Der Sinn des Lebens

Es gibt 460 Antworten in diesem Thema, welches 124.147 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (21. Januar 2020 um 15:16) ist von RenLi.

    • Offizieller Beitrag

    Frage: Wie sagt man einer Spiesse auf Deutsch? Ist ein kleiner Holzspiess, den man sich einfängt, wenn man mit Holz arbeitet.

    Kann es sei, dass du nen Splitter meinst? Nen kleinen Splitter im Finger oder in der Hand, wenn man übers Holz fährt oder so...

    Da Jakob sich wieder auf den Weg gemacht hat, werde ich nun nie erfahren was dort in dem Haus geschehen ist?

  • So, RenLi, ich hab's zwar immer noch nicht geschafft aufzuholen, aber zumindest bleib ich dran.

    Jaaaaa, da der Edwin ja in @Aztiluth einen mehr als starken Fürsprecher hat ( ^^ ), will ich mich mal für die andere Seite starkmachen, die ich aber bewusst nicht die Gegenseite nennen will. Die Erwachsenen halt, die dem armen gefühlsgebeutelten Zwölfjährigen samt und sonders hilfreich beistehen wollen und das doch nur mit wechselndem und mäßigem Erfolg schaffen.
    An deinen drei Varianten gefällt mir nicht wirklich, dass nur eine von ihnen eine Möglichkeit bietet, Richard wiederzubegegnen. Und da ich das unbedingt will (*stampft mit dem Fuß auf schreit: ich WILL!*), nehm ich Variante zwei, obwohl sie sich gruselig anhört. Aber wenn das der einzige Weg ist, dann - ja. Geh ich mit.

    Version 1: Edwin bleibt seltsam, Aussenseiter und schlägt sich mit Müh und Not durch, lenkt sich von Richard ab. freundet sich zumindest mit Lea an, sie helfen sich gegenseitig

    Version 2: Edwin dreht total durch, verkriecht sich im Wald, wird halb zum Tier und entdeckt die 'dunkle Seite der Macht', rettet Richard und wird von Samuel geheilt (entlarvt den Dämon in ihm), Edwin geht mit Richard in den Ducatus (bad-ass-Edwin)

    Version 3: Edwin dreht durch, sieht dann ein, dass er etwas ändern muss. er gliedert sich mit Hilfe von Lea und den Kids von Jakob nach und nach ins System ein und merkt, dass es ihm erstaunlich gut gefällt. mit Magie ist erst mal schluss, er will ein 'normaler' Junge werden

    Man könnte die Version 1 mit der 2 verknüpfen, er könnte sich mit Lea zusammen auf die Suche nach Richard machen und ihn finden. Vielleicht auch ohne durchzudrehen.

    Ich finde, Gilbert findet den richtigen Mittelweg für Edwin. Er nennt ihn "den Krieger", das zeigt mir, dass er nicht nur das Kind in ihm sieht. Über Rachel bin ich mir nicht ganz klar. Wollte sie wirklich, dass Edwin sich von Richard löst, weil sie nicht glaubt, dass er noch lebt? :hmm:

    So, jetzt geht's also weiter mit Jakob, da freu ich mich drauf. Du hörst wieder von mir, RenLi. :D

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Hallo zusammen :D

    @Etiam: ah, ein Splitter klingt gut, wenn auch irgendwie etwas gross :) armer Jakob

    was genau vorgefallen ist, muss man sich selbst zusammenreimen. für mich ist klar, Misshandlung der Ehefrau, was an der Reaktion der Kinder wohl auch schon vorgekommen ist. Der Bauer ist ein Grobian, oder eher ein Mistkerl...

    @Tariq: immer schön, eine zweite Meinung zu haben :D
    Und was absolut kar ist: Edwin und Richard werden sich begegnen. Nur ist die Variante 2 die schnellste. Da ich nicht zu viel spoilern wollte, hab ich das in den anderen beiden Varianten nicht erwähnt. Arbeite gerade an einer neuen Variante, die mir zunehmend gefällt und einleuchtet. Lea scheint mir eine Schlüsselrolle darin einzunehmen. überhaupt hat mir ihre Vergangenheit den entscheidenden Hinweis geliefert. :) hihi, ich freu mich schon drauf, daran herumzuschreibseln

    bis auf Weiteres :saint:

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

  • Hi RenLi,

    bin bei der 315 angekommen. (Jakob, weg von hier)

    Mir ist aufgefallen, dass es mir nach der langen Zeit, die vergangen ist, irgendwie schwer fällt, mir diese ganze Kinderschar wieder ins Gedächtnis zu rufen. Will, Seraphina, Mar und Hagar. Außer, dass sie klein sind, Mar nicht spricht und Seraphinas Füße verletzt sind, erfährt man nicht sonderlich viel von ihnen. Sie bleiben für mich hier irgendwie "gesichtslos", wenn ich das mal so ausdrücken darf. Vielleicht ist das aber auch nur mein Eindruck und es liegt daran, dass der letzte Teil mit den Kindern schon so lange zurückliegt.
    Schön beschreibst du auf jeden Fall, wie sie füreinander sorgen und auch Jakobs Unbehagen sowie seine Zweifel kommen super rüber.
    Tja, und dann geht`s jetzt für Jakob schon wieder weiter...auf in`s nächste Abenteuer. Bin schon gespannt, was ihn erwartet. :)

    Meine Anmerkungen wie immer im Spoiler:

    Spoiler anzeigen



    Wenn sie ihr Essen geholt hatten, zogen sie sich in eine mehr oder weniger ruhige Ecke des riesigen Saales zurück und schlangen ... so schnell es ging herunter,

    fehlt hier ein "es" ?

    während er mitverfolgte, wie ein Junge dem anderen unter dem Tisch durch einen Tritt versetzte, woraufhin der andere aufschrie und sein Gegenüber mit einem Stück Gemüse bewarf.

    ich glaube, das "durch" ist hier zu viel

    als er Mars vorwurfsvolle Mine bemerkte.

    Miene

    Erst hatte Mina sie in nach Mädchen und Jungen unterteilte Schlafkammern aufteilen wollen,

    das "in" gehört hier wohl nicht hin...

    Es gibt zwei Aufgaben zu bewältigen: den Sinn dieses vermaledeiten Lebens finden und diesem Dreckskerl zurückzahlen, was er angerichtet hat. Der Rest ist unwichtig.

    :rofl: ...sehr geil...obwohl es mit ziemlicher Sicherheit von Jakob nicht lustig gemeint war, musste ich an der Stelle lachen


    Oder sollte er noch bis Ende Winter warten?

    bis zum Ende des Winters...bis Ende des Winters....


    während sich die Gedanken drehten in seinem Kopf drehten.

    Jakob träumte, dass er flog. In der Ferne sah er eine lange Bergkette. Dort drüber wollte er fliegen und dann das Meer erreichen. Doch dann sah er unter sich Hagar und Will. Sie wurden von wilden Wölfen eingekreist. Jakob ließ sich fallen und angelte sich die beiden Jungen. Sobald er sie festhielt, schoss er wieder in die Höhe, doch mit den zwei Jungen in den Armen war es bedeutend anstrengender zu fliegen. Sie sanken tiefer. Die Wölfe folgten ihnen mit gierigen Fratzen. Sie warteten nur darauf, dass sie abstürzten. Wenn ich sie mitnehmen will, dann sterben wir alle, dachte Jakob. Aber ich kann sie doch nicht fallen lassen!

    Ein schönes Bild, um seine aktuelle Situation zu spiegeln ...


    dass ich sie irgendwann verlassen würde und jetzt fällt es mir viel ... schwer.

    zu

    Vorsichtig setzte er sich auf. Nun, da er sich entschieden hatte, war sein Kopf angenehm klar.

    Das geht mir hier an der Stelle irgendwie zu schnell nach dem Traum, der ihn ja eigentlich eher nachdenklich stimmen sollte. Er könnte zumindest noch einen Gedanken daran aufbringen, dass er den Traum abzuschütteln versucht...dass er dennoch gehen muss...weißt du, was ich meine?


    Ich wünschte zwar, ich hätte Emilie noch einmal gesehen, bevor ich gehe.“

    Ich weiß nicht warum, aber das "zwar" suggeriert mir irgendwie, dass hier noch ein "aber" am Ende kommen müsste...so hängt der Satz irgendwie in der Luft :hmm: Vielleicht kommt das auch nur mir so vor ...


    LG,
    Rainbow

  • So, @RenLi, ich hab aufgeholt. Und ich sag's gleich, es geht mir besser :D

    Mit Jakob komm ich echt gut aus. Er ist ein durch und durch gerader Charakter. Dass es ihm so schwerfällt, seine "Bande" zurückzulassen, macht ihn doppelt sympathisch. Auch Mar mag ich sehr gut leiden. Er ist der Vernünftige, der Besorgte ... er ist toll.
    Tja und nun bin ich gespannt, wohin der Wind den Jakob weht. (Apropos: im Text deines Lexikon-Eintrages heißt er noch Jamie ... ^^ )

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Hey,

    der letzte Teil hat mir ziemlich gut gefallen.Irgendwie hätte ich mir denken können, dass Jakob vom Regen in die Traufe kommt. Du gönnst deinen Charakteren aber auch wirklich keine Verschnaufpause. Die Situation, nachdem er von den Schreien geweckt wird, hast du klasse beschrieben. Das war mal wieder großes RenLi-Gefühlskino :thumbsup:
    Ich bin mir aber noch nicht so sicher, ob Jakob tatsächlich die Flucht ergreift. Das hörte sich für mich vielmehr danach an, als ob er sich nur kurz entzieht und dieser schrecklichen Szene für den Moment entkommen will...aber vielleicht irre ich mich auch. Es wäre eigentlich zu schade, wenn das alles war. Es würde eher zu ihm passen, dem Bauern am nächsten Tag eins auszuwischen, der ja offensichtlich irgendjemanden im Nebenzimmer quält. Die Mutter vielleicht? Oder eines der Kinder?
    Bin gespannt, wie`s weitergeht...

    Hier nur ein bisschen Kleinkram:

    Spoiler anzeigen

    Vergiss das Meer und hör auf die Worte eines alten Mannes“, riet ihm der zahnlückige Alte, den er gerade zum hundertsten Mal wegen dem Weg durch die Berge befragte hatte.

    ich glaube, grammatikalisch richtig wäre: "wegen des Weges"...obwohl es vielleicht ein bisschen hochgestochen klingt :hmm:


    „Ihr bracht doch sicher ein bisschen Hilfe.Ich wandere hinauf in den Norden. Wenn ich mir zwischen durch etwas zu Essen verdienen kann, kommt mir das gelegen“, erklärte Jakob.

    braucht...zwischendurch

    LG,
    Rainbow

  • Upsa, der Teil ist irgendwie an mir vorbei gezogen xD
    Hab mir gerade bei Rainbow gewundert, was sie meint und siehe da, da war ja noch Text, den ich nicht gelesen habe! 8o

    Ein Glück, dass er schon recht weit oben im Norden war, je weiter, desto wärmer.

    Super! Meistens geht man ja nach Süden, damit es wärmer wird und ich habe das Gefühl, dass viele vergessen, dass es auch andersrum geht. Kleines Detail, welches mir gut gefällt :D

    „Ihr bracht doch sicher ein bisschen Hilfe. Ich wandere hinauf in den Norden.

    Da fehlt ein "u" ^^

    Dabei zog er sich so manche Spiesse zu und schlug sich mit dem Hammer

    Ich würde auch zu Splitter tendieren :hmm:

    Irgendwie hätte ich mir denken können, dass Jakob vom Regen in die Traufe kommt. Du gönnst deinen Charakteren aber auch wirklich keine Verschnaufpause.

    Finde ich nicht so xD Immerhin reist Jakob ja schon seit Wochen durch das Land (die Länder? :hmm:)
    Er war auch einige Zeit friedlich bei dem älteren Herren. Also, die Zeit war friedlich. Da passiert ja nicht so viel, weswegen Ren Li dort nur wenig beschrieben hat.
    Sie gönnt eher uns keine Pause :D

    Ich bin mir aber noch nicht so sicher, ob Jakob tatsächlich die Flucht ergreift. Das hörte sich für mich vielmehr danach an, als ob er sich nur kurz entzieht und dieser schrecklichen Szene für den Moment entkommen will...

    Jap, so hab ich das auch verstanden. Früher wäre er vielleicht einfach abgehauen, aber jetzt will er ja Handeln. Würde zu ihm passen, dort zu bleiben, bis er etwas dagegen unternehmen kann.
    Ist aber auch nicht so leicht. Selbst, wenn er den Typen töten würde, was soll die Mutter mit den Kindern dann machen? Und ihm "respekt einprügeln" geht wohl auch nicht. Mit solchen Männern kann man selten reden... Wird also schwierig, zu helfen. Jakob findet da aber sicher einen Weg :D

    Genesis: Sie ist Azathoth, das amorphe Chaos in der zentralen Leere
    Josh: Meine Prophetin!

  • Hallo zusammen

    Danke für eure vielen Kommentare!! Es war cool zu lesen, was ihr von Jakob haltet und wie ihr ihn einschätzt. Hätte das Kind ihn nicht aufgehalten, hätte er es wohl ins Nebenzimmer geschafft. Das hätte bestimmt blutig geendet...
    So, Jamie ist jetzt endgültig verschwunden und durch Jakob ersetzt, sein letztes Denkmal wurde geräumt ;)
    Für diesen Abschnitt seines Lebens habe ich mir tatsächlich nicht so viel Zeit genommen. Vielleicht werde ich da später noch etwas ausführen, aber für den Moment passt es mir so. Schliesslich bin ich wie immer erpicht darauf, ein gewisses Ziel zu erreichen, wo wir auch im übernächsten Abschnitt bereits ankommen werden (deshalb leider auch die 'gesichtslosen Kinder')
    :D auf den bevorstehenden Teil freu ich mich schon ewig, wird cool, jedenfalls für mich, muahahaaa :mamba2::vampire:
    schönes Wochenende euch allen!

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

  • Jakob, Feuer und Wasser (562 n. Rh.)
    Er genoss den Schmutz, der an ihm haftete. Wenn er einmal badete, dann in einem Fluss oder Tümpel, aber bestimmt nicht in einem Waschzuber. Nein, das wäre ihm viel zu sauber gewesen. Schließlich war der Dreck ein Zeuge seiner langen Reise und er bot einen gewissen Schutz gegen die brennende Sonne. In den letzten Tagen war es sehr heiß und trocken gewesen und Jakob sehnte sich nach einem Schluck Wasser, doch hier im Grenzgebiet schien alles knapp zu sein. Nahrung, Wasser, Kleidung, Behausung. Es fehlte an allem. Er traute sich nicht einmal, etwas zu stehlen, nicht von diesen Menschen, die selbst kaum etwas hatten.
    Je weiter er kam, desto seltener und kleiner wurden die Siedlungen, die er durchwanderte. Und die Bewohner wurden ärmer. Die meisten Bauern, denen er im Laufe seiner Reise begegnet war, lebten in dürftigen Verhältnissen, doch hier waren die Missstände bei weitem offensichtlicher. Die schäbigen Hütten waren oftmals baufällig oder ganz eingestürzt. Die Menschen machten einen verängstigten oder leblosen Eindruck, als hätten sie die Hoffnung auf ein besseres Leben längst aufgegeben. Wenn er in ein Dorf kam, dann begegneten sie ihm mit Misstrauen, zogen die Kinder weg von ihm und verschlossen die Türen. Jakob fragte sich, wovor die Menschen sich fürchteten. Nur ganz selten hatte er das Glück, von jemandem aufgenommen zu werden, doch dann sprach man nicht viel. Er stellte fest, dass die Nordländer die Menschen aus dem Süden nicht sonderlich mochten und mit seinem Dialekt fiel er immer sofort als Südländer auf.
    „Die Reichen da kümmern sich einen Dreck um uns. Kaum einmal wagt sich ein Pater hier in diese Gegend, die Gnosis hat uns längst aufgegeben“, gab ein Mann zur Antwort, als er ihn nach dem Grund für die Abneigung fragte. „Falls es diese sogenannten Götterwesen gibt, dann scheren sie sich nicht um ein paar schäbige Bauern wie uns.“
    Als die Sonne wieder einmal erbarmungslos auf die trockene Erde brannte, fand Jakob Schutz in einem kleinen Wäldchen. Hier hoffte er auch etwas Essbares zu finden. Im Frühling spross so manches Kraut aus dem Boden, doch er fand kaum etwas, das er kannte. Sein Magen schmerzte vor Hunger und so pflückte er ein paar Blätter von verschiedenen Bäumen und kaute diese. Einige schmeckten nicht einmal so schlecht, doch den Hunger vermochten sie nicht zu vertreiben.
    Irgendwann gab er die Suche auf und er lehnte sich erschöpft an einen Baumstamm. Einsam und allein, dachte er bitter. So verhungere ich hier. – Unsinn! Ich ruhe mich nur aus, dachte er müde.
    Jakob schloss die Augen und versuchte seinen protestierenden Magen und seine Schwäche zu ignorieren. Sein Schädel brummte und ihm war etwas schwindlig. Allmählich glitt er in einen oberflächlichen Schlaf über.

    Als Jakob aufwachte, hatte die Dämmerung bereits eingesetzt. Er fühlte sich etwas gestärkt, jedoch noch immer flau. Vielleicht doch noch ein paar Blätter?, fragte er sich unentschlossen und blickte nach oben. Da sah er zwischen den Bäumen eine dunkle Rauchwolke am Himmel. Ein Waldbrand?!, war sein erster, erschreckender Gedanke. Er starrte durch das Blätterdach und beobachtete den Rauch. Die Sekunden tickten dahin. Eine Rauchsäule, stellte er fest. Ein Waldbrand sähe anders aus, denke ich. Aber es muss ein gigantisches Feuer sein!
    Schließlich überwog die Neugier seine Angst und er machte sich auf, die Ursache des Brandes zu erkunden. Schnell erreichte er den Rand des Wäldchens. Nicht weit von ihm entfernt schossen hohe Flammen in den Himmel. Eine Ansammlung von ungefähr zehn Häusern brannte lichterloh. Er stand wie angewurzelt da und starrte auf das schreckliche und doch zugleich faszinierend schöne Schauspiel. Ein Dach stürzte ein. Wie die Funken stiebten! Obwohl er mehrere Meter entfernt vom Feuer war, spürte er dessen Hitze.
    Jakob suchte die Umgebung mit den Augen nach Menschen ab, sah jedoch niemanden. Keine schreienden Dorfbewohner, die ihr Hab und Gut zu retten suchten oder das Feuer löschen wollten. Dazu wäre es auch viel zu spät gewesen. Wo sind sie hingegangen? Wahrscheinlich sind sie längst geflohen. Jakob umrundete die Häuser. Etwas Essbares würde er hier wohl nicht mehr finden können. Er stolperte über etwas, das im hohen Gras lag und als er sich umdrehte, blickte er einem Kuhkadaver in die leblosen Augen. Vor Schreck machte Jakob einen Satz rückwärts. „Nur ein totes Tier“, versuchte er sich zu beruhigen.
    Ich muss wohl über ein Bein gestolpert sein. Ob man das noch essen kann?, fragte er sich, als sich auf einmal der Wind drehte und ihm ein Übelkeit erregender, beißender Gestank in die Nase wehte. Hustend blickte er sich um und sah einen brennenden, qualmenden Haufen. Ihm drehte sich der Magen um, als er erkannte, worum es sich handelte. Aufeinander getürmte Menschenleiber und Holz. Es stank zum Himmel.
    Erschüttert starrte er auf den Haufen. Der schreckliche Anblick fraß sich in seine Seele ein wie Lava durch Fels. Wer? Warum?! Gibt es denn wirklich keine Götter, die so etwas verhindern können?
    Jakob wurde bewusst, dass es gefährlich war, hier stehen zu bleiben. Er riss sich von dem Grauen los und stolperte zurück in den Wald. Hier konnte er wieder besser atmen, aber der Gestank haftete noch immer an seinen Kleidern und Haaren. Es kam ihm so vor, als hätte er sich in seiner Nase festgesetzt, um ihn zu quälen. Er konnte nicht stehen bleiben, wollte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und diesen Ort bringen. Während er dahineilte, kamen ihm längst vergessene Worte wieder in den Sinn. Eines der Mädchen in der Kirche hatte vom Grenzgebiet gesprochen. Ihr Vater sei von Banditen erschlagen worden. War es das? Stammten sie und ihre Schwester aus dieser Gegend? Und sie waren den ganzen Weg von hier bis nach Caput zu Fuß gelaufen? Unglaublich!
    Immer wieder blickte er über die Schulter, in der Furcht, eine Horde wild gewordener Schlächter könnte ihn verfolgen. Doch er hörte weder Kampfgeschrei noch Schritte. Plötzlich erschien ihm der Wald, in dem er noch vor Kurzem seelenruhig ein Nickerchen gehalten hatte, düster und grauenerregend, während das Licht des Tages immer mehr dahinschwand. Wie ein gehetztes Tier brach er durch die Bäume und blieb abrupt stehen. Dies hatte er nicht erwartet. Vor ihm wand sich ein breiter, gemächlich dahinfließender Strom durch die Landschaft. „Wasser!“, japste er.
    Kurz vergewisserte er sich, dass ihm tatsächlich niemand folgte, dann kletterte er die Böschung hinunter. Seine Kehle fühlte sich so trocken an, dass er kaum noch schlucken konnte. Für einmal schien das Glück auf seiner Seite zu sein, der Fluss kam wie gerufen. Er streifte sein Bündel ab, legte es zwischen die Wurzeln eines Baumes und sprang mitsamt seinen Kleidern ins Wasser. Vielleicht würde er so den widerwärtigen Geruch loswerden können.
    Dumpfes Rauschen füllte seine Ohren, als er untertauchte. Das Wasser war klar und angenehm kühl. Er tauchte auf und trank ein paar Schlucke, während er sich ein Stück flussabwärts treiben ließ. „Ah! Es gibt nicht besseres als Wasser!“, rief er glücklich und genoss das belebende Gefühl in seinem Körper.
    Aber die Strömung war doch stärker, als er gedacht hatte. Als er versuchte, wieder ans Ufer zu schwimmen, wurde er von ihr mitgerissen und weiter in die Mitte des Flusses getragen. Jakob paddelte mit aller Kraft, doch er war vom langen Fasten ausgezehrt. Erbarmungslos zog der Fluss ihn mit sich und drückte ihn unter Wasser. Panisch kämpfte er gegen die Gewalt der Flut an. Prustend gelangte er an die Oberfläche und schnappte nach Luft. In rasender Geschwindigkeit schien die Landschaft neben ihm herzugleiten. Er war kein sonderlich guter Schwimmer und es gelang ihm nur mit Mühe, sich über Wasser zu halten. Wieder wurde Jakob nach unten gezogen, sein Körper überschlug sich. Dadurch verlor er die Orientierung und wusste nicht mehr, wo oben oder unten war. Die Panik machte es ihm unmöglich, klar zu denken. Er schlug wild um sich, doch es half nichts. Er brauchte so dringend Luft! Konnte es sein? War das sein Ende? Er konnte den Atem nicht länger anhalten, sein Mund öffnete sich, ohne dass er es wollte. Wasser drang ein, füllte seine Lungen. Jetzt ist es aus.

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

  • Der arme Jakob. Jetzt macht er wirklich trostlose Zeiten durch.

    Spoiler anzeigen


    Schön beschrieben, wie er sich mit seinen Gedanken herumschlägt, wie ihm die armen Bauern leidtun und er ihnen keine Vorwürfe machen kann.
    Das Horrorszenario des brennenden Dörfes hast du wirklich sehr eindrücklich beschrieben, auch das Entsetzen, was er empfindet, kommt sehr gut rüber.
    Und kaum von dort entkommen, gerät er schon wieder in Schwierigkeiten, die ihn dieses Mal wohl sogar das Leben kosten können.
    Der arme Jakob. Schreib schnell weiter, @RenLi.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
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    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Sola. Hat ein bisschen länger gedauert als gedacht. Und nun: vom Regen in die Traufe mit dem armen Jakob :saint:


    Jakob, im Zeltlager (562 n. Rh.)
    Jakob erwachte. Ich lebe!, dachte er überrascht. Er riss die Augen auf, um sich zu überzeugen. Er sah nur weiß. Sein Kopf schwirrte und er fühlte sich unendlich erschöpft. So fühlt man sich bestimmt nicht, wenn man tot ist. Probehalber bewegte er die Arme und Beine, tastete Oberkörper und Gesicht ab. Alles noch dran, außerdem trocken und warm. Nur sein Kopf pochte unangenehm und sein Magen knurrte. „Gib mal Ruhe“, krächzte er mit heiserer Stimme. Da war er beinahe ertrunken und hatte doch einen trockenen Hals.
    Erschrocken horchte Jakob auf, als er den Klang einer rauen Männerstimme vernahm. Wie elektrisiert stellten sich seine Nackenhaare auf. Banditen! Mit Mühe stemmte er sich von seinem Lager hoch und blickte um sich. Er befand sich in einem Zelt, niemand sonst war hier. Die mächtigen Schatten großer Männer, die auf den weißen Stoff fielen, jagten ihm einen Schrecken ein. Nur Schatten, dachte er. Gleich neben dem Zelt mussten mehrere Männer stehen, mindestens drei. Jakob schob die grobe Decke beiseite und kam auf die Füße. Vom plötzlichen Aufstehen wurde ihm schwindlig. Er taumelte und hätte sich beinahe mit den Füßen in der Decke verheddert. Nicht gut, dachte er verzweifelt und hielt sich wankend aufrecht. Gehetzt sah er sich nach einem Versteck um. Da lagen Felle und Töpfe und allerlei Kram herum, aber nichts, was ihn wirklich hätte schützen können.
    Nun hörte er die Stimmen von draußen deutlicher. Angespannt lauschte er. Vielleicht konnte er ihrem Gespräch etwas entnehmen, das ihm weiterhalf. Doch die seltsamen Worte ergaben keinen Sinn für ihn. Die Männer unterhielten sich in einer ihm völlig fremden Sprache. Ihrem Tonfall entnahm er, dass sie sich über etwas aufregten. Jakobs Herz hämmerte laut in seiner Brust. Sie werden mich genauso auf einen Haufen werfen wie die Leute aus dem Dorf, dachte er panisch. Der Gestank des Leichenberges stieg ihm wieder in die Nase. Verbranntes Fleisch. Selbst die kümmerlichen Gestalten von Kindern waren zu erkennen gewesen. Oder hatten diese Barbaren womöglich noch etwas viel Schlimmeres mit ihm vor? Wollten sie ihn langsam quälend zu Grunde gehen lassen? Oder möglicherweise wollten sie ihn erst mästen und dann auffressen? Ein Gedanke jagte den nächsten, einer schrecklicher als der andere.
    Die Schatten bewegten sich auf den Eingang zu. Sie kommen hier rein! In seiner Not griff er sich einen mit wilden Schnitzereien verzierten Stock, bereit, sich zu verteidigen. Wenn bloss mein Kopf nicht so schmerzen würde, dann könnte ich klarer denken!
    Eine Hand tauchte in dem Spalt zwischen den Planen auf. Jakob packte seine Waffe fester, stürmte nach vorne und rammte dem Banditen das eine Ende des Stockes in den Bauch. Er hörte lautes Fluchen von draußen. Jetzt oder nie! Jakob nutzte den Moment der Verwirrung, preschte hinaus und schwang den Stock ungestüm durch die Luft. Er traf auf Widerstand, was ihn selbst aus dem Gleichgewicht brachte, und landete er hart auf seinem Hintern. Noch bevor er sich orientieren konnte, wurde ihm der Stock auch schon entwunden und ein schwerer Körper wälzte sich auf ihn. Jakob biss in ein behaartes Stück Arm, woraufhin er sich einen Schlag an den Kopf einfing. Helle Lichter tanzten vor seinen Augen. Etwas drückte gegen seine Kehle und schob sein Kinn nach oben. So eingepfercht konnte er sich keinen Fingerbreit weit mehr bewegen. Völlig wehrlos lag er auf dem Rücken, sein Verstand setzte aus. Nun gab es keine Rettung mehr.
    Am Rande seines schwindenden Bewusstseins nahm er wahr, dass mehrere Stimmen über ihm laut wurden und verschwommen sah er, dass sich die Männer stritten. Der Druck an seiner Kehle lockerte sich ein wenig, als der Bandit über ihm sich etwas zurücklehnte. Er japste etwas Unverständliches, während Jakob keuchend nach Luft schnappte.
    Langsam klärte sich Jakobs Sicht. Über ihm sah er ein finster dreinblickendes Männergesicht. Ein Ziegenbart ragte Jakob entgegen, darüber befand sich eine schmale Nase, in der ein silberner Ring steckte, weiter oben zu Schlitzen verengte Augen mit buschigen Augenbrauen. Sein Peiniger hatte einen glatt rasierten Schädel, auf dem sich die Abbilder schwarzer Schlangen wanden. Der Bandit sah auf, er sprach mit einem Mann nebenan, dessen Gesicht Jakob nicht sehen konnte. Überrascht stellte Jakob fest, dass er sich über den Glatzkopf lustig zu machen schien. Der Mann schnaubte und verzog das Gesicht.
    Wollen sie mich etwa nicht gleich umbringen?, fragte er sich.
    Ein weiteres Gesicht schob sich in Jakobs Sichtfeld. Es sah ebenso abenteuerlich aus wie das erste. Der Mann hatte schwarz umränderte Augen, ein glattes Gesicht und wie der Glatzkopf einen Ring in der Nase. Die Haare waren feuerrot und standen unordentlich vom Kopf ab. Er sagte etwas in der fremden Sprache und grinste sein Opfer dabei schelmisch an. Jakob hätte ihn gerne angespuckt, doch seine Kehle völlig ausgetrocknet. „Runter von mir!“, krächzte Jakob. „Wenn ihr mich nicht gleich tötet, dann könnt ihr mich ebenso gut auch laufen lassen!“ Er machte Anstalten, sich zu befreien, doch sein Glieder waren kraftlos.
    Die Männer tauschten verwunderte Blicke, dann zerrten sie ihren Gefangenen auf die Füße. Jetzt kommt’s, dachte er. Nun werden sie mich entweder hinrichten oder vor ihren Anführer schleppen.
    Sie bugsierten ihn vorwärts, an weiteren Zelten vorbei. Jakob taumelte und wäre hingefallen, hätte nicht einer der Männer ihn gestützt. Jakob ließ sich mitschleifen, den Blick hielt er auf den Boden gesenkt, er wollte nur noch, dass es möglichst rasch zu ende war. Erst als sie anhielten, hob er seinen Kopf. Eine rundliche Frau stand vor ihnen. Jakob hätte nicht gedacht, dass ihn nun noch etwas überraschen könnte, aber ihr Anblick brachte ihn doch aus der Fassung. Sie war ungefähr einen Kopf grösser als er, trug viel zu wenig Tuch um ihren beleibten Körper, sodass er den größten Teil ihrer Beine und des Bauches sehen konnte. Mit in die Hüften gestemmten Armen stand sie da, breitbeinig und mit einer Autorität, die man nicht übersehen konnte. Jakob hatte noch nie eine solche Frau gesehen. Schon begann sie lauthals zu fluchen und stapfte auf die Versammelten zu. Die Männer schienen tatsächlich eingeschüchtert von ihr zu sein, der eine fuhr sich verlegen durch die roten Haare und der Glatzkopf zupfte an seinem Nasenring, sein Griff an Jakobs Genick lockerte sich ein wenig. Sie sind abgelenkt! Ohne groß zu überlegen, ließ Jakob sich auf den Boden fallen. Er landete auf allen vieren, stieß sich mit aller Kraft, die ihm noch verblieben war, ab und jagte nach vorne, an der Frau vorbei.
    Doch seine Freiheit war von allzu kurzer Dauer. Mit einer Geschwindigkeit und einer Eleganz, die er ihr nicht zugetraut hätte, sprang die Frau ihm in den Weg, bekam ihn zu fassen und drückte ihn ihre Brust. Er kratzte sie und versuchte sich zu befreien, doch sie hielt ihn weiter fest. Irgendwann hörte er auf zu strampeln und übergab sich ihrer erzwungenen Umarmung. Sein Kopf sank ergeben an ihren weichen Busen. Sanft tätschelte sie seinen Rücken und wiegte ihn wie ein kleines Kind.
    Jakob bekam kaum noch mit, dass sie sich mit den Männern unterhielt und als die Prozession weiterging, trottete er willenlos mit, nur geführt von der Hand der beleibten Frau.
    Vor einem der Zelte blieben sie abermals stehen und als sie eintraten erwartete Jakob eine neuerliche Überraschung. Er hatte erwartet, vor einen bärtigen, wilden Hünen geführt zu werden, bewaffnet bis an die Zähne, doch inmitten des Zeltes saß ein Mädchen. Sie konnte nicht viel älter als er selbst sein, doch so genau konnte er ihr Alter nicht feststellen, denn ihr Gesicht war mit roter Farbe beschmiert. Für einen schrecklichen Moment glaubte er, es müsse sich um Blut handeln, doch er schüttelte den Kopf. Bestimmt eine Art Farbe, dachte er sich. Aber dies war nicht das einzig Merkwürdige an ihrer Erscheinung. Auch ihr Körper war viel zu knapp und nur mit Tüchern umhüllt, die langen, pechschwarzen Haare waren zu feinen Zöpfen geflochten, in denen Federn und perlen steckten und gerade war sie dabei, ihre Beine und Arme mit Asche aus der Feuerstelle zu bemalen. Sie sprang auf, als die Besucher das Zelt betraten. Wütend wollte sie die Männer wieder hinausscheuchen, doch auf ein Wort der Frau hielt sie inne. Anscheinend war ihre Neugier nun geweckt, denn sie hörte aufmerksam zu und bedachte Jakob mit einem langen Blick. Ungläubig starrte dieser das seltsame Mädchen an. Konnte es etwa sein, dass sie die Anführerin war? Gibt es soetwas?
    „Verstehst du mich?“, fragte sie und verzog das rote Gesicht zu einer seltsamen Grimasse.
    Nun blieb Jakob die Kinnlade offen stehen. Der Akzent war zwar grauenhaft gewesen, doch ohne Zweifel hatte sie ihn gerade in seiner Muttersprache angesprochen. Als er nicht antwortete, entbrannte von Neuem eine hitzige Diskussion zwischen den Anwesenden. Jakob wollte bereits etwas sagen, doch dann schloss er den Mund wieder. Vielleicht war es besser zu schweigen.
    „Nun sag schon, du verstehst mich doch. Wenn ich deine Reaktion nicht vollkommen falsch gedeutet habe, dann verstehst du jedes Wort, das ich spreche“, setzte das Mädchen nach.
    Er biss sich auf die Lippe. Nun hatte er wohl keine Wahl.
    „Wie heißt du?“, fragte sie, da fuhr einer der Männer dazwischen.
    Wieder wandte sie sich an Jakob. „Wir tun dir nichts. Wir wollen dir helfen.“ Er traute seinen Ohren kaum, als er diese Worte vernahm. „Rahul sagt, Ananda habe dich aus dem Fluss gefischt und hergebracht. Du solltest die nicht benehmen wie ein wildes Tier, sondern dankbar sein, dass du noch lebst.“
    „Wirklich? Ihr wollt mich nicht umbringen?“, brachte er hervor.
    Sie lachte trocken, dann übersetzte sie für ihre Gefährten. Der Glatzkopf schnaubte, auch die anderen schienen entrüstet. „Wir töten keine Menschen, wofür hältst du uns, Junge? Wir sind nicht wie das Pack in den Wäldern. Bei denen müssten dir die Knie schlottern, wenn du ihnen begegnest.“
    „Wer seid ihr dann?“
    „Wir sind fahrendes Volk, auch Gaukler oder Spielleute genannt“, erklärte das Mädchen.
    Wieder konnte er kaum glauben, was er da hörte. Konnte er ihr glauben? Oder log sie ihn geradeheraus an? Wenn sie wirklich Spielleute waren… Er betrachtete die seltsame Gruppe, die sich in dem Zelt versammelt hatte. Die farbigen Pluderhosen, Tücher, Bänder und auffälligen Bemalungen. Möglich wäre es.
    „Prema“, sagte die Frau neben ihm und lächelte ihn auffordernd an. „Name?“
    „Jakob“, stammelte er. „Kannst meine Sprache auch?“
    Fragend schaute Prema zu dem Mädchen hinüber. Auf ihre Übersetzung hin schüttelte sie den Kopf.
    „Nur wenige kennen die Sprache von Lux. Ich spreche sie nur ein wenig, weil meine Mutter von da kommt“, erklärte das Mädchen. „Ich bin Devi und das sind Shiv, Rahul, Kamal und Prema“, sagte sie und deutete der Reihe nach auf den Rothaarigen, den Glatzkopf, einen hageren mit Halsreif und die füllige Frau.
    Prema scheute Shiv aus dem Zelt hinaus, woraufhin er mit einem Becher mit Wasser und einem Streifen Trockenfleisch zurückkam. Er reichte die Ware an Jakob. Gierig leerte er den Becher und musste husten. Prema tätschelte ihm den Rücken. „Du sollst dich hinlegen, meint Prema“, übersetzte Devi.
    Jakob gehorchte. Die Erlebnisse der vergangen Minuten hatten ihn ziemlich erschöpft. Folgsam setzte er sich auf eine Bettstatt aus Fellen und kaute an dem Fleischstreifen. Nach und nach leerte sich das Zelt und Jakob legte sich hin. Schon fielen ihm die Augen zu und die johlenden und zeternden Stimmen der Spielleute schienen sich zu entfernen, bis sie in den Wogen des Schlafes versunken waren.

    :evil::evil: Hahaa, wer hätte DAS gedacht?? :D Freudeshake! Die Spielleut kommn!

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

    • Offizieller Beitrag

    Irgendwie war heute mein Kopfkino wieder besonders stark. Ich hab ein rchtiges Bild von Devi.
    Ihr Charakterdesign gefällt mir bis jetzt ziemlich gut. Und die Umgebung mit den Spielleuten passt super zu Jakob^^

    Auch schön, was für Vorstellungen Jakob am anfang hat und was er für nen Film schiebt xD
    Aber ich hätte es an seiner Stelle wahrscheinlich genau so getan...

  • Lange hast du uns warten lassen in der Ungewissheit, was mit Jakob passiert, und nun so ein schöner Abschnitt, @RenLi ^^
    Die verzerrte Wahrnehmung von Jakob, die ihm seine Angst hier diktiert, hast du super beschrieben. Nach dem traumatischen Erlebnis ist es ja auch verständlich, dass er denkt, dass er unter Banditen ist.
    Aber zum Glück sind es nette Leute, die sich um ihn kümmern. Jetzt kann er erstmal zur Ruhe kommen.

    Kleinkrambox


    Ein paar Kleinigkeiten sind mir beim Lesen aufgefallen, auf Fehler hab ich sonst aber nicht geachtet.

    Jakob hätte ihn gerne angespuckt, doch seine Kehle völlig ausgetrocknet.

    da fehlt ein "war" ^^

    Du solltest die dich nicht benehmen wie ein wildes Tier,

    Prema scheute scheuchte Shiv aus dem Zelt hinaus,

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Hey RenLi,

    der Teil hat auch mir gut gefallen. Du schaffst am Anfang eine wunderschön bedrohliche Atmosphäre und man fiebert regelrecht mit Jakob mit. Als sich die Banditen als Spielleute herausstellten, habe ich erst mal erleichtert aufgeatmet. :)
    Das eröffnet auf jeden Fall wieder jede Menge Potenzial, um die Geschichte weiterzuspinnen...bin gespannt, in welche Richtung.
    Hier kommen noch ein paar Dinge, die ich gefunden habe:

    Spoiler anzeigen


    Er traf auf Widerstand, was ihn selbst aus dem Gleichgewicht brachte, und landete er hart auf seinem Hintern.

    das "er" ist hier wohl zu viel

    Jakob biss in ein behaartes Stück Arm, woraufhin er sich einen Schlag an den Kopf einfing.

    Ich weiß nicht warum, aber hier musste ich lachen...ein behaartes Stück Arm...mhhh lecker :)

    So eingepfercht konnte er sich keinen Fingerbreit weit mehr bewegen.

    Mein Gefühl sagt mir, dass das "weit" hier überflüssig ist. Das "Fingerbreit" trifft ja schon eine genaue Aussage...da ist das "weit" irgendwie zu viel für meine Ohren :hmm:


    als der Bandit über ihm sich etwas zurücklehnte. Er japste etwas Unverständliches, während Jakob keuchend nach Luft schnappte.

    Vielleicht kann man das erste "etwas" streichen?


    Der Mann hatte schwarz umränderte Augen,

    umrandete Augen vielleicht eher?


    dass es möglichst rasch zu ende war

    schreibt man in dem Fall "Ende" nicht groß?


    Mit einer Geschwindigkeit und einer Eleganz, die er ihr nicht zugetraut hätte, sprang die Frau ihm in den Weg, bekam ihn zu fassen und drückte ihn ... ihre Brust.

    an ihre Brust ? oder gegen ihre Brust?


    Sein Kopf sank ergeben an ihren weichen Busen. Sanft tätschelte sie seinen Rücken und wiegte ihn wie ein kleines Kind.

    Armer Jakob ... :rofl:


    in denen Federn und perlen steckten


    Perlen

    Gibt es soetwas?

    so etwas


    einen hageren mit Halsreif und die füllige Frau.

    Hageren

    LG,
    Rainbow

  • Hallo zusammen
    Danke für die Rückmeldungen! Ist bereits in meinem Manuskript angepasst :D


    Jakob, vergorene Stutenmilch (562 n. Rh.)
    Als er erwachte, brummte ihm der Schädel. Er presste die Hände an seine Schläfen, um den Schmerz zu besänftigen, doch das half wenig. „He, du!“
    Vor Schreck sprang Jakob auf und stieß mit dem Kopf gegen eine Stang des Zeltes. „Ah!“, klagte er und rieb die schmerzende Stelle. Durch einen Tränenschleier sah er Devi auf sich zukommen. Er brauchte einen Moment, um ihre befremdliche Erscheinung den Geschehnissen des vergangenen Tages zuzuordnen. Sie hätte auch einem seiner Albträume entsprungen sein können, mit dem roten Gesicht und den sonderbaren, schwarzen Zeichen darauf, sah sie aus wie eine Kriegsgöttin auf Rachefeldzug. „Hier, du sollst das trinken“, sagte sie und hielt ihm eine Schale hin.
    „Ziegenmilch?“, fragte er und roch daran. Irgendwie zu säuerlich. Er nahm einen Schluck. Schmeckte ungewohnt.
    „Pferdemilch“, klärte Devi ihn auf.
    Jakob hob eine Braue. „Schmeckt scheußlich“, kommentierte er, doch als sie ihm die Schale wieder wegnehmen wollte, leerte er diese schnell. In seiner derzeitigen Verfassung hätte er wohl alles getrunken.
    Die beiden musterten sich mit einer Mischung aus Neugierde und Misstrauen. „Vielleicht solltest du dich wieder hinlegen. Ich muss los“, sagte sie schließlich und drehte sich schwungvoll zum Ausgang.
    „Warte“, rief er und bekam sie noch am Arm zu fassen.
    „Was fällt dir ein?!“, schnaubte sie und befreite sich mit einer schnellen, ruckartigen Bewegung aus seinem Griff. „Fass mich nicht nochmal an!“
    Mit ihrem wütenden Gesichtsausdruck sah sie wirklich angsteinflößend aus. Jakob hätte nie geglaubt, dass es solche Mädchen auf der Welt geben konnte. Mädchen, die noch schlimmer waren als Emilie. „Wohin gehst du?“, fragte er, als sie schon halb aus dem Zelt getreten war. Sie ist und bleibt ein Mädchen. Ich werd mich von ihr nicht rumkommandieren lassen. Egal ob sie nun geschminkt ist oder nicht.
    „Das geht dich nichts an. Wenn du nicht undankbar sein willst, dann bleib hier und sei still“, fuhr sie ihn an.
    Er blieb stehen und sah zu, wie sie durch den Ausgang verschwand. Kurz darauf streckte er den Kopf nach draußen. Das könnte ihr so passen. Ich finde schon heraus, wohin sie geht. Doch als er sich umsah, war sie bereits verschwunden. „Mist.“ In dem Moment kam eine Ziege auf ihn zu und begann, an seinem Hemdsärmel zu knabbern. „He, du gefräßiges Vieh!“, rief er und entzog ihr den bereits ausgefransten Stoff.
    Erst jetzt hatte er Zeit, sich wirklich auf seine Umgebung zu konzentrieren, denn bei seinem letzten Marsch durch das Zeltlager hatte er nicht wirklich viel mitbekommen. Er war umgeben von bunten Zelten, Feuerstellen, Leinen, an denen Fleisch oder Felle zum Trocknen aufgehängt waren. So sieht wohl wirklich kein Banditenlager aus, dachte er. Viel zu bunt.
    Die meisten Zelte waren bemalt und mit Blumen, Federn oder geflochtenen Grasverzierungen geschmückt. Spielleute, dachte er und fragte sich, was von den Geschichten über sie der Wahrheit entsprach.
    Laute Stimmen zogen seine Aufmerksamkeit auf sich. Er ging ein Stück weiter, darauf bedacht, über keine Zeltschnüre zu stolpern, dann erblickte er ein paar der Männer von gestern. Sie saßen mit ein paar Frauen um eine erkaltete Feuerstelle beisammen und Rahul, der Glatzkopf mit den Schlangenzeichnungen, kam gerade hinzu. In seinen Händen schwenkte er einen Tonkrug. Sofort wurde er fröhlich mit Gejohle und Händeklatschen im Kreise empfangen. Becher wurden erhoben und großzügig schenkte Rahul eine milchig weiße Flüssigkeit aus dem Tongefäß aus.
    Einer der Anwesenden bemerkte Jakob und winkte ihn zu sich. Kamal war sein Name, soweit Jakob sich erinnern konnte. Mit einem Zwinkern drückte er Jakob einen Becher in die Hand und prostete ihm zu. „Airag“, erklärte der Spielmann mit dem bronzenen Reif um den Hals und leerte seinen Becher.
    „Airag“, wiederholte Jakob und versuchte, es dem Mann gleich zu tun, doch der säuerliche Geschmack machte ihm dies unmöglich.
    Rahul lachte und klopfte dem hustenden Jungen auf den Rücken. Kamal deutete auf einen der Holzhocker und Jakob setzte sich. Fasziniert beobachtete er das lebhafte Treiben der Spielleute. Zu gerne hätte er ihre Worte verstanden. Die meisten Frauen waren in dieselben Tücher gekleidet wie Prema und Devi, manche trugen auch lederne Oberteile, die nur gerade ihre Brüste bedeckten. Jakob versuchte, sie nicht direkt anzustarren, doch sein Blick wanderte, ohne dass er es wollte, immer wieder zu dem knapp anliegenden Stoff. Er war es nicht gewohnt, dass Frauen sich so unsittlich kleideten, was ihn verwirrte. Er sah, wie die Brüste einer Frau ihm gegenüber auf und ab wippten, wenn sie lachte und schaute schnell weg, als er den Blick von Shiv bemerkte.
    Kamal lehnte sich zu Jakob hinüber und als er sah, dass Jakob seinen Becher noch nicht geleert hatte, bedeutete er ihm, in auszutrinken. Jakob setzte ihn an die Lippen und schaffte es, ihn diesmal mit einem langen Zug auszumachen. Die Spielleute klatschten erfreut. Die Frau mit den wippenden Brüsten kam zu ihm und deutete auf sich. „Asha“, sagte sie freundlich.
    „Jakob“, erwiderte er und sie nickte. Wahrscheinlich kannte sie seinen Namen bereits.
    Dann sagte sie etwas, das er nicht verstand, doch sie hörte den Namen Devi heraus. Ob sie wissen wollte, wo seine ungestüme Übersetzerin war? Er schüttelte den Kopf und hob hilflos die Hände. Nun begannen die Spielleute das Spiel: Bringt Jakob unsere Sprache bei. Sie zeigten auf verschiedene Gegenstände, benannten diese und Jakob musste die Worte wiederholen. Wenn er etwas falsch sagte, musste er einen Schluck von dem seltsamen, weißlichen Getränk nehmen. Allmählich wurde ihm etwas flau im Magen, aber ein angenehmes Hochgefühl breitete sich in ihm aus. Schon nach kurzer Zeit unterhielt er sich, Hände und Füße zu Hilfe nehmend, mit den Fremden, als kannte er sie schon seit Langem. Er mochte ihre ungezwungene Art und als sie ein einfaches Lied zu singen begannen, grölte er lauthals mit.
    Als es zu dämmern begann, entfachten sie ein Feuer, begannen Fleisch zu braten und Fladen zu backen. Von dem köstlichen Duft lief Jakob das Wasser im Mund zusammen. Er konnte es kaum erwarten, in eines der saftigen Stücke zu beißen. Und tatsächlich schmeckte es herrlich, auch die knusprigen Fladen. Nach dem Essen holten einige der Spielleute Trommeln und Flöten. Die Trommler begannen mit einem langsamen Tackt, die Flötenspieler setzten mit einer melancholischen Melodie ein. Die Gespräche wurden ruhiger und viele lauschten den traurigen Klängen. Auch Jakob hörte zu und ließ sich von der Musik forttragen. Shiv hielt Asha die Hand hin, woraufhin sie sich erhob und gemeinsam begannen sie, sich zu der Melodie zu bewegen. Langsam und geschmeidig kreisten ihre Körper umeinander, in einem rhythmischen Tanz. Rahul pfiff durch die Zähne. Eine der Frauen saß inzwischen auf seinem Schoß und kraulte seinen spitzen Ziegenbart. Jakob wurde rot, als seine Hand eine ihrer Brüste berührte, woraufhin sie ihm neckisch ins Ohrläppchen biss. Auf einmal fühlte Jakob sich unwohl. Doch als er sich erhob, um sich zurück zum Zelt zu schleichen, wurde ihm schwindlig. Alles drehte sich und sein Magen rebellierte. Gleich muss ich kotzen, dachte er und presste sich die Hand auf den Mund. Er machte wankend ein paar Schritte, als Asha ihm zu Hilfe kam. Anscheinend hatte sie ihren Tanz mit Shiv unterbrochen. „Es geht schon“, murmelte Jakob verlegen, doch sie konnte ihn natürlich nicht verstehen. Statt ihn sich selbst zu überlassen, nahm sie seinen Arm und führte ihn zu Devis Zelt zurück. Was waren das nur für Gefühle, die da in ihm erwachten? Er konnte es nicht recht einordnen. Einerseits war es ihm unangenehm, dass sie seinen Arm um ihre nackte Taille schlang und andererseits erfüllte es ihn auch mit einer seltsamen Aufregung. Ich kann nicht klar denken, schwirrte ein Gedankenfetzen durch seinen Kopf. Asha half ihm, sich auf die Felle zu legen, die nun seit gestern sein Nachtlager waren. „Danke“, murmelte er.
    Sie lächelte und legte eine Decke über ihn, dann flüsterte sie ein paar Worte und verschwand wieder nach draußen. Kurze Zeit später war er auch schon eingeschlafen.

    Jakob erwachte mit pochendem Schädel. „Ah, der ist wohl mein ständiger Begleiter“, murrte er und rieb sich die trockenen Augen. Er setzte sich auf und sah, dass er nicht alleine im Zelt war. Zu seiner Überraschung war es jedoch nicht Devi, die auf der anderen Seite des Raumes lag, sondern Asha. Ihr Gesicht war halb hinter ihren schwarzen Haaren verborgen, doch er erkannte sie sogleich. Noch immer trug sie die Kleider vom Vorabend und da die Decke sie nicht einmal halb bedeckte, konnte er selbst den Ring in ihrem Nabel sehen. Weshalb stecken sich diese Leute nur überall Metall rein, fragte Jakob sich. Tut das nicht weh? Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie diese Ringe in ihre Nasenflügel, Ohrläppchen oder sonst wohin bekamen. Es war gleichzeitig befremdlich und faszinierend für ihn.
    Leise trat er näher an die Schlafende heran. Er wollte den Ring näher betrachten. Doch als er sich hinkniete, traf ihn etwas Hartes auf den Schädel. „Au!“, rief er und hob seine Arme schützend über seinen Kopf.
    Über ihm stand Devi, einen langen Stock über der Schulter, finster dreinblickend und mit zusammengekniffenen Augen. Im ersten Moment hatte er sie gar nicht erkannt, denn heute war ihr Gesicht nicht bemalt und wies die natürliche Bräunung ihres Volkes auf. Wenigsten sah sie so nicht ganz so furchteinflößend aus und Jakob stellte fest, dass sie jünger war, als er vermutet hatte. „Man fasst keine Frauen an im Schlaf“, knurrte sie.
    Asha drehte sich um, murmelte etwas und zog die Decke über ihren Kopf. „Ich wollte doch nicht“, stammelte Jakob und wusste eigentlich gar nicht, was er sagen sollte. In seinem Schädel hämmerte es nun doppelt, von dem Alkohol und von dem Schlag.
    „Vielleicht sollte ich dich in ein anderes Zelt verbannen. Männer gehören nicht hierher“, überlegte sie und strich bedächtig über ihren Stab. „Aber ich bin nun mal die Einzige, die mit dir reden kann, nicht wahr?“ Erschien es ihm nur so, oder genoss sie es, am längeren Hebel zu sein? „Besser du lernst unsere Sprach schnell – oder du verschwindest wieder“, sagte sie mit einem fiesen Lächeln.
    „Ich habe schon ein paar Worte gelernt“, sagte er und erhob sich. Stehend war ihm wohler, denn so war er wenigstens etwas größer als sie. „Becher, Feuer, Hand, Feder“, begann er aufzuzählen, doch er musste feststellen, dass er das meiste wieder vergessen hatte.
    „Du hast wohl getrunken“, stellte sie herablassend fest. „Na wie auch immer. Komm mit, ich soll für dich übersetzen.“
    „Für wen?“, fragte er überrascht, doch sie war bereits nach draußen verschwunden.
    Eilig folgte er ihr und hatte Mühe, mit ihrem schnellen Schritt mitzuhalten. Auf ihrem Weg begegneten sie nur ein paar Kindern, Ziegen und Hühnern, die ihre Bahnen zwischen den bunten Zelten drehten. Hier und da drangen tiefe Schnarcher durch die Planen. Devi fluchte etwas in ihrer Sprache und Jakob hörte das Wort Airag heraus, was seinem Verständnis nach Alkohol bedeuten musste. „Hier sind wir“, sagte sie. „Warte draußen.“ Sie verschwand durch einen Zelteingang.
    Unschlüssig blieb Jakob stehen und schaute ein paar Kindern zu, die hintereinander herjagten. Der Anblick ließ ihn an seine Bande denken. Wie viel Zeit war nun bereits vergangen, seit er sie verlassen hatte? Ein halbes Jahr? Oder mehr?
    Devis Kopf erschien im Eingang und winkte ihn herein. Jakob folgte ihr zögerlich ins Innere. In einem Halbkreis an der Wand entlang saßen einige der Spielleute. Die einzige, die er erkannte, war Prema. Devi bedeutete ihm, neben ihr auf einem Ziegenfell Platz zu nehmen. Nervös spielte Jakob mit der Kordel seiner Hose, während die Versammelten ihn schweigend musterten. Waren dies die Führer der Gemeinschaft? Jakob hatte keine Ahnung, wie sich die Spielleute organisierten.
    Eine ältere Frau, ebenso beleibt wie Prema, begann zu sprechen. Unsicher schaute Jakob zu Devi hinüber. Endlich übersetzte sie: „Amma fragt, woher du kommst und wohin du gehen möchtest.“
    Was sollte er erzählen? Was wollten sie hören und wo sollte er beginnen? „Ich komme aus Lux und bin auf Wanderschaft“, antwortete er nach kurzem Zögern.
    Devi übersetzte. „Was ist das Ziel deiner Wanderung?“
    Mein Ziel, dachte Jakob. Meine Schwester rächen und dafür sorgen, dass sie in Frieden ruhen kann. Bisher habe ich das niemandem erzählt, es ist mein Geheimnis. „Ich würde gerne hier bleiben“, sagte er und war selbst etwas überrascht, als er die Worte aus seinem Mund kommen hörte. „Ich habe kein Zuhause und bin überall fremd auf der Welt. Ich gehöre weder nach Lux noch in sonst irgendein Land. Ihr seid fahrendes Volk, nicht wahr? Dann möchte ich zu euch gehören.“ Er wagte es, der Frau namens Amma fest in die dunklen Augen zu sehen. Während Devi übersetzte, legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen und die sonnengebräunte Haut um die Augen kräuselten sich zu Lachfältchen. Würde sie ihn aufnehmen?
    Devi unterdrückte ein Schnauben. „Sie sagt, du könnest vorerst bleiben. Ob du tatsächlich zu uns passt, wird sich zeigen.“
    „Wirklich?“, fragte Jakob und Freude stieg in ihm auf.
    „Vorerst, hat sie gesagt“, erinnert ihn Devi. Dann wandte sie sich abermals an Amma, woraufhin die ältere Frau lachte. Wie alt sie wohl war? Bestimmt älter als Prema, denn das schwarze Haar, das sie zu zwei Zöpfen geflochten hatte, wies bereits viele graue Strähnen auf und ihre braune Haut wirkte ledrig vom Leben unter der Sonne.
    Die Antwort Ammas schien Devi nicht zu gefallen. „Sie sagt, du könnest weiter bei mir und Asha wohnen.“
    „Das magst du wohl nicht“, entgegnete Jakob gerade heraus.
    Kurz schien sie überrascht, doch schnell fing sie sich wieder. „Nicht wirklich, ich habe keine Lust, dich zu unterhalten und auf dich aufzupassen“, zischte sie. „Nun geh schon“, setzte sie hinzu und als er nach vorne blickte, sah er, dass Amma ihn zu sich winkte.
    Er stand auf und trat vor sie. Sie klopfte mit der Hand vor sich auf den Boden, er ließ sich nieder. Dann tunkte sie ihren Finger in ein Schälchen, das ihr ein Mann neben ihr reichte. Er musste sich zusammennehmen, damit er nicht vor dem ausgestreckten Zeigefinger zurückwich. Gerne hätte er Devi gefragt, was das sollte, doch er wagte es nicht, den Mund aufzumachen. Kühl fühlte sich die rote Farbe auf seiner Stirn an, als Amma einen Strich darauf malte. Ein weiteres Mal tunkte sie ihren Finger in die Schale und trug nun einen gelben Strich neben dem roten auf. Dann kniff sie ihm in die Wange, lachte und scheuchte ihn mit einer Handbewegung auf. Mit tiefer Stimme begann sie einen Singsang, während Jakob sich zurück neben Devi setzte. Die anderen fielen mit ein und Jakob glaubte die Melodie vom gestrigen Abend wiederzuerkennen. Nur diesmal traute er sich nicht mitzusingen. Als der letzte Ton verklungen war, klopften sie auf die kleinen Tischchen, die vor ihnen standen, oder in die Hände und klimperten mit ihren farbigen Armreifen. „Du bist nun als Gast bei uns aufgenommen“, erklärte Devi.
    „Ach so“, murmelte Jakob und seine Finger tasteten nach der Farbe auf seiner Stirn.
    „Nicht, du verschmierst es“, sagte sie und hielt seine Hand fest.
    „Entschuldige.“ Er zog seine Hand zurück. Da kam auch schon Prema auf ihn zu und schloss ihn in ihre kräftige Umarmung.
    „Willkommen“, sagte sie in seiner Sprache und drückte so fest zu, dass ihm beinahe die Luft wegblieb.

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

  • Hey RenLi,

    ich finde, du beschreibst das Leben in diesem Lager und die Erfahrungen, die Jakob hier macht sehr bildreich und schaffst eine Atmosphäre, die es dem Leser wirklich gut ermöglicht, in das Geschehen einzutauchen. Ein sehr schöner Teil!
    Hier kommen ein paar Kleinigkeiten, die ich gefunden habe:

    Spoiler anzeigen


    dann erblickte er ein paar der Männer von gestern. Sie saßen mit ein paar Frauen um eine erkaltete Feuerstelle beisammen

    Wiederholung

    schenkte Rahul eine milchig weiße Flüssigkeit aus dem Tongefäß aus.

    vielleicht würde reichen: ...schenkte Rahul eine milchig weiße Flüssigkeit aus...(dass es sich um ein Tongefäß handelt, hast du ja schon weiter oben beschrieben und 2 x "aus" klingt hier irgendwie holprig.


    „Airag“, wiederholte Jakob und versuchte, es dem Mann gleich zu tun,

    gleichzutun


    Die meisten Frauen waren in dieselben Tücher gekleidet wie Prema und Devi, manche trugen auch lederne Oberteile, die nur gerade ihre Brüste bedeckten.

    Vielleicht gibt es eine andere Formulierung als "Brüste". Du benutzt das Wort im Folgenden noch häufiger...vielleicht kann man auch schreiben:"... manche trugen auch lederne Oberteile, die nur gerade ihre "Weiblichkeit" bedeckten....oder: "...Oberteile, die mehr Haut freiließen, als dass sie sie bedeckten...." :hmm: Ich weiß auch nicht, was ich gegen das Wort "Brüste" habe... ich meine, Brüste sind nunmal Brüste...aber es klingt für mich immer ein bisschen plump.

    bedeutete er ihm, in auszutrinken

    ihn


    Dann sagte sie etwas, das er nicht verstand, doch sie hörte den Namen Devi heraus.


    müsste das vielleicht ein "er" hin?


    Als es zu dämmern begann, entfachten sie ein Feuer, begannen Fleisch zu braten und Fladen zu backen

    Wiederholung

    Die Trommler begannen mit einem langsamen Tackt,

    Takt

    Rahul pfiff durch die Zähne. Eine der Frauen saß inzwischen auf seinem Schoß und kraulte seinen spitzen Ziegenbart. Jakob wurde rot, als seine Hand eine ihrer Brüste berührte, woraufhin sie ihm neckisch ins Ohrläppchen biss. Auf einmal fühlte Jakob sich unwohl.

    Die Situation kann ich mir nicht gut vorstellen.Also, ich denke mir, dass die Frau auf Rahuls Schoß sitzt und seinen Bart krault...ahhhh....ich glaube, jetzt habe ich`s geschnallt....Jakob wird rot, weil Rahuls Hand die Brüste der Frau berührt!....zuerst las sich das so, als sei es Jakobs Hand...vielleicht könnte man das an der Stelle nochmal verdeutlichen. Zum Beispiel: jakob wurde rot, als die Hand des Spielmanns die Brüste der Frau berührte....oder so.


    Wenigsten sah sie so nicht ganz

    wenigstens


    LG,
    Rainbow

  • Wieder ein schöner Abschnitt, @RenLi, und schön, zu erfahren, ...

    Spoiler anzeigen

    ... dass Jakob erstmal in Sicherheit ist. Er darf bei den Spielleuten bleiben. Warum Devi sich so biestig verhält ist für mich (noch) nicht ganz nachvollziehbar. Er hat ihr ja nichts getan. Aber wenigstens kann sie ihn verstehen. Prema gefällt mir, sie ist so herzlich. Ihr "Willkommen" ist hundertprozent ehrlich.
    Also wart ich nun geduldig, bis du uns weiterführst mit dem nächsten Abschnitt. ^^

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Hallo zusammen
    Cool, dass euch mein Plan mit den Spielleuten bis jetzt gefällt. Dieses lustige Völkchen passt viel besser zu Jakob, als die strenge, etwas spiessige Art der Gnosis.
    Weshalb Devi so knurrig drauf ist, erfährt man später noch. Einerseits gehört die bissige Art etwas zu ihrem Charakter, aber vor allem sind ihre Erfahrungen aus der Vergangenheit massgebend.

    Lg, RenLi

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

  • Jakob, Knochen und Turban Teil 1 (562 n. Rh.)
    Er folgte Devi nach draußen. Nacheinander hatten die Spielleute ihn umarmt und somit in ihrem Lager willkommen geheißen. Wie alles war auch dies ungewohnt für Jakob, denn in seiner Heimat pflegte man viel mehr Distanz zu halten. „Ist Amma eure Anführerin?“, fragte Jakob, sobald er sich außer Hörweite schätzte.
    „So ungefähr. Wir haben nicht wirklich eine Anführerin, aber auf sie hören die meisten und wir respektieren sie.“
    „Aber sie ist eine Frau“, sprudelten die Worte aus ihm heraus, ohne dass er seine Empörung verbergen konnte. Er konnte nicht verstehen, weshalb die Spielleute ein Frau als Anführerin hatten. Schließlich waren Frauen den Männern unterlegen, so war es nun mal.
    Mit wütendem Gesichtsausdruck wirbelte Devi zu ihm herum und bevor er sich versah, lag das eine Ende ihres Stockes an seinem Hals. „He!“, rief er und stolperte rückwärts.
    „Was soll das heißen?!“, fragte sie und es war nur allzu deutlich, dass er sie zutiefst verärgert hatte.
    „Nun ja, bei uns sind Frauen nie Herrscher“, sagte er ausweichend. Es war wohl besser, wenn er nicht laut aussprach, was er soeben gedacht hatte.
    „Nur weil das bei euch so ist, muss es doch nicht überall so sein, oder? Die Frauen eures Volkes sind einfach zu dumm! Sie lassen zu, dass so mit ihnen umgesprungen wird und die Männer von Lux sind noch viel schlimmer! Diese verdammten Dreckskerle haben keinerlei Respekt, wie die Tiere sind sie!“
    „Das weißt du doch gar nicht!“, rief er, nun ebenfalls wütend. „Wie kannst du so von meinem Volk reden?!“
    „Scher dich weg, Jakob von Lux!“ Sie drehte sich um und stapfte davon.
    Kochend vor Wut stand er da, doch er folgte ihr nicht. Sie hat doch keine Ahnung! Ist noch nie in Lux gewesen! Und doch beherrschte sie seine Sprache. Ob sie vielleicht doch schon dort gewesen war? Wie die Tiere, echote ihre Stimme in seinem Kopf. Vermaledeites Weib, die hat doch keine Ahnung!
    Wütend stapfte er zwischen den Zelten hindurch und stolperte über eine Zeltschnur. Mit einem überraschten Ausruf fiel er der Länge nach hin. „Verflucht nochmal!“, knurrte er und rieb sich die aufgeschürften Hände und Knie.
    Glücklicherweise hatte niemand seinen uneleganten Sturz beobachtet, nur eine Ziege schaute ihn an, während sie bedächtig an einem Grasbüschel kaute. Jakob streckte ihr trotzig die Zunge raus, dann stolzierte er davon. Weshalb ist sie nur so kratzbürstig?, fragte er sich. Und weshalb muss ich immer an solche Frauen geraten?
    Ziellos stromerte Jakob durch das Lager und als seine Wut wieder verraucht war, musste er doch zugeben, dass er eigentlich nichts über Devi wusste. Wer konnte schon wissen, ob sie nicht vielleicht doch einmal in Lux gewesen war? Schließlich zogen die Spielleute durch viele Länder und irgendwie musste sie ja auch seine Sprache gelernt haben. Außerdem, nun da er darüber nachdachte, war er ja selbst nicht wirklich überzeugt von der Art und Weise, wie die Gnosis Lux regierten. Es gab so manches, mit dem er nicht einverstanden war. Dies war schließlich einer der Gründe, weshalb er Lux verlassen hatte. Weshalb verteidigte er seine Heimat dann eigentlich? „Verdammtes Weibervolk“, brummte er und machte einen Bogen um die nächste Zeltschnur.
    In diesem Moment erregte eine Gruppe von Kindern seine Aufmerksamkeit. Sie standen beisammen und Jakob sah, wie sie gelblichweiße Kugeln durch die Luft spickten. Das musste ein Spiel sein, überlegte er und trat näher heran. Nun sah er, dass es sich nicht um Kugeln, sondern um Knöchelchen handelte. Ein Junge legte eines der Wurfgeschosse auf einen kurzen, flachen Holzstab, zielte und spickte das Knöchelchen mit einem Schnippen seines Zeigefingers nach vorne. Nach einem kurzen Flug landete es neben anderen Knochen auf einem Ziegenfell. Anscheinend hatte der Junge sein Ziel nicht erreicht, denn er zog eine Schnute und gab den Holzstab an ein Mädchen weiter, welches nun sein Glück versuchte. Auch sie fischte ein Knöchelchen aus ihrer Tasche, legte es auf den Stab und schoss. Ihr Geschoss traf eines der Knochenstücke, welches bereits auf der Tierhaut lag. Grinsend lief sie nach vorne, um sich die zwei knöchernen Spielsteine zu holen.
    „Ta khen yum be?“, rief eines der Kinder und deutete auf Jakob in der seltsam singenden Sprache der Spielleute.
    „Ich verstehe euch nicht“, antwortete Jakob. Wenn doch Devi da wäre, dachte er. Nein, die wäre bestimmt sauer, warum auch immer…
    Neugierig kamen die Kinder näher. „Ta toglokhyg khüsch baina uu?“, fragte ein Mädchen und deutete auf das Ziegenfell mit den Spielsteinen.
    „Ich kenne das Spiel nicht“, sagte Jakob, doch die Kinder zogen ihn mit sich und drückten ihm den Holzstab in die Hand. Das Mädchen, das zuvor getroffen hatte, reichte ihm eines der Knöchelchen. Es war ungefähr so groß wie ein Kuhauge und Jakob vermutete, dass es sich um einen Wirbelknochen handelte.
    „Buudlagyn!“, forderten die Kinder ihn auf. „Buudlagyn!“
    Jakob kniete sich ihn, wie es das Mädchen ihm vormachte – ein Knie in der Luft, eines auf dem Boden. Dann legte er den Holzstab auf das erhobene Knie und platzierte den Knochen in die Rille. Er schnippte, der Spielstein schnellte nach vorne und landete mindestens zwei Schritt neben dem Tierfell auf dem Boden. Die Kinder lachten und nahmen das Holzstück wieder an sich, damit der nächste schießen konnte. „Kharaach“, sagte der Junge, der nun an der Reihe war und bedeutete Jakob, dass er ihm zusehen sollte.
    Jakob beobachtete, wie die Kinder nacheinander ihre Knöchelchen nach vorne spickten, dann reichten sie ihm den Stab. Doch bis er das erste Mal auf das Ziegenfell traf, vergingen noch ein paar Runden. Inzwischen hatten sich auch ein einige Erwachsene um das Spielfeld versammelt und sie machten sich einen Spaß daraus, Jakob Ratschläge zu geben, die er nicht verstand und ihn so mehr verwirrten, als dass sie ihm halfen. Zudem knurrte ihm inzwischen der Magen wieder, was kein Wunder war, denn gegessen hatte er noch nichts.
    Gerade, als er einen Treffer auf der Tierhaut gelandet hatte, erklang das dumpfe Dröhnen eines Hornes. Den Reaktionen der Umstehenden nach zu urteilen, musste es sich um ein gutes Zeichen handeln. Shiv tauchte aus dem Nichts auf, sagte etwas mit einem leuchtenden Strahlen auf dem Gesicht und zog Jakob mit sich. Bald schon stieg ihm ein köstlicher Duft in die Nase. Essenszeit!, jubelte er und beschleunigte seine Schritte.
    Sie erreichten einen Platz inmitten des Lagers, an welchem keine Zelte standen. Viele Spielleute hatten sich hier bereits eingefunden. Sie saßen mit verschränkten Beinen im Kreis um den Platz herum, in wilden Gesprächen versunken. Auf der Suche nach vertrauten Gesichtern ließ Jakob seinen Blick durch die Runde schweifen. Tatsächlich waren alle, die ihm bisher vorgestellt wurden, anwesend. Sein Blick begegnete Devis. Sie schnaubte und sah weg. „Immer noch wütend“, murrte Jakob und wollte sich irgendwo weit weg von ihr setzen, doch Shiv führte ihn geradewegs auf sie zu. Auf Jakobs kläglichen Protest ging er nicht ein und schon hatte er ihm den Platz neben Devi freigeräumt. Wie alle anderen saß sie im Schneidersitz auf einem grob gewobenen Tuch. Widerwillig ließ Jakob sich neben dem Mädchen nieder. Wie eine bedrückende Spannung lastete der vergangene Streit auf ihnen. Mar würde mich jetzt vorwurfsvoll ansehen, dachte Jakob. Der Junge schien immer ihm die Schuld für die Streitereien mit Emilie gegeben zu haben. Jakob räusperte sich, doch Devi starrte stur in die andere Richtung. „Esst ihr immer alle zusammen?“, fragte er sie zögerlich. Als sie nicht antwortete fügte er hinzu: „He, Devi. Komm schon, ich muss mich erst eingewöhnen. Es ist ja nicht so, dass ich gut finde, was die Gnosis macht. Das sind verlogene Hunde, aber ich kenne nichts anderes. Ich habe keine Ahnung, wie ihr hier denkt.“
    „Das ist dein Begrüßungsmahl“, erklärte sie schließlich, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
    „Ach echt?“ Jakob war beeindruckt, als er sah, dass die Spielleute sogar ein Tier für diesen Anlass geschlachtet hatten. „Idekh!“, rief Shiv und rieb sich die Hände.
    „Essen“, übersetzte Devi trocken und Jakob versuchte, sich das Wort einzuprägen. Na wenigstens spricht sie wieder mit mir, dachte er und musterte sie von der Seite. Heute trug sie hellblaue Holzperlen in ihren Haaren, geschminkt hatte sie sich nicht. Wenn ihr Gesicht nicht von Wut verzerrt war oder mit roter Farbe beschmiert, dann war sie recht hübsch. Ihm gefiel die goldbraun gefärbte Haut der Spielleute, ihre kohlrabenschwarzen Haare und die großen, dunklen Augen.
    „Jakob“, rief eine helle Stimme und eines der Kinder mit denen er zuvor gespielt hatte, zwängte sich unter seinem Arm hindurch und setzte sich auf seinen Schoß. Lachend streckte es die Finger nach Jakobs Stirn aus, doch auf Devis Ermahnung ließ es die Hand wieder sinken. Erst jetzt erinnerte Jakob sich daran, dass ihm die Anführerin Amma ein Mahl auf die Stirn gezeichnet hatte.
    „Ich muss wohl ziemlich auffallen, mit meinen blonden Haaren“, überlegte er und hielt sich eine der schmutzigen Strähnen vor das Gesicht. Seine Haare reichten ihm bereits bis ans Kinn, was normalerweise der Zeitpunkt gewesen wäre, sie abzuschneiden, doch nun war er sich nicht mehr sicher, ob er das tun sollte. Wenn er so in die Runde der Spielleute sah, dann fiel ihm auf, dass die Männer ihre Haare meist bis auf Höhe ihrer Ellbogen trugen. Vielleicht sollte er seine auch so lange wachsen lassen.
    „Du fällst auf wie ein zweiköpfiges Pferd“, sagte Devi, die ihn nun ihrerseits betrachtete.
    Jakob musste lachen. „Das stell ich mir ziemlich schräg vor. Stell dir vor, dann weiß es nicht mehr, wo es langgehen soll, weil sich die Köpfe nicht einig sind.“
    Nun sah auch Devi so aus, als müsste sie sich ein Lachen verkneifen, doch sie gab sich alle Mühe, ihre distanzierte Fassade aufrecht zu erhalten. „Jakob, Jakob“, sagte der Junge auf seinem Schoß und drückte ihm eine hölzerne Schale vor die Brust.
    „Danke“, grinste Jakob und roch an dem Essen. „Ah, herrlich! Ich liebe euer Essen!“, sagte er und begann die Fleischstücke herauszufischen. Shiv reichte ihm einen Krug mit Wasser und einen mit Pferdemilch. Jakob füllte sich einen Becher mit Wasser und gab die Gefäße an Devi weiter. Die Versammelten widmeten sich dem Essen und Jakob teilte seines mit dem Jungen, von dem er nun wusste, dass er Inan hieß. Der Kleine redete ohne Unterlass und schien sich nicht daran zu stören, dass Jakob nichts davon verstand. Devi machte sich nicht die Mühe, das Gebrabbel des Kindes zu übersetzen. Als Inan genug gegessen hatte, begann er, auf Jakob herumzuturnen, begutachtete seine hellen Haare und strich ihm über die Nase, die viel spitzer war als die seiner nomadischen Verwandten. Jakob störte sich nicht daran, er war damit beschäftigt, nach Asha Ausschau zu halten. Bis vor Kurzem hatte sie noch in der Nähe von Rahul gesessen, nun war ihr Platz von einem alten Mann mit Lendenschurz eingenommen worden. Der dürre Alte redete wild gestikulierend auf den Glatzkopf ein und streckte seine knochige Hand immer wieder nach dessen Ohrläppchen aus, woraufhin Rahul ihn mit verkniffenem Gesicht zu vertreiben versuchte. Wie eine lästige Fliege, dachte Jakob. Inan war inzwischen auf seine Schultern gestiegen und wühlte in Jakobs Haarschopf. Noch so eine Fliege. Jakob verdrehte die Augen.
    Da ertönte zum zweiten Mal das Signal des Blasinstruments und diesmal konnte Jakob den Spieler sehen. Sein weißer Turban ragte er ein gutes Stück über die anderen empor. Gebannt starrte Jakob den Fremden an. Das ist er! Schon stand er auf den Füßen, um sich zu vergewissern, doch Devi zerrte ihn grob wieder auf den Boden zurück. Die Leute verstummten. „Was soll das? Setz dich gefälligst!“, flüsterte sie erbost.
    „Wer ist das, Devi? Der Mann mit dem Turban!“, drängte er zu wissen.
    „Der mit der Flöte? Das ist Ananda, er ist es, der dich aus dem Fluss gezogen hat. Und jetzt sei still“, zischte sie.
    Ungläubig schaute Jakob zu dem Fremden hinüber. Konnte es tatsächlich sein, dass er diesen Mann vor ungefähr einem Jahr in Caput getroffen hatte? Was machte er hier? Und weshalb hatte er ihn gerettet?
    Inzwischen war Amma aufgestanden. Ihre langen Zöpfe wippten, als sie sich aufrichtete und die Stimme erhob. Devi übersetzte: „Sie begrüßt alle. Und nun spricht sie von dir. Du solltest aufstehen, los.“
    Jakob erhob sich. Es war ihm unangenehm, so im Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein. Sogar Inan saß nun erstaunlich brav neben Shiv auf dem Boden. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Ananda das Instrument beiseitelegte und das Tuch seines Turbans öffnete. „Stell dich vor“, wies Devi ihn an.
    „Hallo“, sagte Jakob und kam sich ziemlich dämlich dabei vor. Er räusperte sich. „Ich bin Jakob und komme aus Lux.“ Was sollte er sagen? Nervös zupfte er an seinem Hemd. „Danke, dass ihr mich aufgenommen habt.“ Schnell setzte er sich wieder und hoffte, dass das genügte. Devi übersetzte seine Worte und die Anwesenden schienen zufrieden zu sein.
    „Als nächstes möchte ich Ananda wieder einmal in unserer Runde willkommen heißen“, fuhr Amma fort.
    Als der Mann, der mit seiner olivfarbenen Haut ebenso auffiel wie Jakob, sich erhob, brach Beifall aus, einige johlten oder pfiffen durch die Finger. Elegant verbeugte er sich. Nun da er seinen Turban abgenommen hatte, kamen seine schwarzen, krausen Haare zum Vorschein. Er ist es, bestimmt!, dachte Jakob fieberhaft. Wenn ich nur das schwarze Auge unterhalb seines Schlüsselbeins sehen könnte…
    „Es ist mir eine Ehre, wieder einmal im wilden Lager von euch Gauklern und Ganoven zu Gast zu sein“, sagte Ananda mit einem schalkhaften Lächeln.
    Ein Mann mit roten Pluderhosen stellte sich neben ihn. Sein Oberkörper war entblößt und seine langen Haare reichten ihm bis zur Brust. Federn und Holzperlen waren darin eingeflochten. „Ihm zu Ehren werden wir heute Abend ein Fest feiern, wer ist dabei?!“, rief der Federmann und Jakob war fasziniert vom Spiel seiner Muskeln, als er mit Ananda auf ihre Wiedervereinigung anstieß.
    Der Vorschlag wurde mit Begeisterung aufgenommen und schon bald zerstreuten sich die meisten, um mit den Vorbereitungen für den Abend zu beginnen. Jakob versuchte unterdessen, den Turbanmann nicht aus den Augen zu verlieren. „Wer ist er?“, fragte er Devi. „Gehört er zu euch?“
    „Ananda reist alleine durch die Welt. Er kommt immer mal wieder zu uns, aber sein letzter Besuch liegt schon länger zurück. Was er genau tut, weiß ich nicht, aber die meisten hier mögen ihn. Sie sagen, er sei weise“, erzählte Devi, doch er konnte hören, dass sie diese Ansicht nicht teilte.
    „Du scheinst ihn nicht zu mögen“, sagte er geradeheraus.
    „Nicht wirklich“, gab sie zu. „Er ist ein Aufschneider, wenn du mich fragst.“
    „Und wer ist der Vogelmann?“
    „Raj, noch ein Angeber. In letzter Zeit versucht er, Prema um seinen Finger zu wickeln. Aber sie ist eine harte Nuss, da muss er sich schon etwas mehr anstrengen“, entgegnete sie mit einem grimmigen Lächeln.
    Jakob wusste nicht, weshalb Raj sich für Prema interessieren sollte, doch das würde er Devi bestimmt nicht fragen. „Komm, du könntest dich einmal nützlich machen“, sagte Devi und bedeutete ihm, ihr zu folgen.
    „Ich wollte eigentlich“, begann Jakob und schaute sich nach Ananda um, doch der Turbanmann war verschwunden.
    Also begleitete er Devi zum Zelt zurück. Heute Abend bei dem Fest würde er ihn zur Rede stellen. Dann würde er herausfinden, ob er ein Aufschneider war, oder ob er ihm helfen konnte, seine Frage zu beantworten. Du wirst ihn nicht finden, egal wie sehr du auch suchst. Der Sinn des Lebens, er ist nicht da, wo du ihn vermuten würdest…
    Asha wartete bereits auf die beiden vor dem Zelt. An diesem Nachmittag zeigten die beiden Frauen Jakob wie man Schafwolle wusch. Dazu entfachten sie ein Feuer vor dem Zelt, um Wasser zu erhitzen. Nach dem Waschen war die Brühe dunkelbraun vor Dreck, die Wolle hängten sie zum Trocknen über eine Leine.
    „Habt ihr viele Schafe?“, fragte Jakob.
    „Klar. Schafe, Pferde, Ziegen. Sie sind draußen auf der Weide. Mindestens fünf Leute sind nötig, um die Herde zu führen“, klärte Devi ihn auf. „Die Steppe gibt nicht viel her für die Tiere, deshalb ziehen wir oft umher. Und lange werden wir bestimmt nicht mehr hierbleiben.“
    „Und dann nehmt ihr alles mit? Die Zelte und so?“
    „Alles, was du siehst.“
    Jakob war beeindruckt. Das Leben als Nomade war ganz anders, als alles, was er bisher gekannt hatte. „Und wohin geht ihr dann?“
    „Dahin, wo es Wasser und Futter für die Tiere gibt. Meist entscheiden die Ältesten, wohin wir als nächstes ziehen.“

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

    Einmal editiert, zuletzt von RenLi (30. Juni 2018 um 14:26)

  • Schöner neuer Abschnitt, @RenLi! :)

    Spoiler anzeigen

    Er lässt uns regelrecht abtauchen in die Welt der Spielleute mit ihren Gebräuchen und Umgangsformen. Jakob kann wirklich froh sein, dort gelandet zu sein. Und schon hat er wieder Kinder an der Backe. Er zieht sie wirklich an wie eine Lampe die Motten. :rofl:
    Nun frage ich mich, ob er Gelegenheit erhält, mit Ananda zu sprechen. (Ich hab die Stelle nochmal lesen müssen, an der sie sich begegnet sind, war schon eine Weile her :D ) Ich könnte mir vorstellen, dass er eine ganze Menge Fragen hat.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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