Der freundliche Räuber

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 5.427 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (17. Juli 2018 um 00:47) ist von Tnodm0309.

  • Ich habe beim Durchstöbern eines Ordners auf dem PC eine etwas ältere Geschichte von mir gefunden, die ich eigentlich ganz gut finde. Von daher viel Spaß:

    Der freundliche Räuber

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    Sommer in Gotland können, trotz der nördlichen Lage des Landes, sehr warm sein und wer sich nicht genug Proviant einpackt, findet sich schnell ausgezehrt in einem der vielen Wälder wieder. In Wäldern, die laut den Erzählungen der dort lebenden Bauern, allerlei Ungetüme beherbergen. Trolle lauern unter Brücken, Geister ehemaliger Recken in alten Ruinen und Zwerge in den nahe gelegenen Bergen. Doch in den meisten Fällen bekommt man es lediglich mit schnöden Banditen und Wegelagerern zu tun, die einen um seine Wertsachen erleichtern wollen.
    Dies war Agantyr auch bewusst, als er durch den Wald nahe der Grenze zum Königreich der Schweden wanderte. Seine Kleidung war heruntergekommen und als Waffe diente ihm nur ein altes, schlecht verarbeitetes Kurzschwert, doch mehr konnte er sich als bescheidener Holzfäller auch nicht leisten. Das einzig wirklich wertvolle, was er bei sich trug, war ein silbernes Amulett mit einem kostbaren Stein, den man darin eingearbeitet hatte und welcher gleichzeitig der Grund für seine Reise war.
    Noch vor wenigen Tagen war es im Besitz seines Onkels gewesen, welcher an Wundbrand gelitten hatte und schließlich auch daran gestorben war. Als Abschiedsgeschenk hatte er seinem Neffen jenes Schmuckstück überlassen, das dieser nun auf dem Weg in sein Heimatdorf bei sich trug. Fast zwei Wochen hatte er bei seinem Onkel geweilt und so langsam hatte er sogar etwas wie Heimweh entwickelt.
    Das Knacken von vertrockneten Zweigen ließ Agantyr aufhorchen. War das vielleicht ein Reh? Eine Wildschweinrotte? Oder gar ein Bär? Lieber nichts riskieren, dachte er sich und rannte los. Was auch immer es war, es war ihm egal, solange es ihn nicht einholte und zum Mittagessen verspeiste.
    Wieder erklang Rascheln und Knacken aus dem Gebüsch zur seiner Linken. Es verfolgte ihn! Vielleicht waren es ja doch Banditen?! Schon ging ihm die Puste aus, als Holzfäller war er an an plötzliche Spurten nicht gewöhnt und er konnte hören, wie sein Verfolger näher kam. Das brachte ja doch alles nichts. Lieber sah er dem Vieh ins Gesicht, das ihn vermutlich gleich abmurksen würde, ob es nun Mensch oder Tier war. Sein Herz klopfte heftig in seiner Brust, das Atemholen fiel ihm schwer und auch seine Panik half nicht wirklich.
    Dennoch griff er zum Schwert, doch bevor er es überhaupt hätte ziehen können, streckte ihn ein Faustschlag nieder, der Agantyr die Zähne klappern und den Kiefer knirschen ließ. Ächzend kippte er hinten über und blieb ausgestreckt auf dem Waldboden liegen.
    "Na, na, der Herr, wir haben es aber ganz schön eilig!", ertönte eine tiefe, brummige Stimme über ihm. "Tragen wir womöglich Wertsachen bei uns?"
    Anstatt einer Antwort entwich Agantyrs Lippen nur ein schmerzerfülltes Stöhnen. Sein Kiefer fühlte sich an wie zermalmt und mindestens ein Zahn hatte man ihm ausgeschlagen.
    "Bitte, ich hab nur wenig Geld bei mir, nehmt es euch und lasst mich leben!", flehte er und blinzelte gegen die Sonne, doch mehr als den bärtigen Schemen eines Mannes konnte er so trotzdem nicht erahnen.
    "Ja, ja, das machen mir später! Wie steht es denn so mit etwas zu essen? Oder mit etwas zu trinken?", entgegnete dieser und trat beiseite. "Also, wir können das hier ganz nett und freundlich abhandeln, dann muss ich dich nicht zu Brei schlagen ... oder ich schlag dich eben doch zu Brei."
    "Natürlich, natürlich! Essen, trinken, hab ich alles!", hastig zerrte Agantyr seinen Laib Brot hervor sowie eine Feldflasche mit frischen Wasser und hielt dem Fremden beides hin.
    "Na also, dann kommt erst mal wieder hoch, der Herr und setzt euch zu mir!" Ein etwas merkwürdiger Befehl für einen Wegelagerer.
    Doch Agantyr, dem der Schreck noch in den Knochen saß, tat wie ihm geheißen und setzte sich zu dem fremden Räuber auf einen umgestürzten Baumstamm am Wegrand.
    Nun konnte er den Mann das erste Mal richtig betrachten. Dabei fiel ihm zuerst einmal auf, dass es ein ziemlich kleiner Mann war. Selbst im Sitzen war er einen ganzen Kopf größer als der andere und im Stehen wäre der Größenunterschied vermutlich noch gravierender. Die zweite Besonderheit war der lange, volle, rote Bart, der als wirre Flut aus Haaren bis auf den Bauch des Mannes hinab fiel. Die Kleidung war das Einzige, was Agantyr wirklich vertraut vorkam, denn die war genauso abgerissen wie seine eigene.
    "Oh! Ich vergaß mich vorzustellen", meinte der kleine Mann und Agantyr zuckte erschrocken über den plötzlichen Ausruf zusammen. "Ich heiße Draupnir, der Herr und ihr ward doch gleich ...?"
    "Agantyr, Sohn von ...", antwortete der Angesprochene hastig, doch Draupnir winkte ab, während er laut schmatzte und sich an Agantyrs Brot gütlich tat.
    "Vorname reicht, der Rest ist Wurst! Wo wir gerade bei Wurst waren ... habt ihr?" Fragend blickte er hinüber, wobei er ganz unbekümmert und selbstverständlich mit einer Hand eine kurzstielige Axt zog und mit einem kräftigen Schwinger in den Baumstamm hieb, auf dem sie saßen.
    Fast wäre Agantyr von seinem Sitzplatz gekippt vor Schreck, dann schüttelte er den Kopf, bemüht scheinbar die Ruhe zu bewahren. Wobei er selbst nicht so recht wusste, wovor er eigentlich Angst hatte. Draupnir wirkte doch recht anständig. Allerdings war der Hieb gegen den Unterkiefer wohl noch etwas zu gegenwärtig in seinem Gedächtnis (und in seinem Kiefer).
    Plötzlich jedoch veränderte sich Draupnirs bisher recht nettes Gesicht schlagartig und ein anderer Ausdruck schlich sich in selbiges. Gierig starrte er auf Agantyrs Reisesack und es war kein Hunger mehr, der in den Augen des Mannes lag.
    "Welch vortrefflich gefertigtes Schmuckstück ihr da doch habt ..." Auch der Klang der Stimme hatte sich gewandelt und gerade als Agantyr sich selbst wieder etwas beruhigt hatte, begann die Unruhe wieder in ihm zu wachsen.
    "Ähm, ja von meinem verstorbenen Onkel ...", murmelte er deswegen etwas abwesend, während er rasch das herausgerutschte Kleinod wieder zum restlichen Gepäck stopfte.
    Bloß weg hier! Der Typ war ja geradezu wahnsinnig!
    "Ihr spracht vorhin von Wertsachen, ich kann euch Geld geb ...", begann Agantyr, doch Draupnir schüttelte bloß den Kopf.
    "Nein, kein Geld, der Herr" Letzteres sagte er in einem Tonfall, der rein gar nichts mehr mit Höflichkeit zu tun hatte, nur noch mit Gier.
    Doch Agantyr hing selbst an dem Amulett und würde es ganz bestimmt nicht einfach kampflos herausrücken.
    "Euer kleiner Schatz da, den nehme ich!" Dieser Satz hing unheilvoll in der Luft und machte die ganze Angelegenheit wieder um einiges mehr bedrohlich.
    Das fühlte sich nun schon wieder mehr nach Überfall an. Für eine kurze Zeit wurde es vollkommen still, sogar die Vögel stellten ihr ständiges Gezwitscher ein. Die beiden Kontrahenten hingegen starrten einander aufmerksam an und achteten auf jedes noch so kleine Zucken ihres Gegenübers. Langsam wanderte Draupnirs Hand zu seiner Axt, die immer noch hinter diesem im Baum steckte und auch Agantyr tastete nach seinem Schwertgriff.
    Wenn dies hier gut ausging, so war Agantyr fest entschlossen, den Asen zu opfern, was auch immer diese von ihm forderten. Es reichte auch schon, wenn es einfach nur für ihn gut ausging und er nicht hier in diesem abgelegenen Wald sein Leben lassen musste.
    Von mir aus könnt ihr auch das verdammte Amulett haben, dachte er sich.
    Inzwischen hatte Draupnirs Hand den Stiel seiner Axt und Agantyrs den Griff seines Schwertes gefunden. Hoffentlich konnte er es auch schnell genug ziehen, denn seine Hände waren glitschig geworden vom Schweiß und auch sein Herz pochte wieder kräftig.
    Dann riss Draupnir plötzlich seine Axt aus dem Baumstamm, sprang auf und blieb überrascht stehen.
    Blut tränkte das dreckige Hemd und den Bart rot während aus dem Gesicht hingegen alle Farbe wich. Schließlich wankte der kleine Mann, tat einen wackeligen Schritt vor und fiel der Länge nach zu Boden, wo er mit aufgeschnittener Kehle liegen blieb.
    Agantyr hätte beinahe das Gleiche getan, derart weich waren seine Knie. Stattdessen jedoch ließ er sich langsam wieder auf den Stamm sinken und stellte sich einmal kurz vor, Draupnir säße noch immer fröhlich neben ihm beim Essen. Dann sprang er plötzlich auf und rannte davon.
    Zurück blieben lediglich die Leiche, das Schwert, mit dem er den Räuber getötet hatte und ein etwas vom Blut bespritzter Laib Brot ...

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Eine nette, kleine Geschichte. Der Zwerg ist ja ein komischer Kauz und ob es eine gute Idee ist, einen vom tiefen Volk zu töten? Könnte sie verärgern. Aber Wotan scheint dem Wanderer ja gewogen und führte sein Schwert. Fast wäre es nach Valhalla gegangen! Schade eigentlich. Vielleicht ein andermal. ;)

    Essen, trinken,

    "Trinken" groß

    und ein etwas vom Blut bespritzter Laib Brot ...

    vielleicht besser "von" statt "vom"

  • Eine hübsche Geschichte, Xarrot, denn da ist alles drin, was so ein kurzes Werk beinhalten sollte.

    Genug Information, Spannung, und ein Ende, das vielleicht nicht überraschend kommt, aber man rechnet nicht damit, dass dies so aus dem Nichts heraus geschieht. Klar, der Zwerg wurde gierig, als er plötzlich das Amulett entdeckte. Doch zuvor war er für einen Strauchdieb eigentlich ganz freundlich gewesen. Aber man darf solchen Gesellen natürlich nie über den Weg trauen.


    Dann riss Draupnir plötzlich seine Axt aus dem Baumstamm, sprang auf und blieb überrascht stehen.
    Blut tränkte das dreckige Hemd und den Bart rot während aus dem Gesicht hingegen alle Farbe wich.

    An dieser Stelle hab ich mich allerdings gefragt, ob ich irgendetwas überlesen habe. Ich dachte wirklich, da wäre plötzlich aus dem Hintergrund noch jemand aufgetaucht, der Draupnir aufs Korn genommen hat. Mir fehlt da nur ein Satz, wo du beschreibst, dass Agantyr vorstößt und sein Schwert gegen den Zwerg führt. :)

  • An dieser Stelle hab ich mich allerdings gefragt, ob ich irgendetwas überlesen habe. Ich dachte wirklich, da wäre plötzlich aus dem Hintergrund noch jemand aufgetaucht, der Draupnir aufs Korn genommen hat. Mir fehlt da nur ein Satz, wo du beschreibst, dass Agantyr vorstößt und sein Schwert gegen den Zwerg führt.

    Ja, da könntest du recht haben :hmm: Wobei ich damit eigentlich rüberbringen wollte, wie sehr er in diesem Moment selbst von Sinnen ist und quasi nicht wirklich mitbekommt, was er da tut. Aber ich glaube da werde ich nochmal was nacharbeiten :)

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Dann reihe ich mich mal auch mit ein xD
    Sehr coole, kurze Geschichte!

    Zwar musste ich auch am Ende zwei mal lesen, weil es au einmal sehr schnell ging, aber man kan es sich schon zusammenreimen,
    Wenn ich Kurzgeschichten lese, will ich immer mehr :rofl:

    Genesis: Sie ist Azathoth, das amorphe Chaos in der zentralen Leere
    Josh: Meine Prophetin!

  • Wobei ich damit eigentlich rüberbringen wollte, wie sehr er in diesem Moment selbst von Sinnen ist und quasi nicht wirklich mitbekommt, was er da tut. Aber ich glaube da werde ich nochmal was nacharbeiten

    Bloß nicht überarbeiten!!! Genau so ist es super. Der reflexhafte Schwerthieb ist somit dem Leser ebenso unbewusst wie Agantyr, der viel zu viel Angst hat, um einen geplanten Angriff auszuführen.

    Also einfach so lassen. Die Stelle ist dir gelungen.

  • Spoiler anzeigen

    In Wäldern, die laut den Erzählungen der dort lebenden Bauern, allerlei Ungetüme beherbergen. Trolle lauern unter Brücken, Geister ehemaliger Recken in alten Ruinen und Zwerge in den nahe gelegenen Bergen.

    Wären nicht das erste, was ich mit Ungetümen in Verbindung bringe, aber gut, sie stehen ja auch an dritter Stelle XD

    Agantyr

    Der Name gefällt mir :D

    Das einzig wirklich wertvolle, was er bei sich trug, war ein silbernes Amulett mit einem kostbaren Stein, den man darin eingearbeitet hatte und welcher gleichzeitig der Grund für seine Reise war.

    Gut die Kurve gekratzt ^^
    Ich hab mich noch gefragt, warum genau er etwas so wertvolles mitnimmt, wenn er dich weiß, dass er überfallen wird XD
    Sehr gut!

    als Holzfäller war er an an plötzliche Spurten nicht gewöhnt und er konnte hören

    an das oder einfach ans :)

    "Na, na, der Herr, wir haben es aber ganz schön eilig!", ertönte eine tiefe, brummige Stimme über ihm. "Tragen wir womöglich Wertsachen bei uns?"

    Räuber Hotzenplotz! XD
    Sorry, war bei der Wortwahl und der Beschreibung der Stimme meine erste Assoziation XD Ich find's super xD

    So das waren die Kleinigkeiten :D
    Jetzt zum EIngemachten: ... Spaß :P
    Ich kann mich den anderen nur anschließen.
    Knackige Kurzgeschichte mit einem eindeutigen Spannungsbogen und ner tollen Auflösung ^^
    Das einzige was mich stört, ist die Überschrift. Ich hab den Bogen zum "freundlichen" Räuber nicht gekriegt.
    Er semmelt ihm eine, nimmt ihm sein Essen ab und will ihn dann töten XD
    Nur weil er Agantyr zum Essen "einlädt" macht ihn das nicht freundlich XD Oder habe ich die Pointe missverstanden?

    Aber das ist echt nur ne Kleinigkeit :)
    Ich hab die Geschichte gerne und Spannung gelesen ^^

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Das einzige was mich stört, ist die Überschrift. Ich hab den Bogen zum "freundlichen" Räuber nicht gekriegt.
    Er semmelt ihm eine, nimmt ihm sein Essen ab und will ihn dann töten XD

    Ja gut, so hab ich das damals gar nicht betrachtet :hmm: Die Geschichte ist ja jetzt schon einige Jährchen älter, als sie hier hochgeladen ist. Scheinbar hatte mein jüngeres Ich noch deutlich andere Vorstellungen von Höflichkeit als heute :whistling:

    Räuber Hotzenplotz! XD
    Sorry, war bei der Wortwahl und der Beschreibung der Stimme meine erste Assoziation XD Ich find's super xD

    Stimmt! Da hab ich beim Schreiben gar nicht so wirklich dran gedacht, aber jetzt wo du es sagst xD

    Aber freut mich, dass sie dir gefällt :)

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Da grab ich doch gerne wieder was ein klein wenig älteres aus, dann finden sich vielleicht noch andere, die dem nicht wirklich freundlichen Räuber einen blutigen Brotlaib als Grabesgeschenk liegen lassen :P Und einen Zahn, der wird bestimmt auch noch irgendwo liegen. Zumindest war Draupnir in seiner unfreiwilligen Rolle des Zahnarztes hilfreich. Ein Zahn weniger, der sich entzünden kann :whistling: Immerhin, Anstand hatte der Herr. Sich vorstellen, das tun nur wenige. Ich hätte ihm dafür ja nen Grabstein hingestellt oder so.