Kerker
Tamuc hasste diesen Ort. Es war seinem Gesicht deutlich anzumerken, er kniff die Lippen zusammen, schaute grimmig, bewegte sich langsam, voller Widerwillen. Es war kühl, feucht, dreckig und finster. Alles hier unten, das nicht aus Stein oder Metall war, war von weißem Schimmelflaum überzogen. Alles Eisen rostete. Tief unter der Burg, teils in natürlichen Höhlen, teils in den Fels geschlagen lagen Keller. Und der Kerker. Tamuc bemühte sich, nicht seine Kleider an den Wänden zu beschmutzen. Er roch schon weit vor der Gittertür der Kerkerräume den Gestank nach Kot, Eiter und Fäulnis. Viel zu selten wurden die Eimer der armen Teufel geleert, die hier unten ihr Dasein fristeten und oft nur auf eine baldige Hinrichtung hoffen konnten. Warum schlug man ihnen nicht einfach die Schädel ein? Der Ort wirkte so unnötig grausam.
„Was willst du schon wieder hier unten? Dein Liebchen besuchen?“, fragte ihn der Schließer, der auf einem Stuhl vor der Tür saß. Ein spöttisches Grinsen umspielte seine Lippen.
„Du lässt mich durch! Ich habe die Erlaubnis!“, spuckte Tamuc dem Kerkermeister entgegen. Was für ein widerlicher Kerl! Der Insulaner gab sich nicht die Mühe, seine Verachtung zu verbergen. Der Posten hier unten war eine Strafe, das wusste Tamuc. Niemand wollte ihn. Mit dem Schlüssel hier vor der Tür zu sitzen war kaum besser, als ohne dahinter. Der Mann war vermutlich feige im Krieg gewesen und nun verbittert und alt.
„Pass auf, wie du mit einem Kultivierten sprichst, Wilder!“, fuhr der Schließer ihn an. Tamuc fasste mit zornigen Augen nach dem Entermesser an seinem Gürtel. Der andere grinste, freute sich wohl auch eine Gelegenheit, Frust abzubauen. Langsam zog der Insulaner die Waffe. Die kurze Hiebklinge wäre ideal für die enge Umgebung dieses Kellers. Besser als die lange Axt des Wärters, der sich erhob. Tamuc streckte ihm mit einem süffisanten Grinden den Griff des Messers entgegen.
„Waffen sind verboten da unten“, stellte er dabei fest.
Der andere nahm, etwas enttäuscht, die Waffe entgegen.
„Grüß die kleine von mir. Vielleicht besuche ich sie später ja auch“, meinte er.
Tamucs Augen blitzten vor Zorn auf. „Du lässt sie in Ruhe. Sonst handelst du dir vielleicht eine Krankheit ein. Eine ohne Heilung. Blut aus Hinterm. Blut aus Augen. Ich stehe über dir und lache.“
Die Drohung war kaum verholen, gerade zweideutig genug, um keine Beschwerde zu rechtfertigen. Immerhin konnte man sich bei den falschen Leuten am falschen Ort, und kaum ein Ort war falscher als dieser und beherbergte mehr falsche Leute, tatsächlich unangenehme Krankheiten nach sich ziehen.
Der Wächter wusste, dass Tamuc ein gefährlicher Gegner wäre, aber auch, dass, wenn der ihn verletzte, einen Zivilisierten, der „Wilde“ Ärger bekäme. Aber er wusste auch, dass Tamuc Mittel und Wege hatte, jemanden zu verletzen, ohne bemerkt zu werden. Er schlich geschickt. Beide maßen sich mit Blicken, ehe der Schließer nachgab. Der Spaß war ihm das Risiko wohl nicht wert. Die Tür wurde geöffnet und Tamuc trug mit seiner Fackel Licht in die Finsternis der Kerker. Schwere, eisenbeschlagene Holztüren verschlossen hier die Räume. Nur wenigen Gefangenen wurde eine Kerze zugestanden. Einige saßen in Räumen, zu niedrig zum stehen und zu klein zum liegen, in denen das Wasser stand, wie der Insulaner wusste. Dies diente dem Verhör. Andere warteten auf schimmligem Stroh liegend zu zweit oder zu dritt auf die Hinrichtung. Wieder andere, Kriegsgefangene die Lösegeld bringen sollten, höherstehende Gefangene und solche, bei denen man noch einen Wert oder Nutzen erwartete, hatten Zellen mit Pritschen, einigermaßen sauber und trocken. Angenehm waren sie dennoch bei weitem nicht. Tamuc hörte das Stöhnen und Schreien der armen Seelen. Kam an der Folterkammer vorbei, die aber in diesem Moment zum Glück unbenutzt war. Aus kleinen Spalten in den Türen streckten sich ihm Hände entgegen. Hungernde baten um Nahrung. Einsame nach einer freundlichen Berührung. Er beachtete sie nicht. Verschloss sich vor dem Leid. Er war wegen einer speziellen und ganz besonderen Gefangenen hier. Dem Rest konnte er nicht helfen. Zumindest redete er sich das ein. Bei der richtigen Tür blieb er stehen. Wollte etwas sagen und schaffte es doch nicht. Wortslos schob er ein Bündel durch den Schlitz der Tür. Ein Bündel Kerzen, etwas kalter Braten und eine ordentliche Menge Brot waren darin. Durch die Klappe unten in der Tür, durch die man die Eimer austauschen könnte, wenn man wollte, schob er einen Krug Milch. Und er wartete, was geschehen würde.