Der Tod eines Charakters

Es gibt 69 Antworten in diesem Thema, welches 20.082 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (1. November 2023 um 23:50) ist von Etiam.

  • Ich find's aber im schriftstellerischen sehr schwer, erst mal über einen geraumen Zeitraum einen Prota aufzubauen und wachsen zu lassen. Das kostet Zeit, Nerven und viel Energie.

    Den dann auch noch zu killen, kann eigentlich nur Sinn machen, wenn ich daneben einen zweiten Prota habe, der im Schatten immer schon vorhanden war, aber bisher noch nicht in's Licht getreten ist.

    Das ist halt eine grundsätzliche Frage, die die Art der Geschichte bzw. die Erzählweise betrifft. Wenn sich die Geschichte vor allem um einen Charakter dreht, dessen Denken und Fühlen gezeigt wird, und dessen Handlungen die Geschichte vorantreiben und interessant machen, während alle anderen Charaktere eher Statisten sind, bei denen man das Gefühl haben könnte, dass sie wie ein Roboter einfach stehen bleiben, sobald sie aus dem Fokus geraten (ich übertreibe bewusst; das zieht natürlich ganz andere Probleme nach sich), dann wird es schwieriger, den Wechsel von einem Charakter auf einen anderen zu vollziehen. Vermutlich würde man dann also eine ganze Reihe an Lesern verlieren.

    Wenn es jetzt aber eher so ist, dass es eine ganze Menge an Erzählcharakteren gibt, aus deren Perspektive die "eine große Geschichte" erzählt wird und wenn diese Geschichte eben nicht die Geschichte eines Protagonisten ist, dann dürfte das leichter funktionieren. So ist es in ASoIaF. Es ist eben nicht die Geschichte von John Snow und wie er den Iron Throne gewinnt. Und es ist auch nicht die Geschichte von Ned Stark, wie er versucht, seinen Jugendfreund & König vor dem Untergang zu bewahren. Es ist viel vielschichtiger, komplexer, verworrener etc. Da wirkt es mMn natürlicher, dass in dem tödlichen "Spiel um den Eisernen Thron" immer wieder mal Charaktere ihr Leben verlieren.

    Aber erst mal in einer Erzählung einen Hauptcharakter aufbauen, um ihn dann mittendrin dem Hades zu überantworten?

    Würde für mich höchsten dann (im Bereich der Fantasy) Sinn machen, wenn jener Protagonist den Staffelstab (Schwert, Lanze, Gral, Kelch etc. pp.) weitergeben muß, weil er selbst das angestrebte Ziel nicht erreichen kann.

    Und selbst dann würde sich das Ganze eher am Ende der Erzählung befinden statt am Anfang oder mittendrin.

    Ganz genau! Die Frage nach dem Warum muss schlüssig beantwortet werden. Mir kam letztens wieder in den Sinn, dass eines meiner absoluten Lieblingsbücher damit anfängt, dass einer der Protagonisten im allerersten Kapitel erstens überhaupt nicht heldenhaft rüberkommt und zweitens das Kapitel so endet, dass man denken könnte, der Charakter wäre gestorben. Ich hab das Buch zweimal abgebrochen und musste mich wirklich dazu zwingen, das zu lesen (ich musste es für ein Seminar an der Uni lesen, also gab es keine Wahl ^^ ). Dadurch hat sich aber auch mein Geschmack und meine Toleranz gegenüber solchen Geschichten mit ungewöhnlichen Settings, Charakteren, Erzählweisen etc durchaus erweitert.

    Und Romeo und Julia sterben doch auch zum Schluss (Hamlet sogar auch, wenn mich nicht alles täuscht - hab das Ding leider nie zuende gelesen :hmm: ) und trotzdem wird Shakespeare als einer der größten Literaten aller Zeiten gefeiert. Kann also sein, dass es einfach unsere Konditionierung ist, die unsere Erwartungen und Vorstellungen prädisponiert. Umso interessanter, wenn mal etwas nicht so läuft wie sonst immer.

    Shakespeare unterscheidet sich von typischer Fantasy dann doch gewaltig. Es sind halt hauptsächlich Dramen, die er geschrieben hat. Die tragen häufig ja schon im Kern in sich, dass sie eine tragische Geschichte erzählen, die Mitgefühl beim Zuschauer erzeugen soll. Die nach meinen verständnis typische Fantasygeschichte hört fast immer mit einem Happy End auf. Plakativ gesagt überwindet der Held alle Widrigkeiten, besiegt den Antagonisten und gewinnt etwas als Belohnung. Das Gefühl, das man da als Leser mitnehmen soll, ist neben der temporären Flucht aus dem Alltag jenes, dass die Welt doch eigentlich in Ordnung ist. Man ist mit dem Ausgang der Geschichte glücklich und zufrieden. Man ist beruhigt, dass die Guten gewinnen und die Bösen bestraft werden. Das passt so vom Grundkonzept nicht wirklich dazu, dass der Held stirbt.

    Dass es auch solche Geschichten gibt, heißt natürlich nicht, dass es nur solche Geschichten geben sollte. Wie gesagt, wenn die Geschichte so angelegt wird, dass der Tod eines Charakters sich gut einfügt oder tatsächlich sinnvoll für die Entwicklung oder Lösung eines Konflikts ist, dann spricht nicht so viel dagegen.

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Heyho J.J.Raidark

    Aber für jemanden, der fleißig Tolkien dafür kritisiert, dass er Gandalf zurückgebracht hat, finde ich das schon ein klein wenig scheinheilig.

    Ich bin jetzt nicht so in der Game of Thrones - Schiene drin, weiß also nicht wirklich, in welcher Form da ein Charakter vom Autor der Bücher "wiederbelebt" wurde.

    Ebenfalls ist mir der Wortlaut seiner Kritik an Tolkiens Methode, die Figur des Gandalf wieder zurück zu bringen nicht bekannt: Eine Anmerkung sei mir aber trotzdem gestattet.

    Tolkien hat die Figur des Gandals nicht einfach nur wiederbelebt oder zurückgebracht. Er hat sie vielmehr eine Transformation durchlaufen lassen, in der aus "Gandalf dem Grauen" "Gandalf der Weisse" wurde. Und damit meiner Meinung nach den Charakter der Figur auch recht deutlich verändert.

    Gandalf der Graue war noch - bei allem Ernst der Situation und seiner durchaus hohen magischen Kraft - eher ein "spielerischer" Zauberer, der ein tolles Feuerwerk zu Bilbos Geburtstag veranstaltet, vor den verschlossenen Toren Morias ein simples Worträtsel fast nicht lösen kann usw. usf.

    Gandalf der Weisse jedoch - und damit der mächtigste aller Zauberer von Mittelerde nach dem Fall Sarumans (wird gerne vergessen und war für Tolkien auch nicht wirklich für die Geschichte wichtig...aber er hat ansatzweise ja den Zauberern durch Farbe ihren Rang zugewiesen (Radagast der Braune))...

    Gandalf der Weisse jedoch ist völlig zielgerichtet darauf, den Ring zu zerstören. Es dauert jedenfalls ziemlich lange in der Erzählung, bis er sowas wie Empathie oder Freundschaft zu den früheren Gefährten wieder empfindet.

    Wie gesagt: Für Game of Thrones kann ich nicht mitreden, glaube aber, daß das einen grundlegenden Unteschied darstellen kann.

    Mittendrin sagst Du, klappt nicht. Dann heißt es, Lovecraft macht es und dann meinst Du, es passt ... ich komm nicht mehr mit

    Okay, ich versuch's. ^^

    Apropos "versuchen":

    Erinnere Dich dran (oder lies es nochmals) daß ich in meinem Post auf den Unterschied zwischen Drehbüchern (Filmserien) und Büchern (Romane) hingewiesen hatte. Das ist wichtig, sonst geht hier jede Diskussion oder Debatte daran zugrunde, das man im Laufe der Textnachrichten aneinander vorbei zu reden beginnt.

    Daher ein kleines, sehr lehrreiches Intermezzo :thumbsup: :

    Bleib bei Deinem Punkt!

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    Ken Jebsen war schon damals ein ziemlich armes Licht...

    Das aber nur mal am Rande.

    Funktioniert prinzipiell in einem Lovecraft-artigen Horror-Setting ganz gut - die Praemisse ist dass die Maechte mit denen man es zu tun hat halt so gefaehrlich sind dass ein Mensch kaum eine Chance hat da rauszukommen - und wenn der Protagonist stirbt und ein anderer uebernimmt, der dann auch stirbt und... dann ist das Thema eindringlich geschildert

    Was Thorsten damit sagen wollte (glaube ich zumindest... :D ) :

    Entweder (meistens) hat sich Lovecraft für einen Prota entschieden, der die ganze Erzählung durchleiden muß.

    Manchmal hat er aber die Variante benutzt, in der ein dem Hauptprota nahestehender Freund oder Verwandter um Hilfe gebeten wird, entsprechend nur fragmentarisch vorbereitet an den Ort des Geschehens reist und dort erleben muß, daß es an ihm liegt, den begonnenen Kampf gegen das Böse zum Ende zu führen, weil's der Freund nicht mehr kann.

    Lovecraft hat das Kunststück fertiggebracht in seinen Geschichten das eh schon aufgebaute Grauen noch dadurch zu intensivieren, daß der hinzustoßende Freund den Staffelstab übernehmen muß, um die Erzählung zu einem Ende zu bringen.

    Da rede ich jetzt allerding über eine Horrorstory, nicht über einen Fantasystoff.

    Aber: Dort paßt es.

    Mir kam letztens wieder in den Sinn, dass eines meiner absoluten Lieblingsbücher damit anfängt, dass einer der Protagonisten im allerersten Kapitel erstens überhaupt nicht heldenhaft rüberkommt und zweitens das Kapitel so endet, dass man denken könnte, der Charakter wäre gestorben.

    Heyho Asni

    Danke für die Info.

    Wenn Du jetzt noch so freundlich wärst, Titel und Autor zu publizieren, könnte ich m ir selbst ein Bild davon machen... :schiefguck:

  • Wenn Du jetzt noch so freundlich wärst, Titel und Autor zu publizieren, könnte ich m ir selbst ein Bild davon machen... :schiefguck:k

    Sehr gerne. Ich bin nur der Bitte nachgekommen, nicht zu spoilern... daher also im Spoiler Autor und Titel ^^

    Spoiler anzeigen

    Joe Abercrombie - The Blade Itself (Buch eins der Trilogie The First Law). Ich hab die Bücher nur auf Englisch gelesen und befürchte, dass das im Deutschen nicht wirkt. Außerdem sind in der Übersetzung die Titel durch langweilige Reihenbegriffe (Kriegsklingen, Racheklingen, Heldenklingen... etc.) ersetzt worden, so dass man sich überhaupt nicht mehr auskennt :S

    Der Wanderer : Ergänzend zu deinen Ausführungen zu Gandalf möchte ich noch anmerken, dass die Farben bei den beiden wichtigsten Zauberern (weiß und grau) auch noch so interpretiert werden können, dass sich in der Farbe Grau Gandalfs Zögerlichkeit und Ängstlichkeit im Kampf gegen Sauron (für den die Farbe Schwarz - schwarze Reiter / drohende Dunkelheit etc verwendet wird) widerspiegelt. Gegen den Balrog geht Gandalf an einer entscheidenden Stelle auf Konfrontation und tritt auch aus dem Verborgenen. Damit gibt er die Zögerlichkeit auf und findet sich auch in seine Rolle, was nach seiner Rückkehr in die Geschichte ja dann auch voll zum Tragen kommt. In diesem Sinn ist das ein hervorragend gewähltes Beispiel dafür, wie Tod und Wiedergeburt eines zentralen Charakters gut gelingen kann. Zumindest ist das meine Meinung ^^

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Heyho Asni

    Vielen Dank für den Tip mit den "Klingen".

    "Klingt" für mich nach ungefragter "Verbesserung" seitens der Übersetzer - Bestelle ich mir dann morgen mal im Original.

    Danke verbindlichst.

  • Um zurück zum Thema zu kommen: Wenn ein Roman nur 'den' Protagonisten hat, dann ist meiner Meinung nach nur dann erlaubt ihn umzubringen, wenn es ein Drama ist.

    Beim Drama erwartet man das. Da ist der Leser auch vorbereitet. Hier ist es auch kein Problem, wenn aus einer zweiten Perspektive dann die losen Fäden zuende verknüpft werden.

    In allen anderen Fällen versteht der Autor (hart gesagt) nichts vom Schreibstil. Es gibt beim Bücher schreiben mehr Dinge, als nur Rechtschreibung und Grammatik.

    Ausnahme: Sollte man eine Reihe von wichtigen Charakteren haben (nicht nur einen Hauptcharakter) kann man meiner Meinung nach durchaus welche sterben lassen.

    Wobei man hier selbstredend nicht die Sympathieträger umnieten sollte. Die meisten Leser mögen das nicht.

    Klar ich weiß, dass bei GoT meistens die Unsympathen recht lang am Leben blieben und viele Jungautoren glauben, dass muss so sein, weil da jemand damit Erfolg hatte.

    Aber das halte ich für eine Modeerscheinung. Die meisten Leser wollen mindestens einen Charakter mit dem sie sich identifizieren können. Und der muss behandelt werden wie 'der' Protagonist.

  • Mein Erster Gedanke bei dem Titel des Therads war folgender:

    Wenn der Protagonist stirbt ist die Geschichte zu Ende.

    Meine Meinung:

    Ich finde es mutig seinen Protagonist umzubringen und die Geschichte dann mit einer neuen Protagonistin fortzuführen.

    Doch ich mag es nicht wenn die neue Protagonist genauso so ist wie die alte Protagonistin. Ebenso finde ich das Protogonist und Antagonist zussammen gehören. Es sollte zu einem neuen Protagonistin auch einen neuen Antagonist geben. Trotzdem kann der Antagonist vom alten Protagonist am Leben bleiben. Dann wird er eben zum Diener degradiert. Nur weil der ehemalige Antagonist Diener spielen muss muss dieser die Rolle noch lange nicht mögen.

    • Offizieller Beitrag

    Ich hab den Thread mal mit dem zusammengelegt, den wir zu dem Thema schon haben :D
    bitte die Suchfunktion benutzen ;)

    • Offizieller Beitrag

    Doch ich mag es nicht wenn die neue Protagonist genauso so ist wie die alte Protagonistin. Ebenso finde ich das Protogonist und Antagonist zussammen gehören. Es sollte zu einem neuen Protagonistin auch einen neuen Antagonist geben. Trotzdem kann der Antagonist vom alten Protagonist am Leben bleiben. Dann wird er eben zum Diener degradiert. Nur weil der ehemalige Antagonist Diener spielen muss muss dieser die Rolle noch lange nicht mögen.

    Vielleicht hat der Antagonist aber auch einfach sein Ziel erreicht xD Dann muss er nicht Diener werden sondern vielleicht Herrscher der Welt. Und der neue muss ihn dann wieder stürzen. Gibt so viele Möglichkeiten ...

    Ich würde mich da nie auf was einschießen.

  • Doch ich mag es nicht wenn die neue Protagonist genauso so ist wie die alte Protagonistin. Ebenso finde ich das Protogonist und Antagonist zussammen gehören. Es sollte zu einem neuen Protagonistin auch einen neuen Antagonist geben. Trotzdem kann der Antagonist vom alten Protagonist am Leben bleiben. Dann wird er eben zum Diener degradiert. Nur weil der ehemalige Antagonist Diener spielen muss muss dieser die Rolle noch lange nicht mögen.

    Vielleicht hat der Antagonist aber auch einfach sein Ziel erreicht xD Dann muss er nicht Diener werden sondern vielleicht Herrscher der Welt. Und der neue muss ihn dann wieder stürzen. Gibt so viele Möglichkeiten ...

    Ich würde mich da nie auf was einschießen.

    Oder der erste Antagonist wird Diener,lehnt sich gegen den aktuellen Antagonisten auf,wird von diesem fertig gemacht und verbündet sich aus Rache mit der neuen Heldin. Gemeinsam

    besiegen sie den neuen Antagonisten und der alte Antagonist nimmt dem Platz von dem neuen Antagonisten ein und verrät damit die Heldin.

    Klingt doch spannender als

    "Neue Heldin muss den bösen Tyrannen stürzen. Wird die Gruppe sie akzeptieren?"

    • Offizieller Beitrag

    IcyTrix3

    Klingt doch spannender als

    Das kann ich so nicht sagen, weil ich die geschichte dahinter nicht kenne.

    Beides sind ja nur (wenn überhaupt) Prämissen. Und dazu nicht mal wirklich neue. Weder deine noch meine.

    Worauf ich einfach hinaus wollte ist, dass ich solche pauschal aussagen nicht unterschreiben kann :pardon: