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Danke @Schreibfeder und @Alopex Lagopus
Dieses Mal kann ich mich hoffentlich mit Weihnachten rechtfertigen
Hier jedenfalls der nächste Teil. "Der Frühling" war immer eines meiner Sorgenkinder, was meine Szenen angeht. Hier war früher vieles etwas verkrampft und komisch verknotet. Mittlerweile habe ich das aber beheben können. Vor dem Upload schaue ich mir den Teil ja immer nochmal an und mache eine Überarbeitung. Dabei hatte ich mit Schlimmem gerechnet, war aber angenehm überrascht. Ich muss bei einer vorigen Überarbeitung gute Arbeit geleistet haben.
Viel Spaß.
Der Frühling
„Was kann das sein?“, fragte Konrad, während er eilig durch das Unterholz stolperte, über dicke Äste und kleine Stämme. Dabei hielt er sich einige Meter vom Weg fern, und seine Ledertasche schlug ihm immer wieder gegen die Seite.
Das Moos federte sanft unter seinen Schritten. Fast hätte er sich zum Hüpfen verleiten lassen und zu schlendern anzufangen, doch ein anderes Gefühl war stärker. Es lärmte rücksichtslos dazwischen.
Der rote Kasten, die Kutsche ohne Pferde. Sie hatte bereits einige Meter Vorsprung, und hielt direkt auf die Burg zu. In ihrem immergleichen Takt rumorte sie, meckerte unaufhörlich, bedrohlich, dass es Konrads Gedanken zerwühlte. Der Rhythmus hämmerte sich in seinen Atem, schwang sich in seine Beine, dass sie zitterten und sich ein nervöses Kribbeln in seinem Körper ausbreitete.
„Ich weiß es nicht“, piepste Chisana, irgendwo auf seiner Augenhöhe. „Aber auf diesem Ding war das Wappen zu sehen. Das von den Leuten, über die dein Onkel immer wieder spricht.“
Ja, genau, leuchtete es Konrad ein. Das Wappen mit dem Fuchs, der die Peitsche hält. Das Protektorat.
„Dann will dieses Ding wohl Onkel Martes besuchen“, stellte er schnaubend fest, und hüpfte über einen bemoosten Baumstamm. „Meinst du, da ist jemand drin? Da war eine Tür, wie bei einer normalen Kutsche.“
„Konrad, wirklich, ich habe so etwas noch nie gesehen. Vielleicht ist es auch gar keine Kutsche ohne Pferde, sondern die Pferde sind nur unsichtbar, so wie wir es immer machen – aber woher kommt dann dieses Geräusch?“, murmelte sie, mit einem seltsamen Stolpern in den letzten Worten.
Konrad wandte seinen Blick zu ihr, der sich langsam zusammenzog. Etwas an ihr war anders, stimmte nicht.
Auch wenn er so nicht hätte benennen können – seit vielen Jahren kannte er sie und ihre launische Art nun schon, und das war nicht immer angenehm. Dafür wusste er schnell, woran er war, wenn Chisana in einem verspielten Moment plötzlich scharfe Worte dazwischenfeuerte, und dann weiter herumalberte, als sei nichts passiert. Es war diese entschlossene, rücksichtslose Freude, die ihn so faszinierte. Und zugleich ärgerte.
Aber davon war gerade nichts zu spüren – dieses Zögern stand Chisana einfach nicht.
„Wenn das also Magie ist“, setzte er an und kam sich dabei reichlich dämlich vor. „Dann … sind da bestimmt Feen drin. Oder? Das wäre doch toll. Ich meine, wie lange hast du schon keine Fee mehr gesehen?“
„Das sind keine Feen“, antwortete sie sofort. Tonlos.
Mittlerweile lichtete sich der Wald langsam und in der Ferne war bereits das Burgtor zu erkennen. Bald würde die Kutsche hinter ihm verschwinden.
„Warum bist du dir da so sicher? So etwas haben wir doch noch nie gesehen.“
Hörbar angespannt zögerte sie ihre Antwort hinaus, und Konrads unwohles Gefühl sank tiefer in seine Brust. Machte die Luft stickig und zäh zu atmen.
„… weil Feen sich niemals mit Menschen abgeben würden. Ganz einfach.“
Was?
Gewicht sank in seine Beine, verkürzte zügig seine Schritte. Bis er schließlich stehen blieb.
„Was meinst du damit? Mögen Feen keine Menschen?“
Chisana bremste ab und wandte sich zu ihm um, schwebte einige Schritte entfernt von Konrad. Auf Augenhöhe.
„Was machst du denn da? Komm schon, beweg dich, so verlieren wir ihn noch!“
Hastig bittend stocherte sie mit ihrem Ärmchen in der Luft, zeigte auf den Wagen, der gerade die Mauern erreichte.
Doch was interessierte ihn schon der Wagen? Dieses winzige Ding dort hinten, nur noch leise meckernd, hatte soeben seine Macht über Konrad verloren.
„Chisana, ich hab schon länger das Gefühl, dass du mir etwas verschweigst. Was meinst du damit?“, forderte er.
Spürbar verunsichert schwebte Chisana auf ihn zu, mit beschämtem Blick und schuldigen Augen.
„Nichts.“
Ihre Stimme schwebte in zerbrechlichen Höhen, konnte mit jedem weiteren Wort zu Boden stürzen.
„Aber-“
„Konrad, es ist nichts! Und jetzt sei still!“, kreischte sie, dass ihr die Stimme versagte.
Alle Haare in seinem Nacken schienen sich aufzustellen. Plötzlich erfüllte ihn das Gefühl, das Bewusstsein, die Angst, dass hier etwas sehr schief lief und er sich nicht dagegen wehren können würde. Dieses Gefühl wanderte von seinem Nacken abwärts, legte sich langsam über seine ganze Haut. Währenddessen konnte Chisana sich wieder fangen.
Sie atmete tief durch und versuchte ihre Gedanken zu bremsen. Um sie zu ordnen.
„In dem Wagen da …“. Schniefen. „… sind ganz bestimmt keine Feen. Und wenn es keine Feen sind, dann sind es sicher Menschen. Und Menschen mit Magie sind … gefährlich. Konrad, ich will unbedingt wissen, was das ist. Warum wir keine Pferde sehen, wieso sich die Kutsche bewegt, was dieses Ding hier will, all das. Aber vielleicht … vielleicht sollten wir einfach umkehren.“
Konrad horchte auf. Chisanas versöhnlicher Ton gab ihm eine Ahnung von Ruhe, die er noch misstrauisch beäugte.
„Und gehen“, ergänzte sie. „Einfach weglaufen, verstehst du? Es wäre auch gar nicht schwierig. Mit mir an deiner Seite, wird dir nichts passieren!“
Nicht weniger bedrückt zwang sie sich zu einem Lächeln, es war nicht schwer zu durchschauen.
„Das wäre doch schön, oder nicht?“
Aber das Lächeln verschwand wieder, als Konrad unsicher zurückwich. Jeder seiner drei Schritte trampelte ihr unbeholfen auf der Lunge herum.
„Chisana, das geht doch nicht. Ich kann doch nicht einfach gehen, Onkel Martes zurücklassen, und das ohne ein Wort zu sagen. Was ist denn dann mit ihm? Er ist dann ganz allein.“
Rauschen. Der Wind in den Bäumen.
„Dann laufen wir nicht weg, sondern verstecken uns nur. Für eine Nacht. Konrad, bitte, ich habe kein gutes Gefühl bei diesem Ding. Ich will gar nicht mehr zurück …“
„Aber Chisana“, sprach er, immer mehr seine Gedanken verlierend. „Man wird mich suchen, wenn ich nicht zurückkomme. Auch wenn wir nicht weglaufen, wie soll ich ihm das erklären? Vielleicht werde ich dann nie wieder nach draußen dürfen.“
Chisana setzte gerade zu sprechen an, als plötzlich hinter Konrad etwas zu Boden stürzte. Es raschelte laut, ein Ast zerkrachte. Konrad schreckte zusammen und stöhnend erhob sich eine dritte Stimme.
„Uiuiuiuiui …“, jammerte sie. „Aua. Ah.“
Hände klopften Kleidung ab; Konrad und Chisana fuhren herum.
„Ah, tut gar nicht mehr weh“, sang die Stimme.
Konrad und Chisana schauten nur blöde drein. Es war ein kleiner Junge.
„Aaalso“, sprach er, während er sich aufrichtete und einen harmlosen Fingerzeig auf Konrad machte. Als hätte man ihn gefragt. „Vielleicht solltest du auf sie hören. Immerhin ist sie eine Fee. Und Feen sind schlau.“
Etwas drohte bei Konrad auszusetzen. Zu viel. Viel zu viel. Passierte hier. Verwirrt schüttelte er sich und schob sich hinter Chisana.
Wo, zum Teufel, kommt der jetzt her? Hat er etwa die ganze Zeit im Baum gehockt?
„Was sagst du da?“
„Oh, nichts Großes“, ruderte der Kleine zurück. „Ich finde nur, dass sie Recht hat. Will mich gar nicht weiter einmischen. Hehe.“
„Und wer bist du bitteschön?“, hakte Chisana nach, während Konrad nur plump hinter ihr stand.
Schultern zuckten. Lippen grinsten.
„Der Frühling? Aber was sind schon Namen. Wer ich bin, ist gar nicht wichtig, darum geht es nicht. Viel wichtiger ist, wer ihr seid. Und dass sich dort hinten …“
Wieder ein Fingerzeig. Nun zur Burg.
„… vielleicht etwas abspielt, wo ihr besser nicht dabei sein solltet. Manche Abenteuer sind einfach zu gefährlich.“
Da war es gefallen. Das Wort.
Abenteuer.
Blicke trafen sich, Konrad und Chisana. Es kitzelte sie und das Grinsen, das sich auf ihre Gesichter stahl, wuchs ganz von selbst. Ehe sie es begriffen, hatten sie dem Jungen schon den Rücken zugekehrt und wieder viele Sträucher und Wurzeln hinter sich gelassen. Sie liefen, jagten auf den Torbogen zu, flogen voran, ohne weitere Gedanken an Zweifel zu verschwenden. Dazu war noch Zeit, wenn sie endlich Antworten hatten.
Heute war ihr Jahrestag. Und der Himmel strahlte nur so vor Farben.
Erst als Konrad den Torbogen fast erreicht hatte, dämmerte ihm, dass er wohl nicht ganz freiwillig losgerannt war.
Der Junge hingegen blieb an Ort und Stelle zurück, während sich sein Grinsen immer breiter spannte.
„Ach, ich liebe Kinder.“