Ein bunter Haufen

Es gibt 152 Antworten in diesem Thema, welches 43.729 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (28. Dezember 2018 um 08:25) ist von TiKa444.

  • Die Nacht war gut gewesen.
    nach einigem Hin und Her hatte Lohra sich tatsächlich überreden lassen das Bett zu nehmen. Ereck war wirklich freundlich, obwohl er sie eigentlich überhaupt nicht kannte.
    Sie hatte die weichen Federn genossen und war glücklich am nächsten Morgen nicht mit Laub in den Haaren und Erde an den Klamotten aufzuwachen.
    Die Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, das Schwert an der Hüfte und eine Schnitte in der Hand stiefelte sie neben Ereck Weißkrähe her, Richtung des Gemachs der Alten.
    "Was genau habt ihr jetzt eigentlich mit der Lady vor?", fragte Lohra mit vollem Mund. Ereck warf ihr einen Blick zu, der zugleich amüsiert und missbilligend war.
    "Wenn ich das so genau wüsste. Ich will keinen Krieg der Brüder riskieren, wenn sie raus geht und erzählt, wie es um den Zebru wirklich steht."
    "Aber er wird ziemlich bald sterben und spätestens dann wird der Kampf ohnehin ausbrechen ..." Genüsslich biss sie in das dunkle Brot, das dick mit Butter und Honig beschmiert war.
    "So können wir uns aber zeit erkaufen", warf Ereck ein und strich sich durch die Haare.
    "Ein paar Tage mehr oder weniger machen den Braten nicht fett, oder? ich finde es nicht fair, das auf dem Rücken einer ziemlich alten Heilerin auszutragen ..."
    Ereck warf ihr einen giftigen Blick zu. "Was versteht Ihr schon von Politik?!"
    Lohra musste ein Auflachen unterdrücken. Sie war 357 Jahre alt und er fragte, ob sie etwas von Politik verstand? Aber ehe sie die Diskussion fortführen konnte, hatte der Seneschall schon an die Tür zu den Gemächern der Heilerin geklopft. Die Wachen wichen zur Seite und schlossen auf. Dennoch wartete Ereck, bis er ein Herein zu hören bekam, ehe er eintrat.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Esme lehnte an dem kleinen Fenster und starrte in den Garten hinunter, welcher wohl an irgendeinem Punkt mit dem Wald verschmolzen war, als sie die sich nähernden Stimmen und Schritte vernahm dicht gefolgt von einem Klopfen und dem Geräusch des Türschlosses. Als sie sich von der Aussicht abwenden wollte, kam es ihr für einen kurzen Moment so vor, als sähe sie eine Gestalt zwischen den Bäumen herumhuschen, doch im nächsten Moment war sie bereits verschwunden. Esme dachte sich nichts weiter dabei, immerhin war eine Wald sicher ein genau so guter Lebensraum für Menschen wie es das Moor für sie war. Sie wartete einige Augenblicke aber anscheinen schienen die Leute wohl ernsthaft darauf zu warten, dass ihre Gefangene sie herein bat. Die Hexe überlegte, einfach die Taube zu spielen, während die Anderen sich draußen die Beine in den Bauch standen, aber eventuell würden sie sowieso eintreten. Also wandte sie sich vom Fenster ab und sammelte ihre Kröte ein, welche es sich auf der Fensterbank gemütlich gemacht hatte. "Kommt rein." rief sie und kurz darauf trat der Rotbart ein, gefolgt von der seltsamen Frau. Esme starrte die Beiden erwartungsvoll an aber sie hatte schon die halbe Nacht darüber nachgedacht, was sie ihm sagen würde, wenn der Kerl das nächste Mal auftauchte.. Ereck wollte etwas sagen, doch sie unterbrach ihn."Nein, ich habe kein Heilmittel für deinen Freund und ich werde auch keines finden, in diesem Stadium der Erkrankung gibt es kein Heilmittel. Ich habe dir gesagt, was du tun solltest um sein Leiden zu verringern, er wird nicht mehr gesund werden, es wird ihm nicht mehr besser gehen. Finde dich damit ab und lass mich endlich gehen."

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    GNU Terry Pratchett

  • Lohra konnte die alte Frau zu gut verstehen.
    Wer ließ sich schon gerne mir nichts, dir nichts von zu Hause einfangen und in eine Burg bringen in der man dann auch noch festgehalten wurde? Auch wenn das "Verließ" hätte schlimmer sein können ...
    Sie warf Ereck einen Seitenblick zu, der die Alte mit undurchdringlicher Miene musterte.
    "Nein", sagte er nur. Er schien nach weiteren Worten zu suchen, aber die Heilerin kam ihm zuvor.

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  • "Nein?" meinte sie ungläubig und auch etwas spöttisch. Dieser Mann regte sie wirklich langsam auf."Einfach nur nein? Na dann sage ich zu dir jetzt das gleiche. Nein. Und außerdem kannst du mich am Ar...-" Die Tür öffnete sich und der Soldat der hereingestürzt kam unterbrach die aufgebrachte Hexe. Er redete hastig auf Ereck ein. Ein paar Mal deutete er auch auf Lohra und Esme. Die Hexe sprach zwar die Sprache nicht, aber selbst sie erkannte, dass irgend etwas ganz und garnicht richtig zu laufen schien.

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  • Für einen kurzen Augenblick war Ereck sprachlos. Der Soldat setzte gerade dazu an, seine Botschaft zu wiederholen, als Ereck sich wieder fasste und ihn durch ein Nicken zum schweigen brachte. Hakiz, der letzte von Zerbu Rakzars Söhnen, marschierte gen Zesnar. Mit einer Armee.
    "Der Seneschall sagt, die Weiber sind Spione", flüsterte der Soldat noch einmal und deutete zu Esme und Lohra hinüber. Ereck packte ihn an der Schulter und zerrte ihn in den Gang, wo sie allein waren.
    "Wirst du solche Anschuldigungen in Zukunft bitte etwas subtiler äußern?", bat er sarkastisch. Der Blick des Soldaten huschte ins Zimmer. Ereck packte ihn am Kinn und riss seinen Kopf zurück.
    "Wo steht die Armee?"
    "Drei Tagesmärsche von unseren Toren. Vielleicht zwei. Hauptmann, sollten wir diese Spione nicht liquidieren?" Der Soldat klang sehr gestresst.
    "Es sind keine Spione", erklärte Ereck. "Die Alte haben wir aus dem Sumpf entführt und die andere ist erst einen Tag hier. In dieser Zeit hätte sie Hakiz keine Informationen über den Zustand bei Hof zukommen lassen können."
    "Ja, aber ..."
    "Kein aber", fauchte Ereck. "Wir müssen die Verteidigung des Palastes ausbauen. Hol den Seneschall!"
    Der Soldat wollte schon Kehrt machen, da hielt Ereck ihn zurück. Eine Frage hatte er noch.
    "Wie hat man von der Armee erfahren?"
    "Eine Brieftaube aus Ragnaz, im Norden."
    "Stand sonst noch etwas in diesem Brief?"
    Der Soldat blinzelte und Ereck sah ihm an, dass er gerade wirklich nicht hier vor ihm stehen wollte.
    "Das ... das ist geheim."
    Ereck schnaubte und näherte sein Gesicht dem des Soldaten.
    "Ich bin der Hauptmann der Garde. Alles, was die Verteidigung dieses Palastes betrifft, ist nicht vor mir geheim zu halten!"
    Der Mann überlegte kurz, dann sprach er: "Der Brief wurde von Hakiz direkt unterzeichnet. Er fordert uns auf, ihn mit offenen Toren zu empfangen. Er spricht von einem Dieb, der ihm seines Rechts beraubt hat. Einem Dieb in unseren Mauern."
    "Nennt er einen Namen?"
    "Nein. Nein, keinen Namen."
    Ereck schloss für einen kurzen Moment die Augen. Ein Dieb der Hakiz seines angeblich rechtmäßigen Erbes beraubt hat? Im Palast?
    Vielleicht musste er dieser Lohra noch ein paar Fragen stellen. Er ließ von dem Soldaten ab.
    "Geh. Hol den Seneschall!"

    100% Konsequent!

  • Lohra beobachtete die beiden Männer fragend, dann sah sie, wie er den Soldaten wegschickte. Dieser eilte so schnell davon, dass er über seine eigenen Füße zu stolpern schien.
    Sie warf Ereck einen Blick zu. Der rothaarige Mann wandte sich wieder ihnen zu, sodass sein Umhang aus weißen Federn wehte.
    "Ihr könnt jetzt nicht gehen", sagte er kurz angebunden zu der alten Frau. Diese war so perplex, dass ihr die Worte im Hals stecken blieben.
    "Was ist los?", mischte Lohra sich ein und bemühte sich um einen ruhigen Tonfall, auch wenn sie spürte, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

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  • Esme seufzte. Sie würde das Gespräch auf später verschieben wenn dieser sture Bock sie nicht mehr so sehr aufregte, dass sie ihn am liebsten mit dem Messer anfallen würde. Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Raum während er immer noch mit der Pinkhaarigen redete und ihr wohl die Situation erklärte. Eine der Wachen vor der Tür rief etwas aber sie hörte den Dicken in einem eher heiteren Ton antworten, was wohl hieß dass er sowieso nicht glaubte, dass sie sehr weit kommen würde und schon nachdem Esme zwei Stockwerke weiter unten war, hatte sie die Schritte der beiden Wachen erkannt, welche ihr in gleichmäßige Abstand folgten.

    Der Wald der an das Schloss grenzte war erstaunlich ruhig, eine angenehme Abwechslung zu der lauten Stadt, die sich ihr selbst innerhalb der Bürger aufzudrängen schien. An der Stelle an der sie sich niedergelassen hatte, einem kleinen Teich mit moosigen Steinen fühlte sich die Hexe fast an Zuhause erinnert. Ihre Bewacher umkreisten sie in einiger Entfernung, schienen sich aber keine Sorgen um den Lärm zu machen den sie dabei verursachten wenn sie auf Äste und trockene Blätter traten. Wie man nur so undezent herumschleichen konnte. Ein drittes Paar Schritte kam plötzlich ganz in Ihrer Nähe dazu. "Hab mich schon gewandert, wann du auftauchst. " meinte Esme nur, ohne den Neuankömmling eines Blickes zu würdigen.

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  • Lohra bemerkte wie die alte Frau aus dem raum verschwand, da Ereck aber keine Anstalten machte sie aufzuhalten und zwei Wachen ihr auf dem Fuß folgten, zuckte sie mit den Schultern und wandte sich Ereck zu, der versuchte ihr zu erklären was los war, ohne zu viele Informationen preis zu geben.
    "Einer der Söhne des Zebrus marschiert vor den Toren der Stadt mit seiner Armee auf. Er bittet um Einlass."
    "Er ist einer der Söhne ...", warf Lohra ein. Aber dann fiel ihr wieder ein, dass genau das wahrscheinlich das Problem war.
    "Wir müssen die Verteidigung der Stadt aufrüsten und einen Kompromiss mit ihm finden."
    Und damit fuhr Ereck herum und eilte durch die Gänge, um seinen neuen Aufgaben nach zukommen. Sofort brüllte er seinen Männern ein lange Liste von Befehlen zu und Lohra wusste, dass es jetzt keinen Sinn machte, ihn weiter auszufragen.

    Zwei Tage später waren die Wachen auf den Wehrgängen verdreifacht worden. Pfeile und Speere lagen in Massen bereit und die Kupferkessel, Öl und Feuerholz hatten in den Wehrtürmen Platz gefunden. Die Soldaten waren aus dem gesamten Inneren der Stadt an die Mauern in die Kasernen gezogen worden und auch normale Bürger waren vorsichtshalber schon mit Schwerter und Schilden, Mistgabeln und Fackeln und was sich sonst eben noch fand, ausgestattet worden.
    Ereck stand mit wehendem Umhang auf der Mauer und beobachtete das Heer von Hakiz, das seine Zelte direkt vor den Toren der Stadt aufgebaut hatte. Lohra stand neben ihm und beobachtete die kleine Gesandtschaft, die sich durch die Gassen zwischen den Zelten schob. Fünf Pferde, Hakiz an der Spitze.
    Ereck drehte sich um. "Es wird Zeit, dass wir runter gehen."
    Er sprach nicht direkt zu ihr, sondern zu einigen seiner Männer, trotzdem folgte sie ihm. Die Soldaten, die Ereck mitnahm waren bis an die Zähne bewaffnet.
    "Ich könnte auch mitkommen", bot sie vorsichtig an.
    "zu Verhandlungen mit dem Sohn des Zebrus, der eine ganze Armee dabei hat?" Ereck zog eine Augenbraue nach oben. "Du hast doch keine Ahnung worum es hier geht!"
    Lohra ging nicht auf seinen Tonfall ein. Sie wusste, dass er dem Stress entsprang, dem Ereck ausgesetzt war.
    "Aber ich kenne Männer", grinste sie. "Er wird das alles hier sowieso schon als Bruch sehen, da er um freundschaftliche Aufnahme gebeten hat. Wenn du jetzt mit zwanzig bewaffneten Soldaten das Tor öffnest und er gerade mal mit vier Leibwächtern kommt, was meinst du was passieren wird?" Sie ließ Ereck Zeit über ihre Worte nachzudenken, dann fügte sie hinzu. "Ich bin eine Frau. Mich wird er nicht als Bedrohung sehen ..."
    "Nagut ...", seufzte der Hauptmann schließlich mürrisch.

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  • Die Mauer, die den Palast umschloss, war dick genug, dass sieben Reiter nebeneinander über die Wehrgänge galoppieren konnten und so hoch, wie die Wachtürme kleinerer Festungen. Ein gewaltiges Tor aus kalt gebeiztem Stahl und massiver Eiche war der einzige Durchlass. Das Torhaus wurde von zwei gewaltigen Rundtürmen flankiert, aus deren Schießscharten die Bogenschützen hervorlugten, als Ereck und Lorah durch das Tor ritten.
    Die Straßen von Zesnar waren leer gefegt. Ereck hatte eine Ausgangssperre verhängt, damit seine Truppen sich nicht durch Menschenmengen drängen mussten, wenn sie zwischen den Wehranlagen der kleineren Stadtmauer und dem Palast hin und her rannten.
    Ereck spürte die Blicke der Leute, die ihn und seine Begleiterin durch ihre Fensterläden beobachteten. Es herrschte eine seltsame Stille, die Ereck so noch nie in der Stadt erlebt hatte. Auch sein Pferd Beißer schien zu spüren, dass etwas nicht Stimme. Der Hengst schnaubte misstrauisch und scharrte mit den Hufen. Lorah sagte nichts.
    Sie erreichten das südliche Stadttor nach einigen Minuten. Es war das stärkste der vier Tore, die normalerweise Händlern den Weg in die Stadt freigaben. Nun war es fest verschlossen. Zufrieden stellte Ereck fest, dass auf dem Wehrgang schon Feuer brannten, um Pfeile und Pech damit zu entzünden. Die kupfernen Rüstungen der Stadtwache glänzten in dem orangefarbenen Licht.
    Ein wenig entfernt vom Tor führte eine Treppe die Mauer hinauf. Ereck stieg von Beißer ab und bat Lorah mit einer Geste, ihm zu folgen.
    Oben angekommen, wurden sie von General Ruz empfangen, einem kleinen, rundlichen Mann, der sich in feines Leder und Eisen gerüstet hatte und fürchterlich schwitzte.
    "Seid gegrüßt, Hauptmann." Er machte eine formelle Verbeugung. Lorah warf er nur einen kurzen verwirrten Blick zu. "Der Käfig ist bereit."
    "Der Käfig" war ein Konstrukt, das Ereck vor zwei Tagen in Auftrag gegeben hatte. Es handelte sich um einen großen Eisenkasten, der an einem Kran hing. Mit einer Winde konnte man ihn hoch und runter lassen, was es ermöglichte, Männer vor der Mauer abzusetzen ohne das Tor öffnen zu müssen.
    Die beiden stiegen in den Käfig und schwiegen während sie ratternd und knatternd heruntergelassen wurden. Durch die Eisenstäbe beobachtete Ereck Hakiz und seine Männer. Sie saßen noch immer zu Pferd und sahen dem Käfig dabei zu, wie er sich dem Boden näherte.
    Ereck nahm einen tiefen Atemzug, als sie, am Boden angekommen, ausstiegen. Die Luft vor den Stadtmauern war trocken, aber frischer als jene in den engen Gassen.
    Hakiz kam herangeritten. Ereck ging auf ein Knie, Lorah tat es ihm gleich.
    Der Sohn des Zerbus ritt das prächtigste Pferd, das Ereck je gesehen hatte. Das schwarze Fell geölt und die Mähne mit Diamanten durchflochten, stand es in Gold gepanzert vor ihnen und in Gold gepanzert war auch sein Reiter. Hakiz strahlte in der Mittagssonne so sehr, dass es blendete. Ein langer Mantel aus Goldtuch lag auf seinen Schulter. Einen Helm trug er nicht, ebenso wenig ein Schwert. Seine langen schwarzen Haare waren zu einem kunstvollen Turm hochgesteckt, der mit Nadeln aus Gold gestützt und mit Rubinen geschmückt war. Sein langer Kinnbart war geflochten und ähnlich prunkvoll geschmückt.
    "Ich grüße Euch, edler Hakiz Zu Rakhlaz Ur Arranaz!", verkündete Ereck mit gesenktem Blick.
    Hakiz erwiderte seine Worte mit einer kurzen Geste, die ihm gestattete , sich zu erheben. Ereck klopfte sich den Staub von der Hose und ging einen Schritt näher auf Hakiz zu. Dieser hob abwehrend die Hand.
    "Halt." Er richtete seine Augen auf Lorah. "Wollt Ihr mir nicht das Weib vorstellen?"

    100% Konsequent!

    2 Mal editiert, zuletzt von Unor (26. November 2016 um 00:08)

  • Matt schlich mit geducktem Kopf durch die Gassen. Seitdem der Hauptmann der Wache das Ausgehverbot verhängt hatte, war es gefährlich geworden sich außerhalb der Häuser blicken zu lassen und da waren die ganzen Gauner und Mörder, die sich bestimmt ebenso wenig wie er um das Verbot scherten, noch gar nicht mitgerechnet. Schnell versteckte er sich hinter einer Häuserwand, als er Stimmen - begleitet von den Stiefelklängen der Gardisten - langsam näherkommen hörte. Die Fasern des Holzes, an das er sich presste, durchbohrten sein Hemd, während die Geräusche erst lauter und lauter wurden und sich dann wieder entfernten. Erleichtert atmete er aus und begab sich wieder auf den Weg zurück. Die Männer hatten sich über irgendeine Frauengeschichte unterhalten. Nichts verwertbares. Natürlich hätte er auch einfach zuhause bleiben können und die Geschehnisse aussitzen, doch er hasste es ahnungslos zu sein. Wenn er irgendetwas an seinem früheren Leben als Bornholds rechte Hand vermisste, dann war es die Tatsache, dass man ihm damals alles, was in seiner Nähe geschah, berichtet hatte. Natürlich wog dies all die erzwungene Grausamkeit, die Schuld und den Tod nicht auf, doch er hätte auch nichts dagegen, wenn die Marktschreier, die ihnen gesagt hatten, dass sie zuhause bleiben sollten, auch berichtet hätten, weshalb. So musste er es eben alleine herausfinden.
    Er versteckte sich vor zwei weiteren Patrouillen, bevor er endlich die Stadtmauer erreichte. Dort oben würde er zwar eine leichte Beute werden, aber anders konnte er kaum auf die andere Seite sehen. Falls der Grund für das Ausgehverbot nicht einen ganz anderen Ursprung hatte.
    Nach einer kurzen Zeit fand er endlich einen unbewachten Mauerabschnitt und kletterte die schmale Treppe hoch, die hinauf zum Wehrgang führte. Krampfhaft bemühte er sich nicht nach unten zu sehen, damit ihm nicht schwindlig wurde, doch er spürte doch ein leichtes Zittern, als er schließlich oben stand. Oder vielmehr hockte, um von einem möglichen Beobachter nicht sofort wahrgenommen zu werden. Vorsichtig näherte er sich dem zinnenbewehrten anderem Rand der Mauer. Augenblicklich krampfte sich sein Magen zusammen und diesmal hatte dies nicht mit der Höhe zu tun. Nun ja. Nicht ausschließlich. Vor seinen Augen breitete sich ein weites Feld aus weißen Zelten aus. Etliche Lagerfelder spuckten ihre Rauchfahnen in die Luft Männer, bei dieser Entfernung Punkten gleich, bewegten sich auf den schmalen Gassen zwischen den Planen.
    Matt schluckte. Er kannte diesen Anblick nur zu gut, immerhin hatte er ihn oft genug gesehen. Nur dass er sich dabei meist auf der anderen Seite der Mauer befand. Er hatte keine Ahnung, was diese Armee hier wollte, doch es sah nicht aus, als wäre sie bereit allzu bald wieder abzuziehen. Auch auf diese Entfernung konnte er die mächtigen Belagerungsmaschinen sehen, die von den fremden Soldaten eilig zusammen geschreinert wurden. Baumaterialien bot ihnen der riesige Wald, der sich unweit der Stadt erstreckte ja genug. Bemüht nicht dem panischen Herzklopfen in seiner Brust anheim zu fallen, versuchte er die Lage mit kühlem Kopf zu analysieren. Die Größe der Armee schätzte er auf ein paar tausend Mann, was schwer zu sagen war, da er nicht das ganze Lager überblicken konnte. Die Zelte waren allesamt in einem unorganisiertem Wirrwar aufgestellt, was entweder auf eine Ansammlung von undisziplinierten Söldnertruppen, unerfahrene Sodaten oder eine Mischung aus beiden hindeutete. Die Wehrgänge gegen die kampferprobte Stadtgarnision, die diese zudem noch genau kannten, zu erobern versprach in allen Fällen wenig erfolg. Daran konnten auch die fahrenden Türme, die Matt in der Entfernung ausmachte, nichts ändern. Aber auch ein unkoordinierter Angriff einer unerfahren Übermacht konnte gefährlich werden, wenn sie es schaffte diese Mauer zu durchbrechen. Dies wäre sicherlich ein schwieriges, doch nicht aussichtsloses Unterfangen. Wenn mehrere Kompanien Soldaten an mehreren Stellen gleichzeitig mit mehreren Rammböcken und Katapulten zu schlugen, dann könnten sie womöglich erfolgreich sein. Dann würden auch die fahrenden Türme ihren Zweck erfüllen, indem ihre Besatzungen die Verteidiger auf den Wehrgängen in Kämpfe verwickelten und so verhinderten, dass diese kochendes Öl und Steine auf ihre Feinde warfen. Doch sobald die Mauern gefallen wären, würden die Gardisten sich mit Sicherheit in den Palastbereich zurückziehen und die dortige noch mächtigere Mauer nutzen. Bei diesem Kampf wären sie im Vorteil, zumal es nur wenige Straßen gab, durch die man Belagerungsgerät ziehen könnte, und somit wäre die Zahl der möglichen Angriffspunkte beschränkt. Sofern das Schlachtenglück auf ihrer Seite war, würden die Verteidiger aus dieser Konfrontation als Sieger hervorgehen.
    Matt schluckte, als ihm bewusst wurde, dass er wie ein Soldat dachte. Wenn die äußere Mauer fiel, würde die Stadt selbst den plündernden fremden Soldaten zum Opfer fallen. Natürlich würde man einen Teil der Bevölkerung in den Palast evakuieren können, doch wie viele könnten das sein. Der Palast mochte groß sein, doch Zesnar selbst war bestimmt hundertmal größer. Unzählige würden sterben und noch mehr verschleppt werden. Seine Familie wäre genauso gefährdet wie jede andere auch. Irgendwie musste man diesen Kampf beenden, bevor er überhaupt begann.
    "Hey, du", rief ihm plötzlich eine Stimme zu. Matt fuhr erschrocken herum. Von seiner Seite näherten sich zwei Soldaten.
    "Du darfst hier nicht hoch", schnauzte der eine ihn an, als sie nur noch Meter entfernt waren. "Du darfst das Haus ja nicht einfach verlassen."
    "Das ist bestimmt ein Spion des Feindes", warf sein Nebenmann jetzt ein, der auch nicht freundlicher klang. "Und er versucht gerade eine Nachricht über die Mauer zu schmuggeln." Matt überlegte einen Moment lang einfach wegzulaufen, doch diesen Gedanken verwarf er genauso schnell, wie seine Gabe einzusetzen. Zweiteres wäre natürlich fatal, doch auch das Rennen würde zuviel Aufmerksamkeit erregen. Zumal die beiden Wachen zwischen ihm und der Treppe nach unten standen.
    "Ich war nur neugierig", beteuerte er deshalb, was eigentlich ja auch nicht gelogen war, doch den Soldaten war sein Zögern nicht entgangen. Zumindest einem der beiden nicht.
    "Das war eine beträchtliche Zeitspanne, die du für diese Antwort gebraucht hast", stellte er fest und zog drohend sein Schwert. Sein Kamerad tat es ihm nach.
    "Auf die Knie du Wurm", verlangte er, während er ihm die Klinge direkt unter den Hals hielt. Sie berührte seine Haut nicht, doch Matt war es, als wäre die Luft an dieser Stelle plötzlich kälter. Widerstandslos sank er auf die Knie. Was sollte er auch tun, was kein Selbstmord war und ihm gleichzeitig nicht die ganze Stadt auf die Fersen jagte.
    "Wirklich, ich wollte nur raus finden, weshalb wir nicht mehr auf die Straßen dürfen", versuchte er es ein weiteres Mal. "Ich habe mich einzig um meine Familie gesorgt."
    "Erzähl das dem Hauptmann", wies ihn der Halter des Schwertes an seinem Hals an, während der andere ihm sein Messer abnahm und nach weiteren Waffen abtastete.
    "Passen sie gut darauf auf, das brauche ich noch", verlangte er, doch sein Gegenüber schnaubte nur.
    "Das glaube ich kaum", behauptete der Wachmann und half ihm mit einem schmerzvollem Stoß auf die Beine. "Geh vor uns her und versuch keine Tricks." Matt holte aus, um seinen guten Willen erneut zu bekräftigen, dann sparte er sich jedoch dem Atem. Man würde ihm ohnehin nicht glauben und vielleicht fand er so etwas mehr über die Pläne der Stadtwache heraus. Alles übrige würde sich schon irgendwie erübrigen.
    Also ließ er sich voran schubsen und trottete vor den Wachen den Wehrgang entlang. Jedes Mal, wenn sein Blick auf die Ränder der Mauer fiel, machte sein Magen einen kleinen Hopser, doch er bemühte sich, sich dies nicht anmerken zu lassen. Sie gingen eine ziemlich weite Strecke, passierten ein paar weitere Wachposten, mit denen sich seine fürsorgliche Leibgarde ein für das andere Mal ausführlich austauschte. Dennoch erreichten sie letztendlich nach einer beträchtlichen Zeitspanne - zuhause machte man sich bestimmt schon Sorgen um ihn - das Dach eines groß angelegten Torhauses. Hier drängten sich die Gardisten dicht an dicht und die, die ihn aufgesammelt hatten, schienen irgendeinem Vorgesetzten Bericht zu erstatten. Matt runzelte die Stirn. Er hatte - genau wie jeder andere in der Stadt auch - schon viel vom Hauptmann der Wache gehört. Weißmantel, nannte man ihn, da er immer in einen Mantel aus weißen Federn gekleidet war, und außerdem sollte er groß und kräftig wie ein Bär sein. Von diesen Eigenschaften erfüllte der hagere und schmallippige Mann, der eine gewöhnliche Uniform trug, welcher den Bericht entgegen nahm, keine einzige.
    "Weißmantel befindet sich gerade in ei er wichtigen Verhandlung und wird erst in einiger Zeit wieder hier sein", bestätigte der Wachmann, der immer noch sein Schwert gezückt hatte, schließlich seine Vermutungen. Wichtige Verhandlung! Das bedeutete, dass die rätselhaften Angreifer eventuell nicht angreifen würden. Sein Gegenüber hatte sein Stirnrunzeln bemerkt.
    "Du wartest hier bis der Hauptmann zurückgekehrt ist", herrschte dieser ihn deshalb an. "Und sei froh, dass wir dich nicht stattdessen in eine schmutzige Zelle werfen, wie Pack wie du es verdient hätte." Matt erwiderte nichts. Wohin hätte er denn auch gehen können. Hier, umringt von Gardisten, die ihn alle für einen feindlichen Spion zu halten schienen.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Der Alte Mann stöhnte im Halbschlaf, während Esme ihm mit einem feuchten Lappen etwas die Stirn kühlte. Der Lappen war in Wasser und in eine Art Harz aus einem der Bäume im Garten getaucht worden, da die Hexe wusste, dass diese spezielle Pflanze ihr Harz auch zur Abkühlung nutzte. Sie hatte auch andere Zutaten für fiebersenkende Mittel da draußen gefunden oder auch Pflanzen, die so ähnlich wirkten, wie das, was sie sonst gewohnt war, aber es half, wenn auch nicht mehr lang. Der Mann näherte sich seinem Ende und seine Familie schien lieber anderen Aktivitäten nachzugehen, als seine letzten Stunden mit ihm zu verbringen. Überhaupt hatte sie den letzten Tag allein an seiner Seite verbracht, abgesehen von den zwei Wachen an der Tür und der jungen Übersetzerin. Das Mädchen musterte sie neugierig und schien alle ihre Schritte zu verfolgen, sagte aber nichts. "Woher kommst du eigentlich." brach die Jüngere irgendwann die Stille. Doch bevor die Hexe antworten konnte drehte sich eine der Wachen zu ihr und schnauzte die Dienerin grob an. Die nickte nur und erwiderte ein paar gemurmelte Worte. Esme begann langsam, sich an die Sprache zu gewöhnen, aber die Wörte klangen noch immer fremd und unverständlich verdreht in ihren Ohren. Sie blickte das Mädchen fragend an. "Ich soll dich nicht ablenken. meinte sie, mit gesenkter Stimme. Die Wache sagte etwas zu ihrem Partner und beide lachten. "Sie meinen, wenn du Pech hast behalten sie dich für die vielen Verletzten auch noch da." Diese Aussage verwunderte Esme. Natürlich war es eine große Stadt, aber wie viele Leute konnten sich hier schon verletzen. Das Mädchen bemerkte wohl ihren leicht erstaunten Blick. "Da sind Männer vor der Stadt, die einen Kampf wollen." "Kämpfe gibt es in der Taverne von Pfahldorf auch Kind." meinte die Hexe darauf etwas abschätzig. "Und von den sturen Böcken hab ich auch noch alle zusammengeflickt wenn sie sich erstmal beruhigt hatte." Die Dienerin sah aus als wolle sie noch etwas sagen, als der Mann auf dem Bett ein fürchterliches Röcheln ausstieß und sich hustend zusammenkrümmte. Seine Zeit wahr wohl wirklich gekommen.

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  • "Sie ist nur eine einfache Söldnerin. Beachtete sie nicht."
    Hakiz Stirn runzelte sich in gespielter Verwirrung. "Wozu schleppt ihr eine unbedeutende Söldnerin an? Etwa um euch zu beschützen?" Sein Mund kräuselte sich zu einem seltsam schmalen Lächeln. Ereck seufzte. Nach zwei Jahren bei Hofe verabscheute er noch immer dieses Spiel der Worte.
    "Ich bin seine Beraterin", sagte Lohra. Ereck sah verwundert zu ihr herüber doch ihr Blick war auf Hakiz gerichtet. Dieser grinste noch immer. "Beraterin?", sagte er. "Welche Erfahrung kann ein Söldnerweib denn haben, dass irgendjemand sich um ihren Rat scheren würde?" Nun war es Lohra, die grinste. "Glaubt mir, ich habe habe mehr Lebenserfahrung, als Ihr sie je machen werdet."
    Der Sohn des Zerbu schwieg einen Moment, sein dünnes Lächeln hatte sich in einen schmalen Strich verwandelt. Ereck suchte nach den richtigen Worten, um die Spannung zu lösen, da fing der edle Hakiz Zu Rakhlaz Ur Arranaz plötzlich an laut zu lachen. Sowohl seine Wachen, als auch Lohra und Ereck tauschten einen verwirrten Blick aus. Eine ganze Weile standen sie da, schweigend, während Hakiz im Sattel bebte. Schließlich beruhigte er sich wieder. Mit dem behandschuhten Zeigefinger wischte er sich eine Träne aus dem linken Auge, während er atemlos murmelte: "Welch erfrischende Frechheit. Sowas ist mir wahrlich nie zuvor begegnet."
    "Edler Hakiz Zu ...", wollte Ereck das Gespräch wieder auf die richtige Bahn lenken, doch der hohe Herr unterbrach ihn. "Spart Euch den Atem", sagte er, noch immer kichernd. "Ich kenne meine Titel und es wird bald dunkel. Ich will die Stadt vor dem Morgengrauen eingenommen haben."
    "Das wird nicht möglich sein", erwiderte Ereck bestimmt.
    "Doch, wenn Ihr mir die Tore öffnet."
    "Bei allem Respekt, Elder, das wird nicht passieren. Euer Recht auf den Thron ist nicht größer, als das Eurer Brüder." Ereck bemühte sich, entschlossen zu klingen, was ihm nicht schwer fiel. Er war es ja auch.
    Nun war das Lächeln auf dem Gesicht des Mannes spurlos verschwunden.
    "Wenn Ihr nur wüsstet, wie falsch Ihr liegt. Sagt, Hauptmann, habt ihr meinen Brief nicht erhalten?"
    "Durchaus. Ihr spracht davon, dass man Euch eures Rechts beraubt hätte. Was nicht der Wahrheit ent ..."
    "Ich habe Euch aufgefordert, mich mit offenen Toren zu empfangen. Und nun stehe ich hier und alles, was ich sehe ist blanke Eiche. Hättet Ihr mich an einem schlechteren Tag erwischt würde Eure Stadt schon brennen. Aber ich habe beschlossen, Euch auf Euren Fehler hinzuweisen."
    Ereck musste das Verlangen, die Stimme zu erheben unterdrücken. So ruhig wie möglich entgegnete er: "Es wurde kein Fehler gemacht. Ihr habt nicht das Recht ..."
    "Ich hab alles Recht auf der Welt!", sagte Hakiz mit lauter Stimme. Sein glänzender Haarturm wackelte bedrohlich und sein Ross spitze erschrocken die Ohren. "Mein Vater, den Ihr in irgendeinem Loch dahinsiechen lasst, hat mich geliebt! Meine Mutter hat er geliebt! Solange ich denken kann, hat er mir den Thron versprochen!"
    Er machte eine kurze Pause, um sich zu fassen.
    "Als ich mein zwanzigstes Jahr abschloss, und er mich in den Rat der Stadt Ragnaz einberief, da bat ich ihn, seine Erbfolge schriftlich festzulegen. Er stellte mir ein unterzeichnetes und versiegeltes Dokument aus, in dem er mich, mich allein, zu seinem Thronerben ernannte. Ich sollte meinen Brüdern nichts verraten, damit sie ihren Vater nicht hassten. Sie sollten erst nach seinem Ableben von dem Dokument erfahren. Also habe ich es in den Archiven des Ratshauses von Ragnaz versteckt. Nur ich, Vater, der Archivar und meine engsten Vertrauten wussten von seiner Existenz und dann, als ich vom bevorstehenden Tod meines geliebten Vaters erfuhr, da ging ich hinunter in die Katakomben um das Dokument zu holen. Und es war fort. Ich habe jeden Winkel des Archivs umräumen lassen, habe überall gesucht, während meine Brüder Euren Palast mit ihrer Anwesenheit infiziert haben, doch ich habe nichts gefunden. Einer von ihnen muss von der Schrift erfahren haben und hat sie gestohlen. Er hat mir mein Geburtsrecht gestohlen! Ich sage es Euch also zum letzten Mal. Öffnet die Tore vor Sonnenuntergang oder ich werde mir das, was des Rechts nach mein ist, mit Stahl erstreiten!"
    Ereck stand reglos da. Er hatte versucht, in Hakiz' Gesicht die Züge eines Lügners wiederzufinden, doch nichts gefunden. Konnte diese Geschichte wahr sein?
    "Woher weiß ich, dass Ihr euch das nicht ausgedacht habt?", fragte Ereck. Lohra nickte zustimmend. Hakiz blickte mit versteinerter Miene auf die beiden herab.
    "Entweder Ihr glaubt mir oder die Stadt wird mit Gewalt erstürmt. Beratet das mit eurem Söldnerweib."
    Er gab seinem Pferd die Sporen und gemeinsam mit seinen Wachen trabte er zum Lager zurück.
    Ereck und Lohra blieben schweigend zurück. Nach einem kurzen Moment wurde Ereck von einem Ruf aus seinen Gedanken gerissen.
    "Hey!", kam es von der Mauer. "Hauptmann, die haben einen Spion geschnappt!"
    Seufzend stieg Ereck zurück in den Käfig, Lohra hinterher. Als sie knatternd nach oben gezogen wurden drehte Lohra sich zu ihm und fragte: "Und was jetzt?"

    100% Konsequent!

    Einmal editiert, zuletzt von Unor (28. November 2016 um 17:19)

  • Ars saß auf einer Holzbank in der Kaserne, welche den Soldaten auf der Stadtmauer als Nachtlager diente. Auf der gegenüber liegenden Seite des langen Esstisches hatte sich ein Mann mit nur einem Auge niedergelassen. Er betrachtete abwechselnd den jungen Schmied und seine Sachen, die man ihm nach seiner Flucht aus dem Lager des Hakiz Zu Rakhlazabgenommen hatte.
    Ars' Augen verfolgten die Hand des Mannes, als er nach dem uralten, in rotbraunes Leder eingebundenen Buch griff, es aufschlug und ein großes Auge machte.
    Da steht ja gar nichts drin!“, lachte er kurz auf und warf einen Blick zu Ars. Der zuckte nur mit den Schultern. „Und wozu brauchst du das hier?“ Er schnappte sich das System aus Lederriemen und Metallringen, das normalerweise an Ars' rechter Hand angebracht war. Der streckte nun auffordernd die Hand aus. Die Geste bedeutete dem Soldaten: Gib es mir, dann zeige ich es dir.
    Einen Moment lang zögerte er. Aber dann lächelte er selbstgefällig, machte schnell eine Faust um die Vorrichtung und schnippte mit der anderen Hand. „Das hättest du wohl gerne, was?
    Gerade, als der Junge antworten wollte, öffnete jemand von außen die Tür und trat ein.
    Ein kalter Schauer lief Ars den Rücken herunter. Er wusste nicht, wieso.
    Der Bär von einem Mann, der mit seinem Weißen Federumhang, den roten Haaren und der kraftvollen Stimme einen gewissen Eindruck bei Ars hinterließ, rief: „Was soll das, Rogarr?“ Er ging zu dem Einäugigen und betrachtete die auf dem Tisch liegenden Gegenstände.„Wo ist der Spion von dem mir berichtet wurde?
    Er sitzt direkt vor dir!“, sagte der Soldat namens Rogarr. Als er den zweifelnden Blick des Großen sah, beteuerte er: „Jetzt glaube mir doch, Ereck! Er kam von Außen. Wir fanden ihn vor einer Stunde innerhalb der Mauer. Er lag bewusstlos vor einer offen stehenden Tür, die ich noch nie zuvor an dieser Stelle gesehen habe!
    Was?“ Der Rotbart sah den halbstarken, kaum erwachsenen Jungen an. Wie er da saß, mit seinem roten Kapuzenmantel, die Arme reglos neben dem Körper hängend, den Blick starr auf ihn gerichtet. Er seufzte. „Also schön. Lass mich mit ihm reden. Vielleicht weiß er etwas, das uns dabei hilft, den Sohn des Zerbu vor den Stadttoren loszuwerden.“ Dann fügte er etwas leiser hinzu:„Ohne dass dabei ein Krieg ausbricht, meine ich.
    Als er sich auf die Bank setzte, knarzte das Holz unter ihm. Er ignorierte es und stellte sich vor. „Sei gegrüßt. Mein Name ist Ereck Weißkrähe. Ich bin der Anführer der Stadtwache und für die Sicherheit hier verantwortlich.“ Er wartete auf eine Antwort, aber es kam keine.„Wenn jemand wie du einfach in das Innere der Stadtmauern eindringt, ohne dass es jemand bemerkt muss ich wissen, wie er es getan hat. Das verstehst du doch, oder?
    Selbstverständlich.“, sagte Ars endlich. „Aber ihr solltet auch wissen, dass ich kein Spion bin, Ereck Weißkrähe.
    Du wirst verstehen, wenn ich dafür einen Beweis haben will. In einer so angespannten und gefährlichen Lage wie der jetzigen kann ich nicht das Risiko eingehen, einen Spion innerhalb der Stadt umher rennen zu lassen.
    Natürlich nicht. Ich verstehe euch da vollkommen, Ereck Weißkrähe. Ich kann euch zwar keinen direkten Beweis liefern, aber vielleicht genügt es ja, wenn ich von meiner Flucht aus dem Lager der Angreifer berichte?
    Das kann ich erst entscheiden, wenn ich deine Geschichte kenne. Also.“ Er lehnte sich zurück.„Wie ist dein Name?
    Ich bin Ars Symbolon. Ich war lediglich ein Wanderschmied auf der Suche nach Arbeit, als mich die Armee auf ihrem Weg hierher vor drei Tagen fand und mitnahm. Ich sollte Schwerter und Rüstungen für ihre Soldaten schmieden. Wenn ihr meine schwierige Lage bedenkt werdet ihr es mir wohl nicht verübeln, dass ich für einige Waffen eurer Feinde verantwortlich bin.
    Der Sohn des Zebru ist kein Feind“, fiel ihm Ereck ins Wort, „Die Lage ist lediglich... kompliziert...
    Dann gestattet mir, mich zu verbessern. Ich habe einige Waffen der Menschen geschmiedet, die nun eure Stadt belagern. Dies war mir jedoch nicht besonders geheuer, da ich weder den Sinn, noch das Ziel ihres Angriffs kannte und somit nicht in der Lage war zu bewerten, ob dieser Feldzug meine Unterstützung Wert war. Abgesehen davon werde ich nicht gerne als Sklave gehalten. Ich plante meine Flucht von dem Moment an, als sie mich fanden, bis zum heutigen Tage. Vor etwas mehr als fünf Stunden hatte ich dann 237 mögliche Fluchtpläne herausgearbeitet. 117 Davon konnte ich völlig alleine durchführen. Davon konnten jedoch nur 25 Tagsüber stattfinden. Wenn ich die Tatsache ausnutzen wollte, dass der Anführer das Lager verließ, würden noch 4 Optionen zurückbleiben.“ Er griff nach dem Lederriemen mit den Ringen und rieb den braunen Gurt zwischen zwei Fingern. Ereck hielt ihn nicht ab. „Aber ich hatte nur einen Plan, der wirklich infrage kam, nur einen Plan, bei dem ich niemanden verletzen musste, bis auf mich selbst.“ Er zog vorsichtig den linken Ärmel seines roten Mantels und den Metallschoner zurück – und offenbarte eine klaffende Fleischwunde, die sich vom Ellenbogen bis zur Lücke zwischen Mittel- und Ringfinger zog. Erecks Blick blieb an dem rosa glänzenden Fleisch hängen. Bevor er etwas sagen konnte, sprach Ars weiter. „Um es kurz zu fassen: Ich habe mir eine Verletzung zugefügt und habe dann unter diesem Vorwand mit einem Kutscher das Lager verlassen, habe mich dann alleine bis zur Mauer durchgekämpft und bin dann hinter der Tür dort unten zusammengebrochen.Haltet ihr mich nun noch immer für einen Spion, oder glaubt ihr mir?
    Der Anführer fuhr sich nachdenklich durch den Bart. „Hmmmm...“, machte er schließlich. „Was denkst du, Söldnerin?
    Also um ehrlich zu sein...“, erwiderte eine Frauenstimme hinter Ars. Als er sich umdrehte, gefror ihm das Blut in den Adern. Er hatte die junge Frau, die dort gelassen an der Wand lehnte, nicht eintreten sehen. In Gedanken glich er ihre körperlichen Eigenschaften mit allen Rassen ab, die er kannte. Dennoch wusste er - ein solches Wesen war ihm noch nie vor die Augen getreten. Was ist sie?, dachte er und ließ den Blick panisch an der jungen Frau auf und ab wandern, die ihn nun nachdenklich musterte und ihre Antwort abwägte.

    Einmal editiert, zuletzt von Glimpsel (28. November 2016 um 22:55)

  • Lohra hatte der Geschichte des Mannes schweigend zugehört. Beim Anblick der Fleischwunde dachte sie an die alte Frau .. Esme, wenn sie sich nicht irrte. Sie könnte ihm sicherlich helfen. Helfen war immer gut. Mit den Jahren hatte sie gelernt, dass man immer das erntete, was man säte und sei es auf Umwegen. Sie verschob ihre Überlegungen allerdings, als Ereck sie direkt ansprach: „Hmmmm ... Was denkst du, Söldnerin?
    Also um ehrlich zu sein...“, setzte sie an, schwieg dann aber noch einen Moment. Sie stieß sich von der Mauer ab und umrundete den Kerl langsam, um ihn von oben bis unten mustern und schließlich direkt ins Gesicht blicken zu können.
    Der Kerl war jung, groß und nicht besonders kräftig. Letzteres sprach dafür, dass er kein Wanderschmied war. Auch seine Kleidung, kam ihr bekannt vor und sie wusste nur allzu gut woher. Sie konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, dennoch schwieg sie und betrachtete das Gesicht des Mannes. unauffällig. Braune Augen, braune Haare, die ihm ins Gesicht fielen. Der Ausdruck in seinen Augen wirkte ehrlich - zumindest so ehrlich, dass sie ihm glaubte kein Spion zu sein. Sie holte tief Luft und nahm den Faden des Gespräches wieder auf: "Also um ehrlich zu sein glaube ich ihm einige Teile seiner Geschichte nicht." Sie hörte wie der Jüngling nervös mit den Füßen scharrte. "Aber ich glaube ihm, dass er kein Spion ist."
    Ereck fuhr sich nachdenklich durch die Haare, drehte sich wortlos um und verschwand aus dem Raum. Draußen meinte er: "Zu dem selben Schluss bin ich auch gekommen. Irgendetwas ist faul mit ihm."
    Kurz überlegte Lohra Reck zu sagen, dass sie den eigentlichen Beruf des Gefangenen ahnte. Der menschliche Alchimist, Herm, hatte ganz ähnliche Kleidung getragen. Dann entschied sie sich allerdings lieber zu schweigen. Hätte sie es gesagt, hätte Ereck nachgehakt und sie hätte sich erklären müssen. Also zuckte sie nur zustimmend mit den Schultern. "Vielleicht ist er zu irgendwas zu gebrauchen. Wenn er länger im Lager war, hat er vielleicht ein paar Informationen für uns."
    Ereck nickte. "Dann lass uns ihn noch befragen." Lohra schüttelte den Kopf. "Mach du. Ich hole die Heilerin und bitte sie um Hilfe. Sonst verblutet der Kerl, eher er uns helfen kann."
    Gerade als die beiden sich abwandten, um ihrer Wege zu gehen, kam ein weiterer Soldat auf Ereck zugeeilt. "Herr, wir haben an der Mauer einen Kerl aufgegabelt, der eine Nachricht an die Armee schmuggeln wollte!"
    Ereck rollte genervt mit den Augen. "Herrgott! Als ob ich nichts Wichtigeres zu tun hätte ..." Fluchend folgte er dem Soldaten, während Lohra sich auf den Weg zu Emse machte.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Matt saß in einem kleinen Raum mit aus Stein gemauerten Wänden. Sie hatten es zwar keine Zelle genannt, doch der gerüstete Soldat, der vor der einzigen Tür stand, verriet etwas anderes.
    "In welche Lage habe ich mich hier gebracht", fragte er sich. Dennoch konnte er kaum über sein eigenes Problem nachdenken, denn immer wieder schlichen seine Gedanken zurück zu der Armee, die draußen vor den Toren wartete. Seine Familie - sie fragten sich sicher bereits, wo er blieb - war in Gefahr und diese Hohlköpfe beharrten allen ernstes darauf ihn hier gefangen zu halten. Wenn der Angriff begann, wollte er bei seinen Eltern und seinen Geschwistern sein, um sie zu verteidigen. Er war sich sicher, dass er sie hier raus bringen konnte, und wenn er aller Welt seine Gabe offenbaren musste. Angespannt lockerte er die verkrampften Finger. Sobald er den ersten Schlachtenlärm hörte, würde er sich aus den Staub machen.
    Plötzlich öffnete sich die Tür und zerschlug Matts aufkeimende Gedanken wie ein Schwerthieb. Ein Mann groß wie ein Bär und mit Armen, auf die ein Bär mit Sicherheit neidisch gewesen wäre, stand in der Öffnung und warf seinen Schatten in das Sonnenlicht, dass von draußen hereinströmte. Er trug einen weißen Mantel aus Federn. Matt beschlich der Gedanke, dass es sich um Ereck Weißmantel handeln musste, dem Hauptmann der Wache. Er starrte ihn einen Moment lang fassungslos an und drehte sich dann zu der Wache um, die besorgt zu ihm aufblickte.
    "Ist das euer Ernst", fragte er den Mann mit trockener Stimme. "Erst bringt ihr mir eine Kind und jetzt einen vermaledeiten Bauernburschen. Wen schleppt ihr als nächstes an. Meine Großmutter?"
    "Handwerker, Sir", warf Matt ein und unterließ es den Hünen darauf hinzuweisen, dass er unter den Narben und dem flammend rotem Bart nicht viel älter als er selbst schien. Doch das musst nicht viel heißen. Matt hatte man schon mit 15 eine verfluchte Armee kommandieren lassen - oder besser aufgezwungen - und dieser Kerl sah aus als wäre er dazu wesentlich besser geeignet.
    "Was?", fragte Weißmantel überrascht.
    "Handwerker", wiederholte sich Matt. "Mein Vater ist Handwerker und nicht Bauer." Sein gegenüber starrte ihn einen Augenblick lang an, dann gluckste er.
    "Meinetwegen", sagte er und setzte sich Matt gegenüber an den Tisch.
    "Nun?", begann der Hauptmann der Wache. "Was hattest du auf der Mauer zu suchen. Meine Männern haben mir berichtet, dass du eine Nachricht verschickt hast."
    "Das ist Unsinn", antwortete Matt geradeheraus. "Ich wollte nur den Grund für diese Ausgangssperre herausfinden. Ich habe sie gebrochen, weil ich mir Sorgen um meine Familie mache, aber ich würde niemals einem Gegner dieser Stadt helfen. Immerhin leben ich mein ganzes Leben hier."

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Ereck seufzte. Ein kleiner Teil von ihm hatte gehofft, dieser Matt wäre wirklich ein Spion, damit seine Zeit nicht gänzlich verschwendet war. Er beschloss, noch etwas nachzuhaken.
    "Wenn ich also meine Männer beauftrage, deine Nachbarn auszufragen, dann werden sie alle bestätigen, dass du schon dein ganzes Leben hier wohnst?"
    "Ja", antwortete der Mann ohne zu zögern. Er schien es wirklich eilig zu haben.
    "Selbst wenn. Du könntest trotzdem ein Spion sein."
    "Bin ich nicht. Ich schwöre es. Darf ich jetzt zu meiner Familie?"
    Erecks Zweifel ebbten ab und er war schon im Begriff, den jungen Mann zu entlassen, als er doch innehielt und sagte: "Lohra"
    Matt sah ihn verwirrt an. Ereck hakte nach: "Kennst du eine Frau namens Lohra? Lüge mich besser nicht an!"
    "Nein. Darf ich jetzt bitte gehen?"
    Dieser Kerl hatte es etwas zu eilig für Erecks Geschmack. Er fasste eine Entscheidung.
    "Wache!" Der Mann in der Tür schreckte auf. "Bring diesen Mann in den Kerker. Ich werde mich morgen mit ihm befassen, jetzt habe ich wichtigeres zu tun."
    Der Soldat nahm nahm eine Eisenkette von seinem Gürtel und ging auf Matt zu, der ihn entgeistert anblickte.
    "Hände auf den Rücken", befahl er.

    100% Konsequent!

  • Matt sah sich panisch um. Dann hob er die Hände abwehrend und trat ein paar Schritte zurück.
    "Bitte", bettelte er. "Sie müssen mir glauben. Ich bin kein Spion. Der Name Lohra kommt mir nur bekannt vor." Das war die Wahrheit. Eine Frau namens Lohra hatte die Armee Bornholds heldenhaft bekämpft. Damals. Viele Legenden hatten sich um ihre Schlacht gerankt, doch schlussendlich war sie wohl gefallen. Immerhin hatte sie sich ganz allein schützend zwischen eine kleine Stadt und die Truppen des Lords gestellt. Doch er selbst war ihr nie begegnet. Wenn genau diese Frau nun jedoch auf der Seite der Wache stand, dann war das ein Zeichen. Ob ein gutes oder ein schlechtes, wusste er jedoch nicht.
    "Wirklich?", bohrte Weißmantel nach. "Lohra ist ein ziemlich spezifischer Name." Matt sah sich suchend nach einem Ausweg um, aber er fand keinen.
    "Ich habe sie gewiss verwechselt", beteuert Matt immer noch verzweifelt und erwiderte den starren Blick des Hünen, der langsam immer weiter auf ihn zu trat. "Sie können wirklich alle die mich kennen fragen. Meine Nachbarn, meine Familie, meine Freunde. Ich war immer nur ein ganz gewöhnlicher Junge mein Vater ist Hufschmied." Ereck blieb stehen, nahm seinen Blick jedoch nicht von ihm.
    "Schmied?", fragte er. "Wirklich."
    "Ja", antwortete Matt perplex, der keine Ahnung hatte, was in dem Hauptmann der Wache vorging.
    "Zwei Schmiede an einem Tag", gab der Hüne nur rätselhaft von sich und kicherte. Das ganze schien ihn zu amüsieren. In diesem Moment trat eine Frau durch die Tür. Auf dem ersten Blick hätte Matt nicht sagen können, was das auffälligste an ihr war. Das violette Haar, dass ihr geflochten zu einem Zopf auf den Rücken fiel, ihre braune Haut oder ihre Spitzen Ohren, die Matt schmerzlich an Elisa erinnerten.
    "Du hast mich gerufen", fragte sie und blickte den Hauptmann abwartend an. "Die Heilerin versorgt den anderen. Mehr als eine Narbe wird wohl nicht bleiben." Ereck blieb ihr eine Erklärung schuldig und wandte sich wieder an Matt.
    "Gut, ich bin bereit dir zu glauben", sagte er schließlich und Matt ließ einen erleichterten Seufzer ertönen. "Doch vorher will ich, dass du Lohra alles erzählst, was sie wissen möchte. Ihre Meinung entscheidet über deine Freiheit, also hallte nichts zurück." Und mit diesen Worten drehte er sich um und verließ den Raum.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Rogarr stand neben der Tür und betrachtete sein Spiegelbild in der Klinge seines Schwerts. Als Ereck ihn beim Namen rief, steckte er es ein und kam herübergetrottet. Er hatte wenig Respekt, das wusste Ereck, aber in diesem Moment war es ihm egal.
    "Rogarr", sagte er. "Ich habe eine wichtige Aufgabe für dich."
    Der Einäugige sah ihn etwas verwirrt an. Normalerweise gab der Hauptmann ihm nie einen bedeutenden Auftrag. Ein einfaches Grunzen war seine Antwort.
    "Ich will dich in der Flüsterkammer, verstanden?"
    "Was? Warum?" Rogarr's verbliebenes Auge verengte sich skeptisch. Ereck trat näher an ihn heran und senkte die Stimme mit einem Blick zur Tür.
    "Ein Soldat hinterfragt seine Befehle nicht. Tue wie dir befohlen und erstatte mir später Bericht. Ich werde unten beim Seneschall sein."
    Es sah so aus, als wolle Rogarr noch etwas sagen, doch schließlich nickte er nur mürrisch und machte sich auf.
    Zeit, diesem Wanderschmied einen zweiten Besuch abzustatten, dachte Ereck, als er sich zum Krankenzimmer des Zerbus aufmachte, wo er die Hexe und ihren neuen Patienten vermutete.

    100% Konsequent!

  • Irgendein Soldat führte Ars aus der Kaserne und durch die Straßen der Stadt. Der Junge bekam kaum etwas vom Weg mit - Seine Gedanken verschwammen unterwegs immer wieder, was er dem Blutverlust durch seine Verletzung anrechnete. Er fürchtete jedoch die Reaktion seiner Wache, wenn er es ihm sagte. "Sei kein Weichei!", oder "Wenn du nicht doch in den Kerker willst, dann hör auf dich zu beschweren!" schwirrten in seinem schmerzendem Kopf als mögliche Antworten umher. In einem kurzen Moment der absoluten Klarheit rang er sich dennoch zu einer Frage durch: "Würdet ihr mir verraten, wohin ihr mich bringt, Soldat? Ich habe nur etwas von einer Heilerin verstanden." Das war gut, dachte Ars. Ich habe ihm nichts von meinem Blutverlust erzählt und dennoch nach einer Heilerin gefragt.
    Zuerst schnaubte der Mann nur abweisend, sah jedoch bei einem kurzen Blick über die Schulter den Zustand des Jungen und entschied anders.
    "Du sollst uns Informationen über den Feind liefern", lautete die nach einem Moment Antwort. "Und damit du vorher nicht verreckst, bringe ich dich jetzt zur Heilerin."
    Es sind keine Feinde, dachte Ars und sah den verschwimmenden Rücken des Soldaten an. "Komplizierte Lage...", erinnerte er sich an die Worte Erecks. Was auch immer das bedeuten mag... Sie erreichten irgendein großes Gebäude, als Ars' ohnehin schon geringen Kräfte zu schwinden begannen. Sie passierten eine beeindruckende Eingangshalle, wo der Soldat stehen blieb und ihm eine Richtung wies. "Geh diese Treppen herunter und betritt den ersten Flur zu deiner Linken. Am Ende des Ganges befindet sich ein Zimmer. Das ist dein Ziel."
    "Kommst du denn nicht mit?", schwatzte Ars wankend. Ein besorgter Blick des Soldaten und ein Kopfschütteln gaben ihm die Antwort. "Wir von der Mauerwache dürfen dem Zerbu nicht zu nahe treten. Ein Anordnung des Seneschall." Ars murmelte: "Ihr solltet euch wirklich leichtere Namen für die wichtigen Posten aussuchen" und stieg schließlich die Treppe hinab. Mit letzter Kraft schlurfte der Junge den Gang entlang. Als er das beschriebene Zimmer erreichte, wollte es gerade jemand verlassen, aber er konnte nicht mehr erkennen, wer es war. Ars öffnete den Mund, um etwas zur Begrüßung zu sprechen, aber stattdessen verdrehte er nur die Augen und segelte der Person bewusstlos in die Arme.

  • Lohra ging in den Raum und blickte Ereck skeptisch hinterher. Sonst war er immer bei ihr geblieben, schon gar nicht hätte er eine solche Entscheidung ihr überlassen. Immerhin kannten sie sich gerade mal ein paar Tage und sie war nur Beraterin. Vielleicht hatte er einfach alle Hände voll zu tun, immerhin lagerte eine Armee vor den Toren der Stadt - ein Gefühl sagte ihr jedoch, dass das nicht der ganze Grund war. Sie schüttelte den Kopf um ihn von den Gedanken zu befreien und wandte sich dem Gefangenen zu.
    Für einen Spion hatte er ein ganz passendes Aussehen. Unverfängliche, einfache Kleidung und keine hervorstechenden Merkmale - außer vielleicht die grünen Augen, die hektisch umher zuckten.
    "Bitte lasst mich zu meiner Familie", brach er das Schweigen.
    Lohra musterte den Mann. Er schien außerdem ein wenig älter, als der andere. Irgendwas um die Zwanzig.
    "Wo lebt deine Familie?", fragte sie.
    "Das habe ich doch alles dem anderen schon erzählt ..." Lohra entging nicht, dass der Blick des Mannes von ihren Haaren, zu ihrer Haut flitzen und schließlich an ihren spitzen Ohren hängen blieben.
    "Ich würde es gerne nochmal hören." Sie versuchte freundlich zu bleiben.
    "Ich lebe in der Stadt. Schon immer. Ich und meine Vater betreiben eine Hufschmiede."
    "Warum warst du dann auf der Mauer?"
    "Wir dürfen nicht vor die Tür und ich wollte wissen warum. Ein Mann kann seine Familie nur beschützen, wenn er die Bedrohung kennt."
    Für einen so jungen Kerl sprach er bedachte Worte. Unweigerlich imponierte er Lohra damit, die es gewohnt war, dass die Menschen um sie herum Fehler machten, die sie schon lange vor ihnen gemacht und nicht die Absicht hatte, sie zu wiederholen.
    Wie dem anderen zuvor sah sie dem Mann prüfend in die Augen und versuchte zu beurteilen, ob sie seinen Worten Glauben schenken konnte oder nicht.
    Plötzlich platzte er hervor: "Ihr seid Lohra?"
    Lohra zog eine Augenbraue in die Höhe. "Ja, ich heiße Lohra."
    "Nein, ich meine seid ihr DIE Lohra?"
    Verwirrt runzelte sie ihre Stirn. Sie wüsste nicht in welchen Teilen des Landes sie sich einen Namen gemacht haben sollte. Ihr Äußeres war zwar einprägsam, aber nicht mehr wert als einen erstaunten Klatsch am Gartenzaun. Sie hatte in vielen Schlachten gekämpft, aber hier wurden nie einzelne Krieger bekannt.
    "Welche Lohra meinst du?", fragte sie, weil sie wirklich nicht verstand worauf der Junge hinaus wollte.
    "Schon in Ordnung. Ich muss euch verwechselt haben. Eigentlich kann es ja auch gar nicht sein", sagte er.
    Lohra nickte und ging wortlos. Plötzlich wollte sie schnellstmöglich hier weg, auch wenn sie die Zelle mit einem unguten Gefühl verließ.
    Im Vorbeigehen gab sie der Wache einen Wink, dass sie den Jungen gehen lassen sollte. Je schneller er hier weg war, desto besser.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald