Eine alte Geschichte

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 1.460 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (17. Juli 2017 um 17:24) ist von Aztiluth.

  • Die folgende Geschichte habe ich im Januar 2006 in den Computer getippt. Wie lange es sie vorher schon auf Papier gegeben hat (oder ob überhaupt), weiß ich leider nicht mehr.


    Der schwarze Tag

    Eines Tages vor etwa 300 Jahren erklomm ein Jüngling den höchsten Felsen der Karpaten in diesem Teil Siebenbürgens. Man nannte diesen Felsen den Krähenstein, denn in seiner Umgebung gab es mehr Krähen als sonst irgendwo.
    Der Jüngling hatte sich schon vor Sonnenaufgang aufgemacht, um dort hinauf zu gelangen. Er wollte seiner Angebeteten von dort oben den Heiratsantrag machen. Hierzulande war es Sitte, dass man zuerst den Vater des Mädchens fragte, bevor man mit dem Mädchen selbst darüber sprach. Letzten Endes hatte eigentlich der Vater das Sagen. Es ging bei diesen Sitten eher um Etikette, als um irgendeinen Sinn. Der Jüngling und sein Mädchen waren im Stillen übereingekommen, dass sie heiraten würden. Also hatte der Junge beim Brautvater um die Hand seiner Tochter angehalten und der Vater hatte eingewilligt. Für ihn, so sagte er, war es seit langem klar, dass die beiden heiraten wollten. Und der Liebe solle man nicht im Wege stehen. Der Junge wollte ihr seine Liebe deutlich machen, deshalb erklomm er den Felsen. Noch vor Sonnenaufgang war er oben. Er sah die Sonne vor allen anderen an diesem Tag. Denn als sie über den Horizont kroch, lag das Tal noch im Schatten der Berge.
    Goldgelb und rot-orange ging sie diesen Früh auf. Das Licht und die Wolken erschufen ein kurzlebiges Schauspiel am Himmel. Der Jüngling genoss es. Die frische Frühlingsluft lies ihn frösteln. Er war noch ein wenig nass vom Schweiß durch den anstrengenden Aufstieg. Langsam trocknete er.
    Der Jüngling beobachtete, wie sich die Strahlen langsam auch dem Dorf näherten. Von unten musste man ihn schon sehen, aber so weit er selbst sehen konnte, war noch niemand wach. Als etwas später die Hähne anfingen zu schreien, rief auch der Jüngling auf dem Felsen. Dreimal rief er den Namen des Mädchens. Dabei starrte er konzentriert auf das Haus, in dem sie mit ihren Eltern und Großeltern, sowie den Geschwistern lebte. Als einige Personen aus der Tür traten, wiederholte er seinen Ruf und ergänzte noch: „Wirst du mich in Gottes Namen heiraten?“ Auch das wiederholte er dreimal. Dann wartete er auf eine Antwort.
    Von unten erschallten Hörner um ihm Antwort zu geben. Sechsmal, wie auch er gerufen hatte, wurden die Jagdhörner gestoßen. Im Tal hallte es lange wider. Überglücklich machte sich der Junge wieder auf hinabzusteigen. Als er etwa die Hälfte der senkrechten Strecke zurückgelegt hatte, erspähte er eine seltene Bergblume, die etwas abseits seines Weges auf einem schmalen Vorsprung wuchs. Er entschied sich, die Blume zu holen. Ihre weiße Blüte war so rein, wie sonst nichts auf der Erde. Vorsichtig kletterte er zum Vorsprung und streckte die Hand aus, um die Blume am Stängel abzubrechen. Hastig klemmte er sich sie in den Mund. Dann machte er sich wieder an den Abstieg. Vorsichtig Stück für Stück nach unten. Als er sich in einer Spalte festkrallte, rutschten seine Finger vom feuchten Moos ab und er hing nur noch mit einer Hand am Felsen. Die Füße baumelten hektisch in der Luft, 15 Meter über dem felsigen Boden. Mit zusammengebissenen Zähnen streckte er die freie Hand immer wieder aus, um irgendwo Halt zu finden. Vergeblich.
    Nach nicht mal einer Minute verlor er gänzlich den Halt und stürzte in die Tiefe. Sekundenlang flog er und trauerte um seine Geliebte, seine Verlobte, die er zur Witwe machte, bevor sie heiraten konnten.
    Sein Körper wurde auf den Steinen zerschmettert. Knochen brachen, Fleisch und Gewebe wurden zerquetscht, Blut spritzte auf die umliegenden Felsen. Sofort war er tot. Kein Leiden, Kein Schmerz. Einfach tot. Und die Krähen flogen aus den umliegenden Bäumen, von ihren Nestern oder von den Felsen herab, um sich an seinem Fleisch zu laben.
    Als die Dorfbewohner endlich herbeigeeilt waren, war der Jüngling bereits an etlichen Stellen angefressen. Seine Braut nahm ihm die weiße Blume aus dem Mund und küsste ihn. Tränen rannen ihr über das blasse Gesicht. Niemand konnte ihre Trauer beenden. Bis zu ihrem Lebensende lebte sie in dem Dorf, alleine ohne Mann. Sie stieg regelmäßig zum Krähenstein hinauf, um ihren Liebsten zu besuchen. An dem Ort, an dem er aufgeschlagen war, wogte nun ein Meer aus weißen Blumen im frischen Frühlingswind und genoss die Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne.

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Eines Tages (Komma) vor etwa 300 Jahren (Komma) erklomm ein Jüngling den höchsten Felsen der Karpaten in diesem Teil Siebenbürgens.

    Sein Körper wurde auf den Steinen zerschmettert. Knochen brachen, Fleisch und Gewebe wurden zerquetscht, Blut spritzte auf die umliegenden Felsen.

    Wow 8| Das ist aber extrem bildlich XD
    In meinen Augen ein wenig übertrieben dargestellt :hmm:
    Es scheint sich nicht so direkt in den restlichen Text einzufügen ...

    Wie auch immer: Die Geschichte ist grausam =O
    Allerdings hab ich mir schon gedacht, dass er das Ganze nicht überleben wird.
    Warum zum Henker muss er auch auf den blöden Felsen klettern und kann nicht einfach vor ihr auf die Knie gehen? XD
    Aber das Abschlussbild finde ich schön. Dass jetzt dort, wo er gestorben ist, die weißen Blumen wachsen :)
    Bitter-süß

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Wie auch immer: Die Geschichte ist grausam

    Tja, früher dachte ich wohl, dass das irgendwie gut sei, grausam zu schreiben. Darüber kann ich nur noch den Kopf schütteln.

    Warum zum Henker muss er auch auf den blöden Felsen klettern und kann nicht einfach vor ihr auf die Knie gehen? XD

    Männer halt :rofl:

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Irgendwie hat man echt erwartet, dass die Geschichte nicht gut ausgeht.
    Es war so Typisch, dass ich zeitweise den Kopf schütteln musste :rofl:

    Im großen und ganzem hat es mir aber sehr gut gefallen. Wie die Sonne aufkomm, der Krähenfelsen, die Weiße Blüte und vor allem das Blumenmeer am Ende sind sehr Bildlich und schön.

    Eine sehr kurze Geschichte, die man gut in einer Geschichtssammlung haben könnte. Nach dem Motto: "365 kurze Geschichten für jeden Abend"
    Typisch, Klischeehaft aber sehr gut geschrieben. (Ich fand auch das übertriebene Blut nicht störend)

    Genesis: Sie ist Azathoth, das amorphe Chaos in der zentralen Leere
    Josh: Meine Prophetin!