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Da ich hierzu nicht viel zu sagen habe: Viel Spaß
Ich lebe
Schutt und Steine, aus denen Reste von Nägeln und Stahlträgern ragten, rissen mir die Hände auf, als ich mich aufstützte und stolpernd auf die Beine kam.
Ich hustete und presste mir den Handrücken vor den Mund, damit ich in der staubigen Luft überhaupt atmen konnte. Blinzelnd versuchte ich den Mädchenkörper ausfindig zu machen, auf den ich mich bei der Explosion schützend geworfen hatte. Als ich ihn fand, ging ich in die Hocke und tastete nach ihrem Puls. Sie lebte und abgesehen von einer Platzwunde am Kopf schien sie unversehrt zu sein.
Ich selbst spürte keine Schmerzen. Ich wusste, dass das ein Irrtum war, dass die Schmerzfreiheit durch die Droge herbeigeführt wurde. Ich konnte meine Schulter nicht sauber bewegen und klebriges Blut färbte die grüne Hose an meinem rechten Oberschenkel braun. Ich drehte das Bein etwas und erkannte, dass ein Stahlstab in der Rückseite steckte.
Halleluja! Aber ich war schon mit Schlimmerem zurecht gekommen.
Mit zitternden Armen wuchtete ich das Mädchen hoch. Sie war nicht richtig bei Bewusstsein. Ihre Atmung ging zwar gleichmäßig, aber ihre Augenlider flatterten. Schlaff hingen ihre Beine herunter. Mit schweren und unsicheren Schritten bahnte ich mir einen Weg durch die Trümmer. Der Staub legte sich und mein Gehör kehrte nach dem ohrenbetäubenden Knall langsam zurück. Blaue Lichter flackerten über die Ruine, in der ich mich bewegte und Stimmen, die ich nicht verstand, drangen wie durch Watte an meine Ohren. Endlich wurde einer der Helfer auf uns aufmerksam und stürmte in unsere Richtung.
„Sarah! Gott sei Dank!“, rief er. Als er uns erreichte, erkannte ich, dass Tränen helle Spuren auf seinen schmutzigen Wangen hinterlassen hatten. Lautlos weinend beugte er sich über das Mädchen. „Sarah! Sie lebt!“
Ich nickte müde. Was sollte ich auch sagen? Ich ließ zu, dass er Sarah die zerzausten Haare aus dem Gesicht strich und sie mir dann aus dem Armen nahm. Er schenkte mir ein flüchtiges Lächeln, dann wandte er sich ab und hastete zu einem der Rettungswagen, wo die Sanitäter schon mit einer Decke und Verbandsmaterial warteten.
Ich beobachtete die Szene und fühlte mich wie bestellt und nicht abgeholt. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich alleine auf dem Schlachtfeld wiederfand, aber es tat jedes Mal aufs Neue weh. Von Füchsen ließ man eben besser die Finger. Verstehen konnte ich es ja. Wir waren immer nur dort zu finden, wo es Schwierigkeiten gab und jeder, der sich zu lang in unserer Nähe aufhielt, wurde darin verwickelt. Ich seufzte und meine verhassten Erkennungsmarken klimperten leise, als ich mich erschöpft auf eines der größeren Mauerstücke, die die Explosion übrig gelassen hatte, sinken ließ. Mit zitternden Fingern strich ich mir Haare und die hineingeflochtenen feuerroten und olivgrünen Federn des Kea-Papageis aus dem Gesicht. Seufzend ließ ich die Schultern hängen und wartete. Früher oder später würde mich schon jemand abholen … wahrscheinlich eher später.
Die Marken, die Kleidung, die Explosionen, das Blut – ich war es leid. Eigentlich wollte ich schon lange aussteigen, wie schon so viele vor mir, die es nie getan hatten. Ich dachte an Lysanias und Aljoscha, die wie Brüder für mich waren. Aber auch sie waren Füchse und gefangen in ihrem Selbst. Außer ihnen hatte ich keine sozialen Kontakte, schon gar nicht nach außerhalb, und der General tat sein Bestes dafür, dass das bei uns allen so blieb. Wir hatten keinen Anschluss an die Welt, wie sie wirklich war – keinen Halt, keine Sicherheit, keine Struktur. Und abgesehen davon war die Droge wie eine Sucht. Sie sagten, sie mache nicht abhängig. Eine Lüge, um neue Soldaten für die Einheit zu gewinnen. Sie war eine Droge wie jede andere auch.
Sie unterdrückte das Schmerzempfinden und steigerte die Reflexe ins Unermessliche. Ich konnte die Flügel eines Kolibris schlagen sehen, wenn ich unter dem herrlichen Einfluss der Droge stand. Praktisch war ich beinahe unbesiegbar. Ich konnte Kugeln ausweichen und traf mich doch mal eine, spürte ich es nicht. Im Kampf war ich wie eine Furie. Ich fügte Schmerzen zu, ohne selbst welche zu haben. Und ich genoss die Freiheit, die der Geist bot, wenn er ganz auf seine Instinkte reduziert wurde. Es fiel schwer sich ein Leben ohne dieses Hochgefühl vorzustellen.
Schmerz, der durch meinen gesamten Körper zu pulsieren schien und sich langsam in Bein und Schulter ballte, riss mich aus meinen Gedanken. Das Adrenalin, das während Kampf und Explosion in meide Adern geschossen war, hatte die Wirkung verstärkt, aber sobald es meinen Körper verließ, nahm es die Droge mit sich. Schwerfällig streckte ich mein verletztes Bein von mir und begann in meiner Hosentasche zu wühlen. Schnell fanden meine Finger das kühle Metall der zerbeulten Dose, in der ich die Pillen aufbewahrte. Mit beiden Daumen stemmte ich den Deckel auf und schob mir eines der Kügelchen in den Mund. Kurz kaute ich darauf herum, um die Wirkung schneller freizusetzen. Sofort blieb mir die Luft weg, ich kippte nach vorne und stützte mich auf meine Knie. Meine Pupillen erweiterten sich schlagartig, um sich direkt wieder zu verengen, dann strömte Sauerstoff in meine Lungen. Nachdem ich sie gierig gefüllt hatte, lehnte ich mich entspannter zurück, weil die Schmerzen nachließen und mein Kopf sie klärte. Für dieses Gefühl nahm ich gerne in Kauf, dass jede Einnahme der Droge meine Lebenszeit um eine Woche verkürzte. Als Fuchs wurde man sowieso nicht sehr alt, was schadete da die eine oder andere Woche?
Genervt ließ ich den Blick über die Umgebung schweifen, um mich abzulenken. Einige Helfer räumten immer noch Trümmerteile zur Seite, die Feuerwehr war damit beschäftigt die letzten Brandherde zu löschen und Sanitäter kümmerten sich um die Verletzten.
Die Vertrautheit, mit der die Sanis völlig fremde Menschen versorgten, löste eifersüchtige Melancholie in mir aus. Wieder entglitt mir ein Seufzen. Entschlossen packte ich mein nun nicht mehr weißes Top und riss den Saum einmal ringsherum ab. Durch den hohen Blutverlust fror ich erbärmlich, aber das bisschen Stoff würde mich auch nicht wärmer halten. Ich wickelte es zwei Mal fest um meinen Oberschenkel und setzte den Knoten genau auf die Ader, die verletzt worden war. Das würde die Blutung für eine Weile verlangsamen. Der mit dem Blutverlust einhergehende Sauerstoffmangel ließ meine Lider müde flattern. Da half auch die Droge nichts mehr.
Ich fürchtete mich nicht vor dem Tod, aber sterben wollte ich nicht.
Ich verdrehte die Augen, als mir aufging, wie erbärmlich ich war. Ich war ein Fuchs, hatte so lange in Krisengebieten gelebt, dass ich nicht mehr wusste, was Frieden bedeutete. Ich hatte unzähligen Menschen das Leben gerettet und nie ein Dankeschön erhalten. Ich hatte unzähligen Menschen den Tod gebracht und ihre zornige Rache ertragen. Ich hatte keinen Halt in der Welt, außer denen, die ebenfalls verloren nach Strohhalmen griffen. Ich war vor keiner Mission zurück geschreckt, hatte sie mit Freunden angenommen, in der Hoffnung, dass sie mein klägliches Dasein beenden würde und jetzt wo ich die Chance dazu hatte, hatte ich nicht den Mut mich der stillen Dunkelheit, der Ruhe und dem Frieden hinzugeben, die Gevatter Tod mir versprach.
Das laute Rattern von den Rotorblättern eines Helikopters drang an meine Ohren und ich spürte förmlich, wie der Sensenmann seine helfende Hand zurückzog. Ich hatte meine Chance vertan.