mit 25 Mio Einwohnern, wo das Land grade mal 9 Millionen ernaehren kann - nicht mehr beliefert wird - was fuehrt das nicht zum Zusammenbruch? Wenn Brasilien den Regenwald abgeholzt hat - was bleibt ihnen dann?

    Sein Fazit ist eher gemischt - auf der einen Seite wissen moderne Gesellschaften um die Zusammenhaenge und haben in vielen Beispielen reagiert (Deutschland und Japan sind bei ihm Positivbeispiele die den Uebergang zu nachhaltiger Waldwirtschaft geschafft haben) - auf der anderen Seite funktioniert es in vielen Faellen eben nicht.

    Ein Buch zum Nachdenken und Gruseln.

  • Gestern beendet. :D Wunderbar! Auf der Hälfte war ich mir nicht ganz sicher, ob ich es zu Ende lesen will, weil es manchmal etwas viel wird, wenn historische Figuren, die ich nicht kenne, Unsinn über historische Ereignisse reden, die mir nichts sagen. Aber es hat sich (wiedermal) gelohnt, dem Buch zu vertrauen, denn alles hat sich als relevant und lohnend herausgestellt.

    Es ist ja ein historischer Roman, der historische Figuren agieren lässt. Lauter Linguisten, Philosophen, Semiotiker, Strukturalisten und Post-Strukturalisten ... Einige der Ereignisse weichen dann auch von der historischen Realität ab. So sterben Figuren, die eigentlich noch bis in die 2000er gelebt haben. Dass der Autor sich hin und wieder zu Wort meldet, verdeutlich irgendwie, dass man nicht alles für bare Münze nehmen sollte. Diese Herangehensweise an einen historischen Roman, der immer mal auf seine Fiktionalität hinweist, gefällt mir sehr. :)

    Außerdem darf man an das Buch nicht mit zu großem Ernst herangehen. Es nimmt sich selbst nicht zu ernst und hat viel, teilweise derben, Humor. Als eine Hauptfiguren einer Frau etwas Lyrisches in Ohr flüsterte, und sie dann erwiderte: "Bums mich wie eine Maschine", da wusste ich, dass das Buch wirklich nach meinem Geschmack ist! :D

    Tolles Buch! Manchmal etwas viel, aber irgendwie würde ich es kaum anders wollen, glaube ich. :hmm:

    Häupter auf meine Asche!

  • From Hell - von Alan Moore und Eddie Campbell

    Eine Graphic Novel ueber die Ripper-Morde in Whitechapel 1888 - 600 Seiten in schwarz-weiss.

    In juengeren Jahren war ich mal an den Faellen interessiert und habe mich in die Ripper-Literatur ein bisschen eingelesen - and Theorien und Spekulationen ist ja kein Mangel, und grob gesagt gibt's zwei Klassen - die 'grossen' und die 'kleinen'. Grosse Mordtheorien gehen von Verschwoerungen aus - freimaurerische Rituale, koenigliche Bastardkinder, Vertuschung auf hoher Ebene - kleine von einem einzelnen psychotischen Moerder.

    Campbell und Moore waehlen die ganz grosse Loesung - eine heimliche Hochzeit des Prinzen, ein Kind das verschwinden muss, ein Freimaurer der eine Warnung an die Illuminaten senden will, ein Streifzug durch die Geheimnisse Londoner Architektur - aber darin eingebettet ist ein eindringliches Portrait des Lebens in Whitechapel - und das wirkt graphisch schonungslos aufbereitet natuerlich ganz anders als wenn man's bloss als Text hat - und es ist exzellent recherchiert.

    Das Leben von Polly Nichols, Annie Chapman, Liz Stride, Kate Eddows und Mary Kelly ist da vielleicht noch grausamer als ihr - auch sehr explizit gezeigter - Tod. Die taegliche Jagd nach 'doss-money' um den Schlafplatz bezahlen zu koennen, und selbst wenn's nur ein trockener Platz zum knien ist, der 'thrupence upright' durch den die Huren ihr Geld verdienen, der Slang mit der im Ten Bells nach einem 'top o' reeb' (Bier) gefragt wird - das Risiko sich mit Maennern einzulassen die die Lage vielleicht verbessern, aber sich dann doch als Rumtreiber rausstellen koennen - wie diese Stimmung in Bildern eingefangen ist finde ich - mehr noch als die grosse Verschwoerung - genial an dem Werk.

    Und - das Leben und Sterben dieser Frauen ist eben wirklich passiert - gar nicht so lange her, und gar nicht so weit weg.

  • Ich habe mir ein Hörbuch aus der Hochschulbibliothek geholt: Im Krebsgang von Günter Grass.

    Das ist in gewisser Weise der Schlussstein in Grass' erzählendem Schaffen, zumindest was die Fiktion angeht. Danach gab es noch die autobiograohischen Romane, die Gedichte, Grafiken etc., aber mit der Fiktion war quasi Schluss.

    Das Interessante an Grass ist ja, dass er immer seinen Erzählansatz geändert hat. In den 90ern ging er auf eine sehr intertextuale Schiene. Da berichtete in "Unkenrufe" jemand anhand eines Tagebuches über einen alten Schulfreund und seine deutsch-polnische Friedhofsgesellschaft. In "Ein weites Feld" wurden die Angliederung der DDR und Theodor Fontane durch die Augen des Fontane-Archivs, anhand von Briefen und Zeugenaussagen, auseinander genommen. Aus rein künstlerischer Sicht sehr gut gemacht, aber leider auch sehr langweilig, muss ich zugeben.

    Was ist nun "Im Krebsgang"? Es setzt den Trend dieser biographischen Erzählweise fort, aber dieses Mal gelingt dabei irgendwie ein gutes Buch. Aber warum? Einen immersiven Roman kann man das nicht nennen, dafür ist die Erzählweise so berichtend, dass man nie in die Seite reingezogen wird, man bleibt immer davor.

    Meine Überlegung ist mittlerweile diese: Man hat immer dann einen guten Grass vor sich, wenn mindestens zwei dieser drei Dinge erfüllt sind:

    1. Die Geschichte betrifft Grass persönlich.

    2. Es geht um die Nazi-Zeit

    3. Es spielt in Danzig oder hat eng mit Danzig zu tun.

    Die Blechtrommel? Erfüllt alle drei.

    Katz und Maus? Mindestens 2 und 3 sind erfüllt. Das gleiche gilt für Hundejahre. Die Danziger Trilogie ist allgemein sehr gut.

    Die Unkenrufe? Spielt in Danzig, hat aber keine Nazis und es ist auch nicht mit Grass' Biographie verwoben. War ganz nett.

    Ein weites Feld? Gar nichts von den drei Dingen, gähnend langweilig.

    Und Im Krebsgang beschäftigt sich nun mit dem Untergang der Wilhelm Gustloff, einem "Kraft durch Freude"-Schiff, dass zum Ende des Krieges hin schätzungsweise 9000 Flüchtlinge beherbergte, davon fast die Hälfte Kinder, und das von den Russen torpediert wurde, weil man nicht begriff, dass fast nur Zivilisten an Bord waren. Es ist das größte Schiffsunglück der Geschichte.

    Ja, das ist in Danzig und es hat mit den Nazis zu tun. Damit ergibt sich der persönliche Anteil bei Grass schon fast von selbst.

    Es treten auch eine ganze Reihe von Figuren aus der Danziger Trilogie auf: Tulla Pokriefke, Jenny Brunies, der Hund Harras (und Harry Liebenau und Walter Matern wurden auch mal erwähnt).

    Protagonist und Ich-Erzähler ist Tullas Sohn Paul. Tulla, die schon immer chaotisch-böse war, ohne Ziel und um der Bosheit Willen, möchte, dass er als Journalist über die Gustloff schreint. Sie selbst ist eine der wenigen geretteten, und im Moment des Untergangs kam Paul auf die Welt. Da Paul sie aber enttäuscht, übt sie stattdessen Einfluss auf ihren Enkel Konrad aus, und bald darauf finden sich im Internet radikale Webseiten zum Thema ...

    Dass der selbstbekennende Technik-Idiot Grass mal über das Internet schreiben würde. Er war damals schon 70, und beweist aber beeindruckenden Weitblick in einer Zeit, als das Internet noch nicht ganz im Alltag angekommen war wie heute.

    Dass die Novelle trotz des berichtenden Stils bisher gut ist, liegt wahrscheinlich am spannenden Stoff. Besonders sinnlich und nahbar ist der Text nicht, wie man das noch von der Blechtrommel kennt. Auch das Märchenhafte fehlt hier. Grass schreibt auch nicht wie ein Berserker, sondern knapp und relativ trocken. Auch sonst ist das Ding eher didaktisch und nucht unbedingt feinfühlig erzählt (eher Holzhammer), aber eben genau und präzise. Es muss also der Stoff sein, zusammen mit der Rückkehr nach Danzig. Aber irgendwie funktioniert es.

    Häupter auf meine Asche!

  • Eben zu Ende angehört.

    Grass erzählt hier auf 3 (?) Zeitebenen. Da ist einmal die Geschichte von Paul Pokriefke, während er diese Geschichte schreibt, im Auftrag vom "Alten", der nur Günter Grass selbst sein kann. Dann ist da die Geschichte von Pauls Mutter Tulla, wie sie auf die Gustloff kam und gerettet wurde, inklusive dem Untergang. Und zuletzt sind da die Biographien des Schiffs; des Nazis Wilhelm Gustloff, nach dem es benannt wurde; seinem Mörder David Frankfurter, der Gustloff für die Nazis zu einem Märtyrer machte; und des U-Boot-Kapitäns Marinesko, der die Gustloff versenkte.

    Eine Menge Stoff für 216 Seiten. Grass verweigert sich, das wird im Buch auch klar, der Versuchung, den Untergang der Gustloff durch fiktive Figuren erlebbar zu machen, wie Filme das vielleicht tun würden. Stattdessen geht es auch um alles um den Untergang herum. Warum ist der Untergang des Schiffs nicht im kollektiven Gedächtnis angekommen? Was machen die Bücher und Filme über die Gustloff gut oder weniger gut? Was ist historisch belegbar, was nicht? In dem Grass sich weigert, ein immersives Buch zu schreiben, in dem er den historischen Figuren Gedanken und Gefühle andichtet, die diese mit ins Grab genommen haben, antwortet er auf ein grundlegendes Dilemma historischer Fiktion. Laurent Binet hat das beispielswiese so angegangen, dass er sich zwar Freiheiten nimmt, aber den Leser auch darauf hinweist, mit einem Bruch der vierten Wand. Grass dagegen interessiert es nicht, den Leser zu unterhalten. Für Unterhaltung ist ihm das Thema zu ernst.

    Denn alles um die Gustloff hat man jahrelang den rechten Kreisen überlassen, und das scheint für Grass ein Versäumnis gewesen zu sein.

    Das Ergebnis ist eine teilweise recht essayistische Novelle, die aber auf eine Weise spannend ist, wie nur ein Bericht spannend sein kann. Außerdem versteht sich Grass auf einen doppelten Erzählboden, wie die Presse es schon oft gesagt hat. Das konnte er schon immer, und hier gibt es der Geschichte, die sonst bei den Charakteren eher etwas platt ist, zusätzliches Gewicht.

    Aber dass Marcel Reich-Ranicki laut eigener Aussage bei der Lektüre geweint hat ... das glaube ich einfach nicht.

    Häupter auf meine Asche!

  • Sueton: Leben der Caesaren

    Gaius (Sueton)ius Tranquillus Biographien der 12 größten Caesaren Roms machen einfach deshalb Laune, weil er sie nicht für, sondern über die Lorbeerkranzträger längst vergangener Zeit schrieb.

    Also werden hier sowohl deren Helden- als auch Untaten ausgiebig gewürdigt.

    Das ganze (von Andre Lambert, DTV 1977) übersetzt in einem locker flockigen Stil, bei dem man nicht ständig in Fußnoten oder Geschichtsbüchern zwischenblättern muß, um dem geschriebenen folgen zu können.

    Das nicht wenige der beschriebenen Herrscher ausgemachte Psychopathen gewesen sein müssen, wissen wir seit dem angeblichen Lautenspiel Neros zum Brande Roms.

    Caligula war aber auch nicht viel besser:

    "Caligula pflegte sich auch öffentlich über die Zeitläufte zu beklagen, weil sie durch keine grösseren Katastrophen ausgezeichnet würden. Augustus' Herrschaft sei durch die Niederlage des Varus, die des Tiberius durch den Tribüneneinsturz bei Fidenae berühmt geworden, seine eigene drohe durch Wohlstand in Vergessenheit zu geraten. Deshalb wünschte er auch immer Niederlagen von Heeren, Hungersnot, Pest, Feuersbrünste oder ein Erdbeben herbei."

    Da freue ich mich doch sehr, in heutigen Zeiten zu leben... :) :) :)

    Das Buch macht mir einfach nur Spaß:

    Flüssiger Stil, viel zu entdecken, was nicht in Geschichtsbüchern steht und jede Menge Details über das Leben in dieser Zeit - die eine sehr gewalttätige war.

  • Ich habe jetzt (selbstverständlich nach dem entsprechenden Netflix-Konsum, hier bin ich tragischerweise auch ein Kind des Mainstreams) den Roman "Das Damengambit" von Walter Tevis gelesen. Oh. So. Gut!

    Natürlich ist die Handlung nichts Neues und auch sehr schachdetail-lastig. Doch der Schreibstil und die sehr interessante Zeichnung der Hauptfigur bringen trotzdem vieles mit hinein, das noch einmal eine neue Perspektive auf die Handlung aufmacht. Ein paar kleine Zwischenhandlungen haben es nicht in die Serie geschafft, während diese hin und wieder ein paar dünne Szenchen hinzuerdacht haben. Insgesamt orientiert sich Netflix aber sehr sehr eng an Mr Tevis, und das ist gut so, denn der hat es echt drauf. Klare Empfehlung. Wie man gleichzeitig so gefühlsdistanziert, aber auch so einfühlsam schreiben kann, ist eine große Kunst. Habe das Buch in zwei Stunden verschlungen und das sagt eigentlich alles aus, was der geneigte Leser über Lesemotivation und Mitfieberung wirklich wissen muss.

    Daher: Los gehts, Bauer e4 und Buch auf!

    Was ich schreibe: Eden

  • So, vorhin das Hörbuch zu Beim Häuten der Zwiebel von Günter Grass durchgehört.

    Das sind seine Memoiren vom Beginn des Zweiten Weltkrieges bis zur Veröffentlichung der Blechtrommel. Was deutlich wird ist, dass alle möglichen Geschichten in seinen Büchern (und gerade die, die wirklich gut sind) von Ereignissen in seinem Leben inspiriert sind. Der Protagonist Oskar, der Musikalclown Bebra, natürlich Oskars Elternfiguren ... und viele Situationen von Grass' Protagonisten sind ihm in gewisser Weise auch selbst widerfahren. Dabei erzählt Grass endlich auch wieder auf diese sinnliche, nahbare Weise und nicht mehr so distanziert berichtend, wie in den 90ern.

    Es geht dabei um alles wichtige. Seine Eltern, die Zeit als Flakhelfer, die Monate, in denen er zur Waffen-SS eingezogen wurde, das Kriegsgefangenenlager, und natürlich die drei Hunger, die ihn immer wieder heimsuchen: Das Essen, die Frauen und die Kunst.

    Doch, ich denke, man begreift mit diesem Buch sehr gut, was Grass zu Grass macht, was seine Leidenschaften waren und warum seine guten Werke gut sind und was seinen weniger guten Werken fehlt. Manchmal war ich auch wirklich bewegt, muss zugeben.

    Was manche Memoiren auch machen, ist, manche Szenen widerzugeben, als seien sie Romanszenen, mit Dialogen und allem drum und dran. Dabei muss einem als Leser ja irgendwie klar werden, dass solche wortgetreuen Dialoge zum Teil erfunden sein müssen. Wenn nicht gerade eine Kamera mitgefilmt hat, kann sich das keiner merken. Grass macht solche Szenen nicht, wörtliche Rede sind höchstens einzelne Sätze, die besonders in Erinnerung geblieben sind.

    Und dieser Erinnerung ist Grass gebenüber immer wieder skeptisch. Manchmal weiß er nicht, ob eine Geschichte genau so ablief oder später etwas ausstaffiert wurde. Sowas sagt er an und tut nicht einfach so, als wäre alles genau so gewesen. Nachdem das Schaffen mit der Fiktion mit "Im Krebsgang" vorbei war, blieb Grass in einer Welt, die ihn mit Internet usw. abgehängt hat, nur noch, sich selbst abzuwickeln. Dazu diente der Großteil der 2000er für ihn. Er hat wahrscheinlich gemerkt, dass seine Zeit vorbei ist, er alt wird, und nun Neue kommen müssen. Interessanterweise blühte er da jetzt nochmal richtig auf.

    Empfehlen würde ich ein Memoir ja aus Prinzip nur jemandem, der mit der Person schon etwas vertraut ist bzw. sich für sie interessiert. :hmm: Es dürfte auch sehr interessant sein, wenn einem zumindest die Blechtrommel bekannt ist. Sonst kann man damit vielleicht nicht so viel anfangen. :)

    Häupter auf meine Asche!