Eine Welt ohne Namen - Das 3. Tor

Es gibt 112 Antworten in diesem Thema, welches 20.403 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (25. Januar 2024 um 14:12) ist von Dinteyra.

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    Ihre Lehrerin, Frau Kassimer, stand mit gerunzelter Stirn vor der Tafel und befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge.

    Heißt die Lehrerin absichtlich fast genau wie Majas Bruder? Hab nämlich zuerst Kasimir gelesen xd

    „Hübscher Drache“, sagte ihre Jana, die auf der anderen Seite neben ihr saß.

    ihr?

    Die Stunde floß zäh dahin und wurde von weiteren abgelöst, die sich den Themen Mathematik, Biologie und Politik widmeten.

    floss

    Na, dass ist so ein typisch deprimierender Schultag. Die Lehrerin hat nur strafende Blicke und die anderen tuscheln über einen. Und in der Pause steht man dann alleine rum - nicht schön das Ganze. Diese bedrückte Stimmung hast du echt gut eingefangen :thumbsup:
    Wundert mich, dass Maja sich die andere Welt noch nicht zurückwünscht, da war sie schließlich berühmt und geachtet - naja, so halb xD Aber mehr als hier.

    Und ich vermute mal, dass das letzte wieder mal ein Traum war :hmm:

  • Hallo zusammen, mich gibt es auch noch :)

    Und da ich trotz der mangelnden Motivation und Zeit dieses Projekt nicht auf Eis legen möchte, habe ich mich heute mal wieder dran gesetzt. Und sogar Spaß gehabt. Also viel Freude beim Lesen, wenn ihr noch Lust habt. Ein zwei Teile werden in den nächsten Tagen sicher folgen, aber danach kann es auch wieder dauern. Oder vielleicht auch nicht, man weiß es nicht.

    LG Dinteyra


    Der folgende Teil ist überarbeitet und steht weiter unten noch einmal. Ich lasse die erste Version im Spoiler stehen, weil ja manche auch darauf geantwortet haben.


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    Der Spuk von Merialk

    Ein leichter Nebel lag über den Feldern und ließ die Welt im faden Licht der Morgensonne unwirklich erscheinen, wie eine Landschaft aus einem Traum. Die Karawane aus Menschen und Wagen, die aus dem Nebel herausragte, erinnerte Karim an etwas aus einer Geistergeschichte. Vielleicht waren ja tatsächlich einige Geister im Nebel unterwegs. Der Junge schauderte und zog sich den Umhang fester um die Schultern. Nicht nur weil es in diesen frühen Morgenstunden noch recht frisch war, sondern auch weil der Gedanke an Geister ihm Unbehagen bereitete. Gegen sie würde ihm das Schwert, das er nun so stolz am Gürtel trug, jedenfalls nicht helfen. Gegen Räuber und – schlimmer – die Schergen Fürst Dreizehns, die möglicherweise in diesem Nebel lauerten, schon eher. Wenn er aufmerksam war und sich nicht überraschen ließ. Und vermutlich gehörte auch eine gehörige Portion Glück dazu. Er spitzte die Ohren, lauschte, ob er neben dem Knirschen der Wagenräder und den Schritten seiner Mitreisenden noch andere Dinge hören konnte. Das Rascheln von Gras zum Beispiel oder das Scharren eines Schwertes, das aus der Scheide gezogen wurde. Bei dem Gedanken lief es ihm kalt den Rücken hinunter und er versuchte, seinen Kopf mit anderen Dingen zu beschäftigen. Seit sie aufgebrochen waren, war er allzeit nervös und angespannt. Er blickte über die Schulter nach hinten. Wenige Schritte hinter ihm ging der beste Schwertkämpfer ihrer Gruppe und das beruhigte ihn etwas. Merin Ellers kam aus Hinjero; er war ein kleiner, drahtiger Mann mit einem etwas rattigen Gesicht und leicht hervorquillenden Augen, aber er war stark, schnell, schlau und ziemlich mutig. Gerade brach er mit lautem Knacken eine Gerana-Frucht auf und pulte die Kerne heraus, um sie sich in den Mund zu schieben. Seine Gelassenheit steckte Karim ein wenig an und er atmete tief durch. Schon drei Wochen war er unterwegs auf seinem ersten Auftrag außerhalb Miriams. Nachdem seit einiger Zeit immer mehr Handelskarawanen von grünen Rittern und anderem Abschaum angegriffen wurden und es bereits einige Güter nicht mehr in ausreichenden Mengen in der Stadt gegeben hatte, hatten sich die Kamiraen zum Handeln gezwungen gefühlt. So hatten sie mehrere Libellen ausgesandt, die Handelsreisenden zu begleiten und irgendwie hatte sich Karim unter den Ausgesandten befunden. Gemeinsam mit vierzehn anderen war er nach Talln aufgebrochen, wo sie sich einem Handelszug zurück nach Miriam anschlossen. Nun waren sie seit drei Tagen auf dem Rückweg. Es war keine sehr angenehme Reise. Die heftigen Regenfälle der letzten Wochen hatten die Wege aufgeweicht, sodass die Wagen der Händler nur schwer voran kamen. Sie mussten sogar einen Umweg abseits der üblichen Straßen nehmen. Allgemein war das Wetter in diesen ersten Frühlingstagen ziemlich unangenehm und Karim sehnte sich nach einem festen Dach über dem Kopf. Doch nicht ein Wort der Klage kam über seine Lippen. Ohnehin hatte er Schlimmeres durchgemacht. Mit Schaudern dachte er an den eisigen Flug auf dem Rücken eines Halbdrachen zurück. Ein dreiviertel Jahr war das nun her. Er strich über den Griff seines Schwertes. Eines geliehenen Schwertes, denn ein eigenes durfte er noch lange nicht besitzen. Schon das Recht, dieses Schwert zu tragen, hatte er sich hart erkämpfen müssen. Er hatte monatelang trainiert und nebenbei noch zahlreiche andere Aufgaben erledigt, um sich als vertrauenswürdig zu erweisen. Es war eine anstrengende Zeit gewesen, aber er war stolz auf das, was er erreicht hatte. Dieser Auftrag war ein Vertrauensbeweis seiner Vorgesetzten. Und er hatte vor, sie bestens zufriedenzustellen, auch wenn ihm manchmal die Knie schlotterten. Als es plötzlich direkt neben ihm laut raschelte, erschrak er wieder einmal fürchterlich. Die Plane eines Wagens war zurückgeschlagen worden und ein Mädchen streckte sein von kurzen, weißblonden Locken umrahmtes Gesicht heraus. Es war Aylisha, die hübscheste Händlerstochter, der er jemals begegnet war. Sie war fünfzehn Jahre alt, tatkräftig und klug und trug immer ein freundliches Lachen auf dem Gesicht. „Hast du schon gefrühstückt?“, fragte sie und bot ihm ein – zwischen zwei Scheiben Brot gequetschtes – Stück Käse an. Dankend nahm Karim es ihr ab. Die lange Reise schlauchte an seinen Kräften. Seit sie aufgebrochen waren, hatte er praktisch immer Hunger. Gierig biss er hinein. Aylisha sah ihm zu, während er kaute und sich dann bemühte, den großen Bissen hinunterzuwürgen. Als er es endlich geschafft hatte, grinste er verlegen. Er hatte das Gefühl, sich gerade ein wenig lächerlich gemacht zu haben. Doch Aylisha schien das nicht zu bemerken. „Darf ich dich mal was fragen?“, sagte sie. „Natürlich“, antwortete Karim freundlich. „Stimmt es, dass du Maja Sonnfeld kennst?“ Karim ließ das Brot sinken. „Ähm ...“, sagte er, „... ja, das kann man so sagen. Jedenfalls kannte ich sie mal. Ich glaube nicht, dass ich sie wiedersehe, also ...“ Es war Vergangenheit. Und er dachte nicht gerne darüber nach. „Wieso nicht?“ „Sie ist fort. Weit weg.“ „Du meinst in der anderen Welt? Ich habe davon gehört. Es heißt, sie hätte dort einen wichtigen Auftrag zu erledigen. Aber sie kommt doch wieder, oder?“ Karim lachte freudlos. Er wollte Aylisha gerade antworten, als jemand kurz hinter ihm seinen Namen sprach: „Karim! Auf deinen Posten, lass deine Aufmerksamkeit nicht sinken.“ „Verzeihung“, sagte Karim. Er verabschiedete sich von Aylisha und schlug einen schnelleren Schritt an, wobei er die Augen über das Getreide am Wegesrand schweifen ließ. Seine Gedanken waren allerdings noch bei dem Gespräch. Maja war nicht in der anderen Welt, um einen wichtigen Auftrag zu erledigen. Und sie würde auch nicht zurückkehren. Sie war in ihre Heimat zurückgekehrt, weil sie nichts mehr mit dieser Welt zu tun haben wollte, weil sie die Verantwortung nicht tragen wollte, die man ihr auferlegt hatte, und weil sie sich nach ihrem alten Leben und ihrer Familie sehnte. Auch wenn Karim sie verstehen konnte und auch wenn er sie, nach dem, was sie für ihn getan hatte, in allem unterstützt hätte, so konnte er doch nicht umhin, ihr diesen Schritt übel zu nehmen. Sie hatte alles hier auf immer und ewig zurückgelassen. Auch ihn. Und er vermisste sie.

    2 Mal editiert, zuletzt von Dinteyra (12. Oktober 2021 um 13:00)

  • Hey, schön, dass es hier mal weitergeht, hab´s vermisst, etwas von dir zu lesen ^^ Karim wird also langsam erwachsen und ist auf einer ersten Mission unterwegs und darf auch noch ein Schwert tragen, so so. Heißt es in der Welt ohne Namen also, Maja sei auf einer Mission in unserer Welt? Ich muss gestehen, ich weiß gar nicht mehr, wie sie da hingekommen ist, nur noch, dass sie Saharas Tod gefaked hatten und dass es ihr Zuhause doch nicht so gut gefällt ^^''

  • @Alopex Lagopus: Tabea hatte Saharas Tod gefaked und die Kamiraen haben Maja daraufhin gehen lassen. Das die meisten jetzt glauben, Maja wäre auf einer Mission in unserer Welt, ist aber einfach nur ein Gerücht, das sich so von Mund zu Mund verbreitet hat. Das war jetzt keine offizielle Ankündigung. Was jetzt in den letzten Kapiteln bei Maja passiert ist, weiß ich gar nicht mehr so genau, das muss ich erst mal wieder lesen. Schwieriger wird es, sich zu überlegen, was als nächstes bei ihr passiert, irgendwie hab ich da nur kitschige und alberne Ideen im Kopf. Deshalb jetzt noch das Ende des Kapitels bei Karim und hoffentlich fällt mir morgen was zu Maja ein ...

    Der folgende Teil ist überarbeitet und steht weiter unten noch einmal. Ich lasse die erste Version im Spoiler stehen, weil ja manche auch darauf geantwortet haben.

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    Die Spitze des Wagenzuges hatte abgebremst und langsam kamen auch die übrigen Reisenden zum stehen. Karim legte die Hand auf den Knauf seines Schwertes und wandte wieder die ganze Aufmerksamkeit dem hier und jetzt zu. Er versuchte an den Wagen vorbei zum Anfang des Zuges zu sehen. Sie schienen eine Ansammlung von Häusern erreicht zu haben, einen großen Hof vielleicht oder möglicherweise sogar ein Dorf, das sich an den kleinen Hügel schmiegte. Die Häuser waren aus dunklem Holz gebaut und erweckten in Karim Erinnerungen an die Stadt Gegos. „Junge!“ Jemand berührte ihn am Arm und ihm blieb beinahe das Herz stehen. Er wirbelte herum, doch es war nur Merin. Der Schwertkämpfer betrachtete ihn belustigt. „Du musst mehr auf deine direkte Umgebung achten. Auf das was du hörst und fühlst. Es ist viel zu leicht sich an dich anzuschleichen.“ „Für Euch ist das Anschleichen vermutlich bei jedem leicht“, murmelte Karim. Merin hörte ihn. „Was ich dir trotzdem nicht als Entschuldigung durchgehen lasse“, erklärte er streng. Karim senkte den Kopf. „Ich werde es besser machen.“ Der Schwertkämpfer nickte. „Geh nach vorne und schau nach, was da los ist. Wenn jemand fragt, sag ihm oder ihr, dass ich dich geschickt habe.“ Karim lief sofort los. Es dauerte nicht lange, bis er den ersten Wagen erreicht hatte. Davor standen einige der Wachen und Händler einer Handvoll mit Sensen und Mistgabeln bewaffneter Dorfbewohner gegenüber, die es sich offenbar in den Kopf gesetzt hatten, sie nicht passieren zu lassen. „Für einen gewöhnlichen Handelstreck seid ihr ziemlich stark bewaffnet“, sagte eine der Frauen misstrauisch. „Es hat in letzter Zeit Überfälle gegeben“, erwiderte Keljum, der Anführer der Händler. „Deshalb haben wir Begleitschutz.“ „Wir haben nichts von Überfällen gehört“, entgegnete die Frau. „Hast du etwas davon gehört?“, fragte sie den Mann, der in kariertem Hemd, die Hände in die Hüften gestemmt neben ihr stand. Er schüttelte bedächtig den Kopf und warf unter monströsen Augenbrauen drohende Blicke auf die Menschen vor ihm. Da ergriff Elzo, der ranghöchste unter den Libellen, die die Karawane begleiteten, das Wort: „Die Überfälle betreffen hauptsächlich Lieferungen nach Miriam, vermutlich möchte jemand unsere Versorgung behindern. Wir sind Gesandte der Kamiraen und Mitglieder der Stadtwache von Miriam, die den Auftrag haben, diese Händler zu beschützen. Und wir versichern euch im Namen der Kamiraen, dass ihr von uns nichts zu befürchten habt.“ Die Leute vor ihnen wechselten ein paar verunsicherte Blicke. Sie wirkten nicht mehr ganz so besorgt, aber das Misstrauen war noch nicht vollends aus ihren Augen verschwunden. „Ihr seid Libellen?“, sagte der Mann in dem karierten Hemd. „Zeigt mir eure Ringe.“ Elzo hob seine Hand und die umstehenden Kamiraen taten es ihm nach. Auch Karim zeigte den funkelnden grünen Stein an seinem Finger. Der Blick des Mannes erhellte sich, als er die vielen Ringe sah. „Na gut, ihr dürft unser Dorf passieren“, sagte er. „Aber beeilt euch, wir wollen wirklich keinen Ärger.“ Doch bevor Elzo den Wagen zuwinken konnte, dass sie weiterfahren sollten, stürzte ein Junge – etwas jünger als Karim – aus einem der Häuser. Er trug keine Schuhe und seine Hose war viel zu kurz. Zusammen mit dem schwarzen Tuch, das er sich um die Stirn gebunden hatte, sah das ziemlich abenteuerlich aus. „Papa! Stopp!“, rief er und hastete herbei. Keuchend blieb er stehen, stützte die Hände auf die Knie und betrachtete die fremden Männer und Frauen fasziniert. „Stimmt es, dass sie Libellen sind?“, fragte er. „Sag nicht, du hast uns bloß aufgehalten, um sie anzugaffen“, fuhr sein Vater ihn ärgerlich an. „Nein.“ Der Junge richtete sich selbstbewusst auf. „Wenn sie Libellen sind, können sie uns vielleicht helfen. Ihr wisst schon: der Spuk.“ Der Spuk? Karim konnte nicht verhindern, dass er eine Gänsehaut bekam. Die Dorfbewohner schienen hellhörig geworden zu sein, sie tauschten aufgeregte Blicke. „Worum geht es?“, fragte Elzo. „Wir wollen euch nicht zur Last fallen“, meinte der Mann. „Wenn in diesem Dorf etwas Merkwürdiges vor sich geht, wäre es besser wenn wir davon erführen“, sagte Elzo. „Ich glaube nicht, dass ihr uns helfen könnt.“ „Ich denke schon“, erwiederte Elzo. Und wenn wir es nicht können, so kennen wir doch Leute, die dazu fähig sind. Ihr sprecht von einem Spuk. Was meint ihr damit?“ Der Mann war bleich geworden und wich Elzos Blick auf merkwürdige Art und Weise aus. „Wir wissen nicht, was es ist. Niemand von uns hat jemals zuvor etwas derartiges gesehen. Kommt mit, dann zeigen wir es euch.“ Elzo drehte sich zum Karawanenführer um. „Durchquert das Dorf und wartet auf der anderen Seite auf mich. Ich werde mir das mal genauer ansehen.“ Er zeigte auf eine Kämpferin mir schwarzen Locken. „Idela, begleite mich bitte.“ Sein Blick fiel auf Karim. Einen Moment dachte er nach, doch schließlich nickte er. „Du kommst auch mit.“ Dann folgte er dem Mann in das Zentrum des Dorfes. Karim beeilte sich, mit ihm und Idela Schritt zu halten. Er kannte sie vom sehen. Sie war ziemlich groß und hatte kräftige Armmuskeln, trug schwere Stiefel und einen schwarzen Mantel. Das Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Auch Elzo trug einen Pferdeschwanz, doch sein Haar war dünn und blond. Er war einer der wenigen in ihrer Gruppe, der das weiße Gewand der Libellen trug, denn bei dieser Mission war es ihnen freigestellt, zu tragen was sie wollten. Karim hatte sich daher für klassische Reisekleidung entschieden: für seine braunen Stiefel, ein graues Hemd und einen langen, nachtblauen Umhang. Er musste allerdings zugeben, dass er selbst in seinem Libellengewand lange nicht so beeindruckend aussah wie Elzo, der besonders des Nachts wie ein Geist zwischen ihnen wandelte. Der Mann, dem sie folgten, stellte sich gerade als Gel vor und das Dorf, in dem sie standen, als Merialk. „Es hat vor drei Wochen angefangen“, sagte Gel. „Er ist schon eine Woche verschollen gewesen, aber wir haben ihn erst dann entdeckt. Wir gehen nicht oft an diesen Ort.“ „Welchen Ort?“, fragte Karim, wagte aber nicht, laut genug zu sprechen, dass sie ihn hören konnte. Deshalb war er überrascht, dass er trotzdem eine Antwort bekam und zwar von hinten. „Die Mine.“ Es war der Junge mit dem Stirnband, der keuchend zu ihnen aufgeschlossen hatte. „Am Rand des Dorfes gibt es eine alte Graphitmine. Sie ist schon lange geschlossen, aber manchmal kommen wir Kinder zum spielen dorthin. Umoya hat ihn entdeckt.“ „Wen?“ Schweigen. Sie gingen zwischen zwei besonders eng stehenden Häusern hindurch und standen plötzlich auf dem felsigen Platz vor einem kleinen Hügel. Direkt vor ihnen tat sich ein Loch auf, das in das Innere des Berges führte. Gel nahm einige Fackeln aus dem Eimer, der im Eingang stand und entzündete sie, indem er sie schnell über den Fels rieb. Dann gab er Elzo und dem Jungen jeweils eine und führte sie alle in die Erde hinein. Sie mussten ein paar Stufen hinabsteigen, um schließlich in einen runden, flachen Raum zu gelangen. Spinnenweben hingen an der Decke, große Kisten standen an den Wänden und alles war mit einer feinen, grauschwarzen Schicht überzogen. Gel deutete mit seiner Fackel auf einen der Tunnel, die von diesem Raum fortführten. „Seht dort.“ Karim wusste nicht, was er meinte. Egal, wie sehr er auf die Stelle starrte, er konnte dort nichts erkennen, was irgendwie ungewöhnlich gewesen wäre. Elzo hob seine Fackel hoch über den Kopf und ging auf die Stelle zu. Er wirkte angespannt – bereit, jederzeit zurückzuspringen. Vorsichtig ging er ein paar Schritte in den Gang hinein. Und blieb stehen. „Kannst du es sehen?“, fragte Gel. „Ich sehe es“, sagte Elzo mit schwerer Stimme. Neugierig geworden machte Karim ein paar Schritte in seine Richtung. Elzo drehte sich um und sah ihm ins Gesicht. „Schau es dir ruhig an“, sagte er und leuchtete Karim den Weg. Karim schluckte und machte ein paar Schritte in den Gang hinein. Dann blieb er abrupt stehen. „Was ist das?“, fragte er. Vor ihm zog sich ein feines Netz aus glimmenden Linien über den Boden und die Tunnelwände. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas vergleichbares gesehen. Es war, als hätte jemand die Glut eines Feuers in hauchdünne Fäden gezogen. Doch das war nicht alles. Als Elzo die Fackel näher hielt, sah Karim, dass die Fäden nur ein Teil des Ganzen waren. Sie zogen sich über dicke Stränge eines schwarzen, glänzenden Materials, das von den Wänden hing und sich auf dem Boden ausbreitete, wie ein dicke Pfütze aus Pech. „Nicht anfassen“, sagte Gel. „Was passiert, wenn man es anfasst?“, fragte Karim. „Das wissen wir nicht. Aber an diesem Ort... haben wir eines der Kinder aus unserem Dorf entdeckt. Tot. Er lag in diesem Zeug. Wir haben ihn begraben, ohne es zu berühren. Wir haben es nicht gewagt ...“ Er stieß einen langen Seufzer aus. „Vorletzte Woche dann ist es noch einmal geschehen. Frego Elphestro. Er wohnte mit seiner Familie am Stadtrand. Er konnte nachts oft nicht schlafen und verließ das Haus, um den Sternenhimmel zu betrachten. In jener Nacht kehrte er nicht zurück, seine Frau fand ihn am nächsten Morgen auf der Gartenmauer, den Kopf gen Himmel gerichtet, sitzend und tot. Über und über mit diesem Zeug beschmiert. Und vor drei Tagen ist es wieder passiert. Morgens fanden wir unsere Dorfälteste vor ihrem Haus, eingehüllt in schwarzen Schleim, als hätte ein Monster sie verschluckt und zusammen mit seiner Spucke wieder ausgespien. In ihrem Gesicht konnte man das pure Entsetzen noch ablesen.“ Er machte eine lange Pause, in der Karim vorsichtig, Schritt für Schritt, von der schwarzen Masse zurückwich. „Wir wissen nicht, was es ist“, fuhr Gel schließlich fort. „Manche glauben, es sei ein Monster, oder ein Dämon, der nachts im Dorf umher schleicht und Menschen anfällt. Manche denken, es handele sich um eine mysteriöse Krankheit und manche glauben, dass es eine Art Pilz sei, der sich ausbreitet und den man auf keinen Fall berühren sollte. Und meine Mutter ist fest davon überzeugt, es wei ein Fluch, der auf unser Dorf gelegt wurde, um sie allein zu bestrafen.“ Er verdrehte die Augen. „In jedem Fall ist es etwas Unheilvolles. Wir nennen es Spuk.“ Elzo hatte mit nachdenklichem Gesicht gelauscht. Jetzt holte er tief Luft und ließ das Licht seiner Fackel noch einmal über die unbekannte Masse streifen. „Was ist mit den anderen Stellen?“, fragte er. Wir haben sie abgesperrt und abgedeckt, damit niemand damit in Berührung kommt. Elzo nickte und blickte noch ein letztes Mal auf die rot glühenden Fäden. „Lasst uns diesen Ort verlassen.“ Auf dem Weg nach draußen hüllten sie sich allesamt in ernstes Schweigen. Erst als sie im Sonnenlicht standen und die Fackeln gelöscht hatten, ergriff Elzo wieder das Wort. „Kommt den Stellen, an denen diese Dinge passiert sind, nicht zu nahe. Verlasst nachts nicht das Haus und geht auch am Tage nicht allein nach draußen. Meidet diese Mine. Ich kann an eurer Situation im Moment nicht viel ändern, aber ich werde wiederkommen. Und einen Zauberer mitbringen.“ Gel japste auf und der Junge machte vor Schreck einen Luftsprung, um dann mit hastigen Schritten ein wenig Abstand zwischen sich und Elzo zu bringen. „Was willst du tun?“, fragte Gel. „Ich werde einen Zauberer um Hilfe bitten.“ Elzo sah ihn mitleidvoll an. „Ich weiß, wie ihr hier auf dem Land auf Magie reagiert, ich kenne eure Angst, aber ich habe keine andere Möglichkeit. Das hier ist das Werk schwarzer Magie und es braucht jemanden vom Fach, um damit umzugehen.“ „Schwarze Magie?“, fragte Gel. „Das heißt, ein Zauberer hat das hier geschaffen?“ „Das ist meine Vermutung.“ „Und da wollt ihr einen Zauberer herholen, um es zu beenden? Das ist Wahnsinn!“ Elzo warf ihm einen bedauernden Blick zu. „Gut“, sagte er. „Lass uns darüber reden. Karim.“ „Ja?“ „Geh zu den Wagen und sag Merin Ellers, dass er die Führung der Karawane übernehmen soll. Idela und ich werden euch später am Tag einholen. Wir haben hier noch einiges zu besprechen. Ich möchte nicht riskieren, dass das Dorf leer ist, wenn ich mit Hilfe zurückkehre. Außerdem sollten wir ein paar Sicherheitsmaßnahmen einleiten und vielleicht können mir andere Dorfbewohner erzählen, ob sie in letzter Zeit ungewöhnliche Dinge beobachtet haben.“ Karim nickte und wandte sich zum gehen. Zügig durchschritt er die kleine Gasse, durch die sie gekommen waren. Kurz bevor er auf den Dorfplatz trat, drehte er sich allerdings noch einmal zu Elzo um. Er hatte auf ihn einen so souveränen, gelassenen Eindruck gemacht, hatte genau das getan, was man von ihm als Repräsentant der Kamiraen, als ranghohe Libelle erwartete, doch jetzt aus der Ferne sah er angespannt und besorgt aus. Vielleicht schwirrte in seinem Kopf ja derselbe Gedanke herum wie in Karims: Was ging hier vor?

    Einmal editiert, zuletzt von Dinteyra (12. Oktober 2021 um 12:59)

    • Offizieller Beitrag
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    „Ich denke schon“, erwiederte Elzo. (")Und wenn wir es nicht können, so kennen wir doch Leute, die dazu fähig sind. Ihr sprecht von einem Spuk. Was meint ihr damit?“

    erwiderte

    Sie ist schon lange geschlossen, aber manchmal kommen wir Kinder zum spielen dorthin.

    Spielen

    Noch nie in seinem Leben hatte er etwas vergleichbares gesehen.

    Vergleichbares

    Und meine Mutter ist fest davon überzeugt, es wei ein Fluch, der auf unser Dorf gelegt wurde, um sie allein zu bestrafen.“

    sei ein Fluch

    Und endlich aufgeholt. Da hast du mir noch im Chat gesagt, dass du weiterschreibst, aber kommentiert habe ich nicht. Dabei freue ich mich, dass du weitergeschrieben hast. Für mich immer noch eine der besten Geschichten. XD
    So, Karim hat also seinen ersten Auftrag und dann passiert auch noch gleich etwas so Interessantes. Das mit dem Schleim macht mich wirklich neugierig. Ich frage mich, welcher Magier da mit seiner Schwarzen Magie herumexperimentiert hat. Fürst Dreizehns Leute? :hmm:
    Und Karim vermisst Maja? Wenn er wüsste, dass sie die Welt ohne Namen im Grunde auch vermisst, ohne es wirklich zu wissen.
    Mal schauen wohin das alles führt. Lass un bitte nicht wieder so lange warten. :)

    LG, Kyelia



    Wenn es ein Buch gibt, das du wirklich lesen willst, aber das noch nicht geschrieben wurde, dann musst du es selbst schreiben.
    - Toni Morrison -

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    Die Spitze des Wagenzuges hatte abgebremst und langsam kamen auch die übrigen Reisenden zum stehen.

    groß

    Elzo hob seine Hand und die umstehenden Kamiraen taten es ihm nach. Auch Karim zeigte den funkelnden grünen Stein an seinem Finger.

    Meinst du hier nicht Libellen?

    „Wir wissen nicht, was es ist. Niemand von uns hat jemals zuvor etwas derartiges gesehen.

    Er kannte sie vom sehen.

    Sie ist schon lange geschlossen, aber manchmal kommen wir Kinder zum spielen dorthin.

    Noch nie in seinem Leben hatte er etwas vergleichbares gesehen

    Alles groß

    Cooles Kapitel, auch wieder toll geschrieben! :) Irgendwie gruselig das Zeug. Frage mich nur, wieso sich hier ein Zauberer so viel Aufwand für ein Dorf macht, auch die Dorfbewohner werden anscheinend eher zufällig getötet. Will man damit jemanden hervorlocken? Tamor oder einen der Kamiraen? Macht bisher am meisten Sinn, dass das eine Falle ist.

  • Ich möchte hier etwas verfassen und über dem Antwortfeld steht: "Die letzte Antwort auf dieses Thema liegt mehr als 1095 tage zurück. Das Thema ist womöglich bereits veraltet. Bitte erstellen Sie ggf. ein neues Thema."


    Mmh :hmm:

    Wo es recht hat, hat es recht, aber ich würde trotzdem gerne hier weiter schreiben. Weit bin ich ja nicht gekommen, weil mir leider bei Maja eine ganze Menge einfällt, ich aber jetzt in der Welt ohne Namen schreiben möchte und mir da irgendwie die Ideen fehlen. Und natürlich die Zeit, diese Ideen auch aufzuschreiben. Gerade habe ich aber das Kapitelchen bei Karim noch einmal umgeworfen und dann auch zu Ende geschrieben. Es ist jetzt anders als vorher, also lösche ich oben die beiden letzten Teile und poste ab hier noch einmal neu. Wenn ich es denn hinbekomme, ich weiß schon gar nicht mehr, wie man das macht :pupillen:

    Falls hier noch Leser sind schon mal eine Warnung: Ich bin natürlich voller guter Vorsätze, aber wie lange ich hier weiter schreibe kann ich noch nicht sagen. ;( Ich weiß auch nicht, ob die Geschichte überhaupt noch jemanden interessiert, aber der Vollständigkeit halber lade ich die Sachen trotzdem weiter hoch.

    _____________________________________________________


    Die Reise der Händler


    Ein leichter Nebel lag über den Feldern und ließ die Welt im faden Licht der Abendsonne unwirklich erscheinen, wie eine Landschaft aus einem Traum. Die Karawane aus Menschen und Wagen, die aus dem Nebel herausragte, erinnerte Karim an etwas aus einer Geistergeschichte. Vielleicht waren ja tatsächlich einige Geister im Nebel unterwegs.
    Der Junge schauderte und zog sich den Umhang fester um die Schultern. Nicht nur weil es in diesen frühen Morgenstunden noch recht frisch war, sondern auch weil der Gedanke an Geister ihm Unbehagen bereitete. Gegen sie würde ihm das Schwert, das er nun so stolz am Gürtel trug, jedenfalls nicht helfen. Gegen Räuber und – schlimmer – die Schergen Fürst Dreizehns, die möglicherweise in diesem Nebel lauerten, schon eher. Wenn er aufmerksam war und sich nicht überraschen ließ. Und vermutlich gehörte auch eine gehörige Portion Glück dazu.
    Er spitzte die Ohren, lauschte, ob er neben dem Knirschen der Wagenräder und den Schritten seiner Mitreisenden noch andere Dinge hören konnte. Das Rascheln von Gras zum Beispiel oder das Scharren eines Schwertes, das aus der Scheide gezogen wurde. Bei dem Gedanken lief es ihm kalt den Rücken hinunter und er versuchte, seinen Kopf mit anderen Dingen zu beschäftigen. Seit sie aufgebrochen waren, war er allzeit nervös und angespannt. Er blickte über die Schulter nach hinten. Wenige Schritte hinter ihm ging der beste Schwertkämpfer ihrer Gruppe und das beruhigte ihn etwas. Merin Ellers kam aus Hinjero; er war ein kleiner, drahtiger Mann mit einem etwas rattigen Gesicht und leicht hervorquillenden Augen, aber er war stark, schnell, schlau und ziemlich mutig. Gerade brach er mit lautem Knacken eine Gerana-Frucht auf und pulte die Kerne heraus, um sie sich in den Mund zu schieben. Seine Gelassenheit steckte Karim ein wenig an und er atmete tief durch.
    Schon seit zwei Wochen war er unterwegs auf seinem ersten Auftrag außerhalb Miriams. Nachdem seit einiger Zeit immer mehr Handelskarawanen von grünen Rittern und anderem Abschaum angegriffen wurden und es bereits einige Güter nicht mehr in ausreichenden Mengen in der Stadt gegeben hatte, hatten sich die Kamiraen zum Eingreifen gezwungen gefühlt. So hatten sie mehrere Libellen verpflichtet, die Handelsreisenden zu begleiten und irgendwie hatte sich Karim unter den Ausgesandten befunden. Gemeinsam mit drei Dutzend anderen war er nach Thalln aufgebrochen. Schon jetzt wachten sie über einen Handelszug von elf Wagen, auf dem Rückweg würden sich ihnen weitere anschließen.
    Es war keine sehr angenehme Reise. Die heftigen Regenfälle der letzten Wochen hatten die Wege aufgeweicht, sodass die Wagen der Händler nur schwer voran kamen. Wegen einer Überschwemmung mussten sogar einen Umweg abseits der üblichen Straßen nehmen. Allgemein war das Wetter in diesen ersten Frühlingstagen ziemlich unangenehm und Karim sehnte sich nach einem festen Dach über dem Kopf. Doch nicht ein Wort der Klage kam über seine Lippen. Ohnehin hatte er Schlimmeres durchgemacht. Mit Schaudern dachte er an den eisigen Flug auf dem Rücken eines Halbdrachen zurück. Ein dreiviertel Jahr war das nun her.
    Er strich über den Griff seines Schwertes. Eines geliehenen Schwertes, denn ein eigenes durfte er noch lange nicht besitzen. Schon das Recht, diese Waffe zu tragen, hatte er sich hart erkämpfen müssen. Er hatte monatelang trainiert und nebenbei noch zahlreiche andere Aufgaben erledigt, um sich als vertrauenswürdig zu erweisen. Es war eine anstrengende Zeit gewesen, aber er war stolz auf das, was er erreicht hatte. Dieser Auftrag war ein Vertrauensbeweis seiner Vorgesetzten. Und er hatte vor, sie bestens zufriedenzustellen, auch wenn ihm manchmal die Knie schlotterten.
    Als es plötzlich direkt neben ihm laut raschelte, erschrak er wieder einmal fürchterlich. Die Plane eines Wagens war zurückgeschlagen worden und ein Mädchen streckte sein von kurzen, weißblonden Locken umrahmtes Gesicht heraus. Es war Aylisha, die hübscheste Händlerstochter, der er jemals begegnet war. Sie war fünfzehn Jahre alt, tatkräftig und klug und trug immer ein freundliches Lachen auf dem Gesicht.
    „Hast du schon gefrühstückt?“, fragte sie und bot ihm ein – zwischen zwei Scheiben Brot gequetschtes – Stück Käse an.
    Dankend nahm Karim es ihr ab. Die lange Reise schlauchte an seinen Kräften. Seit sie aufgebrochen waren, hatte er praktisch immer Hunger. Gierig biss er hinein. Aylisha sah ihm zu, während er kaute und sich dann bemühte, den großen Bissen hinunterzuwürgen. Als er es endlich geschafft hatte, grinste er verlegen. Er hatte das Gefühl, sich gerade ein wenig lächerlich gemacht zu haben. Doch Aylisha schien das nicht zu bemerken.
    „Darf ich dich mal was fragen?“, sagte sie.
    „Natürlich“, antwortete Karim freundlich.
    „Stimmt es, dass du Maja Sonnfeld kennst?“
    Karim ließ das Brot sinken. „Ähm ...“, sagte er, „... ja, das kann man so sagen. Jedenfalls kannte ich sie mal. Ich glaube nicht, dass ich sie wiedersehe, also ...“ Es war Vergangenheit. Und er dachte nicht gerne darüber nach.
    „Wieso nicht?“
    „Sie ist fort. Weit weg.“
    „Du meinst in der anderen Welt? Ich habe davon gehört. Es heißt, sie hätte dort einen wichtigen Auftrag zu erledigen. Aber sie kommt doch wieder, oder?“
    Karim lachte freudlos. Er wollte Aylisha gerade antworten, als jemand kurz hinter ihm seinen Namen sprach:
    „Karim! Auf deinen Posten, lass deine Aufmerksamkeit nicht sinken.“
    „Verzeihung“, sagte Karim. Er verabschiedete sich von Aylisha und schlug einen schnelleren Schritt an, wobei er die Augen über das Getreide am Wegesrand schweifen ließ. Seine Gedanken waren allerdings noch bei dem Gespräch.
    Maja war nicht in der anderen Welt, um einen wichtigen Auftrag zu erledigen. Und sie würde auch nicht zurückkehren. Sie war in ihre Heimat zurückgekehrt, weil sie nichts mehr mit dieser Welt zu tun haben wollte, weil sie die Verantwortung nicht tragen wollte, die man ihr auferlegt hatte, und weil sie sich nach ihrem alten Leben und ihrer Familie sehnte. Auch wenn Karim sie verstehen konnte und auch wenn er sie, nach dem, was sie für ihn getan hatte, in allem unterstützt hätte, so konnte er doch nicht umhin, ihr diesen Schritt übel zu nehmen. Sie hatte alles hier auf immer und ewig zurückgelassen. Auch ihn. Und er vermisste sie.

    Die Spitze des Wagenzuges hatte abgebremst und langsam kamen auch die übrigen Reisenden zum stehen. Karim legte die Hand auf den Knauf seines Schwertes und wandte wieder die ganze Aufmerksamkeit dem hier und jetzt zu. Er versuchte an den Wagen vorbei zum Anfang des Zuges zu sehen. Sie schienen eine Ansammlung von Häusern erreicht zu haben, einen großen Hof vielleicht oder möglicherweise sogar ein Dorf, das sich an den kleinen Hügel schmiegte. Die Häuser waren aus dunklem Holz gebaut und erweckten in Karim Erinnerungen an die Stadt Gegos.
    „Junge!“ Jemand berührte ihn am Arm und ihm blieb beinahe das Herz stehen. Er wirbelte herum, doch es war nur Merin. Der Schwertkämpfer betrachtete ihn belustigt. „Du musst mehr auf deine direkte Umgebung achten. Auf das was du hörst und fühlst. Es ist viel zu leicht sich an dich anzuschleichen.“
    „Für Euch ist das Anschleichen vermutlich bei jedem leicht“, murmelte Karim.
    Merin hörte ihn. „Was ich dir trotzdem nicht als Entschuldigung durchgehen lasse“, erklärte er streng.
    Karim senkte den Kopf. „Ich werde es besser machen.“
    Der Schwertkämpfer nickte. „Geh nach vorne und schau nach, was da los ist. Wenn jemand fragt, sag ihm oder ihr, dass ich dich geschickt habe.“
    Karim lief sofort los. Es dauerte nicht lange, bis er den ersten Wagen erreicht hatte. Was auch immer hier geschah, es schien weder beunruhigend, noch in irgendeiner Weise aufregend zu sein. Die Libellen und Händler hier vorne hatten sich lässig an die Wagen gelehnt und schienen abzuwarten. Einer pulte sich gerade mit einem Stöckchen den Dreck zwischen den Zähnen hervor. Ein paar Meter weiter waren vier Jungen in einen Übungskampf mit Holzstöcken verstrickt. Karim trat zu ihnen.
    »Warum halten wir?«, fragte er.
    »Was geht's dich an?«, gab einer der Jungen zurück und grinste provozierend, bis sein Kumpel gegen ihn stolperte und die beiden zu Boden taumelten. Ein dritter zog sie wieder hoch, während der vierte sich auf seinen Stock stützte und Karim schief ansah. Sargo war sein Name.
    »Ich würde es dir ja sagen, aber du musst es dir verdienen. Wie wäre es: du gegen uns vier. Das sollte für einen Helden wie dich ja kein Problem darstellen.«
    Die vier brachen in schallendes Gelächter aus.
    Karim wandte sich ab, bevor sie sahen wie er weiß vor Wut wurde. Fragte er halt jemand anderes. Doch als er weiter gehen wollte, ließ Sargo blitzschnell seinen Stock hervorschnellen und zog ihm ein Bein weg. Karim konnte sich noch abfangen, doch er geriet ganz schön ins Trudeln. Wieder lachten die vier.
    Kurz hatte Karim den Impuls sich umzudrehen und auf sie loszugehen, doch er bremste sich. Allein gegen vier hatte er sowieso keine Chance und die erwachsenen Libellen würden sicher schnell dazwischen gehen - und ihm noch die Schuld zuweisen. Außerdem war das alles kindisch. Sie waren auf einer wichtigen Mission und diese Idioten hatten nichts besseres zu tun, als ihn zu triezen. Er setzte eine eiserne Miene auf und schritt so würdevoll wie er konnte davon. Dann schlüpfte er zwischen zwei Wagen hindurch um auf der anderen Seite nicht mehr von den vier Jugendlichen gesehen zu werden. Hier traf er auf Braham, einen der Händler. Er war ein geselliger Zeitgenosse und Karim sofort sympathisch vorgekommen. Am vorherigen Abend hatte er mal wieder mit seiner Laute die Reisegruppe unterhalten.
    »Na Karim, was treibt dich hier vorne hin?«
    »Merin schickt mich. Ich soll herausfinden, warum wir halten.«
    Braham zeigte mit dem Daumen auf das Bauernhaus. »Keljum und Elzo versuchen ein paar Lebensmittel zu besorgen. Brot, Eier, Karotten, Milch und Butter. Mal schauen was sie kriegen können. Bei unseren früheren Reisen hatten die Bauersleute immer etwas für uns übrig. Von schönen Stoffen und Schmuck können wir ja nicht leben.« Er lachte und schlug mit der flachen Hand gegen den Wagen neben ihm. »Aber Keljum weiß, wo es Nahrungsmittel gibt.«
    Keljum war der Anführer der Händler, Elzo der der Libellen. Karim nickte nachdenklich. Sie hatten zwar Proviant für die Reise mitgenommen, aber die meisten Karren waren voll mit Exportprodukten aus Miriam. Die Stadt der Kamiraen war nicht nur für ebenjene bekannt, sondern auch für ihre Weber und Schmiede. Berühmt waren vor allem die Waffenschmiede Miriams. Es hieß, dass die Kamiraen und die Libellen stets einen guten Preis für Waffen zahlten, damit sich die besten Schmiede des Landes hier niederließen. Die Stoffe aus Miriam wurden aus Terega-Garn gewebt, das wiederum aus den flauschigen Samenkapseln der Terega-Pflanzen gesponnen wurde. Die grasartigen Pflanzen wuchsen in den Gebieten nördlich von Miriam. Sie vertrugen das raue Klima der Gegend gut und der Terega-Stoff war noch etwas seidiger, allerdings auch teurer, als der der im Süden angebauten Baumwolle.

    3 Mal editiert, zuletzt von Dinteyra (16. Oktober 2021 um 00:14)

  • Es geht schon weiter. Ich habe Urlaub, deshalb hau ich mal ein paar Teile raus und schaue, wohin die Kreativität mich führt, in der Hoffnung dass es danach auch noch anhält.

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    In dem Moment kamen Elzo und Keljum zusammen mit den Bauersleuten aus dem Haus. Sie trennten sich vor der Tür und während die Bauersleute hinter dem Haus verschwanden, traten die Anführer zum Handelstreck.
    Karim beobachtete Elzo aufmerksam aus dem Schatten des Wagens heraus. Er bewunderte den Anführer der Libellen. Elzo trug einen Pferdeschwanz, doch sein Haar war dünn und blond. Er war einer der wenigen in ihrer Gruppe, der stets das weiße Gewand der Libellen trug, denn bei dieser Mission war es ihnen freigestellt, zu tragen was sie wollten. Karim hatte sich daher für klassische Reisekleidung entschieden: für seine braunen Stiefel, ein graues Hemd und einen langen, nachtblauen Umhang. Er musste allerdings zugeben, dass er selbst in seinem Libellengewand lange nicht so beeindruckend aussah wie Elzo, der besonders des Nachts wie ein Geist zwischen ihnen wandelte.
    Elzo betrachtete stirnrunzelnd die vier Jugendlichen, deren Übungskampf zu einer übermütigen Rauferei geworden war. Er klatschte in die Hände. »Genug getobt, geht hinters Haus, die Bauersleute geben euch Nahrungsmittel für die Vorratswagen.« Sein Blick fiel auf Karim, der zwischen den Wagen stand und die Szene beobachtete. Mit einer Handbewegung machte Elzo klar, dass die Anweisung auch ihm galt. Eilig trabte Karim den vier Jungen hinterher.
    Hinterm Haus stapelten sich schon die Kisten und Säcke mit Lebensmitteln, die die Bauersleute und zwei Knechte aus dem Vorratshaus trugen. Karim schnappte sich zwei Kisten mit Äpfeln und trug sie zum Handelszug zurück. Der hatte sich gerade wieder in Bewegung gesetzt, denn die Vorratswagen fuhren hinten, dort wo auch Merin Ellers ging. Der Krieger grinste Karim an, als der mit den Kisten an ihm vorbei kam. »Ich sehe schon, es gibt was zu essen.«
    Karim schob die Kisten in den Wagen und kletterte hinauf, um sie weiter im Inneren zu verstauen. Dann reichte er die leeren Kisten, die er fand, nach draußen, damit auch sie gefüllt werden konnten.
    Als er wieder aus dem Wagen springen wollte, kletterte Sargo gerade hinein. Wie beiläufig rempelte er Karim mit der Schulter an, sodass dieser gegen die Plane geschleudert wurde und vom Wagen stürzte. Dabei scheuerte er sich die Hüfte am Fahrgestell auf und fiel schmerzhaft auf die Knie. Er hatte Glück, es hätte sicher mehr passieren können. Die Umstehenden Libellen eilten Karim zu Hilfe und schimpften über Sargo.
    »Hey, was wollt ihr, ich habe gar nichts gemacht!«, empörte sich Sargo. »Der Schauspieler ist von selbst hingefallen.«
    »Ich glaube Sargo hat zu viel Energie«, sagte Merin Ellers. »Mit Sicherheit möchte er an den nächsten Abenden die Planwagen der Händler schrubben.« Karim sah wie Sargo den Mund aufmachte um zu protestieren, aber Merin blickte ihn so durchdringend an, dass er die Worte herunterschluckte und sich davon trollte. Merin sah auch Karim scharf an. »Passiert das öfter?«
    Karim schüttelte den Kopf. »Ich denke es war nur ein Versehen.«
    Merin zog die Augenbrauen hoch, hakte aber nicht weiter nach.

    Am späten Nachmittag stellten sie auf einer großen Wiese die Wagen in einem Kreis auf und zündeten Feuer an. Es dauerte nicht lange, bis in zwei großen Kesseln die Kürbissuppe kochte. Karim half die Pferde zu versorgen, wie es seine Aufgabe war, danach lehnte er etwas abseits an einem Wagenrad und beobachtete das Geschehen: Braham stimmte ein Lied an und Aylisha, die Händlerstochter, schnitt das Brot, das sie beim Bauern gekauft hatten, in dicke Scheiben und beschmierte sie mit Schmalz. Oben drauf kamen eine Scheibe einer weißen Flusszwiebel und ein paar Kräuter, die sie unterwegs gesammelt hatten. Karim überlegte gerade, ob er ihr seine Hilfe anbieten sollte, als Merin Ellers zu ihm trat.
    »Warum sitzt du hier so allein?«, fragte er recht direkt.
    Karim zuckte mit den Schultern. »Ich brauchte einen Moment Pause.«
    »Geh doch mal zu Jona, Ben und Tammo«, schlug Merin vor. Das waren die Jugendlichen, mit denen er schon am Nachmittag aneinander geraten war. Karims Blick richtete sich auf die Gruppe, die nun recht friedlich neben dem Feuer saß. »Sargo ist nicht dabei, der schrubbt die Planwagen.« Merin zwinkerte verschwörerisch.
    »Trotzdem«, murmelte Karim. »Ich glaube nicht, dass sie mich dabei haben wollen.«
    Merin seufzte und hockte sich neben ihn. »Das von heute Nachmittag passiert öfter, oder? Und es ist nicht nur Sargo.«
    Karim zuckte wieder mit den Schultern. »Schon möglich.«
    Merin ließ das Thema nicht so leicht fallen. »Was steht zwischen euch?«, fragte er. »Ihr seid im gleichen Alter, ihr seid Krieger von gleichem Rang, es ist euer aller erster Auftrag außerhalb Miriams ... Ihr müsstet euch doch verstehen.«
    »Die anderen sind viel länger dabei als ich«, widersprach Karim. »Sie sind quasi im Hauptquartier aufgewachsen und haben lange auf diese Chance gewartet. Ich bin erst ein halbes Jahr dabei. Sie glauben ich wäre nur hier, weil ich mit Maja Sonnfeld befreundet bin.« Befreudet war, korrigierte er sich in Gedanken. Maja war fort und würde nicht wieder kommen und diese sogenannte Freundschaft brachte ihm jetzt im Nachhinein nur Schwierigkeiten.
    »Wo sie Recht haben ...«, schmunzelte Merin Ellers.
    Karim sah ihn empört an. »Willst du sagen, dass es stimmt? Dass ich nur hier bin, weil ich Maja kenne?« Karim dachte an die monatelange Schinderei zurück, von der er geglaubt hatte, sie habe ihn hierhergebracht: Das tägliche Training, die Disziplin, sein Fleiß ... wollte Merin ihm wirklich erzählen, dass es nicht diese Anstrengungen waren, die ihm sein Schwert und diesen Auftrag verdient hatten?
    »Du kennst nicht nur eine, sondern zwei Kamiraen persönlich«, sagte Merin. »Sie würden dir vielleicht eher vertrauen und deinen Rat wenigstens überdenken. Außerdem gehörst du zu jenen seltenen Menschen, die das dreizehnte Königreich – das Reich unseres größten Feindes – einmal von innen gesehen haben. Sollen die Libellen jemanden wie dich zum Schuhputzer machen? Ich denke nicht.«
    »Soll das heißen, meine Leistung ist egal? Weil ich mal zufällig durch Andraya spaziert bin.«
    »Du bist nicht einfach zufällig durch Andraya spaziert. Und deine Leistung ist mitnichten egal. Deine Vergangenheit hat sie auf dich aufmerksam gemacht, aber deine Leistung wird dich weiter bringen – so du sie denn zeigst. Ich schätze du bist hier, weil sie dich beobachten wollen. Sie wollen wissen, ob es sich lohnt, in deine weitere Ausbildung zu investieren.«
    Karim schluckte. »Also ist das hier ein Test.«
    »Ich weiß nicht, ob es ein Test ist. Aber wenn es einer ist, wirst du ihn nicht bestehen, indem du dich von Gleichaltrigen drangsalieren lässt.«
    Karim schwieg lange. Das musste man erst mal verdauen. Merin zog sein Schwert hervor und begann es zu polieren.
    »Was soll ich denn machen?«, klagte Karim schließlich. »Es steht vier gegen einen, ich komme nicht gegen sie an.«
    »Dann ändere die Verhältnisse. Sorge dafür, dass es eben nicht mehr vier gegen einen steht.«
    Karim schnaubte. »Du meinst, ich soll mir Verbündete suchen. Und wen? Erik? Telon? Dich vielleicht?« Die Leute mit denen er sich ganz gut verstand, waren alle älter als er. »Es sähe aus als würde ich mich hinter den Erwachsenen verkriechen. Und soll ich sie wirklich in diese Kindereien mit hineinziehen?«
    Merin steckte sein Schwert wieder weg. »Du hälst die vier für kindisch, was?«
    Karim antwortete nach kurzem Zögern: »Ja, natürlich. Sie haben nichts anderes zu tun als herumzualbern und andere zu triezen. Ich frage mich, ob sie keine anderen Probleme haben. Also ich hatte mein Leben lang dringendere Sorgen.«
    »Du bist ohne Vater in einem kleinen Dorf aufgewachsen, oder?«
    »Nicht ganz ohne Vater. Die erste Zeit war er noch da. Aber nachdem er nicht zurück kam, musste ich arbeiten, um meine Familie durchzubringen. Dann wurde meine Mutter entführt und wir haben sie zurück geholt. Jetzt bin ich eine Libelle ...«
    »Mit anderen Worten: du musstest dein ganzes Leben lang Verantwortung tragen«, faste Merin zusammen. »Das unterscheidet dich natürlich von Sargo und den anderen, die im Hauptquartier zwar arbeiten mussten, aber relativ behütet aufgewachsen sind. Aber das ist kein Grund, dich für etwas besseres zu halten.«
    »Das tue ich nicht«, widersprach Karim.
    »Ich glaube schon und du zeigst es ihnen auch. Und hast es schon gezeigt, bevor sie anfingen, dich zu triezen. Geh auf sie zu. Sargo wirst du nicht auf deine Seite ziehen und Tammo ist dumm wie Brot. Wer kann schon vorhersagen, was er tun würde. Aber Jona und Ben sind nett. Sie wären bestimmt gerne mit dir befreundet, wenn du ihnen die Chance dazu gibst.«
    Karim starrte ihn mit offenem Mund an. »Ich soll Sargo seine Freunde wegschnappen?« Er sah sich hastig um, ob jemand ihnen zuhörte, aber die meisten Reisenden stellten sich gerade für einen Becher Suppe an. »Warum sollten sie mit mir befreundet sein wollen?«
    Merin lachte. »Ich weiß es nicht, aber Maja Sonnfeld wollte mit dir befreundet sein. Glaub mir, das weiß hier jeder. Und jeder kennt Gerüchte über deine Erlebnisse und würde es gerne genauer erfahren. Nur bist du leider sehr verschlossen, was das Thema angeht.« Karim zog seinen Mantel enger um sich. Ihm wurde langsam kalt. »Was ich eigentlich sagen wollte«, fuhr Merin fort: »Deine Freundschaft ist einer Kamiraen würdig. Du musst den Jungs nur zeigen, dass sie eine Chance haben. Sie werden mit Sicherheit anbeißen. So ...« Er stand auf und klopfte seine Hose ab. »Ich hole mir jetzt einen Teller Suppe. Kommst du mit?«
    Karim sprang sofort auf, froh näher an das Feuer treten zu können. Er holte sich zuerst ein Stück Brot bei Aylisha, lächelte ihr freundlich zu und stellte sich dann mit seinem Becher bei der Suppenausgabe an. Nachdenklich ließ er den Blick über den Horizont wandern, wo die Sonne als fette rote Scheibe ihren letzten Weg antrat. Seine Freundschaft war also einer Kamiraen würdig. Das mochte man so sehen, aber es war eine Kamiraen, die ihre Welt im Stich gelassen hatte. Bisher war es das Wissen weniger Eingeweihter, aber irgendwann würde sich diese Erkenntnis auch bei den anderen durchsetzen. Ob dann noch etwas übrig bliebe von diesem zweifelhaften Ruhm, den er jetzt laut Merin genoss?

    2 Mal editiert, zuletzt von Dinteyra (16. Oktober 2021 um 00:15)

  • Falls hier irgendjemand lesen wollte, ich muss das letzte Kapitel noch einmal überarbeiten, als lösche ich es noch mal und lade die Teile später noch mal neu hoch. Mir fehlen hier ein paar Beschreibungen, die bisher erst in einem späteren Kapitel vorkommen und das macht keinen Sinn. :patsch: Möchte sie also noch einfügen. Besonders wichtig sind sie aber nicht, also falls es schon jemand gelesen hat muss er sich nicht noch mal dadurch fressen :essen:

    Viele Grüße

    Din

    Edit: Jetzt ist alles wieder so wie es sein sollte und ich habe auch nicht viel geändert. Nur einen Abschnitt reingesetzt, in dem ich Elzos und Karims Kleidung beschrieben habe. Aber ich hatte vorhin eine kurzen Panikmoment. :fie:  :D

    Einmal editiert, zuletzt von Dinteyra (16. Oktober 2021 um 00:17)

  • Ich liebe es, skurrile Träume zu schreiben. Oder auch allgemein skurrile Momente. ^^ Dieser Traum könnte übrigens auch von mir sein, solch ein Blödsinn sucht mich fast nächtlich heim.

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    Die neue Lehrerin

    Als Maja das vertraute Knacken des Schlosses hörte, schlug sie die Augen auf. Doch statt der Zimmerdecke erblickte sie Holzbalken und raue Steine, statt der Tapete graues Mauerwerk. Eine Seite des engen Raumes war von Gittern begrenzt und dort machte sich jemand am Schloss der Zellentür zu schaffen. Maja erkannte das schmale, markante Gesicht mit dem kurzen Bart sofort: Basilius Kock.
    Sie strampelte sich von der Bettdecke frei und stand auf. „Du solltest nicht hier sein“, sagte sie. „Die Waldgeister haben dich verzaubert – du solltest ein Baum sein.“
    „Das bin ich und doch kannst du froh sein, dass ich hier stehe“, antwortete Kock mit einem nervösen Zucken in den Wangen. „Wer sonst hat den Schlüssel? Wer sonst könnte dich befreien?“ Knarrend zog er die Zellentür auf.
    „Ich will deine Hilfe nicht“, sagte Maja. „Du hast für Dreizehn gearbeitet.“
    „Nur zum Schein“, antwortete Kock. „In Wahrheit habe ich zuallererst meine eigenen Interessen verfolgt. Und wo wir gerade von Dreizehn sprechen: er ist auf dem Weg hierher, also sieh zu, dass du hier rauskommst.“
    Maja eilte zur Zellentür und duckte sich unter seinem Arm nach draußen in den Gang. Zwei Treppen führten von hier fort, eine in jede Richtung, beide nach oben. Sie entschied sich für die linke und wollte gerade loslaufen, als Kock ihren Arm packte. Sein Griff fühlte sich rau und trocken an. Als Maja hinabschaute, erkannte sie, dass die Haut seiner Hand sich in Rinde verwandelt hatte.
    Sie versuchte ihn abzuschütteln: „Lass mich los.“
    „Nicht bevor wir darüber gesprochen haben, was du mir schuldest, Kamiraen.“ Er riss sie herum, bis sie ihm ins Gesicht blicken musste. Seine Haut schien vor ihren Augen auszutrocknen, Risse bildeten sich auf seinen Wangen und auf der Nase entstand ein Astloch. „Was mir zugestoßen ist, ist deine Schuld“, zischte er, „und du wirst mich nicht in diesem Wald verrotten lassen. Andernfalls kannst du dich auf bittere Rache einstellen.“
    „Ich denke nicht dran“, rief Maja. „Und du wirst mich niemals erreichen, also steck dir deine Rache sonstwo hin.“
    Kock funkelte sie aus astbraunen Augen wütend an. Zweige wuchsen aus seinen Haaren und Ohren. „Nicht besonders nett“, sagte er. „Du wirst merken, was du davon hast.“
    In dem Moment erklangen sieben Schritte auf der Treppe. Fürst Dreizehn! Maja versuchte sich von Kock loszureißen, doch aus seinem hölzernen Griff gab es kein Entkommen. Zwei weitere Schritte erklangen und ins Licht der Kerkerbeleuchtung trat ein Paar großer, weiter Piratenstiefel, sowie der Saum eines langen schwarzen Umhangs mit violetter Fütterung. Mit den nächsten zwei Schritten kam ein breiter Patronengürtel ins Sicht, bestückt mit zwei Colts und vier scharfen Messern. Noch zwei Schritte und Maja sah den hochgestellten Kragen des Umhangs und darüber ein bleiches, spitzes Gesicht mit roten Augen – wie das eines Vampirs.
    „Endlich begegnen wir uns, kleine Kamiraen“, sagte Dreizehn und wrang mit teuflischem Lächeln seine Hände.

    Maja fuhr aus dem Schlaf auf und stieß sich den Kopf an der Dachschräge. Der Schmerz brachte sie blitzschnell in die Realität zurück und dieses Mal musste sie sich nicht vergewissern, dass alles nur ein Traum war. Begegnet war sie ihm zwar nicht, aber wie auch immer Dreizehn aussah, er war mit Sicherheit kein skurriler Mix aus Film-Fieslingen.
    Basilius Kock dagegen hatte täuschend echt ausgesehen, sowohl als Mensch, als auch in seiner halb-verwandelten Baumgestalt. Ob er wohl immer noch im Dark Forest verwurzelt war? Dort nämlich hatten die Waldgeister sein Dasein in das eines Baumes gewandelt, als er versucht hatte ihre Heimat zu verbrennen.
    Er ist nicht mein Problem, dachte Maja. Selbst dann nicht, wenn er wieder zum Menschen wird. Ob Kock Rache an ihr wollen würde? Immerhin hatte sie einen großen Teil zu seiner Situation beigetragen. Sie warf sich auf die Seite und versuchte weiterzuschlafen, doch es gelang ihr nicht. Eine weitere kurze Nacht ...

  • Am Morgen quälte sie sich mit einer hundsmiserablen Laune aus dem Bett und schlurfte an den Frühstückstisch. Das Käsebrot schmeckte fad und Maja ahnte, dass dieser Tag in einer Katastrophe enden würde. Ihr Vater sah ihr ihre Stimmung an und ließ sie in Ruhe. Doch als sie beim Anziehen mit dem Schuh auf dem Schoß nur noch regungslos an die Wand starrte und ihre Schnürsenkel zerfriemelte, sprach er sie doch behutsam an: „Beeil dich, du kommst noch zu spät. Halt die Ohren steif – nur noch eine Woche bis zu den Ferien.“
    Eine Woche ... eine Ewigkeit.
    Ihr Vater behielt Recht damit, dass sie zu spät kommen würde, aber Maja legte es auch geradezu darauf an. Statt den direkten Weg zu nehmen, wanderte sie im Zickzack durch ihre Wohnsiedlung, als gäbe es die Schule nicht. Tatsächlich spielte sie mit dem Gedanken zu schwänzen. Es wäre so angenehm, jetzt in den Wald zu gehen und den Morgen zwischen den frisch austreibenden Blüten zu verbringen. Doch dafür würde sie später bitter bezahlen, wenn der unvermeidliche Ärger kam.
    Als sie fünfzehn Minuten zu spät die Klassentür öffnete, sah sie jedoch nicht wie erwartet Frau Kassimer am Pult sitzen, sondern eine hochgewachsene Frau mit breiten Schultern und platinblondem, kurzem Haar.

    S E L B I C H

    stand in riesigen Buchstaben an der Tafel. Eine Vertretungslehrerin? Maja hatte sie noch nie gesehen und konnte sie auf den ersten Blick nicht leiden. Ungefähr zeitgleich war klar, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte.
    „Sieh einer an“, sagte Frau Selbich. „Maja Sonnfeld. Scheinbar hälst du es nicht für nötig, pünktlich zu kommen. Was ist deine Ausrede? Hat dich dein Frühstücksmüsli angefallen oder erschien dir der Unterricht einfach nicht wichtig genug?“
    Maja starrte sie mit offenem Mund an. Was sollten die dummen Witze? Gleichzeitig schrillten bei ihr sämtliche Alarmglocken. „Woher kennen Sie meinen Namen?“, fragte sie misstrauisch.
    Frau Selbich schaute Maja an, als hätte sie gerade die dümmste Frage der Welt gestellt. Sie nahm einen Stift und setzte die Spitze neben Majas Namen auf die Klassenliste. Schwungvoll schrieb sie ein paar Worte. „Bleibst du da stehen?“, fragte sie währenddessen. „Dann solltest du Folgendes zur Kenntnis nehmen: Jeden Moment, den wir damit vertrödeln, dir zuzusehen wie du deinen Platz suchst, werde ich an die Stunde dranhängen.“
    Maja hob ungläubig die Augenbrauen. Sie wünschte sich eine freche Antwort parat zu haben, aber in solchen Momenten fiel ihr selten etwas ein.
    „Setz dich hin“, knurrte die Lehrerin, mit einem Mal nicht mehr spöttisch sondern bedrohlich. Majas Magen verkrampfte sich und ein Blick durch die Klasse verriet ihr, dass sie nicht als Einzige so empfand. Doch sie wollte keine Furcht zeigen – mit Sicherheit nicht vor dieser Frau. Betont lässig zuckte sie mit den Schultern und machte sich auf den Weg zu ihrem Stuhl. Warum fühlte es sich so falsch an, Frau Selbich den Rücken zuzukehren?
    Als sie sich gesetzt hatte, wandten sich die anderen in der Klasse wieder ihren Büchern zu und begannen eifrig in ihre Hefte zu schreiben. Maja beobachtete sie fasziniert. Dass es in einer Vertretungsstunde so ruhig war, war in dieser Klasse noch nie vorgekommen. Es war nicht normal.
    Frau Selbich räusperte sich, ein Geräusch, das Maja die Haare auf den Armen zu Berge stehen ließ. Schnell zog sie ihr Deutsch-Buch aus der Tasche und blätterte zu der Seite, die auch Jana neben ihr aufgeschlagen hatte. Es ging um Merkmale von Märchen, doch es gab keine Aufgabenstellung und diesmal stand auch nichts an der Tafel.
    „Wir sollen sie in Rotkäppchen aufzeigen“, flüsterte Jana ihr zu und deutete auf ein Arbeitsblatt auf ihrem Tisch, auf dem das Märchen abgedruckt war.
    Maja sah sich nach einer weiteren Kopie um, aber so sehr sie auch Frau Selbichs Tisch mit den Augen absuchte, fand sie doch keine. Sie streckte den Finger in die Luft.
    Frau Selbich musste sie aus dem Augenwinkel gesehen haben, doch sie ließ sich Zeit, bevor sie sie wirklich anschaute und aufrief: „Ja?“
    „Ich brauche das Arbeitsblatt.“
    Wortlos zog Frau Selbich es zwischen ihren Unterlagen hervor und legte es auf ihren Tisch. Maja musste aufstehen und es sich holen. Frau Selbich beobachtete sie kühl.
    Als das Blatt sicher auf ihrem Platz lag, begann Maja zu lesen, doch schon als Rotkäppchen im Wald zum ersten Mal auf den Wolf traf, schweiften ihre Gedanken ab. Obwohl die Stadt, in der sie lebte, von Wald umgeben war, waren es nicht dessen Bäume, zwischen denen sie sich Rotkäppchen vorstellte, sondern die des uralten Dark Forests. Sie dachte an ihre eigenen Begegnungen in jenem Wald zurück: mit den Waldgeistern und Amaris, mit Sonja und mit Niorim, jenem Mann, der sie immer entfernt an einen Wolf erinnert hatte. Dann dachte sie an die Zeit in Meister Wolfs Hütte zurück, als sie die Tage mit Feodor, Matthias, Karim und Jinna verbracht hatte. Nicht alle ihre Erinnerungen an die Welt ohne Namen waren schlecht und Maja musste sich eingestehen, dass sie ihre Freunde vermisste. Sie schloss die Augen und stellte sich den Wasserfall vor, den Feodor ihr gezeigt hatte. Den Felsen, der über dem Abgrund herausragte, die glitzernde Gischt, die leuchtend grünen Blätter der Bäume ringsum ...
    Sie legte eine Picknickdecke zwischen die Bäume und Karim, Jinna, Matthias und Feodor setzten sich zu ihr. Sie hatten Brot und Eintopf mitgebracht, den sie aus Holzschüsseln aßen. Sie lachten und machten Witze, Karim und Jinna jagten einander um die Decke herum und Feodor zauberte einem Stein winzige Beine und ließ ihn durch das Gras schlurfen.
    Ein Knurren erklang hinter Maja. Der Stein zog die Beine ein und ihren Freunden stand die Furcht ins Gesicht geschrieben. Dann verschwammen sie wie eine Spiegelung im Wasser, die von einer Welle aufgerührt wurde. Schließlich wehte eine Windböe sie fort wie den Rauch einer erloschenen Kerze.
    „Bitte bleibt!“, flüsterte Maja. Doch sie war allein.
    Wieder erklang das Knurren hinter ihr, diesmal ganz nah. Maja drehte sich um und sah in die gelben Augen eines riesigen Wolfes. Sein heißer Atem streifte ihr Gesicht. Sie zuckte zusammen -

    - und fiel beinahe vom Stuhl. Die Klasse kicherte verhalten. Maja blickte verwirrt auf und sah Frau Selbichs haselnussbraune Augen direkt vor sich. Die Lehrerin hatte die Hände auf ihren Tisch gestützt und funkelte sie wütend an. Maja bemerkte verlegen, dass sie wohl eingeschlafen sein musste. Das passierte ihr nicht zum ersten Mal, doch die meisten Lehrer hatten sehr nachsichtig und verständnisvoll reagiert. Sie alle fassten Maja mit Samthandschuhen an. Frau Selbich schien ganz und gar kein Verständnis zu haben und die Samthandschuhe hatte sie offensichtlich verbrannt – wenn sie je welche besessen hatte. Aus Majas Nickerchen schloss sie, dass diese mit der Aufgabe unterfordert war und gab ihr eine noch schwierigere als Hausaufgabe auf, die sie am nächsten Tag vor der Klasse vorstellen sollte.
    Maja sagte ihr klipp und klar, dass sie es nicht tun würde. Keine fünf Minuten später saß sie beim Schulleiter.
    Herr Tamm zeigte sich sehr verständnisvoll, bat sie sich anzustrengen und wies sie darauf hin, dass sie sich gerne an die Vertrauenslehrer wenden durfte, wenn sie Probleme hatte. Frau Selbichs Strafaufgabe musste Maja trotzdem machen. Als sie das Büro verließ und die Tür hinter sich zuzog, hörte sie ihn murmeln: „Zum Glück sind bald Ferien.“
    Den Rest der Deutschstunde kaute Maja auf ihrem Stift herum und beobachtete Frau Selbich. Sie ging von Tisch zu Tisch, verharrte wie ein bedrohlicher Schatten hinter den Schülern und blickte kritisch auf deren Hefte, sagte aber kein Wort. Nur hin und wieder ließ sie ein missbilligendes Schnalzen hören. Schließlich kam sie an Maja vorbei und erblickte das immer noch leere Heft. Sie warf der Schülerin einen Blick zu, der Steine hätte schmelzen können. Maja ignorierte sie.
    Frau Selbich seufzte tief und beugte sich zu ihr hinunter: „Wenn du diese Arbeitseinstellung beibehältst, werden wir noch mächtig Ärger bekommen“, hauchte sie. Ihr heißer Atem strich über Majas Ohr. „Frau Kassimer wird erst im neuen Schuljahr zurück sein und ich kann sehr unangenehm werden. Du wirst alles, was du hier im Unterricht nicht schaffst, zuhause nacharbeiten und mir am nächsten Tag in der Pause ins Lehrerzimmer bringen. Jeden einzelnen Tag. Und denk an die Zusatzaufgabe.“

  • Ich hatte, da ich den Überblick im Forum noch nicht habe, einfach mal hier angefangen zu lesen und ich muss sagen, dein Stil gefällt mir. Ich les mal den Anfang und bin gespannt wie es weitergeht

  • @Sanguedark96 : Freut mich, dass dir der Stil gefällt. Du kannst dich gerne noch mal melden, wenn du den Anfang gelesen hast, was du davon hälst. Die Geschichte ist leider einer Fortsetzung also ist es vermutlich schwierig für Neueinsteiger, aber ich beantworte gerne alle Fragen.

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    Und so saß Maja am Nachmittag im Wohnzimmer und brütete über dem Märchen von Rotkäppchen. In den letzten Monaten hatte sie ihre Hausaufgaben immer so knapp wie möglich dahingeschludert, es war ihr egal gewesen, ob sie richtig oder falsch waren. Doch das würde Frau Selbich wohl nicht akzeptieren und die Zusatzaufgabe würde sie auch noch vor der ganzen Klasse vorstellen müssen. Der Gedanke blockierte sie und so bekam sie kaum etwas zu Papier.
    Als ihr Bruder ins Wohnzimmer kam, um die Fische zu füttern, kam ihr ein anderer Gedanke: „Hey Käse, kannst du mir einen Gefallen tun?“ Nach einer erfolglosen Suche durch das Internet und mehreren Tagen, an denen sie das Problem in der Schule systematisch verdrängt hatte, wollte sie nun ihren Bruder auf das Thema Reitstall ansetzen.
    „Klar doch“, sagte Käse, ohne überhaupt zu wissen worum es ging. Es waren kleine Dinge wie diese, die Maja sein Vertrauen zeigten und ihr ein Lächeln aufs Gesicht zauberten.
    „Ich muss herausfinden, wo man reiten lernen kann. Du kannst dich doch sicher mal umhören, oder?“
    „Ich schau mal“, sagte Käse, „vielleicht kann ich was rausfinden. An meiner Schule gibt es eine Reit-AG.“
    Maja überlegte kurz, dann dachte sie, dass sie ihm eine Erklärung schuldete: „Ich bin im Moment nicht gut in so was ... Ich weiß nicht warum.“
    „Verlass dich ruhig auf mich“, sagte ihr Bruder und reckte die Schultern hoch. Dann stahl sich ein übermütiges Grinsen auf sein Gesicht. „Die Mission ist so gut wie ausgeführt.“
    Maja lächelte. „Das muss ich wohl, wenn ich meinen besten Agenten darauf ansetze.“
    Sie schaute wieder auf ihr Heft und das Lächeln verblasste. Sie stellte sich vor, Frau Selbich die Aufgabe ins Gesicht zu werfen.

    Nachdem sie erst mal einen Anfang gefunden hatte, kam sie dann doch besser voran als erwartet. Trotzdem brauchte sie den ganzen Nachmittag und musste sich auch nach dem Essen noch einmal daran setzen. Als ihr Vater jedoch den Fernseher einschaltete, um die Nachrichten zu schauen, klappte sie das Heft zu. Den letzten Satz würde sie bei dem Vortrag einfach improvisieren. Hastig verließ sie das Wohnzimmer, beinahe floh sie.
    Maja hasste die Nachrichten. Sie las auch keine Zeitung. Es war ihr einfach zu deprimierend, denn fast immer waren es schlechte Neuigkeiten. Es kam ihr vor, als wäre die Welt zu einem trostlosen, schlechten Ort geworden, seit sie wieder hier war. Natürlich war das Unsinn. Sie hatte vorher einfach keine Nachrichten gehört oder sie nicht richtig mitbekommen oder nicht verstanden. Vor ihrer Reise in die Welt ohne Namen hatte sie nie viel davon mitbekommen, was außerhalb ihrer Familie und ihrer Stadt passiert war. Fast überraschte sie nun die Größe und Vielfalt ihrer eigenen Welt.

  • So, ich habe in letzter Zeit hier viel am Plot gearbeitet und auch einiges geschrieben und nun habe ich das Gefühl, so etwas wie eine Mauer durchbrochen zu haben. Ich schreibe super gerne bei Maja, wie sie in unserer Welt versucht ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Das sind Szenen, die ich mir schon vor langer Zeit ausgedacht und immer wieder im Kopf oder in verschiedenen Versionen auf Papier abgespielt habe. Allerdings finde ich sie jetzt manchmal etwas albern und kindisch und habe das Gefühl, dass es für einen Leser nicht ganz so interessant ist und dass ihr lieber etwas aus der Welt ohne Namen erfahren würdet. Auch ich selbst möchte die Ereignisse dort gerne weiter spinnen und meine Welt erweitern.

    Deshalb baue ich jetzt alle paar Kapitel etwas über Karim oder Jinna ein. Die beiden haben es sowieso verdient weiter die Geschichte tragen zu dürfen und sich selbst weiterzuentwickeln. Ich habe mir mal Gedanken gemacht, wo ich in Zukunft mit ihnen hin will und fange nun so langsam an, sie in diese Richtung zu bugsieren. Der Vorteil dabei ist, dass man noch eine ganze Menge über Miriam, die Libellen und die Welt ohne Namen erfährt.

    Aber vorher geht es noch ein bisschen bei Maja und ihren Schulproblemen weiter, denn sie ist schließlich immer noch meine Hauptperson.

    Ich habe mir jetzt vorgenommen wenigstens einmal die Woche hier etwas zu posten - und sei es noch so kurz. Ich glaube ich habe in den letzten, sehr unproduktiven Jahren, gelernt dass es Übung braucht, um schreiben zu können. Nachdem ich im Urlaub ein paar Tage die Sätze geradezu herauspressen musste, so schlecht ging es mir von der Hand, wurde es gegen Ende immer besser und hat auch wieder Spaß gemacht. Ich glaube ohne regelmäßiges Training verlernt man es und deshalb brauche ich diese Geschichte weiterhin, auch wenn ich mittlerweile auch ein anderes Projekt habe.

    Ich würde mich freuen, wenn ich noch den ein oder anderen Leser hier finde. Ich glaube diese Geschichte kann auch Lesern Spaß machen.

    Viele Grüße

    Dinteyra

    Ein ungutes Gefühl

    Maja sprach den letzten Satz ihres Vortrags in leicht trotzigem Tonfall und ließ den Blick über ihre Zuschauer wandern, die entweder schläfrig oder aufmunternd zu ihr hinsahen. Niemand hatte es gewagt die Augen von ihr abzuwenden, denn niemand wollte der Nächste sein, dem Frau Selbich eine Strafaufgabe aufbrummte. Schließlich sah Maja eben diese an, die ihr ohne zu blinzeln in die Augen starrte. Ihr Gesichtsausdruck war undurchschaubar.
    »Nun gut, du hättest dir sicher noch mehr Mühe geben können, aber für heute werde ich mich damit zufrieden geben. Setz dich.«
    Maja ging zu ihrem Tisch und nahm die Aufgaben vom Vortag, die sie zuhause beendet hatte. Sie wollte sie Frau Selbich geben.
    »Ich habe gesagt du sollst sie mir in der Pause vorbei bringen«, sagte diese abweisend.
    Maja zögerte. »Aber ich habe sie jetzt hier und Sie sitzen vor mir ...«
    »In der Pause«, wiederholte Frau Selbich in deutlich schärferem Ton.
    Maja wurde rot. Das war doch bloße Schikane. Oder wollte Frau Selbich vielleicht noch ein Gespräch mit ihr unter vier Augen führen? Das kannte Maja von den anderen Lehrern, meist ließ sie es teilnahmslos über sich ergehen. Doch bei Frau Selbich stellte sie es sich ziemlich unangenehm vor.

    So ging sie also in der Pause den vertrauten Weg zum Lehrerzimmer. Dort herrschte ein stetiges Kommen und Gehen. Wenn man einen bestimmten Lehrer sprechen wollte, musste man einen der vorbeigehenden bitten, ihm Bescheid zu sagen. Zum Glück kam gerade Frau Grau den Flur entlang – Majas Mathelehrerin. Sie schenkte Maja ein strahlendes Lächeln, so wie eigentlich jedem, den sie traf:
    »Frau Selbich? Das ist die neue Kollegin, oder? Ich sage ihr dass du hier bist.« Zwei Minuten später streckte sie den Kopf wieder aus der Tür: »Frau Selbich ist noch im Gespräch; du sollst kurz warten.«
    Aus kurz wurde lang und Maja ließ sich auf die harte Bank neben dem Eingang zum Lehrerzimmer sinken. Lehrer kamen und gingen, Schüler kamen und gingen. Sie überlegte, ob sie noch einmal nach Frau Selbich fragen sollte, aber etwas hielt sie davon ab. Die Lehrerin wusste, dass sie hier war. Wenn sie nicht kam, war es ihr Problem. Maja hatte es eigentlich ganz gut hier auf ihrer Bank. Es war warm, einigermaßen gemütlich und die Leute, die vorbei kamen, hatten kaum einen Blick für sie.
    Es schellte zur nächsten Stunde und die Lehrer tröpfelten aus dem Durchgang wie Wasser aus einem kaputten Kran. Maja sah jedes Mal auf, doch Frau Selbich war nicht dabei. Dann halt nicht. Sie lehnte sich entspannt zurück und schloss die Augen. Das hier war die perfekte Ausrede, um zu spät zur nächsten Stunde zu erscheinen.
    »Maja Sonnfeld!«
    Als Maja die Augen wieder öffnete, stand Frau Selbich neben ihr und starrte lauernd auf sie herab. Maja sprang auf und reichte ihr ihre Aufgaben. »Bitte sehr. Ich muss mich beeilen, mein nächster Unterricht hat schon angefangen.«
    »Komm rein«, sagte Frau Selbich und deutete auf den Eingang zum Lehrerzimmer.
    Musste das sein? Maja überlegte, wie sie sich darum drücken konnte, ohne wieder beim Schulleiter zu landen. Ihr fiel nichts ein und so trat sie durch den Eingang, folgte dem Weg nach rechts an einer kleinen Küche vorbei, in der ein Kaffeeautomat geschäftig summte, und trat durch die Tür ins Lehrerzimmer. Hier standen viele Tische zu kleinen Sitzgruppen zusammengestellt, gegenüber waren große Fenster und rechts und links standen jeweils eine Reihe Bücherregale die einen Teil des Raumes abtrennten. Was dahinter war, konnte man von hier aus nicht sehen.
    Frau Selbich trat nach Maja ins Lehrerzimmer und dieser fiel auf, dass sie beide allein in dem großen, leeren Raum waren. Mit einem Mal fühlte sie sich seltsam ausgeliefert. Sie trat ein paar Schritte zurück und brachte einen Stuhl zwischen sich und die Lehrerin, die sie mit einem seltsam hungrigen Gesichtsausdruck musterte.
    »Maja Sonnfeld«, raunte sie schließlich. »Ich habe deine Geschichte gehört.« Doch es klang nicht besorgt und mitfühlend wie die anderen Lehrer, sondern kalt, berechnend und ... irgendwie ... verwundert?
    »Wollen Sie irgendwas von mir?«, fragte Maja.
    »Nun, das ist schwer zu erklären ... es gibt viele Gerüchte über dich ...«
    Maja unterbrach sie gereizt: »Ich war verschwunden, jetzt bin ich wieder da und ich möchte nicht darüber reden.«
    »In dem Ton brauchst du mir nicht zu kommen«, schnarrte Frau Selbich. »Und dass du hier bist, sehe ich. Die Frage ist: warum?«
    »Wie, warum?«, fragte Maja verwirrt.
    »Das hast du schon richtig verstanden.«
    Doch Maja begriff überhaupt nichts.
    In diesem Moment klapperte es hinter den Bücherregalen, als würde jemand von einem Bürostuhl aufstehen und ein silberhaariger Lehrer im Anzug erschien im Durchgang. Maja glaubte sich zu erinnern, dass er in der Oberstufe Informatik unterrichtete.
    »Frau Selbich«, sagte er. »Sollten Sie nicht im Unterricht sein?«
    Frau Selbich wirbelte herum und starrte ihn an. Dann murmelte sie verärgert etwas von einer Freistunde.
    »Oh, das tut mir leid«, sagte der andere. »Da hab ich wohl vergessen Ihnen zu sagen, dass Sie Herrn Fischer in der 9c vertreten sollen. Sie beeilen sich besser, das letzte Mal, als die Klasse unbeaufsichtigt war, ist ein Stuhl durchs Fenster geflogen. Zum Glück nur durch ein geöffnetes. Und ich muss Sie warnen, in Vertretungsstunden flippt die Klasse regelmäßig aus.«
    »Aber nicht mit mir«, knurrte Frau Selbich und zog den linken Mundwinkel ganz seltsam zur Seite.
    Ihr Blick wanderte unentschlossen von Maja zur Tür und wieder zurück. »Glaube nicht, dass ich fertig mit dir bin. Ich finde heraus, was das hier soll. Und von jetzt an wirst du im Klassenraum alles tun, was ich dir auftrage, ohne murren, ohne schludern. Ansonsten wirst du mich kennenlernen.“ Damit verließ sie das Lehrerzimmer.
    Der Informatiklehrer trat heran. Maja erinnerte sich, dass sie ihn schon einmal gesehen, aber noch keinen Unterricht bei ihm gehabt hatte. »Die lässt einem die Nackenhaare zu Berge stehen«, murmelte er. »Mit der möchte ich nicht allein in einem Raum sein. Du auch nicht, oder?«

    Nein, das wollte Maja nicht, aber Frau Selbich schien es geradezu darauf anzulegen, Maja alleine zu erwischen. Diese tat alles, um eben das zu verhindern. Sie verließ den Klassenraum nach dem Unterricht so schnell wie möglich, selbst als Frau Selbich verkündete sie noch sprechen zu wollen. Später tat sie so als habe sie es in dem Moment vergessen. Ihre Aufgaben gab sie nicht mehr persönlich ab, sondern bat einen anderen Lehrer, sie weiterzugeben. Nachdem sie am Mittwoch bemerkte, dass Frau Selbich versuchte sie nach Schulschluss abzufangen, nahm sie nur noch den Nebenausgang. Es war ein Katz- und Maus-Spiel und ein kleiner – vielleicht schon etwas erwachsenerer – Teil von Maja fand es albern. Was sollte Frau Selbich schon tun, außer ihr eine weitere Strafarbeit aufzubrummen und sich beim Schulleiter zu beschweren? Aber ein weitaus größerer Teil von ihr wollte sich einfach so lange wie möglich vor der unangenehmen Konfrontation drücken und dann war da noch ein weiteres Gefühl – ein Gefühl, das bei jeder Begegnung mit Frau Selbich kaum merklich ihren Rücken herunter kroch: Furcht. Eigentlich war Maja sich sicher, dass diese Furcht unbegründet war. Eine Überreaktion – Frau Selbich war die erste erwachsene Person in dieser Welt, die sie nicht mit Samthandschuhen anfasste. Aber andererseits ... Frau Selbich stellte sich in den kommenden Tagen als streng und unnachgiebig heraus, bei allen Schülerinnen und Schülern. Doch Maja kam es vor, als würde die Lehrerin sie besonders im Auge behalten. Wie oft sah sie von ihren Aufgaben auf und musste feststellen, dass die Vertretungslehrerin sie beobachtete ...

  • Ein dreiviertel Jahr war das nun her.

    Also ich glaube, Karim, in unserer Welt ist das ganze schon etwas länger her als ein dreiviertel Jahr :rofl:

    Ohje, ich glaube, es wird noch etwas dauern, bis ich wieder vollends in der Geschichte drin bin, aber ich habe nun mal alles aufgeholt und zumindest was Maja angeht, glaube ich mich wieder an das Gröbste zu erinnern. Bei Karim wird es wohl etwas dauern. Aber ich finde es gut, dass du nun planst mehr Teile aus seiner und Jinnas Sicht zu schreiben. Würde mich freuen mehr zu erfahren, was sie in der Zeit machen, in der Maja wieder durch ihre eigene Welt stolpert. ^^

    Unheimliche Lehrerin. Das weckt doch den Verdacht, dass die Gute etwas mit der Welt ohne Namen zu tun hat. :hmm:

    Ich bin mal neugierig wie es weitergeht :)

    Im Übrigen habe ich mich neulich wirklich gefreut zu sehen, DASS es hier weitergeht. Ein Grund, weshalb ich mich dazu entschlossen habe, nun doch JETZT endlich mal wieder ins Forum zu schauen. Die Geschichte hat mir immer viel Spaß gemacht :)

    Gruß

    Kye



    Wenn es ein Buch gibt, das du wirklich lesen willst, aber das noch nicht geschrieben wurde, dann musst du es selbst schreiben.
    - Toni Morrison -

  • Hallo Kyelia ,

    es ist herzerwärmend zu sehen, dass sich noch jemand für die Geschichte interessiert und vorhat sie weiter zu verfolgen. Scheinbar habe ich noch nicht alle mit meiner Schreibblockade vergrault. Und dabei habe ich dieses Wochenende doch fast mein Vorhaben verpasst, jede Woche etwas zu posten - dabei war dieser Teil schon fertig. Das muss ich jetzt schnell nachholen.

    Also ich glaube, Karim, in unserer Welt ist das ganze schon etwas länger her als ein dreiviertel Jahr :rofl:

    Ich weiß ;( . Es ist so traurig. Aber eine Zeit lang ist das Forum in meinem Leben ganz schön zurückgetreten. Jetzt plötzlich habe ich wieder Lust drauf.

    Wie lange ich jetzt schon an dieser Geschichte schreibe... Als ich sie angefangen habe war ich noch im zarten Teenageralter, jetzt bin ich über dreißig. Schlimm ist nur, dass die Geschichte dadurch so weit in der Vergangenheit spielt - irgendwann habe ich im Text glaube ich mal das Jahr 2006 oder 2005 erwähnt. Und jetzt ist Maja in unserer Welt - ich muss wirklich aufpassen, dass niemand mit dem Smartphone herumläuft. Normale Handys gab es ja wenigstens schon, bei WLan bin ich mir gerade gar nicht so sicher. Das muss ich noch rausfinden.


    Karim und Jinna sind im zweiten Teil immer nur als Nebenfiguren vorgekommen. Beide haben Lesen und Schreiben gelernt und im Hauptquartier als Libellen (Diener der Kamiraen) angefangen - Karim als Krieger. Ansonsten muss man glaub ich nicht viel wissen :)


    Das Gefühl, beobachtet zu werden, verfolgte Maja auch außerhalb des Klassenzimmers. Noch zweimal endeckte sie die Frau im Haus gegenüber des Schulhofs am Fenster. Maja konnte nicht genau ausmachen, wohin ihr Blick ging, vielleicht betrachtete sie auch bloß das Treiben der Schüler. Aber sie sah zumindest grob in Majas Richtung.
    Und das war nicht alles ... als Maja mit ihrer Mutter am Donnerstagabend einkaufen ging, fiel ihr ein Mann mit zotteligen Haaren auf, der immer in ihrer Nähe zu bleiben schien und er hatte die Augen erstaunlich oft auf ihr ruhen. Bei den Kühlregalen war Maja so genervt, dass sie den Spieß umdrehte und ihn unverwandt anstarrte. Er erwiderte den Blick kurz, begann dann aber mit Unschuldsmiene Joghurt in seinen Einkaufswagen zu stapeln und ging weiter zur Kasse. Maja sah ihn jedoch beim Verlassen des Ladens neben dem Eingang stehen und rauchen. Er zwinkerte ihr zu und sie fragte sich, ob er einfach ein bisschen verschroben, ob er durchgeknallt, vielleicht sogar gefährlich war, oder ob er einen Grund gehabt hatte ihr zu folgen.

    Der letzte Tag vor den Ferien zog sich quälend in die Länge, vor allem aber die Deutschstunde. Frau Selbich sprach Maja nicht an, diese gab ihr auch keinen Grund dazu, aber die Lehrerin beobachtete jede Bewegung, die sie machte. Maja kam das verdächtig vor und das schlechte Gefühl ließ sie den ganzen Vormittag nicht los.
    Nachdem sie auch Englisch und Erdkunde hinter sich gebracht hatte, die Schulglocke den von allen ersehnten Ferienbeginn ankündigte und ihre Mitschüler noch eiliger als sonst den Erdkunderaum verließen, blickte Maja ihnen nachdenklich hinterher. Sie hatte ein schlechtes Gefühl. Bestimmt würde Frau Selbich versuchen sie abzufangen. Vielleicht wollte sie ihr wieder seltsame Fragen stellen oder ihr ein extra-umfangreiches Ferienprojekt aufbrummen.
    Auch ihr Erdkundelehrer verließ den Raum und Maja blieb als einzige zurück. Sie befand sich im Erdgeschoss. Hinter dem Fenster wuchs die Hecke so hoch, dass der Raum düsterer wirkte als die anderen Fachräume. Kurz entschlossen öffnete Maja ein Fenster und kletterte hinaus. Irgendwer würde es schon wieder schließen. Im Schutz der Hecke schlich sie zum Waldrand hinter der Schule.
    Dort angekommen holte sie tief Luft und breitete erleichtert die Arme aus. Zwei Wochen Ferien lagen vor ihr – zwei Wochen in denen sie ausschlafen konnte und vor allem diesen täglichen Höllentrip nicht mehr durchstehen musste. Keine Mitschüler, kein Unterricht, kein Lernen.
    Sie schlenderte eine Weile den Waldpfad entlang, bevor sie sich auf den Weg nach Hause machte, doch ihre Mutter reagierte entspannt auf die Verspätung. Sie hatte einen süßen Griesauflauf mit Aprikosen gekocht – Majas Leibspeise und wirkte ebenso erleichtert über den Ferienbeginn wie alle Schüler.

    Am Nachmittag saß Maja auf der Fensterbank in ihrem Zimmer und beobachtete die Vögel im Pflaumenbaum, als Käse herein kam. In den Händen hielt er sein Schachbrett und auf dem Gesicht trug er ein pfiffiges Grinsen.
    „Auftrag ausgeführt“, sagte er stolz. „Es gibt zwei Reitställe in der Nähe, ich hab sie aufgeschrieben.“ Er wedelte mit einem Zettel vor ihrer Nase herum. „Der eine ist ganz in der Nähe von Minas Zuhause, ich weiß wo das ist. Spielst du mit mir Schach?“
    Maja kletterte von der Fensterbank und nahm Käse den Zettel aus der Hand. Reitstall Zur Alten Brücke, stand darauf und Pferdehof Kerring.
    „Der mit der Brücke ist der bei Mina. Annalena reitet dort“, erklärte Käse. „Der andere ist von der Reit-AG.“
    „Danke“, sagte Maja und legte den Zettel in ihr Regal.
    „Spielst du denn mit mir Schach?“
    „Von mir aus.“
    Ihr kleiner Bruder machte einen Luftsprung. „Ich bau das Spiel auf.“ Und er stürzte in Richtung Wohnzimmer davon. „Gib mir zwei Stunden!“ - Mit den Uhrzeiten hatte Käse es nicht ganz so.
    Maja steckte die Hände in die Hosentaschen und folgte ihm langsam. Das Schachspiel zwischen Käse und ihr war eine recht laienhafte Angelegenheit. Sie beide kannten die Grundregeln, aber abgesehen davon hatte ihr Spiel nicht besonders viel Raffinesse, keiner von ihnen machte sich über irgendwelche Taktiken Gedanken. Meistens gewann Maja, einfach weil sie älter war und ein wenig mehr Voraussicht besaß, aber oft schaffte Käse es, sie eiskalt zu erwischen. Oder sie spielten einfach ein Unentschieden.
    So wie heute. „Remis“, sagte Käse. „Papa hat gesagt, es heißt Remis.“
    „Noch eine Runde“, sagte Maja und begann, ihre Püppchen zusammenzusuchen.
    Das zweite Spiel verlief ziemlich zügig, denn Käse attackierte ohne Rücksicht auf Verluste Majas starke Figuren. Es dauerte nicht lange, bis nur noch die Hälfte der Spielfiguren auf dem Brett waren. Dann nur noch eine Handvoll. Maja erahnte bereits ein weiteres Unentschieden.
    „Sagst du mir, wo du warst?“, fragte Käse plötzlich, während er mit seinem Springer einen Bauern von ihr schlug. „Als du nicht da warst. Ich werde es auch nicht Mama und Papa sagen, ich weiß, dass du das nicht willst.“
    Maja antwortete nicht und schubste Käses Springer mit ihrer Dame vom Feld. Dass ihr Bruder jetzt auch danach fragte, war neu.
    „Ich weiß, warum du es niemandem sagst“, sagte Käse. „Du willst keinen Ärger. Aber du kriegst keinen Ärger, wenn du es mir sagst. Das verspreche ich.“ Er starrte einen Moment unschlüssig auf das Schachbrett. „Ich hab auch schon mal Sachen nicht gesagt, weil ich keinen Ärger bekommen wollte.“
    „Es geht hier nicht um schlechte Noten“, sagte Maja gereizt.
    „Ich weiß. Ich rede auch nicht von solchem Ärger und nicht von solchen Sachen. Ich rede von der Frau, die dich zurück gebracht hat. Du hast sie Tabea genannt. Ich hab von ihr geträumt.“
    Maja erinnerte sich, dass Käse schon am ersten Weihnachtstag davon gesprochen hatte. „Das hast du schon mal gesagt.“
    „Ich hab davon geträumt, dass sie dich zurück bringt. Aber das ist nicht alles. Einmal hab ich sie auch gesehen. In der Wirklichkeit.“ Maja sah auf und versuchte im Gesicht ihres Bruders ein Zeichen zu erkennen, dass er Unsinn redete. Aber er hatte sie noch nie so ernst angesehen. „Sie stand in deinem Zimmer. Sie hatte das Foto in der Hand, das Foto von Papas verschwundenem Bruder. Und sie hat geweint.“
    Maja vergaß zu atmen. „Tabea war hier?“
    „Ich hab ihr gesagt, dass ich von ihr geträumt habe, und dass sie dich zurück bringen würde, aber sie sagte, es stimmt nicht. Und dann hat sie gesagt, ich soll wieder ins Bett gehen. Aber am Ende hat sie dich doch zurück gebracht. Ich hatte Recht.“ Er lächelte flüchtig und wandte sich wieder dem Schachspiel zu. „Ich hab es niemandem gesagt, weil ich wusste, dass es Ärger gibt. Dass sie mehr Fragen stellen würden. Dass sie wieder die Polizei rufen würden. Dass sie Angst haben würden. Und dass sie mir vielleicht nicht glauben würden. Ich glaube, das ist der Ärger, vor dem du Angst hast.“
    „Teilweise“, sagte Maja. „Es ist kompliziert.“
    „War es schlimm, dort wo du warst?“, fragte Käse und sah dabei so besorgt aus, dass Maja nicht anders konnte, als aufzuspringen, um den Tisch herum zu gehen und ihn in die Arme zu schließen.
    „Es war nicht schlimm“, sagte Maja, obwohl es nur zum Teil die Wahrheit war. „Manchmal war es sogar schön. Aber ich wollte nicht da sein. Ich wollte hier sein, bei euch. Ich hab euch sehr vermisst.“
    „Ich hab dich auch vermisst. Und Mama und Papa haben so oft geweint.“
    „Ich weiß“, sagte Maja. „Und es tut mir so schrecklich Leid.“
    Käse streckte die Hand aus und versetzte seinen Turm auf dem Spielfeld. „Schach“, sagte er.
    „Das hättest du wohl gerne“, sagte Maja und schubste den Turm mit ihrem letzten Pferdchen vom Brett.
    „Oh“, sagte ihr kleiner Bruder.
    „Käse“, sagte Maja und entließ ihn endlich aus der Umarmung. „Du hast gesagt, Tabea war hier. Ist sonst noch etwas vorgefallen, während ich weg war?“
    „Da war ein schwarzes Auto“, sagte Käse. „Es stand wochenlang hier rum und die Polizei hat nichts dagegen getan. Ich glaube, die Leute in dem Auto haben uns beobachtet. Sie waren unheimlich. Und die Frau hatte ständig Blätter in den Haaren. Aber als diese Tabea hier aufgetaucht ist, sind sie verschwunden. Ich glaube, sie hat sie verscheucht.“
    Maja musste bei seinen Worten schwer schlucken. In dieser Nacht träumte sie wieder schlecht.

  • Hallo Kyelia ,

    es ist herzerwärmend zu sehen, dass sich noch jemand für die Geschichte interessiert und vorhat sie weiter zu verfolgen. Scheinbar habe ich noch nicht alle mit meiner Schreibblockade vergrault. Und dabei habe ich dieses Wochenende doch fast mein Vorhaben verpasst, jede Woche etwas zu posten - dabei war dieser Teil schon fertig. Das muss ich jetzt schnell nachholen.

    Natürlich bin ich hier wieder dabei ^^ (hoffentlich... weil aus meinem Leben ist das Forum ja zu weiten Teilen auch etwas ... gewichen. xD)

    Das Gefühl, beobachtet zu werden, verfolgte Maja auch außerhalb des Klassenzimmers. Noch zweimal endeckte sie die Frau im Haus gegenüber des Schulhofs am Fenster. Maja konnte nicht genau ausmachen, wohin ihr Blick ging, vielleicht betrachtete sie auch bloß das Treiben der Schüler. Aber sie sah zumindest grob in Majas Richtung.
    Und das war nicht alles ... als Maja mit ihrer Mutter am Donnerstagabend einkaufen ging, fiel ihr ein Mann mit zotteligen Haaren auf, der immer in ihrer Nähe zu bleiben schien und er hatte die Augen erstaunlich oft auf ihr ruhen.

    Ich könnte damit ja nicht so gelassen umgehen. Unheimlich das Gefühl zu haben. ständig beobachtet zu werden und es scheint ja auch nicht nur ein Gefühl zu sein. Wer sind die Leute? XD Menschen aus der Welt ohne Namen? Oder welche, die von der Existenz wissen? Vermutlich. Aber welche Seite präsentieren sie? Und Käse hat Tabea in Majas Zimmer gesehen. :hmm: Interessant. (Keine Ahnung, ob ich das schon hätte wissen müssen. Ich glaube, ich überfliege die restlichen Teile nochmal xD)

    Nun denn, nun sind Ferien und ich hoffe für Maja, dass sie etwas Zeit findet, um zu entspannen. Allerdings lässt das Ende des Parts nicht unbedingt darauf schließen :hmm: ;(

    Gruß

    Kye



    Wenn es ein Buch gibt, das du wirklich lesen willst, aber das noch nicht geschrieben wurde, dann musst du es selbst schreiben.
    - Toni Morrison -

  • Ein neuer Kurs

    „Ihr habt zwanzig Minuten Zeit. Viel Erfolg.“

    Jinna drehte ihr Blatt um und las die erste Frage ihres Geographie-Tests: Nenne die diesseits des Gebirges bekannten Weltentore und beschreibe ihre ungefähre Lage.

    Hjemas-Tor, schrieb Jinna. Es liegt im Dark Forest, im neunten Königreich. Die genaue Position kannte sie nicht, obwohl sie dort gewesen war. Durfte sie auch nicht kennen.

    Tor bei Kannitz, schrieb sie weiter. Es liegt im zehnten Königreich, nahe der Stadt Kannitz in den Bergen.

    Tor im Süden. In der Ruinenstadt Kô. Sie liegt im fünften Königreich, im Dschungel von Jortha. Das Tor wurde von Fürst Dreizehn zerstört. Kô war schon eine Ruinenstadt gewesen, bevor das Tor zerstört worden war. Jetzt gab es noch ein paar Ruinen mehr. Das Tor im Süden war für die Kamiraen nie besonders wichtig gewesen, weil es, im Gegensatz zu den anderen beiden, nur in eine Richtung funktionierte, nämlich von der anderen Welt in diese. Trotzdem war es für sie ein Schock gewesen, dass es überhaupt zerstört werden konnte und Dreizehns Leute waren auch nicht zimperlich gewesen. Sie hatten jeden einzelnen Menschen in Kô getötet.

    Jinna wandte sich der nächsten Frage zu: Nenne die Hauptstädte der zwölf Königreiche und ordne das jeweilige Reich zu.

    Darton, schrieb Jinna, 3. Königreich. Das war das Reich aus dem sie stammte. Gegos, 8. Königreich. Im achten Königreich befand sie sich jetzt. Thirga Lyona. 1. Königreich. Die Hauptstadt des ersten Königreichs war gleichsam der Sitz des Großkönigs und Hauptstadt der Vereinigten Königreiche. Sie kannte noch Fleret, Imlun und Mith, Hauptstädte des neunten, zehnten und elften Königreiches. Aber welches waren die anderen? Sie stützte den Kopf auf die Hände und versuchte, sich die Namen wieder in Erinnerung zu rufen.

    Zwanzig Minuten später trat sie ausgelaugt aus dem Klassenzimmer. Sie hatte das Gefühl, eine mittelprächtige Leistung erbracht zu haben. Nicht das, was sie sich erhofft hatte, aber immerhin war es keine komplette Katastrophe geworden. Sie hatte die Hauptstädte noch einigermaßen auf die Reihe gekriegt, aber ein paar Fragen später war sie daran gescheitert, fünf im Dschungel von Jortha heimische Tierarten zu benennen. Nur der Schattenotter war ihr eingefallen. Die wichtigsten Hafenstädte waren ihr auch bekannt, aber sie wusste nicht mehr, was das Haupt-Exportprodukt der Stadt Junos war.

    Sie hörte schnelle Schritte hinter sich, als Astrid zu ihr aufschloss. »Hätten sie uns auch sagen können, dass wir die Landkarte auswendig lernen sollen«, schnaubte sie. »Wofür müssen wir die ganzen Städte kennen?«

    »Keine Ahnung, aber es wird praktisch, wenn wir uns mal verlaufen.«

    »Warum sollte ich mich verlaufen?«

    »Oder vielleicht müssen wir auch irgendwann mal eine Reise planen«, schlug Jinna vor.

    »Glaube nicht, dass sie mich mal eine Reise planen lassen. Ich hätte Glück, wenn sie mich mitnehmen. Apropos Reise – dein Bruder ist doch jetzt unterwegs nach Thalln. Beneidenswert. Die haben es gut, die Jungs. Ich würde gerne mal hier raus.«

    »Du könntest auch Kriegerin werden, wenn du wolltest«, sagte Jinna. »Dann dürfest du irgendwann auf Reisen gehen.«

    Astrid zuckte mit den Schultern. »Will ich aber nicht. Keine Lust auf die ganzen blauen Flecken und bei meinem Glück würde ich irgendwann aufgeschlitzt im Straßengraben liegen. Außerdem: Du kannst mir sagen was du willst, aber für ein Mädchen ist es nicht so leicht bei den Kriegern. Ich hab ne Freundin da. Die prüfen dich dreimal so hart wie die Kerle und dumme Sprüche kannst du dir auch noch anhören.«

    »Immerhin gibt es hier Kriegerinnen. In dem Dorf, wo ich herkomme, hat man davon noch nicht einmal gehört. Da wurdest du als Mädchen schon schräg angeschaut, wenn du dich auf ein Pferd setzen wolltest.«

    »Welches Dorf war das noch mal?«, hakte Astrid nach?

    »Jakarestadt. An der nordöstlichen Spitze dieser Welt. Aber es ist ein ziemlich unbedeutender Ort. Ich sag es mal so: den Namen wirst du im Geographie-Unterricht nicht auswendig lernen müssen.«

    Astrid lachte. Sie bogen nach links ab und machten sich auf den Weg zum Abendessen.

    »Ich bin froh, dass ich dort weg bin«, sagte Jinna. »Selbst wenn ich den Rest meines Lebens hier in Miriam die Betten aufschüttle, ist das immer noch besser, als dort zu sein.«

    »Als wenn du hier ewig die Betten aufschütteln würdest. Ich habe noch in Erinnerung, wie du vor einem halben Jahr hier aufgekreuzt bist und nicht mal richtig lesen konntest. Schau dich jetzt an! Erinnerst du dich, wie Rana letzte Woche zu uns gesagt hat, wir sollen uns alle ein Beispiel an dir nehmen? Sie ist so fleißig, macht alle ihre Aufgaben und brilliert auch noch im Unterricht! Schneidet euch alle eine Scheibe davon ab.«

    »Na, in dem Geographie-Test habe ich sicher nicht brilliert«, sagte Jinna.

    Astrid gab ein kurzes Schnauben von sich. »Wer würde das auch erwarten? Du bist doch erst nachträglich in den Kurs gekommen. Und den Test hast du wahrscheinlich trotzdem besser gelöst als ich. So fleißig wie du immer bist. Manchmal ist es fast ein bisschen unsympathisch.«

    Jinna blieb stehen und sah ihr ernst in die Augen. »Ich möchte nicht, dass du mich so empfindest«, sagte sie.

    »Ach, war nicht so ernst gemeint, mach dir keine Sorgen«, sagte Astrid und wollte weiter gehen, doch Jinna hielt sie am Arm fest.

    »Als ich noch in Jakarestadt gelebt habe«, begann sie, »war meine Zukunft ziemlich festgeschrieben. Ich hätte irgendeinen Kerl aus dem Dorf geheiratet, Kinder bekommen und mein Leben lang hinter dem Herd gestanden.«

    »Ach, das kann man nie wissen-«, begann Astrid, doch Jinna ließ sie nicht ausreden.

    »Es war alles, was ich mir damals vorstellen konnte. Ich habe darüber nachgedacht, wegzugehen, aber ich hatte nie eine Idee, wie ich das in die Tat umsetzen sollte. Dazu kommt übrigens noch, dass mich wegen meiner roten Haare alle für eine Hexe hielten. Wer hätte mich heiraten wollen? Ich hätte vermutlich den letzten Idioten nehmen müssen. Ich konnte nicht schreiben, nicht lesen und von der großen Welt hörte ich nur von den Barden, die selten durch unser Dorf zogen und Geschichten erzählten und von meiner Mama, die tatsächlich auch einige kannte. Jetzt bin ich hier. Ich kann lesen und schreiben und da oben ist eine ganze Bücherei, in der das Wissen dieser Welt aufgehoben wird.« Sie zeigte vage über die Schulter. »Täglich treffen Gesandte aus anderen Städten ein mit ihren fremdartigen Kleidern und Geschichten. Ich habe hier eine Arbeit und wenn das Hauptquartier abfackeln würde, würden sie einfach ein neues bauen.«

    »Häh?«, fragte Astrid bloß verwirrt.

    »Frag nicht. Zwei der Höfe, auf denen ich gearbeitet habe, sind abgebrannt. Jedenfalls werde ich niemals heiraten müssen, wenn ich das nicht möchte. Mehr noch, wenn ich meine Ausbildung hier ordentlich abschließe, könnte ich in jeder Stadt dieser Welt eine Stelle bekommen. Ich bin endlich frei, so frei wie ich es mir nie erträumt habe. Kannst du verstehen, warum ich so fleißig bin?«

    Astrid nickte. »Ich bin also nicht die einzige, die mehr von der Welt sehen möchte«, sagte sie. »Aber weder musst du dir dafür eine neue Stelle suchen noch muss ich zur Kriegerin werden. Sie lassen nicht nur Krieger außerhalb Miriams Aufträge erledigen. Auch andere Libellen dürfen manchmal die Kamiraen oder andere Gesandte begleiten. Hey, wir könnten sogar zu eben diesen Gesandten werden.«

    »Hast du nicht eben noch gesagt, du hättest Glück, wenn sie dich auf eine Reise mitnehmen würden? Und jetzt willst du eine anführen?«

    Astrid machte eine wegwerfende Handbewegung. »Vergiss, was ich gesagt habe. Dein Ehrgeiz hat mich wohl ein bisschen angesteckt. Hey, wir könnten mal zusammen lernen.«

    »Gerne«, sagte Jinna. »Aber erst mal essen.« Sie hatten die Speisehalle erreicht, nahmen sich ein Tablett vom Stapel und stellten sich am Buffet an. Jinna blickte über die Köpfe der Speisenden und entdeckte bald ein paar vertraute Gesichter. Sie winkte ihnen zu und streckte zwei Finger in die Luft. Die Antwort war ein ausgestreckter Daumen – es waren noch Plätze frei. Zufrieden schaufelte sie sich Kartoffel-Spinat-Gratin und Tomatensalat auf ihren Teller. Das hier war ein Leben, das sie sich nie gewünscht hatte – weil es besser war als alles, was sie sich hätte vorstellen können.

  • Jinna findet nun also auch ihren Weg und ihren Platz in Miriam. Das freut mich zu lesen. ^^

    Karim und sie scheinen tatsächlich aktuell deutlich besser zurecht zu kommen als Maja. :D

    Und Jinna, mach dir nichts draus. In Geographie war ich auch immer eine absolute Katastrophe. Die Namen von Städten oder Orten nicht zu kennen, tut dem Orientierungssinn aber keinen Abbruch. Man kann sich die Karte immerhin anschauen :rofl:

    Bin ja gespannt, wohin ihre Wege nun führen werden :hmm:



    Wenn es ein Buch gibt, das du wirklich lesen willst, aber das noch nicht geschrieben wurde, dann musst du es selbst schreiben.
    - Toni Morrison -

  • Also da habe ich wohl mein Vorhaben, wöchentlich zu posten, nicht einhalten können. Es war viel los und Stress und so, aber jetzt geht es weiter. Danke für deine inspirierenden Worte, Kyelia . schön zu lesen, was andere sich für Gedanken über die Geschichte machen.

    Hier kommt also jetzt das Ende des aktuellen Kapitels:

    An diesem Tag begannen Jinnas und Astrids Zukunftspläne auf merkwürdige Art zu verschmelzen. Sie trafen sich mehrmals die Woche, um zu lernen und zu träumen. Astrid hatte sich schon immer gewünscht die Welt zu sehen, aber vor ihrem Gespräch mit Jinna nie eine Chance dafür gesehen. Jinna war unendlich glücklich über ihre neugewonnene Freiheit, aber Astrid hatte in ihr den Wunsch erweckt, noch eins draufzusetzen.
    Gegenseitig stachelten sie sich zu Höchstleistungen an. Den Geographie-Test hatten sie beide in den Sand gesetzt, aber sie nahmen sich fest vor, dass es der letzte sein sollte. Astrid fielen die Aufgaben natürlich etwas leichter als Jinna. Sie kam aus gutem Haus, hatte mit sechs Jahren schreiben und lesen gelernt und mit zehn Jahren angefangen, im Hauptquartier zu arbeiten. Sie hatte einfach mehr Vorwissen als Jinna. Wenn sie etwas lesen mussten, konnte sie auch längere Texte ohne Schwierigkeiten verstehen. Jinna hatte zwar ein außergewöhnliches Talent für das Lesen, allerdings erst ein halbes Jahr Übung. Zum Glück half Astrid ihr wo sie konnte.

    Noch relativ früh in ihrem neuen Bündnis, machte Astrid Jinna auf etwas aufmerksam: »Anya Takada macht einen neuen Kurs«, erzählte sie, während sie Körbe voller Bettlaken in die Wäscherei trugen. »Deshalb sind alle so aufgedreht.«
    Jinna hatte schon gemerkt, dass eine ungewöhnliche Unruhe unter den jungen Libellen herrschte, war aber noch nicht dahinter gekommen, was los war. »Wer ist Anya Takada?«, fragte sie verwundert.
    Astrid lachte. »Wenn du etwas länger hier wärst, müsstest du nicht fragen«, sagte sie. »Sie hat vor zwei Jahren einen Kurs angeboten und davor auch schon mal. Sie nimmt nur die Besten, aber keine Krieger. Und es heißt, wer ihren Kurs besucht hat gute Chancen aufzusteigen.«
    »Und was lernt man dort?«, fragte Jinna.
    »Keine Ahnung«, stieß Astrid hervor. »Das hat noch niemand verraten.«
    »Also ich wäre ja dabei«, sagte Jinna. »Aber wenn sie nur die Besten nimmt ... ich glaube nicht, dass ich schon so weit bin.«
    »Wir könnten es immerhin versuchen«, meinte Astrid. »Wir brauchen ein Empfehlungsschreiben eines Lehrers oder Vorgesetzten.«
    »Tja«, sagte Jinna. »Auf zu Rana.«

    »Ich weiß nicht so recht«, sagte Rana und strich nachdenklich über den Einband des großen Notizbuches, das vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Hinter ihr konnte man durch das Fenster die Mittagssonne über dem Gerichtsgebäude sehen. Rechts neben dem Schreibtisch knisterte ein Feuer im Kamin, denn es war ein ungewöhnlich kalter Tag. »Grundsätzlich kann ich mir euch beide schon bei Madam Takada vorstellen, bloß noch nicht jetzt. Astrid, du kommst aus gutem Haus, bist schon ein paar Jahre im Hauptquartier und machst deine Arbeit stets gewissenhaft. Intelligent bist du auch und ich habe gehört, dass sich deine Leistung in den letzten Wochen sehr verbessert hat. Als herausragend möchte ich sie dennoch nicht bezeichnen. Jinna, du bist zwar außergewöhnlich ehrgeizig, fleißig und talentiert, aber erst seit einem halben Jahr eine Libelle. Du hast viel nachzuholen. Außerdem kommst du aus einem kleinen Dorf und hast sicher jetzt schon viel zu tun, dich an die Sitten und Gebräuche in einer großen Stadt wie Miriam anzupassen. Madam Takada erwartet von ihren Schülerinnen, dass sie die Manieren der gehobeneren Gesellschaft vorweisen oder zumindest schnell begreifen.«
    Jinna versuchte zu verstehen. Lehnte man sie ab, weil sie aus einem Dorf kam? Hielt man sie für jemanden, der kein Benehmen hatte? »Meine Mutter ist die Spinnenweberin Alma Feyes«, sagte sie. »Sie ist früher in vielen guten Häusern ein- und ausgegangen. Mit Sicherheit wird sie mir beibringen, wie man sich in solcher Gesellschaft verhält – falls ich da etwas nachzuholen habe.«
    Rana ging nicht auf ihren Einwand ein. »Außerdem erinnere ich mich, dass ihr beide in euren Geographie-Tests nicht gerade geglänzt habt. Gerade solches Wissen wird aber bei dem Kurs vorausgesetzt.«
    »Aber ich bin erst verspätet bei Geographie dazugekommen«, widersprach Jinna.
    »Und mir ging es nicht gut an dem Tag«, erzählte Astrid.
    Rana sah sie streng an. »Euch muss klar sein, dass Ausreden euch nicht weiterbringen werden. Jinna, du hattest die Aufgabe, die verpassten Themen nachzuholen. Und Astrid, wenn es dir nicht gut geht, musst du das im Voraus sagen, nicht drei Wochen später.«
    Jinna und Astrid wechselten einen enttäuschten Blick.
    »Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ihr in ein oder zwei Jahren für den Kurs bereit sein werdet«, sagte Rana etwas sanfter. »Bloß noch nicht jetzt.«
    »Aber es ist nicht sicher, ob Madam Takada diesen Kurs später überhaupt noch einmal anbieten wird«, sagte Astrid. »Und wenn Ihr sagt dass Ihr Euch grundsätzlich vorstellen könnt, dass wir den Kurs machen, warum dann nicht jetzt? Jinna hier hat in einem halben Jahr so viel gelernt, wie andere in drei. Wenn wir uns wirklich anstrengen würden, könnten wir es bestimmt schaffen.«
    Rana strich sich über das Kinn. Man konnte ihr ansehen, dass es ihr leid tat, die beiden Mädchen abzuweisen. »Nun gut«, sagte sie schließlich. »Eine uneingeschränkte Empfehlung kann ich euch nicht geben, aber vielleicht eine eingeschränkte. Wenn es wenige andere Bewerber gibt, könnte es reichen.«