Der Sinn des Lebens

Es gibt 460 Antworten in diesem Thema, welches 123.701 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (21. Januar 2020 um 15:16) ist von RenLi.

  • :D Ist natürlich keine blöde Frage. Ich hab mich das auch schon selbst gefragt und bin noch nicht wirklich zu einer befriedigenden Antwort gekommen. Jesus existiert in dieser Welt nicht :( eigentlich schade, ich mag ihn. Aber so ist es nun mal. Die armen Leute müssen ohne ihn auskommen. Ob der Beginn der Zeitrechnung in der Geschichte mal erklärt wird, ist noch nicht klar. Aber ich denke schon, weil sowas doch recht prägend ist. Für mich sind zwei Möglichkeiten denkbar: entweder ist das sowas wie das Geburtsjahr der Gnosis (was Ähnlichkeiten mit Christus hat) oder es hat eher was mit weltlicher Macht zu tun, zum Beispiel das Ende einer schlimmen Ära. Aber das sehe ich als weniger wahrscheinlich, da weltliche Herrscher meiner Meinung nach weniger tief greifen können als Religionsgründer und dergleichen. Ausser der weltliche Herrscher hat eine Verbindung mit Religion wie beispielsweise der Pharao oder der Kaiser, welche als göttlich gegolten haben.
    Da werd ich noch tiefer in mir wühlen müssen, um eine befriedigende Antwort auf die Frage zu finden :)

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

  • Jahreszahlen können auch nach der Staatsgründung (Nordkorea) der Gründung der Hauptstadt (antikes Rom) oder der Schöpung der Welt (Judentum) gezählt werden. Aber auch mehrere Zeitalter sind möglich und in der Fantasy üblich. Theoretisch wäre es wohl auch möglich, ein regelmäßiges, aber extrem seltenes astronomisches Ereignis zu verwenden wie eine totale Sonnenfinsternis, von der man immer wieder bei 0 zu zählen beginnt. Da gibt es unendliche Möglichkeiten. Aber erstmal finde ich es gar nicht so wichtig, es soll ja nur zeigen, in welchem zeitlichen Rahmen sich die Geschichte bewegt und wie lange etwas dauert. Ich vermute mal, das Jahr hat 365(,25) Tage á 24 Stunden? ;)

  • Richard, Geschichten - 2. Teil
    Zusammen mit den zwei Mädchen saß er hinten auf den Mehlsäcken. Es holperte ein bisschen, aber das war gerade angenehm. Eines der Mädchen wollte unbedingt, dass er eine Geschichte erzählte. Also erzählte er eine Geschichte, die er von einem Reisenden über Caput gehört hatte. «Da gab es einmal, früher, eine geheime Gemeinschaft in der Stadt. Die lebten versteckt, im Untergrund. Sie bildeten Leute aus, um die Regierung zu stürzen. Denn die Regierung war nur eine Marionette der Gnosis und das gefiel den Aufständischen nicht, weil sie ein anderes Gottesbild als diese hatten. Sie wollten eine neue Ordnung herstellen und selber regieren. Doch die Gnosis wurde aufmerksam auf die Gemeinschaft, als diese nach Anhängern in der Stadt suchten. Man erzählt sich, die Gemeinschaft wäre von einer Frau und einem Mann geführt worden. Noch bevor sie ihre Pläne in die Tat umsetzen konnten, gelang es der Gnosis, in das Versteck der Gemeinschaft einzudringen. Die Frau wurde verhaftet und hingerichtet. Der Mann konnte fliehen. Man hat ihn seither nicht wiedergesehen.»
    «Nicht so eine Geschichte“, murrte das ältere Mädchen. „Erzähl etwas Lustiges.»
    Eigentlich wirklich keine Kindergeschichte, musste Richard sich eingestehen. «Also gut.» Richard stöberte in seinem Kopf nach einer passenderen Geschichte. «Noch weiter zurück in der Vergangenheit gab es einmal eine Prinzessin in der Stadt.» Nun waren die Mädchen ganz Ohr. «Sie hieß Anastasia.» Den Namen hatte er zwar gerade erfunden, aber das war auch egal. Er wusste nicht mal, ob die Geschichte tatsächlich so passiert war. Ein Barde hatte sie ihm erzählt, während sie zusammen am Kaminfeuer gesessen und Fladen gegessen hatten. Er erinnerte sich noch daran, wie der seltsame Vogel ihn mit Spucketröpfchen und Brot besprüht hatte, als er so richtig in Fahrt gekommen war.
    «War sie sehr schön?», fragte eines der Mädchen ihn nun.
    «Ja, wunderschön. Wie es Prinzessinnen eben sind. Und sie lebte in einem großen Haus, dem größten und farbigsten in ganz Caput. Das war zu einer Zeit, in der es das Regierungsgebäude und die Gnosis noch nicht gab und die Menschen noch eine andere Religion ausübten. Anastasia lebte dort in dem Haus zusammen mit ihren Eltern und vielen Bediensteten. Sie hatte alles, was man sich nur wünschen konnte. Schöne Kleider, immer genug zu essen und viele Zofen, die sich um sie kümmerten. Zum Haus gehörte ein großer Garten, in dem sie als Kind oft gespielt hatte.
    Doch seit einiger Zeit war sie einfach nicht mehr glücklich. Sie wusste nicht, was los war. Sie hatte alles, was man sich wünschen konnte. Ihre Eltern, der König und die Königin, hatten zwar nicht sehr viel Zeit für sie, aber es waren gute Menschen und sie wusste, dass sie von ihnen geliebt wurde. Sie dachte darüber nach, woran es liegen konnte, dass sie trotz alledem unglücklich war. Da bemerkte Anastasia, dass sie eigentlich keine Freunde hatte. Sie stand oben an der Mauer, die den Garten vom Rest der Stadt abgrenzte, und sie fühlte sich sehr einsam. Dort draußen waren so viele Menschen, die alle viele Freunde hatten, doch sie hatte niemanden.
    Am selben Abend erfuhr sie von ihrer liebsten Zofe erfuhr, dass die Spielleute in die Stadt unterwegs waren. Sie erzählte, dass es bald ein Fest geben würde. Am ersten Abend des Festes stand Anastasia wieder wehmütig auf der Mauer und sah auf die Lichter von Caput hinunter. Auf dem Platz hatten sich unzählige Menschen versammelt. Die Spielleute waren mit ihren Wagen eingefahren und hatten eine große Bühne in der Mitte des Platzes aufgestellt. Wenn ich doch nur gehen könnte, dachte sie traurig. Doch die Eltern würden es ihr niemals erlauben. Zurück in ihrem Zimmer, beschloss sie, trotzdem zu gehen.»
    «Aber werden die Eltern dann nicht böse?»
    «Nur, wenn sie’s rausfinden. Anastasia war eben schlau. Sie verkleidete sich als Zofe und schlich sich aus dem Haus. Niemand erkannte sie in den einfachen Kleidern. Sie mischte sich unter die Leute. Vor der Bühne hatte sich eine freie Fläche gebildet, auf der die Menschen tanzten, denn oben auf der Bühne spielten die Spielleute Musik. Gerne hätte auch Anastasia getanzt, doch sie getraute sich nicht.» «Wieso nicht?»
    «Sie wollte nicht riskieren, dass sie Aufmerksamkeit auf sich zog.»
    «Schließlich war sie sehr schön!»
    «Genau. Auch in den Kleidern einer Zofe. Sie stand also am Rand der Menge und sah den Tanzenden zu. Da blieb ihr Blick an einem jungen Mann hängen, der mitten drin am Tanzen war.»
    «Oh, jetzt verliebt sie sich!»
    Richard nickte. «Er tanzte sehr anmutig. Außerdem sah er nicht aus wie die Männer, die sie kannte. Er hatte ziemlich dunkle, olivfarbene Haut und trug einen Turban, der sein Haar verdeckte. Auch die übrige Kleidung war ungewöhnlich. Er trug weite, wehende Tücher, um die Mitte gegürtet. Außerdem tanzte er barfuß. Sie sah ihm zu, bis die Musik zu Ende war und er in der Menge verschwand. Sie versuchte, ihn wiederzufinden, doch es war unmöglich in all den Menschen. Also ging sie wieder zurück. Schließlich wollte sie nicht riskieren, dass ihr Verschwinden auffiel. Am nächsten Abend schlich sie sich wieder fort. Viellicht würde sie ihn wiedersehen? Auch am zweiten Abend wurde getanzt, doch diesmal war er nicht unter den Tänzern. Die Musik verklang an diesem Abend eher als am Abend zuvor. Anastasia war sehr enttäuscht. Die Musikanten räumten das Feld. Doch dann betraten drei Männer und drei Frauen die Bühne. Sie hatten ihre Körper mit Asche bedeckt und trugen dunkle Tücher. Man konnte sie kaum auseinanderhalten. In der Mitte der Bühne stand eine Schale, in der Feuer brannte. Die schwarzen Artisten entzündeten Fackeln, Trommelmusik setzte ein. Ein wunderschöner Tanz begann, geführt vom Rhythmus der Trommeln. Da erkannte sie ihn an seinen Bewegungen wieder. Er war einer der schwarzen Feuertänzer auf der Bühne.»
    «Und dann hat sie ihn sich geschnappt?»
    «Nein, sie musste zurück bevor der Tanz fertig war.»
    «Ooch.»
    «Keine Sorge, es geht noch weiter. Dann hat ihr Vater sie daran erinnert, dass ein Prinz von einem anderen Land auf Besuch kommen würde und dass er sich wünschte, sie würde ihn kennenlernen. Das machte ihr große Angst, aber sie sagte nichts zu ihrem Vater. Sie konnte ihm nicht erzählen, dass sie sich in einen Gaukler verliebt hatte und natürlich auch nicht, dass sie sich unerlaubter Weise hinausgeschlichen hatte. Nun war sie noch viel unglücklicher als zuvor. Schon bereute sie es, hinausgegangen zu sein. Sie wurde krank. Am Abend konnte sie den Prinzen nicht empfangen und auch nicht hinaus ans Fest gehen. Es war bereits der zweitletzte Abend, an dem die Spielleute da waren. Mitten in der Nacht wachte Anastasia auf. Sie hatte Kopfschmerzen und vermutlich Fieber, doch sie stieg aus dem Bett und öffnete das Fenster. Von hier aus konnte sie das Fest zwar nicht sehen, doch sie hörte leise die Musik. Ein Geräusch unter ihr, erschreckte sie. Jemand kletterte aus einem Fenster und die Hauswand hinunter. Sie sah, wie sich der Mann durch den Garten schlich. Sie sah nur seine Silhouette, doch sie erkannte ihn an seinem Gang. Ohne Zweifel war es der Tänzer, in den sie sich verliebt hatte.»
    «Was macht der denn im Haus der Prinzessin? Vielleicht hat er sie unter den Zuschauern gesehen und sich auch total in sie verliebt!»
    «Leider nein. Sie wäre ihm zu gerne gefolgt, aber es war schon zu spät, das Haus zu verlassen. Außerdem war sie ja krank und sie musste sich wieder hinlegen. Am nächsten Tag fühlte sie sich schon besser. Doch sie gab weiterhin vor, krank zu sein, damit sie den Prinzen nicht treffen musste. Stattdessen schlich sie sich wieder hinaus ans Fest. An diesem Abend traten echte Zauberer auf. Ein Mann wurde mit Öl übergossen und angezündet, ohne dass er verbrannte. Er saß einfach mit geschlossenen Augen auf der Bühne und brannte, ohne sich zu rühren. Das Feuer ging von selber wieder aus, er stand auf, verneigte sich, unversehrt. Ein Mann neben ihr klatschte und pfiff laut durch die Finger. Sie drehte sich zu ihm um und erkannte den Feuertänzer wieder. Die Musiker übernahmen wieder die Bühne und begannen ein fröhliches Lied. Der Feuertänzer bemerkte ihren Blick und lud sie höflich zum Tanz ein. Sie konnte nicht ablehnen, ließ sich von ihm mitziehen. Ein Lied lang tanzten sie zusammen und es war der schönste Moment in ihrem Leben. Sie war unglaublich glücklich. Doch dann war das Lied vorbei und der Mann tanzte mit einer anderen Frau. Es war eine Frau der Spielleute, sie sah wie sie sich küssten. Anastasia ging zurück und war trauriger als je zuvor. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Am nächsten Morgen war die Verabschiedung des Prinzen. Wenigstens da musste sie anwesend sein. Zusammen mit ihren Eltern und Bediensteten stand sie in der Eingangshalle. Der Prinz kam mit ein paar von seinem Volk. Und Anastasias Herz blieb stehen. Es war der Feuertänzer. Der Prinz war der Feuertänzer. Derselbe Mann.»
    «Deshalb ist er aus dem Fenster abgehauen!»
    «Genau, da ist auch er heimlich ans Fest geschlichen. Höflich entschuldigte sie sich bei dem Prinzen, dass sie ihn nicht hatte empfangen können und bat ihn, noch länger zu bleiben. Er nahm die Entschuldigung an, sagte jedoch, dass es Zeit war, wieder in sein eigenes Land zurück zu kehren. So ging er.»
    «Hat sie ihn niemals wiedergesehen?»
    «Wahrscheinlich nicht.»
    «Wie traurig.»
    «Ziemlich. Er hat dann die Frau von den Spielleuten geheiratet. Das gab ziemlich Aufruhr, doch der Vater des Prinzen nahm es damit nicht so ernst. Er hatte seinem Sohn auch erlaubt, mit den Spielleuten durch die Gegend zu ziehen. Wahrscheinlich fand er, dass sein Sohn die Welt so am besten kennenlernen konnte.»
    «Ich will auch mal die Spielleute sehen!»
    «Das würd ich auch gern», sagte Richard.

    Richard, in der Stadt (564 n. Rh.)
    Zusammen mit dem Alten und der Familie reihte sich Richard in den Strom der Menschen ein, die in die Stadt gelangen wollten. Je näher sie Caput gekommen waren, desto mehr Menschen hatten sich ihnen angeschlossen und nun standen sie vor dem offenen Tor, um eingelassen zu werden. Langsam aber stetig rückte die Schlange voran, brachte sie näher hin zu ihrem Ziel. Beeindruckt sah Richard an den hohen Mauern hinauf. Oben konnte er winzige Menschen erkennen, die hin und her liefen. Gerne wäre er auch einmal da hochgestiegen.
    «Richard.» Die Frau, Melanie, hatte ihn angesprochen. «Wenn wir gefragt werden, dann geben wir dich als unseren Neffen aus. Ist das in Ordnung für dich? Es wird die Sache einfacher machen.»
    «Was? Wie kommst du auf so eine Idee, Mel?», fuhr der Vater aufgeregt dazwischen. «Wenn die Wachen das mitkriegen, sind wir geliefert.»
    «Jetzt krieg dich doch wieder ein, Harold. Er ist ein kleiner Junge, wenn er da allein reingeht, dann wissen nur die Götter, was sie mit ihm anstellen werden. Hast du nicht die Geschichten gehört, dass Straßenkinder einfach verschwinden? Wir Menschen müssen zusammenhalten.»
    «Zzz, gerade klein ist er wirklich nicht mehr und an deine eigenen Kinder denkst du wohl gar nicht. Was glaubst du, hat es für Folgen, wenn die unserer Lüge auf die Schliche kommen.»
    «Das werden sie nicht, komm Richard. Du bist jetzt der Sohn meiner lieben Schwester Heidi. Nicht wahr? Sie hat dich uns anvertraut, damit du bei Onkel Theodor in der Gaststube arbeiten kannst. Du weißt doch, dass er sich recht gut durchschlägt, er ist sogar eine Kaste aufgestiegen. Und deiner Mutter geht es nicht so gut seit ihr Mann seinen Wachdienst leisten muss. Deshalb ist sie froh, sich um ein Kind weniger sorgen zu müssen.»
    Richard beäugte Harold, den Vater, unsicher, doch dieser schnaubte nur verächtlich, wandte sich ab und begann ein Gespräch mit dem Alten.
    Die Menschen rückten weiter, schon standen sie vor dem Tor. Einer der Wärter warf einen Blick auf die Säcke, die der Alte auf seinem Wagen mit sich führte und ließ sie dann eintreten. «Siehst du, Harold. Kein Problem», flüsterte Melanie ihrem Mann zu. Dieser zuckte mit den Schultern und brummelte etwas unverständliches. Der Alte verabschiedete sich, die Kinder streichelten den Esel ein letztes Mal, dann verschwand er mitsamt Esel und Karren in der Menge. «Was hast du jetzt vor?», fragte Melanie, an Richard gewandt.
    «Ich weiß nicht genau.» Er hatte einfach hierherkommen wollen. Weiter hatte er noch nicht gedacht. Jetzt da er sich in Caput befand, fühlte er sich noch verlorener als zuvor. Er hatte sein Ziel erreicht, und was nun? Hatte er etwa erwartet, dass Jakob angerannt kommen würde, um ihn zu begrüßen? «Wir gehen nun zu Onkel Theodor. Dort werden wir übernachten. Du kannst gerne mitkommen, wenn du möchtest.»
    Dankbar ließ Richard sich von der Familie mitziehen. «Seid ihr schon einmal hier gewesen?», fragte Richard Melanie neugierig.
    «Ja, schon mehrere Male. Aber es ist immer aufs Neue überwältigend. Ich habe jedes Mal Mühe, mich zurecht zu finden.» Im Stadtinneren war das Gedränge noch viel schlimmer als draußen. Sie bewegten sich durch eine Straße, in der viele Händler ihre Waren auf Tischen und Bänken feilboten. Gerne hätte Richard Zeit gehabt, die Kostbarkeiten näher zu betrachten, aber in der Menge konnte er kaum die Rufe der Händler hören, geschweige denn, ihre Waren sehen. Also ließ er sich einfach von den Menschen weiterschieben, immer darauf bedacht, den Anschluss an die Familie nicht zu verlieren. Plötzlich wurde die Straße breiter und ging in einen großen Platz über. Dies musste der Ort sein, an welchem sich die Spielleute einfanden, wenn ein Fest gefeiert wurde! Es war sogar ein Podest in der Mitte aufgestellt, aber es war recht klein und unbesetzt. Die Familie suchte sich ihren Weg am Rande des Platzes entlang. Dann bogen sie in eine weitere Straße ein, die ebenso bevölkert war wie die vorherige. Eine kleinere Gasse folgte. Endlich hatte Richard wieder Luft zum Atmen. «Wir sind gleich da. Unglaublich, das Gedränge.»
    Vor einem Gasthaus blieben sie stehen. Ein altes Schild hing über der Tür. Bei Uriels Bart, stand darauf. Ein seltsamer Name, dachte Richard, doch ihm blieb keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn Melanie, Harold und die Kinder waren bereits eingetreten. Richard folgte ihnen eilig. Stickige Luft und der Geruch von Tabak hüllten ihn ein. Er war noch nie in einem Gasthaus gewesen, deshalb brauchte er einen Moment, um sich orientieren zu können. Auf ihn machte Uriels Bart einen etwas düsteren Eindruck, was wohl daran lag, dass die schmutzigen Fenster das Licht nur gedämpft hereinließen. Sein Blick wanderte durch den Raum. Etliche Tische, alle aus Holz, aber völlig verschieden in der Form, standen wie willkürlich im Raum verteilt. An der Rückseite knisterte ein Feuer, obwohl es recht warm war. Zu Richards Linken befand sich eine lange Theke, hinter der ein großer, bärtiger Mann stand. Richard stellte sich unsicher neben Melanie, die bereits mit dem bärtigen Riesen sprach. Wie sich herausstellte, handelte es sich um Onkel Theodor. Während Harold die zwei Mädchen auf die Theke hob, damit sie ihrem Onkel die Hand reichen konnten, schaute Richard sich verstohlen weiter im Raum um. Die wenigen Gäste, die da waren, saßen um einen runden Tisch in der hinteren Ecke herum. Sie sahen nicht sehr vertrauenswürdig aus. Schnell wandte Richard den Blick wieder dem Wirt zu. «Und wer ist das da?» Onkel Theodors barsche Stimme dröhnte durch den Raum. «Der Sohn meiner Schwester Heidi. Richard. Haben wir dir nie von ihm erzählt?», fragte Melanie. Die Überraschung in ihrer Stimme klang echt. «Er ist das erste Mal in der Stadt.»
    Onkel Theodor beugte sich über den Tresen. «Ja, ja. Die Namen meiner Gäste kann ich mir merken, aber Familie… Wie lange bleibt ihr denn diesmal in der Gegend?»
    «Ungefähr eine Woche. Wir wollen die Kleine hier im Hauptsitz eintragen lassen. Das ist gut für ihr Karma.» Der Wirt nickte. «Karma, sicher. Geht schon mal rauf. Ihr könnt euch in der Gesindekammer einrichten, die ist grad leer. Ruht euch aus, ich wärm was vom Vorabend für euch auf.»
    «Vielen Dank, Theodor.»
    «Keine Ursache», brummte der Wirt, der jetzt ein neuer Onkel war.
    Richard folgte der jungen Familie die Treppe hinauf, die sich hinter der Theke befand. Eines der Mädchen gähnte herzhaft, ergriff seinen Arm und ließ sich von ihm nach oben ziehen. Eine neue Familie. Seine Brust schnürte sich zusammen. Onkel Johan, Vater, Mutter, Edwin. Was tu ich hier bloß? Ich sollte nicht hier sein bei einer neuen Familie. Ich sollte bei euch sein. Einen verzweifelten Moment lang stellte er sich vor, dass es der breite Rücken seines Vaters war, den er vor sich hatte und dass Edwin an seinem Arm zog, sein ganzes Gewicht ihm anvertraute. Wie schön wäre es gewesen, mit ihnen hierher zu kommen und die Wunder der großen Stadt zu erforschen. Schauten sie in diesem Moment auf ihn hinunter? Vater hatte gesagt, dass Mutter immer bei ihnen war. Aber wie konnte sie bei ihnen sein, wenn sie doch wiedergeboren wurde? Richard betrat die Gesindekammer, ein kleiner Raum mit zwei hölzernen Pritschen an den Wänden und nur einem kleinen Fenster, das noch ein wenig von dem verschwindenden Tageslicht eindringen ließ. Das Mädchen ließ seine Hand los und taumelte müde auf seine Mutter zu. Richard rollte sich auf dem Boden zusammen, die Pritschen überließ er der Familie. Irgendwo auf dieser Erde war vielleicht auch seine Mutter wieder ein kleines Kind, wohnte bei einer anderen Familie. Und auch sein Vater und Onkel Johan. Ob bereits genug Zeit seit ihrem Tod vergangen war? Waren sie denn bereits ein Teil des Lebens anderer? War auch Melanies kleine Tochter ein Vater oder eine Mutter von jemandem? Wurde auch sie nun schrecklich vermisst? Doch ein kleines Kind kann sich an nichts erinnern. Ich bin vergessen worden. Der Gedanke schmerzte, öffnete einen Spalt, in den die Dunkelheit eindringen konnte. Warum hatte Vater gesagt, dass Mutter immer an ihn denken und auf ihn aufpassen würde? Es war eine Lüge. Sie dachte längst nicht mehr an ihn, war ein Kind einer fremden Familie, erinnerte sich nicht. Er war verlassen worden. Wie feige es ist, zu sterben. Wie feige, einfach alles zurückzulassen und zu vergessen. Und wie feige, einen kleinen Jungen zurückzulassen, meldete sich eine leise Stimme in ihm zu Wort. So unwahrscheinlich es auch war, aber vielleicht war Edwin noch gar nicht tot. Vielleicht war er nun ganz allein, von Richard verlassen. Richard begann zu zittern. Er hatte ihn nun endgültig im Stich gelassen. Zu übermächtig war die Angst gewesen. Auch wenn er noch tagelang in der Hütte geblieben und auf ihn gewartet hatte, auch wenn er die Umgebung abgesucht und nach Edwin gerufen hatte. Womöglich hat das Feuer ihn verschlungen. Oder die Soldaten haben ihn mit sich genommen. Letzten Endes war er losgezogen, ohne Hoffnung, seinem Bruder je wieder zu begegnen. Er war losgezogen und hatte Edwin seinem Schicksal überlassen. Er presste die Hände fest auf die Augen. Warum bist du nur weggelaufen, Edwin?! Warum hast du nicht auf mich gewartet? Warum nur werde ich von allen verlassen?

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
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    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

    2 Mal editiert, zuletzt von RenLi (19. März 2017 um 15:43)

  • Ich möchte hier mal ein Kompliment aussprechen: Ich finde, du schreibst sehr klug und überlegt und schaffst es, philosophische Gedanken gut in deine Geschichten einzuweben, ohne dass ein trockener "Lehrtext" daraus wird. Und das schaffst du gerade durch deine tolle Darstellung von Gefühlen. Mir gefällt, wie du einzelne Passagen erzählst und auch Richards Stil, Geschichten zu erzählen ist autentisch. Mir gefällt deine Arbeit sehr gut, man findet selten so eine Intelligenz und Vielschichtigkeit in phantastischen Texten. Weiter so!

  • Hi Windweber
    Bin froh, dass der philo-teil nicht zu aufdringlich rüberkommt. Ich frag mich manchmal, ob der Fantasy-Aspekt nicht etwas zu kurz kommt. Wenigstens bringen Edwins Stellen den etwas mehr rein. Die Magie ist etwas versteckt in der Geschichte, kommt aber mir der Zeit noch mehr zum Ausdruck :) Deshalb geht's jetzt auch gleich mal weiter mit dem kleinsten der drei Helden:


    Edwin, Sternenhimmel (564 n. Rh.)
    Edwin rannte auf den großen Baum zu. Neben ihm hopste einer seiner kleinen Freunde auf und ab, verschwand, tauchte neben der Eiche wieder auf, von wo aus er ihm zuwinkte. Grinsend erreichte Edwin den alten Baum, drehte sich um und winkte Richard zu, der immer noch über den Sumpf stakste. „Bin auf dem Trockenen! Siehst du, Richard?!“
    „Ich seh’s“, lachte Richard. Juhui, er hat doch noch gelacht!, freute sich Edwin. Ein klingelnder Laut über ihm verriet ihm, dass das kleine Helferchen ebenfalls lachte. Er schaute hoch in die Krone des Baumes, wo mehrere der kleinen Wesen hockten und über den Sumpf schauten. Eines sprang hinunter und bedeutete Edwin, ihm zu folgen. Es führte ihn zuerst ein kurzes Stück den Weg hinauf, dann aber bog es ab in den Wald. Edwin schaute besorgt zurück. Er konnte Richard nicht mehr sehen. Es war auch schon beinahe dunkel. Aber sein kleiner Freund leuchtete matt in der Dämmerung. Der Kleine schüttelte sich, winkte Edwin weiter. Es überraschte Edwin, dass der kleine Kerl sich so bemühte. Bisher hatten sie ihn einfach in ihrer Nähe geduldet, manchmal hatten sie ihn auch mit ihrem zahnlosen Grinsen begrüßt, aber sonst hatten sie sich nicht um ihn gekümmert. Also folgte Edwin dem Kleinen durch das Gestrüpp und den immer dunkler werdenden Wald. Auf einmal blieb er stehen, denn er glaubte, Richards Stimme gehört zu haben. „Wo führst du mich hin, kleines Helferchen?“, fragte Edwin. Doch der Kleine winkte ihn nur weiter. „Ich muss zurück. Richard wird sich Sorgen machen.“ Das kleine Wesen stämpfelte mit dem Fuß auf die Erde und winkte ihn energisch weiter. Edwin hatte noch nie gesehen, dass eines der Wesen zu solchen Emotionen fähig war. „Das muss dir wirklich wichtig sein, was?“ Verunsichert schaute Edwin zurück, doch er sah nichts mehr. Alles war dunkel, bis auf die paar hellen Flecken, welche verrieten, dass sich noch mehr der Naturgeister um ihn versammelt hatten. „Aber ich muss bald wieder zurück, zu Richard.“
    Das Geistchen stämpfelte und führte ihn weiter. Immer mehr gesellten sich zu ihnen, erleuchteten die Umgebung mit ihren nebelhaften Körpern. Ein ganzer Strom von Wesen, die über die Äste der Bäume hüpften, sich über den Boden trollten. Edwin konnte sich kaum auf den Weg konzentrieren, sosehr faszinierten ihn die kleinen Wesen. Es war das erste Mal, dass er so viele auf einmal versammelt sah. „Ihr seid so wunderschön, wie die Sterne am Himmel“, hauchte er. Neben ihm lief eines, das ein noch kleineres auf dem Rücken trug. Es lächelte ihm zu, er lächelte zurück, und wäre beinahe über eine Wurzel gestolpert. Das glockenartige Lachen erklang und hüllte ihn ein. Edwin fühlte sich, als hätte er eine fremde Welt betreten. Voller Glückseligkeit lachte auch er, bahnte sich seinen Weg durch das Dickicht, umgeben von der Schaar leuchtender Geister. Sie betraten eine Lichtung, auf der bereits viele der Wesenheiten versammelt waren. Edwin schien es, als seien die Sterne tatsächlich vom Himmel gefallen und hätten sich hier unten auf der Erde eingefunden. Überall rings um die Lichtung saßen sie auf den Ästen der Bäume, lugten sie durch die Sträucher. Neugierig kamen einige näher, um ihn zu betrachten. Edwin ging in die Hocke und legte eine Hand vor sich auf den Boden. Ein ganz mutiges streckte seine Hand nach Edwins Finger aus, legte sie kurz darauf und zog sie gleich wieder zurück. Die Berührung war wie ein Windhauch auf der Haut und hinterließ ein kribbelndes Gefühl. War das kleine Wesen tatsächlich verlegen? Auch wenn er die Naturgeister schon seit je her kannte, fiel es ihm doch oft schwer, sie richtig zu deuten. Und so viel Neues ereignete sich heute an diesem Abend, dass er noch gar nicht alles einzuordnen vermochte.
    Ein seltsames Geräusch ließ Edwin aufhorchen. Waren das Schreie? Er stand auf und horchte. Seine kleinen Freunde waren auch unruhig geworden. Säuselnde Stimmern erfüllten den Raum und einige der Geister hatten die höchsten Spitzen der Bäume erklommen, von wo aus sie in die Ferne schauten. „Ist etwas passiert?“, fragte Edwin eines der Wesen, doch das wiegte nur den Kopf. „Ich muss zu Richard zurück.“ Schlagartig versammelten sich die kleinen Wesen um ihn, schlossen ihn ein in einem Meer aus leuchtenden Leibern. „Es tut mir leid, meine lieben Helferchen. Aber Richard macht sich bestimmt große Sorgen um mich.“ Sie rührten sich nicht. Aber er war sich sicher, dass sie ihn verstehen konnten. „Ich weiß gar nicht wie ich euch danken kann für dieses Erlebnis. Es wird für immer in meinem Herzen bleiben, das versprech ich euch. Aber nun muss ich wirklich zurück.“ Doch sie wollten ihn nicht gehen lassen. „Bitte.“
    In dem Moment ging ein Aufschrei durch seine kleinen Freunde. Sie stoben auseinander, verschwanden, erschienen wieder, nur um wieder zu verschwinden und an einem anderen Ort wieder aufzutauchen. Edwin wusste nicht, was vor sich ging. Er nutzte die allgemeine Verwirrung und bahnte sich einen Weg zum nächsten Baum. Er kletterte hinauf und nun sah er, was die Geister so verstört hatte. In der Nähe des Sumpfes brannte ein Teil des Waldes. Wie sehr musste es sie schmerzen, wenn ein Teil der Natur, welche sie so sehr liebten, in Flammen aufging. Schnell kletterte Edwin wieder hinunter. Er folgte den Wesenheiten, die ganz offensichtlich auf das Feuer zusteuerten. Ich will ihnen helfen, aber was kann ich tun? Eines der Wesen stellte sich ihm in den Weg. „Ich möchte euch helfen, wirklich!“ Edwin lief an dem Wesen vorbei, bevor er den Anschluss an die anderen verlor. Bald schon drang der Schein des Feuers durch die Bäume, endlich konnte er mehr sehen. Nun war er sich sicher, dass er Schreie hörte. Was ging da vor sich? Und was konnte er angesichts des Feuers tun? Vielleicht sollte er einen Kessel aus der Hütte holen, Richard würde sicher auch helfen, das Feuer zu löschen. Aber eigentlich war es unmöglich. Es hatte schon lange nicht mehr geregnet und die Flammen griffen wild um sich. Edwin sah, dass sie sich viel zu schnell ausbreiteten. Die kleinen Wesen schauten in die Flammen, wiegten die Köpfe und erfüllten den Wald mit lautem Klackern. Es dämmerte Edwin, dass er nichts tun konnte. Im Gegenteil. Hitze schlug ihm entgegen, sein Körper signalisierte ihm Gefahr. Ein brennender Baum stürzte um, krachte funkenstiebend in einen anderen, der ebenfalls Feuer fing. Die Hitze wurde immer unerträglicher, je näher die Flammenwand sich schob. Eigentlich hätte er längst umkehren und weglaufen sollen, aber Edwin rührte sich nicht. Er starrte in das Feuer, die wild tanzenden Flammen und auf einmal war seine Furcht wie weggeweht. Stattdessen breitete sich eine tiefe Ruhe in ihm aus. Es schien ihm, als sei die Zeit zum Stillstand gekommen. Edwin lächelte, während Tränen sich in seinen Augenwinkeln sammelten. Er breitete die Arme aus. Er fühlte sich, als wolle er die ganze Welt umarmen. Das Feuer war nicht dort und er hier. Er war nicht länger verschieden vom Feuer. Er war das Feuer. Die Hitze fühlte sich nun angenehm an auf seiner Haut. Es war Edwin, als würde er sich ausdehnen, immer weiter über den Wald hinaus, alles in sich aufnehmend. Das Feuer kam und hüllte ihn ein, durchdrang und erfüllte ihn bis es jeden Zentimeter seines Wesens erreicht hatte. Edwin tanzte den Tanz des Feuers, er fühlte den Herzschlag der Erde und löste sich auf in den warmen Wogen.

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

    5 Mal editiert, zuletzt von RenLi (19. Oktober 2017 um 15:25)

  • Ich frag mich manchmal, ob der Fantasy-Aspekt nicht etwas zu kurz kommt.

    Finde ich nicht. Gerade in der Low-Fantasy muss es nicht von Magiern, Drachenreitern und Geistern wimmeln. Man merkt, dass es nicht in einem historischen Setting spielt. In der Konzentration der phantastischen Elemente hat man in meinen Augen den größten nur denkbaren Spielraum, von einer Welt, die kaum von unserer zu unterscheiden ist bis zu einer, in der Fabelwesen und Magie absoluter Alltag sind.

  • Liebe RenLi,

    ich habe es mal wieder geschafft, ein Kapitel von dir zu lesen. Wohooooo \o/
    Also zuallererst: Mir gefällt dieses Kapitel außerordentlich gut. Du schaffst eine tolle Stimmung, beschreibst unheimlich gut. Ich liebe die Szene mit dem Prediger, in der du wirklich großartig das Kasten-System erklärst und in das Glaubenssystem Einblick gibst. Das ist sehr spannend und informativ und dabei überhaupt nicht trocken oder irgendwas.
    Also, ich muss wirklich sagen, dass mir das sehr gut gefällt.

    Im Spoiler findest du einige wenige Anmerkungen - keine Sorge, das sieht zwar viel aus, sind aber nur kleine Sachen.
    Ansonsten sind mir ein paar Wiederholungen aufgefallen.

    "Das ist richtig" benutzt du zweimal sehr dicht beieinander im Gespräch zwischen dem Prediger und Karin. Das zweite Mal könntest du ersetzen durch "Stimmt auch!" Oder das erste durch "Du hast Recht"
    Auch den Prediger benutzt du mehrmals. Da wären Pastor oder Pfaffe Alternativen.
    Ach ja und der Heini. Der Heini ist schon sehr präsent ;) Vielleicht schreibst du da mal Vogel oder auch einfach nur Mensch. Futzi ginge auch oder Clown :)

    So, das war es aber auch schon. Wie gesagt, es hat mir wirklich sehr gut gefallen und ich werde mit Freude das nächste Kapitel lesen.
    Ich finde wirklich, dass du sehr gut schreibst.
    Lg Shaylee


    Spoiler anzeigen

    Jamie schlängelte sich durch die Menschenmenge, die Straßen der Stadt entlang. Immer wieder blieb er stehen, um die Köstlichkeiten eines Essensstandes oder die vielen Tücher, Töpfe und Handwerksgeräte der Verkaufsläden zu betrachten.

    Ich nehme mal an, dass es mehrere Straßen in der Stadt gibt? Dann fehlt bei Straße ein s.
    Außerdem finde ich das Wort Essensstandes schwierig. Ich bleibe da total hängen ^^ Vielleicht wäre eines Standes mit Essen besser. Aber das liegt ganz bei dir.

    Sie nannte das riesige Haus mit Garten zwar nicht Waisenhaus, sondern eine Schule.

    Zwar erfordert eigentlich immer ein aber.

    Pechschwarzes Haar, nicht viel größer als er, oftmals seltsam gekleidet. Was ihn aber am meisten irritierte, war ihr Charakter und ihre Art zu Leben.

    Schließlich hatte Rosalie ihn erzogen. Seine Roslalie (? Rosalie oder?)

    «Richard! Was tust du bloß?

    hielt aber schließlich die Spieße Jamie und dem Kind widerwillig entgegen.

    Richten Sie Ihrem Vater meine besten Grüße aus.»

    Hier findest du ein paar Beispiele für Doppel-s und ß . Das scheint eine Schwäche zu sein bei dir, was aber seit der Rechtschreibreform vielen so geht. Eigentlich gibt es da eine einfache Regel. Kurze Laute wollen ein Doppel-s (muss, kuss, Schluss, dass z.b). Alles, was einen langen Vokal oder einen Umlaut hat, möchte gerne ein ß (groß, saß, bloß, Spieß, schließlich z.b)

    Ach die Liebe, dachte er und grinste. Sie würd ich glatt auf meine Reise mitnehmen, aber nur solange sie mich nicht aufhält.

    Gedanken kursiv - auch finde ich es ein bisschen komisch, dass er hier plötzlich von Liebe spricht, aber das mag nur mir so gehen.

    An soetwas wie ein Fegefeuer wollte er einfach nicht glauben.

    sowas ist Umgangssprache - da du sie ansonsten nur in den Gedanken oder der wörtlichen Rede nutzt, solltest du hier auch darauf verzichten.

    Und trotzdem betete er jeden Abend für sie.

    Das kommt mir komisch vor. Er hat etwas gegen die Religion, er glaubt nicht an das Fegefeuer, überhaupt fehlt ihm der Respekt vor jeglicher Religion. Und dann betet er jeden Abend?
    Der Satz an sich ist gut, den kannst du drin lassen, aber du solltest ihn ein wenig erweitert. Vielleicht reicht schon "betete er jeden Abend für sie, auch wenn er nicht daran glaubte, dass es etwas brachte."

    Da war der Prediger.

    Der Übergang ist mir zu krass. Ich bin hier völlig ins Stolpern geraten. Das kannst du leicht umgehen, indem du etwas schreibst, wie "Der Prediger stand mit erhobenen Händen ganz vorne" oder irgendwie so etwas. Dann ist klarer, dass ein neuer Abschnitt beginnt. Zumindest für mich.

  • Hallo Shaylee
    Du liest noch mit! Juhuuu!
    Danke, fürs Rückmeldung geben. Rosalie wäre bestimmt nicht glücklich über die Beleidigung ihres Names :P
    Der wichtigste Kommentar scheint mir der über Jamie. Ich hab ihn nicht korrekt rübergebracht. Eigentlich ist er recht 'religiös', aber auf seine eigene Art. Er kann die Gnosis nicht leiden - wegen seiner Geschichte mit Rosalie, seiner grossen Schwester, da kommt später noch mehr. Aber er glaubt daran, dass es irgendetwas grösseres gibt, einen Gott oder eine Kraft, irgendetwas. Nur nicht die Götterwesen, von denen die Gnosis predigt. Mal sehen, wo ich das noch reinflechten kann, damit man ihn besser versteht.
    Es geschieht so viel mit drei Hauptfiguren und ich hab noch so viel mit ihnen vor, dass ich schauen muss, dass ich die einzelnen nicht vernachlässige :)
    Übrigens sorry, falls ich nicht so fleissig mit Korrekturen bin. Das Überarbeiten ist nicht so meine Stärke. Wenn ich mich an den PC setze, dann will ich immer gleich weiterschreiben :P aber ich hol das noch nach!! bin immer froh um eine zweite Meinung!!

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

  • Liebe RenLi,

    Ja, ich lese noch mit, aber ich hatte unglaublich wenig Zeit die letzten Wochen (leider).
    Jetzt ist aber das Babymädchen endlich wieder auf dem Weg der Besserung und damit habe ich auch wieder mehr Zeit. Ich werde auch nachher noch den nächsten Teil von dir lesen ;)

    Zum Thema mit Jamie:
    Ahaaaa ... das ist eine wichtige Information. Den bisher klingt es wirklich so, als hielte er wenig bis gar nichts vom Glauben.
    Wenn du etwas einfügen willst, denke ich, wäre das hier eine gute Stelle.

    Schliesslich hatte Rosalie ihn erzogen. Seine Roslalie, Gott, oder was auch immer, möge sie beschützen.

    Da kannst du ansetzen mit "Jamie war nicht im eigentlichen Sinne gläubig. Zwar glaubte er, dass es da oben etwas oder jemanden gab, aber das, was mit dieser höheren Macht hier unten gemacht wurde, war ihm zuwider. Dieses ganze Kasten- und Kirchensystem, irgendwie konnte er nicht glauben, dass dies im Sinne irgendwelcher Götter war."
    Also, natürlich musst du das nicht so schreiben, ich hab ja keine Ahnung, wohin du willst. Das ist jetzt nur ein verbildlichtes Beispiel, damit du weißt, was ich meine :)
    Und dann kannst du ganz einfach mit der Fleischspieß-Szene weitermachen.

    Ich hoffe, das war jetzt nicht zu forsch und hilft dir weiter.
    Lg Shaylee

  • Das ist super! Da kann ich anknüpfen. Und was du zu Jamies Liebe zu Emilie geschrieben hast, das ist wirklich ein bisschen plötzlich, das nehm ich raus. Ausserdem könnte man es auch falsch verstehen, im Sinne von: die liebe Emilie.
    Und wie es der Zufall so will, geht es gleich mit einem Abschnitt über Jamie weiter. :)



    Jakob, der Fremde (561 n. Rh.)
    Jakob hatte Mar heute bei den anderen Straßenkindern gelassen. Dort war er viel besser aufgehoben und Jakob konnte sich endlich wieder mal frei in der Stadt bewegen. Seit Emilie sich um die kleine Gruppe von Kindern kümmerte, war sein Leben einfacher geworden, doch er konnte die ganze Arbeit nicht ihr überlassen. Vier kleine Kinder durchzufüttern und im Zaun zu halten war schließlich nicht ohne. Schon hörte er wieder Emilies tadelnde Stimme in seinem Kopf: Du sollst sie bei ihren Namen nenne, Jakob! Seraphina, Will und Hagar. Geht das nicht in deinen Kopf? Du demütigst sie, wenn du sie immer nur die Straßenkinder nennst. Manchmal machte sie wirklich ein riesiges Theater um Kleinigkeiten. Wie war es überhaupt so weit gekommen, dass er in diese Gruppe reingerutscht war? Er hatte doch unabhängig bleiben wollen. Eigentlich war Mar Schuld an der Sache, er zog die Kinder an wie ein Licht die Mücken. Aber dank ihm gehörte nun auch Emilie zu ihnen. Auch wenn sie ihm manchmal gehörig auf die Nerven ging, konnte er nicht abstreiten, dass er sie mochte. Und als Mann der Familie sah er es als seine Aufgabe, auf die Jagd zu gehen. Er konnte nicht müßig bleiben.
    Jakobs Magen knurrte. Immer musste er essen! Wie mühsam das doch war. Wie viel Zeit verbrachte er doch mit Klauen, Essen, Häufchen scheißen und so weiter? Was für eine Zeitverschwendung.
    Jakob lief durch eines der schmalen verlassenen Gässchen hindurch, die auf die Marktgasse führten. Schon stieg ihm der Geruch von Essen in die Nase. Wie beinahe immer war dieser Teil Caputs überfüllt mit Menschen. Und in dieser heißen Jahreszeit war es besonders unangenehm, sich zwischen den schwitzenden Leibern fortzubewegen. In dem Moment trat ein Mann in sein Blickfeld, der seine Aufmerksamkeit sofort fesselte. Wie magisch angezogen trat Jakob in die Gasse, folgte dem Mann mit dem Turban. Fasziniert beobachtete er das wehende Gewand, die Kettchen, die bei jedem Schritt leise klirrten. Das musste ein wahrer Guru sein. Ein reisender aus einer fernen Welt, ein Weiser vielleicht? Der Mann schritt mühelos durch das Getümmel. Jakob hingegen hatte Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Ein vollbeladener Karren schob sich zwischen sie, Jakob wurde angerempelt. «Halt!», rief er dem Mann nach. Er sah seinen Turban noch einen Moment über der Menge tanzen, dann war er außer Sicht. «Dich krieg ich!» Jakob kurvte um den Wagen herum, quetschte sich zwischen zwei dicken Männern hindurch, die ihm böse hinterherriefen. Er beachtete sie nicht, rempelte, schob, drängelte weiter durch die Menschenmenge. «Wo ist er nur?»
    «Suchst du mich?»
    Jakob drehte sich überrascht um. Da saß er, auf einem Fass vor einem Marktstand. Er grinste verschwörerisch, zwinkerte ihm zu.
    «Hunger?»
    Jakob wurde rot. «Ich komm zurecht.»
    Der Mann drehte sich um, wobei sein Schultertuch etwas verrutschte und die Sicht auf eine schwarze Malerei auf seiner Haut freigab. «Zwei Fladen mit Bohnenmus, bitte», sagte er zum Besitzer des Standes.
    Er streckte Jakob einen der Fladen hin. Jakobs Magen knurrte, Wasser lief ihm im Mund zusammen. Beschämt griff er nach der Köstlichkeit. Als er sah, dass der Mann herzhaft hineinbiss, beschloss er, es ihm gleich zu tun. Der würzige Fladen schmeckte einfach zu köstlich! Wann hatte er das letzte Mal so was gegessen? Er seufzte zufrieden.
    Der Fremde lachte. «Ohne Essen im Magen ist es schwer, das Leben zu genießen, nicht wahr?»
    «Das Leben genießen?» Das fing ja schon vielversprechend an! «Glauben Sie denn, das Leben sei zum Genießen da?» Jetzt konnte er ihn gleich auf die Probe stellen.
    «Warum nicht? Jedenfalls werde ich mich nicht quälen, wenn es nicht sein muss.»
    «Und wer bestimmt, was sein muss? Vielleicht tun wir etwas Böses und müssen bestraft werden», hakte Jakob nach.
    Der Fremde musterte ihn. «Wer sagt, denn, was Böse ist und was nicht?»
    «Eine Gegenfrage! Oho!» Was für ein spannender Kerl! «Aber eine nicht sehr einfallsreiche. Was gut und was schlecht ist, das weiß doch jedes Kind.» Damit hatte er wohl gewonnen.
    «Lass mich dir eine Geschichte erzählen.» Jakob blickte skeptisch. Geschichten waren seiner Meinung etwas für alte Menschen oder dann Kinder. Dem Fremden war sein Blick wohl nicht entgangen, denn er grinste in mit seinem schiefen Lächeln an und fuhr unbeirrt fort: «Es war einmal ein alter Bauer. Seine Frau war bei der Geburt des ersten Sohnes gestorben, deshalb lebte er allein mit ihm auf seinem Hof. Sie arbeiteten sehr hart, um sich über Wasser halten zu können. Eines Tages brach das einzige Pferd, das sie besaßen und das sehr wichtig für die Arbeit war, durch ein Loch im Zaun aus und sie konnten es nicht mehr finden.»
    «Dann hätten sie eben besser darauf Acht geben sollen!»
    Der Fremde legte einen Finger auf die Lippen, lächelte aber. «Die Leute des Dorfes besuchten den Alten und sagten: ‘Welch ein Unglück!’ Doch der Bauer zuckte nur mit den Schultern. ‘Glück, Unglück, wer weiß?’ Ein paar Tage später ging der Bauer auf die Weide und siehe da! Sein Hengst war zurückgekehrt, mit ihm fünf wilde Stuten. Die Leute kamen und sagten: ‘Welch ein Glück du doch hast!’ Doch der Bauer sagte nur: ‘Glück, Unglück, wer weiß.’ So ging es weiter. Der Sohn zähmte die Stuten und als er eines Tages auf einer ritt, da warf sie ihn ab und der Sohn brach sich das Bein. Nun musste der Bauer ganz allein die Arbeit auf dem Hof bewältigen und die Leute kamen und bedauerten ihn. ’Welch ein Unglück’, riefen sie. ‘Glück, Unglück, wer weiß.’ Krieg war ausgebrochen und alle jungen Männer wurden eingezogen. Nur der Junge des Bauern blieb zurück, denn sein Bein war noch nicht wieder ausgeheilt. ‘Welch ein Glück’, riefen die Leute.»
    «Ja, ja. Ich hab’s kapiert. Glück, Unglück, wer weiß. Aber warte, was hat das mit Gut und Böse zu tun?»
    Der Fremde zuckte mit den Schultern. «Passt sie oder passt sie nicht? Wer weiß.» Mit diesen Worten sprang er auf, die Fußkettchen klirrten.
    «Warte, wohin gehst du?»
    Der Fremde streckte sich genüsslich, wobei Jakob noch einen Blick auf die seltsame Malerei auf der bloßen Haut erhaschen konnte. Sie sah ein bisschen aus wie ein Auge, doch schon drehte sich der Mann weg von ihm und machte Anstalten weiterzugehen.
    «Warte! Du hast mir noch nicht den Sinn des Lebens verraten!» Jakob griff nach dem Arm des Fremden.
    Schwungvoll drehte dieser sich um, zog Jakob zu sich. Plötzlich war sein Gesicht ganz nah. «Der Sinn des Lebens.» Sein Atem roch nach Bohnenmus. «Lass mich dir einen Tipp geben: Du findest ihn da, wo du niemals suchen wirst.» Lachend verschwand er in der Menge.
    «Was soll das heißen? Warte!» Doch der Kerl war wie weggezaubert.

    Spoiler anzeigen


    So ungefähr sieht das Zeichen aus. Und übrigens: die Geschichte, die er erzählt, hab ich nicht selbst erfunden. Die hat mir mal ein Mann erzählt, der solche Geschichten liebt. :)


    Jakob streifte durch die Straßen der Stadt. Er konnte den Fremden nirgends finden. Ein komischer Kauz. Dort, wo du ihn nie suchen wirst? Ich werde einfach überall suchen! Er hob den Deckel einer Mülltonne an. «Juhuu, Sinn des Lebens? Bist du da drin?» Er kicherte. «Wer weiß.»
    Er suchte weiter, nach dem Mann wie auch nach dem Sinn, schaute sogar in ein paar Kneipen rein, doch vergebens. Dabei sah der Typ doch genauso aus wie einer, der sich gern mal ein Bierchen gönnt. Und was mochte wohl die Zeichnung an seinem Schlüsselbein bedeuten? Vielleicht war er in Wahrheit ein Verbrecher und das war das Zeichen seiner Organisation. Dann könnte er ihn überführen, würde viel Geld bekommen und mit Emilie irgendwohin gehen. «Oho! Auf geht’s!» Doch er fand ihn nicht.
    Also ging er zurück zu dem verlassenen Haus, in dem er nun mit den Kindern lebte. Emilie hatte es gefunden und bisher waren sie hier nie belästigt worden. Mar wartete schon auf ihn, als er auf der anderen Seite der Mauer landete. «Keine Sorge, Kleiner. Mich kriegen sie nicht», sagte er, als er den besorgten Blick des Jungen bemerkte. Es tat gut zu sehen, dass Mar nun nicht mehr ganz so dünn war, wie an dem Tag, als er ihn gefunden hatte. «Ist Emilie da?» Mar verneinte. «Und was hast du den ganzen Tag getrieben?» Mar nahm seine Hand und zog ihn mit sich. Sie durchquerten den verwilderten Garten und traten durch das Loch, welches die fehlende Tür hinterlassen hatte, ins Haus ein. Innerhalb der steinernen Mauern war es angenehm kühl. Sie befanden sich nun in der weitläufigen Eingangshalle. Auf den Fußboden waren in ungelenker Schrift Zeichen geschrieben. «Hast du das gemacht?» Mar nickte freudig. «Lernt Emilie dich schreiben?», fragte Jakob und konnte einen missbilligenden Tonfall nicht vermeiden. Sofort verdunkelte sich Mars Gesichtsausdruck. «Ach verdammt, tut mir leid, Mar. Ich freu mich ja, dass du was lernst.» Mar war tatsächlich wie ein offenes Buch. Auf seinem Gesicht konnte man alle Emotionen immer sofort ablesen. «Heute hab ich nen Kerl getroffen, der war echt irre. Keine Sorge, er hat mir nichts getan. Aber er hatte einen Turban auf und eine seltsame Zeichnung auf der Haut. Es hat ausgesehen wie ein schwarzes Auge.» Zufrieden stellte Jakob fest, dass Mar ihm mit großen Augen zuhörte. «Du hättest ihn sehen sollen. Und was er alles gesagt hat. Ich werd ihn wiederfinden, das versprech ich dir.»
    Lautes Rumpeln aus dem oberen Stockwerk ließ ihn in seiner Erzählung innehalten. «Wir sollten wirklich nicht so viel Krach machen, sonst wird doch noch jemand auf uns aufmerksam», erklang Emilies tadelnde Stimme vom Eingang her. Sie schritt würdevoll durch die Halle auf die Jungen zu. «Na, ihr beiden? Fleißig am üben?»
    «Hey, Emilie. Du wirst nicht glauben, was ich heute erlebt habe! Ich war gerade in der Marktgasse unterwegs-«, begann Jakob aufgeregt, doch Emilie unterbrach ihn: «Sag bloß nicht, du hättest schon wieder etwas gestohlen.» Vorwurfsvoll blickte sie ihn an. «Es gibt bereits genug Kinder im Gefängnis.»
    «Also erstens bin ich längst kein Kind mehr und zweitens werd ich mich nie erwischen lassen. Bin auch lange genug ohne dich ausgekommen!»
    Sie hob eine Braue, dann wandte sie sich von ihm ab und betrachtete Mars Krakeleien. «Die hast du sehr gut gemacht, du lernst schnell», lobte sie und Mar blickte voller Stolz zu Jakob. Doch der schnaubte nur und wandte sich ab. Es nervte ihn, dass Emilie den Kindern viel mehr Aufmerksamkeit schenkte als ihm. «Willst du nicht auch schreiben lernen, Jakob?», fragte Emilie.
    «Wozu denn? Hab ich bisher auch nie gebraucht», brummte er und verließ verärgert den Raum.
    So ging sein Leben weiter. Emilie kam immer mal wieder vorbei und brachte Essen mit, unterrichtete die Kinder im Schreiben und brachte Bücher. Mar und die anderen Kinder bettelten, Jakob klaute hier und dort mal etwas Essbares. Bisher hatte er sich nie erwischen lassen und das würde sich auch nicht ändern. Dafür war er viel zu schlau, zu flink und zu schnell. Die Tage vergingen, ohne, dass er den Fremden wiedersah. Und langsam vergaß er, weshalb er eigentlich in die Stadt gekommen war.

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

    2 Mal editiert, zuletzt von RenLi (19. März 2017 um 15:48)

  • Gefällt mir wieder sehr gut - gerade den geheimnisvollen weisen Fremden hast du gut rübergebracht, finde ich. Anfang schien er ja etwas Hedonismus zu vertreten - Sinn des Lebens ist demnach ja, möglichst viel Freude zu erleben und alles andere zu meiden. Was ich nicht ganz verstehe - warum antwortet er auf die Frage nach Gut und Böse mit einer Geschichte über Glück und Unglück? Gut, man könnte es parallelisieren, aber auch wenn aus dem moralisch Schlechten/Bösen etwas Gutes erwächst, bleibt es moralisch böse. Vor allem dann, wenn der Täter nicht wusste, dass etwas gutes daraus erwachsen würde. Mit Glück und Unglück verhält es sich anders, das stellt die Geschichte ja sehr schön dar. Aber auch Jamie ist sich dieses Probles ja bewusst, fragt nach - und der Fremde verschwindet eindach! Und ich bleibe mit Jamie ratlos zurück... Wie gemein! :D

    Sehr schön finde ich auch, dass dann erstmal die philosophische Sinnsuche hinter dem täglichen Überlbenskampf zurücktritt. Das ist realistisch.
    Dennoch hoffe ich sehr, der Fremde wird noch einmal auftauchen und sich erklären. ;)

  • Hab (noch) nicht alles gelesen. Du schreibst sehr viel xD
    Ich mag deinen schreibstil sehr gerne. Bis jetzt ist mir nichts negatives aufgefallen.

    Er richtete den Blick wieder nach vorne, zu Edwin, doch Edwin stand nicht mehr beim Baum.

    Da hab ich richtig Gänsehaut bekommen.
    Bin sehr gespannt wie die Geschichte weitergeht.
    Morgen les ich dann ab Post Nr 9 weiter xD

    Genesis: Sie ist Azathoth, das amorphe Chaos in der zentralen Leere
    Josh: Meine Prophetin!

  • Tadaaaa... nach nicht einmal ein drei Tagen habe ich den nächsten Teil gelesen. \o/

    Zuerst konkret zu diesem Teil - der hat mir sehr gut gefallen. Hier konntest du wieder wunderbar beweisen, wie gut du beschreiben kannst. Man kann sich wirklich wunderbar vorstellen, wie Edwin über diese Wiese springt und diese kleine Wesen beobachtet. Ich liebe solche Szenen und du schreibst sie wirklich gut.
    Auch der zweite Teil mit Richard hat mir sehr gut gefallen. Dieser kramphafte Versuch stark zu bleiben weiterzumachen. Und trotzdem spürt man den Schmerz und die Tragik. Und ich mag den neuen Teil, wo er auf diese Familie trifft. Das macht wirklich Interesse auf mehr. Und du hast das sehr glaubhaft rübergebracht.
    Das einzige, was mich immernoch durcheinanderbringt, ist die zeitliche Abfolge, ich muss immer noch dauernd nach oben scrollen, um mich wieder zurechtzufinden. :D

    Ansonsten findest du im Spoiler wieder ein, zwei Anmerkungen, aber nichts schlimmes - das mit dem ß ist wieder aufgetaucht, habe ich aber nicht mehr extra erwähnt :)

    lieben Gruß
    Shaylee

    Spoiler anzeigen

    Einmal schob es einen Stein beiseite, welcher das Wachstum einer Blume störte,

    hier kannst du "der" schreiben - das passt besser zu dem kindlich - niedlichen Charakter der Szene

    Nicht nur einmal versuchte er das auch wirklich zu tun, aber es war eine unmögliche Arbeit.

    ein unmögliches Vorhaben - ich glaube, das wäre die Formulierung.

    und rannte über die Wiese zurück zu dem kleinen Haus, vor welchem sein Vater stand. Dabei schlug er immer wieder Haken, um den farbigen Blüten auszuweichen.

    Ich liebe es, dass du auf dieses Detail achtest, nachdem du vorher gesagt hast, das Edwin keine Blumen verletzt.

    Wovor habe ich Angst? Wenn mir jetzt schon kleine Kinder Angst machen…

    kursiv, weil Gedanken.

  • So, liebe RenLi

    Jetzt habe ich aufgeholt in deiner Geschichte und bin immer noch ziemlich begeistert. Insgesamt ist alles sehr rund - bis auf einige Anmerkungen, die du wieder im Spoiler findest.
    Ich mag deinen Schreibstil sehr gerne und kann mich gut einfügen in deine Situations- und Ortsbeschreiungen. So gut, dass ich ich über Doppel-s und ß fast hinweg lesen kann ;)

    Eine Frage hätte ich aber doch - was bezweckst du mit der Geschichte auf dem Wagen? Sie ist schön und gut geschrieben, aber sie scheint mir keinerlei Zusammenhang zum Rest der Geschichte zu haben. Falls du sie noch für etwas späteres brauchst, dann solltest du das irgendwie andeuten. Falls du damit nur die Zeit vertreiben willst, dann ist sie ein wenig zu lang - ohne das ich wüsste, wo du kürzen könntest - denn bei einer solchen Länge gehe ich als Leser immer davon aus, dass die Geschichte eine größere Bedeutung hat.

    Ach und Emilie - hab ich das überlesen oder wie kommt sie plötzlich zu den Straßenkindern. Sie hat Jamie und Mar etwas zu essen gekauft, aber mehr war doch da nicht, oder?

    Nun ja, trotzdem alles in allem sehr spannend und gut geschrieben und ich freue mich auf den nächsten Teil.
    lg Shaylee


    Spoiler anzeigen

    Es holperte ein bisschen, aber das war gerade angenehm.

    Warum war das angenehm? Entweder du fügst das hinzu oder du nutzt eine andere Formulierung. "aber das störte ihn nicht weiter."

    Also erzählte er eine Geschichte, die er von einem Reisenden über die Stadt gehört hatte

    genau diese Worte nutzt du im Satz davor. Schieb doch noch was ein, vielleicht: "Also kam er ihrem Wunsch nach und kramte eine Erzählung aus seinem Gedächtnis hervor, die er..."

    Denn die Regierung war nur eine Marionette der Gnosis und das gefiel den Aufständischen nicht, denn sie hatten ein anderes Gottesbild als diese.

    Wortwiederholung - das zweite denn kannst du umgehen, indem du es durch "da sie" ersetzt. "da sie ein anderes Gottesbild als diese hatten."

    Viellicht würde sie ihn wiedersehen?

    Vielleicht

    Edwin, Sternenhimmel (564)

    Diese Jahreszahlen machen mich echt fertig :D

    Und als Mann der Familie war es seine Aufgabe, auf die Jagd zu gehen.

    Uärgs ... ja archaische Welt und Männer holen das Fleisch .. blablabla ... also nicht falsch verstehen. In die Welt, die du geschaffen hast, passt das schon rein und es muss jetzt auch nicht superemanzipatorisch sein, aber mit solchen Sätzen solltest du vorsichtig sein. Man schreckt erst mal zurück, vor allem, weil ja auch Emilie einiges zu machen scheint und weil du als Erzähler diesen Satz schreibst. Das wirkt schnell so, als wären deine Protas in feste Rollen gespresst und damit nimmst du dir viele Möglichkeiten, sie zu entwickeln. Du könntest Jamie diesen Satz denken lassen, dann distanzierst du dich ein bissche davon, ohne den Satz rausnehmen zu müssen.

    Ein reisender aus einer fernen Welt,

    Reisender

    Jamies Magen knurre, Wasser lief ihm im Mund zusammen

    knurrte

    Es gab kaum etwas, das er lieber mochte, als Geschichten.

    Da fehlt mir etwas - eine Begründung, warum er Geschichten mag. Er scheint mir bisher nicht der Typ dafür zu sein. Vielleicht etwas in der Art "Obwohl er so ein harter Bursche war, gab es kaum etwas..." oder auch "Auch wenn man es kaum von ihm gedacht hätte, gab es..."

    Ein ganz starker Teil - das hast du wirklich drauf.

    Dort, wo du ihn nie suchen wirst? Ich werde einfach überall suchen!

    kursiv - ist ja ein Gedanke, oder. Aber selbst, wenn nicht, dann würde ich das so handhaben, denn so wie es jetzt dasteht, wird der Satz leider ziemlich schwer lesbar.

  • Bin durch! :D

    Deine Geschichte ist wirklich toll. Ich wollte nur ein, zwei Teile lesen, konnte dann aber nicht aufhören <3

    Ich mag die kleinen Naturwesen. Sie sind wirklich niedlich. Ich frage mich nur, ob Edwin das Feuer unbewusst gelegt hat, oder ob er es gelöscht hat, oder ob er wirklich einfach zum Feuer wurde?
    Bin gespannt auf sein nächsten Auftritt.

    Die Beziehung der Brüder erwärmt jedes mal mein Herz. Wie er Richard anspringt obwohl er Messer schleift! Wie sehr Richard seinen Bruder vermisst. Der zusammenbruch bei der "neuen Tante" hat mir tatsächlich Tränen in die Augen getrieben.

    Auch Jamies Geschichte erzählst du gut. Zwar wäre es schön, mehr zu erfahren warum bzw wie Emilie nun dazu kommt bei den Waisenkinder zu sein (bzw so aktiv zu helfen), aber es ist auch ok so, wie es geschrieben ist.

    Genesis: Sie ist Azathoth, das amorphe Chaos in der zentralen Leere
    Josh: Meine Prophetin!

  • Wow, es ist echt schön, eure Antworten zu lesen!! Nochmals vielen, vielen Dank, dass ihr meine Geschichte lest!! :panik: bin ganz aus dem Häuschen!!!

    Das ging wirklich ein bisschen schnell mit Emilie. Eigentlich war Mar da der Initiant, davon könnt ich noch n Teil schreiben, mal sehen. Und Emilie versucht schon lange den Strassenkindern zu helfen, aber sie weiss nicht recht, wo sie anfangen soll. Deshalb kauft sie ihnen auch etwas zu Essen. Das hab ich allerdings noch gar nirgends drin, auch in Zukunft nicht. Das muss ich wirklich noch ändern.
    Die Geschichte, die Richard erzählt hat einen einführenden Charakter und einen tieferen Sinn. Sie erzählt etwas über das Leben der Stadt, wenn auch aus einer anderen Zeit und sie führt die Spielleute ein, welche später noch wichtig werden. Das Problem der Prinzessin, dass sie unglücklich ist, obwohl sie doch eigentlich alles hat, geht in die Sinnsuche hinein, wird jedoch nicht aufgelöst, da sie keine Lösung dafür findet und unglücklich bleibt. Darauf wird später noch eingegangen werden.
    Das mit den Gedanken ist so ein Ding. Da hab ich noch nicht die perfekte Lösung. Eigentlich ist es ja schon üblich, Gedanken kursiv zu schreiben. Aber da Richard am Anfang der Geschichte Wort denkt, die jemand anders gesagt hat, hab ich nur diese kursiv gemacht, um sie von seinen, sozusagen, 'eigenen' Gedanken abzutrennen. Aber jetzt seh ich, dass das verwirrend ist. Werd ich ändern. Die Stelle mit der Jagd macht das deutlich. Jamie denkt so, nicht ich als Erzähler. Das ganze Frauen-Männer-Bild wird auch später noch thematisiert im Zusammenhang mit der Religion des Landes. Die Gnosis hat da so ihren ganz eigenen Standpunkt...
    Tja, die Jahreszahlen. Das ist wirklich etwas verwirrend. Da muss ich mich auch immer wieder orientieren. Da müsste man beinahe eine Überblickstafel haben. Im Word hab ich das Navigationsboard, das hilft mir total, aber das habt ihr als Leser natürlich nicht. Bisher schreitet die Zeit zum glück innerhalb der Figuren nur vorwärts weiter. Mal sehen, ob das so bleibt... Ich hoffe es für euch :D

    Also dann, war etwas länger weg über die Tage, aber jetzt gehts weiter. Ich hoffe mal, dass es euch gefällt. und dass das Fehlen der ß (hu, es ist nicht mal auf meiner Tastatur drauf, gibts denn sowas????!!) nicht zu sehr stört.

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

  • Edwin, im Aschegewand (564 n. Rh.)

    Ruhe erfüllte ihn. Und eine angenehme Wärme. Noch keinerlei Gedanken hatten seinen Geist besetzt, nur langsam erwachte sein Bewusstsein aus den Tiefen des Schlafes. Es stieg an die Oberfläche, trieb eine Weile lang sanft dahin. Dann begannen sich Erinnerungen einzuschleichen. Ein Gefühl von Unruhe überkam ihn. Papa, Onkel. Schmerz kroch über sein kleines Herz und legte sich darauf. Instinktiv tastete Edwin nach der Hand seines Bruders, doch er griff ins Leere. Mit einem Mal schreckte er auf, saß kerzengerade da. Wo ist Richard? Panik ließ sein Herz flattern. In der Dunkelheit konnte er nichts erkennen. Schwindel griff nach ihm und er musste sich wieder hinlegen. Er ließ sich einen Moment lang Zeit, um sich zu beruhigen, dann horchte er in sich hinein. Richard war noch da. Papa war noch da. Er spürte sie in seinem Innern. Kribbelnde Wärme breitete sich in ihm aus und erfüllte ihn mit Freude. Er lauschte. Stille erfüllte die Welt, wunderschöne, geheimnisvolle Stille. Und aus ihr drangen Klänge an sein Ohr. Das leise Rauschen des Windes, der einsame Schrei eines Vogels. Wie schön es gewesen war, sich in den Flammen aufzulösen. Edwin atmete die Luft um ihn herum ein. Es roch nach Rauch. Er ertastete seine Umgebung. Er lag auf harter Erde, erspürte Moos und dürre feine Äste. Er befand sich noch immer im Wald. Hatte das Feuer ihn nicht mit sich genommen? Dieser Gedanke löste ein seltsames Gefühl in ihm aus. Er erkannte, dass es Trauer war. Eine Mischung aus Trauer und Sehnsucht. Er war noch immer hier, in dieser zwar schönen, aber doch beengenden Welt. Wo sollte ich denn sonst sein?, fragte er sich. Er erinnerte sich noch daran, dass er hatte sterben wollen, als sein Vater ihm erzählt hatte, dass Mama gestorben war. Er hatte sie besuchen wollen und da man sich die Welt nach dem Tod nicht so leicht vorzustellen vermochte, hatte er sie selbst entdecken wollen. Wie schön wäre es zu sterben, dachte er.
    Edwin stand auf. Seine kleinen Freunde waren nirgends zu sehen, aber nun, da sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, konnte er seine Umgebung schemenhaft erkennen. Er schaute nach oben und war sprachlos von der Klarheit des Himmels und der Sterne über ihm. Der Tod war längst vergessen. Inmitten der Sterne hing der Mond als kleiner silberner Faden am Nachthimmel.
    Edwin blickte sich um und sah mit Staunen, dass er genau an der Grenze zwischen verbrannten und gesunden Bäumen stand. Seltsam, dachte er. Weshalb bin ich nicht verbrannt? Er schüttelte sich die Asche vom Gewand und aus den schwarzen Haaren. Nicht einmal seine Kleider hatten Brandstellen. Was soll’s, dachte er. Anscheinend ist die Zeit für mich noch nicht gekommen. Er machte sich auf den Weg zurück zur Hütte. Er fand auch tatsächlich die Straße wieder. Hier bot sich ihm ein schreckliches Bild. Eines der Sumpfwesen lag mit abgetrennten Gliedmaßen und verdrehtem Körper auf der Straße. Schnell wandte er sich ab, froh um die Dunkelheit, die ihm das Schlimmste erspart hatte. Nun fing er an zu rennen, die Straße hinauf. Was war passiert? Zum Glück war das Haus nicht mehr weit weg, dort würde er Richard finden. Dann war alles in Ordnung. Nun tat es ihm leid, dass er nicht auf seinen Bruder gewartet hatte.
    Da sprang etwas aus dem Gebüsch und warf sich auf ihn. Er wollte schreien, doch die Gestalt war riesig und presste ihm eine Hand auf den Mund. Er versuchte sich zu wehren, doch schon konnte er sich nicht mehr rühren. Er lag mit der Wange auf die Erde gepresst auf dem Boden. Wie das Wesen, das er gesehen hatte. Götterwesen im Himmel, bitte bringt mich zu meiner Mutter, wenn ich sterbe, dachte er und schloss die Augen. Und lasst Richard und Papa nicht allein, vor allem Richard wird traurig sein.

    Richard, Demütigung (564 n. Rh.), Winter
    Melanie und ihre Familie waren bereits wieder abgereist. Nur Richard war zurückgeblieben. Seit seinem ersten Tag im Gasthaus bei Uriels Bart hatte er in der Küche gearbeitet. Auch heute stand er an der Spüle und wusch Teller und Töpfe im Trog mit kaltem Wasser aus. «Richard, wirf noch ein paar Scheite ins Feuer, sonst geht die Glut aus!», tönte Theodors barsche Stimme aus der Wirtsstube. Sofort ließ er seine Arbeit liegen, rieb seine Hände trocken und eilte in den anliegenden Raum. Ohne den Gästen Beachtung zu schenken lief er zur Feuerstelle hin, um Scheite nachzulegen. Es war tatsächlich nicht mehr viel von dem Feuer übrig. Er wollte sich ein paar neue Scheite greifen, doch zu seinem Schrecken musste er feststellen, dass diese ausgegangen waren. Also eilte er nach draußen, um neue zu holen. «Wo bleibst du denn?», hörte er Theodor fluchen.
    «Ich komme!», rief Richard und packte sich die erstbesten Holzstücke, die er zu fassen bekam. Damit beladen schob er sich durch die Tür und wankte in den Raum zurück.
    «Was willst du denn mit den paar wenigen Scheiten anfangen? Wofür haben wir denn den Korb da, he?» Richard ließ die Scheite nebens Feuer fallen und langte hastig nach dem Weidekorb. «Lass mich das machen, du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen. Streng mal deinen Kopf an, bevor du was tust. Jetzt wirf sie schon ins Feuer und dann zurück in die Küche mit dir.» Theodor schob sich mit dem Korb an Richard vorbei und hinaus in den Hof, wo die Holzbeige stand. Richard kniete sich hin und legte mit zittrigen Händen ein Scheit ins Feuer. Wie schaffte er es bloß, immer alles falsch zu machen? «He, Kleiner. Bring mir noch n Bier.» Richard zuckte zusammen. Hatte der Mann etwa ihn gemeint? «Ja du, komm mal her.» Richard stand unsicher auf und ging ein paar Schritte auf den Gast zu. Es war ein hagerer Kerl mit einer geflickten Lederjacke, wirr abstehenden Haaren und einer Narbe unter dem einen Auge. Die Männer, die mit ihm am Tisch saßen sahen nicht besser aus. «Wo hat der Alte Ted dich denn aufgetrieben? Mager wie du bist, bist du wahrscheinlich kaum zu gebrauchen. Lass dich ansehen.» Er streckte eine Hand nach Richard aus und zog ihn näher. «Siehst aus wie n Mädchen mit deinem feinen Gesicht. Vielleicht sollten wir dich in n paar Röcke stecken, dann hätten wir wenigstens mal was Ansehnliches hier in dieser Spelunke.» Lautes Gelächter erschallte und Richard spürte, wie er rot wurde. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte.
    «Tut mir leid, ich muss in die Küche», murmelte Richard mit gesenktem Kopf.
    «In die Küche will er. Siehst du Kleiner, du bist zur Frau geboren», höhnte der Mann und erntete erneutes Gelächter.
    «Ausziehn!», johlte einer und Richard blieb das Herz stehen. Mit einem lauten Knall fiel eine Tür zu, das Gelächter verstummte.
    «Richard!», schnaubte Theodor. «Die Scheite. Ins Feuer!» Der Gast ließ Richard los. Sofort drehte Richard sich um und wäre beinahe über seine eigenen Füße gestolpert. Das Gelächter ließ auch nicht auf sich warten und Richard beeilte sich, die Scheite ins Feuer zu legen. Mit glühenden Ohren verschwand er in der Küche.
    Frustriert und beschämt packte er die Scheuerbürste umso fester und schrubbte seinen Ärger an der Pfanne aus. Wenn ihm doch nur eine bessere Antwort in den Sinn gekommen wäre. Doch was hätte er denn sagen können? Du siehst selbst aus wie ein Mädchen. Oder: dafür bist du hässlich wie ein, ein Sumpfmonster. Ach, es bringt alles nichts. Wenigstens dieses eine Mal war er Theodor dankbar. Richard war sich nicht sicher, ob sie ihn tatsächlich in Mädchenkleider gesteckt hätten, wenn der Wirt nicht gekommen wäre. Während er abwusch merkte er, dass er dringendst das stille Örtchen aufsuchen musste. Doch er traute sich nicht nochmal hinaus in die Wirtsstube. Nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Also scheuerte er weiter und versuchte, den Druck auf seiner Blase zu ignorieren. Bald hüpfte er von einem Bein aufs andere. «Richard, wärm die Suppe auf und stell zwei Teller auf den Tresen!»
    Richard schaute sich in der Küche um und entdeckte den großen Topf mit Suppe unter der Spüle. Er packte ihn an den Henkeln an und zog ihn unter der Spüle hervor, doch er konnte ihn nicht anheben, er war zu schwer. Also holte er eine Kelle, um einen Teil in einen kleineren Topf umzufüllen. «Was tust du denn da? Und gib gefälligst Antwort, wenn du mich gehört hast!» Richard fuhr vor Schreck auf. «Tut mir leid, er ist zu schwer», brachte er hervor. «Das nächste Mal geb ich Antwort.»
    Theodor hob den Topf mit einem Ruck auf den Holzofen in der Küche. «Pass auf, dass sie nicht überläuft. Und was ist das für ein Fleck auf deiner Hose?» Richard sah an sich hinunter. Tränen der Verzweiflung traten ihm in die Augen. «Ist das dein Ernst? Wie alt bist du eigentlich? Nun geh schon rauf und zieh dir was Frisches an!»
    Richard stolperte aus der Küche. Wenigstens war die Treppe gleich neben der Küchentür. Er rannte hinauf ohne einen Blick in die Wirtsstube zu wagen. In der Gesindekammer zog er die Hose aus und roch an der nassen Stelle auf seiner Hose. Er hatte sich in die Hosen gemacht, von dem Schreck, als Theodor plötzlich in die Küche gekommen war. Er warf die Hose in eine Ecke. «Ich krieg das nicht hin», wimmerte er. «Papa, ich schaff es nicht. Ich bin einfach nicht gut genug.»

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

    4 Mal editiert, zuletzt von RenLi (19. Oktober 2017 um 15:31)

  • Das ist aber ein düsteres Kapitel! Aber auch diese Seiten von körperlicher und seelischer Gewalt gehören zum Leben, das natürlich auf der Suche nach dessen Sinn von allen Seiten beleuchtet sein will. Und das hast du echt gut gemacht. Gerade Richards Passage. Da habe ich viel Mitleid.
    Ein paar winzige Kleinigkeiten:

    Inmitten der Sterne stand der Mond war als kleiner silberner Faden am Nachthimmel.

    Da hast du zwei Prädikate (stand und war) für ein Subjekt (der Mond).

    Zu seinem Schrecken stellte er fest, dass die Scheite ausgegangen waren.

    In dem Zusammenhang würde ich satt "ausgehen" "leer/alle waren" nehmen, da zumindest ich zunächst das ausgehen im Sinne von verloschen verstanden habe (es wäre vom Feuer nur Glut übrig).

    dass er dringendst die Toilette benutzen musste.

    Toilette klingt für mich zu modern. Da würde ich ein Synonym benutzen.

    Aber echt klasse! Weiter so! Hoffentlich trägt all das Leid auch etwas für Richards Suche aus und es war nicht umsonst für ihn...

  • Richard war noch da. Papa war noch da.

    Hui, Lebt der Vater doch noch?
    Ich mag so kleine Hints.

    Seltsam, dachte er. Erschüttelte sich die Asche vom Gewand

    Da fehlt ein Leerzeichen :)

    Zu seinem Schrecken stellte er fest, dass die Scheite ausgegangen waren.

    Ich stimme Windweber zu. Ich dachte auch erst, das Feuer wäre aus und war etwas verwirrt.

    Es schnürrte mir die Kehle zu, du kannst sehr ergreifend schreiben. "Nichts kann man richtig". Lieber Richard, das liegt nicht an dir sondern an denen, die dich nie loben, oder dir Sachen besser erklären. Da ich selber eine solche Chefin habe und meine geliebte Mutter das auch kann, fühle ich sehr mit Richard mit. Egal was man tut, irgendwas ist immer falsch und man bekommt richtig Angst irgendwas zu machen.

    Ich hoffe auch dass alle drei glücklich werden, gerade vor allem Richard xD

    Genesis: Sie ist Azathoth, das amorphe Chaos in der zentralen Leere
    Josh: Meine Prophetin!

  • Liebe RenLI,

    erstmal zu deiner Antwort, dann zu deinem Text :D
    Vielen Dank, dass du so genau auf meine Anmerkungen eingegangen bist, es ist immer schön zu wissen, das man nicht im Sand verläuft :)

    Die Geschichte, die Richard erzählt hat einen einführenden Charakter und einen tieferen Sinn.

    Ah, gut zu wissen. Vielleicht kannst du ja am Ende der Geschichte etwas einfügen wie "Eine schöne Geschichte, aber warum erzählst du genau diese?" Und Richard antwortet dann: "Man weiß nie, wann das mal wichtig wird" ... Oder so - ist nur ein Vorschlag, aber da die Geschichte wirklich sehr lang ist, wäre es vielleicht nicht schlecht, den Leser irgendwie wissen zu lassen, dass sie eine Rolle spielt.

    Tja, die Jahreszahlen. Das ist wirklich etwas verwirrend. Da muss ich mich auch immer wieder orientieren.

    Hm, also, wenn du selber damit Probleme hast, wie soll dann der Leser da durchsehen? Und ich muss mich zu Beginn jeden Kapitels immer erst einmal orientieren, was ich für das normale Lesen einigermaßen schwierig finde. Vielleicht könntest du dir irgendeine Einordnung überlegen, 564 v. wieauchimmerdeinGottheißt. :D Dann würde man die Zahlen zumindest eher als Jahreszahl wahrnehmen - vielleicht hilft das ja schon.

    und dass das Fehlen der ß (hu, es ist nicht mal auf meiner Tastatur drauf, gibts denn sowas????!!) nicht zu sehr stört.

    das "ß" ist eigentlich auf jeder Tastatur auf der selben Taste, wie das Fragezeichen - zumindest so weit ich weiß. Und ich bin ehrlich - ich überlese das zwar, aber es stört mich schon und ich würde fast vermuten, dass es nicht nur mir so ginge. Davon abgesehen wirst du es ja ohnehin irgendwann korrigieren müssen, warum also nicht in den neuen Teilen schonmal den Hinweis umsetzen, dann hast du später weniger Arbeit ;)

    So, nun aber zu deinem neuesten Kapitel.
    Anmerkungen zum Text direkt findest du wie immer im Spoiler, hier noch einen kleinen inhaltlichen Eindruck.
    Prinzipiell gefällt es mir wieder gut. Du greifst die vorherige Stimmung gut auf, die Szenen wirken auch nicht überzogen und dein Schreibstil ist gewohnt flüssig.
    Ich finde allerdings, das der Teil mit Edward irgendwie ... hm...keine Ahnung, leerer wirkt, als die anderen vorher. Ich habe das Gefühl, du hast dir weniger Zeit genommen dafür als zuvor. Diese Sache mit dem Feuer z.B.: Er weiß, dass er zu Flammen wurde, aber er wundert sich gar nicht darüber? Bei aller kindlichen Unvoreingenommenheit, aber wenn das noch nie zuvor passiert ist, würde er sich nicht wenigstens wundern, dass er sich nirgends verbrannt hat? Und warum fragt er sich gar nicht, wo die kleine Waldwesen geblieben sind?
    Den Teil mit Richard widerum fand ich sehr schön rund. Das hast du gut eingefangen, diese Demütigung des kleinen, schmächtigen Küchenjungen und seine Angst alles falsch zu machen. Gefiel mir gut.

    So, nun aber noch den Spoiler und dann soll es das gewesen sein
    lg Shaylee

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    Richard war noch da. Papa war noch da. Er spürte sie in seinem Innern.

    Ein tolles Bild, dass du da zeichnest - ich gehe davon aus, das der Papa tot ist (kann mich aber auch irren - diese blöden Jahreszeiten :D ) und ich mag die Idee, dass niemand tot ist, solange man ihn im Herzen trägt.

    Stille erfüllte den Raum, wunderschöne, geheimnisvolle Stille.

    Raum? Er ist doch im Freien, oder? Dann lieber Umgebung.

    s musste eines der Sumpfwesen sein, welche bei Neumond aus ihren Eiern schlüpfen.

    Du hast vorher schon Wesen geschrieben und dass es kein Mensch ist. Dann kannst du das Ding hier beim Namen nennen, sofern du schon einen hast.

    Ohne den Gästen Beachtung zu schenken(,) lief er zur Feuerstelle hin, um Scheite nachzulegen.

    Richard liess die Scheite nebens Feuer fallen und langte hastig nach dem Weidekorb.

    neben das ---> nebens ist umgangssprachlich. In wörtlicher Rede okay, im Fließtext nur sehr bedingt.

    Die Männer, die mit ihm am Tisch sassen(,) sahen nicht besser aus.

    Oder: dafür bist du hässlich wie ein, ein Sumpfmonster. Ach, es bringt alles nichts.

    Stottern macht nur in wörtlicher Rede Sinn, in Gedanken eher nicht. Falls "Ach ... nichts" ein Gedanke ist, dann bitte hier unbedingt kursiv setzen, damit es sich von den anderen Sätzen abhebt. Sonst verwirrt der Satz durch das plötzliche Präsens ziemlich.

    Während er abwusch(,) merkte er, dass er dringendst die Toilette benutzen musste. Doch er()traute sich nicht nochmal hinaus in die Wirtsstube.

    Leerzeichen fehlt

    Nun geh()schon rauf und zieh dir was Frisches an!»

    Leerzeichen fehlt