Greta [Arbeitstitel]

Es gibt 93 Antworten in diesem Thema, welches 27.956 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (11. November 2019 um 21:18) ist von Mad Bull.

  • Diese kleine Geschichte mit diesem unfassbar kreativen Titel entstand im Laufe der letzten Wochen und befindet sich derzeit im ersten Bearbeitungsmodus.
    Eigentlich sollte sie in einem größeren Kontext stehen, man sagte mir aber, dass sie so als kleines Geschichtchen auch gut allein stehen könnte. Ich mag mir aber noch andere Meinungen dazu einholen, deswegen bewerfe ich euch jetzt damit.

    Anregungen und Kommentare sind wie immer gern gesehen. Korrekturen ebenso, niemand ist schließlich perfekt. Wer will das auch schon ...

    Nachtrag:
    Da ich gerade selbst merke, dass man mich missverstehen könnte: Dies ist lediglich der Anfang, es wird schon noch ein paar Teilchen geben. ( @Verraeter =] )

    ~+~

    Greta [AT]

    Die Dunkelheit des fensterlosen Flurs umschlang mich wie ein Monster seine Beute mit gierigen Klauen. Das Licht meiner Taschenlampe reichte nur drei Schritt weit, bevor es sich auf den dunklen Dielen verlor. Fröstelnd tastete ich mich an der Wand entlang, bis ich das nächste Ziel meiner Suche erreichte.
    Tief atmete ich durch, bevor ich die Hand gegen die Tür drückte. Das Holz fühlte sich ungewöhnlich warm unter meiner Haut an. Mit gerunzelter Stirn warf ich einen letzten Blick über die Schulter. Alles war ruhig, der Gang blieb leer. Dennoch fühlte ich mich beobachtet. Vorsichtshalber überprüfte ich den Sitz meines Ohrhörers, der sich immer wieder verschob.
    »Alles klar bei euch?«, murmelte ich, während ich die Türklinke drückte. Nichts bewegte sich.
    »Klar ist alles klar«, sagte Schmitti, dessen Stimme knarzte und so dumpf klang, als würde er durch Watte zu mir sprechen. Stumm machte ich mir eine geistige Notiz, das bei Gelegenheit von den Technikern anschauen zu lassen, da ich wenig Lust verspürte, bei einem nächsten Auftrag ohne Kommunikation dazustehen.
    »Wir sind in einem gruseligen Haus, in dem ein durchgeknallter Hexer lebte und der nun - puff - spurlos verschwunden ist«, fuhr Schmitti fort. Er schnaufte mir aus der Ferne ins Ohr, während ich mich der nächsten Tür zuwendete. Sie war ebenfalls verschlossen.
    »Immer mit der Ruhe, Schmitt«, rauschte Klagers dunkle Stimme durch die Leitung. »Die Spürhunde haben alles durchsucht. Jegliche Falle ist beseitigt.«
    »Ja, klar«, zischte Schmitti. »Seit der letzten Aktion trau ich den Pappnasen von der Abteilung nicht mehr.«
    Ich verdrehte die Augen, auch wenn ich meinem Freund den Groll nicht verübeln konnte. Vor ein paar Monaten hätte es uns beinahe in der Luft zerrissen, weil einer der Spürhunde nicht aufmerksam gewesen war. Er hatte schlicht eine Sprengfalle im Lieblingshaustier des Hausherrn übersehen. Passierte doch jedem Mal an einem schlechten Tag ...
    »Wie auch immer, wir sind über keine gestolpert bisher. Leider kann man das Gleiche auch von der Giftkammer sagen«, sprach Klager unberührt weiter.
    »Konzentriert euch«, brummte ich, nachdem die nächste Türklinke nicht einmal mehr unter meinem Druck nachgab. Ich trat gegen die Tür.
    Inzwischen war ich am Ende des Ganges angelangt. Vor mir erstreckte sich eine letzte Hoffnung, eine letzte Tür, doch ich rechnete mir bereits aus, auf Schmitti und seine Dietriche warten zu müssen. Ich leuchtete mit meiner Taschenlampe ins Schlüsselloch, doch es war mit irgendetwas verstopft. Mit grimmiger Miene legte ich meine gesamte Kraft hinein, die Klinke nach unten zu drücken. Zu viel, wie ich mit einem leisen Aufschrei feststellte. Mit Schwung stolperte ich in weitere Dunkelheit hinein.
    Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich fing mich, blieb wie erstarrt stehen. Mit geweiteten Augen starrte ich im Schein meiner Lampe auf die Holzdielen unter mir, bis ich sicher war, dass sich der Boden nicht unter mir auftat. Stumm verfluchte ich Schmitti, der mich mit seiner Panik ansteckte, obwohl gar kein Grund dazu bestand.
    Ich beruhigte mich durch tiefe Atemzüge, schaffte es, mich umzusehen. Der Lichtkegel der Taschenlampe reichte kaum bis in die Mitte des Zimmers, wo er auf verhangene Möbel traf, die mir etwas zu eckig erschienen. Ich leuchtete zu den Wänden, die ebenfalls mit Laken verhangen schienen. Langsam löste ich die Hand von der Klinke und schob mich Stück für Stück vorwärts.
    »Scheiß die Wand an!«, knarzte Schmitti unvermittelt in meinem Ohr. »Der Typ hatte 'nen Weinkeller!« Er lachte keckernd, während im Hintergrund Glas klirrte.
    »Reiß dich zusammen«, fauchte ich, eine Hand auf der Brust. »Wir sind im Dienst.«
    »Ja, ja«, flötete mein Freund, ließ dabei jedoch weitere Flaschen gluckern.
    »Greta hat recht. Und an deiner Stelle wäre ich vorsichtig. Wer sagt, dass Wein drin ist?«, bemerkte Klager. Augenblicklich wurde es still. Ich dankte ihm wortlos und konzentrierte mich wieder auf den Weg vor mir.
    Meine Taschenlampe flackerte, dann erlosch sie und ich schimpfte vor mich hin, während ich sie kräftig schüttelte, doch sie schien ihren Dienst aufgegeben zu haben. Noch so etwas, das nie richtig funktionierte. Ich steckte sie zurück an meinen Gürtel und tastete mich mit ausgestreckter Hand voran. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das schummrige Licht. Ich erreichte das andere Ende des Raumes und fühlte plötzlich etwas Weiches unter meinen Fingerspitzen. Überrascht rief ich auf, packte fester zu und zerrte den schweren Stoff mit einem Ruck beiseite. Kurz darauf blinzelte ich in warmes Sonnenlicht. Staub wirbelte auf, reizte meine Nase und Lungen, worauf ich nicht nur niesen musste, sondern auch mit einem Hustenanfall zu kämpfen hatte.
    »Alles klar, Gretchen?«, fragte Schmitti alarmiert. Ich beruhigte ihn, sagte, dass ich mich nur selbst außer Gefecht setzte. Aber immerhin drang nun durch das enthüllte Fenster Tageslicht ins Zimmer.
    »Man, jag mir nicht so 'nen Schrecken ein«, jammerte Schmitti gedehnt. Ich hörte ihm schon gar nicht mehr zu, sondern sah hinaus in den Innengarten, in den ich vom ersten Stock aus einen guten Blick hatte. Er war sicher einmal schön gewesen, doch nun spross Unkraut jenseits der einst gepflegten Blumen- und Kräuterbeete, während sich an der Rinde der mächtigen Eiche im Zentrum ein Geflecht aus Moos und Schlingpflanzen ausbreitete. Die Steinplatten des Weges, der sich von einer Seite zur anderen zog, wölbten sich teilweise nach oben, einige von ihnen wirkten zersprungen. Die Bank unter der Eiche zierten dunkle Flecken, die von hier oben so groß wirkten wie meine Hand, während auch hier das Unkraut emporsproß.
    Eine Weile bewunderte ich die Rückeroberung der Natur, dann drehte ich mich um.
    Der Staub tanzte in der Luft. Ich rieb mir die juckende Nase und musterte nun den Raum, der sich vor mir erstreckte. Die Möbel entpuppten sich als schlecht verhangene Bücherregale. Einige, die das Zentrum des Zimmers in einem U einnahmen, gingen mir gerade bis zur Hüfte, während jene an den drei Innenwänden bis zur Decke reichten und dicht an dicht standen.
    Ich zog eines der Laken von dem erstbesten Regal herunter und wirbelte eine neue Woge Staub auf. Mit den Fingerspitzen fuhr ich über die Einbände der Wälzer, die zuhauf auf den massiven Böden zum Vorschein kamen. Das raue Leder fühlte sich gut an meiner Haut an.
    Ein wenig neigte ich den Kopf, um die Titel in goldenen Lettern besser lesen zu können. Als ich feststellte, dass ich sie nicht entziffern konnte, bewunderte ich lediglich die verschnörkelte Schrift.
    Das gesamte Regal war voller Bände, die ich nicht benennen konnte. Neugierig zog ich ein dünneres Buch heraus, das dennoch schwer auf meiner Handfläche lag, und blätterte darin. Ich schnaufte. Alle Seiten waren handgeschrieben. Die Wörter standen eng beieinander, doch trotz der makellosen Schrift konnte ich es nicht lesen. Ich stellte das Buch zurück, um das nächste anzuschauen, stellte aber dasselbe fest.
    Ich kaute auf meinem Daumennagel.
    »Ich fass es nicht«, raunte Schmitti durch die Leitung.
    »Was ist los?«, erkundigte sich Klager ruhig, während mir das Herz erneut in die Hose gerutscht war.
    »Unser Hexenmeister, also known as Giftmischer, hortet alten Schund.« Ich hörte Schmitti schnaufen, vermeinte das Rascheln von Buchseiten zu vernehmen. »Liebesromane aus dem vorigen Jahrhundert, Gedichte, feurige Dramen ...« Es rumpelte, gefolgt von einem wüsten Fluch.
    »Kommt davon«, murmelte ich und widmete mich wieder meiner eigenen Entdeckung. Ich zog das Laken des nächsten Regals herunter, doch auch hier waren meine Leseversuche von keinem Erfolg gekrönt. Leise vor mich hin murmelnd wiederholte ich das Spiel, bis ich bei den kleineren Regalen angelangte.
    Unterdes ächzte Schmitti in meinem Ohr. »Ich glaub, ich hab was für dich gefunden, Gretchen.«
    »Will ich es wissen?«, fragte ich seufzend, entfernte zeitgleich die Laken, um sie grob gefaltet zu Boden zu werfen. »Halt, warte, vergiss die Frage.«
    »Erotische Figürchen. Allein, zu zweit, zu dritt ... Die Figuren, die der hier unten gebunkert hat, würden selbst dir die Röte ins Gesicht treiben«, erklärte mein Freund unbeeindruckt.
    »Echt?« Ich versuchte nicht einmal, Begeisterung zu heucheln. Vor einem der Regale ging ich in die Knie, doch auch dieses Mal hatte ich kein Glück. Wieso mussten Hexer aber auch immer so geheimniskrämerisch sein? Konnte man nicht einmal einfach Dinge normal aufschreiben wie jeder verfluchte Mensch?
    Schmitti riss mich erneut aus den Gedanken. »Gretchen, der Kerl ist widerlich. Oder - war. Keine Ahnung. Ich hoffe gerade ernsthaft, der bleibt verschollen.«
    »Weswegen nun schon wieder?« Klang ich genervt? Selbst wenn, mein Freund ignorierte es geflissentlich, besonders dann, wenn er in seinem Element steckte: in den schmutzigen Geheimnissen anderer Leute wühlen.
    »Der Kram im Keller ist noch harmlos im Vergleich zu der Kammer, die sich dahinter befindet.«
    »Spann uns nicht auf die Folter«, schaltete sich nun auch Klager wieder ins Gespräch ein.
    »Ich glaube, das solltet ihr euch selbst ansehen.«
    Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich begriff, dass Schmittis Stimme nicht aufgrund der schlechten Leitung zitterte. Hastig richtete ich mich auf, taumelte einen Schritt zurück und fuhr mir über die pochende Stirn.
    »Gibt es noch einen anderen Weg ins Kellergeschoss?«, fragte Klager und ich hörte, wie er an etwas rüttelte, das sich verdächtig nach einer verschlossenen Tür anhörte. Klar, weil man als Hexer ja auch alle Türen verriegelte. Oder waren es die Spürhunde gewesen, um uns einen Streich zu spielen?
    »Keine Ahnung«, raunte Schmitti. »Leute, das ist nicht mehr lustig hier unten.«
    »Wir kommen«, sagte ich, stieß mir beim Vorbeigehen die Hüfte am Regal und zischte, als sich etwas am Bund meiner Hose verfing. Ich blickte hinab. Ein Teil der Seitenwand hatte sich gelöst; ich kniete mich davor, ruckelte an dem losen Brett und setzte mich beinahe auf den Hosenboden, als es nachgab.
    Ich stieß ein leises »Huh« aus, als ich mit der Seitenwand in der Hand auf einen Hohlraum starrte, in dem sich gut sichtbar eine Schatulle befand. Ich legte das Brett beiseite und wollte bereits nach ihr greifen, als ich innehielt. Langsam rutschte ich näher, streckte den Kopf vor und schnupperte. Doch alles, was ich wahrnahm, war der Geruch von altem Holz und Staub, der mir wieder in der Nase krabbelte.
    Ich zögerte, nahm dann all meinen Mut zusammen und schnappte nach der Schatulle, zog sie mit einem Ruck heraus. Nichts geschah. Weder spickten kleine Nadeln meine Fingern noch floss zäher Schleim über meine Hände. Ich wusste selbst nicht, was ich erwartet hatte.
    Schmitti drängte zur Eile, weil er keine Lust hatte, allein in dem finsteren Loch zu bleiben. Unter Klagers Schritten knarzten bereits die Stufen, während er versuchte, unseren Kollegen zu beruhigen.
    Stöhnend rappelte ich mich hoch. Schnellen Schrittes huschte ich in den Gang hinaus, der am Ende eine Biegung machte. Ich stolperte die ersten Stufen der Treppe hinab, nahm dann zwei auf einmal, hielt nicht einmal im Erdgeschoss inne, sondern lief direkt weiter, bis vor die Kellertür, durch die Schmitti am Anfang unserer Suche verschwunden war.

    3 Mal editiert, zuletzt von Kitsune (18. Dezember 2017 um 12:04)

  • Sag der Person bitte, die dir sagte das könne auch gut alleine stehen, dass der Verräter aus dem Forum ihr nicht zustimmt, weil er wissen will wie es weiter geht.

    Da ich selbst keine Ahnung von Rechtscheibung habe, kann ich in diesem Bereich nicht weiter helfen.

    Was mir sehr gefällt: Du verbindest die gespenstische Aura des Hauses sehr schön mit dem Humor des Teams. Wenn Schmitti jetzt noch ein Troll wäre, könnte das Glatt als Shadowrun Geschichte durchgehen. (Und glaube ich stehle diesen Plothook für das nächste mal wenn ich Spielleitere) Auch der stetig steigende Spannungspegel ist sehr gut, mit der wachsenden Panik von Schmitti während der Protagonist gerade sein eigenes Geheimnis am lüften ist.

    Wenn du wirklich nicht vorhast hier weiter zu schreiben, dann ist das Ende bei weitem zu offen da nicht eine einzige aufgeworfene Frage beantwortet wird und ich mir immer noch nicht genau sicher bin, was die Gruppe dort eigentlich macht.

    Ein Dolch in der Nacht ist wertvoller als hundert Schwerter am Morgen.

  • Also, da du mir ja auch immer bei meiner Geschichte Kapitel für Kapitel eine große Hilfe bist, bin ich ja quasi gezwungen für dich hier wieder das Gleiche zu tun xD
    Außerdem ... IST DIE GESCHICHTE VERDAMMT GUT! Dein Schreibstil ist schon mal tadellos, da gibt es nix zu meckern :thumbsup:

    »Ja, klar, was sie finden konnten«, zischte Schmitti zurück. »Seit der letzten Aktion trau ich den Pappnasen von der Abteilung nicht mehr.«

    Da wurde mir der gute Schmitti richtig sympatisch :D

    Sonst hätte ich nur noch eine Anmerkung: Als Greta in den Raum stolpert und dabei leise aufschreit, zeigen ihre beiden Kollegen keinerlei Reaktion darauf. Das ist etwas seltsam und müsste vielleicht noch irgendwie ausgebessert werden. Der Rest ist dagegen, wie gesagt, einfach nur top 8o

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Spoiler anzeigen


    @Verraeter
    Es geht definitiv noch weiter. Da kommen noch einige Teile, aber eben in eine absehbaren Anzahl. :)

    @Xarrot
    Ich hoffe, dass die Geschichte weiter gut bleibt. D:
    Danke für deine Anmerkung übrigens. An der Stelle hat mich immer etwas gestört, ohne dass ich den Finger drauflegen konnte.


    Ansonsten geht es erst einmal weiter ...


    Nur kurz badete ich im Licht, das durch die Fenster neben dem Eingang der Vorhalle drang. Unten im Keller umhüllte mich erneut die bedrückende Dunkelheit, die das Haus beherrschte.
    Anders als erwartet roch es hier jedoch nicht nach alter Feuchtigkeit, vielmehr schwebte in der Luft der allgegenwärtige Duft von alter Zeit und Staub.
    Ich tastete nach dem Lichtschalter, doch auf mein Drücken hörte ich nur ein träges Brummen. Die Lampen blieben aus. Seufzend nahm ich meine Taschenlampe vom Gürtel, bis mir einfiel, dass sie oben ihr letztes Lichtlein ausgehaucht hatte. Notgedrungen rief ich nach meinen Kollegen.
    »Wir sind hier.« Das kam von Klager. Kurz darauf erschien rechts von mir ein Lichtpunkt. Ich schob mich zwischen mannshoch gestapelten Kisten hindurch, die mir teilweise den Weg versperrten. Meine Kollegen fand ich hinter einem schiefen Turm weiterer Kisten, der bis zur Decke reichte. Mit dem Rücken zu mir starrten sie in einen offenen Durchgang hinein.
    Ich näherte mich ihnen, sah dann über Schmittis schmächtige Schulter. Der Raum, der sich im Schein der beiden Taschenlampen offenbarte, war gefühlt doppelt so groß wie der eigentlich Kellerraum, in dem wir standen. Klager richtete neben mir sein Licht in alle Richtungen, um einen besseren Überblick zu schaffen.
    Ich stieß einen langen Pfiff aus. Dunkle Holzkreuze, groß und breit genug, um einen Menschen daran festzunageln, hingen an den gegenüberliegenden Wänden, einige davon umgedreht. Lederschlaufen hingen von den Längsbalken und an der Spitze, die fester gezogen werden konnten.
    »Ich frage lieber nicht, warum man jemanden über Kopf aufhängt«, raunte Klager und deutete zur Decke, wo sich ein weiteres Kreuz fand.
    »Ich will nicht mal wissen, warum man das überhaupt macht«, knurrte Schmitti.
    »Ach komm, Schmitti, als wenn du nicht wüsstest, wozu man Leute so festbinden könnte«, sagte ich leichthin und nickte zurück zu den umgefallenen Kisten, aus denen etliche jener Figürchen ragten, von denen er mir zuvor über Funk erzählt hatte.
    »Ha, ha, witzig, Gretchen.« Er schüttelte sich kurz, dann leuchtete er mit seiner Lampe in die nächstgelegene Ecke. Dort hing von der Decke ein Eisenkäfig herab, der groß genug war, um zwei von uns dreien zu beherbergen. »Giftmischer am Arsch. Der Kerl hat ganz andere Probleme.«
    »Allerdings.« Ich zeigte zur anderen Ecke; ich spürte deutlich das Schaudern meines Freundes vor mir. Dort hockten, zusammengesunken wie zwei Verliebte, die sich Trost und Kraft spendeten, zwei Skelette. Die Fetzen, die sie am Leib trugen, waren dunkel und strotzten vor Dreck. Klager ging auf die beiden armen Seelen zu und hockte sich davor.
    »Wie lange sitzen die wohl schon so?«, fragte ich und stellte mich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können, ohne Schmittis brauen Haarschopf im Blickfeld.
    Klager zuckte mit den Schultern. Seine kurzen schwarzen Haare schimmerten sanft im Licht, als er den Kopf zur Seite neigte. »Schwer zu sagen. Allerdings können sie bei ihrem Tod nicht sehr alt gewesen sein.«
    »Kinder?«, flüsterte Schmitti, wobei seine Stimme leicht flatterte.
    »Teenager, aber das müsste jemand genauer prüfen.« Mit überlegten Griffen hob er den Arm eines Skeletts an und hielt ihn sich vor die Taschenlampe. »Das hier trägt Armfesseln. Wirken wie aus einem Stück. Schloss ist jedenfalls keines dran.«
    »Was hat der Kerl hier unten getrieben?«, fragte ich, gesellte mich zu Klager und strich über das Kreuz direkt neben ihm. Das Holz war rau und splitterte.
    »Jedenfalls keine Kaffeekränzchen«, schnaufte Schmitti, der am Eingang ausharrte.
    »Eventuell hat er hier die Wirkung seiner Gifte erprobt«, überlegte Klager.
    Ich runzelte die Stirn. »Und warum sie dann kopfüber festhängen? Oder - da?« Ich deutete mit dem Zeigefinger nach oben.
    »Auch möglich, dass er andere Dinge hier mit ihnen getrieben hat.« Mein Kollege senkte den Arm des Skeletts wieder.
    »Bist du dir sicher, dass eines davon nicht unser Hexer sein könnte?«, fragte Schmitti. Sein Licht zitterte einen Moment, dann schien er sich wieder zu fassen. Eigentlich war er schwer aus der Fassung zu bringen, doch sobald irgendwo Leichen auftauchten, war es aus mit seiner typischen Gelassenheit. Schmitti fürchtete Geister. Besonders jene wandelnde Seelen, die grausam zu Tode kamen.
    »Wenn er noch ein Teenager gewesen ist - oder besonders klein«, seufzte Klager, stand auf und wischte sich die Hände an dem schwarzen Tuch ab, das er stets in der Hosentasche mit sich trug.
    Ich drehte mich langsam um mich selbst, hielt jedoch inne, als mir an der Wand neben dem Durchgang etwas ins Auge stach. Eisenhaken schimmerten im Licht von Klagers Lampe, der meinem Beispiel gefolgt war. Ketten, Handfesseln und etliche mehrriemige Peitschen hingen daran. Einige davon waren mit bösen Widerhaken versehen. Schmitti bemerkte unsere Blicke und folgte ihnen. Mit angewiderter Miene wich er einen Schritt zur Seite.
    »Klärt vielleicht die Frage, was er hier getrieben hat«, murmelte Klager.
    »Ob die Spürhunde den Raum kennen?«, fragte ich und rieb mir über den Oberarm. Mir war bisher nicht aufgefallen, wie kalt es hier unten war. Wenn ich mich etwas konzentrierte, sah ich sogar unsere Atemwolken.
    »Schwer zu glauben bei den Pappnasen«, knurrte Schmitti. Mit einem Mal blieb seine Aufmerksamkeit an mir haften. Er leuchtete zu mir herüber. »Was hast du da eigentlich?«
    Irritiert sah ich an mir herunter, bis mir die Schatulle einfiel, die ich krampfhaft zwischen linkem Arm und Seite festgeklemmt hielt. »Das? Hab ich oben gefunden.«
    »Und du konntest mal wieder die Finger nicht von lassen?« Mein Freund neigte den Kopf.
    Ich streckte ihm die Zunge raus. Da beschwerte sich gerade der Richtige. Wer hatte denn gackernd in den Kisten gewühlt, obwohl er nach etwas ganz anderem hatte Ausschau halten sollen?
    »Weißt wenigstens, was das ist?«, fragte Schmitti und beugte sich vor, ohne die Kammer zu betreten.
    Ich zuckte mit den Achseln. »Bin noch nicht dazu gekommen. Ein gewisser jemand musste ja wimmernd um Hilfe rufen.«
    »Ich hab nicht gewimmert!«
    »Klärt das später, ihr Streithähne«, ging Klager ruhig dazwischen. »Wir sollten uns hier noch genauer umschauen. Vielleicht gibt es ja noch einen geheimen Weg und wir finden endlich diese verdammte Giftkammer.« Er drehte sich bereits aufmerksam im Kreis und sah in alle Winkel.
    Ich stapfte zu Schmitti und drückte ihm das Kästchen in die Hände. »Halt das«, sagte ich, während ich ihm seine Taschenlampe entwendete. Grummelnd lehnte er sich an den Durchgang und sah Klager und mir dabei zu, wie wir in entgegengesetzten Richtungen den Raum abliefen. Ich hielt die linke Hand ausgestreckt, doch ich fühlte nur kalten Stein und das Holz der Kreuze. Klager schien es genauso zu ergehen, denn er seufzte hörbar, als wir wieder bei Schmitti ankamen.
    »Und?« Mein Freund warf uns gespannte Blicke zu.
    Klager musterte Schmitti mit langem Gesicht. »Nichts.«
    »Dann sollten wir uns um die verschlossenen Räume kümmern, sofern überhaupt einer von Bedeutung ist«, seufzte ich, während ich verstohlen meine Oberarme durch meinen Pullover rieb.
    Raschelnd holte Klager einen Plan aus seiner hinteren Hosentasche. Wir steckten die Köpfe darüber zusammen. »Laut den Aufzeichnungen der Spürhunde sind die meisten Zimmer belanglos. Und ohne jegliche Fallvorrichtung.« Er sah zu Schmitti hoch, bevor er fortfuhr. »Im Erdgeschoss sind nur die Küche, ein Salon und ein Gästebad. Alles verriegelt.«
    »Oben sind etliche verschlossene Türen«, erklärte ich und zeigte auf den Teil des Plans, der die Grundrisse des oberen Stockwerks darstellte. »Bis auf eine. Das Zimmer scheint eine Art Bibliothek zu sein, nur sind die Bücher alle handgeschrieben und unverständlich für mich.«
    »Was hier im Keller ist«, begann Schmitti und hob die Schultern, »seht ihr ja. Keine verschlossenen Türen.«
    »Wie hast du die Kammer gefunden?«, fragte ich.
    »Der Durchgang war von dem Stapel Kisten versperrt, der dort liegt«, sagte mein Freund und nickte zu dem Haufen Kisten, unter dem nicht nur diverse Figuren, sondern auch mehrere dünne Bücher hervorragten. »Ehrlich gesagt wundert es mich, dass die Spürhunde das übersehen haben.« In der Tat war dieser Teil des Kellers nicht verzeichnet. »Wobei - nein, doch nicht«, setzte Schmitti hinzu.
    »Wie dem auch sei«, seufzte Klager, während er den Plan zusammengefaltet zurück in seine Tasche steckte, »bevor wir hier weiter im Dunkeln tappen, sollten wir alles dokumentieren und dann die Säuberung holen, damit die zwei dort hinten eine richtige Ruhestätte bekommen.«
    Schmitti nickte. Gemeinsam gingen meine Kollegen zurück zur Kellertür. Ich blieb noch einen Moment zurück. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab. Ich sah über die Schulter zu den beiden Skeletten. Mir war, als würden sie mit ihren augenlosen Schädeln anklagend zu mir starren. Als könnte ich etwas für ihren Tod.
    »Keine Angst, bald holt man euch hier raus, dann könnt ihr Frieden finden«, flüsterte ich, ohne den Blick von ihnen zu wenden. Wer sie wohl gewesen waren? Was hatte sie in die Fänge dieses Irren getrieben?
    »Gretchen, komm endlich«, rief Schmitti. Ich schreckte herum und mir schien, als würde in diesem Moment etwas an meinem Ohr zerplatzen. Langsam taumelte ich vorwärts, stolperte dabei über einen Kistenstapel, der polternd in sich zusammenstürzte. Bevor ich mich versah, war Schmitt an meiner Seite und fing einen Karton ab, der mich beinahe unter ihm begraben hätte. »He, Prinzessin, alles klar?«
    Ich verzog das Gesicht, boxte ihm derweil auf den Oberarm. »Selber Prinzessin.«
    Selbst im schummrigen Licht der Taschenlampe war sein Grinsen deutlich zu erkennen, bevor es verblasste. »Komm, der Ort bereitet mir immer mehr Gänsehaut.«
    Ich folgte ihm zu Klager, der bereits auf dem Absatz des Erdgeschosses wartete. Bevor ich ebenfalls die Stufen erklomm, sah ich noch einmal zurück. Ich wurde das Gefühl nicht los, angestarrt zu werden. Schwach schüttelte ich mich, zwang mich regelrecht dazu, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Oben angelangt, drückte Klager mir die Schatulle in die Hand. »Meinst du, es ist klug, das mitzunehmen?«
    »Es könnte etwas Wichtiges sein. Vielleicht ein Hinweis auf die Giftkammer oder den Verbleib des Hexers.« Ich ignorierte seinen skeptischen Blick. »Machen wir uns lieber daran, zu dokumentieren, welche Türen dran glauben müssen.«
    Schmitti ließ seine Finger knacken, bevor er den Stoffbeutel von seinem Gürtel löste. Die schmalen, darin eingewickelten Werkzeuge klimperten dumpf gegeneinander. »Ihr schreibt, ich mach die Türen auf.«

    2 Mal editiert, zuletzt von Kitsune (18. Dezember 2017 um 12:09)

  • Also das war ja mal ... immer noch sau gut! ^^

    Anders als erwartet roch es hier jedoch nicht nach alter Feuchtigkeit, vielmehr schwebte in der Luft der allgegenwärtige Duft von alter Luft und Staub.

    Das erste könntest du durch Moder oder sogar schimmelig ersetzen, sonst wiederholt sich das "alt", außerdem kann ich mir unter "alter Feuchtigkeit" nicht so viel vorstellen. :pardon:

    Eisenhaken schimmerten im Licht von Klagers Lampe, der meinem Beispiel gefolgt war. Ketten, Handfesseln und etliche mehrriemige Peitschen hingen daran. Einige davon waren mit bösen Widerhaken versehen.

    Heißt der Hexer irgendwie zufällig Mika? :grinstare:

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Spoiler anzeigen
    Zitat von Xarrot

    Heißt der Hexer irgendwie zufällig Mika?

    Leider nein. :grinstare:Aber es würde ihm dort gefallen. 8D


    Schmitti war gewohnt flink darin, mit wenigen Handgriffen die Wege für uns zu öffnen. Mit einem Grinsen, das sein längliches Gesicht bis in den letzten Winkel einnahm, schlenderte er voran, während Klager und ich uns aufmerksam umsahen und alles dokumentierten: mein Kollege schriftlich in ein Notizbuch mit abgegriffenem Ledereinband, ich in ein Diktiergerät murmelnd.
    Doch nach einer Reihe Enttäuschungen in Form von schmucklosen Badezimmern, mit Leinen verhangenen Schlafzimmern, denen es an jeglicher Magie fehlte, und einem Arbeitszimmer, in dem sich belanglose Bücher fanden, kamen wir zu dem Schluss, es für diesen Tag sein zu lassen. Mit dunklen Mienen verließen wir die Villa des Hexers. Schweigend gingen wir zu Schmittis klapprigem Passat, der in der mit Kies bestreuten Auffahrt unter den gewaltigen Ästen einer Eiche stand.
    Auf dem Weg zurück zum Haupthaus ließ mir das Erlebte keine Ruhe. Meine Gedanken schweiften zurück zu den Skeletten und ihrem Schicksal, von dem wir nicht wussten, ob es aufgeklärt werden konnte. Schaudernd dachte ich an das mulmige Gefühl, das mich bei ihrem Anblick beschlichen hatte.
    Zudem fürchtete ich, dass wir etwas Entscheidendes übersahen. Etwas, das mir auf der Zunge brannte, ich aber nicht aussprechen konnte.
    Seufzend sah ich auf die Schatulle in meinem Schoß, strich über das glatte Holz und das darin eingelassene Schloss. Ich hatte gesagt, ich brächte sie sofort ins Lager, damit die Spezis sie sich anschauen konnten. Dann wäre sie nicht mehr mein Problem.
    Klager tippte neben mir auf der Rückbank seinen Teil des Berichtes in den Laptop, während Schmitti den Wagen fuhr. Mein Freund warf mir stetig Blicke über den Rückspiegel zu, doch ich versuchte sie zu ignorieren, starrte stattdessen aus dem Fenster, an dem eine verwaschene Feldlandschaft vorbeirauschte, während die Straße von einer Allee von Bäumen gesäumt war.
    »Du fragst dich, was in der Schatulle ist, oder?« Klagers ruhige Stimme ließ mich zusammenschrecken.
    Ich kaute auf meiner Unterlippe. »Du hältst es für nicht klug, sie einfach mitzunehmen.«
    »Darum geht es nicht«, sagte mein Kollege und sah von seinem Bildschirm auf.
    Langsam rutschte ich in meinem Sitz tiefer. »Doch, genau darum geht es. Es spielt keine Rolle, was ich mich frage. Ich werde das Ding sicher abgeben und gut ist.«
    »Ohne Schlüssel wird sie es sowieso nicht aufbekommen, Rudi«, schaltete sich Schmitti von vorn ein, worauf ich nur brummte.
    »Neugier hat schon manch ungeahnte Fähigkeit entwickelt«, bemerkte Klager. Seine Brauen zogen sich zu einer Linien zusammen. Wie immer, wenn er angestrengt nachdachte. Ich konnte nicht anders, ich musste meinen Zeigefinger direkt in die Mitte dieser Monobraue drücken.
    Sanft, aber bestimmt schob Klager meine Hand beiseite. »Ich möchte doch nur, dass du dir keinen Ärger einhandelst«, sagte er schließlich.
    »Werde ich schon nicht«, beruhigte ich ihn. »Ich bin nicht Schmitti.«
    Über Klagers Lippen huschte ein Lächeln, bevor sein Ausdruck wieder ernst wurde. Er wandte sich erneut seinem Laptop zu, während Schmitti von der Landstraße auf die Autobahn bog. Ich sah erneut hinaus, beobachtete die weißen Wolken, die wie Watte am Himmel thronten und trotz unserer zunehmenden Geschwindigkeit an Ort und Stelle blieben.
    In meinem Magen begann es zu rumoren. Ich hatte mich entschieden, wieso kam es mir plötzlich falsch vor? Es war, als flüsterte etwas im hintersten Kämmerlein meines Verstandes. Ich war es, die das Kästchen gefunden hatte, also durfte ich entscheiden, was damit geschah - oder nicht? Es war meins ...
    Ich erschrak über diesen Gedanken. Das war nicht richtig, es gehörte nicht in meine Hände. Schon gar nicht, wenn wir nicht wussten, ob es magischer Natur war. Doch der Gedanke blieb an mir kleben wie eine Motte im Spinnennetz.

    Der Tag war lang. Im Büro erwarteten uns Stapel von Akten, die aufgrund des Hausbesuchs liegengeblieben waren und um deren Bearbeitung wir uns viel zu lange gedrückt hatten. Schreibarbeit war etwas, das wir alle bis aufs Blut verabscheuten, doch es gab keine kleinen Kobolde, die sie für uns erledigte. Zumindest nicht hier im Haupthaus.
    Klager bildete in unserer Abteilung wohl die Ausnahme; er zog sich den Rest des Tages in sein eigenes kleines Reich zurück und tauchte bis Feierabend nicht wieder auf. Am Ende sortierte er die Aktenordner fein säuberlich in den Schrank für erledigte Arbeiten.
    Es dämmerte bereits, als ich endlich zu Hause ankam und die Tür hinter mir ins Schloss warf. Sofort umfing mich die Ruhe meiner Wohnung, in der ich mich für einen Moment mit geschlossenen Augen verlor, bevor ich mich daran machte, die Spuren des Tages von mir zu werfen.
    Ich stieg gerade aus der Dusche, als ich das Brummen meines Handys im Flur hörte. Während ich mit die Haare trockenrieb, tapste ich durch die offene Badtür. Eine Weile betrachtete ich das tanzende Telefon auf meinem Schuhschrank. Ich überlegte noch, ob ich abnehmen sollte, da hörte es auf. Schulterzuckend ging ich ins gegenüberliegende Schlafzimmer, wo ich in ein Shirt schlüpfte, das mir zwei Nummern zu groß war. Auf meinem Weg in die Küche vibrierte mein Telefon erneut.
    Ich verdrehte die Augen. Ich hatte Feierabend, verdammt. Doch ich wusste, dass das nicht der Wahrheit entsprach. So etwas wie geregelte Arbeitszeiten kannte meine Berufung nicht. Also nahm ich den Anruf notgedrungen entgegen.
    »Bock, heute Abend auszugehen?«, begrüßte mich Schmittis schwungvolle, helle Stimme.
    Mit gerunzelter Stirn sah ich auf das Display, bevor ich das Handy wieder ans Ohr hielt. »Was ist das für eine Nummer?«
    »Ha! Erwischt. Weil ich weiß, dass du bei meiner unter der Woche nicht mehr abnimmst, rufe ich von Rudis Festnetz an.« Er schnaubte. »So was schimpft sich beste Freundin. Mich armen Kerl einfach zu ignorieren. Was, wenn es was Wichtiges wäre? Ich im Sterben liege oder so?«
    »Komm zum Punkt«, seufzte ich. Ich behielt die Frage, was Schmitti bei Klager zuhause machte, lieber für mich. In der Küche klemmte ich mir das Telefon zwischen Wange und Schulter, während ich mich nach einem Glas auf dem Wandregal streckte. Schmitti gluckste über das Rauschen des Wasserhahns hinweg.
    »Hast du nun Lust?«, fragte er. »Rudi kommt auch mit.«
    »Seit wann nennst du Klager eigentlich Rudi?«
    »Seit ich das ungestraft darf«, erwiderte Schmitti mit unverhohlenem Stolz. Ich hegte vielmehr die Vermutung, dass er dem armen Kerl keine andere Wahl ließ und Klager resigniert aufgegeben hatte.
    »Aber er weiß schon, dass du auf Kerle abfährst?« Ich lehnte mich gegen die Spüle. Die Spitze konnte ich mir nicht verkneifen.
    »Gretchen, er weiß sogar, dass er mein Typ ist.«
    »Oh, ich vergaß«, bemerkte ich und schloss einen Moment seufzend die Augen.
    Schmitti lachte. »Was jetzt? Klager tippt schon auf seine nicht vorhandene Uhr.«
    »Geht ohne mich.«
    »Ach komm schon, wird zu dritt sicher lustig.«
    »Schmitti, du willst doch gar nicht, dass ich mitkomme, damit du dich in Ruhe an Klager ranmachen kannst«, sagte ich etwas zu energisch.
    Mein Freund war einen Moment still. »Wer hat dich denn angefressen? Wir können im Club auch nach einer Dame für dich Ausschau halten, wenn du mal wieder was fürs Bett brauchst.«
    »Das wird mir zu doof. Ich komme nicht mit.« Ich stieß mir das Glas an den Zähnen an, als ich das Wasser in einem Zug trank. Grummelnd leckte ich mir mit der Zunge über die Schneidezähne.
    »Oder soll ich Sascha anrufen und sie fragen, ob sie mitwill?« Deutlich konnte ich vor mir sehen, wie er verschwörerisch mit den Brauen wackelte, doch ich war nicht in der Stimmung, darauf einzugehen.
    »Karl Schmitt, halt die Klappe und geh endlich ohne mich!« Lautstark stellte ich das Glas auf die Anrichte.
    Mein Freund stieß schwer die Luft aus. »Weißt du was, ist wohl besser. Deine Laune will ich mir dann doch nicht antun.« Mit diesen Worten legte er einfach auf. Beleidigte Leberwurst.
    Ich warf das Handy auf den Küchentisch und stapfte mit krampfendem Magen geradewegs ins Wohnzimmer. Bäuchlings schmiss ich mich aufs Sofa, vergrub mein Gesicht im Kissen und schrie.
    Wahrscheinlich war ich übermüdet, grübelte ich, als ich in mich zusammensank. Immerhin fehlten mir zwei Nächte vernünftiger Schlaf. Dann noch dieser Fund in der Villa ... Ich hatte einfach genug für heute.
    Mit einem Mal schnellte mein Kopf hoch. Die Schatulle. Ich sprang auf, eilte zu meiner Tasche im Flur, die ich zuvor achtlos neben der Tür abgelegt hatte. Ich kniete mich davor, bevor ich das in Papier eingewickelte Kästchen hervorkramte. Da lag es, auf meinem Schoss, wieder in meinen Händen. Eine Erleichterung überkam mich, die ich mir nicht zu erklären wusste. Gleichzeitig fühlte ich mich schuldig. Und beobachtet.
    Ich sah mich im Flur um, auch wenn es vollkommener Blödsinn war. Ich lebte allein, die Tür vor mir war zweimal verriegelt. Dennoch kehrte ich ins Wohnzimmer zurück, schloss die Tür und zog die Vorhänge vors Fenster.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (9. November 2017 um 14:58)

  • So, nach ein paar Tagen Abstinenz meinerseits ( :whistling: ) hab ich mit Freuden deinen neuen Teil gelesen :D

    Spoiler anzeigen

    Klager tippte neben mir auf der Rückbank seinen Teil des Berichtes in den Laptop, während Schmitti den Wagen fuhr.

    Da fehlt mir ein Satz, in dem erwähnt wird, dass sie gerade ins Auto steigen. Ich war kurz verwirrt da der direkte Übergang vom Haus zum Wagen irgendwie gefehlt hat.

    »Gretchen, er weiß sogar, dass er mein Typ ist.«

    Eventuell hab ich mich geirrt und Schmitti ist in Wahrheit der Mika der Geschichte :grinstare:

    Beleidigte Leberwurst.

    Sagt ja grad die Richtige! :golly:

    Da lag es, auf meinem Schoss, wieder in meinen Händen. Eine Erleichterung überkam mich, die ich mir nicht zu erklären wusste.

    Hat der Hexer zufällig einen Ring und heißt irgendwie Sauron? Vermutlich dachte er sich: "Ein zweites Mal passiert mir sowas nicht! Ich leg ihn diesmal in diese Schatulle!" uuuuuuuund Ring vergessen :panik: Tja, wie der gute alte Haustürschlüssel eben ...

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

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    Zitat von Xarrot


    Da fehlt mir ein Satz, in dem erwähnt wird, dass sie gerade ins Auto steigen. Ich war kurz verwirrt da der direkte Übergang vom Haus zum Wagen irgendwie gefehlt hat.

    In der ursprünglichen Version war es auch deutlicher. Keine Ahnung, warum ich einen Satz weggelassen habe. Wird geändert. ^^

    Zitat von Xarrot

    Hat der Hexer zufällig einen Ring und heißt irgendwie Sauron? Vermutlich dachte er sich: "Ein zweites Mal passiert mir sowas nicht! Ich leg ihn diesmal in diese Schatulle!" uuuuuuuund Ring vergessen

    Jetzt, wo ich so darüber nachdenke ... :rofl:


    Ich schaltete das Licht an, setzte mich vor den Couchtisch und stellte das Kästchen darauf.
    Lange tat ich nichts, saß nur da und musterte die feine Maserung des Holzes, die sich erst bei näherer Betrachtung offenbarte. Mein Herz schlug schneller, als ich mit den Fingern über das silberne Schloss strich. Es war kühl. Und ich hatte nicht den geringsten Schimmer, wie ich es öffnen sollte.
    Das Klingeln an der Wohnungstür ließ mich hochfahren. Stirnrunzelnd sah ich auf die Uhr neben dem Fernseher; es war bereits nach zehn. Hatte Schmitti es sich anders überlegt? Es schellte erneut, dann noch einmal. Als es das vierte Mal in meinen Ohren schrillte, rappelte ich mich auf und stapfte zur Tür. Wenn das wirklich Schmitti war, würde ich ihm gehörig den Marsch blasen.
    Ich blickte durch den Spion - und sah außer der Tür meines Nachbarn nichts. Irritiert drehte ich mich um, nur um im nächsten Moment mit rasendem Herzschlag innezuhalten: Es hatte erneut geläutet. Dieses Mal presste ich mich gegen die Tür, doch selbst im verzerrten Blick des Spions war draußen niemand zu erkennen.
    Ruhig und leise atmete ich aus, dennoch kam es mir unheimlich laut vor. Als hätte jemand all die anderen Geräusche um mich herum verstummen lassen.
    Zitternd umklammerte ich die Klinke; wieder klingelte es. Ich verkrampfte, presste einen Moment die Augen zu. Langsam zählte ich bis zehn, hob die Lider - und wich mit einem Aufschrei zurück. Eilig presste ich meine Hände vor den Mund.
    Ein bleiches Gesicht hatte sich vor den Spion geschoben. Eisblaue Augen schienen auch jetzt noch starr auf mich gerichtet zu sein. Ich wich an die Wand, drückte meine Handflächen gegen die raue Tapete.
    Ich versuchte mich zu beruhigen. Es gab keinen Grund, gleich so in Panik zu verfallen. Dennoch raste mein Puls, dröhnte mein Herzschlag in meinen Ohren. Ich wusste nicht, wie lange ich so verharrte, an die Wand gedrängt. Mein Rücken schmerzte. Ich konnte mich nicht entspannen. Etwas hielt mich in diesem Zustand gefangen, auch wenn ich mir sicher war, dass ich es nur selbst sein konnte, die meinen Körper lähmte.
    Nach gefühlten Stunden rutschte ich Stück für Stück zu Boden, streckte die Beine von mir. Ich konnte die Tränen nicht verhindern, die in meinen Augen brannten. Stattdessen liefen sie meine Wangen hinab, perlten an meinem Kinn ab und benetzten mein Shirt. Schluchzend holte ich Luft und verschluckte mich dabei. Abwechselnd hustend und Nase hochziehend krabbelte ich auf Händen und Knien ins Bad, wo ich schließlich die Kraft fand, aufzustehen. Mithilfe des Waschbeckens kam ich auf die Beine, drückte mich aufrecht, bis ich direkt in den Spiegel blickte.
    Wäre ich doch im Flur geblieben oder hätte wenigstens den Blick gesenkt gehalten. Eine Gestalt mit fahlem Gesicht, dessen Haut eingefallen wirkte und dessen Knochen deutlich hervorstanden, schien direkt hinter mir zu stehen. Mein Badezimmer war so klein, dass sie mich im Grunde berühren musste. Doch alles, was ich spürte, war Kälte. Ich wagte nicht, mich umzudrehen, stierte nur in dieses fremde Gesicht, musterte das spitze Kinn, bevor ich hinauf zu diesen eisigen Augen wanderte, deren Farbe mich urplötzlich an einen Gletschersee denken ließ.
    »Hilf mir«, krächzte die Gestalt leise. So leise, dass ich gar meinte, es nicht verstanden zu haben.
    Das war doch Wahnsinn. Purer Irrsinn. Mein Verstand spielte mir Streiche, ich musste dringend schlafen.
    »Hilf mir«, wiederholte sie, dieses Mal etwas deutlicher, doch es klang weiterhin wie Schmirgelpapier, das über Metall fuhr.
    Ich konnte mich nicht rühren. Meine Lippen bebten, doch ich brachte keinen Ton heraus. Meine Finger klammerten sich um den Waschbeckenrand.
    »Hilf mir.«

    Mir hallte der Hilferuf noch in den Ohren, als ich mit Schreck die Augen aufschlug. Blinzelnd starrte ich auf meine Wohnzimmertür, während ich selbst ausgestreckt auf dem Boden lag. Mein Haar klebte feucht an meiner Haut. Ich stützte mich auf die Ellenbogen, nur um mich wieder zurückfallen zu lassen, als eine Welle der Übelkeit über mich schwappte. Erst als mein Herz nicht mehr raste und die Welt sich nicht mehr um mich drehte, wagte ich es, mich aufzusetzen.
    Ich fasste mir an die nasse Stirn. Was war das eben? War ich so übermüdet, dass ich nicht gemerkt hatte, wie ich vom Wachen ins Träumen geraten war? Wie klischeehaft! Das war mir noch nie passiert, selbst nach viel mehr schlaflosen Nächten.
    Ich kniff mir in den Unterarm. Natürlich tat es weh, was hatte ich anderes erwartet? Doch ich fühlte mich unwohl. Das davor war alles zu real erschienen, um meiner wirren Fantasie entsprungen zu sein. Ich arbeitete mit Magie. Etwas, das für andere Unmöglich schien, konnte ich nie mit Sicherheit ausschließen.
    Langsam zog ich mich an der Tür hoch; meine Knie fühlten sich weich an. Vielleicht hatte ich mir auch etwas eingefangen. Ging nicht gerade eine böse Sommergrippe um? Meine Stirn war kühl, was kein Indiz für das Gegenteil war. Ich bekam selten Fieber.
    Ich schwankte in die Küche, nahm das Glas von der Anrichte und füllte es mit Leitungswasser. Plötzlich spürte ich es wieder. Diesen stechenden Blick im Rücken.
    Schwer atmend drehte ich mich herum, wobei Wasser auf meine Füße schwappte. Da war - nichts. Nur mein Tisch mit den einsamen Stühlen. Und die Schatulle.
    Ich schluckte, stellte das Glas hinter mich und hörte nur mit einem Ohr, wie es am Boden zersprang. Zitternd streckte ich die Hand nach dem Kästchen aus. Beinahe erwartete ich, dass meine Finger hindurchfuhren, doch ich ertastete solides Holz. Mit dem Daumen strich ich erneut über das Schloss. Es war fast wie ein kleines Ritual, doch das Metall war alles andere als glatt. Er wirkte stumpf. Als ich mich auf den Stuhl setzte, um es genauer in Augenschein zu nehmen, erkannte ich die Kratzer. Als hätte jemand versucht, das Schloss gewaltsam zu öffnen.
    Stirnrunzelnd lehnte ich mich zurück. War ich das gewesen? Nachdenklich kaute ich auf meinem Daumennagel. Beim besten Willen konnte ich mich nicht erinnern, die Schatulle hierher getragen zu haben oder gar den Versuch zu wagen, sie aufzubrechen. Ich sah kein Messer, eine Schere oder einen anderen spitzen Gegenstand, der Aufschluss geben könnte.
    Mit einem mulmigen Gefühl betrachtete ich meine Hände. Sie waren rau und die Fingernägel abgenagt, aber nicht, weil ich versucht hatte, mit ihnen ein Schloss zu knacken. Mir lief es kalt den Rücken hinab. Das zuvor war keine Einbildung gewesen. Was immer hier gewesen war, in meiner Wohnung, es hatte versuchte, an den Inhalt des Kästchens zu gelangen.

  • Holy :shit: !!! Ich hatte echt eine Gänsehaut und war gespannt wie ein 70 Pfund Bogen! Zu bemängeln hab ich rein gar nichts gefunden und bin stattdessen einfach nur gespannt wie es weiter geht ... Wie du diese Stelle beschrieben hast war einfach nur grandios und ich war selten so tief im Geschehen drin wie gerade. Alle Daumen hoch für diesen Teil :thumbup:

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • @Xarrot
    Ich hoffe ja, die Spannung lässt die nächsten Teile nicht nach. :)

    ~+~

    »Ganz ruhig, Greta«, sprach ich leise zu mir selbst. Ich holte tief Luft, hielt den Atem an, um ihn kurz darauf langsam auszustoßen. Ich wiederholte es einige Male, schloss dabei die Augen. Als ich sie wieder öffnete, fühlte ich mich ruhiger. Erst dann wandte ich mich erneut der Schatulle zu.
    Nichts hatte sich verändert. Die Kratzer auf dem Schloss waren weiterhin da. Also bildete ich mir nichts ein, dessen war ich mir sicher. Was es nicht besser machte, doch meine Panik konnte ich mittlerweile gut im Zaum halten. Trotzdem schlug mir das Herz bis zum Hals.
    Ich kaute auf meiner Unterlippe. »Helfen soll ich«, murmelte ich. »Gesagt wie hast du allerdings nicht.« Seufzend rieb ich mir die Stirn, stand auf und zischte, als ich in eine Glasscherbe trat. Fluchend zog ich die Scherbe aus meiner Fußsohle. Ich hinkte ins Bad, säuberte die nicht allzu tiefe Wunde und kehrte mit dem Verbandskasten zurück in die Küche. Das Licht meiner Deckenlampe flackerte. Draußen rumorte fernes Donnergrollen und die ersten dicken Regentropfen prallten ans Fenster.
    Während ich mich um meinen Fuß kümmerte, wanderten meine Gedanken. »Du willst an den Inhalt der Schatulle«, sagte ich gerade laut genug, um verstanden zu werden. Ich wusste selbst nicht, was mich antrieb, doch das Gefühl, die Wohnung nicht mehr für mich allein zu haben, blieb.
    »Aber du kommst genauso wenig heran wie ich«, fuhr ich fort. Ich wartete auf eine Antwort, die ich nicht erhielt. Langsam ließ ich meinen Fuß sinken, starrte auf die Schatulle. »Was ist dort drinnen, das du so unbedingt haben willst?« Ich trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.
    Plötzlich vibrierte mein Handy. Ich schreckte auf dem Stuhl zurück, drückte eine Hand auf die Brust, unter der mein Herz wummerte. Langsam reckte ich den Kopf vor, bevor ich das Telefon aufnahm. Schmittis Abbild leuchtete mir grinsend entgegen. Eine Weile wog ich das kleine schwarze Handy in den Händen, bis ich doch nach rechts wischte. »Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
    »Weißt du eigentlich, wie oft ich versucht habe, dich anzurufen, Greta?«, polterte Schmitti direkt. Er klang atemlos, erschöpft. »Wieso erschreckst du mich immer so? Mein Herz hält doch nicht so viel aus.«
    »Ja, Opi, tut mir leid, Opi«, seufzte ich und sah zur Uhr über der Tür. Es war nach eins. Ich runzelte die Stirn. »Wieso versuchst du mich so spät noch zu erreichen? Ist was passiert?«
    Es rauschte einen Moment, als würde mein Freund durch heftigen Regen laufen. Ich hörte das Surren vorbeifahrender Autos, das Klatschen ihrer Reifen, wenn sie durch Pfützen fuhren. Wahrscheinlich ging Schmitti gerade vom Club nach Hause.
    »Weil du mich angerufen hast vielleicht? Hast was gestottert von wegen da ist was in deinem Haus. Und dann legst du einfach auf! Ich bin auf dem Weg zu dir.«
    Ich sah aus dem Fenster, folgte den Regentropfen, die von der Scheibe perlten und eine Spur auf dem Glas hinterließen. »Mir geht es gut. Entschuldige, dass ich dir Sorgen gemacht habe. Geh nach Hause, Schmitti.« Ich schmunzelte schwach; insgeheim war ich dankbar, dass mein Freund stets alles stehen und liegen ließ, um zu mir zu eilen, wenn es mir schlecht ging. Manchmal hatte er auch einen sechsten Sinn dafür. Denn ich konnte mich nicht erinnern, ihn angerufen zu haben. Überhaupt fehlten mir Stunden. Ein Schauer kitzelte in meinem Nacken, bevor es mir kalt den Rücken herablief.
    »Erzähl keinen Scheiß. Ich bin gleich da, mach schon mal die Tür auf.«
    Bevor ich noch etwas sagen konnte, unterbrach er die Verbindung. Ich kniff die Augen zusammen, atmete tief durch und legte das Telefon auf den Tisch. Mein Blick fiel zurück auf die Schatulle. Ich musste sie verstecken. Schmitti durfte nicht erfahren, dass ich sie mitgenommen hatte, statt sie vorschriftsgemäß im Lager abzuliefern. Also schnappte ich sie mir; auf dem Weg ins Wohnzimmer schimpfte ich über mich selbst, weil ich vergessliche Kuh meinen verletzten Fuß belastete. An einem meiner Bücherregale rechts neben der Tür streckte ich mich, tastete auf der Oberseite entlang, bis ich den gusseisernen Schlüssel fand. Ich humpelte zur gegenüberliegenden Seite und hockte mich vor die Anrichte neben dem Sofa. Das alte Holz war glatt unter meinen Fingern, als ich die unterste Schublade aufschloss und die Schatulle unter einem Haufen Einpackpapier legte.
    Einen Moment verharrte ich kniend vor der Anrichte; mein Puls begann zu rasen, als ich neuerlich den stechenden Blick im Rücken spürte, der mich den ganzen Abend verfolgte. Ich schreckte herum und da stand es. Jenes Wesen, das mir bereits im Spiegel begegnet war. Ich schluckte trocken, ehe ich den Rücken durchstreckte.
    »Ich habe keine Angst vor dir«, flüsterte ich. Der langgezogene Kopf der Gestalt neigte sich zur Seite. Mir fiel auf, dass sie keine Augenbrauen besaß. Und die Haut war nicht einfach fahl, sie war schneeweiß. Ebenso wie das lichte Haar, das in dünnen Strähnen bis zum Kinn fiel. Ohnehin schienen die Augen das einzig Farbige zu sein; eisiges, klares Blau. Die graue Kleidung des Wesens saß so eng an dem schlaksigen Leib, dass sie beinahe mit ihm verschmolz.
    »Ich habe keine Angst«, sagte ich erneut, lauter. Das Wesen legte den Kopf zur anderen Seite, gleichzeitig hüpfte mein Herz. Als ich jedoch genauer in mich hineinhorchte, war da keine Furcht. Vielmehr – Neugier.
    Ich zog die Brauen zusammen. Noch etwas anders kam mir in den Sinn. Es war, als besäße ich zwei verschiedene Gefühlsregungen, die sich miteinander vermischten. Meine Schultern entspannten sich. »Du hast Angst, nicht wahr?«
    Zögernd richtete es das Gesicht wieder gerade, blinzelte träge, bevor es mich erneut unverblümt anstarrte.
    »Was bist du?«, fragte ich, erhielt jedoch keine Antwort. Ich war mir sicher, dass es zuvor zu mir gesprochen hatte; sein Hilferuf hallte mir noch immer im Gedächtnis. Wieso sprach es also jetzt nicht?
    In diesem Moment klingelte es. Ich zuckte fluchend zusammen, blickte dann hektisch zu meinem Besucher auf. Ich sagte das Erste, was mir in den Sinn kam: »Versteck dich.« Ich zeigte auf das Papier, unter dem die Schatulle lag. »Sie ist dort sicher, versprochen.«
    Das Wesen zögerte, seine Augen wanderten flüchtig zu der Stelle, auf die ich zeigte. Mit dem nächsten Wimpernschlag war es verschwunden. Tief atmete ich durch.
    Wieder klingelte es, dieses Mal ausdauernder. »Ja, verdammt!«, rief ich. Ich drehte mich zur Anrichte herum, wollte sie gerade schließen, als ich innehielt. Ein kalkweißes Gesicht strahlte mir ausdruckslos zwischen dem Papier entgegen.
    »Nicht ganz das, was ich mit verstecken im Sinn hatte.« Ein Schmunzeln huschte über meine Lippen. Einen Moment zögerte ich noch, ignorierte, dass Schmitti mittlerweile Sturm klingelte. Dann schloss ich die Schublade, schloss ab und legte den Schlüssel zurück aufs Bücherregal.
    Zähneknirschend humpelte ich in den Flur und drückte hart gegen den Türsummer. Ich öffnete die Tür einen Spalt, damit Schmitti nicht auch noch den Rest der Nachbarn weckte.
    Im nächsten Augenblick erschien er bereits schnaufend am Eingang. Ich kam gar nicht dazu, ihn auf seine nassen Schuhe hinzuweisen, die auf dem Laminat quietschten. Wortlos zog er mich in eine Umarmung, drückte mich so fest, dass mir kurz die Luft wegblieb.
    Zögernd klopfte ich Schmitti auf den nassen Rücken. Sein feuchtes Haar kitzelte meine Nase. »Mir geht es gut.« Er murmelte etwas. »Was?«
    Jäh schob er mich eine Armeslänge von sich. »Ich sagte, den Spruch kannst du dir sparen.« Er musterte mich von oben bis unten, dann zog er eine seiner geschwungenen Brauen nach oben. »Siehst müde aus.«
    »Bin ich auch.« Wie aufs Stichwort gähnte ich. Schmitti betrachtete mich noch einen Moment aufmerksam, dann seufzte er. Derweil schob ich sanft seine Hände von mir. »Wir war's mit Klager im Club?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln. Mein Freund verzog das Gesicht. »Nicht gut?«
    »Klager kann mich mal«, brummte Schmitti und verschränkte fröstelnd die Arme.
    »Wieso das? Hat er dich abblitzen lassen?« Ich atmete kurz ein. »Er hat dich abblitzen lassen!«
    »Ach halt die Klappe«, murrte Schmitti, nahm mich bei der Hand und zerrte mich Richtung Wohnzimmer, während ich auf dem Weg mit dem lädierten Fuß die Tür zutrat. »Erzähl mir lieber, was los ist.«

  • Sry das ich so lange gebraucht hab aber nun ist es gelesen und gefällt wie immer sehr gut :)

    Manchmal hatte er auch einen sechsten Sinn dafür. Denn ich konnte mich nicht erinnern, ihn angerufen zu haben. Überhaupt fehlten mir Stunden.

    Schon zuvor hast du richtig gekonnt die Anspannung der Hauptperson rübergebracht und mit dem Satz hast du es eigentlich nahezu perfektioniert. Sehr, sehr schön :D

    Btw, ich hab da natürlich schon so eine Vermutung wer der Geist sein könnte, aber bin noch ruhig ... :whistling:

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

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    @Ippon
    Dann hoffe ich, dass dir auch das Lesen der weiteren Abschnitte Spaß macht. Und wenn was nicht passt oder stört oder nicht logisch erscheint: nur raus damit! ^^

    @Xarrot
    Kein Stress.
    Zum Thema Geist: abwarten. :D

    Bin mit dem nächsten Abschnitt noch uneins. Eigentlich wollte ich ihn erst weitestgehend streichen, dann erschien er mir doch ein wenig sinnvoll, jetzt weiß ich nicht, ob das wirklich so ist. Deswegen: Gerne jegliches Feedback dazu.

    ~+~

    Unwillkürlich wanderte mein Blick zur Anrichte, als ich meinem Freund hinterherhinkte. Bevor Schmitti sich jedoch aufs Sofa fallen ließ, richtete ich meine gesamte Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Ich rümpfte die Nase; schuldbewusst sah er zu mir auf und besaß wenigstens den Anstand, endlich aus seinen Turnschuhen zu schlüpfen. Ich holte ihm ein Handtuch aus dem Bad, das ich ihm direkt ins Gesicht warf, bevor ich neben ihn plumpste.
    »Also?«, fragte er, während er sich die Haare trocknete.
    Ich seufzte. »Nichts also. Es war - nur ein langer Tag und ich habe schlecht geträumt. Das ist alles.« Ich musste arg an mir halten, nicht ständig zur Anrichte neben mir zu schauen. Hatte ich wirklich abgeschlossen?
    »Das ist alles?« Schmitti musterte mich schräg von der Seite. »Greta, du hast gestottert! Du stotterst sonst nie, nicht einmal, wenn dir ein zwei Meter fünfzig Golem gegenübersteht und dich mit seinem schlechten Atem anrülpst.«
    »Ich muss dich im Schlaf angerufen haben«, murmelte ich und rutschte auf dem Sofa tiefer, bis mein Kinn meine Brust berührte. Nun schweifte mein Blick doch nach rechts, was Schmitti nicht zu bemerken schien.
    »Klar, weil du ja zum Schlafwandeln neigst.« Schnaubend legte er sich das Handtuch um die Schultern.
    »Ich hab die letzten Tage kaum geschlafen und es war ein aufreibender Tag«, versuchte ich weiter, ihn zu beruhigen, auch wenn mein Herz erneut so heftig schlug, dass ich fürchtete, es könnte jeden Moment vor Erschöpfung stillstehen. In meinen Ohren pochte es dumpf.
    Um von mir abzulenken, fragte ich: »Was war jetzt eigentlich mit Klager?«
    Irritiert starrte Schmitti zu mir herab, dann wich er meinem Blick aus und sackte in sich zusammen. »Der Kerl macht mich wahnsinnig und das nicht positiv. Das ist alles.«
    »Das ist alles?«, äffte ich seinen schrillen, ungläubigen Tonfall von eben nach, worauf er mich finster von der Seite beäugte.
    »Vergiss es einfach«, brummte er. »Mit Klager bin ich durch.«
    »Klager, ja? Nicht mehr Rudi?« Wieso musste ich auch immer in einer Wunde stochern? Ich klopfte mir gedanklich selbst auf die Finger.
    Schmitti stöhnte auf. »Herrgott, Greta, halt die Klappe. Es war einfach ein Scheißabend. Für uns beide. Okay? Hast du noch Bier da?«
    »Im Kühlschrank.« Keiner von uns beiden rührte sich. »Ich hol's nicht.«
    »Auch nicht, wenn ich mit den Wimpern klimper?«, fragte Schmitti und blinzelte mir mit Dackelblick entgegen.
    Unbeeindruckt hob ich beide Brauen. »Du weißt, dass das schon auf der Akademie bei mir nicht gezogen hat, wenn du was wolltest.«
    »Mann kann es ja trotzdem versuchen.« Schmitti erhob sich ohne weitere Umschweife. Auf nassen Socken tapste er in die Küche, um mit zwei geöffneten Bierflaschen zurückzukommen. »Weißt du, Klager könnte auch einfach mal seinen verdammten Stock aus dem Arsch ziehen.«
    »Weil du ihn mit was anderem ersetzen willst?«, fragte ich, ohne mich aufhalten zu können. In der nächsten Sekunde trat Schmitti leicht gegen mein Schienbein, dann reichte er mir eine der Flaschen. Das kalte Glas in meiner Hand tat gut. Ich war geneigt, es mir gegen die Stirn zu drücken, begnügte mich dann jedoch damit, lieber einen Schluck zu trinken.
    Kaum saß Schmitti wieder neben mir, sprach ich jenen Gedanken laut aus, der mir bereits seit Wochen im Kopf geisterte: »Aber es hat doch auch etwas Gutes, wenn du weißt, woran du bist?«
    »Schön wär's. Ich weiß es eben nicht. Mal flirtet der Kerl hemmungslos mit mir, im nächsten Moment ist es dann wieder zu viel und ich steh da wie eine Katze unter der Dusche.« Schmitti nahm einen großzügigen Schluck aus seiner Flasche.
    »Ist es nicht ohnehin besser, nichts mit ihm anzufangen?«, hakte ich nach. »Ich meine, ihr seid Kollegen. Wir sind Kollegen. Selbst wenn ihr am Ende nur Sex habt, irgendwann zerspringt das. Vielleicht nicht morgen, vielleicht nicht in einem halben Jahr, aber irgendwann.« Ich musterte Schmitti, dessen Gesicht mit jedem Wort finsterer wurde. Dennoch fuhr ich fort: »Und entweder ihr seht euch dann jeden Tag und führt peinliche Affentänze auf - und ich kenne dich, du wirst mir dann die Ohren volljammern - oder einer von euch beiden lässt sich versetzen.« Ich nippte erneut an meinem Bier. Als ich wieder redete, sah ich Schmitti fest in die Augen. »Ich will weder dass Klager noch dass du gehst.«
    Mein Freund betrachtete mich lange schweigend, bis er seine Miene mit einem Seufzer entspannte. »Hast ja recht. Vielleicht sollt ich's aufgeben. Nur noch kollegiale Ebene und so.«
    Ich knuffte ihn in die Seite. »Nicht nur vielleicht.«
    »Versprechen mach ich keine«, murrte Schmitti, trank schließlich fast die Hälfte seines Bieres in einem Zug, wohingegen ich nur auf den braunen Flaschenhals starrte. Erneut huschten meine Augen seitwärts. Ob das Wesen überhaupt noch in der Anrichte war? Ob es geduldig wartete und jedem unserer Worte lauschte?
    Als ich selbst in mich ging, nach einem Rascheln oder ähnlichem aus der Schublade horchte, vernahm ich jedoch nur den strömenden Regen und den Wind, der an die Fenster drückte und die Rahmen knarren, das Glas vibrieren ließ. Schmitti unterdes rülpste neben mir, gefolgt von einem leisen »Sorry«. Ich verdrehte die Augen, bevor mein Freund dicht zu mir rutschte, sodass sein Kopf bald auf meiner Schulter ruhte.
    »Wieso jammere ich dir jetzt eigentlich was vor? Ging es hier nicht um dich? Und jetzt klage ich wegen Klager.« Er prustete. »Ich hab 'nen Wortwitz mit seinem Namen gefunden.«
    »Den hattest du schon mal, als du vor zwei Wochen breit wie eine Flunder den ganzen Abend nur von ihm geredet hast.«
    »Egal, der ist immer noch witzig.«
    »Nicht wirklich.« Ich lehnte meine Wange an sein feuchtes Haar, das ich geflissentlich ignorierte.
    Eine Weile sagten wir nichts, genossen nur die Gegenwart des jeweils anderen, bis Schmitti tief Luft holte und fragte, ob wirklich alles in Ordnung sei.
    »Wie oft denn noch?«, murmelte ich.
    »Solange, bis ich sicher bin. Greta, sei ehrlich. Ich kenne dich seit dem Kindergarten, ich weiß, wenn du mich anflunkerst.« Er unterdrückte einen Rülpser. »Was, wenn wir die Geister der Villa geweckt haben mit unserem Fund?«
    Ich hielt einen Moment den Atem an; nein, das konnte nicht sein. Für eine wandelnde tote Seele wirkte die Gestalt meines unfreiwilligen Besuchers viel zu fest. Andererseits war meine Erfahrung mit Geistern auf wenige schemenhafte Erscheinungen beschränkt.
    »Jetzt sag schon«, bohrte Schmitti weiter. Kurz war ich geneigt, mit der Wahrheit herauszuplatzen, stattdessen biss ich mir auf die Zunge. Langsam richtete mein Freund sich neben mir auf, betrachtete mich nachdenklich von oben herab.
    Ich lächelte schwach zu ihm auf. »Es war wirklich nur ein langer Abend.« Und immerhin wusste Schmitti, dass ich anfällig für schlechte Träume war. Wenigstens das würde er mir glauben. Ich wusste doch selbst nicht, was wirklich passiert war. »Vielleicht habe ich im Halbschlaf Dinge gesehen, die nicht da waren. Wahrscheinlich habe ich dich deswegen so verstört angerufen. Alles halb so wild. Alles gut.«
    »Das ist nicht gut«, sagte Schmitti etwas weicher als zuvor. »Du musst besser auf dich aufpassen.«
    »Ja, Opi. Und jetzt komm wieder her.« Ich zog an seiner Schulter, doch er schüttelte meine Hand ab. Gespielt verzog ich den Mund. »Auch dein Problem wird sich lösen lassen. Bald findest du schon was fürs Bett.« Ich legte den Arm auf seinen Rücken.
    Schmitti schnaubte, stellte seine Flasche laut auf den Tisch vor uns. »Erstens: Lenk nicht schon wieder vom Eigentlichen ab. Und zweitens: Ich will nichts fürs Bett.«
    Ich hob die Brauen. Nach seiner letzten gescheiterten Beziehung hatte das noch anders geklungen. »Aber nicht Klager, oder?«
    Er wich meinem Blick aus. »Nein.« Ebenso wie er wusste, wann ich flunkerte, konnte ich es an seiner Nasenspitze ablesen, die sich immer verräterisch kräuselte, wenn er log. Ich sagte nichts dazu. Was auch? Ich war selbst ein Paradebeispiel dafür, sich in jemanden zu vergucken, der außerhalb der persönlichen Reichweite war.
    Das Schweigen zwischen uns weitete sich aus. Nachdem ich eine Weile vor mich hin starrte, dem Drang nicht nachgab, alles auszuplaudern, was wirklich geschehen war, fragte Schmitti: »Kann ich bei dir pennen?«
    Ohne nachzudenken sagte ich: »Klar.« Kaum hatte ich dieses Wort ausgesprochen, zuckte ich innerlich zusammen, biss mir ungewollt dabei auf die Zunge. Schmitti stand derweil lächelnd auf, während mir kurzzeitig das Herz in die Hose rutschte. »Wo gehst du hin?«
    An der Tür hielt er inne. »Aufs Klo?« Dann grinste er. »Willst mit?«
    Das Kissen, das ich nach ihm warf, verfehlte ihn knapp. »Kannst auch gleich duschen«, rief ich ihm hinterher.

    2 Mal editiert, zuletzt von Kitsune (18. Dezember 2017 um 12:14)

  • Also ich fand den Teil eigentlich genauso gut wie die anderen. Ruhiger und weniger spannend als die anderen, aber das Gespräch zwischen den beiden war authentisch mit entsprechend Tiefgang. Eventuell kam dein ungutes Gefühl ja daher. :)

    »Ich will weder das(s) Klager, noch dass du gehst.«

    So klingt der Satz für mich etwas schöner.

    »Weil du ihn mit was anderem ersetzen willst?«, fragte ich, ohne mich aufhalten zu können.

    Oh Gott der arme Geist, der sich das Gespräch auch noch unweigerlich mit anhören muss :rofl: Wenn er hinterher plötzlich weg ist, weiß ich auf jeden Fall schon mal warum ... xD

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

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    Hat etwas gedauert (*hust*einen Monat*hust*), aber es geht weiter. Wenigstens hier ... Allerdings kein Kunststück bei einer Bearbeitung. Meh.


    Kaum zog Schmitti die Tür zum Bad hinter sich zu, sprang ich vom Sofa auf. Ich verzog das Gesicht, als ein Stechen meinen Fuß hinauf in die Wade zog. Humpelnd und mit zusammengepressten Lippen holte ich den Schlüssel vom Regal, bevor ich einen letzten Blick in den Flur warf. Ich lauschte, doch aus dem Bad den Gang hinunter drang nur Wasserrauschen und Schmittis Pfeifen.
    Mit kalten Fingern öffnete ich die untere Schublade der Anrichte. Mein Herz machte einen Sprung, als mir diese eisblauen Augen unverändert entgegensahen. Leise versuchte ich dem Wesen begreiflich zu machen, dass es noch einen Moment ausharren solle, dass ich mich bald wieder um es und die Schatulle kümmern könne. Ohne zu wissen, ob meine Worte angekommen waren, schob ich die Lade wieder zu und warf den Schlüssel oben auf die Anrichte, neben das staubige Foto von meiner Mutter und mir, das vor zehn Jahren vor meinem Geburtshaus geschossen worden war.
    Auf meinem Weg in die Küche klopfte ich an der Badtür und fragte Schmitti, ob er noch etwas essen wolle. Wie aufs Stichwort knurrte mein eigener Magen.
    Es polterte und schimpfte hinter der Tür, bis mein Freund den Kopf herausstreckte. »Gib mir fünf Minuten und ich helf dir«, sagte er nur und schlug die Tür wieder zu. Kopfschüttelnd hüpfte ich weiter Richtung Küche und entdeckte die Glasscherben, die noch immer vor der Spüle verstreut lagen. Seufzend kehrte ich sie zusammen; ich schüttete sie gerade in den Mülleimer, als Schmitti in Shorts neben mir auftauchte.
    »Na hoffentlich bringen dir die Scherben Glück«, raunte er und nickte zu meinem Fuß. »Böse reingetreten?«
    »Passt schon«, winkte ich rasch ab. »Was willst du essen?«
    Schmitti überlegte einen Moment, bevor er barfuß zum Kühlschrank tapste. Wortlos sah er hinein, durchforstete mein winziges Gefrierfach und warf mir schlussendlich eine angefangene Tüte Pommes zu, die ich gerade noch zu fassen bekam.
    Ich musterte erst die Tüte, dann meinen Freund. »Echt jetzt?«
    »Klar. Ich hab Hunger«, sagte Schmitti mit einem Schulterzucken.
    »Ich dachte ja eher an Brot«, brummte ich.
    Schmitti öffnete den Brotkorb auf meiner Anrichte neben der Spüle, schnappte sich das halbe Stück Vollkornbrot und hielt es mir vor die Nase. »Schimmelt.«
    Genervt stöhnte ich auf. Ich wies ihn an, den Ofen anzuwerfen, während ich das pelzige Etwas mit spitzen Fingern in den Müll beförderte.
    Schlussendlich aß Schmitti die ganzen Pommes allein, während ich mich mit den letzten beiden Äpfeln und etwas Joghurt begnügte und mir die geistige Notiz machte, endlich einzukaufen.

    Nur wenig später schnarchte mein Freund neben mir im Bett. Ab und zu schmatzte er im Schlaf, kratzte sich und stieß dann laut prustend die Luft aus, bevor sein Sägen von neuem begann. Als wäre der erste Wald nicht schon genug Abholzung gewesen.
    Auf dem Rücken liegend stierte ich zu ihm herüber, wobei kaum mehr als ein bloßer Schemen von ihm zu erahnen war. Wie konnte er so seelenruhig schlafen und alle Sorgen verdrängen? Aber so war er schon als Kind gewesen. Egal was war - schlafen ging immer. Ich beneidete ihn darum.
    Schnaufend richtete ich meinen Blick zur Decke. Mich ließen meine Gedanken nicht zur Ruhe kommen, peitschten kreuz und quer durch meinen Kopf. All das Geschehen des Tages stürmte mit einer Wucht auf mich ein, dass es mir Kopfschmerzen bereitete.
    Wenn ich die Augen schloss, tauchte dieses schneeweiße Gesicht meines ungewollten Gastes vor mir auf, worauf ich sogleich wieder hochschreckte. Nicht aus Angst, auch wenn es mir die Kehle zuschnürte, vielmehr war es eine innere Unruhe, die durch meine Eingeweide kribbelte.
    Ich wandte mich mit geschürzten Lippen zu Schmitti herum und drückte ihm die Spitze des Zeigefingers zwischen die Schulterblätter. Er atmete schnarchend ein, schmatzte, schlief jedoch weiter. Ich schlug ihm mit der flachen Hand auf die Schulter, doch auch dieses Mal wachte er nicht auf.
    Langsam stahl ich mich aus dem Bett, schlich auf Zehenspitzen vom Schlafzimmer in die Stube.
    Durch die geschlossenen Vorhänge drang das gelbliche Licht der Straßenlaternen; die Schatten der Baumwipfel tanzten über den dünnen Baumwollstoff, während der Wind unverändert gegen die Fenster drückte. Ich atmete tief durch, lehnte die Tür hinter mir an und kniete mich vor die Anrichte. Erst als ich auf meine bebenden Finger blickte, wurde mir bewusst, wie sehr ich zitterte, doch ich zog entschlossener denn je die Schublade auf.
    Sofort strahlten mir die blauen Augen entgegen. Das Wesen blähte die Nasenflügel auf, dann war es mit einem Mal verschwunden, nur um neben mir in der Hocke erneut zu erscheinen. Kälte umschloss mich wie eine Decke, ließ meine Haut prickeln. Ich schreckte zusammen, rief mich jedoch stumm zur Ruhe. Ich wusste nicht, woher die Sicherheit kam, aber ich wusste, mir würde nichts geschehen. Ein Schaudern konnte ich dennoch nicht verhindern.
    Bedächtig holte ich die Schatulle hervor und legte sie in meinen Schoß, kramte danach tiefer unter dem Einpackpapier in der Schublade, bis ich die etwa handgroße Taschenlampe fand. Mit dieser leuchtete ich über das Schloss des Kästchens.
    Vielleicht gab es einen Trick, den ich nicht kannte. Schmitti könnte mir tausend Wege nennen, ein Schloss ohne passenden Schlüssel zu öffnen. Doch Schmitti stand als Hilfe derzeit außer Frage.
    Plötzlich klopfte ein dürrer Finger auf das glatte Holz. Blinzelnd sah ich zur Seite; noch einmal tippte das Wesen mit einem spitzen Fingeragel auf die Schatulle. Ohne klügere Idee, reichte ich sie weiter. Ich beobachtete, wie es das Kästchen schüttelte und schließlich ein plattes Ohr daran hielt. Es wiederholte diese Prozedur einige Male, bis ein mechanisches Klicken zu hören war. Meine Hoffnung, dass sich etwas gelockert hatte und der Deckel nun einfach aufsprang, zerschlug sich, als erneut lange Finger erfolglos am Holz entlangschabten.
    »So wird das nichts«, flüsterte ich. Behutsam löste ich die Hände von der Schatulle, legte diese wieder auf meinen Schoß und leuchtete noch einmal in das dunkle Schlüsselloch. Hätte ich Haarspangen, ich hätte es einfach damit probiert. Schließlich funktionierte das in Filmen und Büchern und wenn ich mich recht erinnerte, hatte Schmitti ebenfalls davon erzählt. Doch meine Haare waren zu kurz und zu fein für Spangen.
    »Gretchen? Was machst du da?« Schmittis verschlafene Stimme ließ mich so zusammenfahren, dass ich die Schatulle fallenließ. Etwas klimperte in ihrem Innern, doch es verstummte so rasch, dass ich glaubte, mich geirrt zu haben.
    Hastig löschte ich die Taschenlampe, eilte zu meinem Freund und drehte ihn an den Schultern herum. Er wirkte nicht richtig wach, so hoffte ich, ihn zurück ins Bett schieben zu können, doch unvermittelt stemmte er sich gegen mich. Ohne Schwierigkeit tänzelte er mich aus, stapfte ins Wohnzimmer und schaltete das Licht ein. »Was zur Hölle ...«
    Das Wesen fauchte auf und kroch in die Zimmerecke hinter der Anrichte, wo es die Arme über dem Kopf zusammenschlug.
    »Heilige Scheiße! Greta, was ist das?«, fuhr Schmitti auf, während er sich mit dem Rücken an die Tür drückte, das ohnehin schon blasse Gesicht bleich wie eine Leinwand.
    Ich überging seine Frage, näherte mich stattdessen ruhig dem Wesen, während ich auf es einsprach. Sanft berührte ich seine dürren Handgelenke und obwohl mir Kälte brennend in die Finger schoss, zuckte ich nicht fort, sondern zog langsam die Arme herunter.
    »Keine Angst«, flüsterte ich, »das ist nur Licht.« Zögernd hob mein Gegenüber den Kopf und musterte mich ohne zu blinzeln.
    »Heilige Scheiße«, rief Schmitti noch einmal, dann atmete er tief durch und kam näher. »Alles nur geträumt - am Arsch, Greta. Das sieht mir ziemlich echt aus.« Er griff sich an die Stirn; einzelne dichte Strähnen seines braunen Haars wippten auf und ab, als er noch einmal schnaufte. »Scheiße, Mädchen«, fluchte er leise, wich zurück, als das Wesen ihn daraufhin anfauchte. Eine Reihe spitzer Zähne blitzten auf, als es die dünnen Lippen zurückzog. Ich sprach weiter ruhig auf es ein, spürte die Panik wie einen Sturm durch meinen Magen fegen. Finster sah ich über die Schulter. »Du machst ihm Angst.«
    »Ich ihm?« Schmittis Stimme schrillte, während sein Blick gen Boden wanderte. Stutzend ließ er die Hand sinken. »Nee, oder?« Er beugte sich herunter und hob die Schatulle auf. »Jetzt begreif ich, wieso du nach mir aus dem Büro wolltest. Allein. Bericht beenden? Nach Feierabend? Du? Klager hatte recht. Er hatte die ganze Zeit recht und ich wollte ihm nicht glauben, weil ich dich ja besser kenne und -«
    »Hol Luft!«, fuhr ich ihn an. Er schnappte nach Atem, dann hielt er den Mund, musterte mich nur mit schmalen Augen und aufeinandergepressten Lippen. Ich widmete mich indes dem verschreckten Wesen. »Alles gut, alles gut«, wisperte ich. »Er wirkt nur so aufgedreht. Eigentlich ist er ganz in Ordnung. Du musst keine Angst vor ihm haben.«
    »Bitte?«, schnaubte Schmitti. Unvermittelt kniete er sich neben mich, die Schatulle noch in Händen. Was ein Fehler schien, denn augenblicklich schnappte das Wesen danach und zerrte es aus Schmittis Griff. Mein Freund wich mit dem Oberkörper zurück und hielt sich die rechte Hand. »Das Vieh hat mich gekratzt!«
    »Nenn es nicht Vieh«, schimpfte ich; mein Herz wummerte. Die Wut, die sich wie ein Wurm durch meinen Bauch wand und ihn dabei zusammenzog, ließ meinen Atem stocken. Behutsam legte ich die Finger um die Hände des Wesens. »Ruhig, keiner nimmt sie dir weg.«
    Zögerlich wurde das Schnaufen weniger, bis es zu einem ruhigen Atmen verkam und das Wesen die Schatulle in meine Hände legte. Ich stellte sie neben mich, gleichzeitig musterte ich Schmitti finster von der Seite.
    »Soll ich mich etwa entschuldigen?«, fragte er, noch immer Abstand haltend.
    Ich verdrehte die Augen. »Wäre nett, aber wie wäre es erst einmal mit vorsichtigem Kennenlernen?« Nicht, dass mein erstes Aufeinandertreffen harmonischer gewesen war, doch das wollte ich Schmitti in diesem Moment nicht auf die Nase binden. Ich war mir auch immer noch nicht sicher, wie viel er davon bereits wusste.
    »Kennenlernen?« Schmitti beäugte erst mich, dann sein Gegenüber von oben bis unten. »Wie kommt es überhaupt hierher?«
    »So genau weiß ich es nicht, aber es hat mit der Schatulle zu tun. Besser gesagt mit dem Inhalt.«
    Schmitti nickte stumm, ohne den Blick abzuwenden. Er schien sich seine eigenen Gedanken zu machen und Rückschlüsse zu ziehen - zumindest verriet mir das der Tanz seiner Augenbrauen, die stetig auf und ab wanderten oder zusammenrückten und wieder auseinandergingen. Dann streckte er unvermittelt die Hand aus. »Hallo, ich heiße Schmitti. Eigentlich Schmitt. Noch eigentlicher Karl, aber so nennen mich nur Verwandte und Leute, die mich nicht leiden können oder mich ärgern wollen.«
    Ich blinzelte zu ihm, während das Wesen reglos die Hand meines Freundes musterte. »Was wird das?«
    Schmitti sah irritiert zu mir. »Du hast gesagt, wir sollen uns kennenlernen. Ich hab mich nur vorgestellt. Du nicht?«
    Kurz betrachtete ich ihn verdattert, dann brach ich in lautes Gelächter aus. Was meinen Freund nur noch mehr stutzen ließ, ehe er zögerlich zu mir grinste. Wir zuckten beide zusammen, als sich an schabendes Geräusch untermischte, wie Kreide, die über eine Tafel fuhr. Es dauerte einen Moment, bis wir begriffen, dass es vom Wesen kam, das nun die Lippen breit auseinandergezogen und die Augen verschmälert hatte.
    »Es lacht!«, rief Schmitti. Man sah ihm deutlich an, wie er sich zurückhalten musste, nicht in die Hände zu klatschen. Seine Angst war mittlerweile einer gewissen Neugier gewichen. Am Ende konnte ich ihn nur knapp davon abhalten, meinem Besucher in die Wange zu piken. »Hat es schon einen Namen?«
    »Es ist kein Haustier. Und ich habe noch nicht gefragt«, murmelte ich. Bisher waren mir solch einfache Dinge nicht in den Sinn gekommen. Ehrlich gesagt hatte ich bisher auch andere Sorgen.
    »Kann es denn sprechen?« Schmitti legte den Kopf schief und grinste, als das Wesen es ihm gleichtat. Dann fuhr es wie Schmitti zuvor die Hand aus, wollte ihn im Gesicht berühren, legte schließlich allerdings seine linke Hand um das Gelenk und zog beide Arme zurück. Genau das, was ich bei meinem Freund getan hatte. Es imitierte uns.
    »Bisher hat es nur einmal gesprochen«, erklärte ich, nachdem sich meine Faszination nicht mehr auf mein Sprachvermögen auswirkte. »Nur am Anfang und auch nur: Hilf mir.«
    »Helfen?« Schmitti runzelte die Stirn. »Wobei?«
    Ich deutete zur Schatulle. »Damit.«

    2 Mal editiert, zuletzt von Kitsune (18. Dezember 2017 um 12:17)

  • Diese "Schauergestalt" scheint mir ja eigentlich eine ziemliche nette zu sein :) Ich kann eigentlich mal wieder nichts daran aussetzen. Komma oder Rechtschreibfehler fallen mir meistens eh nicht so wirklich auf und das große Ganze gefällt mir eigentlich ganz wunderbar. Gerne mehr :thumbsup:

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Also, ich habe das jetzt auch mal gelesen, und muss sagen, dass diese Geschichte unglaublich fesselnd und spannend ist! Ich konnte nicht aufhören zu lesen!


    " »Hilf mir«, krächzte die Gestalt leise. So leise, dass ich gar meinte, es nicht verstanden zu haben.
    Das war doch Wahnsinn. Purer Irrsinn. Mein Verstand spielte mir Streiche, ich musste dringend schlafen.
    »Hilf mir«, wiederholte sie, dieses Mal etwas deutlicher, doch es klang weiterhin wie Schmirgelpapier, das über Metall fuhr.
    Ich konnte mich nicht rühren. Meine Lippen bebten, doch ich brachte keinen Ton heraus. Meine Finger klammerten sich um den Waschbeckenrand.
    »Hilf mir.« "


    Diese Stelle fand ich so unglaublich spannend, ich konnte fast die Stimme von dem Wesen selbst hören! xD Kann man sich unglaublich gut vorstellen, diese Szene.

    Und sorry für die blöde Art und Weise, dich zu zitieren, aber irgendwie funktioniert meine Zitat- Funktion gerade nicht so, wie ich das gerne hätte.

    Liebe Grüße,
    Blue

    Chaos sagt, Halvars dunkle Seite sei harmlos gegen mich...

    As I´m an Amazone, I need a :jennagorn:

    ~~~ 100 words a day keep the doctor away. ~~~


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    *diesmal flinker ist*

    @BlueRosesInMyHeart
    Freut mich, wenn es gefällt. Auch bei dir sage ich gern: Immer raus damit, wenn mal etwas nicht passt. Aber natürlich auch immer gern, was passt und wie. :) Das hilft auch immer ungemein.


    Kann sein, dass sich im nächsten Abschnitt einige Fehler eingeschlichen haben, ich hab nicht noch einmal drüberlesen können. ._.


    Wenig später saßen wir um den Wohnzimmertisch, die Schatulle vor uns. Das Wesen drängte sich dicht an meine Seite; ich versuchte das Frösteln abzuschütteln, während eine Gänsehaut meinen Arme überzog.
    »Du weißt schon, dass wir das nicht dürfen, ja? Wir bekommen mächtig Ärger, wenn das rauskommt«, murmelte Schmitti, einen seiner Dietriche zwischen den Zähnen, währenddessen er mit einem weiteren im Schloss des Kästchens bohrte. Seine Angewohnheit, seinen Werkzeugbeutel immer dabeizuhaben, war manchmal äußerst praktisch.
    »Und du weißt, dass deine Dietriche eigentlich sicher in den Safe im Büro gehören, ja?«, äffte ich seinen tadelnden Tonfall nach. Schmitti warf mir einen finsteren Blick aus schmalen Augen zu, dann stocherte er weiter im Schloss. »Weißt du, was du da tust?« Ich reckte den Kopf über seine Schulter.
    Mein Freund schnaubte, nahm den Dietrich aus dem Mund und schob ihn ebenfalls ins Schloss. »Hab ich je was nicht aufbekommen?«
    »Du meinst außer den BH einer Frau?«
    »Ha-ha«, schnaufte Schmitti, »sehr witzig, Gretchen. Dafür bist du zuständig.«
    Ich grinste. »Ich sag ja nur. Du ackerst jetzt seit einer halben Stunde, also ...«
    Schmitti stöhnte auf. »Greta, Klappe zu, ich muss mich konzentrieren!«
    »Ich mein ja nur«, murmelte ich, das Kinn mittlerweile auf die Hand gestützt. Ich spitzte die Lippen. »Vielleicht ist es ja auch magisch und all das hier ist umsonst.« Ich konnte nicht anders, ich musste ihn ärgern. »Oder deine Dietriche reichen nicht.«
    »Ist das deine Form von Rache? Solange nerven, bis ich dir einen Dietrich an den Kopf haue?«, presste Schmitti zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich grinste hinter meinen Fingern ohne etwas zu erwidern. Mit einem Mal warf er die Dietriche auf den Tisch. Er raufte sich die kurzen Haare, sodass sie am Ende in alle Richtungen standen. »Eigentlich könnte dieses Ding binnen Sekunden offen sein. Sogar du könntest das schaffen!«
    »Es ist aber nicht offen«, flüsterte ich. Ich zwirbelte den Saum meines Shirts, ließ ihn wieder los und begann von neuem, während ich auf meinem Hintern hin und her rutschte. Draußen dämmerte es bereits und das Wesen neben mir starrte die ganze Zeit wie gebannt auf die Schatulle.
    Schmitti verzog den Mund. »Ich hab mehr das Gefühl, etwas hindert mich. Ein unsichtbarer Riegel oder so was.«
    »Doch Magie?«, fragte ich.
    Er zuckte mit den Schultern. »Gemessen an dem, was wir bisher von unserem Freund mit Folterkeller wissen ...«
    »Und jetzt?« Ich sank auf dem bunten Flickenteppich zurück und ließ die Schultern hängen. Als das Wesen es mir exakt gleichtat, schmunzelte ich. Beinahe hätte ich ihm den Kopf getätschelt, vergrub jedoch lieber die Finger in den Teppichfasern.
    »Und jetzt?«, echote Schmitti und streckte ächzend die Beine unter den Tisch. »Und jetzt sollten wir es lassen. Wir bringen das Ding heimlich, still und leise dorthin, wo es hingehört und lassen die Spezis sich damit herumärgern.« Das Wesen neben mir zischte. »Okay, anscheinend hat da wer was gegen«, murmelte Schmitti, der sich über den Nasenrücken rieb. Er gähnte, rieb sich die Augen und besah sich das Schloss mit der Taschenlampe noch einmal genauer. »Es ist eigentlich simpel. Ein popliges Buntbartschloss, eigentlich bräuchte ich dazu nicht einmal mein Werkzeug.«
    Er versuchte, den Deckel mit bloßen Händen und roher Gewalt zu öffnen, doch nichts rührte sich. Stattdessen klimperte es von innen. Sogleich streckte das Wesen mit aufgeblähten Nasenflügeln den Rücken durch.
    »Dieses Drecksding lässt sich nicht einmal aufhebeln!« Schmitti schob das flache Ende einer seiner Dietriche in die feine Fuge zwischen Deckel und Rand, doch abgesehen davon, dass er dabei beinahe das Werkzeug verbog, begann das Wesen fürchterlich zu fiepen, sodass Schmitti es schnell wieder sein ließ.
    »Ich mach Kaffee, okay?«, seufzte ich. »Dann überlegen wir, wie wir es vielleicht doch schaffen können.« Ich erhob mich, um in die Küche zu verschwinden.
    »Was gibt es noch zu überlegen?«, rief Schmitti mir nach. »Ab zu den Spezis mit dem Teil.«
    »Dann mach! Ach übrigens: Viel Spaß dabei - du wirst einen Gast mitbringen«, rief ich zurück, kümmerte mich mit mechanischen Bewegungen um den Kaffee.
    »Was schlägst du dann vor?«, fragte Schmitti unvermittelt hinter mir. Er lehnte sich gegen den Küchentisch, die Arme vor der Brust verschränkt. »Ich komm nicht weiter. In dieser Art Magie bin ich ebenso wenig bewandert wie du, außer in der Theorie.«
    Ich drückte den Knopf der Kaffeemaschine und drehte mich herum, als sie zu gluckern begann. Mein Freund hatte mich gerade auf eine ganz andere Idee gebracht. »Und wenn wir Leo fragen?«
    »Leo?« Schmitti musterte mich mit hochgezogenen Brauen. »Ich glaube kaum, dass sie sich deswegen in Schwierigkeiten bringen will.«
    »Wir müssen nicht sagen, woher die Schatulle kommt. Bei den Spezis schon.«
    »Leo hat eine direkte Verbindung zum Chef. Sie ist eng mit ihm befreundet, vergessen?«
    »Wann hat sie uns je bei ihm in die Pfanne gehauen?«, stellte ich die Gegenfrage.
    »Gretchen.« Schmittis Miene entspannte sich, als er zu mir kam und mir die Hände auf die Schultern legte. Einen Moment schien er mit sich zu hadern, bevor er mir fest in die entgegensah. »Klager wird morgen - heute bei den Spezis fragen, ob die Schatulle da ist.«
    Meine Augen weiteten sich. Ich wich einen Schritt zurück, stieß dabei mit der Hüfte gegen die Anrichte. »Das sagst du mir jetzt?«
    Mein Freund lächelte schief. »Du kennst Klager. In solchen Dingen ist er korrekter als du.«
    »Ich kann mir sogar vorstellen, dass er längst weiß, dass sie nicht im Lager ist«, brummte ich; Schmitti betrachtete mich schweigend. Ich wich seinem Blick aus. »Also macht es auch keinen Unterschied mehr.«
    »Gretchen ...«
    »Ich rufe jetzt Leo an.« Ich befreite mich von seinen Händen, schob mich an ihm vorbei, um mich auf die Suche nach meinem Telefon zu begeben. »Sie schuldet mir ohnehin einen Gefallen.«
    »Du verrennst dich in etwas«, sagte Schmitti, als er mir folgte.
    Ich ignorierte ihn; mein Telefon in der Hand, kontrollierte ich die Uhrzeit - halb vier. Leo wäre bereits wach, sofern nicht gerade heute ihre Frühschicht ausfiel. Ich tippte ihre Kurzwahl und wartete auf das Freizeichen.
    »Greta, was bringt dir das? Außer Ärger? Was, wenn der Inhalt zu Recht gesichert ist? Wer sagt uns, dass dieses - dieses Ding im Wohnzimmer nicht Böse ist? Erinnerst du dich an die gute Fee, die einem die Wünsche so verdreht hat, dass man am Ende nur das Schlechteste bekommen hat? Was, wenn es mit dem Inhalt die Weltherrschaft an sich reißen will?« Schmitti holte tief Luft, bevor ich ihm die Hand auf den Mund drückte. Sein Atem glitt warm über meine Finger, als er über meine Handfläche leckte. Dabei wusste er genau, dass mich das nicht störte - und er mich ohnehin nicht würde aufhalten können.

  • *diesmal flinker ist*

    Wieso, stand etwa Yoda mit der Peitsche hinter dir :ugly:

    Erinnerst du dich an die gute Fee, die einem die Wünsche so verdreht hat, dass man am Ende nur das Schlechteste bekommen hat?

    Ist das jetzt etwa eine Anspielung auf einen gewissen Thread? So auf die Art:
    Kind: "Ich wünsch mir ein Pferd!"
    Böse Fee: "Da! Und schön aufessen die Lasagne!" :diablo:

    Ansonsten fand ich den Teil genauso gut wie die anderen. Zwar passiert an sich nicht viel aber dein Schreibstil ist unterhaltsam und die Gespräche äußerst authentisch :)

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

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    @Xarrot

    Zitat von Xarrot


    Wieso, stand etwa Yoda mit der Peitsche hinter dir

    Ich steh gleich mit der Peitsche hinter dir. :ugly:

    Und das mit der guten Fee - bösen Fee ist Zufall. :D


    Leo nahm nach dem zweiten Klingeln ab. »Liebes, schlechter Zeitpunkt«, meldete sich ihre sonore Stimme, begleitet von einem Raunen im Hintergrund. Leo flüsterte etwas, dann bat sie mich, einen Moment zu warten. Ein kurzes, unverständliches Streitgespräch folgte, bis es nach einem Knallen einer Tür beendet schien.
    »Was gibt es?«, fragte Leo, kaum dass es ruhiger war.
    »Ich hab ein magisches Problem.« Glaub ich, fügte ich gedanklich hinzu. Schmitti brummte etwas und ließ schließlich meine Hand in Ruhe.
    »Jetzt? Hat das nicht Zeit bis - sagen wir in zwei, drei Stunden? Da schau ich ohnehin bei euch im Büro vorbei. Klager hat mich gestern angerufen und meinte, ich solle wegen eures Hexerproblems vorbeischauen.«
    Ich zog die Stirn kraus. »Klager hat dich angerufen?«
    »Hörst du neuerdings schlecht, Greta?«, bemerkte Leo kichernd, während im Hintergrund ein Kaffeeautomat begann zu rumoren. »Ja«, sagte Leo betont langsam, »ab und an telefonieren wir. Nur wir zwei.« Erneut kicherte sie leise. »Wusstest du, dass er privat nicht ganz so steif ist? Letztens wollte er mich sogar auf seiner Maschine mit nach Hause nehmen. Leider musste ich ablehnen, diese Menschenhelme sind mir immer noch suspekt. Und sie stehen mir nicht. Und meine Frisur war an dem Tag auch viel zu schön für.«
    Ich rieb mir mit den Fingerspitzen die Schläfe. Was die Anzahl der Wörter betraf, die Leo mit einem Atemzug ausstoßen konnte, machte sie selbst Schmitti Konkurrenz. »Was hat er genau zu dir gesagt?«
    Leo schwieg einen Moment. »Ach ja, richtig.« Sie lachte auf. »Sprecht ihr euch als Team eigentlich ab oder macht bei euch jeder was er will?«
    »Leo«, raunte ich gedehnt.
    »Liebes, für solche Gespräche ist es viel zu früh«, seufzte sie. »Aber gut. Klager möchte, dass ich mir eine Schatulle ansehe, von der er vermutet, sie sei magisch. Ach ja, und er glaubt, dass du sie nicht im Lager abgegeben hast.«
    Mein Kopf fühlte sich einen winzigen Moment wie leergefegt an. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und ließ von Schmitti ab, der mich sogleich irritiert musterte. Langsam drehte ich mich Richtung Wohnzimmer, wo das Wesen noch immer vorm Tisch hockte und regungslos die Schatulle bewachte.
    »Er hat recht, oder? Greta?«, fragte Leo, ohne dass eine Spur von Anklage in ihrer Frage steckte.
    »Und wenn?«, bemerkte ich monoton.
    Sie schwieg. Dann sagte sie: »Du bist zu oft mit Schmitti unterwegs.«
    »Dieses Mal hat er nichts damit zu tun.« Ich blickte auf meine Füße, die ich mit den Zehen nach innen drehte. »Hat Klager es schon weitergereicht?« Der Druck auf meinen Schläfen verstärkte sich.
    »Nein. Ich soll erst vorbeikommen. Er meinte, ihr bewahrt es inoffiziell noch im Safe auf.«
    Inoffiziell im Safe bedeutete bei uns so viel wie: Machen wir morgen. Hauptsache alles sicher verschlossen.
    Ich seufzte. »Ich weiß nicht, ob es klug ist, uns im Büro zu treffen.« Ich lehnte mich an den Türrahmen zum Wohnzimmer, betrachtete dabei das Wesen. Inzwischen bohrte es einen langen Fingernagel ins Schlüsselloch der Schatulle, als wolle es Schmittis Versuche mit den Dietrichen nachvollziehen, wobei es das Werkzeug achtlos liegenließ.
    »Lieber dort als bei dir, Liebes«, sagte Leo sanft, aber mit hörbarem Nachdruck in der dunkel gefärbten Stimme. »Im Haupthaus gibt es Sicherheitsvorkehrungen - bei dir nicht.«
    »Und der Chef?«, brummte ich.
    »Lass das meine Sorge sein«, sagte sie mit der ihr eigenen stoischen Ruhe. »Ihr haltet Dieter für viel zu streng, dabei macht er sich nur Sorgen um euch.«
    »Ja, ja, und seine Standpauken sind nur ein Ausdruck seiner Zuneigung«, murmelte ich, schreckte zusammen, als Schmitti mir etwas Warmes an den Oberarm drückte. Während des Telefonats hatte er den Kaffee aus der Küche geholt, um mir nun meine Tasse entgegenzuhalten. Ich formte mit den Lippen einen Dank, ließ ihn an mir vorbei; zögernd setzte er sich zurück neben das Wesen. Mit in Falten gelegter Stirn beäugte er, wie es weiterhin versuchte die Schatulle zu öffnen, und reichte ihm nach einem Moment einen Dietrich. Das Wesen sah auf das dünne Werkzeug, nahm es und steckte es grob mit dem dickeren Ende ins Schloss. Schmitti verzog dabei keine Miene.
    »Treffen wir uns in drei Stunden im Büro?«, fragte Leo und rührte klimpernd in einer Tasse.
    Ich gab mich geschlagen, während ich grinsend zusah, wie Schmitti versuchte den Dietrich wieder aus dem Schloss zu ziehen. »In Ordnung.«