Erecks Lungen brannten. Sein Schädel dröhnte und jeder Muskel seines Körpers verkrampfte sich so heftig, das er zuckte wie ein Fisch an der Leine. Lange würde er den Impuls zu atmen nicht mehr unterdrücken können.
Stechender Schmerz fuhr ihm durch die Beine, als man am dem Seil zog, dass um seine Füße gebunden war. Sofort sog er gierig die Luft ein, wobei etwas Wasser in seine Nase gelangte. Er huste, was das Brennen in seinen Lungen verschlimmerte. In seinen Ohren rauschte es und sein Blick war verschwommen. Er konnte nicht sagen, wie lange er schon gefesselt von der Decke baumelte, aber sein Kopf musste puterrot sein. Wo das Seil ihm in die Füße schnitt, konnte er schon nichts mehr fühlen, aber er spürte die Rinnsale von Blut, die seine Schenkel hinabkrochen.
Ein Ohrfeige brachte ihn näher ans Bewusstsein.
"Wo sind sie?", fragte Rogarr. Ereck hustete noch immer und da schlug er ihn ein zweites Mal. Als der Hauptmann nicht antwortete, zückte er ein Messer.
"Ereck, alter Knabe, mach es mir doch nicht so schwer." Sein verbliebenes Auge glitzerte vergnügt. "Wo sind sie?"
"Hast du schon in deinem fetten Arsch nachgesehen?", meinte Ereck benommen. Unter anderen Umständen wäre ihm wohl etwas gewitzteres eingefallen. Rogarr grinste und legte ihm die Klinge an die Wange.
"Willst du deine Antwort nochmal überdenken?"
Ereck versuchte zu spucken, stattdessen würgte er nur Wasser hervor. Rogarr wicht angeekelt zurück.
"Du hast es so gewollt!"
Das Messer biss sich tief in Erecks rechte Wange. Mittlerweile war ihm soviel Blut in den Kopf gestiegen, dass es nur so heraussprudelte. Selbst der Einäugige schien überrascht und wich zurück. Um nicht zu schreien, bis der Hauptmann die Zähne kräftig zusammen, was den Schmerz in seiner Wange jedoch noch verschlimmerte. Das Rauschen in seinen Ohren wurde lauter und sein Blick trüber. Rogarr schlug ihn erneut, auf die linke Wange diesmal. Es half wenig.
"Ereck", sagte er. "Wo sind sie?"
Erecks Zunge fühlte sich lahm und schwer an, so dass er kaum sprechen konnte. Er nahm einen tiefen, röchelnden Atemzug.
"Ich bin ... recht durstig ... Wärst du so nett?"
Rogarrs Miene war finster. Einen kurzen Moment starrte er seinen ehemaligen Hauptmann an, dann nickte er der Wache zu, die den Strick in der Hand hielt. Sie ließ ihn sogleich los und Erecks Kopf tauchte wieder in den mit Wasser gefüllten Zuber unter ihm. Diesmal, davon war er überzeugt, würden sie ihn nicht wieder herausziehen.
Ein bunter Haufen
Es gibt 152 Antworten in diesem Thema, welches 44.046 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (
-
-
Lohra eilte durch die Gänge. Sue verfluchte ihr auffälliges Erscheinungsbild, denn sie kam nur halb so schnell voran, wie ihr lieb war, weil sie immer wieder Wachen ausweichen musste. Irgendwann war sie dazu übergegangen die Verbindungstüren zu nutzen, um voran zu kommen und endlich fand sie eine Spur von Ereck. Ihr schnürrte es die Kehle zu. Sie hatte gehofft, dass Ereck wohlauf war, aber das sah anders aus. Weiße Federn lagen am Boden und wiesen ihr einige Meter die Richtung. Plötzlich stand sie vor Rogarrs Zimmer. Larenz, die Ratte, hatte sich also von dem Festsack bestechen lassen.
Von drinnen hörte sie Stimmen. Rogarrs wütende und Erecks, immer wieder von Husten und Prusten unterbrochene Stimme. Sie schielte durch einen Spalt in der Tür.
Ereck hing Kopf über von der Decke und blutete aus der Wange. Unter Ohm ein Bottich mit Wasser. Ein Soldat hielt das Seil, Larenz lehnte grinsend an der Wand und der Fettsack wollte wissen, wo sie und die anderen waren. Lohra wettete, dass rechts und links neben der Tür noch jeweils eine wache stand. Rogarr gab ein Zeichen und Ereck versank wieder im Wasser. Lohra zögerte nicht länger. Mit einem wütenden Schrei Hieb sie auf die Schaniere der Tür ein und trat sie dann auf.
"Hier bin ich, du Ratte!"
Sie glitt unter den Schwertern der Wachen hindurch, machte einen Satz auf den Bottichrand und trennte das Seil, das Ereck hielt, durch. Platschend schlugen die Beine neben dem Behälter auf und hebelten den Kopf den Hauptmanns über Wasser. Schon sah Lohra drei Klingen, der Fetti wurde von Larenz in Sicherheit gebracht. Lohra stieß sich ab, schlug einen Salto und landete geschmeidig hinter den Soldaten. Diesmal hatte sie keine Skrupel und rammte dem ersten ihre Klinge zwischen die Schulterblätter. Ein brennender Schmerz in der Seite ließ sie herum fahren und dem zweiten die Kehle aufschlitzen. Blut flog in glitzernden Rubinen durch die Luft. Der Letzte ließ beim Anblick der Furie sein Schwert fallen und rannte davon.
"Ereck! Ereck geht es dir gut?" Lohra ließ ihr Schwert neben den Hauptmann fallen und nahm sein Gesicht in beide Hände. Die Augenlider flatterten, er atmete und fragte dann beinahe wütend: "Was zum Henker machst du hier noch?" -
Das erste Kampfgeräusche drangen schon von den Palastmauern zu ihnen hinüber, als Lohra und Erick zu ihnen stießen. Weißmantel war mit Wunden übersät, seine Haare und Kleidung wirkte, als sie er mit ihnen schwimmen gewesen und er musste von seiner Begleitung gestützt werden, doch wenigstens lebte er augenscheinlich noch. Eigentlich hätte er wütend auf den Mann sein müssen, doch was brachte das schon. Noch schlimmer könnte er ihn kaum zurichten. Den anderen schien dasselbe durch den Kopf zu gehen. Selbst der zornige Blick der Kräuterfrau war nicht ganz so schneidend wie gewöhnlich. Blöd nur, dass Ereck davon durch seine nur halb geöffneten Augenlider nicht viel mitbekommen konnte. Zumindest zeigte er keine weitere Regung, als einen Fuß vor den anderen zu setzen und gelegentlich aufzustöhnen. Matts Vater eilte Lohra sofort zu Hilfe und nach kurzem Zögern tat Matt es ihm gleich. Zusammen schafften sie den einstigen Hauptmann die steilen Stufen zur Bibliothek hoch. Zum Glück standen keine Wachen vor den Torflügeln - die Soldaten wurden immerhin woanders dringender gebraucht - und Sekunden später standen sie im düsteren Innerem des alten Gewölbes. Matt nahm eine der Fackeln, die vor dem Eingang hin und zum Glück noch loderte, und führte die Gruppe an. Er war vermutlich nicht unbedingt der geeignetste dafür, doch immerhin hatte er eine grobe Ahnung, wo es hin ging. Die Fackel warf ihr Licht nur auf einen kleinen Kreis um sie herum. Er konzentrierte sich, ballte die Hand zu einer Faust und öffnete sie wieder und die Flamme loderte auf. Etwas stärker als beabsichtigt, doch wenn es jemand bemerkt hatte, würde er dafür sicher eine andere Erklärung finden. Mit Ausnahme seiner Familie natürlich, doch das Thema war schon seit langem nicht mehr angesprochen worden, also wieso jetzt? Natürlich hätte er bessere Abhilfe schaffen können, doch nachdem er es die letzten Stunden vermieden hatte, würde er auch das hier bewältigen ohne allen seine Gabe zu offenbaren. Zählend schritt er die Reihen der Regale ab. Er konnte kaum glauben, dass er sich das gemerkt hatte, doch als er diesen Weg das letzte Mal gegangen war, hatte er besonders auf ihn geachtet, um sich nicht damit beschäftigen zu müssen, was außerhalb dieses Gebäudes geschehen war oder noch geschah. Bornhold hatte damals schon genug Gelegenheit gehabt über seine Tränen lachen zu können.
Am richtigen Regal angekommen, zählte er nun die Bücher auf dem unterem Brett ab. Beim vierundfünfzigsten hielt er inne und zog es zwischen den anderen hervor. Es war ein ziemlicher Wälzer und selbst, wenn sich jemand tatsächlich das untere Regalbrett ansah, würde ihn der wenig eingängige Titel "Die Lehre des Backsteinschliffes. Hundert Arten wie man ihn richtig zurecht stutzt" sicher abschrecken. In der freigewordenen Lücke war ein Loch in das Holz geschnitten, dass den aus dem Steinboden ragenden Hebel offenbarte. Den Atem anhalten zog Matt ihn. Einen Moment lang passierte gar nichts. Dann ertönte ein Knirschen und er entließ die angestaute Luft aus seinen Lungen. Neben ihnen verschwand eine Steinpatte im Boden und offenbarte eine schwarzes Loch. Er starrte es eine Zeit lang zögernd an. Auch keiner der anderen rührte sich. In einer nie geschehenen Vergangenheit hatte dieser Schlund unzählige der Soldaten Bornholds ausgespuckt, die nicht die Höflichkeit besessen hatten, die Stadt anständig zu belagern, sondern lieber erbarmungslos über ihre überraschten Feinde herfielen.
"Woher wusstest du hiervon, Matt", brach seine Mutter schließlich mit leiser Stimme. Sie klang beinahe ängstlich und es drehte ihm den Magen um sie anlügen zu müssen.
"Ich habe es von zwei Soldaten gehört, die sich darüber unterhalten haben", behauptete er dennoch halbwegs überzeugend.
"Das muss ein ziemlich detailliertes Gespräch gewesen sein", argwöhnte Lohra. "Ziemlich fahrlässig, dass niemand es bewacht, wenn die Stadtwache es weiß."
"Vermutlich wussten es nur eine Hand voll - wenn es nicht sogar nur eine Gerücht war - und die haben es wohl vergessen", konterte Matt, obwohl er wusste das sein Argument von zweifelhafter Glaubwürdigkeit war. "Was weiß ich. Vielleicht haben wir einfach einmal Glück." Er bückte sich und erfühlte mit einer Hand die erste Leitersprosse. Die Fackel immer noch in der anderen halten schwang er schließlich seine Beine - eines nach dem anderem - über den Rand, begann hinabzuklettern und hoffte, dass die anderen ihm folgen würden. -
Wenigstens die Leiter ließ man sie selbst hinuntersteigen, schließlich beanspruchte der Rotbart im Moment mehr die Hilfe der Anderen. Irgendwie verdiente er es dachte Esme etwas trotzig, allein schon dafür, dass er sie einfach hatte wegsperren wollen. Was natürlich nicht hieß, dass sie sich seine Verletzungen nicht später ansehen würde, das war immerhin ihre Arbeit. Und außerdem schien er der einzige in der Gruppe zu sein der, wenn auch nur bruchstückhaft, ihre Sprache beherrschte. Sie erreichte das Ende der Leiter, wo der andere Junge mit der Fackel schon wartete, kurz darauf verriet ihr ein Stöhnen, dass auch Ereck mit der Hilfe der Anderen seinen Weg auf den Boden gefunden hatte. Wann war die kleine Truppe nur so gewachsen? Sie fühlte harte Erde unter ihren Füßen, aber die Wänd schienen aus Stein und von Menschenhand geschaffen. Ars tauchte neben der Hexe auf und wollte sie schon wieder aufladen, aber der Blick dem sie ihm zuwarf schreckte ihn ab. "Freund oder Feind, dem nächsten der mich anfasst beiß ich die Finger ab." mumelte sie. Während sie sich langsam auf den Weg durch den Tunnel machten, Matt schien den Weg zu kennen, beäugte die Heilerin schon einmal den Hauptmann. Ihn zu versorgen würde einiges an Zeit kosten und sie hatte nicht einmal Zeit gehabt, etwas von dem Verbandszeug mitzunehmen.
-
In dem finsteren Tunnel war Matts Fackel die einzige Lichtquelle und Ereck starrte benommen in die leuchtende Flamme. Lohra stütze ihn, doch er war ein schwerer Mann und so fielen sie ein gutes Stück zurück, bis von dem roten Licht kaum noch etwas zu sehen war.
"Lohra", murmelte er. "Wir müssen uns beeilen. Das Licht geht aus."
"Was redest du?", fragte die Söldnerin, doch Ereck konnte nicht mehr antworten. Als er erwachte, füllte seine Lunge sich mit frischer Luft. Nicht allzu weit entfernt hörte er aufgeregte Schreie und lodernde Flammen.
Sein Blick war noch immer getrübt, doch erkannte er die Heilerin und Lohra, die über sich über ihn beugten.
"Wo ...", setze Ereck an und hustete etwas Wasser hervor.
"Psst", sagte Lohra und hielt ihre Hand an seine Wange, wo Rogarrs Messer ins Fleisch geschnitten hatte. "Wir sind vor der Palastmauern, aber wir können nicht zu Matts Haus. Es brennt überall."
Ereck wollte sich aufsetzten, doch sein Kopf sackte zurück in den Schoß der Alten.
"Wie ...", wieder hustete er. "Wie lange war ich bewusstlos?"
"Ein oder zwei Stunden", antwortete Lohra. "Hakiz' Männer haben aufgehört den Wall zu attackieren, aber es wird nicht lange dauern, bis sie ausgeruht und neu formiert sind."
"Wir müssen zum Stadttor", keuchte Ereck. Die Söldnerin sah ihn verwirrt an und Esme blickte fragend zu ihr, also wiederholte er seine Aussage noch einmal in der Sprache der Sumpfmenschen. Nun warf auch sie ihm einen seltsamen Blick zu.
"Wir müssen mit Hakiz verhandeln. Müssen ihm die Tore öffnen. Ich bin immer noch der Hauptmann."
"Aber ...", fing Lohra an.
"Der Thron steht ihm zu ... er muss Larenz aufhalten." -
Lohra ging im Geiste die Möglichkeiten durch.
Sie hatte Matt versprochen seine Familie zu retten und sie gedachte dieses Versprechen irgendwie zu halten. Aber in der Stadt gab es keinen Zufluchtsort mehr. Der äußere Ring brannte und aus dem inneren waren sie eben vor Larenz geflohen.
Larenz aufhalten klang gut. Eine Eskalation mit den anderen Brüdern würde es nicht geben, da Larenz diese sicherlich schon aus dem Weg geräumt hatte. Sie hoffte inständig, dass das bedeutete, dass er sie einfach nur eingesperrt hatte.
Es war vielleicht wirklich das Beste, sich auf den Weg zum Stadttor zu machen. Wenn sie Glück hatten konnten sie Matts Familie aus der Stadt bringen und gleichzeitig Larenz ein Schnippchen schlagen. Zwei Fliegen mit einer Klappe.
Sie nickte also und warf einen Blick in die Runde. Die anderen schienen ähnliche Gedankengänge wie sie zu haben, denn Skepsis hatte entschlossenen Mienen Platz gemacht.
Nachdem Esme Erecks Wunden notdürftig versorgt hatte, hievten sie ihn gemeinsam in die Höhe. Mit Ars rechts und Lohra links gelang es ihnen sogar einigermaßen schnell voran zu kommen.
Der Weg zum Stadttor war nicht weit, aber gefährlich. Brennende Dachbalken stürzten zu Boden, Häuser fielen in einem tödlichen Funkenregen in sich zusammen und Rauch drang in ihre Lungen und vernebelte ihre Sicht. Lohra hustete immer wieder trocken. Zu gern hätte sie einen nassen Lappen gehabt, um sich Nase und Mund damit zu bedecken, aber sie durfte jetzt nicht wählerisch sein.
Nach einer schieren Ewigkeit tauchte das Stadttor vor ihnen im Dunst auf.
"Hey", rief Lohra, in der Hoffnung, dass die Wachen sie bemerken und ihnen helfen würden.
Die Wachen wandten ihre Blicke um, doch statt ihrem Hauptmann zur Hilfe zu eilen, steckten sie Köpfe zusammen und tuschelten. In lohras Bauch machte sich ein Ungutes Gefühl breit.
"Öffnet das Tor", befahl Ereck schwach. Sie waren mittlerweile nah genug, dass die Wachen ihn über das Getöse der Flammen hinweg verstehen konnten.
Statt auf seine Worte einzugehen setzten sie sich mit grimmigen Gesichtern in Bewegung. Über das Getöse der Flammen hinweg vernahm Lohra noch ein: "Ergreift die Verräter und alle die mit ihnen sind!"
Erschrocken blickte Lohra sich um. Hinter ihnen war nichts als Feuer. Vor ihnen die Wachen. ihr Blick fiel auf die Treppe, die zum Wehrgang hinauf führte.
"Der Käfig!", murmelte sie und Ereck schien zu verstehen.
Sie drückte Ereck in die Hände von Matts Vater und schob die Gruppe Richtung Treppe.
"Ich halte euch den Rücken frei!"
Wenige Augenblicke später hörte sie hastige Schritte die Treppe hinauf eilen und spürte Ars Gegenwart neben sich. Verwundert blickte sie ihn an.
"Ich will wissen was du bist, also kann ich dich ja wohl nicht sterben lassen."
Noch ehe Lohra antworten konnte oder Schreck über seine Worte sie erfassen konnte, wurde sie angegriffen. Sie riss das Schwert in die Höhe und parierte funkensprühend den Schlag. -
Bis jetzt hatte Ars in sich geruht und die Geschehnisse einfach an sich vorbeiziehen lassen. Doch jetzt, da sie sich in einer so brenzligen Situation befanden, konnte er nicht mehr einfach nur zusehen und ab und zu mithelfen jemanden zu stützen oder etwas zu tragen. Nein. Die anderen waren in Gefahr, also musste er das tun, wovor er sich schon immer gefürchtet hatte. Kämpfen.
In dem Moment, als der erste Soldat der Stadtwache auf Lohra zustürmte und sein Schwert auf sie niederfahren ließ, bereiteten dich dir nächsten bereits auf einen Angriff vor. Sie Ignorierten Ars zunächst, da er an einem solchen Ort wie einem Schlachtfeld völlig fehl am Platz und als keine Bedrohung wirkte. Also fokussieren sie sich auf Lohra und wollten sie mit dem Vorteil der Überzahl überrennen.
Ars ergriff einen am Boden liegenden Holzbalken. Vor seinem geistigen Auge blitze eine Seite des Alchemiebuches nach der anderen auf. Das wird weh tun, dache er, eine Schnell-Transmutation kostet viel Geisteskraft auf ein Mal...
Als er den Balken hob, spaltete sich dieser schlagartig in der mitte, schmolz zu einem Schwarm aus glühenden gelben Partikeln und setzte sich als vollständig gespannter Bogen wieder zusammen.
Ars' Kopf brannte innerlich, als er die Sehne von seiner Fingerkuppe gleiten ließ und der Pfeil in einem Wimpernschlag die Schulter eines Soldaten durchschlagen hatte.
Glückstreffer, dachte er und sah zu Lohra, die ihren Angreifer inzwischen überwältigt hatte.
Jemand näherte sich ihr von links. Da er keinen Pfeil mehr trug und aus Luft nicht einfach einen erschaffen konnte, packte Ars den Bogen in der Mitte und schleuderte ihn dem Mann zwischen die Beine. Er stolperte - mehr brauchte es nicht, damit Lohra ihm den Rest geben konnte.
Die restlichen Soldaten waren verunsichert. Diese selstame Frau, die wie eine Furie wütete und sich doch so graziös bewegte. Dazu dieser dürre junge Mann, der in einem Moment ein Brett in der Hand hielt, im anderen Pfeil und Bogen.
Selbstsicher stellte sich Ars zu Lohra. Es war noch etwa ein halbes Dutzend Wachen übrig.
"Kannst du mit einem Schwert genau so gut umgehen wie du alte Kräuterfrauen tragen kannst?" Schnaufte sie und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Ich kann mich verteidigen", lautete Ars' nüchterne Antwort.
"Dann hoffe ich dass wir dahier beide überleben"
Mit diesen Worten stürzten sie sich dem Angriff der Stadtwachen entgegen. -
Matt stürzte nach den anderen in den Torraum. Sein Vater hatte ihm zwar hinterhergebrüllt, dass er denen das Kämpfen überlassen sollte, die es konnten, doch er würde seine neu gewonnenen Freunde, wenn er sie denn als solche bezeichnen durfte, nicht im Stich lassen. Als er hereinkam, lagen bereits drei tote Wachen am Boden, doch sechs weitere hatten ihre Waffen gezogen und kamen drohend näher. Er spürte die Blicke, die ihn musterten, während er sich zu den beiden anderen stellte, auch die seiner Gefährten. Kurz zögerte er. Das wäre jetzt die perfekte Gelegenheit. Ein einziger Feuerstoß. Der Raum wäre zu klein ihm zu entkommen. Sicher. Höchstwahrscheinlich würden die Flammen um sich schlagen und sich tief in das trockene Holz, aus dem der Raum bestand, beißen, doch vermutlich würde es dabei bleiben. Die Mauer selbst war aus Stein und die nächsten brennbaren Gebäude waren weit genug entfernt, aber dann wäre es vorbei mit dieser Scharade, dem Versteckspiel, dass schon zu seinem zweitem Gesicht geworden war. Ein Gesicht, dass sich eng an seine Haut legte und ihm den Atem nahm zwar, doch es hatte ihn und viel wichtiger seine Familie bisher am Leben gehalten. Wann immer er es abstreifen würde, es würde fernab seiner Familie geschehen. Außerdem würde ein Feuer womöglich den Mechanismus zerstören, der das Fallgitter hochziehen konnte. Das Tor selbst würde herabfallen, sobald die Seile gerissen waren, die es hielten, aber das Fallgitter würde Hakiz zumindest aufhalten.
"Ich wusste, dass du ein Spion bist", unterbrach plötzlich einer der Soldaten Matts Gedankengang und zeigte anklagend mit dem Finger auf ihn. Es war einer der beiden, die ihn damals an der Mauer gefangen genommen hatten. Damals? Es schien wie Wochen her, doch waren seitdem kaum zwei Tage vergangen.
"Ich tue das einzig richtige", behauptete er und merkte, dass er selbst davon überzeugt war. Und das ohne, dass er Hakiz, einen seiner Brüder oder dem Verwalter je begegnet wäre.
"Ihr seid Verräter, ihr alle", entgegnete ein anderer Soldat nur und hob das Schwert. "Und Narren." Matt kannte diesen Gesichtsausdruck. Es war der, den ein Soldat trug, kurz bevor er kämpfte. Alle Emotionen wurden in den Hintergrund geschoben. Überlebenswille und manchmal auch Mordlust war alles, was blieb.
Mit einem Aufschrei stürzten sich die Wachen auf die Eindringlinge. Natürlich hatte Matt einen kurzen Blick auf die Schwerter der toten Soldaten gesehen, doch den Gedanken hatte er schnell wieder verworfen. Er war kein Schwertkämpfer und würde sich vermutlich eher selbst verletzen als seine Gegner. Auch das Messer ließ er stecken. Lohra hatte solche Bedenken nicht. Sie hob die Klinge, wich tänzelnd zwei Angriffen zugleich aus und erstach einen derer, die sie zuvor zu töten versucht hatten, in einer einzigen fließenden Bewegung. Auch Ars parierte die Angriffe die auf ihn einhagelten, wenn er dabei nicht viel mit der Eleganz der Söldnerin gemein hatte. Die ersten Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn und er wurde zunehmend in Bedrängnis getrieben. Matt hätte ihm gerne geholfen, doch die beiden, die es auf ihn abgesehen hatten, nahmen bereits seine gesamte Konzentration in Anspruch. Jedem ihrer Angriffe hatte er bis jetzt ausweichen können, auch wenn er dabei immer mehr in Richtung Wand getrieben wurde. Käme er näher heran, könnte er sie vielleicht überwältigen, aber die langen Klingen hielten ihn auf Distanz. Immerhin beschäftigte und band er dabei zwei Männer, die sich ihrerseits nicht auf Ars oder Lohra stürzen könnten. Die Söldnerin hatte sich mittlerweile auch ihres zweiten Angreifers entledigt - ein Körper, der in einer dunklen Blutlache lag, blieb zurück - und wandte sich nun dem Kampf zu, der ihr am nächsten war. Ars Kampf. Bevor die beiden Wachen, die in diesen verwickelt waren, reagieren konnten, trieb sie ihr Schwert bereits in die Seite des einen. Der andere drehte sich zu ihr um und hob das Schwert schützend, vernachlässigte dafür aber seine Deckung entgegen Ars, der die Situation schnell ausnutzte und auch diesen Mann von der Seite erstach. Die Männer die Matt in die Enge getrieben hatten - er stand mittlerweile an die Wand gefrückt und drehte sich nur noch um die eigene Achse oder duckte sich, kurz bevor eine Klinge funkenschlagend gegen den Stein schlug - verständigten sich mit einem Blick und einer der beiden drehte sich Ars und Lohra entgegen, während der andere - natürlich der, mit dem er schon durch die gemeinsame auf der Mauer verbunden war - mit immer mehr Wut und immer schnelleren Schlägen gegen Matt ausholte. Lange würde er ihnen nicht mehr entkommen können. Die verzweifelte Initiative suchend fasste Matt, als die Klinge ein weiteres Mal klirrend neben ihm an die Wand schlug nach dem Metall - darauf achtend, dass er nicht die scharfe Schneide berührte - und erhitzte seine Handfläche so stark er in der kurzen Zeit konnte. Sein Gegenüber schien überrascht und zog sein Schwert nicht sofort zurück, sodass der Stahl, den er berührte, bereits zu glühen begann, als sich eine Spur von Entsetzen in die Augen des Mannes schlich. Die Hitze bahnte sich ohne viel Federlesen ihren Weg durch die Klinge und dem Kettenhandschuh aus Eisen - Matt hatte Glück, dass es nicht einfache aus Leder waren, da diese dem Temperaturanstieg viel länger widerstanden hätten - und mit einem Aufschrei ließ der Soldat die Waffe fallen, seine Hand reflexartig zurückziehend. Matt zögerte nicht lange, sprang vor und stieß ihm die immer noch glühende Hand gegen die Brust. Der Mann durfte nicht überleben, um zu berichten, was geschehen war. Dieser zweite Schrei hallte durch den kompletten Torraum, während Matts Finger ein Loch in den weich gewordenen Brustpanzer gruben. Schnell, bevor der Mann auf die Knie fallen konnte, zog Matt sein Messer aus dem Gürtel und trieb es ihm durch das Loch in die Brust. Blut drang ihm an die Hand, die mittlerweile wieder soweit abgekühlt war, dass der Ledergriff seines Messers keinen Schaden nahm. Der Schrei erstarb in einem Gurgeln, als die rote Flüssigkeit in den Mund des Sterbenden drang. Matt zog die Klinge zurück und der Leichnam fiel endgültig und schlug auf dem Holzboden auf. Er, der Mörder, warf einen kurzen Blick voller Entsetzen - nicht darüber, dass er den Mann getötet hatte, sondern darüber, dass es ihn so kalt ließ - auf den verbleibenden Körper und riss sich dann los. Ars und Lohr rangen gerade den sechsten und letzten der Soldaten nieder. Sie hatten anscheinend nicht viel mehr als den Schrei mitgekriegt und ein Schrei war in einem Gefecht nicht gerade eine Ausnahme. Als auch der letzte tot darlag, stieg Matt schnell über die Leichen hinweg, um die anderen davon abzulenken. Dennoch musterte Lohra die Toten und er sah, wie ihr Blick an dem Loch in dem Brustpanzer und der schwarzen Haut darunter hängen blieb.
"Los, wir müssen das Tor öffnen", sagte er, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, bevor sie sich einen Reim darauf machen konnte und tatsächlich wandte sie sich von dem Anblick ab um neben ihn und Ars an die große Kurbel zu treten, die dass Fallgitter in die Höhe stemmen würde. Falls ihr etwas merkwürdig vorgekommen war, so brachte sie es nicht zur Sprache.
"Vielleicht ja nie", dachte Matt hoffnungsfroh, auch wenn er wusste, dass er sich auf vieles verlassen konnte, aber nicht auf sein Glück. Während die drei die Kurbel betätigten - es wären eigentlich mehr nötig gewesen, doch langsam begann sie sich tatsächlich zu drehen - zermaterte sich Matt das Gehirn, wie er die Situation anders hätte lösen können, doch eine wirkliche Alternative fand er nicht.
"Der einzige andere Ausweg wäre der Tot gewesen", beschloss er. Er tat, was getan werden musste, und daran würde sich nichts ändern -
Sie hatten das Tor geöffnet. Der Wille des Königssohnes war zur Realität geworden.
"Wir haben das Richtige getan", beteuerte Lohra, als Ars seine Zweifel äußerte. "Ja, vermutlich hast du Recht", stimmte er ihr nach kurzem überlegen zu. Es war vielleicht nicht die beste Lösung, aber die schnellste. Ihre nächste Aufgabe bestand darin, von der Stadt wegzukommen. Die Bewohner sind ja jetzt auf gewisse Weise sicher, dachte Ars, aber wir gelten noch immer als Verräter. Also begaben sie sich die schmale Treppe zum Wehrgang hinauf, wobei mit jeder Stufe der Gestank nach Rauch und verbranntem Fleisch stärker wurde. Ars und Lohra husteten nach nur zwei Stockwerken, nur Matt schien mit dem Geruch klar zu kommen, aber das konnte Ars verstehen - immerhin war der Mann ein richtiger Schmied.
Als sie schließlich an die mehr oder weniger frische Luft kamen, fanden sie ein Wrack von einer Stadtmauer vor. Durch den Lärm, den Rauch und die Flammen hatten sie nicht auf den Zustand des Walls geachtet, und nun, da sie ihn überqueren und zum Käfig gelangen wollten, wirkten die eingestürzten Wände und Böden wie Abgründe.
"Ich kann sie sehen!", rief Matt und machte winkend einige Schritte seiner Familie entgegen, doch Ars hielt ihn zurück. "Ich kann mir vorstellen, wie wichtig einem die Familie sein kann", obwohl es ihn einige Überwindung kostete, sah Ars dem Schmied in die Augen, damit er ihm auch wirklich zuhörte, "Aber wir müssen uns jetzt langsam un bedacht bewegen. Sonst stürzt einer von uns noch dort hinunter." Beide warfen einen langen Blick in die Schwärze, die sich im zerstörten Fußboden ein Stück vor ihnen auftat. "Und tot kannst du deiner Familie auch nicht mehr helfen. Verstanden?" Matt nickte und wirkte auf eine gewisse Weise dankbar.
"Der Wehrgang sieht von Soldaten verlassen aus", stellte Lohra fest. "Wir sollten uns beeilen, wenn das bis zu unserer Ankunft am Käfig zu bleiben soll." Mit diesen Worten machte sie die ersten Schritte in Richtung Käfig. Dabei hielt sie sich auf möglichst stabilem Boden auf und wirkte sehr geschickt in ihren Bewegungen. Matt folgte ihr etwas plump, aber sicher. Sogar Ars schaffte den Weg problemlos. Es geschah nichts, kein Stolperer, kein plötzlicher Schrei, der den Fall eines Freundes bedeuten könnte. Nur der Nachhall des Angriff trübte die enthusiastische Stimmung der drei. Sie waren schon fast dort, nur noch wenige Meter trennten sie von Esme, Ereck und Matts Familie, da passierte es. Ars nahm ein leises Knacken wahr, direkt vor Matt. Sofort sprangen tausende Denkprozesse gleichzeitig in seinem Kopf an. Er blieb schlagartig stehen und konzentrierte sich auf den Boden unter ihnen. Er konnte ihn spüren.
Der Stützpfeiler, der das Stück Wehrgang unter Matts Füßen trug, war morsch und durch Flammen versengt. Jeden Moment würde er einstürzen.
In Ars' Kopf war die Hölle los. Um ihn zu retten müsste er eine so schnelle Transmutation durchführen, dass es ihn den Verstand kosten könnte. Nein, es ist anders als sonst..., dachte er und sah zu Lohra, die ein Stück hinter Matt stand. Seit ich diese Frau zum ersten mal gesehen habe, fühlt sich meine Alchemie stärker, sicherer an. Nun hatte er keine Zweifel mehr - sie war ein Kind der Alchemie. Vielleicht hatte ihre schiere Anwesenheit seine Kräfte verstärkt.
Mit diesen Gedanken im Hinterkopf kniete er nieder legte die rechte Hand auf der Mauer auf. Der Boden brach. Es fühlte sich an, als wenn ihm jemand geschmolzenes Metall in den Kopf gießen würde, als zwischen seinen Fingern blauer Sand hervorschoss. Die glühenden Partikel rasten am Boden entlang zu Matt und lösten ihn dabei auf. Das alchemistische Element fraß sich bis zu ihm durch und erreichte ihn in dem Moment, als sein Fuß den Boden berührte. Mit einem Zischen verfestigte es sich zu einer steinernen Brücke, direkt unter Matt.
Man hörte, wie der eigentliche Boden darunter wegbrach.
Ars kippte regungslos nach hinten weg.
Benommen spürte er, wie Lohra und Matt ihm unter die Arme griffen. Sie sagten irgendwas zu ihm, aber konnte es nicht verstehen. Sein Gehirn war wie durchgebrannt. Langsam sah er den Käfig näherkommen. Aber jemand stand noch davor. Wer auch immer es war, die Leute stritten um etwas. Plötzlich nahm er einige Worte wahr. "...wollen die Stadt nicht verlassen!" und "...zurück nach Hause..." und "...Stadttor ist zu gefährlich..."
Mit letzter Kraft hauchte Ars: "Meine Tür..." Dann wurde ihm schwarz vor Augen. -
Lohra hievte Ars ein klein wneig höher. Der Alchimist konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Super. Zwei Schwerverletzte, die kaum einen Schritt alleine machen konnten.
Matt mühte sich mit Ereck ab, während Emse versuchte beide - Ars und Ereck - im Auge zu behalten und zu Hilfe zu kommen, sollten diese welche benötigen.
"Wir wollen die Stadt nicht verlassen!", brauste Matts Vater auf.
"Ja. Zurück nach Hause", riefen auch die kleinen Geschwister des Schmieds.
"Aber das Stadttor ist zu gefährlich", wandte Matt ein. Unruhig trat er von einem Bein auf das andere.
"Meine Tür", murmelte Ars in diesem Augenblick, ehe er wieder in den Untiefen seines Bewusstseins verschwand.
Lohra nickte. "Natürlich! So ist er in die Stadt gekommen. Genauso wie wir auch aus dem Kerker entkommen sind."
Matts Familie verstand kein Wort.
"Er ist Alchimist", erklärte Lohra. "So wie er eben die Brücke geschaffen hat, die Matt und mich gerettet hat, so hat er auch ein Tor in die Stadtmauer ... gezaubert." Lohra fiel kein besseres Wort ein, um sich verständlich zu machen.
Matt nickte bekräftigend. "Genau! kommt mit hinter die Mauer, dann könnt ihr durch das unbekannte Tor unauffällig und gefahrlos zurück in die Stadt."
Matt Vater schaute skeptisch, aber als die ersten Wachen die Treppe zum Wehrgang erklommen, zögerte er nicht lange, sondern schob seine Kinder und seine Frau in den Käfig. Als auch er selbst eingetreten war, schloss Lohra die Tür und Matt ließ den Käfig hinunter.
Unruhig warf die Kriegerin einen Blick über die Schulter, aber die Wachen, die auf sie zukamen, konnten sich nur langsam bewegen, da die Mauer immer noch eine einzige riesige Falle war, die sich mit jedem Schritt als tödlich erweisen konnte.
Matt kurbelte den Käfig wieder hinauf und sie sprangen hinein.
"Und wer lässt den Käfig hinunter?"
Lohra schluckte trocken. Die erste Fahrt hatte ihr schon nicht gefallen. Von der Höhe wurde ihr übel und alles begann sich zu drehen. Sie hasste ihre Höhenangst, aber sie konnte nun mal nichts dagegen tun.
Matt packte das Ende des Seils, welches nicht am Käfig sondern an der Kurbel befestig war.
"Lohra schneidet das Seil durch. Kurz bevor wir den Boden erreichen, müssen war alle ganz fest am Seilende ziehen."
"Was?!" Entsetzt riss Lohra die Augen auf. Sie sollten unkontrolliert in diese Tiefe schießen? "Das mach ich nicht!"
"Vertrau mir", murmelte Matt und da hatte Ereck auch schon das Seil mit seinem Schwert durchtrennt. Lohra konnte nur mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken und ließ Ars in ihrer panischen Angst los. Dieser taumelte und sank schließlich zu Boden.
"LOHRA!", brüllte Matt und riss sie so aus ihrer Trance. Fahrig griff sie nach dem Seil, welches ihr durch die Hände rauschte und trotz ihrer Angst wurde ihr klar, dass das weh tun würde.
"Jetzt!"
Gemeinsam fassten sie, Esme und Matt das Seil fester. Es glitt noch ein ganzes Stück durch ihre Hände und verbrannte ihnen die Handflächen, doch beide zwangen sich nicht loszulassen.
"Wir schaffen es nicht", entglitt es Lohra verzweifelt, da packten Ereck und Ars mit letzten Kräften ebenfalls an. Vereint schafften sie es den Sturz soweit abzufedern, dass sie zwar hart, aber nicht tödlich am Boden aufschlugen. Alle fünf wirbelten durch den Käfig und stolperten übereinander. Irgendwie schafften sie es, dass sich dabei niemand verletzte.
Lohra stieß die Tür auf und stieg schweratmend aus dem Höllengefährt.
"Nie wieder", murmelte sie und dankte den Göttern, an die sie nicht glaubte, dass sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
"Wo müssen wir hin?", fragte Matts Vater.
"Westen", nuschelte Ars.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, das geheime Tor zu suchen. -
Sie hielten sich nahe an der Mauer, um vor den Pfeilen der Soldaten sicher zu sein. Die Spuren des Kampfes hinderten sie jedoch daran, zügig voranzukommen. Überall entlang des Walls waren Feuer ausgebrochen, wo man brennendes Pech auf die Angreifer gegossen hatte. Nicht selten stolperte der noch immer benommene Ereck über einen fallen gelassenen Schild oder gar eine Leiche. Wo die Toten sich zu mehren häuften, musste die kleine Gruppe sie umgehen und sich somit in die Schussbahn der Bogenschützen begeben. Jedoch wurde nie auf sie gefeuert.
Sie erreichten die Tür, die sich gut versteckt hinter einigen Büschen verbarg. Ereck hatte zwar eigentlich größere Sorgen, dennoch missfiel ihm, dass man seinen Befehl, alle Büsche zu entfernen, nicht nachgekommen war. Doch reichte ihm dies nun zum Vorteil, daher beschloss er, den faulen Knappen, die er beauftragt hatte, zu danken, sollte er sie je wieder sehen. Was unwahrscheinlich war.
Während er erschöpft an der Mauer lehnte und den Wehrgang nach Wachen absuchte, war an der Pforte der geheimen Tür eine heftige Debatte entbrannt. Matts Familie weigerte sich vehement, die Stadt ohne ihren Sohn zu betreten.
"Ich muss den anderen helfen, Fürst Hakiz zu besänftigen. Wenn er die Stadt weiter angreift, bin ich bei euch ebenso in Gefahr, wie hier!", argumentierte der Schmied, doch seine Mutter schüttelte nur den Kopf. Sie flehte ihren Sohn an, es den anderen zu überlassen, für Frieden zu sorgen, sie weinte. Zu laut, wie Ereck fand.
"Sag deiner Mutter, sie soll leise sein!", zischte er, woraufhin Matts Vater ihm einen strengen Blick zuwarf. Doch die Familie war nicht ruhig zu stellen und bald redeten sie alle lauthals auf Matt ein. Schließlich verlor Ereck die Geduld.
"Dort oben sind Soldaten!", rief er, wohl wissend, dass dieser Teil der Mauer nicht bewacht wurde. "Schnell, durch die Tür!"
Lohra zückte ihr Schwert, aber Ereck packte ihren Arm und warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Sie schien zu verstehen. Matt und seine Familie waren die ersten, die durch die Tür flüchteten. Esme hielt ihr Messer in der Hand und suchte nach den Angreifern. Ereck packte sich Matt und den Alchemisten, ehe sie durch die Tür gelangen konnten.
"Was soll das?", rief Matt. Ars versuchte sich zu lösen.
"Schließe die Tür, Ars!", raunzte Ereck.
"Aber ...", begann dieser, doch Ereck würgte ihn mit einem heftigen Rütteln ab. Matts Vater war schon auf dem Weg zurück, da stellte Lohra sich ihm in den Weg.
"Ars, mach schon!", rief sie und tatsächlich: Der Alchimist verschloss die Tür. Zurück blieben nur Steine. Al wäre nie etwas dagewesen.
"Was sollte das denn?", fragte Matt und löste sich aus Erecks Griff.
"Wir mussten sie loswerden. Denen wird es schon gut gehen, aber nur wenn wir jetzt verschwinden. Das Geschrei hat vermutlich echte Soldaten angelockt!"
Ohne weitere Fragen zu stellen setzte die Gruppe sich in Richtung des Lagers in Bewegung. Dabei drehte sich Ereck immer wieder um, um festzustellen, ob man sie mit Pfeilen beschoss.Hakiz' Männer hatten einen vorbildlichen Belagerungsring errichtet. Spitze Holzpfähle und tiefe Gräben lösten sich langsam aus der Dunkelheit und bald erkannten sie viele Soldaten, die ihre Köpfe hinter einem kleinen Erdwall hervorstreckten. Ein leises Surren verriet Ereck, dass man begann, sie mit Armbrüsten zu beschießen.
"Halt!", rief er, mit erhobenen Händen vorpreschend. "Wir sind Freunde Hakiz'. Des rechtmäßigen Zerbus!" Ein Bolzen schlug kurz vor ihm in den Boden ein. Sofort fiel Ereck auf alle viere. Er bewegte sich nicht und hoffte, die anderen würden es ihm gleichtun. Er lag eine ganze Weile, ohne weitere Pfeile zu hören. Keiner seiner Begleiter sprach. Es war eine fremde Stimme, die das Schweigen brach.
"Wer seid ihr?"
"Ich bin Ereck Weißkrähe. Hauptmann der Garde des Zerbus. Ich komme und seinem Sohn zu berichten, dass sein Vater verstorben ist und Seneschall Larenz seinen Thron zu stehlen versucht!"
Darauf folgte lange nichts. Schließlich hörte Ereck Schritte.
"Steht auf! Langsam!"
Ereck tat wie geheißen. Zehn Männer kamen mit gezückten Schwerten auf die kleine Menschenmenge zu und untersuchten jeden Einzelnen. Erleichtert stellte Ereck fest, dass Esme alles ohne Provokation über sich ergehen lies. Ihrer Waffen beraubt und voll mit Schmutz, brachte man sie ins Zelt Hakiz'.
Der Fürst saß auf Kissen gebetet und von Weihrauch umhüllt in einem mächtigen Stuhl. Sein langes Haar viel ihm über die Schultern und seine Gewänder waren nicht halb so Prunkvoll, wie bei ihrem letzen Aufeinandertreffen.
"Ich habe euch gesagt, bis Sonnenuntergang", begann Hakiz mit tadelndem Ton. "Denkt Ihr vielleicht es macht mir Spaß, die Stadt zu zerstören, die ich beherrschen will?"
Ereck wollte etwas sagen, doch Lohra war schneller.
"Wir lagen falsch. Wir hätten euch glauben sollen. Seneschall Larenz ist der, der euer Dokument gestohlen hat. Er hat sich des Throns bemächtigt."
Der Mann im Stuhl schwieg einen Moment mit versteinerter Miene. Man konnte nicht erkennen, ob er misstrauisch oder schockiert war.
"Hat man euch geschickt, um mich zu töten?", fragte er schließlich.
"Eine alte Frau, zwei Schmiede, einen Verwundeten?", fragte Ereck und versuchte, nicht zu spöttisch zu klingen.
"Und eine Söldnerin", fügte Hakiz mit dünnem Lächeln hinzu, ohne Lohra eines Blickes zu würdigen. "Wieso seid ihr dann hier?"
"Ich hatte gehofft, wir könnten euch helfen, die Stadt zu nehmen, ohne weitere Leben zu gefährden", sagte Ereck.
Hakiz kicherte.
"Ich komme nicht dahinter, was Ihr mit dieser Posse bezwecken wollt."
"Keine Posse, Edler. Wir lieben diese Stadt und wollen sie nicht in den Händen des Seneschalls sehen. Und denkt an eure Brüder. Vermutlich werden sie gefangen gehalten!", meinte Lohra.
"Ihr seid also gekommen, um mir zu raten, die Stadt einzunehmen. Euch ist doch bewusst, dass ich gerade dabei bin oder nicht?"
Ereck wollte gerade den Mund aufmachen, da wurde er von dem tiefen Dröhnen eines Schlachthorns unterbrochen. Alle im Zelt schauten verwundert umher, sogar Hakiz. Als der Ton verklungen war, erschallte gleich der nächste. Ein Mann betrat das Zelt.
"Mein Herr!", japste er, "Reiter am Horizont! Eine Armee!"
Ohne Ereck und den anderen eines weitern Blickes zu würdigen, stürmte Hakiz aus dem Zelt. Draußen schwieg das Horn wieder und nun hörte man ein lautes Donnern, sowie die Schreie von Pferden und Männern. -
Matt stöhnte innerlich auf. Was war an den Menschen falsch, dass sie immer nur den Krieg, nicht aber den Frieden suchten. Hakiz war nicht so zurückhaltend und verlieh seinem Zorn mit einem Fluch ausdruck, der wohl jedem das Schamesrot ins Gesicht getrieben hätte, der nicht eben erfahren hatte, dass er auf dem Präsentierteller zwischen drei Armeen stand. Der, die die Stadt verteidigte, der, die sie angriff und der, die entweder gegen die erste oder sogar gegen beide aufs Feld zog. Für seine Gruppe so wie die Stadt, aus der er stammte, bestand da eher weniger Hoffnung.
"Verdammt sollt ihr sein, Hakiz", ging er auf den rechtmäßigen Thronfolger los. Er spürte, wie Zorn in seinen Adern tobte und die Worte verzehrte, die sein Mund formte. "Wieso musstet ihr sofort mit einer Armee hier aufziehen? Vergesst doch mal den Titel und denkt an die Menschen, die ihr regieren wollt. Ihr seid ebenso schlimmer wie eure Brüder. Wenn nicht sogar noch schlimmer." Der Sohn des Zerbus starrte ihn einen Moment lang fassungslos an und Matt glaubte zu sehen, wie sich das Wort Hinrichtung in seinem Kopf formte.
"Wie kannst du es wagen?", erwiderte einer der Soldaten empört, bevor Hakiz etwas äußern konnte, und wollte ihn mit dem Schwertknauf einen Schlag in den Rücken verpassen. Matt jedoch wich aus und der Soldat taumelte, als sein Stoß ins Leere ging. Böse funkelten er und seine Waffenbrüder ihn an, als habe er zugeschlagen und wäre nicht einfach nur zur Seite gesprungen.
"Ihr habt Recht", sagte plötzlich Hakiz und diese Worte ließen jeden im Zelt erstarrten. Die Stimme des Thronfolgers klang traurig und erschöpft, als läge auf ihr die Last von Jahren, die ihr Besitzer noch gar nicht gelebt haben konnte. "Eure Worte sind respektlos und an jedem anderem Tag würdet ihr dieses Zelt in Ketten verlassen, aber sie sind wahr. Das alles ist außer Kontrolle geraten." Sein Blick richtete sich auf Ereck und Falten überzogen wieder seine Stirn, während sein Blick aber traurig, nicht wütend, wirkte.
"Ich war mir so sicher, dass ihr einer Armee die Tore öffnen würdet, Hauptmann. Was hätte ich tuen sollen, als ihr es nicht tatet." Ereck richtete sich trotz der Stütze, die er immer noch benötigte, auf und erwiderte den Blick seines Gegenübers starr.
"Ich war stets bereit den Konflikt ohne Waffengewalt zu klären", wehrte er sich der Anschuldigung. "Doch eine Armee in die Stadt zu lassen, einfach weil sie droht diese anzugreifen, das hätte nie im Sinne eures Vaters gestanden." Hakiz nickte, wenn es ihm auch nicht leicht zu fallen schien.
"Was geschehen ist, ist geschehen", offenbarte er mit gefestigter Stimme. "Nun ist es an mir diesen Verräter Larenz zur Strecke zu bringen. Ihr solltet vielleicht lieber fliehen und euch um eure Verletzten kümmern." Ereck schien widersprechen zu wollen, Hakiz wehrte jedoch mit einer Handbewegung ab und die Worte verhallten ungesagt im Raum.
"Es ist eure Pflicht diese Leute in Sicherheit zu bringen, vielmehr als in dieser Schlacht zu sterben. Seht euch an, ihr seid verletzt. Es wäre eine Überraschung, wenn ihr euch überhaupt auf einem Pferd halten könntet." Der ehemalige Hauptmann schien mit sich zu ringen, nickte dann aber und der Thronfolger wies einen der Soldaten an sofort einige der Packpferde zu holen, die sie nun, selbst wenn sie diese Schlacht gewannen, ohnehin nicht mehr brauchen würden. Dann stand er selbst auf und befahl allen, ihm nach draußen zu folgen.
"Meine Männer brauchen mich", erwiderte den Protesten seiner Männern. Draußen war sprichwörtlich die Hölle los. Männer rannten herum und versuchten sich eilig an den Abwehrstellungen zu Verteidigungslinien zu formieren. Die in den Boden gerammten Spieße und die Gräben würden ihnen ein wenig Schutz verschaffen, schienen aber angesichts der heranstürmenden Reiterhorden wie Strohhalme angesichts einer Steinlawine. Der Großteil der Truppen befand sich ohnehin zwischen Mauer und Lager, also fern jeglicher Befestigungen. Das Zelt von Hakiz bestand aus dickem Leder und ließ die Pfeile einfach abprallen, doch jeder übrige Fetzen Stoff schien durchlöchert zu sein und überall lagen Tote und Verwundete. Die für sie herbeigeschafften Pferde hatten den letzten Schauer offenbar unbeschadet überstanden und zur Verwunderung aller hielt sich Ereck, ebenso wie Ars sich einigermaßen auf den Tieren. Beide wurden zur Sicherheit dennoch am Sattel festgebunden. Die Soldaten, die ihre Schilde schützend über Hakiz hielten, sagten zwar nicht, ihre Blicke ließen jedoch keinen Zweifel daran wer aller Worte zum Trotz für ihre Notlage verantwortlich war. Matt war ebenso froh darüber, endlich die Zügel in die Hände gedrückt zu bekommen, auch wenn das Leder höllisch auf den vom Seil verschlissenen Händen schmerzte. Hakiz stellte sich zu Ereck und wechselte noch ein paar Worte mit ihm, die Matt dank des Lärmes jedoch nicht verstehen konnte. Dann nickte er ihnen zu und wies sie an loszureiten. Nur Matts Pferd packte er noch einmal am Zaumzeug, während die anderen schon losritten.
"Bedenkt künftig eure Wortwahl", wies er ihn an. "Ihr mögt noch nicht vielen Edelmännern begegnet sein, aber andere würden dem wohl mehr Aufmerksamkeit schenken. Ich weiß um meine Rolle, bei diesem schrecklichem Gemetzel, doch wäre ich nicht so erpicht darauf, wenigsten ein paar zu retten, dann hättet ihr zumindest eine Nacht in Ketten verbracht, um euch Gelegenheit zu geben, abzukühlen."
"Wenn ihr wüsstet wie vielen Edelmännern ich schon begegnet bin", dachte er und Bitternis schwang in ihm auf. "Wie viele ich versengen und wie viele ich zu Asche verbrennen musste, nur wegen einer Respektlosigkeit Bornholds gegenüber." Hakiz gegenüber lies er jedoch nur ein Nicken folgen, das ihn offensichtlich nicht zufrieden stellte, ihn seinem Pferd aber trotzdem einen Klaps geben lies, so dass es einen Satz nach vorne machte, um den anderen hinterher zu galoppieren. Sie schlugen eine rasche Gangart an. So schnell, wie sie es ihren Verletzten zutrauen konnten. Die Pferde preschten inmitten von herum rennenden Männern hindurch, als reiten sie durch einen orientierungslosen Bienenschwarm. Zu beiden Seiten kamen die anderen Reiter heran und versuchten das Lager zu umschließen, sodass keiner mehr heraus konnte. Die verzweifelsten von Hakiz´ Soldaten schlossen sich ihrer Flucht an, anstatt sich zu den erschreckend lichten Reihen der Verteidiger zu gesellen, doch die Reiter rückten immer weiter und die Lücke vor ihnen wurde kleiner und kleiner.
"Das schaffen wir nie", schrie Lohra, um den sie umgebenden Lärm zu übertönen, gab ihrem Pferd aber dennoch die Sporen und beugte sich tief über ihren Sattel. Bevor sie überhaupt den äußeren Ring des Lagers erreicht hatten, schloss sich die Bresche und hinter schwarzen Helmen verborgende Augen funkelten ihnen entschlossen entgegen, während sich die Reiter auf ihren Sturmangriff vorbereiteten, um das Lager restlos zu überfluten. Hier, an der dem Angriff anfangs abgewandten Seite, waren die Reihen der Verteidiger am dünnsten und mit unregelmäßigen Spalten durchsetzt. Auf einen dieser preschte die Gruppe jetzt zu. Ungeachtet der Feinde, die mit scharfen Schwertern, wuchtigen Beilen und spitzen Lanzen auf sie warteten. Dem Tod, der auf sie wartete. Matts Herz pochte vehement, die Zeit schien dickflüssig zu werden und das Geschehen um ihn herum sich zu verlangsamen. Nach der Reihe sah er in die Gesichter derer, die erst seit kurzer Zeit seine Gefährten waren. Lohra, die Kriegerin, Ereck, der Soldat, Esme, die Heileren und Ars, der Alchemist, der ihm auf der Mauer das Leben gerettet hatte. Hatte er sich überhaupt dafür bedankt? In einem Aufflammen von Trotz schwor er sich, es noch zu tun. Angestrengt grub er die Stiefel in die Flanken, des bedauernswerten Tieres, das es nicht gewöhnt war, auf eine schwarze heranflutende Wand zugetrieben zu werden. Die Luft anhaltend beugte er sich noch tiefer über den Rücken, so dass sein Gesicht beinahe die bei jedem Sprung aufwirbelnde Mähne berührte. Erleichtert atmete er aus, als er sah, wie er sich langsam vor die anderen schob. Er wollte sie nicht in der Schusslinie haben. Die ersten Zelte vor ihnen fielen dem Sturmangriff der feindlichen Armee zum Opfer. Hufe trampelten über Stoffplane, zerberstende Haltestöcke und Seile. Es waren noch nicht viele hier. Höchstens sieben Reihen, selbst wenn immer mehr von den Seiten nachbrandeten. Zitternd sog er ein letztes Mal Luft ein. In freudiger Erwartung nach so langer Zeit wieder die Wärme zu verspüren, in schrecklicher Angst, dass es nicht reichen könnte und voller Eckel, vor dem was er gleich tun würde. Hitze, so heiß wie das Blaue einer Flamme, schoss durch seine Brust und durch seine Arme, als er die Zügel losließ und die Hände seinen Gegnern entgegenstreckte. Männern mit Familien, mit Frauen und Kindern. Flammen, ein Wirbel aus rot, gelb und weiß, schoss aus seinen Fingern, brauste wie ein Sturm in einer dichten Brunst, mindestens vier Meter breit, auf die heranstürmenden Reiter zu. Sie prallten gegen Rüstungen, Fell und Haut. Eisen verflüssigte sich glühend, Pferde und Männer schrien voller Panik und voller Schmerz und Haut schmolz genau wie das darunterliegende Fleisch bis auf die Knochen. Die Luft roch nach Verbranntem, Ruß und ein süßlicher Gestank breitete sich aus und biss sich in ihre Nasen. Er achtete nicht auf die anderen, ungeahnt der Blicke, die ihn wohl in dieser Sekunde den Rücken durchlöcherten, er war einfach nur dankbar dafür, dass sein Pferd, so unerfahren es auch sein mochte, nicht scheute und trieb es durch die Kluft, welche ihnen die Toten und die panisch flüchtenden frei gemacht hatten. Er zählte nicht die verknoteten und mit Blasen überquollenen Leichname, die unter den Hufen seines Tieres zertrampelt wurden, achtete nicht auf das weiß der stellenweise immer wieder freigelegten Knochen. Er ritt einfach nur weiter und hoffte, dass seine Gefährten ihm folgen würden. Wie viele hatte er getötet? Zehn, zwanzig oder vielleicht noch mehr? Der Rauch, der einzelnen Grasnarben, die Feuer gefangen hatten, blieb hinter ihm zurück und kein Pfeil verirrte sich in ihre Richtung.
"Frei", dachte er und doch wollte sich das Gefühl der Freude nicht in ihm breit machen. Zu welchem Preis? -
Die Pferde trugen die erschöpfte Gruppe durch einen dichten Wald. Nebel war aufgekommen, selbst ihre seltsamen Reittiere waren langsamer geworden. Esme war nur dankbar dafür, selbst bei dieser Geschwindigkeit war es noch ein seltsames Gefühl auf einem zu sitzen . Niemandem schien es besonders nach reden zumute zu sein, auch wenn sie sicher einige Fragen an den Jungen der alles in Brand gesetzt hatte hatten. Selbst Esme hätte gerne nachgebohrt, sie hatte Hexen gesehen, die Magie anwendete, wenn auch nur bei seltenen Treffen. Das was er getan hatte, war etwas ganz anderes. Schmatzende Hufgeräusche um sie herum verrieten ihr, dass der Boden wohl deutlich weicher zu werden schien. Auch die Landschaft um sie herum erschien ihr plötzlich vertrauter. Die Heilerin schielte an dem hässlich verformten Kopf ihres Reittieres vorbei zu Ereck, der die Führung irgendwann wieder übernommen hatte. Wo führte er sie hin? Konnte es sein...? Bevor sie den Gedankengang beenden konnte, ertönte hinter ihr das Geräusch eines großen Objekts, dass im Matsch aufschlug, im nächsten Moment war sie auch schon von ihrem Pferd gerutscht und an die Seite des jungen Alchemisten geeilt. Er zitterte vor Erschöpfung und war bleich. Nebenbei bemerkte sie, dass auch die Wunde an seinem Arm wieder aufgerissen sein musste. Er musste dringend versorgt werden. Ereck eilte ebenfalls herbei, aber die Pinkhaarige war schneller und stützte den Jungen bereits. Sie meinte etwas zu Ereck, dieser nickte. "Von hier übernehme ich die Führung, er muss schnell versorgt werden." Meinte die Heilerin zu dem Hauptmann der sich ebenfalls bedrohlich stark an seinem Pferd abstützte. "Und dich sollte ich mir auch nochmal ansehen." Sie ließ ihr Pferd stehen und bedeutete den Anderen, dasselbe zu tun. Die Tiere waren bei weitem zu schwer für die Pfade in diesem Sumpf. Dann eilte sie voraus. Sie musste nicht einmal mehr darüber nachdenken, wohin sie ihre Füße setzte. Dies war vertrautes Terrain. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, sie hätte innegehalten und erst einmal den feuchten Moschusgeruch um sie herum genossen. "Keine Sorge Trevor. Wir sind zuhause."
Die Hütte sah so aus, wie sie sie in Erinnerung hatte nur die Tür, die die Soldaten eingetreten hatten, hing noch immer schief in den Angeln. Drinnen hiefte Lohra den Jungen auf einen Holztisch, Ereck lehnte sich gegen den Türrahmen und Matt schien den kleinen Raum nach möglichen Bedrohungen zu durchsuchen. Die Unordnung schien keinen von ihnen zu stören, aber Esme fielen sofort die zerbrochenen Gläser und die eingeschlagenen Schränke auf. Hatten ihre Entführer wirklich so stark gewütet? Sie hätte diesem Soldat mehr als nur eine Auge nehmen sollen. Glücklicherweise konnte sie in den Trümmern noch gerade so die Zutaten für einen stärkenden Trank zusammensammeln. Mit Hilfe der Söldnerin flößte sie Ars etwas davon ein, versorgte seinen Arm und sorgte dafür, dass auch Ereck davon trank. Dann machte sie sich daran aufzuräumen. "Was machst du noch hier?" fragte sie den Fettsack, der nach einigen Stunden noch immer in der Tür rumlungerte, schließlich etwas genervt. "Jungen geht es besser, ich hab dir etwas von dem Trank in Flaschen gefüllt, du kannst verschwinden." Der Andere ließ seinen Blick über die Verwüstung streifen. "Kommst du auch... in Ordnung?" fragte er etwas unbeholfen. "Tut es dir so Leid, was deine Männer hier angerichtet haben?" fragte sie etwas höhnisch."Ich will meine Ruhe haben, ist das so schwer zu verstehen." Der Andere seufzte nur und bedeutete den Anderen, ihm zu folgen. Ars, noch immer etwas zittrig aber mit schon viel mehr Farbe im Gesicht, wandte sich noch einmal ihr zu und zeichnete seine Dankbarkeitsrune in den Staub auf einem der Kästen. Vielleicht war sie doch etwas grob zu Ereck gewesen, aber wenn man bedachte wie sehr er als Beschützer seiner eigenen Stadt verbockt hatte, war es sicher gar nichts. Kaum war die Gruppe verschwunden, tauchte eine andere Gestalt aus dem Nebel auf. Ein kleiner, ungewaschener Mann, der vor Schreck erstarrte, als er Esme erblickte. Sie kannte ihn als einen der Männer aus dem Dorf, der sie regelmäßig aufsuchte, wenn er abends soviel getrunken hatte, dass er am nächsten Tag kaum arbeiten konnte. Manchmal kam auch seine Frau zu ihr, wenn sie wieder "gegen eine Tür gerannt" oder "beim aufräumen unvorsichtig" gewesen war. Normalerweise fand die Hexe den Mann widerwärtig, aber in diesem Moment war jedes vertraute Gesicht willkommen, also schenkte sie ihm immerhin eine halbherzige Begrüßungsgeste. Der Andere schüttelte ungläubig den Kopf." Nein das ist nicht wahr... Das kann nicht... Er sagte doch er kümmert sich darum". Misstrauisch kniff Esme die Augen zusammen und musterte den Anderen. "Wer kümmert sich um was?" "Der Soldat... in der Taverne meinte er...Wieso bist du noch hier?" Langsam dämmerte es der Alten. In einer flinken Bewegung zückte sie ihr Messer und presste es dem Anderen an den Hals. "So so. Irgendein Soldat kommt also in die Taverne und prahlt damit, mich auch dem Weg zu räumen und ihr zahlt ihm dafür noch die nächste Runde, wie?" Der Mann war immerhin schlau genug, darauf nicht zu antworten. Esme zog das Messer weg, woraufhin der Andere sofort auf die Knie sank und irgendwelche Bitten auszustoßen schien. Esme achtete nicht auf ihn. Dafür war sie zu wütend. "Undankbares Pack! Wie oft hab ich euch Idioten das Leben gerettet? War das nicht genug?" Sie wandte sich um. "Nun, da ihr mich offensichtlich nicht braucht, kann ich ja auch verschwinden." Es erinnerte sie an etwas, dass sie vor Jahren zu ihrer Tante gesagt hatte, bevor sie verschwunden war. Sie sammelte noch schnell das Wichtigste aus ihrer Hütte zusammen und ließ diese dann, zusammen mit dem Mann der aussah, als wolle er sich am liebstem im Schlamm vergraben hinter sich. Wie hatte sie dies hier nur all die Jahre ihr zuhause nennen können? Sie wusste nicht genau, was ihr Ziel war, aber sie war sich ziemlich sicher, dass es nicht in diesem Sumpfloch lag.
Die wütende Heilerin erreichte die kleine Gruppe um Ereck, als diese gerade ihre Pferde wieder bestiegen. "Haben wir etwas vergessen?" Fragte der Mann verdutzt. "Ja." meinte die Hexe kurz angebunden, während sie etwas unbeholfen wieder auf ihr Pferd stieg. "Mich."
-
Matt war sich der Blicke nur allzu bewusst, die ihn zu durchbohren schienen. Sichtlich geschockt ließ er sein Pferd neben den anderen her traben. Er hatte sich verraten. Wieso hatte er sich denn all die Zeit verdeckt gehalten, nur um bei der erstbesten Gelegenheit alles zu Asche zu verbrennen, was ihm vor die Nase kam. Und all diese Männer. In seinen Ohren hallten noch immer ihre schrecklichen Schreie. Von ihnen war kaum mehr übrig als glimmende Asche, während er kaum aus der Puste geraten war. Konnte man das Gerechtigkeit nennen? Sicher, sie hatten versucht sie zu töten und wer weiß wie viele sie noch an diesem Tag des Lebens beraubt hätten, doch es fühlte sich nicht wie eine Rettungs- oder sogar eine Heldentat an. Er hatte sie ermordet, kalt und herzlos, aus allein egoistischen Gründen. Unvermittelt fragte er sich, wie er mit diesem Wissen einfach weiter machen konnte. Er war es gewohnt, ja, aber war er so abgestumpft?
Erst am Abend schlugen sie ihr Nachtlager auf, ohne dass einer einen Ton darüber geäußert hätte, wie es nun weitergehen sollte. Zurück in die Stadt jedenfalls konnten sie nicht mehr. Ereck war dort jedem bekannt, genau wie Lohra einiges an aufsehen erregt haben musste und vielleicht erinnerten sich einige der Soldaten, die Larenz die Treue hielten, auch an Esme, Ars und Matt. Wenn sie jetzt das Stadttor durchqueren wollten, wenn es das überhaupt noch gab, würden sie sich schneller am Strang baumelnd wiederfinden, als sie einen erfundenen Namen murmeln konnten. Auch ob sie sich von nun an trennten oder zusammen weiter ritten, war niemanden klar, oder ob sie die Sache mit Larenz und der Stadt einfach so auf sich beruhen lassen wollten. Ereck wollte sich bestimmt an dem Stadthalter rächen und Matt war auch nicht ganz egal, was mit den Bewohnern geschah. Immerhin war seine Familie immer noch darunter.
Trotz all der offenen Fragen errichteten sie weitestgehend schweigend ihr Nachtlager. Die Pferde, die Hakiz ihnen mitgegeben hatte, waren Packtiere und glücklicherweise waren sie zumindest zum Teil beladen gewesen, als sie ihnen übergeben worden waren. Ein Großteil dieser Sachen war vermutlich während ihrer hektischen Flucht verloren gegangen, doch unter den verbleibenden fanden sie zwei einfache Zelte, genug Decken für jeden und ein wenig Proviant. Lohra führte sie schnurstracks über einige Hügel, zu einem Fluss, dessen Rauschen Matt von ihrem Lager aus nicht einmal erahnen hatte können. Das Wasser war gut, um damit ihre Trinkschläuche zu füllen und den Schmutz des Kerkers und die Asche von ihren Körpern abzuwaschen. Danach bauten sie die Zelte auf, errichteten ein Feuer und kochten in einem kleinem Kessel eine Brühe, die sie mit etwas Pökelfleisch würzten. Wenig später saßen sie um das Lagerfeuer herum, alle mehr oder weniger gesättigt und noch immer sprach niemand ein Wort.
"Nun", durchbrach Ereck endlich die Stille, sah jedoch ausgerechnet ihn fordernd an. Matt wusste natürlich, was er von ihm wollte, was alle von ihm wollten. Kurz zögerte er noch, dann gab er sich einen Ruck und setzte sich etwas auf.
"Ich wurde so geboren", gab er schulterzuckend Preis und erwiderte jeden einzelnen der Blicke nacheinander. "Ich versuche nur nicht davon Gebrauch zu machen, um kein Aufsehen zu erregen." Lohra zog fragend eine Augenbraue hoch, als ahne sie, dass er einen Großteil verschwieg. Esme wirkte teilnahmslos, was jedoch vermutlich daran lag, dass sie kein Wort verstand. Ars nickte beinahe verstehend. Er hatte seine Gabe vermutlich auch verstecken müssen oder es bitter bereut, nachdem er es einmal nicht getan hatte.
"Und was heißt das?", fragte der Alchemist nun neugierig. "Wie funktioniert es?" Matt schnaubte.
"Keine Ahnung. Es ist für mich genauso wie atmen. Ich kann es einfach."
"Und was kannst du?", mischte sich nun auch Lohra ein. "Ich meine außer Feuer aus deinen Händen zu schießen? Oder war das etwa schon alles?" Sie klang nicht gerade so hämisch wie ihre Worte es vermuten ließen, es war jedoch ersichtlich, dass sie nach dem was er verschwiegen hatte bohrte.
"Genügt das etwa nicht?" Er lachte rau auf. "Naja. Ich kann eben Feuer erschaffen, wenn ich es brauche, und bestehende Flammen kontrollieren. Außerdem verbrenne ich mich nicht gleich, sobald es etwas wärmer wird." Er schob das Kinn stur nach vorn und glättete dann hastig seine Gesichtszüge wieder, als er es bemerkte.
"Und warum hast du damit nicht früher rausgerückt?", wollte Ereck wissen. "Es gab genug Gelegenheiten, in denen einer von uns hätte verletzt werden können, nur weil wir dachten, dass du so wehrlos wärst wie ein Neugeborenes. Verflucht. Du hättest die Stadt retten können, wenn du das, was du und Hakiz Lager gemacht hast, auf der Mauer getan hättest."
"Ich habe meine Grenzen", widersprach er vehement. "Und schon das im Lager hat mich ziemlich erschöpft. Und selbst wenn das etwas genützt hätte, selbst wenn Hakiz Männer und vielleicht auch Larenz Verstärkung sich wegen ein bisschen Feuer in die Flucht hätte schlagen lassen, wäre das damit doch nicht erledigt gewesen. Es gibt immer die, die nach Macht streben und die mich benutzen wollen, damit ich ihnen als Werkzeug dienen kann. Wer weiß, wer dann gekommen wäre? Und zu was hätten mich die, die bereits in der Stadt waren treiben wollen." Er schwieg einen Moment, während er versuchte seine Gedanken zu ordnen.
"Du sagst das, als wäre das schon einmal geschehen", behauptete Lohra und sah ihn nachdenklich an. Matts Lippen kräuselten sich zu einem freudlosem Lächeln.
"Das hättet ihr mitbekommen." -
Ein Weile war es ruhig. "Danke, dass du uns davon erzählt hast", meldete sich Ars schließlich. Er hob den Blick und sah seinem Gegenüber in die Augen, was wahrlich nicht oft vorkam. "Es muss schwer sein mit dem Wissen zu leben, eine solch zerstörerische Kraft in sich zu tragen." Matt erwiderte nichts, aber sein schmerzerfüllter Blick sagte genug. Ars dachte an das Feuer, das plötzlich da gewesen ist. Er hatte es nicht genau sehen können, vor allem, weil es so unerwartet kam. Dennoch war sein Interesse daran größer, als die Angst. "Ich halte dich für einen guten Menschen", murmelte Ereck und starrte ins Feuer. "Du magst vielleicht feige und naiv sein, aber auch ein guter Mensch." Ars nickte. "Besser, dass du sie hast, als jemand anderes."
"Jetzt mal abgesehen davon", begann Ereck und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung, "Wenn sonst noch einer von euch ein Geheimnis hat, sollte er jetzt damit rausrücken."
Sie sahen einander an. Blicke wurden ausgetauscht. Aber Ars hatte nur einen Gedanken. Wer oder was war Lohra?
Doch als auch sie lediglich in die Runde starrte, offenbarte er seines.
"Ihr werdet es sicherlich nicht mitbekommen haben", sagte er und öffnete die Schnallen der Halterung an seinem Bein, um das Alchemie-Buch herauszunehmen, "Aber tatsächlich habe ich etwas aus der Bibliothek mitgehen lassen." Nun sahen alle Irritiert aus. Na gut, die Kräuterfrau versteht nichts, das kann ich verstehen, dachte Ars, aber was ist mit den anderen? Haben sie mir keinen Diebstahl zugetraut? Er schlug das Buch auf und zeigte ihnen die leeren Seiten. "Dies ist ein magisches Buch, in dem sich einst jegliches Wissen über die Alchemie befand." Nun kramte er aus der Vorrichtung noch eine Schriftrolle hervor. Sie war die ganze Zeit über niemandem aufgefallen. "Man kann den Text darin nicht lesen, nur im Schlaf lassen sich seine Geheimnisse entschlüsseln." Er stand auf und ging zu Esme. Ihre Hand fuhr zu ihrem Messer, aber Ars wusste, dass sie ihm nichts tun würde (,oder zumindest hoffte er das). Dann hockte er sich zu ihr und schnappe sich einen Stock, mit dem er Runen zu zeichnen begann. "Und was genau hat das mit dem zutun, was du aus der Bibliothek gestohlen hast?", erkundigte sich Lohra ungeduldig. "Diese Schriftrolle ist mir aufgefallen, als wir die Bibliothek verließen. Sie hob sich von allen anderen Schriften ab. Und ich vermute zu wissen, was sie beinhaltet."
"Nun rück schon raus damit, was ist es", drängte Ereck. Ars' Mundwinkel hob sich unmerklich. "Wenn Esme in der nähe dieser Schriftrolle einschläft, sollte sie, sobald sie aufwacht, unsere Sprache beherrschen." Er zeigte mit dem Stock auf die Runen und sprach ihre Bedeutung laut aus.
"Schrift, Wissen, Schlaf, Sprache, Verständnis." -
Es war eine seltsame Stille in dem provisorischen Lager eingekehrt, das sie auf einer Lichtung errichtet hatten. Die Gruppe saß um ein Feuer, welches Matt für sie entfacht hatte. Die Kräuterfrau lag nah bei den Flammen und versuchte einzuschlafen, Ars neben ihr. Lohra war im Wald verschwunden und Ereck saß auf einem morschen Baumstumpf, in den dunklen Wald starrend.
Da hatte er sich eine illustre Reisegesellschaft ausgesucht. Eine alte Kräuterhexe, die ihn vermutlich hasste, gleich zwei verdammte Magier und eine Söldnerin von undefinierbaren Aussehen. Ereck fragte sich, ob irgendeiner der anderen sich Gedanken darüber machte, wo sie überhaupt hinritten. Dieser Matt würde zu seiner Familie zurückwollen, doch das konnten sie vergessen, solange vor den Stadtmauern eine Schlacht tobte. Vermutlich folgten sie einfach Ereck, der jedoch selbst nicht wusste, wohin. Die letzten Jahre hatte er ihm Dienst des Zerbus verbracht, nun war er tot und der Hauptmann hatte wenig Interesse, weiter in diese Krise involviert zu werden. Doch käme er da nicht drumrum, solange er bei den anderen bliebe.
Als Lohra zurückkehrte, mit einem Bündel Reisig unterm Arm und sich freundlich lächelnd zu Ereck setzte, stand sein Entschluss fest. Er würde alleine weiterziehen. Ereck dachte an seine Familie, die er verlassen hatte. Nein, dies hier war anders. Er brauchte sich nicht dafür zu schämen. Die Verantwortung, die er als Hauptmann gehabt hatte, hatte er verabscheut und sie hatte ihm schlaflose Nächte bereitet. Nun war er von dieser Last befreit und sollte sein Leben für Fremde riskieren? Nein, er würde gehen.
"Was denkst du?", fragte die Söldnerin. Ereck sah sie einen Moment lang an. Das Licht des Feuers glitzerte in ihren Augen.
"Das Holz ist gut", sagte er schließlich und deutete auf das Reisigbündel am Boden. "Wir werden es brauchen, es wird eine lange Nacht."
Lohra schien zu bemerken, dass er ihre Frage nicht beantworten wollte, doch sie harkte nicht nach. Dafür war er ihr dankbar. Erech hatte noch nie mit jemanden über seine Familie gesprochen.
"Essen werden wir brauchen", meinte die Söldnerin mit einem Blick zu den anderen am Feuer. Die Kräuterfrau schien eingeschlafen zu sein.
"Schau nicht mich an", meinte Ereck, während er an den Satteltaschen seines Pferdes rumfingerte. "Ich bin ein miserabler Jäger."
"Ich kann es dir beibringen, wenn du ..." Sie schwieg abrupt. Ereck fuhr herum und blickte ihr in die Augen. Ohne ein Wort zu sagen, deutete Lohra in den Wald hinter ihm. Ereck zog ein Messer aus der Satteltasche. Als ahne das Ross etwas, wieherte es leise.
Die Söldnerin, nun ebenfalls bewaffnet, schlich an ihm vorbei in den Wald. Ereck folgte ihr. Kaum dreißig Fuß vom Feuer entfernt war es stockfinster.
"Hey!", kam ein Ruf vom Lager aus. "Wo geht ihr hin?"
In eben diesem Moment knackte es laut vor Ereck und er hörte einen dumpfen Schrei. Sofort preschte er vor und sah sich zwei Männern gegenüber. Ein dritter Lag am Boden, Lohra auf ihm. Sie hielt seinen Arm. Die anderen beiden hoben die Arme und quasselten beschwichtigende Worte.
"Was wollt ihr?", blaffte Ereck. Der Kerl links, ein bartloser Jüngling, vielleicht vierzehn, der, wie die anderen, in den Farben Hakiz' gerüstet war, stammelte eine Antwort.
"Bitte ... wir sind einfache Soldaten ... auf der Flucht. Wir ... wir benötigen Hilfe und, und .... wir haben das Feuer gesehen, da ..."
"Schnauze", raunzte Ereck und setzte dem anderen Mann sein Messer an die Brust. Hinter ihm kam Matt aus dem Dickicht. Ars schien bei der Alten geblieben zu sein.
"Was ist denn hier los?", fragte der Pyromant.
"Wir sind auf der Flucht", stammelte der Kerl mit der Klinge an der Brust. Er war etwas älter, bärtiger. "Unser Herr Hakiz wurde erschlagen vor den Stadttoren und die Häscher von Zerbu Rakka und dem Seneschall jagen uns."
Lohra ließ von dem Mann am Boden ab. "Hakiz ist tot?", fragte sie erstaunt.
"Ja, sein Heer wurde zerrieben", meinte der Junge. Ereck senkte das Messer und blickte zu Boden. Nun war das Schicksal der Stadt besiegelt. Matt würde seine Familie wohl nie wieder sehen. Der Junge schien dies jedoch nicht zu begreifen.
"Wir müssen sofort zurück", drängt er. Lohra nickte und schaute dann zu Ereck. Wieder musste er an seine Familie denken, seine Familie, die er im Stich gelassen hatte. Er blickte auf und erwiderte Lohras Blick. Ihre Augen strahlten eine ungeheure Entschlossenheit aus.
"Wir können nicht zurück", sagte Ereck. Matt wollte Einspruch erheben, doch Ereck winkte ihn ab. "Wir können nicht zurück, aber wir müssen trotzdem helfen. Larenz scheint mit Rakka paktiert zu haben, doch es gibt noch mehr Zerbus in diesem Land. Ein paar Meilen von hier liegt die Stadt Raznar. Ihr Zerbu heißt Marraz und bei ihm leben zwei von Raknaz' Söhnen als Mündel. Ihn müssen wir um Hilfe bitten. Dann haben wir eine Chance, Zesnar zurückzuerobern."
"Wird dieser Marraz uns helfen?", fragte Lohra.
"Er ist ein guter Freund von Raknaz. Und ich glaube, wenn wir ihm sagen, dass seine Stadt die nächste sein könnte, die Rakka zum Opfer fällt, wird er bereit sein, uns zu helfen." -
Über die letzten Tage gewöhnte sich Esme immer mehr an das reiten. Es würde nie zu einer Fortbewegungsart werden, die sie dem Laufen vorzug, soviel stand fest, aber für weite Strecken war es doch praktischer, soviel musste man diesen seltsamen Tieren lassen. Und auch an andere Dinge würde sie sich gewöhnen müssen. Als sie heute morgen aufgewacht war, hatte Ars sie beiseite genommen und ihr noch einmal genauer erklärt, was diese Schriftrolle bewirkt hatte. Als ob sie das nicht von selbst bemerkt hätte, ha. Es stimmte, sie verstand nun immerhin, was um sie herum gesprochen wurde, aber die Worte fühlten sich hart und ungewohnt an. Die kleine Gruppe war den ganzen Tag geritten, angeführt von Ereck, der sie zu dem Verbündeten führen wollte. Nachdem sie schließlich die Kuppe eines Hügels erreichten, erblickten sei von der Anhöhe aus im letzten Licht des Tages Raznar. Die Stadt war nicht ganz so groß wie Zesnar, was nach der Einschätzung der Hexe allerdings immer noch unter zu groß eingestuft war. Aber was sollte sie machen. Sie hatte diesen Weg gewählt, also musste sie ihn auch gehen. Die Torwachen begannen bereits, die schweren Tore zu verriegeln, waren aber doch so gütig, nachdem sie den Hauptmann erblickt hatten, die Gefährten noch hinein zu lassen. "Kennst du diesen Marraz gut?" hörte sie Ars besorgte Stimme vor sich Ereck zumurmeln. Während sie die nächtlichen Straßen der Stadt entlang ritten. "Nicht persönlich, aber vom Sehen her." "Wie beruhigend." Kommentierte eine andere Stimme. Der andere Junge, Matt. "Ich werde ihn schon überzeugen können, er ist nicht der mutigste Mann aber,..." Ereck hielt inne und wendete sein Pferd. Sie standen vor einer Art Anschlagtafel. Esme konnte Schriftzeichen sowie einige detailreich gezeichnete Bilder erkennen. Der Hauptmann stieg von seinem Reittier und riss ungläubig einen der Zettel herunter. "Das ist einer von Raknaz' Söhnen, Lordas." Jetzt drängte sich Lohra, welche bis zu diesem Zeitpunkt hinter Esme gewesen war ebenfalls heran. "Sieht aus, als ob er wegen Mordes gesucht wird, bist du sicher, dass er es ist?" Ereck nickte. "Ganz sicher, er hat Raknaz Gesicht. Und außerdem ist das Opfer Larkaz. Sein kleiner Bruder." Esme glitt nun ebenfalls von ihrem Pferd. "Schöne Freunde hast du da." meinte sie und nickte in Richtung Steckbrief. Der Hauptmann schüttelte, noch immer ungläubig den Kopf. "So etwas würde er nicht tun, Lordas ist nicht einmal mit zur Jagd gegangen. Wir müssen sofort mit Marraz sprechen."
-
Lohra runzelte die Stirn. Das wurde ja immer besser ... dennoch: sollte zumindest Lordas noch am Lrb3n sein und unschuldig, so wie Erweckung behauptete, dann hätten sie einen rechtmäßigen Thronfolger des Zebrus gefunden und könnten Larenz ausstechen. Beim genaueren drüber nachdenken, fiel auch Lohra auf, dass der Plan wie zu viele "könntes" enthielt. Sie seufzte und stieg wortlos wieder auf ihr Pferd. Gemeinsam ritten sie zum Palast von Marraz, damit Ereck um eine Audienz bitten konnte. Er kannte den Zebru nicht mal. Zum aller ersten Mal in ihrem Leben fragte Lohra sich, ob sie da nicht in eine Sache hinein geraten war, die zu groß für sie war. Sich lächelte. Genau das machte den Reiz aus. Seit langem fühlte sie sich wieder lebendig und sollte der Tod sie auf dieser Mission finden, dann würde sie ihn freudig willkommen heißen.
Sie erreichten einen großen Platz in dessen Mitte eine grüne Insel wuchs. Eine Buche, so alt, dass sie mit Lohra mithalten konnte, wuchs in ihrer Mitte, darunter kleine, bunte Blumen und Gras. Sofort schlugen die Pferde den Weg dorthin an, doch sie zwangen sie auf die steinerne Treppe des Palastes zuzuhalten. Sorgfältig banden sie ihre Tiere am Geländer fest und machten sich an den Aufstieg. Oben standen ein paar Wochen, die sofort ihre Lanzen kreuzten und ihnen den Zutritt vermehrten.
"Wer seid ihr?"
"Ich bin Ereck Weißkrähe aus Zesnar. Hauptmann der Garde des Zebrus. Ich möchte bei Zebru Marraz um eine Audienz bitten", stellte Ereck sich förmlich vor. Lohra bemerkte wie Esme vor ihr mit den Füßen scharren und teilte ihre Abneigung gegen diese Platten Höflichkeiten.
"Und der Rest?", warf die Wache ein und schmiss einen Blick auf alle Beteiligten. Lohra grinste. Sie sahen abgerissen aus. Und nicht nur das. Lohra war vielleicht mit Abstand die seltsamste Erscheinung, aber sie trug wenigstens ein Schwert. Der Soldat fragte sich zu Recht was zwei halbe Kinder und eine alte Frau in der Garde des Zebrus zu suchen hatten.
"Bitte", drängte Ereck. "Es ist sehr wichtig."
"Wir können auch warten", warf Lohra ein, auch wenn es ihr nicht gefiel Ereck ohne Begleitung zu lassen. Wer wusste schon, wem sie trauen konnten?
Ereck schien ihre Gedanken zu teilen. "Einen möchte ich mitnehmen." Er deutete auf Ars, der überrascht die Brauen hob. Die Wache aber nickte. "Zwei sind okay." Er bat die beiden einzutreten und Lohra blieb mit Esme und Matt auf dem Sockel der Treppe zurück. -
Matt sah wie Ars und Ereck in der klaffenden Öffnung zwischen den Torflügeln verschwanden. Wieso hatte er gerade ihn mitgenommen? Natürlich hätte er nicht erwartet, dass er der "Auserwählte" sein würden, aber er hätte doch eher mit Lohra gerechnet. Vielleicht fürchtete der Hauptmann, dass die Söldnerin zuviel Aufmerksamkeit erwecken würde.
Fragend blickte er sie und die Kräuterfrau an.
"Und was machen wir jetzt?", wollte er von ihnen wissen.
"Ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber ich könnte eine Mahlzeit gebrauchen", entschied Lohra für die kleine Gruppe. Wenig entfernt, auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes, befand sich ein großes Gasthaus. Es wurde wegen der zentralen Lage vor allem von Kaufmännern genutzt und so erregten sie einiges an Aufmerksamkeit, als sie in verdreckter und zum Teil rußgeschwärzter Kleidung - im Nachhinein war das vielleicht auch einer der Gründe, wieso sie nicht alle zum Zerbu vorgelassen wurden - den großzügigen Schankraum betraten. Zwischen all dem Samt und der Seide fühlte sich Matt vollkommen fehl am Platz, doch sein Magen erinnerte ihn gerade schmerzhaft daran, dass er seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatte. Lohra setzte sich schwungvoll auf einen Stuhl am ersten freien Tisch, den sie fanden. Sie wirkte erstaunlich energiegeladen, wenn man den langen Ritt bedachte, den sie alle hinter sich hatten. Esme dagegen sah sich erst misstrauisch und leicht angewidert um, bevor sie sich neben der Söldnerin niederließ. Auch Matt nahm Platz und keine halbe Stunde später hatten sie einen Teller mit köstlich dampfendem Rindfleisch und Erbsen vor sich stehen.
"Habt ihr gehört was in Zesnar geschehen ist", hörte Matt plötzlich eine Stimme hinter sich. Unauffällig versuchte er sich umzublicken und erspähte zwei Männer an einem Tisch in seinem Rücken sitzen.
"Natürlich!", antwortete einer der beiden geraden. "Unfassbar. So etwas könnte hier auch passieren."
"Wohl kaum", der andere schnaubte vernehmlich. "Dazu hat unser Zerbu nicht genügend Kinder. Brudermord. Unglaublich."
"Wenn du mich fragst gehört dieses Scheusal in das tiefste Loch gesperrt", gab der eine seine Meinung preis. "Ein Glück, dass der Verwalter seine Verbrechen aufgedeckt hat, bevor er die Macht an sich reißen konnte. Angeblich gab es einen richtigen Kampf, bei dem die halbe Stadt zerstört wurde." Lohra verpasste Matt einen leichten Tritt unter dem Tisch, der ihn zurückfahren ließ. Sie bedeutete ihm etwas vorsichtiger zu sein. Das hätte ihnen gerade noch gefehlt, dass man sie irgendwie mit dem, was in Zesnar geschehen war, in Verbindung brachte.
"Angeblich hat sich dieser Verräter Lordas auch noch schwarzer Magie bedient, um seine Ziele zu erreichen", tönte es wieder von hinten, diesmal widerstand Matt jedoch dem Drang sich umzusehen. "Eine Gruppe von Zauberern soll eine komplette Kompanie Soldaten soll in Flammen aufgehen lassen haben." Matt konnte nicht verhindern, dass sich sein Gesicht schmerzvoll verzog. Eine Kompanie war natürlich haltlos übertrieben, aber das war bei Gerüchten eben so. In ein paar Tagen würde es ein ganzes Bataillon und in einer Woche die halbe Armee sein und aus einer Gruppe von Hexen ein einzelner werden.
"Außerdem hat die Wache selbst den Zerbu verraten", behauptete wieder einer von den Männern. "Man erzählt sich, sie wurden von einer Hexe mit violetten Haaren korrumpiert." Lohra zog sich die Kapuze ihres Mantels tiefer ins Gesicht und blickte unglücklich drein. Sie alle - selbst Esme, die offenbar wirklich jedes gesprochene Wort verstand - zuckten leicht zusammen, als der andere Mann laut zu lachen begann.
"Klar, eine Hexe", kommentierte er spöttisch. "Ich glaube sie hat sie mit etwas völlig anderem verzaubert als ihren Hexenkräften."
"Aber bei schwarzer Magie zuckst du nicht mal mit der Wimper", verteidigte sich der ausgelachte.Sie aßen auf, obwohl ihnen der Appetit vergangen war. Doch es würde mehr Aufmerksamkeit erregen mitten in der Mahlzeit einfach zu gehen. Während sie die Straße überquerten, um zum Palast zurückzugelangen, hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Sie würden verdammt aufpassen müssen, falls Ereck und Ars es nicht schaffte dieses Missverständnis auszuräumen.
"Andererseits", kam ihm ein unansehnlicher Gedanke, "Hat man die beiden vielleicht schon längst in den Kerker geworfen, falls der Zerbu diesen Gerüchten glauben schenkt." Und dann würden sie die nächsten sein. -
Marraz' Palast war nur etwa halb so groß, wie jener in Zesnar, aber nicht weniger prunkvoll. Der Zerbu war dafür bekannt, ein Freund der schönen Künste zu sein. Überall hingen prunkvolle Wandteppiche, sie kamen an Räumen gefüllt mit exotischen Instrumenten vorbei. Womöglich hatte Raknaz deshalb seine beiden jüngsten Söhne hierher geschickt. Beide waren künstlerisch begabt und nicht an Kämpfen und dergleichen interessiert. Zumindest meinte Ereck sich erinnern zu können, dass Raknaz ihm davon erzählt hatte.
Ars war etwas zurückgefallen und bestaunte die Mosaike an den Wänden. Flankiert wurde er von zwei Wachmännern in schweren Rüstungen, deren Blicke jedoch strikt auf Ereck gerichtet waren. Das machte ihn misstrauisch und eine dunkle Vorahnung bestieg ihn, allerdings konnte er Marraz keinen Vorwurf dafür machen, besonders vorsichtig zu sein.
Sie erreichten die schweren Türen des Thronsaals, wo man sie bat zu warten. Die Wachen wichen ihnen nicht von der Seite. Ars kam herüber und brachte seinen Mund nah an Erecks Ohr.
"Bist du sicher, das dieser Marz bereit ist, uns zu helfen?", fragte er. Die Wachen missbilligten ihr Getuschel, was sie durch ihre Blicke mehr als deutlich machten.
"Er heißt Marraz. Vergiss das lieber nicht, wenn wir da drin sind."
Ars setze zu einer Antwort an, doch in diesem Moment schwenkten die Türen auf und vor ihnen erstreckte sich der gewaltige Thronsaal. Ereck und Ars liefen vorbei an Säulen und leeren Rüstungen, bis sie am Fuße der Treppe ankamen, die zu Marraz' Thron hinaufführte. Der Mann war etwas in die Breite gegangen, seit Ereck ihn das letzte Mal gesehen hatte, und auch sein Haar lichtete sich. Dafür trug er nun einen prächtigen geölten Schnurrbart.
Hinter seinem Thron standen zehn Soldaten im Halbdunkel.
"Ereck Weißkrähe", tönte es von oben herab. Die Stimme des Zerbus war tief und laut. "Ich erinnere mich noch, Euch beim Namenstag meines Freundes Raknaz getroffen zu haben. Ihr habt seine Söhne zum Stadttor begleitet, als sie ich sie mit mir nahm. Ich habe Euch für ehrenwert gehalten."
Ereck blinzelte verwundert, angesichts dieser Beleidigung.
"Edler Marraz, ich versichere euch, stets treu gedient zu haben." Der Mann auf dem Thron rührte sich nicht.
"Wer ist dieser Kerl neben euch?", fragte Marraz. "Der Alchemist, der meinen Freund Raknaz zusammen mit einer Hexe vergiftet hat?"
Ars warf Ereck einen verwirrt schockierten Blick zu. Ein metallenes Klappern verriet dem Hauptmann, dass die Soldaten im hinteren Bereich des Saales sich rührten. Erecks Hand glitt zu seinem Messer. Sie hatten es ihm nicht abgenommen.
"Marraz ...", begann er. "Ich fürchte, man Euch Lügen und Propaganda zukommen lasse!"
Der Zerbu lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sprach: "Ihr erwartet, dass ich einem dahergelaufenen Lumpenpack glaube, anstelle des Mannes, der bei meinem Freund war, als sein Leben zu Ende ging?"
Ereck wollte gerade fragen, von wem der Zerbz sprach, da trat ein Mann hinter dem Thron hervor. Sofort erkannte Ereck Rogarr. Der Einäugige grinste selbstgefällig.
"Verräter! Lügner! Du Wurm, du verfluchter ..."
"Schweigt!", fauchte Marraz. Sein fettes Gesicht wabbelte, als er wutentbrannt aufstand. "Ergreift sie! Ergreift sie beide! Aber lebend. Ich will sie für ihren Verrat noch lange büßen lassen! Und das Pack mit dem sie hier her kamen. Die bringt mir ebenfalls!"
Die Soldaten hinter ihm schwärmten mir gezückten Schwerter aus. Ars wollte nach seinem Buch greifen, aber Ereck packte seinen Arm und hielt ihn zurück. Es wäre effektiver, seine Kräfte zu nutzen, um aus dem Kerker zu entkommen. Widerstandslos ließen sie sich festnehmen.Nur Augenblicke später fanden sie sich in einer finsteren Zelle irgendwo tief in den Eingeweiden des Palastes wieder. Ars rieb sich den Arm, wo man ihn besonders fest gepackt hatte, während Ereck nervös auf und abschritt. Er hörte ständig murmelnde Stimmen vor der Zelle, wollte aber warten, bis sie alleine waren, ehe er Ars seine Kräfte einsetzen ließ. Nach einem Weilchen schwiegen die Stimmen und als einige Augenblicke danach immer noch Schweigen herrschte, nickte Ereck Ars zu. Der verstand sofort. Er nahm sein Buch hervor, trat zur Tür und schloss die Augen. Doch seine Konzentration wurde sofort vom Klacken des Schlosses unterbrochen. Erschrocken wich der Alchemist zurück. Auch Ereck machte einen Schritt zurück. Als die Tür aufschwang, wurden sie von grellem Fackelschein geblendet. Man würde sie also zur Folterkammer bringen. Ereck hoffte, dort würde sich ihnen die Möglichkeit zu Flucht bieten.
"Raus mit euch!", blaffte eine Stimme. Ereck und Ars blinzelten im Licht und erkannten einen Mann fortgeschrittenen Alters. "Begleitet mich bitte. Und sorgt euch nicht."
Ereck trat aus der Zelle und stellte verwundert fest, dass der Alte keinerlei Wachen bei sich hatte. Es wäre mehr als einfach ihn auszuschalten und zu fliehen. Fast schon zu einfach. Ereck zögerte. Auch Ars, der nun nervös in den Gang trat, wirkte verwirrt. Der alte Fackelträger schien ihre Blicke zu lesen.
"Ich bin nicht gekommen, um euch zur Folterkammer oder Hinrichtung zu bringen. Der Zerbu will euch sehen."Ars und Ereck tauschten einen Blick aus. Ein leichtes Nicken des Alchemisten verriet sein Einverständnis und so folgten sie dem Alten. Er führte sie durch dunkle Gänge und schließlich in ein von Kerzen und Fackeln erleuchtetes Gewölbe. Dort hatte man einen Tisch aufgebahrt, an dem Zerbu Marraz saß und aus einem Tonkelch trank. Auch für Ereck und Ars hatte man Getränke bereitgestellt. Doch beide ließen die Finger von dem potentiellen Gift.
"Hauptmann", begann Marraz. "Ich muss mich für mein rüdes Verhalten im Thronsaal entschuldigen. Aber mit diesem Rogarr im Nacken muss ich aufpassen, was ich sage."
"Wovon sprecht Ihr?", fragte Ars.
Der Zerbu stellte seinen Kelch ab und begann, zu erklären: "Zerbu Rakka und der Seneschall von Zesnar haben sich verschworen. Rakka will alle freien Städte Zesiens erobern und zu einem Reich unter seiner Herrschaft vereinen. Ich mache gute Miene zu bösem Spiel, damit meine Stadt nicht die nächste ist."
Ereck nickte. Soviel wusste er schon.
"Dieses Schwein Larenz hat Meuchelmörder im ganzen Land angeheuert, um Raknaz' Söhne zu ermorden. Selbst Larkaz, ein Kind von sieben, den zu erziehen und schützen ich geschworen hatte, haben sie erwischt."
"Auf einem Poster in der Stadt hieß es, sein Bruder habe ihn getötet", meinte Ars.
"Das ist Teil der Verschwörung. Larenz hat diese Lüge in die Welt gesetzt, nachdem bekannt wurde, dass Lordas die Stadt verlassen hatte."
"Wo ist er hin?", fragte Ereck.
"Keiner weiß es. Aber sein Leibwächter, Allion Erelis, ist ebenfalls verschwunden. Ich vermute, er hat Lordas gerettet und weggeschafft."
"Was ist mit den anderen Söhnen?", wollte Ars wissen.
"Wenn meine Quellen stimmen, sind sie alle den Häschern Rakkas zum Opfer gefallen. Lordas ist der letzte lebende Erbe."
Ereck fuhr sich durch den roten Bart.
"Warum wolltet Ihr uns sprechen, Edler?", fragte er. Der Zerbu zwirbelte seinen Bart und lehnte sich im Stuhl zurück.
"Ich habe mich entschlossen, Rakkas Spiel zu spielen. Habe diesen Rogarr bei mir aufgenommen und seine Gerüchte geschürt. Aber ich bin meinem alten Freund Raknaz noch immer treu. Mit Lordas habe ich ein entscheidendes Druckmittel verloren. Er ist der Schlüssel, wenn es darum geht, Rakka und Larenz aufzuhalten. Eine erfolgreiche Rebellion kann sich nur dann bilden, wenn wir uns dem letzen lebenden Erben verschreiben! Und ich will, dass Ihr ihn für mich findet, Ereck Weißkrähe."
Der Hauptmann, der keiner mehr war, starrte den dicken Zerbu an. Er musste so viele Informationen verarbeiten, dass er einige Augenblicke lang gar nichts antwortete.
"Habt ihr irgendeine Idee, wo der Junge steckt?", fragte er schließlich.
Marraz lächelte. "Ein Mann, der gleich zur Tat schreitet. Löblich." Er nahm ein Pergament hervor, auf welches man mit Kohle einen bärtigen Mann mittleren Alters skizziert hatte.
"Allion ist gerissen und ein Meister im Untertauchen. Ihn zu finden wird nicht leicht sein", fuhr der Zerbu fort.
"Warum wählt ihr gerade uns aus?", fragte Ars.
"Weil ich euch trauen kann und weil niemand nach euch suchen wird, jetzt wo ihr tot seid."
Ereck und Ars hielten den Atem an. Marraz lachte.
"Es ist war, in diesem Moment hackt man euch die Köpfe ab und zieht die Haut vom Gesicht. Euer Glück ist, dass wir zwei Vergewaltiger einsitzen hatten, die euch ein bisschen ähnlich sehen."
Nun atmeten die beiden erleichtert auf.
"Folgt bitte Rez, dem Mann der euch her brachte. Er wird euch neu einkleiden und mit Waffen ausstatten. Ich fürchte, der Bart und der weiße Mantel müssen weg, Ereck. Zu auffällig. Aber nun wollen wir keine Zeit verschwenden. Ich muss zurück und eure Freunde werden wahrscheinlich schon auf euch warten." -