Es gibt 65 Antworten in diesem Thema, welches 21.994 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (1. März 2017 um 16:41) ist von RenLi.

  • Jetzt wo ich mich intensiv mit ihr beschäftige, merke ich, dass dieses Epos eine wirklich wunderschöne Geschichte ist. Ich hoffe, ich werde ihrer gerecht. Der nächste Teil hat mich sehr gerührt. Ich hoffe, ich bringe es gut rüber und mache dem Genius, das dies ursprünglich verfasst hat, keine Schande!

    4. Tafel

    Enkidu

    Die beiden Freunde wanderten rasch über die Steppe. Kein gewöhnlicher Mensch hätte mit ihnen mithalten können. Nur in der größten Mittagshitze rasteten sie, um einen Bissen zu essen. Und erst am späten Abend ruhten sie, nachdem sie Schamasch frisches Wasser geopfert hatten, das sie auf Steinen in der Sonne verdunsten ließen.
    Bald schon erreichten sie den Libanon.

    Eines Nachts rüttelte Gilgamesch Enkidu aus dem Schlaf.
    „Ich hatte einen Traum“, sagte er, „Willst du mich beraten?“
    „Na sicher, ich bin doch dein Freund und Berater“, antwortete Enkidu verschlafen, aber aufmerksam.
    „Es war ein wirrer und beunruhigender Traum. Ich war in der Steppe und jagte wilde Stiere. Da kam ein gewaltiger Stier auf mich zu. Der Boden donnerte unter seinen Hufen. Ich starb fast vor Angst! Ich packte ihn bei den Hörnern, meine Ader an der Stirn pochte vor Anstrengung. Da legte er mir über das Gesicht und sein Speichel war kühl und sauber. Und er klebte überhaupt nicht.“
    Enkidu dachte nach. Dann überkam es ihn.
    „Der Gott, zu dem wir auf dem Weg sind, ist kein Wildstier. Was du gesehen hast, ist Schamasch. Er wird uns beistehen in der Not.
    Bald waren sie wieder eingeschlafen, doch erneut weckte Gilgamesch Enkidu. Schlaf werde ich heute wohl nicht viel bekommen, aber was tut man nicht alles für einen guten Freund?
    Der König erzählte: „Diesmal träumte ich, dass wir in einer Schlucht vor einem Berg standen und der stürzte ein! Und wir waren winzig wie Fruchtfliegen vor ihm!“
    Enkidu musste lächeln.
    „Das ist ein schöner Traum mein Freund, eine kostbare Zusage! Der Berg, den du beschreibst, ist Chumbaba! Wir werden ihn besiegen und töten und seinen Leichnam in die Steppe werfen.“

    Am Morgen zogen sie weiter, aßen nur einen Bissen in der Mittagshitze, etwas Fladenbrot und Datteln, erst am Abend suchten sie eine Stelle für die Nacht an einem Hügel.
    „Enkidu, bereite du doch das Lager vor“, bat Gilgamesch, „Ich will auf den Berg steigen und etwas von unserem Brot Lugalbanda opfern, meinem Vater, um uns für die Träume zu bedanken.“
    Der Freund nickte. Das war eine weise Idee! Man musste die Götter gewogen halten, gerade auf so einer gefährlichen Mission.

    Und so ging es die nächsten Tage weiter, wurde geradezu zur Routine. Den ganzen Tag Marsch und oft hatte Gilgamesch Träume, die Enkidu ihm deutete. Und Gilgamesch brachte oft auf Hügeln und Bergen Opfer dar als Dank und als Bitte für neue Träume. Und auch das Opfer von frischem Wasser für Schamasch vergaßen sie nicht.

    Eines Abends kam ein furchtbarer Regensturm auf. Doch das war nichts, was Enkidu in Bedrängnis bringen würde, der in der Wildnis aufgewachsen war. Er erkannte das Unwetter früh und baute einen Unterstand für sich und seinen Freund.
    Gilgamesch lag zusammengerollt da wie ein Kind, das Kinn am Knie und schlief. Enkidu stopfte gerade ein Loch im Dach.
    Plötzlich schreckte der König hoch.
    „Was ist? Hast du gerufen?“, fragte er, „Hast du mich angestoßen? Ich bin ganz durcheinander…“
    „Du hast sicher wieder geträumt, Gilgamesch“, meinte Enkidu und wartete geduldig, bis sein Freund sich wieder gesammelt hatte.
    „Es war furchtbar! Die Himmel öffneten sich und die Erde erbebte! Am heiligsten Tage wurde es finster. Es blitzte und donnerte und überall brachen Feuer aus. Vom Himmel regneten tödliche Geschosse. Die Feuer, vorher weißglühend, wurden rot und verloschen schließlich. Aber alles war schon zu Asche verbrannt!“
    Auf diesen Traum wusste Enkidu nichts zu sagen. Doch er klang nicht verheißungsvoll…

    Die Regenzeit hatte eingesetzt und zur täglichen Routine des Wanderns, Rastens und Opferns kam für Enkidu nun, Unterstände zu bauen, damit ihr Schlafplatz trocken blieb. Er war die Wildnis aus seiner Jugend ja gewohnt, aber er merkte, dass Gilgamesch den Luxus seines Palastes doch sehr vermisste. Dafür schlug er sich aber nicht schlecht.
    Seine Träume aber waren unheilvoll.

    Enkidu wollte umkehren. Mit solch schlechtem Omen sollte man nicht in den Kampf ziehen.
    „Erinnerst du dich, was du in Uruk gesagt hast?“, fragte Gilgamesch und sein Freund nickte, „Schau du hast schon dort gezweifelt. Lass uns zu Schamasch beten!“
    Enkidu war nicht ganz überzeugt. Aber ein Gebet konnte nicht schaden, zumal sie ja täglich dem Sonnengott opferten.
    Da brach die Sonne durch die Wolkendecke und eine donnernde Stimme rief:
    „Beeilt euch, damit der Wächter nicht in den Wald gehen und sich verstecken kann! Er trägt momentan nur einen seiner Sieben Panzer!“
    Als die himmlische Stimme verstummt war, erklang in der Ferne ein gewaltiges Brüllen, das wie die Sintflut über das Land raste.
    Bei dem Klang zogen sich Enkidus Eingeweide zusammen. Es war Chumbaba, der nach der Rede des Gottes Schamasch wie zur Herausforderung gebrüllt hatte. Ein Gott war mit ihnen, einer gegen sie. Wäre er doch nur nie mitgekommen!
    Gilgamesch schien seine Furcht zu sehen und zu verstehen. Er legte einen Arm um Enkidus schultern, das muskulöse Gliedmaß lag schwer und beruhigend auf ihm.
    „Schau Enkidu – ein rutschiger Weg bringt zwei, die sich helfen, nicht aus dem Gleichgewicht und den stärksten Löwen können zwei Jungen umstoßen, wenn sie zusammenarbeiten. Ein dreisträngiges Seil hält die schwersten Gewichte aus, die dünnere reißen lassen würden! Wenn wir zusammenhalten, können wir alles schaffen!“
    Da fasste Enkidu neunen Mut. „Wir steigen hinab und holen uns dieses Holz!“, sagte er entschlossen.
    „Warum haben wir uns bisher so ängstlich verhalten?“, fragte Gilgamesch lächelnd, „Wir haben doch gemeinsam alle Gebirge überwunden und kennen uns mittlerweile so gut! Du bist ein so großer Kämpfer, du fürchtest den Tod doch nicht! Deine Stimme ist laut wie eine Kesselpauke, da schreckt dich das Brüllen des Drachen doch nicht! Weg mit dem Schmerz in den Armen, weg mit der Entzündung in den Knien! Bald sind wir am Ziel! Nimm meine Hand! Ziehen wir vereint weiter! Vergiss Tod und Müdigkeit! Ich habe mein Leben lang nur mich selbst beschützt, doch nun beschütze ich auch dich.“

    Es dauerte nicht mehr lange, da erreichten sie den immergrünen Wald.
    Sie blieben stehen und schwiegen.

    2 Mal editiert, zuletzt von Windweber (8. Februar 2017 um 00:30)

  • Das Ende ist wirklich rührend!
    Und die ganze Geschichte ist einfach super. Zwar weiß ich auch nicht, wie das Original ist, aber du machst einen sehr guten Job.
    Ich bin gespannt, wie sie dem Gott nun entgegentreten wollen.

    Genesis: Sie ist Azathoth, das amorphe Chaos in der zentralen Leere
    Josh: Meine Prophetin!

  • Und gleich der nächste Teil! Ihr motiviert mich wirklich toll, ganz wie Gilgamesch Enkidu! Und jetzt kann ich euch ein bisschen Action versprechen. ;)

    5. Tafel

    Gilgamesch


    Sie standen da und staunten über die gewaltigen Bäume. Und über die gewaltige Schneise, die ein riesiges Wesen hineingeschlagen hatte, das hier oft hindurchgehen musste. Sie sahen riesige Spuren. Und sie erblickten den Zedernberg, die Wohnsatt der Götter, der dem Wald seine Kraft gab und die mächtigen Bäume wachsen ließ. Ein breiter Wassergraben umgab den Wald als Schutz und Grenze. Als sie sich satt gesehen hatten, durchschwammen sie ihn.

    Dichtes Dorngestrüpp säumte den Weg zu beiden Seiten, den die Freunde gingen. Der Weg, den das gewaltige Wesen in die Bäume gerissen und fest getrampelt hatte. Sie bestrichen ihre Äxte mit Gift und lockerten die Schwerter in ihren Scheiden. Vorsichtig gingen sie weiter. Da ein Knacken! Sie hoben ihre Waffen, doch nichts geschah.
    Enkidu meinte zu seinem Freund: „Er wird sich verbergen, da er uns nur einzeln besiegen könnte. Eine rutschige Stelle ist keine Gefahr für zwei, die sich helfen. Zwei dreisträngige Seile können die größten Gewichte halten. Den gewaltigsten Löwen können zwei Jungen umstoßen.“

    Tief im Wald, nach einer Kurve, standen sie plötzlich dem Drachen Chumbaba gegenüber, der spöttisch seine donnernde Stimme erhob: „Du warst schlecht beraten, Gilgamesch hierher zu kommen! Du Thor und du Dummkopf, warum seit ihr zu mir gelaufen? Gib du ihm Rat, Enkidu, Bastard ohne Vater! Du Schildkröte, die keine Muttermilch saugen konnte! Ich habe dich schon beobachtet, als du klein warst, aus der Ferne. Und nun führst du Gilgamesch vor mich, obwohl du es besser wissen müsstest! Schon früher hätte ich dich zerfleischen sollen und dich den Geiern zum Fraß lassen!“
    Und er begann seine Gestalt zu ändern, sodass nur seine gepanzerten Beine in Reichweite der Waffen wären.
    Gilgamesch sah die Wandlung mit Entsetzen und fragte Enkidu: „Wie sollen wir jetzt seine empfindlichen Punkte treffen?“
    Enkidu lächelte: „Warum beklagst du dich, Gilgamesch? Das ist das Abenteuer, das du wolltest, das dich unsterblich machen soll! Dafür sind unsere Waffen gegossen worden. Achte nur auf seinen Feuersturm in der Kehle und die Flut seines Brüllens. Fliehe nicht, denn entkommen kannst du ihm nicht. Schlag kräftig zu! Die Götter sind mit uns!“
    Da fasste Gilgamesch neuen Mut.
    Sie stürmten auf Chumbaba zu, die Äxte erhoben. Flink sprangen sie, sodass seine Bisse und Tritte sie nicht trafen, der Boden erbebte unter der gewaltigen Kraft der Männer.
    Da wurde es düster. Ein kurzer Blick nach oben zeigte Gilgamesch, dass sich der eben noch weiß bewölkte Himmel rasch mit schwarzen Wolken bedeckte.
    Und die Winde erwachten. Gilgamesch erkannte sie alle – den Südwind, den Nordwind, den Westwind und den Ostwind, den Böenwind, den Sturm, den Orkan, den bösen Wind, den Simurru-Wind, den Wind des Dämons Asakku, den Eiswind, den Sturmwind und den Sandsturm – alle Dreizehn Winde stürmten auf Chumbaba ein, umhüllten sein Gesicht, brachten ihn ins Wanken und blendeten ihn. Schamasch musste sie ihnen zur Hilfe geschickt haben!
    Weder konnte Chumbaba nach vorne stoßen, um sie anzugreifen, noch zurückweichen. Oft stürzte er und sie konnten ihn blutige Wunden schlagen, ehe er sich mühsam wieder auf seine gewaltigen, gepanzerten Beine erhob.
    Da brüllte Chumbaba über das Windgebraus hinweg zu Gilgamesch: „Du warst noch klein, deine Mutter hatte dich gerade geboren, da kannte ich dich schon. Du bist ein Sohn des Lugalbanda. Auf Befehl des Schamasch sollst du dich nun ausruhen. Ich werde dir so viele Bäume herausreißen, entasten und über den Fluss schicken, wie du möchtest! Das Holz wird eine würdige Ausstattung für deinen Palast sein!“
    Gilgamesch zögerte und senkte die Waffe.
    Enkidu rief ihm zu: „Höre nicht auf ihn! Er lügt um sein elendes Leben zu retten!“
    Gilgamesch nickte. Sein Freund hatte höchstwahrscheinlich recht.
    Da brüllte Chubaba, diesmal zu Enkidu: „Du kennst meine Anordnungen! Ich hätte dich, als du den Wald betreten hast, eigentlich sofort zerfleischen müssen, weil du kein Abkömmling eines Gottes bist. Dein Fleisch den Geiern zum Fraß vorwerfen. Jetzt ist es an dir, Gnade zu zeigen! Sag Gilgamesch, er soll mein Leben schonen!“
    Gilgamesch sah zu Enkidu, der zögerte nur einen kurzen Moment.
    „Töte ihn!“, rief der Mann aus der Steppe.
    „Ich habe dich verschont, Undankbarer, sag deinem König, er soll mich verschonen!“, verlangte der Drache erneut.
    Erneut sagte Enkidu darauf: „Töte ihn, Gilgamesch!“
    Da brüllte Chumbaba zornig: „Die Götter mögen euch früh sterben lassen! Enkidu aber soll lange vor dir sterben, Gilgamesch!“
    Enkidu rief: „Warum hörst du nicht auf mich, Gilgamesch, töte ihn, ehe er uns weiter verflucht!“
    Endlich erwachte Gilgamesch aus der Starre, in die ihn die gewaltigen Worte versetzt hatten. Als Chumbaba erneut fiel, schlug er ihm mit einem gewaltigen Streich den Kopf ab.
    Sie schlugen auf den Leib des bösen Ungeheuers ein, bis er sich nicht mehr rührte und die Eingeweide offen lagen für die Geier.
    Erschöpft sanken die beiden Männer nieder.

    Am nächsten Tag fällten sie Bäume mit ihren Äxten, schlugen die Äste ab. Enkidu wählte die besten aus mit seinem Blick für die Wildnis. Gerade Stämme mit gesundem Holz und wenigen Astaugen.
    Da sagte Enkidu zu Gilgamesch: „Jetzt haben wir es geschafft, die höchsten Zedern zu fällen, die bis an den Himmel reichen. Daraus können wir ein gewaltiges Tor machen. Und das sollten wir nach Nippur bringen. Dort kann man sie brauchen und der Euphrat kann sie direkt dorthin tragen.“

    Sie machten ein Floß aus den Stämmen, Enkidu war der Flößer und Gilgamesch hielt den Kopf Chumbabas.

    2 Mal editiert, zuletzt von Windweber (7. Februar 2017 um 09:07)

  • Ooohhh, der arme Drache. Tut mir jetzt schon ein bisschen leid für ihn. Naja! Besser er, als die beiden. Sonst wäre die Geschichte ja auch an der Stelle schon zu Ende gewesen :)

    Seine Art, den Gegner zu demoralisieren, fand ich irgendwie knuffig:

    Du Schildkröte, die keine Muttermilch saugen konnte!

    Das klingt wirklich zutiefst verletzend... :) (zumindest aus heutiger Sicht...)

    Hier noch ein paar Fehlerchen:

    der dem Wald seine Kraft gab und die mächtigen Bäume wachsen lies. Ein breit....

    ließ (einer deiner Lieblingsfehler, oder?) :)

    Und er begann seine Gestalt zu ändern, so dass


    sodass

    Schamasch musste sie ihnen zur Hilde geschickt haben...

    Hilfe


    Viele Grüße,
    Rainbow

  • Sehr cool, speziell die Winde und der ... Fluch oder die Prophezeiung finde ich spannend.

    Irgendwie bringen mich immer irgendwelche forumlierungen etwas aus dem Fluß, dieses mal fand ich "höchstwahrscheinlich" etwas unpassend. XD

    Auch war mir anfangs nicht klar das der Graben mit Wasser gefüllt ist, bevor sie ihn durchschwammen....


    Eine Frage hätte ich noch: Wie tief bist du da drin, du wirst das nicht irgendwie im Original lesen oder so? Oder wie wir der "Drache" denn dort bezeichnet/beschrieben? Ist ja vermutlich kein klassischer "moderner" Fantasydrache?

    Falken haben doofe Ohren

  • Eine Frage hätte ich noch: Wie tief bist du da drin, du wirst das nicht irgendwie im Original lesen oder so? Oder wie wir der "Drache" denn dort bezeichnet/beschrieben? Ist ja vermutlich kein klassischer "moderner" Fantasydrache?

    Ich lese eine (eher wissenschaftliche) Übersetzung eines Professors der Altorientalistik. Da er versucht hat, seine Übersetzung in das von ihm vermutete Versmaß des Originaltextes zu bringen, wird es noch zusätzlich schwer. Oft gibt es auch Lücken, wo man nur einen Halbvers hat oder ein "30 Verse fehlen". Und er stellt bisweilen eine ältere neben eine jüngere Version - dann muss ich mich entscheiden oder schauen, wie ich beide vereine. Manchmal muss ich darum auch Lücken stopfen (meist in einem einzelnen, kurzen Satz, der wiedergibt, was in der Lücke geschehen sein müsste). Ich habe zwar Hebräisch gelernt und habe darum grundliegende Ahnung vom Aufbau altorientalischer Sprache und Texten (Schämäsch heißt auf Hebräisch Sonne, Schamasch ist der Sonnengott aus dem Mythos - sowas fällt mir natürlich auf).
    Und zu Chumbaba - man erfährt nur seinen Eigennahmen, die Beschreibungen habe ich alle übernommen. Viel erfährt man nicht über sein Äußeres. Das Wort "Drache" habe ich verwendet, weil sich moderne Leser so etwas vorstellen können (ich fand auch, es passte zur Größe und zum Feuer in der Kehle). Die ersten Leser hatte sicher sofort ein Bild vor Augen, kannten das Ungeheuer. Für den modernen Leser musste ich zu einem Kniff greifen, das Bilder entstehen. Ich will hier mehr einen leicht zu lesenden und am besten unterhaltsamen Text gestalten, als das ich Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit habe. Der Künstler hat eben künstlerische Freiheit, der Wissenschaftler nicht. Aber ich bemühe mich, so nahe am Original zu bleiben, wie irgend möglich.

    In erst kürzlich gefundenen Zeilen wird Chumbaba laut Wikipedia als (menschlicher) Herrscher beschrieben, den die beiden töten und ebenfalls seine sieben Söhne - Zeugen der Tat. Ich bin fast froh, dass es das nicht in meine Vorlage geschafft hat, wo die beiden doch gerade die Sympathie meiner Leserschaft gewinnen. ;)
    https://de.wikipedia.org/wiki/%E1%B8%AAumbaba

  • Ah, vielen Dank für die Information! Sehr sehr spannend! :)

    (Und ja, natürlich verstehe ich die Entscheidung, ihn einen Drachen zu nennen, das macht in diesem Kontext natürlich Sinn. Diese Anmerkung dazu finde ich aber genau so spannend und würde mich über weitere freuen wenn es z.B. mehrere Deutungsmöglichkeiten gibt oder so)

    Falken haben doofe Ohren

  • Bin dem link gefolgt und habe mich zumindest auszugsweise durch diesen Text gewühlt. Oh Gott!... @Windweber du verdienst wirklich größten Respekt!!! Und ich bin überzeugt davon, dass du das Beste da rausholst :)

    Wenn ich mal etwas mehr Zeit und Ruhe habe, werde ich mich dem Thema nochmal zuwenden...das ist aber echt kein Text, den man sich zwischen mal eben durchliest...(also, ich zumindest nicht)

    Viele Grüße,
    Rainbow

  • „Du warst schlecht beraten, Gilgamesch, hierher zu kommen!

    Ich glaube, da fehlt ein Komma?

    Zur Geschichte: WOW. Toller Kampf, mir hat auch das mit den 13 Winden super gefallen.
    Auch, dass der Graben ja eine Grenze sein sollte, und die beiden einfach durchschwimmen (als sie sich satt gesehen haben xD) fand ioch große Klasse.
    Es ist schön zu lesen, wie Gilgamesch immer auf Enkidu hört. Warum Enkidu Chumbaba umbedingt tot sehen wollte ist mir (als wahrscheinlich zu weiche Frau xD) ein Rätsel. Ist es dort so üblich, dass Götter ihr Wort brechen? Oder ist Enkidu einfach nur eiskalt?

    Ich kannte ja Gilgamesch aus einem Anime. Ich mag sein Desing dort sehr gerne, aber er ist SEHR animelastig xD nix da mit Bart.
    Also hab ich auch mal Enkidu gesucht, weil er in der Welt auf auftaucht, Bilder im Spoiler:

    Spoiler anzeigen


    Fate ist eine Reihe aus Animes, Mangas und Spiele. Gilgamesch taucht da sehr oft vor, Enkidu nur selten.
    Aber die Designs der beiden sind hald immer gleich. Erstmal ein Gilgamesch Bild:

    Spoiler anzeigen

    Er sieht aus wie ein König, aber Bart oder langes Haar vermisst man xD

    Hier kommt nun ein Bild, in dem wieder Gilgamesch, aber auch Enkidu zu sehen sind :rofl:
    Ich musste so lachen. Ernsthaft?

    Spoiler anzeigen

    Der Grünhaarige soll wirklich Enkidu sein :rofl:
    OMG Animes... Ich liebe sie... aber so Manch Desing ist fast schon beleidigend XD

    Noch ein Bild mit den Beiden (Man findet Enkidu selten alleine)

    Spoiler anzeigen


    Hier kommen noch zwei, in denen Enkidu mindestens etwas älter aussieht.
    Es sollen wohl die Reise zu Chumbaba und die Hochzeit darstellen.

    Spoiler anzeigen


    Ich hoffe, ich hab damit keine Weltbilder zerstört (Oder Enkidu Bilder XD)
    Aber ich musste so übelst lachen. Wo sind die Bärte hin? Warum so farbenfroh? :rofl:
    Animes....

    Genesis: Sie ist Azathoth, das amorphe Chaos in der zentralen Leere
    Josh: Meine Prophetin!

    Einmal editiert, zuletzt von Aztiluth (7. Februar 2017 um 11:33)

  • das ist aber echt kein Text, den man sich zwischen mal eben durchliest...

    Das stimmt, das ist er definitiv nicht! :)

    Auch, dass der Graben ja eine Grenze sein sollte, und die beiden einfach durchschwimmen (als sie sich satt gesehen haben xD) fand ioch große Klasse.

    In der Originalfassung fehlt die Erzählung, wie sie rüberkamen, der Text dazu ist zerstört. Ich habe geraten, dass sie geschwommen sein müssen. :whistling:

    Warum Enkidu Chumbaba umbedingt tot sehen wollte ist mir (als wahrscheinlich zu weiche Frau xD) ein Rätsel. Ist es dort so üblich, dass Götter ihr Wort brechen? Oder ist Enkidu einfach nur eiskalt?

    Meinem Verständnis nach hätte Chumbaba, der ja als listig gilt, sie bei erster Gelegenheit getötet. Auch Enkidus Klugheit wird ja oft betont - er kann Träume deuten (wie der ebenfalls weise Josef aus der Bibel), durch den Beischlaf mit der Priesterin/Tempedirne wurde er ja weise. Er scheint mir auch eher ein beschützender Typ zu sein - denke an den Jäger und wie er seine Fallen zerstörte, wie er für seine Frau einsteht oder das er zum Schutz der Hirten Raubtiere jagt. Mit "eiskalt" kann man Enkidu sicher nicht beschreiben, ich bin sicher, er durchschaut hier eine böse List und Lüge. (Aber natürlich hat er auch keine modern-mitteleuropäische Ethik, das muss man auch sehen).

  • Kommen wir zur 6. Tafel, Halbzeit - jetzt wird es verdammt episch! ;)

    6. Tafel

    Gilgamesch

    Endlich zu Hause! Enkidu war zu seiner Frau gegangen. Gilgamesch genoss ein ausgiebiges Bad und ließ sich statt seiner staubigen, verschwitzten und blutverschmierten Reisekleidung frische, prächtige Gewänder bringen. Dann erhob er sich aus dem Bad, warf sein Haar zurück und zog sich an. Höchstpersönlich reinigte er seine Waffen, polierte sie, bis die Bronze golden glänzte. Am Ende setzte er seine Krone auf. Nun sah er wieder aus wie der gewaltige König, nicht wie ein heimatloser Vagabund!

    Im Thronsaal erwartete ihn eine Frau. Sie war groß und trug einen Speer bei sich. In ihren Augen lag ein göttlicher Glanz. Gilgamesch erkannte sie rasch – die Göttin Ischtar.
    Gilgamesch, ich will dich zum Gatten, will deine Frau sein!“, sagte sie fordernd, „Ich mache dir einen wunderschönen goldenen Wagen voll Edelsteinen zum Hochzeitsgeschenk mit Mauleseln, die schnell wie der Wind sind. Komm in unser göttliches Haus! Alle sollen dir die Füße küssen. Könige, Edle und Fürsten werden vor dir knien, dem Ehemann der großen Göttin! Und dein Vieh, deine Ziegen und Schafe, sollen dir reichlich Nachkommen gebären, damit du noch reicher wirst. Selbst dein Lastesel soll die schnellsten Rösser einhohlen!“
    Da fragte Gilgamesch vorsichtig: „Wenn ich dein Angebot annehme, was muss ich dir geben? Edle Salböle oder Gewänder? Oder mangelt es dir an Nahrung? Sicher, ich habe Essen hier, dass einer Göttin würdig wäre! Und Wein, der wahrhaft königlich ist! Du bist bekannt dafür, unstet und launisch zu sein. Ich gefalle dir wegen meiner Schönheit. Du würdest mich bald vergessen. Nach einiger Zeit wirst du dir einfach jemand anderen suchen. Du bist wie ein Ofen, der nicht lange genug brennt, um Eis zu schmelzen. Du bist wie eine undichte Tür, hinter der es zieht. Du bist wie ein Palast, der plötzlich einstürzt und seine Bewohner zerschmettert. Wie ein Elefant, der einfach seine Decke abwirft, statt sich reiten und beladen zu lassen. Du bist wie ein undichtes Gefäß, das seinen Träger mit Erdpech befleckt, wie ein undichter Wasserschlauch. Du bist wie ein Kalkstein mit Wasser darin, der bei Frost platzt und die Mauer beschädigt. Du bist wie ein Edelstein, der neidische Soldaten anlockt. Wie ein drückender Schuh.
    Welchen deiner Geliebten hast du lange behalten? Dumunzi, deine Jugendliebe? Jahrelang weinte er wegen dir, weil du so grausam zu ihm warst, schon in eurer Zeit zusammen. Und am Ende hast du ihn in einen Wolf verwandelt, dass alle Hirten ihn vertreiben und er einsam bleiben muss.
    Ischulanu den Palmgärtner deines Vaters? Er war gut zu dir und aufmerksam, brachte dir Geschenke. Und als er dich nicht vor allen an der Scham berühren wollte, hast du ihn zum Krüppel geschlagen.
    Und wenn ich dir nachgeben würde, mir würde es ergehen wie ihnen.“
    Ischtar sah ihn während seiner Rede mit immer zornigeren Augen an. Sie biss sich trotzig auf die Lippen und Tränen der Wut standen in ihren Augen. Ruckartig wandte sie sich von ihm ab und verließ den Saal.
    Es gibt keinen größeren Zorn als den einer zurückgewiesenen Frau. Gilgamesch beschloss, rasch Enkidus Rat einzuholen.
    Draußen hörte er, wie Ischtars Flügel schlugen und sie in den Himmel trugen.

    Ischtar

    Ischtar eilte weinend ihren Eltern entgegen, Anu ihrem Vater und Antum ihrer Mutter.
    „Vater, Gilgamesch hat mich schlimm beschimpft und beleidigt“, schluchzte sie.
    Da sagte Anu: „Hatte er denn nicht recht, mit dem was er sagt? Bisher hast du deinen Geliebten kein Glück gebracht!“
    Mit den Augen voll Tränen sah sie auf zu ihrem Vater. Nun wurde sie richtig zornig. Wie konnte ihr eigener Vater nur diesem Rohling recht geben?
    „Bitte! Schicke den Himmelsstier, dass der Gilgamesch tötet! Wenn du es nicht tust, breche ich die Tore der Unterwelt auf! Ich lasse die Toten heraus, damit sie die Lebenden fressen! Und es gibt mehr Tote als Lebende! Niemand wird das Heer aufhalten können!“
    Anu seufzte und meinte: „Wenn ich dir den Himmelsstier gebe, wird es in Uruk sieben Jahre Hungersnot geben. Ich werde zuerst gute Ernten schicken, damit die Menschen genug zu essen und die Tiere genug Heu haben.“
    Ischtar verdrehte die Augen. Als ob sie das nicht wüsste!
    „Ich habe mich schon darum gekümmert, Vater. Die nächste Ernte wird sehr gut werden.“, antwortete sie.
    Ihr Vater begleitete sie zum Himmelsstier und gab ihr das Halfter in die Hand.
    „Tu, was du nicht lassen kannst“, sagte er resigniert und ging davon.

    Enkidu

    Enkidu lief durch die Straßen von Uruk. Er war besorgt. Ischtar würde die Zurückweisung nicht unbeantwortet lassen. Aber zumindest strafte sie die Stadt nicht mit einer Hungersnot. Die Ernte war gut gewesen.
    Da donnerte es laut! Panisch schrien Menschen. Sie flohen an ihm vorbei.
    Enkidu zog sein Schwert und folgte dem Geräusch entgegen des Stromes der Flüchtenden.
    Erneut donnerte es! Ein Krater brach auf vor einem gewaltigen, schwarzen Stier und zahlreiche Menschen stürzten in die Tiefe. Gebäude stürzten ein.
    Enkidu näherte sich dem Tier von der Seite, es sah plötzlich zu ihm und schnaubte. Der Boden öffnete sich vor Enkidu und er stürzte. Gerade noch konnte er sich halten.
    Nun stürmte der wilde Bulle in seine Richtung. Enkidu zog sich aus dem Spalt, sein Schwert hatte er verloren. Er packte den Stier bei den Hörnern. Der kämpfte mit ihm um die Kontrolle, er verspritzte Geifer mit seinem Maul und Mist mit seinem Schwanz in der ganzen Straße.
    Die Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt, Enkidu brüllte auf vor Anstrengung.
    Dann wurde er durch die Luft geschleudert. Unsanft landete er. Diese Kreatur war zu stark für ihn!
    Da wurde ihm eine Hand entgegengestreckt, um ihm aufzuhelfen. Gilgamesch!
    „Komm!“, sagte Enkidu, „Schlimmer als Chumbaba kann er auch nicht sein, gemeinsam besiegen wir ihn!“
    Sie sahen, wie der Stier durch die Straßen wütete, Häuser verwüstete und Menschen zertrampelte.
    „Aber wie?“, fragte Gilgamesch ratlos.
    „Wir teilen uns auf! Ich packe ihn am Schwanz, du am Horn! Dann treibst du dein Schwert in seinen Nacken!“
    Der König nickte.
    Enkidu stürmte auf den Stier zu, der sich ihm zuwandte. Kurz bevor sie zusammentrafen, warf er sich zur Seite, machte eine Rolle und kam hinter dem Stier wieder auf die Beine. Er sprang ihm hinterher und packte seinen Schwanz mit beiden Händen.
    Jetzt konnte er nicht mehr auf Gilgamesch zustürmen. Der erreichte ihn und packte mit der Linken eines der Hörner, zog sein Schwert und stieß zu. Tief drang es in den Nacken. Ein kurzes Zucken noch, dann war das Tier tot.
    „Wir sollten das Fleisch Schamasch opfern. Erneut war er auf unserer Seite, wie es scheint!“, keuchte Enkidu. Gilgamesch nickte.

    Bald standen sie mit demütig gesengtem Kopf vor dem brennenden Altar des Tempels des Sonnengottes.
    Da hörten sie ein zorniges Kreischen. Da stand eine große, schöne Frau mit Flügeln und einen Speer in der Hand.
    „Erst beleidigst du mich, dann tötest du auch noch meinen Stier!“, brüllte sie.
    Enkidu erkannte sie. Ischtar, die seinen Freund ermorden wollte und so viele Menschen dafür geopfert hatte. Er riss wütend eine Keule aus dem brennenden Opfer und warf es der Göttin vor die Füße.
    „Wenn ich dich erwische, mache ich das auch mit dir!“, spuckte er aus.

    Als sie fort war, füllten sie die Hörner des Stieres mit Öl, um beides Lugalbanda, Gilgameschs Vater, darzubringen.

    Sie feierten ihren Sieg mit einem großen Fest. Gilgamesch prahlte vor seinen Dienerinnen, wie er den Stier erstochen hatte, er der große König. Und wie sie die Göttin Ischtar herausgefordert hatten. Enkidu konnte sich darüber ein Schmunzeln nicht verkneifen.
    Erst spät in der Nacht legten sie sich schlafen, mitten im Festsaal.
    Enkidu träumte. Er schreckte hoch und rüttelte seinen Freund wach. Den Traum musste er ihm sofort erzählen!

    Ischtar

    Sie stand in ihrem Tempel, vor ihren Priesterinnen und Tempeldienerinnen und vergoss zornige Tränen, während sie über die Drohung Enkidus klagte.
    Es galt einen Plan zu ersinnen, ihr Gerechtigkeit zu verschaffen!

    2 Mal editiert, zuletzt von Windweber (7. Februar 2017 um 14:58)

  • Sehr amüsant! Wie können einem bloß so viele Negativvergleiche einfallen, um jemanden zu beschimpfen?

    Du bist wie ein Ofen, der nicht lange genug brennt, um Eis zu schmelzen. Du bist wie eine undichte Tür, hinter der es zieht. Du bist wie ein Palast, der plötzlich einstürzt und seine Bewohner zerschmettert. Wie ein Elefant, der einfach seine Decke abwirft, statt sich reiten und beladen zu lassen. Du bist wie ein undichtes Gefäß, das seinen Träger mit Erdpech befleckt, wie ein undichter Wasserschlauch. Du bist wie ein Kalkstein mit Wasser darin, der bei Frost platzt und die Mauer beschädigt. Du bist wie ein Edelstein, der neidische Soldaten anlockt. Wie ein drückender Schuh.

    Ich finde, es sind schon teilweise ein paar humoristische Ansätze vorhanden, oder kommt das nur mir so vor?

    Laut lachen musste ich an dieser Stelle:

    "Vater, Gilgamesch hat mit schlimm beschimpft und beleidigt", schluchzte sie.

    Eine scheinbar arrogante und völlig verzogene Göttin, die trotzig zu ihren Eltern läuft, weil ihr mal jemand die Wahrheit ins Gesicht gesagt hat...(herrlich!)

    Der Kampf und das Ende mit Aussicht auf Rache von Seiten Ischtars ist auch nicht zu verachten... es bleibt spannend :)

  • Ich finde, es sind schon teilweise ein paar humoristische Ansätze vorhanden, oder kommt das nur mir so vor?

    Das ist nicht auszuschließen. Humor ist natürlich sehr kulturell bedingt und der Orient vor über 3000 Jahren ist für uns eine sehr fremde Kultur. Aber ich denke auch, dass da durchaus Humor drin stecken könnte. Es ist ja auch wirklich eine lange Kette (unnötiger) und sehr kreativer Beleidigungen. :D

  • Du bist echt fleißig xD Besser für uns! <3
    Der Teil ist wirklich episch. Ischtar, du kleine Bitch xD
    Es ist wirklich schön, wie du die Beziehung zwischen den beiden darstellst.
    Die Geschichte fesselt mich gerade aber auch sehr. Es bleibt spannend.

    Vater, Gilgamesch hat mit mich schlimm beschimpft und beleidigt“, schluchzte sie

    Genesis: Sie ist Azathoth, das amorphe Chaos in der zentralen Leere
    Josh: Meine Prophetin!

  • Ich finde, die folgende Tafel ist wohl die psychologisch am interessantesten bisher. Und vielleicht die emotionalste. Macht euch auf etwas gefasst!


    7. Tafel

    Enkidu

    Als Gilgamesch endlich wach war, sagte Enkidu beunruhigt: „Die Götter beratschlagen über uns! Ich träumte von Anu dem Vater Ischtars, Enlil, Ea und dem himmlischen Schamasch.
    Anu forderte, dass du sterben sollst, weil wir Chumbaba und den Himmelsstier getötet haben. Enlil aber forderte, das ich sterbe und du leben sollst. Schamasch widersprach und meinte, wir hätten mit seinen Segen die beiden getötet und sollten darum nicht bestraft werden. Aber Enlil beschimpfte den Sonnengott, weil der täglich zu uns Sterblichen hinabsteigt. Dann bin ich aufgewacht“
    Enkidu sah Gilgameschs gerunzelte Stirn, der König überlegte.
    Da begann Enkidu zu husten. Mühsam rang er um Luft, bald lag er auf dem Boden.
    „Enkidu!“, rief Gilgamesch, „Lieber Bruder! Bist du krank? Die Götter werden dich doch nicht geschlagen haben? Warum wählen sie meinen Bruder anstatt mir? Du wirst doch nicht sterben? Wirst du mir fortgenommen, damit ich dich nie mehr sehe?“
    Gilgamesch begann zu schluchzen.
    „Einen Heiler! Bringt einen Heiler verdammt!“, brüllte er, dass alle Dienerschaft aus dem Schlaf gerissen wurde.
    Enkidu aber sah zum Tor des Saales. Höhnisch schien sie ihn anzusehen.
    „Türe, ich habe das Holz ausgesucht, aus dem du gemacht bist. Aus einer gewaltigen Zeder. Du bist aus dem besten Holz. Ich habe dich in Nippur gezimmert. Hätte ich gewusst, dass das deine Schönheit ist, ich hätte das Holz mit dem Beil zerschlagen und kein Floß gebaut, um es den Jordan hinabzubringen! Doch jetzt, Tor, das ich in Nippur gezimmert habe, der nächste König soll meinen Namen aus dir austilgen und seinen eigenen einsetzen!
    Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

    Gilgamesch

    Gilgamesch weinte.
    „Enkidu, ein Gott schenkte dir einen wachen Verstand und Wortgewandtheit. Jetzt redest du so wirr! Was soll das bedeuten? Dein Traum war so ein wertvoller Hinweis, aber auch so schrecklich! Die Götter lassen die Sterblichen klagen! Der Traum lässt die Lebenden klagen! Ich will beten und die großen Götter anflehen! Ich will Enlil, den Göttervater, anrufen!“
    Er begann seinem Freund den Kopf zu streicheln.
    „Habe keine Angst, Enkidu! Ich lasse ein goldenes Abbild von dir gießen. Aus Unmengen Gold! Das opfern wir den Göttern, dann wird alles wieder gut!“

    Enkidu

    Am Morgen ging es Enkidu wieder etwas besser und er ließ sich zum Tempel des Schamasch führen. Er hatte Angst. Tief nagte sie an den Eingeweiden. Sie hatten seinen Tod beschlossen! Vor dem Standbild des Sonnengottes, der ihm bisher immer gnädig gewesen war, kniete er nieder.
    Unter Tränen betete er: „Schamasch! Ich rufe zu dir, dass du mein Leben rettest! Ich rufe zu dir wegen des Gewalttäters, der mich nicht wie meinen Gefährten behandelt. Bitte, mindere seine Kraft, mindere seinen Gewinn, das man ihn fortjagt aus dem Götterhimmel!“, er spürte, wie die hilflose Wut in ihm wuchs, „Wie ein Dieb soll er fliehen müssen! Ich verfluche den Jäger, Enlil, der mir nachstellt!“, es viel ihm ein, wem er das alles zu verdanken hatte, Schamkat, die ihn verführt und aus der Steppe gebracht hatte. Ohne sie würde er noch selig bei seiner Familie, den Antilopen leben, statt durch den Zorn der Götter sterbenskrank zu sein, „Und die Hure Schamkat verfluche ich auch! Sie soll kein Haus einrichten können, keines ihrer eigenen Kinder lieben können! Sie soll nicht im Frauengemach wohnen! Üble Kerle sollen sie schwängern! Betrunkene sollen ihre besten Gewänder voll speien! Nur ein Lehmklumpen soll ihr bleiben, ihre Reichtümer soll sie verlieren! Als Bett möge ihr die Türschwelle dienen, die Wegkreuzung ihr zu Hause, verwüstete Gegenden ihre Heimat! Dornen mögen ihre Füße stechen! Betrunkene und Durstige sollen ihr auf den Hintern schlagen! Auf Reisen soll sie der Löwe jagen, weil sie gegen mich gepisst[1] hat!“
    Da ertönte donnernd die Stimme Schamaschs im Tempelraum: „Warum verfluchst du die Tempeldirne? Sie hat dir götterwürdige Speisen und feinstes Bier gegeben. Sie gab dir edle Kleider und durch sie hast du Gilgamesch, deinen engen Freund, kennengelernt, der dir sogar zum Bruder wurde! Er gibt dir die beste Bettstatt. An seiner Herzseite lässt er dich sitzen, dass die Herrscher der Welt dir die Füße küssen! Er lässt die Leute in Uruk für dich beten und erfüllt seine Edlen mit Gram um deinetwillen. Wenn er dich überlebt, wird er sich nicht mehr waschen und mit nichts als einer Löwenhaut in die Steppe ziehen, um dich zu betrauern!“
    Als Enkidu diese Worte hörte, verrauchte der Zorn, der sich in seiner Hilflosigkeit gebildet hatte. Wieder standen ihm Tränen in den Augen.
    „Ich nehme zurück, was ich über Schamkat gesagt habe“, sagte er leise und dann kräftiger: „Statt sie zu verfluchen, will ich sie segnen! Die Statthalter und Fürsten sollen sie lieben! Hauptleute sollen ihre Dienste in Anspruch nehmen und teuer bezahlen mit Gold, Schmuck und Edelsteinen. Ihre Kohlebecken seien immer gefüllt, damit sie es warm hat, und ihre Vorratskammer, damit sie genug zu essen hat. Sie soll einen neuen Mann finden, den sie so liebt, das er seine Gattin samt sieben Kindern zurücklassen würde, um bei ihr zu sein.“

    Enkidu lag in einem Bett im Palast, wo Diener und die Leibärzte Gilgameschs ihn pflegen konnten. Er hatte schlimmes Fieber. Er war oft einsam, denn die meisten mieden ihn aus Angst, sie anzustecken. Gilgamesch aber besuchte ihn, so oft es seine Staatsgeschäfte zuließen.
    Mit heißerer und schwacher Stimme erzählte der Kranke eines Morgens: „Ich hatte einen Traum heute Nacht. Der Himmel schrie und die Erde antwortete. Und ich stand zwischen ihnen. Da erschien ein düsterer Mann mit dem Gesicht eines Vogels, Löwenpranken statt Händen und Adlerfüßen. Er packte mich am Schopf und ich konnte mich nicht wehren. Er schlug mich und sprang wie ein Springseil. Das Springseil ist ein Symbol für Ischtar, wie du sicher weißt. Er schlug mich nieder, bis ich zu Boden stürzte und trat weiter auf mich ein. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich rief dich um Hilfe an, Gilgamesch, aber du bist nicht gekommen. Hast mich im Stich gelassen, weil du Angst hattest.
    Dann hat er mich in eine Taube verwandelt. Und dann packte er mich wieder und führte mich ins Haus Irkallas, das ruhmlose Totenreich, das niemand mehr verlässt. Die Straße hinab, auf der es keine Umkehr gibt. Wo Staub und Lehm die einzige Nahrung sind. Wo man wie Vögel gefiedert ist. Und ewig im Dunklen sitzt.
    Als ich hineinkam, sah ich im Haus Kronen liegen und ich sah deren ehemalige Träger. Fürsten, die einmal als Stellvertreter Anus und Enlils die Welt beherrschten, wie du heute. Sie trugen gebratenes Fleisch und schenkten kühles Wasser aus. Wo ich hineinkam, wohnten Priester und Opferdiener, all die Priester der großen Götter. Und die Götter Utana und Sumukan selbst. Und Ereschkigal, die Herrin der Erde. Ihre Schreiberin kniete vor ihr, sie sah mich an und sie nahm… Nahm hinweg…“
    Völlig entkräftet von der langen Rede schlief Enkidu mitten im Satz wieder ein.

    Gilgamesch

    Enkidu war wieder eingeschlafen. Er hatte hohes Fieber. Der Traum klang in Gilgameschs Ohren nicht nach einem guten Omen. Vielleicht sollte er ihn seiner Mutter erzählen? Aber nein! Enkidu brauchte ihn jetzt. Er würde bleiben, bis es ihm besser ging. Das Ende des Traumes klang ja auch gar nicht so schlecht.
    Der König saß einen Tag bei seinem Freund. Es ging ihm schlechter.
    Er saß einen zweiten Tag bei ihm. Es ging ihm schlechter.
    Er saß einen dritten und einen vierten Tag bei ihm. Es ging ihm schlechter.
    Einen fünften, sechsten, siebten. Auch Gilgamesch war nun erschöpft. Er gönnte sich nur so wenig Schlaf wie möglich und aß kaum.
    Einen achten, neunten, zehnten. Doch Enkidus Zustand verschlimmerte sich immer mehr.
    Einen elften.
    Am zwölften Tag starb Enkidu.
    Und Gilgamesch verstand.
    Enkidu hatte es im Traum erfahren und ihm sagen wollen mit seinen letzten Worten. Er, Gilgamesch, hatte ihn im Stich gelassen. Enkidu war für seine Ruhmsucht und selbstsichere Arroganz gestorben.
    Laut schwor er seinem toten Freund: „Ich will nicht ruhmreich in der Schlacht sterben. Ich habe nicht den Fluch auf mich genommen, den du erhalten und ich verdient habe. Dein Ruhm soll unsterblich sein, ich will dir im Gedächtnis meines Volkes ein Denkmahl setzten! Ich aber will in Schande sterben!“


    [1] Ja, das steht da wirklich!

    2 Mal editiert, zuletzt von Windweber (8. Februar 2017 um 19:46)

  • Sehr cool, gefällt mir weiterhin sehr gut!

    Gefieder wie Vögel im ewigen Dunkel der Unterwelt (oder so) hocken, finde ich ja ein echt spannendes Bild. :D


    Beim tobenden Himmelsstier in der Tafel davor, musste ich ja erst an Minos denken, aber Stiere waren wohl immer ein Zeichen von Kraft und die beiden Kulturen lagen doch etwas auseinander wenn mich nicht alles täuscht. ;)

    Falken haben doofe Ohren