Hallo zusammen
Phu, ich habs noch geschafft. Heute gehts für zwei Wochen in die Berge. Wiedermal ohne Internet und nix. Sorry für die Pause, ich hatte gerade viel um die Ohren. Da bin ich doppelt froh, hab ich diesen Teil noch hingekriegt. Ein schöner Ausflug, um sich von dem ganzen drohenden Unheil etwas zu erholen.
Jakob, die Welt der Toten (564 n. Rh.)
Als Jakob erwachte, lag er in seinem Zelt auf dem Rücken. Abertausende Sterne leuchteten ihm entgegen und es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass dies nichts Gutes bedeutete. Sofort sprang er auf, taumelte mit noch immer steifen Gliedern zum Zeltausgang und sah sich den Schaden von außen an. „Das Dach ist weg!“, rief er erstaunt und blickte sich nach dem fehlenden Stück um.
Da erblickte er Venja, die doch tatsächlich an dem braunen Leder kauend vor ihm davonlief. „He!“, rief Jakob ihr nach und rannte hinterher. „Venja, gib das zurück!“
Sie rannte voran und blieb vor einem riesengroßen Baum stehen. Die Äste reichten bis in den Himmel hinauf und nun sah Jakob, dass die Sterne daran hingen, so zahlreich wie Eckern an einer Buche.
„Das muss der Weltenbaum sein“, flüsterte Jakob beeindruckt. Woher er dies wusste, war ihm zwar schleierhaft, aber er war sich sicher, dass es stimmte.
Er ging zu den gigantischen Wurzeln, die an manchen Stellen so dick waren wie der Ducatus und Jakob sah gerade noch wie ein weißer Affe mit seinem Zeltstück im Laub des untersten Astes verschwand. Jakob begann die erste Wurzel zu erklettern und zu seiner Überraschung ging das ganz leicht. Wie eine Spinne bewegte er sich den glatten Stamm hinauf, bis auf den untersteh Ast und folgte dann dem Affen weiter nach oben. Immer weiter stiegen sie, immer höher, bald hatten sie die Höhe der ersten Sterne erreicht. Doch obwohl Jakob ein so guter Kletterer war, war der Affe immer ein Stück voraus. Und plötzlich sah er ihn nicht mehr. Ich muss zur Krone hoch, dachte Jakob. Ich bin mir sicher, dass er dort auf mich wartet.
Also stieg er höher und höher, der Stamm wurde auf einmal dünner. Weit konnte es nicht mehr sein! Nun konnte Jakob ihn mit beiden Händen umgreifen. Hier oben gab es keine Äste mehr und Jakob blickte nach unten. Alle Äste des Baumes breiteten sich über die Erde aus wie ein Netz von Adern und unter ihm leuchteten die Sterne. Jakob hätte sich bei dem Anblick beinahe verloren, doch dann erinnerte er sich daran, dass da oben jemand auf ihn wartete. Also kletterte er weiter, hielt bald nur noch ein dünnes Seil zwischen den Händen, hangelte sich daran hoch und höher. Über ihm war alles finster, das Licht der Sterne, die er weit unter sich zurückgelassen hatte, reichte nicht mehr bis hier hinauf.
Jakob zuckte zusammen, als ihm ein eiskalter Tropfen auf den Scheitel fiel. Er blickte nach oben und sah eine hauchdünne Schicht Wasser über sich. Vorsichtig streckte er eine Hand danach aus. Sie war kalt, aber nur ein paar Haarbreiten dick. „Nichts wie durch“, sagte er sich und kletterte weiter.
Eine kalte aber kurze Zeit später war Jakob oberhalb der Schicht angekommen. Nass war er erstaunlicherweise nicht und was noch viel verwunderlicher war, war die Tatsache, dass sich über dem Himmel eine grüne Wiese befand. Guten Mutes überquerte Jakob die Wiese, betrachtete die hübschen Blumen, den wolkenlosen Himmel über ihm. Eine Sonne konnte er zwar nirgends entdecken, trotzdem aber war es taghell. Weshalb er eigentlich hergekommen war, hatte er inzwischen vergessen, doch er wusste, dass jemand auf ihn wartete. Also ging er zielstrebig weiter, durchquerte einen kleinen Wald, schritt über eine hölzerne Brücke, unter der ein Bächlein sich durchschlängelte und erblickte einen Hügel. Dort oben!
Sie saß neben einer alten Linde, oben auf dem Hügel. Das blonde Haar, ebenso hell wie seins, fiel ihr in sanften Wellen über den Rücken. „Rosalie!“, rief Jakob und rannte so schnell ihn seine Beine trugen den Hügel hinauf. „Rosalie!“
Endlich drehte sie sich ihm zu und ihr Gesicht war noch viel schöner, als er sich hatte in Erinnerung behalten können. Schluchzend schloss er sie in seine Arme. Früher hatte er ihr nur bis zur Brust gereicht, nun war er einen guten Kopf größer als sie.
Schweigend wiegte sie ihn in ihren Armen. „Du bist es wirklich! Hätte ich gewusst, dass du hier bist, dann wäre ich viel eher gekommen!“, stammelte er.
„Das weiß ich doch“, entgegnete sie und hielt ihn auf Armeslänge von sich weg. „Du bist groß geworden“, sagte sie schmunzelnd.
„Ja, schau mal, ich bin so viel größer als du!“, grinste Jakob und wischte sich die Tränen weg. „Ich muss die so viel erzählen! Oder noch besser! Du kannst mit mir wieder nach unten kommen!“
Seine Begeisterung verflog, als er ihr ernstes Gesicht sah. „Du kannst nicht mitkommen?“
Sie nickte. „Ich bin gestorben, Jakob. Ich kann nicht wieder nach unten.“
„Aber du bist hier! Wo sind wir überhaupt?“
„Wir sind in der Oberen Welt“, erklärte sie. „Hierher kommen die Seelen von Verstorbenen, wenn sie sich auf die nächste Reise begeben.“
„Die Spielleute haben also Recht!“, rief Jakob verblüfft.
„Es geht nicht darum, wer Recht hat, Jakob.“
„Und warum bist du noch hier? Solltest du nicht weitergehen?“
„Ich bleibe noch ein wenig hier“, antwortete sie mit einem Lächeln. „Ich könnte dich doch nicht alleine lassen.“
„Wirklich? Du warst immer bei mir?“
Sie nickte. „Von hier oben habe ich dich beobachtet, manchmal durfte ich dich sogar beschützen. Erinnerst du dich an den Tag, an dem du in Caput beinahe umgebracht worden wärst? Da habe ich dir Ananda geschickt. Oder als du beinahe ertrunken wärst? Oder in der Steppe, als du beinahe verdurstet wärst? Venja ist nicht ohne Grund zu dir gekommen. Sie ist eine ganz besondere Stute und es ist eine Ehe, dass du sie überhaupt reiten darfst.“
„Was?!“ Jakob konnte kaum glauben was er da hörte. Durch seinen Kopf tanzten gleich mindestens hundert Fragen durcheinander. „Das hast alles du gemacht? Wie hast du Ananda geschickt? Was ist das überhaupt für einer? Ist er nicht irre? Und was ist mit Venja, klar sie ist wirklich ein besonderes Pferd, aber noch besonderer als ich dachte?“
Rosalie lachte. „Du bist noch immer so energiegeladen wie als kleiner Junge.“
„Klar, mich kann keiner unterkriegen“, entgegnete er.
„Da bin ich sehr froh darüber. Zuweilen dachte ich schon, du würdest deine Freude verlieren. Aber seit du bei den Anchin bist, scheinst du dich erholt zu haben“, sagte sie noch immer lächelnd.
„Kann ich nicht bei dir bleiben, Rosalie?“, fragte Jakob nun leise. Wenn er bei ihr war, dann fühlte er sich wieder wie der kleine Junge, der er einmal gewesen war. Behütet und geborgen.
Doch sie schüttelte den Kopf. „Du gehörst in die Mittlere Welt, in die Welt der Lebenden. Aber du kannst dir sicher sein, dass ich dich nie alleine lassen werde. Und auch Venja passt auf dich auf. Du kannst ihrem Urteil vertrauen, Jakob. Wenn sie einen Weg einschlägt, dann folge ihr, in Ordnung?“
Jakob nickte unwillig. Er wollte sie doch so gerne mit nach unten nehmen…
„Wolltest du mich nicht noch etwas wichtiges fragen? Du bist doch nicht nur hier, um mich zu sehen, oder?“
„Doch!“, rief er sofort, doch gleichzeitig wusste er, dass sie recht hatte. „Nun gut, es passiert wirklich gerade sehr viel, was ich nicht verstehe. Weißt du, was wir tun sollten? Sollen wir den Menschen aus dem Dorf helfen oder sollen wir einfach weiterziehen? Das kann nicht sein, oder? Wir können sie doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, oder?“
„Da hast du deine Antwort.“
„Dann sollen wir ihnen also helfen?“
„Hör auf das, was dein Herz dir sagt.“
„Keine Ahnung, das kann doch nicht sprechen“, murrte er.
„Bist du sicher? Es spricht vielleicht nicht in Worten, seine Nachrichten sind aber dennoch klarer als jedes Wort.“
„Reden alle Toten so geheimnisvoll?“, fragte er etwas verstimmt. „Du sprichst wie Ananda. Warte! Heißt das, er ist auch tot?“
Lachend fuhr sie sich durch ihr blondes Haar. „Nein, er ist so lebendig wie du. Aber er ist nun mal so. Mach dir wegen ihm keine Sorgen. Er mag etwas eigen sein, aber er ist ein guter Mensch. Hör auf das, was er dir sagt, er ist ein weiser Mann. Aber viel wichtiger, hör auf dein Herz. Es ist der beste Kompass überhaupt.“