Starraider - Die Sternenjäger (Arbeitstitel)

Es gibt 170 Antworten in diesem Thema, welches 65.422 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (11. Mai 2017 um 10:05) ist von Wysenfelder.

  • [Narrow]

    Er ließ das Klatschen der Schläge über sich hinwegspülen – beachtete es kaum mehr, als das Brummen einer Fliege. Und während Ellies Kopf mit jedem Hieb zur Seite schnellte, ihre Locken umher wirbelten, starrte Narrow ohne zu blinzeln auf die geballte Faust ihres Peinigers. Der Wunsch, jeden Finger einzeln zu brechen, flammte gleißend hell auf.
    „Fühlst du dich jetzt stark, Bastard?“, knurrte Ramirez. „Macht es dich an, eine gefesselte Frau zu schlagen? Such dir doch jemanden in deiner Größe.“
    Alphas Totenkopf wandte sich ihm grinsend zu. „Was hast du gesagt?“
    „Ich sagte“, begann Ramirez, jeden Muskel am Leib anspannend, „du sollst mich losmachen und deine Fäuste an mir ausprobieren. Zwei von euch Typen hab' ich bereits zurecht gestutzt. Du könntest der Nächste sein. Na, wie wär's?“
    „Du hast 'n großes Maul“, erwiderte Alpha gelassen und nickte Omega zu. „Aber nun ist es an der Zeit, verdammt nochmal die Fresse zu halten!“
    Omega zog ein schwarzes Tuch hervor und knebelte Ramirez rasch und brutal, wobei sich der Bulle verrenkte und nach seinem Angreifer biss. Danach war von ihm nur noch gelegentliches Grollen zu hören.
    „Entschuldige die kleine Unterbrechung, Kleine“, fuhr Alpha an Ellie gewandt fort. „Wo waren wir? Ach ja...“ Er holte zum sechsten Schlag aus. Unter all den Locken konnte man ihr Gesicht und die Verletzungen der Folter nicht sehen, doch von ihrem Kinn lösten sich immer wieder rote Tropfen, die auf ihrem Overall einen beständig wachsenden Fleck hinterließen.
    „Was soll das Ganze?“, fragte Narrow laut und deutlich in den Raum.
    Alpha hielt inne. „Was? Was das soll? Seid Ihr taub, oder-“ Doch Narrow ließ ihn nicht weiter zu Wort kommen: „Dieses Mädchen bedeutet mir nichts. Ich habe sie auf Luna-68 aufgelesen, weil ich möglichst billig einen Mechaniker brauchte um dort weg zu kommen. Jetzt, da wir unterwegs sind, brauche ich sie nicht mehr.“
    Ellie keuchte kaum hörbar.
    Alpha kniete sich vor ihn und aus seinen schwarzbraunen Augen sprach blanker Hohn. „Und das soll ich glauben? Hey, Freundchen! Hier bin ich!“ Er schnipste mit den Fingern vor Narrows Nase, doch der Capt'n beachtete ihn nicht. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem Unbekannten, der sich etwas abseits an einem der Tische niedergelassen hatte.
    „Und was meine Crew angeht“, sprach Narrow unbeirrt weiter, „so werde ich kein einziges Wort mehr sagen, sollte ihnen auch nur ein weiteres Haar gekrümmt werden.“
    „Ist der Typ zu fassen?!“ Alpha sah teils belustigt, teils verärgert zu seinen Kollegen, ehe er Narrow wieder fixierte und mit der behandschuhten Faust drohte. „Vielleicht täte Ihnen meine kleine Behandlung ganz gut, Mr Jones. Sobald ich mit der Kleinen fertig bin, können wir gern-“
    Und wieder unterbrach Narrow. Diesmal jedoch entgegnete er dem Blick des Schädels. „Und außerdem bezweifle ich, dass ihr uns töten wollt. Bisher habt ihr uns nur betäubt und wenn ich von den Magazinen ausgehe, die in euren M-30ern stecken, seid ihr auch weiterhin nicht mit scharfer Munition bewaffnet. Daher behaltet eure leeren Drohungen doch einfach für-“
    Der Schuss hallte ohrenbetäubend in dem niedrigen Raum wider und ließ die Wand neben Narrows linkem Ohr förmlich explodieren. Er zuckte zusammen und Alpha sprang fluchend auf.
    „Fuck! Verdammt fuck! Du hättest mich beinah getroffen! Fuck!“
    „Und du redest zu viel! Viel zu viel.“ Der Mann im Hintergrund erhob sich, wobei sein Stuhl über den Boden kratzte. Er schwenkte Narrows rauchende Luger. „Wisst ihr ignoranten Einfaltspinsel überhaupt, wen ihr da vor euch habt?“ Er umrundete den Tisch vor sich und kam im Halbdunkel der Notbeleuchtung langsam auf sie zu. Etwas an seiner Stimme brachte eine Saite in Narrows Kopf zum Schwingen. „Es war das 236. Turnier des großen Wildjägers Apis B. Winshuk auf Barbos 1. Ein Spektakel, das seines gleichen suchte. Milliarden Zuschauer aus allen Galaxien waren herbei geströmt um den tapferen Recken bei der Erfüllung der siebzehn legendären Herausforderungen zu zuschauen, sie anzufeuern, zu wetten und – natürlich – jede Menge Blut fließen zu sehen!“ Der Unbekannte war groß, breitschultrig und bewegte sich mit der Anmut einer Raubkatze. „Die Fallen waren außergewöhnlich, die Bestien blutrünstig und zahlreiche der einhundert Herausforderer fielen ihnen zum Opfer. Es glich einer Schlacht. Einer Schlacht, in der nur die Besten und Zähesten überleben konnten.“ Nun stand er vor ihnen, gekleidet und ausgerüstet wie seine Kumpanen, bis auf die Pistole in der Hand. „Und im allerletzten Moment, als mein Sieg zum Greifen nah war, erlegte dieser Mann mit einem einzigen Schuss die größte Bestie des bekannten Universums. Einen Riesenghoram.“ Er riss sich die Maske vom Kopf und lächelte. „Na, erkennst du mich gar nicht wieder, One-Shot?“
    Narrow zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Nein, sollte ich?“ Doch er tat es. Der Mann vor ihm war attraktiv mit seinen ebenmäßigen Gesichtszügen, dem dunklen Teint, vollen Lippen und hellen Augen. Sein pechschwarzes Haar war streng zurück gekämmt und glänzte ölig. Mit jedem Wort entblößte er zwei perfekte Reihen perlweißer Zähne, über die er mit der Zunge strich. Narrow erinnerte sich gut an Darryl King, denn unter den Teilnehmern am Winshukturnier gab es die Mutigen, die Ehrgeizigen, die Glücklichen, die Verzweifelten und solche, wie ihn – die Grausamen. Tatsächlich hatten die Sterne für King günstig gestanden. Er hatte sich lange zurückgehalten, die Anderen kämpfen und sterben lassen, sie in Fallen gelockt oder den Biestern zum Fraß vorgeworfen. Auch schreckte er nicht davor zurück, die Anzahl an Konkurrenten persönlich zu dezimieren. Er war schnell, gerissen und möglicherweise das gefährlichste Wesen im Ring gewesen. Mit zunehmender Beunruhigung nahm Narrow das Messer an Darryls Hüfte wahr, welches blutige Erinnerungen weckte.
    „Enttäusche mich nicht“, säuselte Darryl. „Sieh genauer hin.“ Als er sich weit zu ihm herabbeugte stieß Narrow ein unangenehm süßlicher Geruch entgegen. Superior, oder kurz Sup, war eine Droge aus den höheren Kreisen, die deine Sinne auf Reisen schickte, während sich dein Körper in der realen Welt wie in Trance bewegte. Zeitgleich zersetzte es organisches Gewebe. Angefangen mit der Haut, zu den Haaren und Zähnen, bis es immer weiter ins Innere sickert. Plastische Chirurgen verdanken Sup ihre gehobene Lebensweise.
    „Du hast mich eines denkwürdigen Sieges beraubt, One-Shot. Ich gedenke, das zurück zu zahlen. Also… wo ist die Energiezelle?“
    Die Lüge kam ihm leicht über die Lippen: „Wir haben sie nicht mehr.“
    Darryl hob die getönten Brauen. „Wie bitte?“
    Wo genau King herkam, konnte Narrow nicht sagen, doch seine Gefolgschaft kannte Ellie oder zumindest ihren Vater. Also kannten sie mit Sicherheit auch noch einen weiteren Namen.
    „Wir haben sie abgeliefert, wie es unser Auftrag war. Nun ja, mehr oder weniger.“
    Darryls blaue Lippen wurden zu schmalen harten Strichen. „Unsinn. Hal Izaak befindet sich nicht einmal in der Nähe, geschweige denn auf Luna-68. Nie im Leben konntet ihr ihm die Energiezelle bereits aushändigen.“
    „Wer redet hier von Hal?“, fragte Narrow mit aller gebotenen Unschuld. „Ich spreche von Morg. Er hat die Energiezelle. Stimmt schon, Hal hat uns beauftragt, doch Morg hat uns im Bulletproof abgefangen und mich übers Ohr gehauen. Ich sag's nicht gern und mir graut es davor, Hal zu beichten, aber so ist es nun mal. Ihr habt die Falschen überfallen.“
    Die blassen Augen des Jägers zuckten über Narrows Gesicht auf der Suche nach der Lüge, die sich dort verbarg. Unsicherheit lag im Blick des Mannes, der sich eben noch unangefochtener Herr der Lage wähnte.
    „Morgan Opus“, sprach Darryl leise, den Namen kostend. Seine Begleiter warfen sich unsichere Blicke zu.
    „Sir“, meldete sich Omega zu Wort. „Sollten wir nicht... unsere Auftraggeber... ich meine...“
    „Halt's Maul... Russel“, zischte Darryl und erhob sich. Ohne den Blick von Narrow zu lösen ging er ein, zwei Schritte zurück und stellte sich neben die gefesselte Ellie. „Eine interessante Geschichte. Und so praktisch. Was glaubst du, wird nun geschehen, hm? Dass wir mit eingezogenem Schwanz abziehen, weil hier nichts zu finden ist? Weil wir Angst vor diesem Gnom haben? Ist es das? Glaubst du uns so leicht los zu werden?“
    „Ihr habt jedenfalls nicht die Zeit, das Schiff von oben bis unten zu durchsuchen. Dieser Frachter ist zu groß und birgt zu viele Möglichkeiten, etwas so kleines zu verstecken. Mittlerweile dürften uns einige Allianzschiffe an den Fersen hängen und es ist nur noch eine Frage der Zeit bis sie uns finden. Die Uhr tickt. Und zwar gegen euch.“
    Darryl nickte. „Zugegeben, diese ganze Mission läuft schon wesentlich länger als meine Auftraggeber es vorgesehen haben, daher werde ich es nun abkürzen.“ Er hielt die PX-9 an Ellies Kopf. „Wo ist die Energiezelle?“
    Narrow blinzelte nicht einmal als er antwortete: „Wie schon gesagt, sie ist nicht hier.“
    Der Lauf der Pistole wanderte weiter auf Ramirez zu. „Wo ist die Energiezelle“, wiederholte Darryl, doch auch jetzt blieb das Gesicht des Captains ausdruckslos. „Morgan Opus. Das ist der Mann, den ihr sucht. Und ich weiß wirklich nicht, wo er sich aufhält.“
    Wie zu erwarten war, richtete Darryl die Luger letztendlich auf Ted und obwohl Narrow darauf vorbereitet war, zögerte er. Nur für einen halben Wimpernschlag. Außer ihm war es niemandem aufgefallen. Außer ihm und Darryl. Die blauen Lippen entblößten seine falschen Zähne bei einem grausamen Lächeln. Der Schuss ließ alle im Raum zusammenzucken. Ramirez stemmte sich brüllend gegen seine Ketten, Ellie keuchte entsetzt auf und Narrow wandte den Kopf nur sehr, sehr langsam zu seinem Piloten um. Alle Farbe war aus dem Gesicht des Jungen gewichen. Seine fahlen Lippen zitterten als er stammelte: „Ca-... Ca-... Capt'n?“ Dann begann er zu schreien. Die Kugel war in seinen Oberschenkel eingedrungen, wo sich nun ein roter Fleck rasch auf seiner Hose ausbreitete.
    „Ich will hoffen“, meinte Darryl“, dass ich nicht seine Hauptschlagader getroffen habe. Sonst würde er ja in Windeseile verbluten. Zum Glück haben meine Männer die passende Ausrüstung parat um ihn solange am Leben zu erhalten, bis er einen Arzt erreicht. Hmm... bloß warum sollten meine Männer das tun? Warum sein Leben retten?“
    Narrow knirschte unbewusst mit den Zähnen und stemmte die Kiefer gegeneinander. Der Anblick der wachsenden Blutlache brannte sich allmählich in seine Netzhaut und während Teds Geheul in seinen Ohren widerhallte stieß er leise hervor: „Einverstanden.“
    „Wie war das?“, fragte Darryl. „Ich hab' dich nicht ganz verstanden. Wiederhol' es doch bitte. Lauter!“
    „Einverstanden! Verdammt, einverstanden! Ich zeige dir, wo die Energiezelle versteckt ist.“ Zwei kräftige Hände packten ihn und zerrten ihn auf die Beine. Es war einer der Typen, die die Ausgänge bewacht hatten.
    „Na großartig“, feierte Darryl „Geh nur munter voran. Und ihr anderen behaltet den Rest im Auge. Kümmert euch um den Jungen und lasst die Finger von Stirlings Töchterchen, verstanden? Sollte ich mich in fünf Minuten nicht melden, dann lasst den Kleinen verbluten. Beta? Du kommst mit!“
    „Sir“, schaltete sich Omega erneut ein. „Ist das wirklich klug, sollten wir nicht lieber-?“
    „Wie oft soll man dir noch sagen, dass du dein Maul zu halten hast, hm? Bloß keine Sorge. Schließlich ist keiner von uns ein Riesenghoram!“ Laut gackernd und mit der Luger in der Hand trieb Darryl Narrow voran. Mit Beta im Schlepptau verließen sie die Kantine.

  • Kopfkino pur *schwelg :thumbsup:
    Und genial geschrieben. Du bringst mal wieder die Chars sehr schön rüber und lässt gekonnt in die Gespräche ein paar Infos einfließen. Mehr!! :D

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Ich kann melli nur zustimmen. Ein super Teil, bei dem man einfach nicht anders kann, als mitzufiebern. Mann...mann...mann ... finstere Gestalten. Ich fragemich echt, wie die aus der Geschichte wieder herauskommen wollen. :hmm:
    Die Charaktere sind wieder super dargestellt und Narrow macht mir fast schon etwas Angst mit seiner gespielten Sicherheit. ^^

    LG, Kyelia

  • Ach daher der Name One-Shot, weil er das Biest getötet hat. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, woher der Name wohl kommt. Rätsel gelöst, einige weiter neu hinzugefügt. Spitze, wie die anderen auch schon angemerkt haben.
    Auch wenn Ellie jetzt die Rübe dröhnen wird, wir sind zum Glück noch am Anfang der Geschichte. Also warte ich mal ab, welches Ass Narrow im Ärmel hat.

    "Sehe ich aus wie einer, der Geld für einen Blumentopf ausgibt, in den schon die Pharaonen gepisst haben?"

  • Wow 8| Wo ist Ellie da nur rein geraten?
    Die hat sich sicherlich auch was Besseres erträumt ^^°
    Aber der Name Stirling scheint ja bekannt zu sein, zumindest in dem teil der Galaxie. Ich hoffe die kommen nicht auf blöde Gedanken noch mehr zeug mit Ellie anzustellen. Erpressung oder sonst was ... X/

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • [Elenora]

    „Gamma, kümmer‘ dich um den Kleinen“, hörte sie Alphas unumstößlichen Befehl, als Darryl mit Beta und Narrow verschwunden waren, „Er soll uns nicht zu früh abkratzen.“
    „Ja, Sir“, Gamma verließ leicht humpelnd seinen Wachtposten an einer der beiden Eingangstüren zur Crewkantine und trat zu Ted herüber, um ihn notdürftig zu versorgen. Während Ellie verborgen unter ihren blutgetränkten Locken und vor Schmerzen leise keuchend, die Situation zu erfassen versuchte, bemerkte sie am Gürtel Gammas ein paar Handschuhe. Ihre TK-Gloves. Womöglich hatte ihm die Kraft so sehr imponiert, dass er die Handschuhe direkt für sich beschlagnahmt hatte. Die Gründe kümmerten Ellie allerdings nicht wirklich. Wichtig war, dass sie in Reichweite und ihre Hände ungefesselt waren.
    Ihr ohnehin schon rasendes Herz beschleunigte sein Tempo nochmals um das Doppelte und drohte ihr gar aus der Brust zu springen. Die pochenden Schmerzen an Kiefer, Nase und Stirn drängte sie mühselig in den Hintergrund. Auch dass eines ihrer Augenlider immer mehr anschwoll, ignorierte sie angestrengt. In ihren Hirnwindungen formte sich zäh ein Gedanke. Ein dummer Gedanke? Das würde sich wohl demnächst zeigen. Tief durchatmend versuchte sie einen klaren Kopf zu bekommen, als ihr Narrows Worte wie ein finsteres Echo durch die Erinnerung hallten: „Dieses Mädchen bedeutet mir nichts... möglichst billiger Mechaniker… brauche sie nicht mehr…“
    Trotz keimte in ihr auf. Warum sollte sie überhaupt einen einzigen Finger krümmen? Die Zelle konnte ihr doch verdammt nochmal egal sein…
    Nach einigem Schweigen und immer wiederkehrenden Schmerzlauten des Jungen, schaltete sich Omega ein und richtete seinen Blick auf den Anführer: „Was passiert eigentlich mit ihnen, wenn wir die Zelle haben?“
    Alphas raubtierhaftes Grinsen, das nur für einen Augenblick durch die Maske hindurchschimmerte, ließ Ellie noch mehr verkrampfen.
    Natürlich lassen wir sie frei. Wir wären ja grausam, wenn wir sie alle umlegen würden!“
    Omega zögerte merklich und wandte seinen Blick in Richtung Gamma, der zwei Schritte entfernt einen Gürtel um den Oberschenkel des wimmernden Piloten band und den Blutfluss vorübergehend stoppte.
    „Verstehe. Wenn wir sie also ohnehin alle umlegen-“, Omega wandte sich wieder Alpha zu, der ihn nur abwartend ansah, „Warum tun wir es nicht gleich? Je länger die drei hier am Leben sind, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass hier irgendetwas schieflaufen wird.“
    Alpha breitete die Arme aus und deutete ausschweifend auf die drei Gefangenen. „Wenn du sie umlegen willst, bitte. Niemand steht dir im Weg, Russel, aber ich erinnere dich gern an das, was mit Sig‘ passiert ist, als er Befehle von King missachtete und wie du weißt, hat Sig-“, wieder grinste Alpha hämisch unter der Maske, „Den Kopf verloren und bekam so zu sagen unfreiwillig einen neuen Blickwinkel verpasst.“
    Gecko schluckte schwer und suchte zögerlich und unauffällig Ramirez‘ Blick. Dieser starrte allerdings finster gerade aus und schien sich schwer am Riemen zu reißen um nicht auszurasten. Sie hustete leise und wollte damit seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Es gelang zwar, doch auch Alpha hatte es vernommen und war ohne Umschweife an sie herangetreten. Ihr Herz rutschte in Richtung Hosenboden, als sie seinen forschenden Blick auffing. Er kniete sich nach kurzem Zögern vor ihr nieder und strich ihr absurd liebevoll ein paar klebrige Locken aus dem Gesicht.
    „Eine Schande“, sprach er sanft mit einem Kopfschütteln, während er ihre Verletzungen betrachtete, „Ich hab‘ dich wirklich nicht gern geschlagen, das darfst du mir glauben. Dass nicht du, sondern der Junge Jones‘ Schwachstelle ist, hätte ich nicht gedacht. Naja, jeder macht mal Fehler, was?“ Er wandte sich gen Omega und richtete sich zu voller Größe auf, „Stirling sähe sein Töchterchen nicht gerne so besudelt. Bring mir’n paar Tücher und ’ne Schüssel voll Wasser.“
    „Aber Boss, wenn du sie nachher ohnehin umlegst-“
    „Vorwärts!“, brüllte Alpha zornig und baute sich vor seinem Untergebenen auf, bis dieser schnaubend klein bei gab, sich in Richtung Küche begab und dort begann einige Schubladen und Schränke zu durchsuchen. Während Omega bei seiner Tätigkeit von Alpha finster beobachtet wurde, sah Ellie wieder heimlich zu Ramirez.
    Sein Blick fragte deutlich alles in Ordnung? Sie nickte kaum merklich, auch wenn die Antwort im Anbetracht ihres zerbeulten Gesichts ziemlich unglaubwürdig rüberkommen musste. Siehst du meine Handschuhe? Ellie deutete mit einem dezenten Kopfnicken auf Gammas Gürtel. Ramirez nickte kaum merklich. Dann zögerte er, als er offenbar begriff.
    Mach kein‘ Scheiss! In seinen Augen spiegelte sich die deutliche Warnung wider und er schüttelte mit stechendem Blick ansatzweise den Kopf.
    Gecko wandte verbissen das Gesicht ab. Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment richtete Alpha seine Aufmerksamkeit erneut auf sie. Diesmal mit einem feuchten Tuch bewaffnet. Er kniete sich abermals vor sie, hob ihr Kinn mit seinen schaufelgroßen Händen und sah sie wieder mit diesem ekelhaft sanften Ausdruck in den Augen an, der hinter dieser Totenkopfmaske einfach nur verrückt wirkte. Ein kalter Schauer jagte über ihren Rücken. Dieser Typ war eindeutig wahnsinnig.
    „Halt‘ still, Schätzchen. Das haben wir gleich“, und auch wenn er grob und finster wirkte, ging er diesmal überraschend behutsam mit ihr um und wischte ihr sorgsam das Blut aus dem Gesicht. Omega hatte sich mit verschränkten Armen hinter ihm aufgebaut und beobachtete das Geschehen sowohl verwirrt als auch merklich missbilligend.
    „Sag‘ mal, Stirling. Was ist das hier eigentlich zwischen dir und dem Protz da“, mit einem Kopfnicken deutete er gen Ramirez. Ellie presste unweigerlich die geschundenen Lippen aufeinander. Nach ein paar Sekunden des Schweigens, fuhr Alpha fort, „Ist er dein Stecher oder was? Rastet hier aus, wenn ich mit dir arbeite und dann gleichwohl wenn ich dich wieder zurecht machen will.“
    Gecko schüttelte den Kopf langsam, wandte das Gesicht ab und atmete langsam durch. Eigentlich hatte sie sich das auch schon gefragt. Ramirez hatte bisher keine Gelegenheit ausgelassen um sie blöd hinzustellen und zu beleidigen und jetzt hätte er gar Prügel für sie eingesteckt, wenn er gekonnt hätte.
    „Ich würde nur zu gern sein Gesicht gesehen, wenn ich so richtig Hand an dich lege.“
    Ihr gefror das Blut in den Adern und ihre Augen huschten aufgerissen zurück in Alpas Schädelgesicht, „Aber ich nehme Kings Anweisungen ernst. Die Finger von Stirlings Töchterchen lassen. Vorerst.“
    Ein tiefes Knurren kam von Ramirez und aus seinen Augen sprach der blanke Hass. Vergeblich versuchte er den Knebel loszuwerden, doch es gelang ihm nicht. Er saß zu fest.
    „Hey Russel, gib ihrem Liebhaber mal die Gelegenheit, sich mitzuteilen“, feixte Alpha mit einem gehässigen Grinsen und erhob sich.
    Kaum war Omega an ihn herangetreten und hatte das Tuch entfernt, ergoss sich eine von Abscheu triefende Kette aus fremdländischen Fluchworten aus seinem Mund, dass Alpha und Omega ihn einen Moment verblüfft ansahen.
    Ellie erkannte den perfekten Moment und nutzte die Sekunden der Unaufmerksamkeit aus. Sie sprang blitzartig auf und griff nach Alphas Waffe, welche er in seinem Hüftholster trug. Alarmiert schnellte er herum, doch es war bereits zu spät. Sie hatte aus nächster Nähe abgedrückt und durch den plötzlich aufkommenden Schwindel eher unabsichtlich direkt seinen Schritt getroffen. Jaulend ging er zu Boden und fiel der Betäubung zum Opfer. Ohne auch nur einen Wimpernschlag zu warten, zielte sie fahrig auf Omegas Brust, der sich gerade erschrocken erheben wollte und drückte ebenfalls ab. Zum Schluss feuerte sie in Richtung desjenigen, der sich um Teds Bein gekümmert hatte. Er, der ihre Handschuhe am Gürtel trug! Gamma hechtete jedoch geistesgegenwärtig im letzten Moment bei Seite und ihr Schuss traf stattdessen den Jungen. Ted blickte sie einen Moment lang verblüfft an, dann fiel auch er der Bewusstlosigkeit anheim.
    „Deckung, Ellie!“, brüllte Ramirez. Wie auf Kommando gaben ihre Beine nach. Sie brach hinter dem Esstisch zusammen und kam hart auf dem Boden auf. Der gelbglühende Betäubungsschuss zischte dabei knapp über ihre lockige Mähne hinweg. Zwischen den Tischbeinen hindurch konnte sie verschwommen die Stiefel des Angreifers ausmachen… ohne Rücksicht auf Verluste zerrte sie nun unaufhörlich am Abzug und ließ eine schier endlose Salve unter der Deckung hervorschießen. Von weit her hörte sie irgendwann Ramirez, der eindringlich auf sie einredete.
    „Hey. HEY! Er ist erledigt! Jetzt reiß dich zusammen!“
    Von Adrenalin geflutet schaffte sie es endlich, ihren Finger zu bremsen. Während ihre Rechte den Griff der Waffe ruhig aber energisch umklammerte, bebte ihre Linke, als leide sie an einer starken Nervenkrankheit. Ihr Atem ging rasselnd und kein Körperteil wollte ihr mehr so recht gehorchen. Neben dem Schwindel überkam sie nun auch eine plötzliche Übelkeit, bei der sie sich nur schwer beherrschen konnte, sich das Frühstück nicht nochmal durch den Kopf gehen zu lassen.
    „Bind mich los, Mädchen, bevor die Typen zurückkommen. Beeil dich!“
    Nein. Erst die Handschuhe, schoss es durch die wirbelnde Leere in ihrem Kopf.

    3 Mal editiert, zuletzt von Chnorzi (1. Juli 2016 um 20:36)

  • Wie es in dieser Geschichte abgeht, ich könnte nur schwärmen :D Ich glaube langsam, ihr habt Zugriff auf einen unveröffentlichten Blockbuster und schreibt einfach die Szenen auf xD

    Mir hat übrigens das Wort Pronto in diesem futuristischen Setting nicht so gefallen.

    Zitat von Chnorzi

    „Ellie. Hör‘ auf, er ist bewusstlos, du hast ihn erwischt. Mehrmals. Gecko! Jetzt reiß dich zusammen!“

    Dieser Satz passt irgendwie nicht so recht in die Hektik, zu viele Wörter. Blau würde ich überdenken, durchgestrichen löschen. Ist aber nur ein Gedanke dazu^^

    Sonst nichts zu maulen, außer, dass die Fortsetzungen viel zu lange auf sich warten lassen.

    "Sehe ich aus wie einer, der Geld für einen Blumentopf ausgibt, in den schon die Pharaonen gepisst haben?"

  • ui ... ich glaube das wird Ramirez so gar nicht passen, dass Ellie erst ihre Handschuhe zurück haben will ^^
    Aber Ramirez scheint Ellie zu mögen oder zumindest Anstand zu haben ...
    Ich hoffe nur, dass Narrow und seine Crew den Pennern die Eier abschneiden und mit ihren Augen Platz tauschen lassen :girl_devil:

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • @Wysenfelder: Das mit dem "Pronto" hat mich am Ende auch gestört. Vorallem weil ihr schon das "Fuck" bemängelt hattet. Aber mir kam beim besten Willen nichts Passendes in den Sinn... :( Vorschläge?

    Und an dem einen Satz hab ich noch gebastelt, danke für den Hinweis. So gefällts mir auch besser:

    Zitat von Chnorzi

    „Hey. HEY! Er ist erledigt! Jetzt reiß dich zusammen!“

    @Miri: Ramirez ist bis jetzt noch nicht so durchsichtig, aber ihr werdet sicher bald noch mehr über ihn erfahren ^^ Und was die anderen betrifft! Die bekommen noch ihr Fett weg, keine Sorge, hähä

    Ich bin richtig happy, dass unsere Geschichte Anklang findet! Man kann das nie genug betonen :love: Danke auch für die Kritik!

  • eben dem Schwindel überkam sie nun auch eine plötzliche Übelkeit, bei der sie sich nur schwer beherrschen konnte, das Frühstück sich nicht nochmal durch den Kopf gehen zu lassen.

    ...beherrschen konnte, sich das Frühstück nicht.....


    Super spannend. Alpha ist ja ein richtiger Psycho. Ich hoffe, es geht hier schnell weiter.
    :stick:

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Was für eine geniale Szene. Irre :thumbsup:
    Und ich bin froh, dass die Typen erstmal außer Gefecht sind. Abartig...
    Ich hoffe, die bekommen noch richtig den Hintern aufgerissen...und zwar bis zum Hals. :cursing:
    Sehr gut. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass Narrow auch noch eine Lösung findet. ^^

    LG, Kyelia

  • @Wysenfelder :

    Zitat von Chnorzi

    "(...) Bring mir’n paar Tücher und ’ne Schüssel voll Wasser. ("Aber pronto"-gelöscht)"
    „Aber Boss, wenn du sie nachher ohnehin umlegst-“
    „Vorwärts! (anstatt pronto)“, (...)

    Ich bin immer noch nicht ganz glücklich damit, aber ich lass es vorerst mal so. So wie ich mich kenne, gehe ich diese Konversation jetzt tagelang im Kopf durch, bis mir eine passende Formulierung einfällt. In der Regel vergess ich sie nach ein paar Minuten wieder, aber wenn ich schnell genug bin, schaff ich es, vorher mit Bleistigt und Papier Teile der Idee zu retten! :D

    Zitat von melli

    ...beherrschen konnte, sich das Frühstück nicht.....

    Ist schon länger korrigiert, habs nur nicht mehr geschafft, die Antwort zu schreiben und mich für den Hinweis zu bedanken! Darum: Herzlichen Dank ^^ Maxwell ist mit dem nächsten Teil schon fleissig bei der Arbeit. Am Wochenende gehts bestimmt weiter! Cliffhanger sind ätzend, ich weiss :D

    Zitat von Kyelia

    Ich hoffe, die bekommen noch richtig den Hintern aufgerissen...und zwar bis zum Hals.

    Keine Sorge, da wird am Ende ein Allianz-Kreuzer drin wenden können. :grinstare:

  • [Narrow]

    „Ich bin neugierig, One-Shot“, begann Darryl King hinter ihm, „Warum hast du dich beim letzten Winshunkturnier nicht blicken lassen, hm? Ich habe die Teilnehmerliste im Vorfeld genau studiert, aber deinen Namen vermisst. Glaubst du mit einem Sieg so unnahbar zu sein, dass ein weiteres Kräftemessen unter deiner Würde wäre? Oder fürchtest du dich davor deinen Titel an jemand Besseren zu verlieren?“ Narrow ließ sich auf keine Provokation ein. Den wahren Grund für seine Teilnahme am Turnier behielt er für sich, schon allein weil jemand wie Darryl King es nie verstehen würde.
    „Ist halt langweilig, wenn es keine ernsthafte Konkurrenz gibt“, antwortete Narrow stattdessen. „Du kennst das doch sicher. Wo bleibt der Spaß, wenn man so viel besser ist, als alle anderen?“ Jeder Gang, den sie durchquerten, glich dem vorigen. Treppen und Leitern führten auf und ab – immer tiefer hinein in die Eingeweide der Sim-80. Bald schon hatte der Capt'n die Orientierung verloren und führte die kleine Gruppe blindlings durch halbdunkle Schläuche aus Gittern und Rohren, Kupfer und Eisen.
    „Drollig“, entgegnete Darryl säuerlich, „äußerst drollig. Doch im Ernst: Ich fürchtete, du wolltest mich meiner Revanche berauben. Dabei hatte ich alles bis ins Detail geplant. Sogar die Spielleitung habe ich bestochen, um herauszubekommen, was die Teilnehmer im Einzelnen erwartet. Und wofür all das?“
    „Du hast wahrscheinlich gewonnen“, riet Narrow.
    „Gewonnen? Hah! Ein Spaziergang ist es gewesen. Kein Sieg, den die Menge bejubelte. Kein Sieg, der sich ihnen ins Hirn brannte, in die Geschichtsbücher einging, sie zum Staunen brachte. Kein Riesenghoram, der in letzter Sekunde mit einem einzelnen verfickten Schuss erlegt wurde.“
    „Es war eine Riesenghoramkuh“, erwiderte Narrow trocken. „Die Männchen sind kleiner.“
    Stille folgte, nur durchbrochen von ihren Schritten, die von den metallenen Wänden hallten. Dann befahl Darryl plötzlich. „Stopp!“
    Narrow wandte sich verwundert um. „Weswegen?“
    Darryls Gesicht hatte sich verfinstert. Schatten waren unter seine Wangenknochen gezogen, hatten sich in seinen Mundwinkeln und unter den Brauen eingenistet. „Die fünf Minuten sind um“, meinte er kalt und griff nach einem kleinen Funkgerät auf seiner Schulter. „Alpha? Kommen Alpha!“
    Die Gedanken rasten. Narrow hatte seiner Crew zwei Typen abgenommen, doch drei Schergen waren zurück geblieben. Gefesselt hatten Ramirez und Ellie keine Chance und Ted war bereits ausgeknockt. Also blieb es bei ihm selbst, etwas zu unternehmen. Bloß was?
    „Moment mal. Wir sind gleich da. Die Zelle ist gleich dort...“
    Darryl hob die PX9 und schüttelte den Kopf. „Dafür ist es nun zu spät.“ Wieder am Walkie-Talkie: „Alpha! Verdammt, benutz dein scheiß Mikro!“
    Der Blick des Capt'ns glitt zu Beta, der nur einen Meter von ihm entfernt stand. Mit einem großen Schritt wäre er bei ihm, könnte ihn entwaffnen und abdrücken. Doch hätte Darryl dann genug Zeit zu reagieren. Und die Luger verschoss keine Betäubungsmunition. Also was sonst? Aufgeben? Ihnen die Zelle überlassen, damit außer Mike nicht noch mehr starben? Wenn er statt Beta Darryl zuerst angriff...
    „... hinter der Tür“, beendete Narrow seinen Satz. „Gleich hier drüben. Und wenn...“
    Der Lauf der Luger presste sich ihm gegen die Stirn. „Noch ein Wort von dir One-Shot. Nur noch eine Lüge und du wirst lernen, wie sich deine Kuh gefühlt hat, als du ihr die Kugel zwischen die Augen...“
    „Hallo, Arschloch!“, unterbrach ihn eine Stimme aus dem Funkgerät. „Nein, Alpha ist nicht mehr da. Und auch sonst keiner mit lustigem Namen. Nur wir. Und wir kommen, um dir den Arsch aufzureißen!“
    Ramirez! Dachte Narrow und gestattete sich ein schmales Lächeln.
    „Fuck!“, entfuhr es Beta, der umdrehen wollte und schon in die Richtung stürmte, aus der sie gekommen waren. Da pfiff Darryl ihn zurück. „Hier geblieben!“ Seine Stimme knallte wie eine Peitsche. Langsam und ohne den Blick von Narrow zu nehmen, steckte er die Luger zwischen die Riemen seiner Ausrüstung und zog das Messer. Blitzschnell sprang er vor, stieß Narrow gegen die Wand und hielt ihm die Klinge an die Kehle. „Hör mir gut zu“, sprach er leise und ruhig ins Funkgerät. „ Ich werde deinen geliebten Captain gleich ganz langsam vom Nabel bis zum Haaransatz aufschlitzen. Du kannst das unterbinden, wenn du mich mit Alpha sprechen lässt. Hast du das verstanden?“ In seinen blassen Augen spiegelte sich flammender Wahnsinn wieder. „One-Shot“, säuselte er, „du kennst mich. Sag deinem treudoofen Köter, wie ernst meine Drohungen zu nehmen sind.“ Er neigte die Schulter etwas näher an Narrow heran.
    „Bull“, begann der Capt'n und leckte sich die trockenen Lippen. Er ließ zwei Atemzüge verstreichen ehe er fortfuhr: „Hier warten noch zwei Lämmer auf die Schlachtbank.“
    „Aye!“
    Der Schlag beförderte ihn mit ungeheurer Wucht zu Boden. Ein zuckender Schmerz öffnete ihm die Wange, wurde aber rasch vom dumpfen Aufschlag übertrumpft.
    „GLAUBST DU ICH MACHE WITZE!“ Darryl war über ihm und packte ihn an den Haaren. „HÄLST DU DAS FÜR EINEN SPAß?“ Das Messer kratzte ihm erneut über den Hals. „Ich werde dich ausbluten lassen“, zischte Darryl Narrow ins Ohr. „Wie eine Sau.“
    Um die zahlreichen Leitern im Schiff erklimmen zu können, mussten sie Narrows Hände etwas lockerer vor seinem Körper fesseln. Dies kam ihm nun zu Gute. Er stemmte sich mit aller Kraft gegen seinen Widersacher und riss sich von ihm los. Doch King ließ seine Beute nicht auf die Beine kommen, sondern war bereits wieder über ihm. Diesmal versetzte Narrow ihm ein paar heftige Tritte. Der Jäger ging zu Boden. Da mischte sich Beta ein und hob schon den Kolben seiner Waffe, doch Narrow huschte darunter hindurch, warf sich gegen den Soldaten und riss ihn mit sich runter. Im Handgemenge ergatterte Narrow die Pistole des anderen und drückte ab. Beta zuckte kurz, alle Glieder von sich gestreckt, und blieb dann reglos liegen. Schon wirbelte der Capt'n herum, wo Darryl ihn mit einem saftigen Tritt mitten ins Gesicht erwartete.
    Das Schiff erbebte urplötzlich und sie alle drei machten einen Satz in die Luft, nur um gleich darauf wieder hart auf dem Boden zu landen. Die Notbeleuchtung flackerte.
    Ein zweiter Schlag ließ die Wände erzittern, dann folgte ein dritter. Narrow hatte beinah sein ganzes Leben auf Raumschiffen verbracht – er wusste, wie sich ein Beschuss anfühlte. Selbst Darryl hatte es auf den Allerwertesten befördert. Das Messer noch immer in der Hand, fingerte er an seinem Funkgerät herum, aus dem erst Rauschen, dann eine wütende Stimme drang:“... mich gehört? Beim nächsten Mal treffe ich deine Sauerstoffversorgung oder blase dir deine Brücke unterm Arsch weg! Hörst du, McCardiff? Das geschieht, wenn man versucht Rokhar Flynt zu verscheißern.“
    Räuber und Piraten gab es über die gesamte Galaxie verteilt. Die meisten waren harmlos, bedrohten reiche Händler, um etwas von ihrem Gewinn abzuzwacken und schossen dann unter lautem Getöse davon. Immer darauf bedacht nie lange genug an einem Ort zu verweilen, damit die Allianz sie nicht aufspüren konnte. Nur wenige waren einer Erwähnung wert und noch viel weniger säten Angst und Schrecken. Der Rote Korsar hingegen war allseits ein Begriff.
    „Jetzt hörst du mir mal zu“, knurrte Darryl ins Walkie-Talkie. „Dieses Schiff gehört nicht mehr McCardiff und er ist auch nicht an Bord. Also hör auf mich zu beschießen und...“
    „Wer bei den dunklen Monden von Yaris spricht da?“, wollte Flynt wissen, wobei es ihm ziemlich schwer zu fallen schien, in Basis zu sprechen. Sein Ton war stark vom schweren Akzent der Gunaari durchtränkt. Finstere Wesen mit finsterem Gemüt.
    „Es spielt keine Rolle, wer ich bin. Wichtig ist nur, dass dieses Schiff mir gehört und wenn du...“
    „Ein Haufen Schrott gehört dir, wenn ich mit der alten Lady fertig bin. Ich hatte einen Deal mit McCardiff. Hab ihn nur am Leben gelassen, weil er ein vielversprechender Geschäftsmann zu sein schien. Doch mich zu betrügen war sein dümmster und letzter Fehler.“ Dann folgten einige Laute und schnarrende Geräusche, die die Sprache der Gunaari bildeten, und der Empfang brach ab.
    Darryl fluchte. Doch als Narrow versuchte sich aufzurichten, war King sofort bei ihm, warf ihn nieder und presste den Schuh auf die Kehle des Capt'ns.
    „Wo ist die Zelle?“, fragte er. „Wo ist sie? WO IST DIE ZELLE?“
    Der Luftmangel tauchte die Welt in ein diffuses Licht, ließ die Konturen verschwimmen und alles ineinander laufen. Schwarze Flecken explodierten vor seinen Augen, die Geräusche zerflossen zu einem hektischen Rauschen. Den weiteren Beschuss bekam er kaum mit. Erst als sich Darryls Fuß von ihm löste und Luft seine gierigen Lungen flutete, wurde die Welt wieder klarer. Und damit auch der Schlamassel, in dem er steckte. Hustend robbte er sich an den reglosen Beta heran, während sich hinter ihm Kings schwere Stiefel rasch entfernten.
    Feige Ratte...
    Der Boden unter ihm vibrierte bei jedem Treffer, den der Rote Korsar auf seine leichte Beute abgab. Die Lampen flackerten und erloschen zeitweise ganz. Narrow riss dem Bewusstlosen das Funkgerät von der Schulter und brüllte hinein: „Bull! Bull?! Ramirez, ich bin's. Der Capt'n!“
    „Row!“, knarzte es zurück. „Was ist hier los? Wir werden beschossen!“
    Klugscheißer!, dachte Narrow. „Gib mir Ellie!“
    „Was? Aber Row, wir werden beschossen, verdammt! Warum...?“
    „ELLIE!“, wiederholte Narrow. „Verflucht nochmal, gib sie mir endlich!“
    Einen quälend langen Moment später war es eine weibliche Stimme, die ihm antwortete: „Gecko hier, was ist hier los?“
    Ein weiterer Schuss schüttelte die Rostlaube ordentlich durch. „McCardiff!“, brüllte er. „Du kennst ihn. Hatte er irgendetwas Besonderes an sich? Eine besondere Art und Weise zu sprechen? Etwas, woran man ihn wieder erkennen würde?“
    Zum Glück war das Mädchen so schlau nicht dreimal nachzufragen, warum er das denn wissen wollte. Stattdessen, nach einigen Sekunden Bedenkzeit und zwei weiteren Einschlägen, die ein paar der Lampen in Funkenschauern aufgehen ließen, antwortete sie: „Er ist sehr von sich selbst eingenommen. Redet mit dir, als wenn du den Dreck an seinen Schuhen nicht wert wärest. Außer du bist sein Geschäftspartner, dann küsst er dir die Füße. Ach, und außerdem kommt er von einem Planeten aus den zentralen Kolonien. Du weißt ja, wie die dort reden...“
    Ja, das wusste er, damit konnte er etwas anfangen. „Sag Ramirez, er soll Ted rauf auf die Brücke bringen. Ich treffe sie da. Und du gehst runter in den Maschinenraum. Bring die Kiste wieder zum Laufen! Schaffst du das?“
    Diesmal zögerte sie nicht: „Natürlich!“
    Narrow kämpfte sich auf die Beine, suchte Halt an der Wand und schlurfte an ihr entlang in Richtung Brücke. Darryl war weit und breit nicht zu sehen.
    Während er sich voranschob, suchte er am Funkgerät nach dem richtigen Kanal und rief dann mit verstellter Stimme hinein: „Hier McCardiff! Rokhar, alter Freund, was soll das? Ich dachte, wir hätten eine Abmachung?!“
    Ein weiterer Schuss erwischte die Außenhülle und Narrow sah seinen fragilen Plan schon in sich zusammenstürzen, da umhüllte ihn unheimliche Stille. Bis der Rote Korsar antwortete: „McCardiff, bist das wirklich du? Wo ist der Spinner von eben?“
    „Ach das“, winkte Narrow zügig ab. „Nur ein Verrückter. Ein ängstlicher Unteroffizier, der sich wichtignehmen wollte. Ich habe ihn... aus dem Weg geschafft.“ Er erklomm eine Leiter zur nächst höheren Ebene.
    „Dein Personal ist der letzte Rotz!“, spie Rokhar seine Worte aus. „Aber was sollte man anderes von einem Verräter erwarten?“
    „Verräter?“, spielte Narrow den Entrüsteten. „Ich habe mich strikt an unsere Abmachung gehalten – ich bin Geschäftsmann!“
    „Ach ja? Und warum warst du dann nicht am vereinbarten Treffpunkt?“
    „Du siehst ja in welchem Zustand mein Schiff ist. Ich war auf den Weg zu dir, doch dauerten die Reparaturen länger als erwartet.“
    „Du fliegst in die entgegengesetzte Richtung!“
    „Ich musste einer Allianzpatroullie ausweichen.“
    „Auf dreitausend Sik?“
    „Mein Pilot war billig zu haben.“
    Ein Grollen drang aus dem Funkgerät. Glücklicherweise hatte Narrow endlich die Brücke erreicht, wenngleich das reinem Glück zu verdanken war. Ramirez war mit Ted auf dem Arm ebenfalls eingetroffen.
    „Was ist mit ihm?“, fragte Narrow.
    „Betäubungsschuss““, antwortete der Bulle. „Keine Sorge: seine Wunde ist vorerst versorgt.“
    „Und die anderen Typen? Alpha und der Rest?“
    „Habe ich in den Kühlraum gesperrt. Der lässt sich nur von außen öffnen.“ Ein zufriedenes Grinsen umspielte Ramirez' Lippen.
    Narrow nickte und gestikulierte in Richtung Pilotensitz. „Wir müssen den Jungen wach bekommen.“
    „McCardiff...“, meldete sich Rokhar Flynt erneut, „meine Geduld ist überstrapaziert. Entweder du hast noch irgendetwas Nützliches zu sagen, oder...“
    „Aber klar doch! Natürlich...“, versicherte Narrow im Brustton der Überzeugung. „Dein Geld. Dein versprochener Anteil. Deswegen bist du doch hier, nicht wahr?“
    Ramirez verfrachtete Ted in den Sitz, begutachtete die Wunde und sah sich dann im Raum um. Sein Blick fiel auf die beiden Commandos, die Narrow zuvor erschossen hatte.
    „Nein nein nein, ich bin nicht wegen meines Anteils hier“, war die Antwort des Roten Korsaren und sein Tonfall gefiel Narrow überhaupt nicht. „Erstens steht mir dein gesamter Gewinn zu, als Tilgung deiner Schuld.“
    „Schuld? Welche Schuld sollte ich mir denn bitteschön aufgelastet haben?“
    Ramirez war offenbar bei einem der beiden Gefallenen fündig geworden. Jedenfalls spurtete er mit etwas kleinem in der Hand zurück zu Ted.
    „Du hast mich betrogen, McCardiff. Wage es nicht, das auch nur noch ein einziges Mal zu leugnen!“
    „Also schön, na gut. Du hast Recht. Mein gesamter Gewinn soll dir gehören, doch damit wären wir dann quitt, oder etwa nicht?“
    Mit einem Mal bäumte sich Ted wie vom Blitz getroffen auf und sah sich irritiert um. „Wo bin ich?“
    „Ist schon gut, Junge“, meinte Ramirez, klopfte ihm auf die Schulter und wandte sich dann wieder den toten Commandos zu um sie ihrer Waffen zu entledigen.
    Narrow stellte sich neben den Pilotensitz. „Alles gut? Gehts wieder?“
    Noch immer blassfahl und mit müden Augen sah Ted erst zu ihm auf, dann zur Frontscheibe hinaus. „Eine Crowwing“, sagte er halb im Delirium.
    „Was?“
    „Da“, er zeigte raus ins All. „Die V12 Alpha Wing von GalaX. Wegen ihrer unüblichen Form gerne auch Crowwing genannt.“
    Tatsächlich schwebte nicht weit von ihnen ein halbmondförmiges Schiff, dessen schwarzer Lack es im Dunkel des Weltraums fast unsichtbar erscheinen ließ. Das Schiff des Roten Korsaren. Und in diesem Moment trennte sich ein kleineres Landungsboot von ihrem Rumpf.
    „Mach dir keine Mühe“, begann Rokhar Flynt, „dir den Kopf darüber zu zerbrechen, welche Fehler du begangen hast und welche Schulden aufgehäuft wurden. All das wird sehr bald keine Rolle mehr spielen. Das verspreche ich dir.“
    Ramirez lud eine der Waffen durch. Ein Gurt mit Blendgranaten hing ihm über der Schulter. „Diesmal überraschen sie uns nicht.“
    Nein, dachte Narrow, dennoch werden sie uns haushoch überlegen sein. Sowohl was ihre Bewaffnung, als auch Mannstärke anbelangt.
    Ein tiefes Brummen erfasste das Schiff. Es drang tief aus seinem Inneren, ähnlich wie das Magengrollen eines gewaltigen Biestes. Lichter sprangen an, Lämpchen glühten auf und Bildschirme erglommen. Ellie!
    Sofort wandte sich Narrow an Ted: „Starte die Karre und flieg uns hier weg!“
    Der Junge schüttelte den Kopf. „Daraus wird wohl nichts, Capt'n.“
    „Wie? Warum nicht?“
    „Die Crowwing ist zu schnell für uns und ihre Bewaffnung zu stark. Wenn die wollten, könnten sie uns in kürzester Zeit in Stücke reißen. Aber... dennoch...“ Sein Blick erhellte sich mit einem Mal und er befestigte seinen Sicherheitsgurt. „Alle Mann anschnallen.“
    „Was hast du vor?“, fragte Narrow, setzte sich auf den Platz des Co-Piloten und tat wie ihm geheißen.
    „Wir sind ihnen in Größe und Masse überlegen“, antwortete Ted, während er die Sim-80 in Bewegung setzte. „Wir rammen sie.“
    Narrow wechselte den Kanal am Funkgerät: „Ellie? Hörst du mich? Wenn du kannst, dann halte dich jetzt irgendwo fest.“

    Einmal editiert, zuletzt von Maxwell (3. Juli 2016 um 13:33)

    • Offizieller Beitrag

    Dann befiehl Darryl plötzlich. „Stopp!“

    befahl

    Wiedermal ein ganz klasse geschriebener Teil. Narrows Kampf hast du gut geschrieben. :thumbup: Dass sie direkt in den nächsten Mist rutschen finde ich super. Und jetzt wollen sie das Schiff rammen? Ob das so eine gute Idee ist? Gut, viele andere Möglichkeiten bleiben ja nicht. :hmm:
    Das Einzige, das mich etwas verwirrt hat, war, dass Darryl plötzlich verschwunden war. Habe mich gewundert, warum er Narrow fröhlich ans Funkgerät reden lässt. Eventuell wäre es besser die Erkenntnis, dass Darryl weg ist, ein paar Sätze weiter vorn einfließen zu lassen. Als er Luft holt zum Beispiel. :hmm:
    Ansonsten super :thumbsup:

    LG, Kyelia

  • Hallo @Kyelia!

    Besten Dank für deine Kritik, habe deine Vorschläge bereits umgesetzt.


    Das Einzige, das mich etwas verwirrt hat, war, dass Darryl plötzlich verschwunden war. Habe mich gewundert, warum er Narrow fröhlich ans Funkgerät reden lässt. Eventuell wäre es besser die Erkenntnis, dass Darryl weg ist, ein paar Sätze weiter vorn einfließen zu lassen. Als er Luft holt zum Beispiel.

    Ist mir beim nochmaligen Lesen auch negativ aufgefallen und ich habe es prompt geändert. So dürfte es verständlicher sein...


    Ansonsten super

    Danköööö!


    Grüße!

  • Kaum sind sie den ersten Ärger "los", kommt der zweite. Es bleibt spannend und ist super geschrieben. :thumbsup:

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • [Elenora]

    Das schlimmste befürchtend, rannte Gecko rüber zum Sicherheitsgurt und wickelte ihn stramm um ihre rechte Hand. Ihre Finger schlossen sich felsenfest um das Band. Keine Sekunde zu früh, denn kaum einen Wimpernschlag später wurde sie brutal von den Füssen gerissen. Ohrenbetäubender Lärm drang durch die Gänge des Schiffes, Metall barst, Nieten surrten wie Querschläger durch die Luft und zu allem Übel spürte sie plötzlich den Sog, der die Luft aus dem Maschinenraum abzog.
    Hüllenbruch?! Nein! Nicht das auch noch!, schrie Ellie in Gedanken auf und richtete ihre freie Linke auf das Sicherheitsschott. Der Handschuh glomm eisblau auf, dann folgte der Impuls und mit einem dumpfen Klong verriegelte das meterdicke Schott den Durchgang. Der Sog war unterbrochen. Vorerst.
    Der gelbe Knopf der Com-Anlage blinkte penetrant, während die Stimme des Captains durch die Lautsprecher dröhnte.
    „Ellie! Wir brauchen ein Kraftfeld um den Bruch zu stabilisieren, beeil dich!“
    „Bin ich Houdini oder was?!“, keifte sie adrenalingeladen durch den Maschinenraum. Noch immer bebte der Boden, doch der Beschuss hatte aufgehört. Sie hielt inne. Erst jetzt begriff sie. Diese üble Erschütterung hatte nicht von einem harten Treffer gerührt, sondern von einer Kollision…
    Kurzentschlossen, mit rasendem Herzen und zittriger Linken stapfte sie zur Com-Anlage und drückte den gelben Knopf energisch.
    „Wehe einer von euch Helden rührt den Antrieb an, bevor ich das Kraftfeld aufgebaut habe! Sonst bricht diese Schrottmühle auseinander und ihr könnt Euch einen Platz bei Theos reservieren!“
    Sie stürmte in Richtung der Steuerkonsole. Nach ein paar Schritten jedoch raubte ihr ein Schwindelanfall das Gleichgewicht und ließ sie stürzen.
    Nicht jetzt… mach jetzt nicht schlapp, Gecko.
    Ihre Schläfen pochten schmerzhaft und das zugeschwollene Auge ließ nicht mehr viel durchblicken. Zudem war sie nicht sicher, ob ihre Nase gar gebrochen war. Jetzt, als sie auf allen vieren auf dem Boden kniete, brach die Welle der Geschehnisse plötzlich gnadenlos über sie herein. Kaum in der Lage das Ganze noch irgendwie zu verdrängen, traten Tränen in ihre Augen und rannen hemmungslos über ihr geschundenes Gesicht.
    „Ellie, reiß dich zusammen!“, donnerte Narrows Stimme durch den Maschinenraum, „Steh‘ auf, wir brauchen dieses verdammte Kraftfeld!“
    Der Gedanke, sich jetzt einfach hinzulegen und hier auf den Tod zu warten, manifestierte sich für einen Moment in ihrem Kopf. Dann riss sie die Augen auf.
    Jetzt schnappst du völlig über! schalt sie sich innerlich und schüttelte dann den Kopf langsam, „Ich mach nich‘ schlapp. Ich mach NICH‘ schlapp!“
    Entschlossen hämmerte sie die Faust auf den Boden und stemmte sich dann - dem Schwindel zum Trotz - langsam und wackelig wieder auf die Beine. Sie brauchten dieses verdammte Kraftfeld, dennoch konnte sie die Tränen nicht zurückhalten, die weiterhin über ihre Wangen rannen.
    Endlich hatte sie das Kontrollpult erreicht. Endlich konnte sie sich abstützen. Endlich hatte sie wieder festen Halt und konnte ihre Hirnwindungen zu etwas anderem gebrauchen als sich emotional gehen zu lassen.
    Erst zittrig und ungelenk, dann zunehmend schneller und beherrschter tippten ihre Fingerspitzen über das Panel. Es dauerte ein paar Augenblicke, dann berührte sie zum Abschluss den Release. Eine Leitung am Reaktor platzte, Funken stoben und kurz darauf erfüllte schwarzer Rauch den Maschinenraum, doch der Schildgenerator schnurrte leise in seiner Ecke und das Beben des Schiffes erstarb.
    „Bei der Mutter aller gottverdammten Schrauben!“, keifte Ellie und packte geistesgegenwärtig den Feuerlöscher. Kurz darauf hallte wieder der rote Alarm durch das Schiff und ließ die Wände erzittern.
    „Was TUST du da?!“, brüllte diesmal Ramirez durch die Lautsprecher.
    „Lasst mich doch EIN Mal meine Arbeit machen und haltet verdammt noch mal den Rand, ich weiß schon was ich tue!“, fauchte sie vor sich hin und hielt mit dem Löschstrahl einige Sekunden genau auf die Rauchquelle, „Nur ‘ne geborstene Kühlleitung. Außer dass uns bald der Reaktor um die Ohren fliegt, wenn ich das nicht schnell repariere, passiert hier nichts Dramatisches!“
    Der Rauch verzog sich und nach einem Druck auf die Notfrischluftpilztaste, wagte sie es sogar wieder vorsichtig tiefere Atemzüge zu nehmen. Auch wenn die Luft nicht ganz so frisch roch, wie die Anschrift unter dem roten Knopf versprach, aber immerhin.
    Leise hustend machte sie sich daran, die Leitung zu erneuern und ließ die Werkzeuge behände über Schrauben, Muttern, Nieten und Lötstellen werkeln.
    Ein Hämmern am Schott holte sie in die Gegenwart zurück. Sie blickte auf und sah, wie Narrow mit grimmigem Gesichtsausdruck am Bullauge einen faustgroßen Gegenstand gegen das Fenster drückte. Wieder polterte er gegen das dicke Metall.
    Tief durchatmend nahm Ellie sich noch die paar Sekunden Zeit, die letzten Schrauben festzuziehen und rutschte dann vom Generator herunter, um mit einem Wink ihres Handschuhes die Sicherheitstür zu öffnen.
    „Am besten schließt du das Ding hinter mir wieder. Irgendwo schleicht sich King herum und ich bin nicht scharf darauf ihm nochmal zu begegnen. Zumal er vielleicht mitbekommen hat, dass ich die Zelle zu dir bringe“, er drehte das zylindrische Metallding zwischen seinen Fingern und schritt auf Gecko zu. Hinter ihm verschloss sich das Schott wieder mit dumpfem Geräusch.
    „Aha?“, erwiderte sie lediglich und mied es, ihm ins Gesicht zu sehen. Stattdessen musterte sie das Ding in seinen Händen. Es schien ihm nicht wohl dabei, es so offen zu zeigen. „Und warum bringst du das Teil hier herunter? Wenn ich so in mich hineinlausche hab‘ ich doch eher das Gefühl, dass ich jetz‘ schon lange genug im Fokus dieser Halsabschneider stand. Nicht dass ich es nicht schmeichelhaft finde, dass du es mir anvertrauen willst-“
    „Klappe.“, fuhr Narrow sie an, sodass sie ihm nun etwas verblüfft ins Gesicht blickte, „Dass du in Schwierigkeiten gerätst, wenn du uns begleitest, war dir schon im ersten Augenblick klar. Wenn du eine Entschädigung oder Entschuldigung erwartest, dann muss ich dich enttäuschen. Das wirst du von keinem von uns erhalten.“
    Grimmig biss Ellie die Zähne aufeinander und schwieg, denn so sehr sich ihr Innerstes gegen seine Worte sträubte, so sehr wusste sie auch, dass er Recht hatte. Sie hatte es gewusst und hatte es in Kauf genommen. Auch wenn ihr Verlangen nach Ärger nun für eine halbe Ewigkeit gestillt sein würde.
    „Ich nehme an, die Fronten haben sich nun geklärt. Kommen wir also zum Punkt. Du musst die Zelle einbauen.“, meinte er knapp und streckte ihr das Diebesgut entgegen. Zögerlich zog sie den rechten Handschuh aus, klemmte ihn hinter den Werkzeuggürtel und nahm es entgegen. Sie drehte und wendete es zwischen den Silikonfingern, doch konnte sie dem Ding schwerlich anmerken, wofür es überhaupt da war. Er musste ihren verwirrten Blick bemerkt haben, da er leicht schmunzelte als er wieder ansetzte.
    „Du kennst die Portstrahler in den verschiedenen Sternensystemen unserer Galaxie?“
    „Logisch“, gab Gecko knapp zur Antwort und begutachtete das kleine Ding weiterhin nachdenklich.
    „Das hier ist dasselbe. Für ein einzelnes Schiff.“
    Sie erstarrte und sah nach einer zähen Sekunde auf.
    „Willst du mich veräppeln?“, waren die einzigen Worte, die sie vor Erstaunen über die Lippen brachte, „Dieses kleine Ding?“
    „Auf die Größe kommt es ja bekanntlich nicht an, was? Allerdings nützt es uns nichts, wenn wir es nicht einsetzen können. Wir haben die Waffenbänke der Crowwing zerquetscht. Laut Ted brauchen die etwa zwei Stunden, bis sie wieder funktionsfähig sind. Bis dahin muss das Teil einsatzbereit sein. Unser Antrieb ist zu lahm, als dass wir ihnen davonfliegen könnten, aber mit diesem Ding wären wir im nächsten Sternensystem, ohne dass sie auch nur den Hauch einer Chance hätten uns einzuholen. Niemand hätte das. Stell dir das vor!“
    „Jetz‘ komm‘ mal wieder runter, Käpt’n“, gab Ellie zögerlich von sich, „Dass ich das Ding einbauen kann, steht außer Frage. Irgendwie bekomm‘ ich das hin, aber das Problem wird sein: Hält diese Schüssel so einen Sprung überhaupt noch aus? Ich weiß nicht, wie übel die Hülle gebrochen ist. Wenn der Schaden zu groß ist, dann zerbricht die Sim und katapultiert unsere Hintern ins All“
    „Das Risiko werden wir eingehen müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir den Sprung überleben ist grösser als einen erneuten Beschuss des roten Korsars.“
    Gecko atmete tief durch und pustete sich eine widerspenstige Locke aus dem geschundenen Gesicht während sie sich abwandte und die Anschlüsse der Zelle genau unter die Lupe nahm.
    „Ihr mit euren zwei Stunden … ich kann dir sagen, Käpt’n. Diesmal kann ich‘s nicht versprechen.“
    „Brauchst du Hilfe?“
    Sie fuchtelte leicht mit der Linken, als wollte sie eine lästige Fliege vertreiben während ihre Hirnwindungen auf Hochtouren ratterten. Nach einigen Sekunden fiel das Schott hinter ihr wieder ins Schloss. Ein Blick zurück verriet ihr, dass Narrow sich wieder entfernt hatte.
    Zwei Stunden, Gecko. Jetzt musst du dich ‘ran halten.

    2 Mal editiert, zuletzt von Chnorzi (18. Juli 2016 um 14:19)

    • Offizieller Beitrag

    Gecko sollte sich nach den zwei Stunden echt mal ausruhen. Ihr scheint es immerhin nicht wirklich gut zu gehen. Nicht, dass sie doch noch umkippt. :thumbdown: Und dann hoffe ich mal, dass die Blechdose den Sprung überlebt. XD
    Ein schöner Teil. Habe nichts zu meckern. ^^ Wie immer ließ sich alles flüssig lesen. :)

    LG, Kyelia

  • [Narrow]

    Durch die Gänge der Sim-80 streifend, erwischte sich Narrow dabei, wie er vor sich hin pfiff. Weder wusste er den Namen des Liedes, noch, wo er es aufgeschnappt hatte. Doch die Melodie gefiel ihm und drang ihm leicht zwischen den Zähnen hervor, während im Mundwinkel eine glimmende Kippe auf und ab wippte.
    Nach dem Besuch bei Ellie hatte er einen Abstecher zur Krankenstation gemacht, die jeder Beschreibung spottete. Zu zwei Drittel waren die Räume vollgestellt mit Kisten unindentifizierbaren Inhalts und Gerümpel. Die wenigen Betten, die noch zur Verfügung standen, waren schmutzig, zerwühlt und eines von ihnen gar noch blutbesudelt. Nahezu nichts war noch steril, abgesehen vom Alkohol. Fündig geworden war er dennoch, denn der abgeschlossene Medizinschrank war voller Schmerzmittel, Antibiotika und Opiaten. Ein gutes Drittel davon befand sich nun in der Tasche, die Narrow um die Schulter trug.
    Er wechselte das M-30 Gewehr von der einen Hand in die andere und fischte aus seinen tiefen Taschen eine Karte des Schiffs hervor. Der Plan hatte geknüllt in einer der Schubladen in McCardiffs Büro gelegen und ohne ihn wäre Narrow aufgeschmissen. Die Markierungen, welche auf die Rettungskapseln hindeuteten, waren die einzigen, die er ohne Hilfe verstand. Alle anderen Schilder und Bezeichnungen waren in einer fremden Sprache gehalten oder schlicht unlesbar. An einer Kreuzung blieb er stehen, hielt das gefaltete Stück Papier näher ans Gesicht und kniff die Augen zusammen. Dann betätigte er die Com-Anlage zu seiner Rechten an der Wand: „Bull? Der Captain hier. Statusbericht! Irgendwas Neues bei euch da oben?“
    Kurzes Rauschen, dann ein Klicken und Ramirez knurrige Stimme: „Nein, nichts. Die Piraten lecken sich ihre Wunden und versuchen uns ständig über Funk zu erreichen. Ich glaube, unser Schweigen macht Flynt rasend!“
    „Und der Junge?“
    „Hält tapfer durch. Wie immer.“
    „Gut. Haltet die Stellung und meldet euch bei jeder Veränderung. Ich untersuche noch etwas, dann stoße ich wieder zu euch.“ Gern hätte er die Überwachungsanlage genutzt um die Sim nach Darryl King abzusuchen, doch seit dem Zusammenstoß mit der Crowwing hatte die Technik scheinbar Schluckauf und funktionierte nur noch sporadisch bis gar nicht mehr.
    „Aye“, gab Ramirez zurück und ließ die Com-Anlage knackend verstummen.
    Über die Karte gebeugt, suchte er sich seinen Weg. Dank der kleinen Rammaktion von Ted waren einige Sektionen des Schiffes nicht mehr zugänglich und automatisch abgeriegelt worden. Das erschwerte die Orientierung erheblich, da er ständig in Sackgassen geriet, deren Ende ein verschlossener Schott markierte. Mithilfe der Karte fand er sein Ziel trotzdem nach nur wenigen Minuten des Herumirrens. Die Luke zur Andockstation war wie erwartet offen. Narrow verstaute die Karte, prüfte das Gewehr ein letztes Mal und näherte sich der Öffnung mit der Waffe im Anschlag. Ein paar Decks tiefer befand sich der Hangar zum Be- und Entladen. Hier oben waren die Docks für die Crew. Er fand einen breiten Gang vor, der zu beiden Seiten mit je fünf Schleusentoren aufwartete. Über ihnen glommen rote Leuchten, außer bei der letzten in der hinteren rechten Ecke. Ein grünes Licht verriet ihm alles, was er wissen musste. Dort hatte das Überfallkommando angedockt und bislang hatten sie die Sim offenbar nicht verlassen.
    King ist noch an Bord, dachte Narrow. Daran bestand nun kein Zweifel mehr. Doch hatte er es bereits geschafft, seine Leute zu befreien? Bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete sich besagte Schleuse und warf drei Schatten in den Gang. Narrow blieb in Deckung an der Luke.
    „... und dass mir keiner von euch die Schlampe anrührt. Sie gehört einzig und allein mir!“
    „Meinetwegen. Bin nicht scharf drauf ihr noch mal zu nah zu kommen.“
    „Oh, meine Faust darf sie schon spüren. Das kleine Miststück überrascht mich nicht noch einmal.“
    „Finger weg, sagte ich. Oder ihr bekommt es mit mir zu tun!“
    Alpha und Russel – diese Stimmen erkannte Narrow. Bei dem Dritten konnte es sich auch nur um einen der Commandos handeln, die Ramirez in die Kühlkammer gesperrt hatte. Eben jene, die nur von außen zu öffnen war.
    King muss sie befreit haben. Aber er ist nicht bei ihnen...
    Ihre Schritte näherten sich und Narrow ließ sie noch auf ein paar Meter herankommen, ehe er in die Tür trat, zielte und feuerte. Der Erste fiel augenblicklich, gefällt von den Betäubungsschüssen der M-30. Die beiden anderen hechteten in die Einbuchtungen der Schleusentore in Deckung. Kugeln schlugen ins Metall und zischten wütend an ihm vorbei.
    Verflucht!, dachte Narrow. Sie haben sich scharfe Munition besorgt.
    Er kauerte sich neben die Luke und hielt den Kopf gesenkt bis der Beschuss kurz ruhte, dann schnellte er wieder hervor und feuerte seinerseits, traf jedoch nur die metallenen Schiffswände. Nach einer weiteren Salve tödlichen Bleis, änderte er seine Strategie und kramte in der Tasche herum. Nebst den jüngst erbeuteten Medikamenten fand er dort auch ein paar Blendgranaten, die er von den toten Commandos auf der Brücke erbeutet hatte. Er zog den Stift, wartete den nächsten Kugelhagel ab und warf das Ding. Gleich darauf stemmte er sich gegen die mehrere Zentimeter dicke Luke um die Dockstation zu verschließen. Während es auf der anderen Seite knallte, drehte er wild am Radverschluss und rammte zu guter Letzt die Verriegelung vor.
    Über die Com-Anlage an der gegenüberliegenden Wand versuchte er die Brücke zu erreichen: „Bull! Verdammt, Ramirez?! Drei von den Typen haben mich hier unten überrascht und der Rest ist wahrscheinlich zu euch unterwegs. Hallo? Bull!“
    „Capt’n?“
    „Junge?“ Für einen Moment sank Narrow das Herz in die Hose. „Wo ist Ramirez? Bist du allein da oben?“
    „Ja, bin ich. Allein, mein ich. Aber ich habe eine Waffe!“ Vielleicht hätte Ted zuversichtlicher klingen können, würde der Blutverlust nicht seine Stimme zittern lassen.
    „Herrgott!“, brüllte Narrow. „Wo ist Ramirez?“
    „Weg. Losgestürmt! Wir haben Schüsse gehört, nun, zumindest glaubten wir, es wären Schüsse, aber…“
    Narrow bebte vor Wut, knirschte mit den Zähnen und ließ den breiten Ring am Daumen wieder und wieder gegen die metallene Hülse der Com-Anlage schlagen. „Hör mir zu, Junge. Verschließ den Schott von innen. Öffne niemandem außer mir, hast du verstanden? Nur wenn du meine Stimme hörst, wirst du öffnen. Bis dahin bleibst du mit entsicherter Waffe in deinem Sitz und beobachtest, was draußen geschieht. Sobald Flynt sich rührt, will ich davon wissen, capisce?“
    Natürlich hatte der Junge verstanden und versicherte eifrig, den Befehlen zu folgen. Narrow kramte derweil in seinen Taschen.
    King war zweifellos auf dem Weg zur Brücke. Von dort hatte er die größte Kontrolle über das Schiff. Dabei würde er auf Ramirez treffen und wie dieser Zusammenstoß ausging, stand in den Sternen. Narrow wollte es nicht darauf ankommen lassen. Er fand das Funkgerät der Commandos, suchte den richtigen Kanal und sprach: „Ich weiß, dass du noch an Bord bist, King. Wenn du die Zelle willst, dann triff mich in der Kantine. Lass uns das endlich regeln. Nur du und ich.“ Dann schleuderte er das Funkgerät zu Boden, wo es zerschellte.

    In der Kantine herrschte ein heilloses Durcheinander. Die Trägheitsdämpfer und Gravitationsmodule sorgten zwar dafür, dass sämtliches Mobiliar selbst bei waghalsigen Flugmanövern an Ort und Stelle blieb. Doch Beschuss und das Rammen eines anderen Schiffes konnten diese Hilfsmittel nicht ausgleichen. Tische und Stühle lagen kreuz und quer in der Halle verteilt, dazu mischte sich Besteck und dreckiges Geschirr. Ein Getränkeautomat in der Ecke war umgekippt und aufgesprungen. Narrow klaubte eine Dose vom Boden auf, stellte sich einen Tisch zurecht, zog einen Stuhl heran und fand sogar noch einen gesprungenen Aschenbecher. Die M-30 platzierte er vor sich auf dem Tisch, gleich neben dem Ascher. Mit neuer Zigarette im Mund ließ er sich nieder, prüfte den Inhalt seiner rechten Hosentasche, öffnete die Dose, trank ein paar Schlucke, zog an der Fluppe und kippelte vor und zurück – einen Fuß gegen die Tischkannte gelehnt.
    King ließ nicht lange auf sich warten.
    Mit der PX-9 voran betrat er die Kantine, sein Ziel augenblicklich erfassend. Er tat eine paar Schritte in den Raum hinein, vergewisserte sich, dass sie allein waren, und trat näher.
    „Mutig von dir, One-Shot“, sagte er. „Sehr mutig, dass du dich mir allein stellst. Welches Ass hast du noch im Ärmel, hm? Was sollte mich davon abhalten, dich auf der Stelle zu erschießen?“
    Aus einer Platzwunde am Kopf sickerte ihm Blut über die Schläfe und er humpelte leicht. Der Angriff des Korsaren und die anschließende Rammattacke waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen.
    „Deine Auftraggeber wären nicht erfreut“, entgegnete Narrow. „Nehme ich mal an.“ Er blies Rauch in die Luft.
    „Die interessiert nur die Zelle. Ist sie da drin?“, fragte King und deute auf die schwarze Tasche am Boden. Narrow zog an seiner Zigarette und hielt sie Darryl entgegen. Ihre Blicke lösten sich keine Sekunde lang voneinander. Sie schienen einander herauszufordern bis King mit den Schultern zuckte und den Glimmstängel entgegennahm. Nach einem tiefen Zug hob er einen Stuhl auf und setzte sich Narrow gegenüber an den Tisch. Der Capt’n hatte sich mittlerweile ein neue Fluppe angezündet.
    „Eine Frage habe ich noch, King. Weißt du überhaupt, was du da hinterherjagst? Eine Energiezelle, klar, aber welchem Zweck dient sie? Was ist das Besondere daran? Warum schickt man extra jemanden wie dich, um sie zurückzuholen? Da muss doch mehr dran sein, oder siehst du das anders?“
    Die Luger locker im Schoß haltend, qualmte King seelenruhig. Zwischen seinen blauen Lippen kroch der Rauch langsam hervor. Erst jetzt erkannte Narrow die dünnen violetten Linien, die das Gesicht Darryl Kings durchzogen, wie ein feingewebtes Spinnennetz. Superior rauschte in seinen Adern – er musste sich einen frischen Schuss gesetzt haben.
    „Die haben mir ein Bild gezeigt“, meinte King achselzuckend. „So ein kleines Ding aus Metall. Wie ein Zylinder.“
    Er hat keine Ahnung, dachte Narrow und in diesem Augenblick wurde ihm manches klar. Darryl King war nichts weiter als ein abgerichteter Hund. Ein Jagdhund zwar, dennoch verfolgte er nur blind die Befehle seines Herrchens – keinen Gedanken an die Konsequenzen verschwendend und ohne Rücksicht auf Verluste. Die Fährte aufgenommen hatte dieser Jagdhund Blut geleckt und war von der Leine gelassen worden.
    „Ich seh‘ das so“, fuhr King fort, „dies ist nur ein Job. Wir beide sind im Augenblick nur Vertreter unterschiedlicher Parteien, die miteinander im Clinch liegen. Sowas passiert und ist kein Drama. Am Ende des Tages nehmen wir unseren Lohn entgegen und gehen gemeinsam in der nächsten Bar einen trinken. Wie es sich gehört.“ Er drückte den Stummel der Zigarette im Aschenbecher aus. „Nur ein Job.“
    „Dieser Job hat mich einen meiner Männer gekostet, während ein zweiter angeschossen wurde.“
    King winkte ab und griff nach der offenen Dose. „No risk, no fun, Bill. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Das ist doch nun wirklich nichts Neues.“
    Etwas in Narrows Magengegend verkrampfte sich. „Was hast du gesagt?“
    King trank einen Schluck ehe er antwortete: „Was meinst du?“
    „Du hast mich Bill genannt. Weshalb?“
    „Ach das.“ King nahm noch einen weiteren Schluck und stellte die Dose wieder ab. „Während du und deine Crew euren kleinen Schönheitsschlaf gehalten habt, ist mir diese hübsche Kette um deinen Hals aufgefallen. William Jones – warum versteckst du so einen hübschen Namen?“
    Narrow antwortete nicht, blickte nur starr geradeaus und versuchte das Rumoren in seiner Leibesmitte im Zaum zu halten.
    King grinste. „Vergiss es. Wir haben wohl alle unsere kleinen Geheimnisse. Das macht es so spannend.“ Er erhob sich. „Nun zum geschäftlichen Teil. Gib mir die Zelle!“
    Narrow langte nach unten zur Tasche, ergriff sie bei den Riemen und schleuderte sie unterm Tisch hindurch King vor die Füße.
    „Die Firma dankt.“ Darryl bückte sich und dann ging alles sehr schnell. Blitzartig streckte Narrow das Knie durch und rammte den Tisch gegen Kings Kopf. Während der noch taumelte, trat Narrow ein zweites Mal zu, fasste gleichzeitig in die rechte Tasche seiner Latzhose, zog die Pistole hervor und verpasste dem sich aufrichtenden King einen Betäubungsschuss. Es war so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Darryl lag zuckend am Boden und Blut troff ihm nun aus zwei Platzwunden am Schädel. Die Droge in seinem Köper schien die Wirkung des Tranquilizers abzumildern, dennoch schien er kaum mächtig auch nur einen Finger zu rühren.
    Narrow nahm seine Luger wieder an sich und verstaute sie mit einem wohligen Gefühl im Holster an der Hüfte. Danach schwang er sich die Tasche um die Schultern, nahm das M-30 Gewehr auf und zielte erneut auf King.
    „Ich würde ja sagen, es ist nichts Persönliches. Doch das wäre gelogen.“

    Auf dem Rückweg zur Brücke erwartete er hinter jeder Ecke weitere Schergen, daher ließ er die Waffe im Anschlag. Schließlich drang lautes Hämmern und Rufe durch die Gänge. Als er näher kam, verstand er schließlich auch die wütenden Flüche.
    „Jetzt mach endlich auf, Ted. Öffne die verdammte Tür! Ich bin’s, gottverdammt! TED! MACH DIE SCHEIß TÜR AUF! SOFORT! TED?!“
    „Hör auf hier so rumzubrüllen, Bull.“ Ramirez wirbelte herum und hob das Gewehr, doch als er Narrow erkannte, entwich seine Anspannung.
    „Ach, du bist‘s. Hatte schon das Schlimmste befürchtet. Der andere Typ ist mir entwischt, aber…“
    Narrow schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Wir beide reden später. Ted? Hier ist der Capt’n. Mach die Tür auf!“
    Metall knirschte, ein hohles Klicken ertönte, dann schwang der Schott langsam auf. Sobald Narrow und Ramirez eintraten brach Ted an der Wand zusammen.
    „Hab versucht… euch zu erreichen“, keuchte er. „Der Funk ist… ist gestört. Die Technik spielt verrückt und… Problem… wir haben ein weiteres… Problem…“
    „Ich seh‘ schon“, meinte Narrow und kniete sich neben seinen Piloten. Die Wunde blutete noch immer und hatte den Verband vollständig durchsogen. „Ich kümmere mich darum“, versicherte Narrow und griff in die Tasche.
    „Nein… nein…“, stammelte Ted, leichenblass und völlig verschwitzt. Er hob den Arm und zeigte zur Frontscheibe hinaus. „Da.“
    Ramirez ging an ihnen vorbei um zu untersuchen, was Ted meinte, während der Capt’n die Wunde versorgte. „Was ist es? Flynt? Sind die zwei Stunden rum?“
    „Oh, Scheiße“, kam es als Antwort von Ramirez.
    Narrow wandte sich um und trat neben den Bullen. Da erkannte er den kleinen Jäger, der sie umkreiste.
    „Allianz“, bestätigte Ted alle Befürchtungen.
    Ramirez nickte. „Und er ist zu klein um aus eigener Kraft so tief ins All vorgestoßen zu sein. Irgendwo in der Nähe muss ein Basisschiff sein.“
    Narrow sah auf die Armaturen vor sich und verstand sofort, was Ted damit meinte, dass die Technik verrücktspielte. Alle Lämpchen blinkten unkontrolliert auf und erloschen wieder. Die Instrumente zeigten völlig abstruse Werte oder schalteten sich gar ganz ab.
    Ein gleißender Blitz erfüllte die Frontscheibe. Dann noch einer und noch einer. Ein halbes Dutzend Jäger umkreisten die Crowwing des Roten Korsaren und lieferten sich mit ihr ein Feuergefecht. Kurz darauf erschien ein Kreuzer der Alliierten Flotte auf der Bildfläche.
    „Wir sind am Arsch“, war Ramirez Kommentar. Darauf konnte Narrow nur wenig erwidern, außer ihm Recht zu geben. Allianzpatroullien waren in diesem Sektor nicht unüblich und der Beschuss des Korsaren hatte in ihren Systemen sicher die Alarmglocken schrillen lassen.
    Die Crowwing setzte sich in Bewegung; versuchte, den feindlichen Angriffen auszuweichen, während sie unablässig in alle Richtungen feuerte. Dann schwirrte sie über die Sim-80 hinweg mit einem Rattenschwanz an Jägern im Schlepptau.
    Narrow riss sich von dem Anblick los und steuerte auf Ted zu. „Wir müssen hier weg, solange die da draußen noch miteinander beschäftigt sind. Wir...“ Mit einem Mal wurde er sehr, sehr langsam. Sein Fuß hob sich nur gemächlich und der eben noch so kurz erschienene Weg wuchs nun zu schier unendlicher Länge heran. Der Boden und die Wände begannen von innen heraus zu glühen, selbst die Luft war von einem Leuchten erfüllt, das ihn kurz darauf blendete. Unsichtbare Kräfte zerrten seinen Körper in alle Himmelsrichtungen, doch gerade, als der Schmerz unerträglich wurde, ließen sie von ihm ab. Die Zeit normalisierte sich, das Leuchten verschwand und an ihrer statt trat schrilles Sirenengeheul, blinkendes Alarmlicht und der unheilvolle Klang berstenden Metalls.
    „Verflucht!“, brüllte Ramirez. „Was ist hier los?“
    Narrow drehte den Kopf, wobei ihm sofort schwindelig wurde. Schlimmer nur, als der plötzliche Gleichgewichtsverlust, war der Anblick der Frontscheibe, über die sich langsam Risse ausbreiteten.
    „Raus hier!“, schrie er gegen den Lärm an. „Verdammt, raus hier! Bull, schnapp dir Ted und dann ab zu den Rettungskapseln! Ich hole Ellie!“ Er stemmte sich hoch und stolperte in den Gang. Weg von der Brücke. Alles schien auseinanderzufallen. Die wenigen verbliebenen Wandverkleidungen waren heruntergefallen, die Rohre dahinter geplatzt und aus den Angeln gesprungen. Dampf stieß ihm entgegen, Metallfetzen flogen ihm um die Ohren. Der Weg hinab zum Maschinenraum glich einem Spießrutenlauf. Leitern gaben nach, wenn er sich an ihnen in die Tiefe hangelte. Das scharfe Zischen der sich schließenden Schotts drang ihm durch die Sirenen immer wieder ins Ohr.
    Dieses verdammte Schiff fällt auseinander!
    Endlich angekommen fand er den Maschinenraum ebenso verschlossen vor, wie er ihn verlassen hatte. Narrow rüttelte an der Verriegelung, doch diese hatte sich offenbar verkeilt, denn sie rührte sich keinen Millimeter.
    „Ellie! ELLIE!“ Er hämmerte gegen das Schott, während seine Rufe im Geheul des Alarms und dem Krachen des Schiffs untergingen. Plötzlich gab das Metall unter seinen Bestrebungen nach und flog ihm fast entgegen.
    Im Maschinenraum herrschte Chaos. Es schien, als wäre eine Bombe detoniert und Narrow befürchtete bereits das Schlimmste, als er das blaue Glühen erblickte. Ellie lag am Boden, den rechten Arm eingekeilt unter einem Berg Schrott, den linken Arm in einem ihrer Handschuhe steckend. Blut troff ihr aus der Nase und offenbar einer Wunde am Hinterkopf. Narrow verlor keine Zeit, sondern schlang sich ihren freien Arm um den Hals und zog sie hoch. Dabei kam mit einem Ruck auch der rechte Arm frei, wenngleich dessen Anblick Narrow beinah dazu veranlasste, die Kleine wieder fallen zu lassen. Unterhalb des Ellenbogens ersetzte eine metallene Konstruktion Fleisch, Muskeln, Gewebe und Haut. Zahllose Drähte wanden sich um zwei glänzende Stangen und mündeten in einer eisernen Klaue, die teilweise noch von Fetzen des Handschuhs bedeckt war. Zu seiner Überraschung entdeckte Narrow im Griff der Roboterhandprothese und den Überresten ihres TK-Gloves die Energiezelle. Gecko ächzte benommen und schielte etwas ziellos hoch in sein Gesicht.
    „…Komm schon. Raus hier!“
    Ellie stützend, humpelte er voran – raus aus dem Maschinenraum, den Zeichen zu den Rettungskapseln folgend, die sich glücklicherweise auf derselben Ebene befanden. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, kam Ramirez um eine Ecke gestürmt und nahm ihm Ellie ab. Zusammen hechteten sie zu den Rettungskapseln, schlugen auf den großen roten Knopf direkt neben dem Eingangsschott und wurden allesamt herauskatapultiert. Die Kapsel vibrierte anfangs so stark, dass Narrow befürchtete, sie würde sich gleich in ihre Einzelteile auflösen. Da wurde es plötzlich still und sie glitten lautlos durchs All. Lediglich der keuchende Atem der vier schallte in diesem Augenblick fast ohrenbetäubend durch die schmale Blechbüchse.
    Die Rettungskapsel bestand aus kaum mehr als zwei gegenüberliegenden Sitzbänken, einer rudimentären Steuerkonsole an einen Ende und dem Schott mit winzigem Bullauge am anderen. Ted lag auf der linken Bank, während Ellie auf die rechte platziert wurde. Narrow saß schnaufend im Gang dazwischen und Ramirez stand am Schott und sah hinaus.
    „Oh Mann, Leute, das solltet ihr sehen. Die Sim bricht total auseinander. Bald ist nichts mehr von ihr übrig.“
    Ellie hielt sich benommen die Stirn und schüttelte langsam den Kopf. „Das bekomme ich in euren berühmten zwei Stunden sicher nich‘ wieder hin…“
    Narrow ließ seinen Blick der Reihe nach von einem zum anderen wandern, dann hievte er sich ächzend auf die Beine und trat an die Steuerkonsole heran. Stirnrunzelnd überprüfte er ein paar Systeme.
    „Bull, siehst du die Crowwing oder irgendwelche Allianzjäger?“, fragte er. „Den Kreuzer vielleicht?“
    „Nein. Nein, nichts. Aber mein Sichtfenster ist ziemlich klein, ich...“
    „Drei-Null-Fünf-Strich-Sieben-Vier-Strich-Fünf-Sechs-Zwei-Eins“, murmelte Narrow.
    „Was?“
    „Drei-Null-Fünf-Strich-Sieben-Vier-Strich-Fünf-Sechs-Zwei-Eins“, wiederholte er. „Das sind unsere Koordinaten.“
    „Das kann nicht sein“, meinte Bull. „Da stimmt was nicht. Wie sollen wir denn in den Hydrasektor gekommen sein? Der ist abertausende Sik von unserer tatsächlichen Position entfernt. Unmöglich!“
    Nein, dachte Narrow, nicht unmöglich. Nur nicht sehr wahrscheinlich. Sein Blick traf Ellies und sie nickte, während sie die Zelle in ihrer metallenen Hand betrachtete.
    „Ladies and Gentlemen“, verkündete Narrow fast feierlich, „Wir sind soeben durch die halbe Galaxie gereist.“

    Spoiler anzeigen

    Das war diesmal ein etwas längerer Teil. Chnorzi und ich sind uns noch nicht ganz sicher, wie wir in Zukunft mit Beiträgen von dieser Länge oder mehr umgehen sollen. Sollten wir alles auf einmal reinstellen oder lieber gestückelt...? Wie ist eure Meinung dazu?

    Einmal editiert, zuletzt von Maxwell (12. Juli 2016 um 20:39)