Die unendlichen Geschichten - Ein Dominoeffekt für alle zum Mitmachen!

Es gibt 84 Antworten in diesem Thema, welches 29.476 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (2. November 2017 um 12:55) ist von RenLi.

  • Würdest du hier gern hin und wieder einen Beitrag leisten? 8

    1. Ja, auf jeden Fall! (7) 88%
    2. Unter veränderten Bedingungen gern (siehe Kommentar) (0) 0%
    3. Nein (1) 13%

    Ich grüße euch!

    Irgendwie will mit @RenLi s Idee hier: Als Team Geschichten schreiben einfach nicht mehr aus dem Kopf, insbesondere die Variante von meiner Wenigkeit:

    Mir wäre vor dem Einschlafen vielleicht noch eine ganz witzige Variante des ganzen eingefallen: Einer (der/die unbewegte Beweger/in) schreibt eine Geschichte. Dann wählt jemand eine Figur aus, die in diese Geschichte involviert war (aber nicht die Hauptfigur) und schreibt eine eigene, die aus den Ereignissen der ersten besteht. Und dann immer so weiter.
    Beispiel: Autor 1 beschreibt einen öffentlichen Königsmord auf einem Fest aus der Sicht des Assassinen.
    Autor 2 beschreibt, wie darum eine Massenpanik ausbricht, in der die kleine Schwester seiner Hauptfigur umkommt. Der spricht mit einem Priester über sein Leid.
    Autor 3 beschreibt, wie der Priester denkt, so ginge es nicht weiter und sich auf den Rachefeldzug gegen das Böse begibt...
    So entsteht eine Butterflyeffekt-artige Kausalkette von Ereignissen, die ohne die erste Geschichte nie stattgefunden hätten (es wäre darum auch lustig, wenn diese etwas völlig banales, normales, gewöhnliches beschreiben würde). Und niemand könnte vorhersehen, wohin sich das entwickelt.

    @RenLi überasse ich selbstverständlich, einen Thread zu ihrer eigenen Idee zu öffnen. Die Ehre gebürt ihr! Ich möchte hier das Experimant meiner eigenen Idee wagen. Dazu müssen natürlich ein paar Regeln definiert werden, die zur Diskussion stehen. Ich will, dass so viele wie möglich sich damit anfreunden können. Ich liefere erstmal eine Grundlage:

    §1 Die neue Geschichte muss die Handlung der letzten aufgreifen und sollte darum nicht viel mehr als ein Jahr nach dieser spielen.
    §2 Hauptfigur der neuen Geschichte sollte jemand sein, der in der alten als Nebenfigur vorkam oder in Beziehung mit einer der Figuren der vorherigen Geschichte steht. Eine Hauptfigur sollte aber nicht noch einmal als solche verwendet werden (als Nebenfigur ist aber ok).
    §3 Bitte keine Mary Sues ( https://de.wikipedia.org/wiki/Mary_Sue )! Weder in der Haupt- noch in der Nebenrolle.
    §4 Es kann passieren, da auch eine Kurzgeschichte ihre Zeit braucht, dass zwei Autoren gleichzeitig zu einer Geschichte schreiben - das zu verhindern ist schwer. Vielleicht wäre es durch einen "Reserviert"-Beitrag zu verhindern, der dann in die neue Geschichte umgewandelt wird. Mir würde es aber besser gefallen, wenn wir einfach zwei Linien eröffnen würden, die dann gekennzeichnet würden. Idealerweise schafft es dann jemand, in einer Geschichte Bezug auf beide zu nehmen und die Linien wieder zu vereinen. Grundsätzlich eine eine Aufspaltung aber zu vermeiden und sollte wirklich nur versehentlich vorkommen.
    §5 Für die Übersichtlichkeit sollen die Geschichten Nummeriert werden, beginnend mit der Geschichte 0. Gibt es zwei Linien, so erhält die erste Geschichte nachträglich noch die römische Ziffer I, die zweite II mit der dann auch alle Geschichten gekennzeichnet werden, bis die Linien sich wieder vereinen.
    §6 Macht nur die Setzungen (Fakten für die Hintergrundwelt), die ihr wirklich braucht! Diese setzt nocheinmal in wenigen Stichpunkten (so lang wie nötig, so kurz wie möglich) unter die Geschichte. Wenn es viele werden, kann man sie so auch im Eigene-Fantasywelten-Unterforum sammeln. Versucht aber Setzungen eher auf die Gebiete zu beschränken, die sich auf das Gebiet beziehen, in dem ihr eure Handlung spielen lasst. So kann es z.B. viele Wege geben, Magie zu wirken. Setzungen meint, Fakten, die in der Welt gesetzt sind, gleich ob geographischer, kultureller, religiöser, magischer oder sonstiger Natur. So vermeiden wir Widersprüche.
    §7 Alles ist erlaubt - ob High-, Low-, Dark- oder sonstige Fantasy (wobei ich aber an eine imaginäre Welt denke, also keine Urban-Fantasy). Notfalls kann es auch verschiedene Welten und Dimensionen geben, die miteinander durch Portale und Beschwörungen miteinander in Kontakt stehen.
    §8 Jede Geschichte muss über einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende verfügen (das aber offen sein darf - um so mehr Inspiration für den nächsten).
    §9 Niemand darf zwei Geschichten direkt hintereinander erzählen.
    §10 Keine Figur ist unantastbar - macht euch klar, dass der Schwertfutter-Bösewicht-Söldner in eurer Geschichte, den euer Held nebenbei erschlägt einen Vetter in einem Assassinenorden haben kann, der ihn bald darauf rächt!
    §11 Wie bei jedem Geschichten-Thread darf auch hier gerne konstruktive Kritik zu jeder Geschichte angebracht werden, auch von solchen, die selbst keine Geschichten beisteuern.


    Das ist, was mir jetzt einfallen würde. Bevor es losgeht, würde ich aber erstmal schauen, ob alle so weit zufrieden sind. Ergänzungen, Kritik usw. sind hochwillkommen. Die Spielregeln werden auch nie in Stein gemeißelt sein und könnten noch "unterwegs" verändert werden. Um zu sehen, wie viele Interesse an diesem Experiment haben (ganz unverbindlich) eröffne ich mal eine Nicht-Anonyme Umfrage (um auch zu sehen, auf wen man sich denn freuen dürfte).
    Bedenkt auch: Das hier ist kein Rollenspiel, sondern eine Folge von Geschichten verschiedener Autoren

    3 Mal editiert, zuletzt von Windweber (5. Dezember 2016 um 21:56)

  • Superspannende Idee! Könnte genau das richtige für Leute sein, die gerne eine größere Geschichte hätten, sich aber nicht mehr als eine Kurzgeschichte zutrauen *hust*wie ich*hust*

    §6 Macht nur die Setzungen, die ihr wirklich braucht! Diese setzt nocheinmal in wenigen Stichpunkten (so lang wie nötig, so kurz wie möglich) unter die Geschichte. Wenn es viele werden, kann man sie so auch im Eigene-Fantasywelten-Unterforum sammeln. Versucht aber Setzungen eher auf die Gebiete zu beschränken, die sich auf das Gebiet beziehen, in dem ihr eure Handlung spielen lasst. So kann es z.B. viele Wege geben, Magie zu wirken.

    Kannst du das vielleicht anders formulieren? Ich verstehe das Wort "Setzungen" nicht. Bzw. dachte ich, du meinst damit Settings, aber was hat das mit der Magie zu tun?

    §11 Nach den Formatierungen z.B. des Schreibwettbewerbs sollte jede Geschichte mindestens eine Seite haben, aber noch in einen Beitrag hier passen. So als Faustregel.

    Den Punkt würde ich entweder ganz weglassen oder abschwächen. Vielleicht hat jeder eine gute Idee zu einer Person, kommt aber nicht auf die eine Seite und schreibt deswegen gar nicht? Okay, ich muss zugeben, ich z.B. schreib wahnsinnig gerne KURZE Kurzgeschichten, deswegen kann das auch an mir liegen x) aber man kann es ja mal versuchen :D

    Sometimes, you read a book and it fills you with this weird evangelical zeal, and you become convinced that the shattered world will never be put back together unless and until all living humans read the book.

  • Um das mit den gedoppelten Fortsetzungen zu vermeiden habe ich einen Vorschlag: Am Ende jedes Abschnittes könnte der Autor die nächste Person benennen, die dann am Ende ihrer Geschichte wieder den nächsten benennt. So wäre immer klar, wer als nächstes schreibt, und man könnte sich absprechen (Wenn jemand zum Beispiel für mehrere Tage keine Zeit hat, um weiterzuschreiben.)

    Ansonsten find ich die Idee halt echt super und würde gerne mitmachen. Ich bin kein Kurzgeschichten-Mensch, das könnte ich hier dann verbessern ^^

  • @Glimpsel Aber woher soll derjenige wissen, wer als nächstes Lust, Zeit und eine Idee hat? Das funktioniert eher nicht ^^
    Ich fände - falls es wirklich passieren sollte - zwei Handlungsstränge aber nicht schlimm, im Gegenteil.

    Sometimes, you read a book and it fills you with this weird evangelical zeal, and you become convinced that the shattered world will never be put back together unless and until all living humans read the book.

  • @Phi ich habe deinen Wünschen entsprochen und bei den Setzungen das hier angefügt: Setzungen meint, Fakten, die in der Welt gesetzt sind, gleich ob geographischer, kultureller, religiöser, magischer oder sonstiger Natur.

    Ist dir klar, was ich meine? Kann sein, dass ich den Begriff vor allem aus dem Pen and Paper Rollenspiel übernommen habe, wo die Ausgestaltung der Hintergrundwelt ungleich wichtiger ist als bei Geschichten.

    Aber keine der "Regeln", eher Richtlinien, ist in Stein gemeißelt. In Rücksprache mit den anderen hier kann jede ignoriert werden.

    Und da wir jetzt ja 5 Leute mit Interesse haben, kann man das hier demnächst ja mal starten. Wenn sich noch Probleme auftuen, können wir ja nachjustieren. Möchste jemand den Anfang machen oder soll ich das übernehmen? Mir würde schon was im Kopf rumgeistern, aber wenn jemand eine tolle Idee hat - nur zu. Ich fände es nur toll, wenn die Geschichte 0 etwas ganz Normales, eigentlich nicht Weltbewegendes wäre, auf das kein Historiker die Ereignisse, die es auslöst, zurückführen würde.

  • @Windweber Danke für die Erklärung, jetzt versteh ich's! Das Wort hab ich aber wirklich noch nie gehört, vielleicht kannst du es trotzdem noch durch "Weltenregeln" oder sowas ersetzen? x)

    Starte du ruhig, das ist ja deine Idee ^^ ich häng mich lieber mittendrin dann rein.

    Sometimes, you read a book and it fills you with this weird evangelical zeal, and you become convinced that the shattered world will never be put back together unless and until all living humans read the book.

  • Eine sanfte Brise umspielte sein langes, braunes Haar. Die salzige Seeluft war ein Segen für seine Lungen. Die warme Sonne schien am kaum bewölkten Himmel und kitzelte sanft seine Nase. Es versprach eine prächtige Reise zu werden.
    Noomos stützte sich auf die Rehling des eleganten Schiffes im typischen Stil der Seeelfen, die auch die Besatzung stellte. Nach seiner Abschlussprüfung an der Universität von Kelmon als Pyromant, ein auf Feuer spezialisierter Magier, hatte er sich wie viele seines Semesters zur Reise auf die Insel Ojai aufgemacht. Ein prächtiger Ort mit tropischen Wäldern, weißen Stränden und – am wichtigsten – der Akademie. Die Akademie war ein Hort der Kunst, der Weisheit und des Zusammenseins auf hohem Niveau. Man konnte dort Reiche, Künstler und Gebildete aus allen Herren Ländern treffen.
    Bald schon liefen sie im Hafen ein und legten rasch am Pier an. Die Mannschaft war derart eingespielt und erfahren, dass es keiner Befehle bedurfte, die das Kreischen der Möwen und das Meeresrauschen gestört hätten.
    Über einen breiten Steg mit Handlauf aus Tauen kam er in einer langen Reihe von Reisenden an Land. Einige Seeelfen mit Partisanen standen Spalier, wobei die Speere eher kunstvoll als effektiv erschienen. Besonders hübsche Vertreter ihrer Art aber legten den Gästen der Akademie Muschelketten um.
    Dann ging es einen sandigen Weg hinauf auf den Hang eines der beiden Berge, die die Insel prägten. Weiter oben thronte die Akademie selbst, errichtet aus weißem Marmor mit einigen Türmen und Kuppeln – ein eindrucksvoller Anblick.
    „Hübsch, nicht wahr?“, riss eine junge Menschenfrau Noomos aus seinen Gedanken.
    „In der Tat! Der Ort scheint seinem Ruf gerecht zu werden“, antwortete er, „Noomos aus Kelmon“
    Er streckte ihr die Hand hin, die sie erstaunlich fest drückte.
    „Rhelia ai Zafar“, stellte sie sich lächelnd vor, „Dein erster Besuch hier?“
    „Ja, es ist meine Abschlussreise nach der Universität“
    Da ertönte die sanfte Stimme eines Elfen: „Erlauchte Weiber und Mannen, Knaben und Maiden, willkommen auf Ojai!“ Typisch für Elfen, die eine Sprache vor Jahrhunderten erlernt hatten, sie vergaßen oft, sich Veränderungen in Grammatik und Vokabeln anzueignen. „Gleich nach der Ankunft wird ein Nachmittagstee gereicht mit verschiedenen Früchten der Insel, danach ist eine Führung angesetzt, gefolgt vom Abendmahl und schließlich das Abendprogramm, für das die Akademie einige der größten Gelehrten und Künstler gewinnen konnte. Wenn Ihr Fragen, Beanstandungen oder Schwierigkeiten haben solltet, zögert bitte nicht, das Personal anzusprechen.“
    Sie hielten auf einem ebenen Platz, wo Sänften warteten. An Luxus wurde hier jedenfalls nicht gespart. Noomos und Rhelia teilten sich eine, die kurz darauf von acht kräftigen, stark behaarten, kleinen Gestalten angehoben wurden.
    „Darf ich vorstellen?“, rief der Elf, „die Erekti, eine Affenart hier auf der Insel. Sie sind sehr gelehrig, gehen wie Kulturschaffende auf zwei Beinen und kommen nach bisherigem Wissensstand nur auf dieser Insel vor. Bitte bleibt diesseits der Mauer, auf die Ihr in einigen Stunden Wanderschaft stoßen könnt, denn jenseits davon gibt es zahlreiche gefährliche Tiere, darunter einige wilde Rotten dieser Tiere. Aber keine Sorge – diese hier sind gezähmt“
    Die Aussicht zwischen den Vorhängen der Sänfte auf den höheren Lagen war atemberaubend schön und zeigte den Wald inmitten des Meeres. Auch die erwähnte Mauer war zu sehen. Und auch Rhelia war durchaus ansehnlich. Es versprach eine schöne Zeit zu werden.

    Das Abendessen war prächtig – Fladenbrot, Fleisch verschiedener Tiere, auch Erektifleisch, an das sich nur wenige heranwagten, dem Noomos in seiner Neugier aber nicht widerstehen konnte – es schmeckte ähnlich wie Schwein, vielleicht etwas süßlicher, Käse, Fisch, Meeresfrüchte, Obst und Gemüse – für jeden Geschmack war etwas dabei. Nur Rhelia blieb bei einem Becher Wasser
    Auf Noomos Nachfrage hin erklärte sie, sie nehme an einem Ritual des Galisha-Kultes teil, um sich zu reinigen. Noomos hatte schon davon gehört. Der Kult ging davon aus, dass man sich mit Lastern und Freveln aller Art selbst verunreinigte. Eine Woche lang sollte man keine Nahrung, nur klares Wasser zu sich nehmen, dann würden sämtliche Körperhaare entfernt, auch auf dem Kopf, ja selbst Wimpern und Augenbrauen. Es folgte ein Abschaben mit Öl und schließlich ein langes, rituelles Schwitzbad. Danach sollte man wieder so „rein“ wie ein Neugeborenes sein.
    „Welche Laster möchtest du denn loswerden?“, fragte er.
    „Nichts Bestimmtes, ich möchte nur eine neue Erfahrung machen. Dafür sind wir doch alle hier. Als ich hörte, dass der Kult hier ein Bad eröffnet hat, musste ich es einfach versuchen. Es heißt, man fühle sich danach wie neu geboren“
    „Ja, nass, hungrig, frierend“, witzelte er.
    Sie nahm es nicht krumm und lachte.
    Nach Auftritten eines berühmten Philosophen und einiger Sänger wurde der Abend für beendet erklärt. Noomos ging vom langen, eindrucksvollen Tag ermüdet ins Bett und stellte fest, dass auch dieses ausgezeichnet war. Von seiner Kammer aus hatte er Zugang zu einem kleinen Balkon mit Blick aufs Meer. Dies war das letzte, das er sah, ehe er einschlief.

    Der Vormittag war für ansprechende Gespräche freigehalten und viele nutzen ihn auch, um nach einem leichten Frühstück aus Brot, kaltem Fleisch und Obst die Insel zu erkunden, ehe die Hitze des Mittags und Nachmittags das unangenehm machte. Auch Noomos und Rhelia machten sich gemeinsam auf. Er sah sie an. Zu schade, dass sie in einer knappen Woche kein Haar mehr haben würde! Wie sie dann wohl aussähe?
    Der Wald war gezähmt, es gab nur wenig Unterholz und besonders schöne Blüten waren offensichtlich gezielt gezüchtet worden. Letztlich eine paradiesische Karikatur eines echten Dschungels.
    Der Vortrag des Philosophen am Vortag bot eine gute Gesprächsgrundlage und Rhelia erwies sich als gebildete Abgängerin einer philosophischen Fakultät, die eine angenehme Unterhaltung bot. Die Zeit verging wie im Fluge, bis sie die Mauer erreichten. Dicke Pflanzenranken hingen von den schweren Quadern aus grauem Stein, die perfekt gefügt worden waren.
    „Ich würde zu gerne sehen, wie der echte Wald dahinter aussieht“, meinte der Pyromant.
    Rhelia begann im nächsten Augenblick schon die Ranken hinaufzuklettern. Nach einem kurzen Moment der Überraschung folgte er ihr.
    Es waren nur knapp fünf Schritt Höhe. Noomos fiel auf, dass auf beiden Seiten der Mauer der Wald gerodet war, sodass kein Tier über Äste hinübergelangen konnte. Schnell saßen sie auf der Mauerkrone.
    Der Dschungel auf der anderen Seite war echt. Dicht, düster und geheimnisvoll.
    „Das trifft schon eher die Beschreibungen!“, meinte Noomos zufrieden und wollte sich an den Abstieg machen. Rhelia hielt ihn am Arm fest.
    „Schau da!“, sagte sie und zeigte auf einen umgestürzten Urwaldriesen, der auf der der wilden Seite der Insel zugewandten Seite der Mauer auf diese gestürzt war. Die Mauer hatte dem standgehalten. Bei ihrer Errichtung mussten Litomanten, Felsmagier, beteiligt gewesen sein. Litomorphose war deren häfigstes Aufgabengebiet – sie veränderten und verformten so Stein nach den Wünschen ihrer Kunden.
    „Ja, das sollten wir vielleicht melden. Oder warte! Ich kümmere mich selbst darum!“, meinte Noomos leichthin. Etwas Pyrogenese und er hätte den Stamm verbrannt.
    „Warum denn“, fragte Rhelia, „Willst du kein Abenteuer erleben? Etwas den wilden, echten Dschungel erkunden?“
    Zweifelnd sah er zurück. Bisher waren sie auf befestigten Wegen mit Wegweisern unterwegs gewesen, dort unten konnten sie als Stadtmenschen sich leicht verlaufen. Aber er wollte nicht als Feigling dastehen. Nur ein paar Schritte! Das würde schon gehen. Als Pyromant war er in der Kampfmagie ausgebildet und würde schon mit ein paar wilden Tieren fertig werden.
    Sie kletterten durch die dichten Äste des gefallenen Baumes auf dessen dicken Stamm und liefen einfach wie auf einer Rampe nach unten. Die aus dem Boden gerissenen Wurzeln waren eine praktische Leiter.
    Auf dieser Seite schienen alle Rankpflanzen penibel von der Mauer entfernt zu werden – sie sollte die Gäste und das Personal der Akademie ja auch vor wilden Tieren schützen.
    Sie kämpften sich am Rand der Rodung in den Wald, wo sehr dicht Pflanzen wuchsen, nach einigen Schritten wurde der Boden aber wieder freier. Die Baumkronen ließen kaum Licht herunter und duldeten keine anderen Pflanzen zwischen sich.
    Zögerlich begaben sie sich weiter in diese fremde Welt.

    Die Zeit des Mittagsmahls war längst vorüber, aber sie hatten den Weg zur Mauer zurück nicht mehr gefunden. Eigentlich hatten sie gedacht, den gleichen Weg zurückgegangen zu sein, aber es sah auch alles gleich aus. Beide hatten Durst und die schwüle Hitze war trotz den Schattens kaum auszuhalten. Wenn sie nur eine Lichtung finden würden, irgendwo, wo man den Himmel sehen konnte, dann könnte Noomos feurige Zeichen und Rauch in die Luft schicken. Sicher wurden sie schon gesucht und mussten nur auf sich aufmerksam machen.
    Die Mauer zu überklettern war aber auch eine selten dämliche Idee! Wenn Rhelia nur nicht so hübsch wäre…
    „Warte, hörst du das?“, fragte sie ihn unvermittelt.
    Er lauschte. Tatsächlich! Da waren Stimmen! Nicht die Stimmen singender Vögel oder das Gekreische der Äffchen, die die Baumwipfel unsicher machten, sondern die Stimmen von Kulturschaffenden. Rasch folgten sie dem Klang. Bald kamen sie an dichtes Gestrüpp, hinter dem Sonnenlicht schimmerte.
    Das erste, das sie sahen, waren Erekti, die an Händen gefesselt aus einem von einer Palisade umgebenen Gehege geführt wurden. Ein besonders großer, kräftiger Artgenosse trieb acht der affenähnlichen Wesen vor einige Seeelfen in Lederkluft.
    „Die gut, Gebieter! Schön und stark!“, sagte er.
    Noomos und Rhelia tauschten einen kurzen Blick und gingen im dichten Gestrüpp in die Hocke. Er hatte nicht gewusst, dass diese Wesen sprechen konnten!
    Die Seeelfen sahen sie an.
    „Dichtes Fell, gesund, gut gewachsen… Ja, die sind für die Sänften geeignet!“, stimmte einer der Elfen zu, „Bringen wir es hinter uns.“
    Aus einer Ledertasche zog er Werkzeug – einen Spreizer, eine Zange und ein Messer, ein Metallteil, das der Pyromant nicht zuordnen konnte, landete in einem Lagerfeuer, sodass nur der Holzgriff draußen blieb. Alle Erkti bis auf den Sprechenden wurden nun auch an den Füßen gefesselt und die Hand- mit den Fußfesseln verbunden, der Verschlag wurde geschlossen.
    Was ging da vor sich?
    „Ihr dürft euren Gebietern auf sehr ehrenhafte Weise dienen!“, sagte der Elf, der schon vorhin gesprochen hatte, „Aber wir können nicht zulassen, dass euer Gebrabbel sie belästigt, versteht ihr? Außerdem könnte dadurch der Eindruck entstehen, ihr wäret keine Tiere, den Irrtum wollen wir unseren gebildeten Gästen doch ersparen?“
    Der ungefesselte Erekti zwang dem ersten Artgenossen den Mund mit dem Spreizer auf, mit einer Hand hielt er den anderen am Kopfpelz gepackt und zog mit der Zange die Zunge so weit wie möglich heraus, lies den Pelz los und griff zum Messer.
    Die beiden Versteckten klammerten sich aneinander und schlossen die Augen, aber vor dem furchtbaren Schrei und dem anschließenden Zischen konnte sie das nicht retten.
    Sieben weitere Male wurden sie Ohrenzeugen der Verstümmelung.
    „Sammele die Zungen ein!“, befahl der Anführer der Elfen, „und bring sie mit der Fleischlieferung zur Akademie! Die sind eine Delikatesse.“
    Noomos sah wieder hin, die in Ohnmacht gefallenen Erekti wurden mit Wassereimern übergossen, ihre Fußfesseln wurden gelöst und sie wurden von ihrem Peiniger weitergetrieben, die Elfen begaben sich auf einen Pfad in eine andere Richtung.
    Noomos wollte ihnen folgen, um ihnen „zufällig“ etwas abseits begegnen, um zu verhüllen, dass sie Zeugen geworden waren. Rhelia aber hielt ihn zurück.
    „Ich muss sehen, was sie vorhaben“, sagte sie. Noomos blickte sie zweifelnd an, aber sie schien fest entschlossen.
    Die Gruppe Erekti kam zu einer Höhle. Der Sprecher nahm eine Fackel und entzündete diese, um den dunklen Ort zu betreten. Noomos und Rhelia schlichen leise heran. Die Höhle erwies sich als Stall, wo neben Schweinen, Rindern und Hühnern in engen Gehegen auch Erekti an die Wand gekettet waren. Sie wirkten sehr fett. Die acht anderen durften sich setzen, während der Sprecher sich in einen Nebenraum begab, wo er gerade den schon gehäuteten Kadaver seines eigenen Artgenossen zerlegte und das Fleisch in Beutel verpackte, die er den acht Zungenlosen auf den Rücken band.
    Über Pfade trieb er sie dann weiter.
    Noomos war schlecht. Er sag ein Erektiweibchen, dass den Beuteln nachsah und… sie weinte! Bittere Tränen der Trauer flossen ihr übers Gesicht.
    Schweigend folgten sie der Gruppe in einiger Entfernung. Bald erreichten sie die Mauer, die die Erekti durch ein Tor passierten, das der Sprecher mit einem Schlüssel aufsperrte.
    Lange dauerte es, bis die beiden den umgestürzten Baum gefunden hatten, über den sie die Mauer überklettern konnten. Immer noch sagte keiner ein Wort.

    Erst in der Nacht kamen sie an der Akademie an.
    „Was ist geschehen? Haben sich die Herrschaften verirrt?“, fragte der Seeelf freundlich.
    Beide nickten nur erschöpft.
    „Bitte, folgt mir! Sicher wollt Ihr noch etwas zu Euch nehmen. Ich lasse etwas aus der Küche kommen“
    Beide saßen kurz darauf im Speisesaal. Allein. Ein Kellner servierte ihnen Fladenbrot, das durch das Aufwärmen fast wie frisch wirkte und einen Teller.
    „Die Herrschaften haben Glück! Der Koch fand noch eine Delikatesse, wie es sie nur hier gibt: Erketizungen!“
    Die gebratenen Organe lagen nun offen sichtbar auf dem Tisch.
    Noomos konnte nicht an sich halten und erbrach auf den Boden.
    Der Kellner verzog keine Miene.
    „Die Herrschaften haben vielleicht zufällig die Gehege gesehen?“, fragte er ohne drohenden Unterton, eher verständnisvoll und nahm bei ihnen Platz. Die Zungen deckte er mit einer Serviette zu. „Kein schöner Anblick, aber leider notwendig“
    „Wie könnt ihr so etwas nu tun?“, stieß Rhelia hervor.
    „Meine Dame – jede Kultur tut dies. Seht – junge Stiere werden kastriert, um sie zu besseren Arbeitstieren zu machen, Schweine werden geschlachtet, um sie zu essen. Wir tun nichts anderes, als die Tiere dieser Insel ebenso zu nutzen. Ein Pferd zu zähmen ist auch nicht schön. Wer will auf Ochsenpflüge, Fleisch oder ein edles Ross verzichten?“
    „Aber diese Wesen sprechen und gehen aufrecht! Es sind praktisch Menschen!“, warf Rhelia ein.
    „Meine Dame, bitte lasst euch davon nicht täuschen! Auch ein Papagei geht auf zwei Beinen und kann ein paar Fraßen lernen. Die Erekti haben keine Religion, keine Künste, keine Wissenschaften – nichts was zu einer Kultur gehört. Sicher, sie machen einfache Werkzeuge aus Feuerstein und Stöcken wie viele Affen. Aber es sind keine Kulturschaffenden wie Elfen, Menschen oder selbst Goblins. Es sind Tiere. Nutztiere um genau zu sein.“
    Dann erhob er sich.
    „Ich bringe Euch etwas Obst und entferne das“, meinte er mit einem diskreten Blick auf das Erbrochene, „Wechselt doch den Tisch“
    Noomos beschloss aber, nichts zu essen. Er würde wie Rhelia an dem Reinigungsritual dieses Kultes teilnehmen. Vielleicht würde er sich danach weniger dreckig fühlen.

    Setzungen

    In einer Stadt namens Kelmon gibt es eine große Universität für Magier

    Dann bin ich mal sehr gespannt, was das hier auslöst!

    3 Mal editiert, zuletzt von Windweber (9. Dezember 2016 um 12:29)

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    Da du in der Shoutbox nachgefragt hast: Mich erschlagen die die ganzen Informationen, die du bereits im allerersten Post eingebracht hast. Ein Magiesystem, eine Religion, mehrere Gattungen (Seeelfen, Erekti, Elfen, Goblins), eine eigene Welt. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass dieses "Experiment" so funktionieren wird.

    Du setzt bereits so viel fest, aber durch die Kürze der Geschichte wird alles nur angerissen und kaum wirklich erklärt. Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, mich jetzt noch lang und breit in dein Magiesystem einzuarbeiten, nur um einen nächsten Part schreiben zu können. Genauso weiß man nichtmal, wie diese Seeelfen aussehen sollen, falls man vorhätte, mit einem von der Mannschaft weiterzuschreiben.

    Ich weiß ja nicht, wie es die anderen sehen, aber damit das hier für mich funktioniert, müsstest du nicht nur einen, sondern gleich mehrere Gänge zurückschalten. Gib nicht so viel vor, an das sich alle anderen halten müssen. Und wenn etwas neues eingeführt wird (das gilt vor allem aber nicht nur für Rassen), dann erkläre auch, wie sie aussehen und solche "Nebensächlichkeiten" ;)

    Magie schön und gut, aber das kannst du auch einbauen, ohne gleich ein ganzes System vorzugeben. Nebenbei einfließen lassen, dass deine Person Feuermagier ist, z.B. Dann wissen wir "aha, es gibt Magie" und können dann völlig frei unsere Figur anpassen, ohne sie in dein System zu quetschen. Aber so muss ich gleich dazu beachten, dass es noch Magietyp A, B und C gibt, dass es Akademien gibt, an die man offenbar geht etc. pp.

    Wie gesagt, ich kann nur für mich sprechen, aber vielleicht ist diese Informationfülle, die vielen Setzungen, auch für andere der Grund, warum bis jetzt nichts geschrieben wurde?

    Sometimes, you read a book and it fills you with this weird evangelical zeal, and you become convinced that the shattered world will never be put back together unless and until all living humans read the book.

    Einmal editiert, zuletzt von Phi (9. Dezember 2016 um 12:09)

  • Es ist nur ein Kult von vielen und eine Magiewissenschaft von vielen, eine Spezies auf einer Insel - geht in eine andere Region und ihr könnt das alles ignorieren. Im Grunde wurde nur die kleine Insel in den Tropen beschrieben, der Rest der Welt gehört Stück für Stück dem, der sie sich holt. Ich habe keine Setzung gemacht, die man nicht einfach links liegen lassen könnte. Knüpft an die Handlung an, ignoriert den Rest. :)

  • Edit: Der Übersicht halber für die kommenden Geschichten, packe ich alles an Nicht-Geschichte in Spoilern, falls mal jemand von Anfang an lesen will ^^

    Spoiler anzeigen


    @Windweber Aber das Problem ist doch, dass man eben nicht einfach schreiben kann, was man will. Ich muss eine Person aus deiner Geschichte nehmen. Will ich eine Seeelfe, muss ich deine bis jetzt gemachten Vorgaben nehmen. Will ich die Menschenfrau, muss ich sie irgendwie in das Magiesystem bekommen, da sie ja nicht umsonst an der Akademie ist.

    Der Reiz des Ganzen ist doch, dass man eben nicht blind aneinander vorbeischreibt, sondern die Geschichten miteinander verwebt. So hatte ich das zumindest verstanden. Will ich meine Geschichte mit deiner irgendwie verweben (z.B., wie die Menschenfrau an der Akademie angefangen hat), dann muss ich den Zusammenhang zu deiner herstellen - und mich demzufolge an deine Vorgaben halten, die mir eben viel zu viele sind.

    Ich sage ja nicht, du sollst deine Geschichte über den Haufen werfen - aber schon allein, wenn du deine Vorstellungen zum Magiesystem um ein paar Wörter kürzt und nur erzählst, dass es eine Akademie für Magier ist (Punkt. Nicht weiter ausführen) und dass deine Hauptperson im Wald mit Feuer um sich wirft (Punkt. Nicht weiter ausführen), gibt mir das auf einmal eine Breite an neuen Möglichkeiten, die Menschenfrau aufzunehmen. Du musst nicht festlegen, dass Magie in Morphose und Genese unterteilt werden kann, dass es neben deinem Feuermagier noch Hydromant, Litomant und sonstiges gibt. Das kommt in deiner Geschichte alles nicht zu tragen, also musst du es nicht festlegen.

    Natürlich kann ich auf einem völlig anderen Kontinent meine Geschichte schreiben - aber wie erkläre ich, dass nur wegen einem Kontinentwechsel auf einmal neue Gesetze der Natur (Magie) gelten?

    Zusammengefasst: Da ich der Meinung bin, dass die Geschichten ineinander greifen sollen, sollte man sich in seinem Enthusiasmus den anderen zu liebe bremsen und wirklich nur rudimentäre Eckdaten zu so weitläufigen Sachen wie Magiesystem angeben. In diesem Beispiel:

    In einer Stadt namens Kelmon gibt es eine große Universität für Magier
    Eine Möglichkeit für Magier ist, sich nach Elementen zu spezialisieren - Pyromant, Hydromant, Litomant etc. wenn jemand einen solchen Begriff haben will, gerne melden!
    Magie kann in Manipulationen wie Genese (Erschaffung), Morphose (Veränderung)der Elemente kategorisiert werden. Auch hier für Details gerne melden.
    Auf einer tropischen Insel namens Ojai gibt es einen "die Akademie" genannten Ort, ein Zentrum der Kultur und Ziel vier Reicher, Künstler und Gelehrter zu Austausch

    gekürzt auf:

    Es gibt Magie (u.a. Feuermagie), die an Akademien gelehrt wird. Eine der größten Akademien steht in der Stadt Kelmon auf der Insel Ojai.

    Sometimes, you read a book and it fills you with this weird evangelical zeal, and you become convinced that the shattered world will never be put back together unless and until all living humans read the book.

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    Gut, gekürzt! Wenn es immernoch nicht passt, wäre ich auch überhaupt nicht böse, wenn jemand anderes eine Geschichte 0 verfasst. Gerade dafür bin ich wohl recht ungeeignet - viel zu versessen auf Informationen! :D Im Grunde könntet ihr statt einer Person aus der Geschichte auch jemanden nehmen, der nur von den Ereignissen gehört hat und darum irgendetwas tut, bis hin zu einem Pfleger, der eine Hauptperson pflegt, die den Verstand verloren hat oder so... Oben hatte ich ja auch schon den Meuchler erwähnt, der seinen Vetter rächt, der in der letzten Geschichte nebenbei gestorben ist. Tut mir leid für das Einschüchtern! Ich bin furchtbar... Aber das kriegen wir wieder hin, oder?

  • Soo, bin mal gespannt, was ihr davon haltet. Hoffe, dass niemand gerade auch an einem Teil dran war und dass ich nicht gegen die Anfangsgeschichte von Windweber verstossen habe.

    1 - Maske

    Rhelia blickte aus dem Fenster ihrer Kammer, die man für sie aufdem Schiff hergerichtet hatte. Von hier aus konnte sie das Deck ungestörtüberblicken. Im Moment beobachtete sie den Elfen, der an der Reling stand und mit einem kleinen Funken in seiner Hand spielte. Bereits am ersten Tag ihrer Reise war er ihr aufgefallen, da er eine schwarze Tätowierung im Gesicht trug, die ihn als Feuermagier auszeichnete. Feuer übte eine eigenartige Faszinationauf sie aus, doch gleichzeitig fürchtete sie sich davor. Seit ihre Mutter von den Flammen verschlungen worden war. Rhelia trank einen Schluck Wasser, mehr aus Gewohnheit, nicht wirklich, weil sie Durst hatte. Schon seit langer Zeit ernährte sie sich bereits vom Licht der Sonne. Sie blickte in den grossen Spiegel, der zu einer hübschen Kommode gehörte. Ein fremdes Antlitz blickte ihr entgegen, doch auch wenn sie sich im Moment als Menschenfrau ausgab, schimmerte doch die Schönheit einer Lichtelfe durch die Maskerade hindurch. Wieder wanderte ihr Blick zu dem Feuermagier hinunter. Einen Moment lang liess sie es zu, dass sie sich in seinem Anblick verlor, in der makellosen Haut, dem braunen wunderschön langen Haar, welches der Wind lebendig machte. Vielleicht würde er ihr noch nützlich sein können.

    Es stimmte also, was das Orakel weissgesagt hatte. Nicht dass sie gezweifelt hätte. Aber es mit eigenen Augen zu sehen war doch etwas ganz anderes.Rhelia schritt durch die angelegten Gärten der Akademieund liess ihre Gedanken wandern. Was sie mit Noomos in den Wäldern erlebt hatte, war ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Dunkelheit im Volke der Seeelfen zunahm. Darüber konnte auch der äusserliche Glanz der Akademie nicht hinwegtäuschen. In alten Zeiten war es noch nicht erlaubt gewesen Fleisch zu essen, nun wurden sogar solch hochstehenden Tiere versklavt, misshandelt und verzehrt. Den Menschen hätte sie ein solches Benehmen durchaus zugetraut, aber dass es mit den Elfen soweit kommen musste... Die Kraft der Natur und der Magie floss nicht in allen Elfenstämmen gleichstark und in einigen schien sie nach und nach abzunehmen. «Rhelia, in welchen Welten treibst du dich rum, wenn du so weit weg in Gedanken bist?» Noomos war zu ihr getreten. Dass sie ihn nicht eher bemerkt hatte, verstimmte sie, doch sie liess sich nichts anmerken. «Schon bald werde ich meine Kopfhaut der Sonne präsentieren können, das beschäftigt mich doch mehr, als ich gedacht hätte. Nur gut, dass du dein Haar behalten kannst», antwortete sie mit einem Lächeln. Er hatte bereits nach einem Fastentag wieder aufgegeben – Erektifleisch hatte er seither jedoch nicht wieder angerührt.
    «Ah, was für eine Schande», seufzte er und betrachtete sehnsüchtig ihr Haar.
    «Was für eine Wohltat», meinte sie. Manchmal konnte sie sich nicht entscheiden, ob sie seine Anwesenheit nun bereichernd, belustigend oder eher unpässlich fand. Er hatte die unangenehme Angewohnheit, sich selbst zu überschätzen, ja, sie würde ihn sogar als leicht narzisstisch bezeichnen. Andererseits war seine Reaktion auf ihre Entdeckung im Dschungel rührend gewesen.
    «Ich habe dich schon länger nicht mehr an den offiziellen Veranstaltungen gesehen. Entsprechen sie nicht dem, was du erwartet hast?», fragte er unvermittelt.
    «Ach nein», wehrte sie ab. «Es fällt mir nur schwer, mich zu konzentrieren. Diese Fastenzeit nimmt einem doch mehr Energie als ich dachte. Zuweilen wird mir ganz sturm.»
    Er sah sie besorgt an. «Bist du sicher, dass du das durchziehen willst? Ein menschlicher Körper scheint um einiges fragiler zu sein, als der eines Elfen und ist die Galisha-Kur nicht eher für Leute meines Volkes gedacht? – Nicht, dass ich mich sonderlich gut mit Menschen auskenne…»
    «Keine Sorge, die Vollendung geschieht ja bereits morgen. Bis dahin schaff ich es wohl noch. Aber ich sollte mich nun etwas hinlegen. Bald beginnen die ersten Vorbereitungen.» Mit diesen Worten verabschiedete sie sichund zog sich in ihr Gemach zurück.
    Erschöpft liess sie sich auf ihr Bett sinken. Hätte er sie doch bloss nicht bei ihrem Spaziergang gestört. Nun hatte sie zu wenig Zeit in der Sonne verbringen können. Rhelia zog den runden Silberspiegel unter ihrem Kopfkissen hervor und schaute hinein. Sie murmelte ein paar Worte in ihrer Ursprache und sofort veränderte sich die Oberfläche. Das weise Antlitz ihrer Lehrerin blickte ihr entgegen. Lachfältchen breiteten sich um die Augen aus und liessen sie noch schöner strahlen. «Mein Kind, wie gut es tut, dich zu sehen. Wie geht es dir?»
    «Herrin, es ist, wie das Orakel gesagt hat. Die Dunkelheit hat bereits angefangen, sich in den Seelen der Seeelfen einzunisten.»
    «Du siehst müde aus, Kind. Gib Acht, dass du nicht zu viel Kraft verlierst. Der Verschleierungszauber, der deine Erscheinungsform verändert braucht mehr Energie, als du dir vielleicht eingestehen willst.»
    «Das ist nicht so wichtig, ich sollte nur mehr an die Sonnegehen, aber gerade eben – ach, wie auch immer. Herrin, wie soll ich nun weitervorgehen?»
    «Dein Aufgabe ist erfüllt. Wir haben dich nur geschickt, um auszukundschaften, wie weit sich das Dunkle bereits manifestiert hat. Geniesse deinen Aufenthalt auf der Insel und dann komm wieder zurück.»
    Das Bild ihrer Lehrerin verblasste und Rhelia blickte wieder in die Augen der Menschenfrau, die ihr inzwischen vertrauter geworden war. Zurückkehren. Sie dachte an die Erektifrau, die geweint hatte. «Kann ich sie einfach hierzurücklassen, ohne etwas zu tun?»
    Sie wollte zwar dem Befehl ihrer Lehrerin Folge leisten, doch zugleich wusste sie, dass sie das nicht tun konnte. Sie hatte zu viel gesehen. Sie konnte nun nicht mehr einfach abreisen. Sie konnte nicht heimkehren und warten dass irgendjemand irgendetwas unternehmen würde.

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

    2 Mal editiert, zuletzt von RenLi (19. Dezember 2016 um 23:29)

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    @RenLi Ich finde, das hast du klasse gemacht! Klein, aber fein. Mit Rheelia als Agentin habe ich nie gerechnet, aber da sie in meiner Geschichte die ganze Zeit die Triebfeder war und neugierig alles erkundet hat, macht es perfekt Sinn! Du hast genau geschafft, was ich erhofft hatte - die Geschichte so weitergesponnen, dass selbst deren Autor es nicht vorhersehen konnte. Mit dem Spiegelzauber hast du eine perfekte Brücke weg von der Insel geschlagen, der nächste kann also in weite Ferne schweifen. Und du hast interessante Anknüpfpunkte geschaffen - wie wird die geheimnisvolle Vorgesetze auf ihre Gehorsamsverweigerung reagieren? Errichtet Rheelia einen militanten "Tierschutzbund"? Reagieren die Seeelfen auf das Ganze? Ich bin echt gespannt, wie sich das entwickelt! Und dass nun, da mein unübersichtliches Geschwulzt überwunden ist, es schnell weitergeht :D

  • Spoiler anzeigen

    Juhui, bin froh, dass es dir gefällt. Schliesslich hast du die Geschichte ja in die Welt gesetzt. Stimmt, es war echt praktisch, dass Rhelia ihn angesprochen hat und auch zuerst über die Mauer geklettert ist etc. Hoffe, dass jemand nun weiterschreibt!!! Es ist voll spannend, dass man überhaupt noch nicht sagen kann, wohin die Sache geht :D Danke, dass du das Projekt angerissen hast :thumbsup:

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
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    Rumi

  • Saba legte ihren Spiegel weg. Rheelia würde nicht gehorchen. Sie war ihr selbst viel zu ähnlich, als die Lehrmeisterin noch in ihrem Alter gewesen war. Sie erhob sich von den Knien, auf denen sie gelegen hatte, inmitten des Allerheiligsten des Tempels der zwölf Schwestern, deren Statuen sie von allen Seiten teils liebevoll, teils streng anschauten. Es würde bald so weit sein. Schwertzeit, Beilzeit und nicht einer würde den anderen schonen wollen. So stand es geschrieben. Und auf jenem paradiesischen Eiland in den tropischen Gewässern würde die Hölle ihren Anfang nehmen. Es sei denn, sie verhinderte es. Oder besser: Brachte jemanden dazu, es zu tun.
    Saba seufzte. Sie wollte diesen Weg nicht gehen, aber es stand geschrieben: Der Dolch wird stärker sein als Schwert und Beil und kann das Unheil um zwölfmal zwölf mal tausend Jahre verzögern. Viele hatten darüber gerätselt wie das gemeint sein konnte. Saba wusste es leider zu genau. Sie wusste, was der Dolch war. Oder besser: Wer.
    Priesterinnen und Novizinnen verbeugten sich vor ihr, als sie aus dem Allerheiligsten trat und ihre Leibwache schloss sich ihr an. Eine Hand der schwarzen Garde. Fünf skrupellose Mörder und arme, verlorene Seelen. Als Waisenkinder aufgesammelt und von klein auf zu Dolchen des Reiches gemacht, die den König und alle wichtigen Würdenträger beschützten. Und töteten, sollten sie das Reich verraten, da machte sie sich keine Illusionen. Dennoch, sie hatte Mitleid mit diesen Männern und Frauen, denen nur Mörder Familie war, als alle anderen sie ausgestoßen hatten.
    Entschlossen machte sie sich auf – es half nichts. Sie würde nun ihren ehemaligen Geliebten aufsuchen, den Vater dieser dunklen Familie.
    Sie trat auf die Straße und die Massen machten Platz. Ob aus Respekt vor ihr als Hohepriesterin oder aus Angst vor den schwarzen Gardisten war nicht zu erkennen. Es war nicht weit, bis zum Hauptquartier der schwarzen Garde. Sie lebte nun schon lange als Menschenfrau getarnt in der Menschenstadt, um die Entwicklung dieses jungen Volkes zu beobachten, es hatte rasch an Macht gewonnen, aber nicht an Weisheit.
    Die Straßen waren geschäftig – Bettler riefen um Almosen, Händler boten Erfrischungen und kleine Zwischenmahlzeiten an.
    Da trat ein alter Mann vor sie. Sein Atem aus dem zahnlosen Mund stank.
    „Bitte, Herrin, segnet mich“, stieß er hervor, doch einer der Gardisten verpasste ihm einen Stoß, dass er an die Wand eines nahen Gebäudes krachte und in sich zusammen sank.
    „Bleib weg!“, knurrte er unter dem schwarzen Tuch, das sein Gesicht bis unter die Augen verdeckte, hervor.
    Saba aber warf ihm nur einen bösen Blick zu und kniete sich vor den Alten.
    „Vorsicht, Herrin, er ist krank. Könnte ansteckend sein…“, brummte der Gardist missmutig, doch ihr war es gleich.
    „Die zwölf Schwestern mögen dich segnen und behüten und dir Gesundheit schenken!“, sagte sie und küsste ihn auf die Stirn. Dann drückte sie ihm ein paar Kupfermünzen in die Hand. Genug um Essen und Heilkräuter davon zu kaufen, aber nicht genug, dass jemand die arme Seele dafür töten würde. Mit der zunehmenden Macht der schwarzen Garde waren Kapitalverbrechen immer seltener geworden. Bei Mord und Vergewaltigung sowie und vor allem Landesverrat kannten sie keinen Spaß. Wenn der Täter für den Rest seines Lebens in einem Arbeitslager landete, konnte er noch von Glück sprechen. Das musste man ihr lassen – sie sorgte für Ordnung, ob auch für Recht, darüber lies sich streiten.
    Das Hauptquartier war ein hässlicher, schmuckloser Bau. Ein einziges, gewaltiges Gebäude. Keine Fenster im ersten Stock, im Zweiten nur schmale Schießscharten, im Dritten waren die Fenster vergittert. Nur eine Tür führte ins Innere. Es war eine Festung.
    Die Tür selbst, aus festen Eisenbohlen, mit Eisenblech und Nieten beschlagen, war durch und durch abweisend. Sie klopfte an, ein Seeschlitz öffnete sich und aus der Düsternis starrten zwi funkelnde Augen sie an.
    Einer ihrer Begleiter sagte: „Hohepriesterin Saba“
    „Habt Ihr einen Termin beim Kommandanten, Herrin?“, fragte der Wächter.
    „Nein, aber das Anliegen ist dringend“, antwortete sie.
    Ihr wurde geöffnet.
    „Ihr kennt den Weg, Herrin?“
    Die Frage war rhetorisch, selbst wenn nicht, ihre Leibwache wüsste ihn. Sie nickte dennoch.
    Die Verbeugungen der schwarzen Gardisten hier waren weniger respektvoll als draußen. Nur hier, in der Sicherheit ihrer Mauern, zeigten sie ihre Gesichter. Auch ihre Leibwache nahm die Tücher ab.
    Saba wusste, dass der Staat, die Utopie, die ihr Kommandant errichten wollte, im Grunde die einzige Religion dieser Seelen war. Dafür lebten sie. Dafür starben sie. Dafür töteten sie. Hier konnte man sehen, dass sie sich alle die Köpfe und Gesichter rasiert hatten. Alle war peinlich sauber, im krassen Gegensatz zu den Straßen, wo Müll und Fäkalien sich im Schlamm türmten.
    Sie kamen in ein kleines Vorzimmer. Ein älterer Mann ging hier Akten durch, erhob sich aber, als sie eintrat.
    „Herrin Saba. Ihr habt keinen Termin. Ich muss wohl nicht daran erinnern, dass Kommandant Ehmud einen sehr engen Tagesplan hat?“
    Nur wenige wagten, so mit ihr zu reden. Es war klar, was er sagen wollte. Dies ist unser Reich, nicht das des Tempels, der Armee oder anderer. Du stehst hier in unserer Gnade.
    „Es ist dringend, Meister Alius“, antwortete sie freundlich. Unfreundlichkeit war ein Zeichen von Schwäche, das hatte sie als erstes lernen müssen, als sie als Hohepriesterin in den Kronrat und damit ins politische Geschehen des Reiches eingetreten war.
    Der Sekretär klopfte an eine Tür im hinteren Teil des Raumes und steckte seinen Kopf hinein.
    Kurz kam es zu einem Austausch, dann traten einige Leute heraus – teils schwarze Gardisten, teils Zivilisten.
    Sie betrat den Raum. Ein kleines Büro voller Bücherregale und einem kleinen, vergitterten Fenster. Hinter ihr wurde die Tür geschlossen.
    Der kleine Mann mit der dunklen Hautfarbe stand lächelnd auf. Ehmud iben Kocha, Kommandant der schwarzen Garde seit 120 Jahren, der gefürchteste und de facto mächtigste Mann des Reiches, auch wenn er formell dem König diente.
    „Saba, schön dich zu sehen! Möchtest du etwas trinken?“, fragte er.
    „Etwas Wasser wäre gut, danke. Wie gehen die Planungen voran?“ Saba wusste, ohne kurzen Plausch vor dem „geschäftlichen“ würde er sie nicht davonkommen lassen.
    „Sehr gut, ich denke, die Pyreaier werden sich unserem Reich des Friedens, des Wohlstandes und der Sicherheit bald anschließen und all das stärken. Und davon profitieren, versteht sich“
    Saba fragte lieber nicht, wie viele dafür ermordet worden waren.
    „Ich sehe schon“, meinte sie, „die Pläne des großen Ehmud gehen eben immer auf“
    „Nun ja, es hilft, dass ich die Leibwachen aller wichtigen Persönlichkeiten des Reiches, den Geheimdienst und die Polizei des Reiches kommandiere und im Kronrat sitze. Aber das ist dir natürlich klar. 150 Jahre Lebenserfahrung tun ihr übriges“
    Er schenkte ihr einen Becher Wasser ein, kein protziger Kelch. Ehmud gab nichts auf überflüssigen Luxus.
    „Ich traf einen Kranken auf dem Weg hierher. Deine Männer sollten etwas gütiger sein. Sie wissen, wie es ist, wenn man nichts hat“
    Ehmud seufzte.
    „Sie sind um deine Sicherheit besorgt. Seit einige angesehene Mediziner und ich das Phänomen der Ansteckung untersucht haben, du weißt seither bin ich Doktor der Medizin Honore Causa, ist sind alle Gardisten zur Vorsicht angehalten“
    „Du hast mir nie erzählt, wie es dazu gekommen ist. Zum Titel meine ich“
    „In der Tat. Vielleicht sollte ich das einmal nachholen bei dir als Seelsorgerin. Damals, als wir ein paar waren vor – sind es wirklich schon 40 Jahre? – fürchtete ich, du würdest mich dafür hassen. In einer Stadt namens Sirum, ein kleiner Handelsknotenpunkt mit damals vielleicht 2000 Einwohnern, brach eine Pestepidemie aus. Ich bin dahin gereist mit ein paar ehrgeizigen, jungen Ärzten um zu helfen, wo ich konnte. Und um zu forschen. Neben Sklaverei, Hunger, Verbrechen, Krieg und anderem Unheil, wollte ich damals auch Krankheiten bekämpfen und aus der Welt schaffen. Heute versuche ich nur noch meine Leute möglichst vor Krankheiten zu schützen – gesunde Ernährung, Ganzkörperrasur gegen die Läuse – du kennst das Prozedere. Jedenfalls erreichten wir damals nichts, wie ein Lauffeuer breitete sich die Seuche aus. Ich lies die unbetroffenen Viertel räumen, packte die Gesunden zur Beobachtung in Lager und wer keine Symptome zeigte, den siedelte ich um. Ohne jeden Besitz, der die Seuche tragen könnte. Die Stadt selbst aber lies ich umstellen. Der König gab mir freie Hand. Ich sollte ihm nur die Krankheit vom Hals schaffen, die die Sicherheit seines Reiches und seinen Wohlstand gefährdeten. Die Armee hob Gräben aus, schüttete Wälle auf, keiner kam rein, keiner raus. Eine typische Belagerung. Nur hin und wieder konnte ich Nahrung mit Katapulten hineinschießen lassen. Ich musste das aus eigener Tasche bezahlen und bald hatte ich kein Privatvermögen mehr. Nur wenige Tage später marschierte eine Schar aus der Stadt. Die meisten krank, viele auf andere gestützt. Die Soldaten forderten sie auf, stehen zu bleiben. Sie ignorierten es. Sie liefen einfach auf den Wall zu. Unbewaffnet, Männer, Frauen und Kinder. Sie gingen davon aus, dass wir schon nicht gegen sie vorgehen würden. Hilflose Kranke abschlachten – wer würde so etwas tun? Da kamen die Offiziere zu mir und fragten, was sie tun sollten“
    Ehmud nahm einen Schluck Wasser
    Saba schluckte. Sie konnte sich denken, was dann geschehen war. Dennoch fragte sich: „Und dann“
    „Dann, Hohepriesterin, haben wir Pfeilhagel auf Pfeilhagel auf sie niedergehen lassen. Nicht wir. Ich. Ich habe es befohlen und die alleinige Verantwortung. Ich konnte nicht zulassen, dass sie die Soldaten und andere ansteckten. Ein Heilmittel gab es nicht. Sie waren ohnehin zum Tode verurteilt“
    Sie nickte. Ehmud war nicht gewissenlos, das wusste sie. Aber er war gut darin, sein Gewissen zu ignorieren.
    „Und der Titel?“, fragte sie
    „Die Ansteckung war damals eine neue Theorie. Man ging von verseuchter Luft in den Städten oder bösen Geistern aus. Und das waren noch die wissenschaftlichsten Lehrmeinungen. Die Ereignisse von Sirum lehrten, dass es die Ansteckung gab, denn die Epidemie blieb diesmal zum ersten Mal in der Geschichte auf einen Ort beschränkt. Auf ruck des Königs verlieh mir die Universität darauf den Honore Causa Doktortitel der Medizin. Der sich zwar gut neben den anderen in Jura und Philosophie macht – in 150 Jahren kommt einiges zusammen – aber dennoch habe ich mich daraufhin nicht mehr mit medizinischer Forschung beschäftigt. Es ist selbst mir zu viel, was da für den Fortschritt getan werden muss. Stärkere als ich werden es tun müssen. Ich bleibe bei sozialen und politischen Reformen zum Wohl der Menschheit. Denn ich bin überzeugt – zum Wohle der Menschheit lebe ich mein unnatürlich langes Leben“
    Dann schwieg der Kommandant kurz, ehe er fragte: „Aber du bist nicht für einen Plausch gekommen, nicht wahr? Was kann ich für dich tun?“
    „Eine Prophezeiung erfüllt sich. Eine schlimme. Die Insel Ojai verdunkelt sich.“
    „Ojai… Schöner Ort. Die Akademie ist ein prächtiger Platz der Bildung und Kultur. Was meinst du?“
    „Die Seeelfen – ihre Herzen verfinstern sich. Sie quälen und essen die Erecti“
    „Weißt du, im Grunde gibt es keine echte ethische Rechtfertigung für die Versklavung und Tötung irgendeines Tieres. Das tun aber fast alle Völker. Gut, die Seeelfen waren lange Vegetarier, aber sie leben ewig. Irgendwann wird in einem langen Leben alles fade, glaube mir, ich weiß, wovon ich spreche. Mein vielleicht ewiges Leben war kein Segen, erinnerst du dich, es war ein Fluch einer Hexe, deren Herren ich als Rebell tötete, lange bevor ich in dieses Land kam und zum Meuchler des Urgroßvaters unserer Königs wurde.“
    Saba biss sich auf die Lippen.
    „Es ist so angekündigt, Ehmud. Erst die Schalentiere, dann die Fische, dann die niederen Säuger und Vögel, dann die Fast-Menschen und dann die Menschen. Die Seeelfen werden Krieg bringen, es sei denn, du verhinderst es. Der Dolch, der stärker ist als jedes Schwert.“
    Der Kommandant dachte nach.
    „Die Seeelfen haben eine mächtige Flotte und können eine Hungersnot auslösen, wenn sie uns von den Provinzen im Süden abschneiden…“, murmelte er, dann sagte er ernst: „Aber ich nehme an, etwas konkretes steht nicht in der Prophezeiung, was ich unternehmen soll?“
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Du weißt, ich gebe nicht viel auf Prophezeiungen. Zu oft kann man sie in jede Richtung auslegen. Leider habe ich Berichte vorliegen, dass die Seeelfen aufrüsten. Höchstwahrscheinlich aber gegen das erstarkende Reich der Kronazi im Osten. Die sind sehr aggressiv und ambitioniert. Ich werde darüber nachdenken, Saba, und lasse dich meine Entscheidung wissen. Verstehe aber bitte, dass ich nicht aufgrund alter Schriften, von denen ich nicht weiß, ob sie in göttlicher Eingebung oder im Drogenrausch niedergeschrieben wurde einen kriegerischen Akt beginnen kann. Als Vorwand für das gemeine Volk ist es aber gut, wenn du meine Bestrebungen gegebenenfalls unterstützen solltest. Damit die Führung dieses Volkes zu ermeucheln wird es nämlich nicht getan sein. Jeder Seeelf übernimmt irgendwann im Leben auch jede Führungsaufgabe. Dieser Schlange kann man nicht den Kopf abschlagen. Sie besteht nur aus Köpfen. Ich hole Erkundigungen ein, meditiere darüber und bringe es dann vor den Rat. Wenn dort die Hohepriesterin und der Kommandant der schwarzen Garde für das gleiche sprechen, wird es gelingen, den ganzen Rat zu überzeugen. Das passiert schließlich sehr selten“
    Saba nickte erleichtert.
    Da klopfte es.
    Der Sekretär steckte den Kopf ins Zimmer.
    „Kommandant? Fjordan hätte nun seinen Termin.“
    Ehmud nickte. „Wir sind hier fertig“
    Dann wandte er sich an sie: „Es tut mir leid, aber das ist wichtig. Ärger in den nördlichen Provinzen. Auf ein baldiges Wiedersehen. Erwarte meine Antwort in Bälde“

    Einmal editiert, zuletzt von Windweber (4. Februar 2017 um 16:17)

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    Hey Windweber. Das ist echt super geschrieben! Nur die Punkte fehlen etwas oft ;) Find ich sehr schön, wie du den Charakter von Ehmud darstellst und auch die Tücken eines sehr langen Lebens.
    Was ich mich frage: sind das alles Menschen? Er sagt ja, dass er zum Wohle der Menschen lebe, deshalb komme ich zu dem Schluss. Und die ganze Umgebung mit Fäkalien etc passt mehr in mein Bild von Menschen als von Elfen. Ist dann auch Saba (der Name gefällt mir) eine Menschenfrau? Das verwundert mich etwas, wenn doch ihre Schülerin eine Lichtelfe ist. Überlässt du es, anderen Schreiber, darauf eine Antwort zu finden? Es könnte natürlich sein, dass auch Saba eine Lichtelfe ist, die sich als Menschenfrau tarnt, wer weiss.

    Auf jeden Fall cool, dass du weitergeschrieben hast!! Ich hoff nur, dass bald auch andere die Zeit finden, sich in die Geschichte reinzugeben und es nicht eine Zwei-Schreiberlings-Geschichte wird. Wär auch schön, aber nicht das Ziel des Projekts...

    Lg, RenLi

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
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    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

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    @RenLi Die Idee der getarnten Elfe finde ich super! Das muss ich noch deutlich rein schreiben. Ehmud muss wohl ein Mensch sein - einem Elfen würde ein langes Leben wohl nicht so eine Last... Aber du kannst davon ausgehen, dass sie eine Elfe ist - es macht sonst wenig Sinn, da hast du recht. Ich würde übrigens auch mit dir allein gern schreiben. Ich mag deinen Stil. Und wenn jemand Lust hat, kann er oder sie ja jederzeit reingrätschen ;)

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    Cool, da bin ich doch gleich motiviert, mir eine Fortsetzung auszudenken. Vielleicht mit dem Bettler? Oder einem dieser schaurigen Handlanger? Oder doch einem Erekti? Es gibt der Möglichkeiten viele ;) Und ja, mal sehen, wer sonst noch so mit einem Beitrag reinschneit...

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    So, jetzt habe ich sie ganz offiziell zur getarnten Elfe gemacht. Die Entscheidung, welche Figur du wälst, kann ich dir ja leider nicht abnehmen. Und ich habe ganz bewusst diesmal viele Möglichkeiten eröffnet. Ich bin schon sehr gespannt, in welche Richtung das gehen wird! Nur ein Erekti kam jetzt ja nicht direkt vor - wobei einer in den Menschenmassen gewesen sein könnte. Da hast du natürlich freie Hand!

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    Der Einschub ist dir gut gelungen! Die zwei Charaktere gefallen mir eh schon super gut.
    Hab noch eine Frage, wegen dem Erekti: kann ich nicht auch mit einer Figur aus einem älteren Teil weitermachen? Oder muss es immer jemand/etwas aus dem letzten Teil sein?

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