Eine Welt ohne Namen - Das 3. Tor

Es gibt 139 Antworten in diesem Thema, welches 25.034 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (7. September 2024 um 09:30) ist von Dinteyra.

  • Dinteyra tatsächlich hatte ich eigentlich an alle Zeile gedacht, damit ich richtig wieder drin bin und alles auf dem Schirm habe uns vernünftig mit viel Hintergrund Infos arbeiten und kommentieren kann. Vielleicht hilft dir das dann ja auch in die Geschichte wieder rein zu kommen und motiviert dich zum weiter schreiben. Wenn du diese Geschichte wirklich abbrechen solltest würde ich es halt total schade finden weil hier ja auch schon ungefähr viel Arbeit und auch wirklich viel Fantasie drin steckt und ich die Geschichte wirklich immer sehr gerne gelesen habe und mich immer super in die Figuren einfühlen konnte.... Wie gesagt dauer es aber noch nen bisschen bis ich hier zur Geschichte richtig kommentiere aber ich gebe mir Mühe das dass nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt, versprochen!


    xoxo

    Kisa

  • Kisa ,

    dann halte mich gerne auf dem Laufenden, wo du so bist. Ich meinte übrigens gar nicht, dass ich hier abbrechen will. Es geht eher darum, dass ich in den letzten Jahren einfach nicht mehr so zum Schreiben komme. Dann klappt es mal ein paar Wochen und anschließend monatelang gar nicht. Deshalb möchte ich hier nichts versprechen, was ich nicht halten kann. Gerade bin ich aber sehr motiviert und habe auch wieder angefangen, die Geschichte weiter zu spinnen, über das hinaus, was ich mir schon ausgedacht hatte. Es macht Spaß und tut gut. Und die nächsten paar Kapitel sind sowieso schon länger fertig, müssen aber weiter überarbeitet werden.

    LG Din


    Er folgte Keon durch den Wald von Ilwera, durch das Tal der Seelen und am Fluss Teljorok entlang. Immer geduldig auf eine Gelegenheit wartend. Auf den Moment, zuzuschlagen.
    Eines Abends hielt Keon an einer kleinen Bucht am Flussufer. Er entzündete ein Feuer, briet ein paar Maiskolben und Nunas und unterhielt sich leise mit Sariphas. Sie sprachen über Gut und Böse, über Recht und Unrecht, über Licht und Finsternis – wie es Feen nunmal gerne tun.
    Ela-Olin stand unter einer Weide und beobachtete sie, bis er im letzten Licht des Tages etwas anderes sah: Einige hundert Meter entfernt, über den Wipfeln der Bäume, stieg Rauch auf.
    Hinterhältigen Gedanken folgend machte er sich sofort auf den Weg dorthin und gelangte schließlich auf eine Lichtung. Eine Gruppe Menschen saß dort am Feuer, sprach mit leisen Stimmen, unterbrochen von manch verhaltenem Lachen. Ihren Gesichtern sah man den tiefen Kummer an, der ihre Seelen überschattete und der Hunger stand in ihren Augen. Es waren dürre, unterernährte Gestalten, besonders die Kinder. Ela-Olin sah seine Chance und trat aus dem Schatten der Bäume heraus.
    Die Leute blickten erschrocken auf – Angst in den Gesichtern. Ein paar standen abwehrbereit auf.
    ‚Ich bin nur ein armer Wanderer’, rief Ela-Olin mit erhoben Händen. ‚Bitte helft mir. Ich bin so hungrig. Bitte, ich flehe euch an: gebt mir zu essen.’
    ‚Wir haben selbst nichts’, sagten die Leute am Feuer.
    Ela-Olin sank auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. Er begann, mit hoher Stimme zu jammern und eine wirre Geschichte zu erzählen. Von Räubern, die ihm alles genommen hatten, außer der Kleidung, die er am Leib trug. Von seinen Kindern, die vor seinen Augen getötet wurden. Von seiner Frau, die verschleppt worden war. Und von dem Essen, das er bei sich getragen hatte, und das er eigentlich den Armen und Bedürftigen hatte geben wollen.
    Es war eine Show, aber es war eine gute Show. Vielleicht ein wenig übertrieben, doch die Menschen am Feuer waren selbst erst vor kurzem ausgeraubt worden und ihre Wut war schnell entfacht. Sie beschimpften Ela-Olins Peiniger und verfluchten den Krieg.
    ‚Einer von ihnen ist noch in der Nähe’, sagte Ela-Olin schließlich. ‚Er hat sich von den anderen getrennt, weil er in der Ferne einen Hof gesehen hat und seine Grausamkeiten dort fortsetzen will.’
    Die Leute am Feuer verfluchten diesen einen und drückten ihre Besorgnis aus. ‚Sollte man die Bewohner des Hofes nicht warnen?’, fragten sie.
    ‚Wir stoppen den Kerl!’, rief plötzlich einer von ihnen. ‚Er wird bereuen, was er getan hat.’
    Viele stimmten ihm zu und prompt standen sechs wütende Männer und drei Frauen auf, um es in die Tat umzusetzen.
    Keon saß nichts ahnend am Feuer. Doch als er in der Ferne die Menschen auf sich zukommen sah, beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Sie trugen eine Spannung mit sich, die nichts Gutes verheißen konnte.
    Er stand langsam auf und trat ihnen entgegen. Die leeren Handflächen streckte er nach vorne aus und mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht versuchte er, seinen guten Willen zu signalisieren.
    Doch die Gruppe wurde nicht langsamer, sie schien eher noch an Geschwindigkeit zuzunehmen, als sie ihn sah, und die Menschen fingen wütend an zu brüllen. Sie beschimpfen ihn als Mörder, als Räuber und Plünderer. Als Kinderschlächter.
    Keon wusste nicht, wie er reagieren sollte. Hier lag offensichtlich eine Verwechslung vor.
    ‚Ich bin nicht der, den ihr sucht!’, rief er, doch gegen das Geschrei der Gruppe kam er nicht an.
    Er zog sein Schwert, doch auch das vermochte nicht, sie auszubremsen.
    Er betrachtete ihre Waffen. Sie trugen Messer und Schwerter, sahen allerdings nicht so aus, als wären sie in ihrem Gebrauch geübt. Doch sie waren zu neunt und zu allem bereit, während er sie lieber nicht verletzen wollte. Nein, zu zehnt. Keon erstarrte, als er die Schattengestalt im Hintergrund erkannte. Es war Ela-Olin. Mit einem Schlag wurde ihm klar, was hier vor sich ging.
    ‚Ich habe dich vor ihm gewarnt’, sagte Sariphas mit piepsiger Stimme. Der Feenmann war hervorgekommen und schwirrte neben Keons Ohr auf der Stelle.
    Und was der Anblick von Keons Waffe nicht vermocht hatte, das vermochte der Anblick dieses zarten Geschöpfes. Die Gruppe blieb auf einen Schlag stehen und ihr Geschrei verstummte.
    ‚Was ist los?’, zischte Ela-Olin, ‚warum tötet ihr ihn nicht?’
    ‚Das ist eine Fee’, sagte einer der Männer.
    Ela-Olin musste ihm zustimmen. ‚Na und?’
    ‚Eine Fee würde niemals einen Räuber und Mörder begleiten’, erklärte einer der Männer.
    ‚Er war auch nicht bei den Räubern, die uns überfallen haben’, sagte eine der Frauen. ‚Sein Gesicht kommt mir unbekannt vor. Ist das wirklich der Mann, der dich überfallen hat?’, fragte sie Ela-Olin.
    Ela-Olin wusste, dass sie ihm nicht glauben würden, wenn er ja sagte. ‚Ich bin mir nicht sicher’, sagte er deshalb.
    Die Männer und Frauen steckten ihre Waffen weg und auch Keon senkte sein Schwert.
    ‚Verzeiht, Wanderer’, sagten sie. ‚Wir hatten dich für Teil einer schlimmen Räuberbande gehalten. Aber dank der Fee in deiner Begleitung wissen wir, dass du ein reines Herz hast. Wenn du möchtest, so verbringe doch die Nacht mit uns. Wir haben zwar nichts zu Essen, aber wir haben Wasser und den Schutz einer großen Gruppe.’
    Keon lehnte dankend ab. Dann sah er Ela-Olin an. In den Augen des unheimlichen Fremden erkannte er Hass und Mordgier. Keon hatte den Eindruck, dass er sie alle am liebsten vernichtet hätte.
    Doch Ela-Olin tat nichts davon. Er kehrte ihnen bloß den Rücken zu und verschwand im Wald.
    Keon wartete, bis auch die anderen Leute seinen Lagerplatz verlassen hatten, dann packte er seine Sachen und machte sich wieder auf den Weg. Er wollte die Nacht nicht mehr hier verbringen. Nun war er gewarnt. Er wusste, dass Ela-Olin ihm Schaden zufügen wollte.
    Der übrige Teil der Reise verlief recht ruhig. Ela-Olin versuchte noch das eine oder andere Mal mit Arg und Tücke Keon um sein Leben zu bringen, doch er und Sariphas gingen den Anschlägen vorsichtig aus dem Weg und meisterten jede Gefahr. Schließlich erreichten sie Chrarimato. Ihr Hilferuf wurde erhört und die Stadt sandte eine große Armee aus um Talingo von den Belagerern zu befreien.
    Ela-Olin stand auf einer Anhöhe vor der Stadt. Bis hierher war er Keon gefolgt. Als er nun die Armee sah, die sich vor den Toren Chrarimatos versammelte, wurde er wütend. Das Keon ihm so lange entkommen war und nun die Hilfe bekommen sollte, die er suchte, dass Talingo nicht untergehen sondern gerettet werden sollte ... all das erfüllte ihn mit grenzenlosem Zorn. Und er ging und bat die Nachthexe von Pal um Hilfe.“
    „Oh, die Hexe von Pal“, rief Merin plötzlich aus. „Von der hab ich gehört. Sie war die mächtigste Hexe aller Zeiten. Angeblich konnte sie - “
    „Sie konnte alles“, unterbrach Elzo ihn. „Was sie wünschte, das ging in Erfüllung. Und sie war eine sehr alte Freundin von Ela-Olin. Sie erfüllte ihm gerne seinen Wunsch.“
    „Welchen Wunsch?“, fragte Jonah. „Was hat er sich gewünscht?“
    „Er wünschte sich, dass die Armee von Chrarimato niemals Talingo erreichen würde. Und die Nachthexe von Pal verneigte sich vor ihm, spuckte auf den Boden und begann, in ihrer eigenen alten Sprache zu singen. Und sie riss diese Welt auseinander. Genau in der Mitte zwischen Chrarimato und Talingo stampfte sie ein Gebirge aus der Erde, dass sich durch die ganze Welt zog. Und nie wieder sollte es jemandem aus einer der Städte gelingen, die andere Stadt zu erreichen. Und der Glutkönig verwandelte Talingo in einen Berg aus Asche.
    In dem Moment, als das Gebirge entstand, wurde das Gleichgewicht dieser Welt so sehr erschüttert, dass Sariphas und mit ihm die Hälfte seiner Artgenossen starben. Feen sind zarte, empfindsame Wesen. Einer solchen Erschütterung hatten sie nichts entgegenzusetzen.
    Keon weinte bitterlich um seinen treuen Freund und begrub ihn unter einem Magnolienbaum. Er bemerkte, dass er beobachtet wurde. Auf einem Hügel stand Ela-Olin und sah ihm schweigend zu.
    Nachdem die Beerdigung vollendet war, ging Keon zu ihm.
    ‚Das hier ist Euer Werk’, sagte er. ‚Ihr habt Sariphas getötet und Talingo ins Verderben gestürzt.’
    ‚Ich gebe es zu und es erfüllt mich mit Freude. Nur Euch konnte ich nicht vernichten. Was werdet Ihr jetzt tun?’, fragte Ela-Olin.
    ‚Sariphas ist tot – von nun an soll die Einsamkeit mein Begleiter sein. Ich werde mir einen ruhigen Ort suchen und dort mein Leben verbringen. Ich werde um meinen Freund und meine Stadt trauern.’
    ‚Dann trennen sich unsere Wege hier vorerst’, sagte Ela-Olin. ‚Es war mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen. Und ich freue mich schon auf unser nächstes Treffen.’
    ‚Dazu wird es nicht kommen. Ich will Euch niemals wieder sehen.’
    ‚Oh, ich fürchte, das wird sich nicht vermeiden lassen.‘
    ‚Warum?‘
    ‚Ich bin Ela-Olin. Ich bin der Tod. Und niemand entkommt dem Tod.’“
    Die letzten Worte sprach Elzo mit einer rauen, unheilvollen Stimme, die es schaffte, sie alle erschaudern zu lassen. Dann schwieg er und sie alle starrten ins Feuer.
    „Das Ende ist unheimlich“, sagte Merin schließlich.
    Idela zuckte mit den Schultern. „Ein bisschen aus dem Zusammenhang gerissen“, murrte sie. „Und ich hätte gerne mehr über Keons Reise gehört.“
    „So geht eben die Geschichte“, knurrte Elzo. „Genau so ist sie mir selbst vor vielen Jahren von einem guten Freund erzählt worden.“
    „Ela-Olin war also der Tod?“, sagte Karim.
    Elzo nickte. „So sagt man. Ela-Olin. Der Name des Todes in seiner menschlichen Gestalt.“
    „Glaubt ihr, er läuft wirklich irgendwo herum?“, fragte Karim.
    „Natürlich nicht“, schnaubte Idela, „es ist eine Geschichte. Das Große Gebirge wurde auch nicht von einer Hexe erschaffen.“
    „Sicher?“, fragte Jonah. „Ich habe schon von der Nachthexe gehört.“
    „Ganz sicher. Gebirge entstehen in einem Zeitraum von Milliarden von Jahren durch Verschiebungen des Untergrundes. Nicht indem eine alte Frau auf den Boden spuckt. Das Große Gebirge gibt es schon länger als die Menschheit.“
    „Könntet ihr aufhören, meine Geschichte zu verderben?“, fragte Elzo. „Ich hatte eigentlich gehofft, dass ihr euch gruselt, nicht dass ihr euch zankt.“ Doch er sah nicht allzu verärgert aus, tatsächlich schmunzelte er.
    „Wir zanken ja gar nicht“, murmelte Jonah.
    Merin spießte ein Stück Brot auf einen Ast und hielt es über das Feuer. „In dieser Welt gibt es viele Dinge“, sagte er. „Und wer weiß. Vielleicht wandelt auch irgendwo der Tod unter uns.“

  • dann halte mich gerne auf dem Laufenden, wo du so bist. Ich meinte übrigens gar nicht, dass ich hier abbrechen will. Es geht eher darum, dass ich in den letzten Jahren einfach nicht mehr so zum Schreiben komme. Dann klappt es mal ein paar Wochen und anschließend monatelang gar nicht. Deshalb möchte ich hier nichts versprechen, was ich nicht halten kann. Gerade bin ich aber sehr motiviert und habe auch wieder angefangen, die Geschichte weiter zu spinnen, über das hinaus, was ich mir schon ausgedacht hatte. Es macht Spaß und tut gut. Und die nächsten paar Kapitel sind sowieso schon länger fertig, müssen aber weiter überarbeitet werden.

    Na, dann umso besser, wenn du nicht daran denkst die Geschichte abzubrechen :)
    Ja, das zeitproblem zum schreiben kenne ich auch und mir geht es da ganz genauso wie dir. Meistens komme ich in meinem Urlaub immer super zum Schreiben aber zwischendrin.... naja eher mäßig.
    Ich selbst bin gerade dabei meine eine Geschichte zu überarbeiten, komme da aber zeitlich tatsächlich auch nicht so hin, wie ich es gerne hätte und habe tatsächlich nebenbei noch ein neues Projekt angefangen, was aber noch in den Kinderschuhen steckt und noch nicht viel inhalt hat, aber an dem ich derzeit tatsächlich auch mehr Lust habe zu schreiben.
    Ich werde dich auf allen Fälle auf dem Laufenden halten :D

    xoxo
    Kisa

  • So, dann geht es hier mal wieder mit meinem Lieblingstrio weiter. Falls ich hier Blödsinn über Bolivien schreibe, weist mich gerne darauf hin. Ich habe zwar etwas recherchiert, war aber noch nie dort. ;)


    Weltreise


    Die Autofahrt zum nächsten Flughafen erledigte Kandrajimo beinahe und da sich niemand vorstellen konnte, dass er in dem Zustand einen Interkontinentalflug überstehen würde, geschweige denn ins Flugzeug gelassen werden würde, blieben sie noch ein paar Tage in einem Hotel in der Stadt. Das gab Jonathan Niber auch noch ein wenig Zeit, sich an diese Welt und den Gedanken des bevorstehenden Fluges zu gewöhnen. Während Kandrajimo den ganzen Tag im Bett blieb und sich erholte, schleifte Tabea Jonathan in die Stadt und brachte ihm bei, sich wie ein normaler Mensch zu benehmen. Sie war damit tatsächlich erfolgreich, auch wenn es noch seine Zeit brauchen würde, bis das Chaos einer Großstadt ihm keine Angst mehr einjagen würde.
    Abends saß Tabea mit einem nagelneuen Laptop auf ihrem Bett und durchsuchte das Internet nach Informationen über den Standort des Tores. Kandrajimo beobachtete sie dabei stumm. Das Internet war eines der wenigen Dinge in dieser Welt, mit dem er so wenig anfangen konnte, wie Jonathan Niber mit Telefonen. Tabea hatte zunächst Informationen zu Bolivien gesucht und dann versucht, das Gebiet, in dem sich das Tor befand, ein wenig einzugrenzen. Es handelte sich um einen sehr abgeschiedenen Teil Boliviens, mitten im tropischen Regenwald. Das wunderte weder Tabea noch Kandrajimo, denn wäre das Tor an einem bevölkerten Ort gewesen, hätte man es bereits entdeckt. Tabea grenzte mithilfe von MacLyarks Tagebüchern die Position etwas ein und suchte dann nach Legenden, die möglicherweise das Tor erwähnten. Ohne Erfolg, sie würden es in Bolivien noch einmal versuchen, indem sie die Einheimischen nach Geschichten und Gerüchten fragten. Dann installierte sie ein Programm, mit dem sie die Landschaft von oben betrachten konnte, wie ein Vogel. Kandrajimo war fasziniert davon. Gemeinsam mit ihr suchte er das Gebiet mit den Augen ab, aber auch damit hatte sie keinen Erfolg. Sie sahen nichts als Bäume und besonders scharf war das Bild auch nicht.
    „Du kannst mir nicht zufällig irgendwelche Spionage-Software besorgen?“, fragte sie Kandrajimo schließlich. „Irgendwas, mit dem man Zugriff auf Satelliten hat?“
    „Frag mal in Norwegen nach“, meinte Kandrajimo. „Aber ich sehe deine Chancen als nicht so groß an, die meisten Länder mit Spionagesatelliten wissen nichts von unserer Welt und haben somit auch nur wenig Kontakt mit uns.“
    „Warum nicht?“, fragte Tabea.
    „Zu paranoid. Außerdem würden die die Wahrheit doch gar nicht verkraften.“


    Kandrajimo schmerzte noch immer jede Bewegung. Trotzdem quälte er sich am Abend des zweiten Tages aus dem Bett und sagte Tabea, sie solle einen Flug buchen. Beim Gedanken an das Fliegen war ihm eigentlich nicht besonders wohl. Er war noch nie mit einem Flugzeug geflogen und der Gedanke behagte ihm nicht. Halbdrachen – jederzeit, aber Flugzeuge? Maschinen? Doch an eine Verschiebung wagte er in seinem Zustand nicht einmal zu denken. Und sie mussten endlich los. Wie lange war es her, dass Maja aufgebrochen war? Er zählte nach, es waren jetzt über zwei Wochen. Und seitdem hatten sie nichts von ihr gehört. Nichts.
    Wäre Kandrajimo ehrlich zu sich selbst gewesen, hätte er sich eingestanden, dass sie keine Chance hatten, Maja wieder zu finden. Das Mädchen war auf sich allein gestellt. Aber Kandrajimo wollte sich das nicht eingestehen und er wollte alles geben, um Maja zu retten. Tabea war da schon nüchterner eingestellt. Sie hielt sich aber zurück und sagte nicht, was sie dachte. Stattdessen arbeitete sie konzentriert daran, die kleine Chance, die sie hatten, zu nutzen. Jonathan Niber hielt mit seiner Meinung dagegen nicht hinterm Berg. Für ihn war die Suche nach Maja vergebens, es ging ihm nur um das Auffinden eines neuen Weltentores.
    Tabea buchte einen zeitnahen, jedoch fürchterlich teuren und sehr langen Flug nach Bolivien und sie brachen früh am Morgen auf.
    Sie alle drei trugen Schwerter bei sich und es war nicht ganz unproblematisch, sie durch die Gepäckkontrolle zu bekommen, aber mit einer Kombination aus Zauberkreide und den Amuletten der Kamiraen gelang es.
    In der Wartehalle klebte Jonathan Niber geradezu an der Fensterscheibe und sah den Flugzeugen beim Starten und Landen zu. Er war beinahe wie ein kleines Kind.
    „Hat er das beim letzten Mal auch gemacht?“, fragte Kandrajimo Tabea.
    „Nein, da saß er herum wie ein paralysiertes Eichhörnchen.“
    „Scheint langsam aufzutauen, der Gute.“
    Tabea lachte, ohne von ihrer Strickarbeit aufzusehen. Ja genau. Tabea strickte. Sie hatte sich außerdem das Haar zu einem Knoten gebunden sowie einen weiten, grauen Rock und eine beigefarbene Jacke überzogen. Es war kaum zu glauben, was diese Kleidung aus ihr machte. Plötzlich sah sie so alt aus. Tabea hatte ein altersloses Gesicht, aber von ihrem Wesen und ihrer Dynamik her hatte sie immer so jung auf Kandrajimo gewirkt. Und jetzt sah sie wie eine alte Oma aus, wenn auch nicht annähernd so alt, wie sie wirklich war. Kandrajimo betrachtete sie. Sie war ein seltsamer Mensch. Und sie konnte sich wirklich gut tarnen.
    Er kaufte sich eine Zeitung, vergrub die Nase darin und versuchte, den absolut unscheinbaren Normalbürger zu mimen.
    „Welche Sprache spricht man eigentlich in Bolivien?“, fragte er irgendwann. „Bolivianisch? Bolivisch?“
    „Spanisch“, antwortete Tabea. „Unter anderem.“
    „Oh. Und, sprichst du Spanisch?“
    „Ja.“
    Warum fragte er überhaupt. Tabea sprach viele Sprachen. In all den Jahren, die sie lebte, hatte sie viel Zeit gehabt, sie zu lernen.
    Ihr Flug hatte Verspätung und Kandrajimo nickte auf seinem Sitz ein. Dann, zwei Stunden nach Plan, ging es endlich los. Der Start tat ihm gar nicht gut, er verkrampfte sich und bekam stechende Schmerzen im Kopf und in der Brust. Doch als sie erst einmal in der Luft waren ging es ihm wieder besser und er nutzte den fast 20-stündigen Flug (Tabea hatte einfach keinen schnelleren bekommen können), um sich zu erholen. Zwei Mal mussten sie den Flieger wechseln, dann kamen sie endlich an.
    Als sie aus dem Flughafen traten, stand bereits ein Auto für sie bereit. Tabea hatte offenbar an alles gedacht. Es war ein altes, etwas rostiges und gut für das Gelände geeignetes Auto. Mehr konnte Kandrajimo nicht darüber sagen, er hatte keine Ahnung von Automarken. Na ja, er konnte noch sagen, dass es grün war.
    Es war recht kühl und Kandrajimo war leicht schwindelig. Er lehnte sich gegen das Auto. Tabea beobachtete ihn, offensichtlich besorgt.
    „Geht es?“, fragte sie.
    „Mhm. Kann es sein, dass die Luft hier komisch ist?“
    „Möglich. Wir sind in 4100 Metern Höhe. Das hier ist der höchstgelegene internationale Flughafen der Welt.“
    „Aha“, nuschelte Kandrajimo. Er hatte das Bedürfnis, sich sofort hier weg zu verschieben, vielleicht an die Norwegische Küste. Oder irgendwohin, wo ihn ein warmer Kamin erwartete.
    „Warum ist es so kalt?“, fragte er.
    „Wie gesagt, wir sind sehr weit oben“, erklärte Tabea. „Außerdem befinden wir uns auf der Südhalbkugel der Erde. Hier ist gerade Winter.“
    „Wie, hier ist Winter?“, fragte Niber. „Wie kann es hier Winter sein?“
    Tabea seufzte, öffnete die Autotür und setzte sich auf den Fahrersitz. „Steigt ein, ihr beiden. Kandrajimo, du kannst schlafen, während ich deinem Boss Nachhilfe in Erdkunde gebe.“
    „Er ist nicht mein Boss, zumindest nicht in dem Sinne. Wir Kamiraen sind gleichberechtigt, das solltest du am besten wissen, Tabea. Und sei nicht zu streng mit ihm, woher soll er wissen, dass hier Winter ist? In unserer Welt ist überall immer die gleiche Jahreszeit.“

    Die Landschaft, durch die sie fuhren, war zunächst nicht besonders spektakulär, eher trostlos und karg, auch wenn der Blick auf La Paz hinab einfach nur umwerfend war. Die Stadt lag in einem Canyon 400 Meter unterhalb des Flughafens. Über ihr, aber noch unter den Betrachtern, schwebten flauschige Wolken. Der Anblick konnte einem geradezu den Atem rauben.
    Sie brauchten fast drei Tage, um das Gebiet, in dem Tabea das Tor vermutete, zu erreichen. Es lag östlich der Anden und hier sah die Landschaft schon besser aus. Hauptsächlich bestand sie aus stark bewaldeten, sehr steilen Bergen. Die Temperaturen wurden wärmer und die Luft feuchter. Die Vegetation wandelte sich zu einem tropischen Wald. Die Straßen führten abenteuerlich nahe am Abgrund entlang. Kandrajimo und Niber konnten beide kaum hinsehen.
    Doch jetzt ging die Suche erst richtig los. Sie zogen von Ort zu Ort und fragten nach den typischen Anzeichen eines Weltentores. Tabea übernahm die Befragungen der Ortsansässigen, denn sie war die einzige, die sich mit ihnen verständigen konnte. Sie fragte nach Legenden über andere Welten oder ähnlichem. Sie fragte, ob es irgendwelche rätselhaft Verschwundenen gab, oder, im Gegenteil, ob Leute hier unvermittelt aufgetaucht waren, die nicht hierher passen zu schienen und sich beim Anblick ganz gewöhnlicher Dinge, wie zum Beispiel Autos, irgendwie unnormal verhielten.
    „So wie er?“, fragte ein Tankstellenbesitzer sie irgendwann und zeigte auf Niber. Er umkreiste gerade staunend die Zapfsäule. „Ehrlich gesagt finde ich euch alle etwas seltsam.“

  • Die Motivation hält scheinbar noch ein wenig an, an meine andere Geschichte wage ich mich allerdings noch nicht. Dafür habe ich im Moment zu viel im Kopf.

    Diesen nächsten Teil habe ich nicht jetzt geschrieben, sondern nur bearbeitet. Ich habe mir die Reise mit den Piraten ja schon vor langer Zeit ausgedacht, finde es aber jetzt schwierig, die Grenze zum Kitsch nicht zu übertreten. Da muss ich definitiv in den kommenden Kapiteln einiges ändern. In diesem passt es aber noch.


    Sturm und Flaute


    Vier Tage nach ihrem Aufbruch gerieten sie in einen schweren Sturm. Als sich die dunkelgrauen Wolken am Horizont auftürmten und die Piraten begannen, sich auf das Unwetter vorzubereiten, lehnte Maja sich seufzend gegen eine Wand und verdrehte die Augen. War ja klar, dachte sie. Wie hätte sie auch nicht in einen Sturm geraten können. Scheinbar war eine ruhige, sonnige Überfahrt in ihr Verderben zu viel verlangt.
    Die Wolken kamen rasch näher und dann war der Sturm mit einem Schlag bei ihnen. Es knallte richtiggehend und ein Windstoß fegte Maja von den Füßen. Von da an hörte sie nur noch tosenden Wind und peitschende Wellen. Und dann ertönte Rachais Stimme wenige Meter vor ihr, noch lauter als zuvor:
    „Unter Deck mit dir!“, brüllte er. „Bei diesem Sturm kann ich hier oben keine Landratten gebrauchen!“
    Maja tastete sich zur Tür und verschwand im Innern des Schiffes. Hier war es ein wenig leiser, aber schwanken tat es genauso. Sie wurde hin- und hergerissen und taumelte von einer Wand zur anderen. Schließlich erreichte sie ihre Kabine und ließ sich in ihre Koje fallen. Dann starrte sie das schwankende Deckenlicht an und lauschte dem Wüten des Sturms.
    Angst hatte sie keine. Im Gegenteil: am liebsten wäre sie hinaus in den Sturm gegangen und hätte sich den Naturgewalten gestellt. Ihr ganzer Körper kribbelte von dem Wunsch, den Sturm an ihren Kleidern reißen zu lassen, den Regen in ihrem Gesicht zu spüren. Sie hielt sich die Ohren zu, um das Tosen des Meeres nicht mehr zu hören und schloss die Augen. Sie fürchtete, sonst dem Versuch, nach draußen zu gehen, nicht mehr widerstehen zu können.
    Die Tür ging auf und Freddy kam herein. „Scheiß Piraten“, knöterte er. Vermutlich sollte es ein beeindruckendes Knurren sein aber er hatte die Stimmbänder eines Zehnjährigen. Viel kam also nicht dabei herum. Er warf Maja einen verächtlichen Blick zu. „Machst du dir gerade in die Hosen, oder was?“
    „Nein“, antwortete Maja.
    „Wirklich? Sieht nämlich so aus, als hättest du mächtig Schiss.“
    „Ich hab vor nichts Angst“, gab Maja wütend zurück.
    Einen Moment lang dachte sie, er würde sie auslachen, aber er warf sich nur schwungvoll in seine Hängematte und zog sein Messer hervor. Er pulte sich ein wenig Dreck unter dem Nagel seines rechten Zeigefingers hervor.
    „Scheiß Piraten“, sagte er wieder. „Ich bin beinahe von Bord geblasen worden.“ Es klang, als wäre er stolz darauf. „Sie haben mich unter Deck geschickt. Haben gesagt, ich soll wiederkommen, wenn ich doppelt so viel wiege. Das ist unfair, Joyce wiegt nicht so viel mehr als ich.“ In diesem Moment kam er Maja doch wie ein kleiner Junge vor. Ein Junge, der gerne mit seinem Messer spielte. Er warf es nun immer wieder von einer Hand in die andere. Hin und her, hin und her ... bis eine gewaltige Erschütterung das Schiff erfasste und ihm das Messer aus den Fingern rutschte. Es landete in der Mitte zwischen ihm und Maja und bohrte sich in den Boden.
    Maja entschloss, dass es Zeit wurde zu gehen. Sie stand auf und machte sich auf den Weg in die Kombüse. Vielleicht gab man ihr dort etwas zu essen, sie hatte einen Mordshunger. Doch in der Kombüse war niemand, jeder, der zupacken konnte, kämpfte gegen den Sturm. Maja widerstand der Versuchung, sich ungefragt etwas zu nehmen. Wenn es ums Essen ging war mit den Piraten nicht zu spaßen.
    Eigentlich hatte sie vor, direkt wieder zurück in ihre Kabine zu gehen, doch als eine weitere Erschütterung das Schiff durchfuhr, geriet dieser Entschluss ins Wanken. Es war, als würde das Unwetter sie magisch anziehen. Und ohne noch einmal darüber nachzudenken machte sie kehrt und stürzte sich in den Sturm. Sie taumelte über das Deck und suchte sich im hinteren Bereich des Schiffes einen Platz an der Reling – dort, wo nur wenige der Piraten waren. Die meisten kämpften im vorderen Teil des Schiffes, hielten Leinen, brüllten sich Kommandos zu und stemmten sich breitbeinig gegen den Wind. Maja nahm sie kaum war. Sie klammerte sich an die Reling und starrte an den Horizont. Ein Blitz zuckte über den Himmel. Der Wind zerrte und zog an ihr, doch sie gab ihm nicht nach.
    Doch dann ging ein Ruck durch das Schiff und Maja wurde nach hinten geworfen. Sie landete schmerzhaft auf dem Rücken und ein Schwall Wasser schlug ihr ins Gesicht. Als sie die Augen öffnete, sah sie eine große Gestalt vor sich, in einen tiefschwarzen Kapuzenumhang gehüllt. Er war triefnass vor Regen und peitschte im Wind. Den Träger schien das Unwetter nicht zu stören, er hatte trotz des Windes und des Wellengangs keine Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Und plötzlich hatte Maja das Gefühl zu wissen, wer er war.
    „Dreizehn!“, keuchte sie.
    Die Gestalt drehte den Kopf, doch bevor Maja einen Blick unter die Kapuze erhaschen konnte, rutschte sie weg und knallte mit dem Hinterkopf gegen die Wand hinter ihr. Sie kniff vor Schmerz die Augen zusammen und als sie sie wieder öffnete, war die Gestalt verschwunden. Und sie wusste, dass diese eigentlich niemals dort gewesen war.
    Sie hatte gegenüber Freddy gelogen, natürlich gab es Dinge, vor denen sie Angst hatte. Und es war in diesem Moment, dass sie sich eingestehen musste, wie sehr sie Dreizehn fürchtete. Sie hatte ein normales Leben geführt und dann war er hineingetreten und hatte alles zerstört. Und nach allem, was sie über ihn gehört hatte und nach dem, was er ihr angetan hatte, hatte sie sich ein Bild über ihn zusammengesetzt. Es war schrecklich und furchteinflößend. Sie fürchtete ihn mehr als sie jemals etwas gefürchtet hatte. Deshalb stand sie hier. Und sie starrte ins Meer und sehnte sich tief im Innern danach, es würde sie hier und jetzt verschlingen.
    „Hey!“, rief plötzlich jemand neben ihr.
    Maja blinzelte und erkannte Joyce. „Hey!“
    Das Piratenmädchen gab alles, um den Lärm der Naturgewalten zu übertönen, sie musste richtig schreien: „Woran denkst du?“
    „Warum fragst du?“, krächzte Maja zurück.
    „Keine Ahnung. Du siehst aus, als sei es etwas Tiefsinniges.“
    Maja antwortete nicht.
    „Hör zu, du solltest eigentlich unter Deck sein. Mir ist das egal, aber wenn du schon hier bist, könntest du dich wenigstens nützlich machen.“
    „Ich habe keine Ahnung vom Segeln“, brüllte Maja über den tosenden Wind.
    „Ich sag dir, was du tun musst!“
    Maja half Joyce, bis sie vor Müdigkeit beinahe umfiel, dann wurde sie wieder unter Deck geschickt und sackte in ihrer Koje zusammen. Freddy war nicht mehr hier, was sie erleichterte. Maja störte sich nicht daran, dass das Schiff manchmal so stark schwankte, dass sie beinahe heraus fiel und versank sofort in tiefem Schlaf. Als sie aufwachte, war der Sturm vorüber.

  • Immer munter voran ... vielleicht werde ich ja tatsächlich diesen Sommer noch fertig.


    Es dauerte leider nicht lange, bis die Natur eine weitere ihrer Launen an ihnen ausließ. Gegen Abend wurde der Wind immer schwächer und irgendwann nach Mitternacht hörte er gänzlich auf. Und ohne Wind kam ein Segelschiff nicht vorwärts. Es blieb den ganzen Tag so und Rachai erklärte Maja, dass so eine Flaute auch wochenlang anhalten konnte. Die Crew saß an Deck in der Sonne und drehte Däumchen während Maja das Gefühl hatte, wahnsinnig zu werden. Sie konnte sich diese Art von Verzögerung einfach nicht leisten. Zudem hatte sie ziemlich schlecht geschlafen. Eine große Kapuzengestalt war in ihren Träumen aufgetaucht, ebenso wie die Burg von Andraya – ihre Silhouette, aber auch der Kerker, in dem die Gefangenen eingesperrt waren und den Maja schon einmal von Innen kennengelernt hatte. Dass sie jetzt Alpträume bekam, musste daran liegen, dass sie sich ihrem Ziel langsam näherte. Es machte sie nervös. Sie hatte das Gefühl, sich vorbereiten zu müssen, aber auf der anderen Seite: Wie? Sie wusste nicht, was auf sie zukam.
    Alles, was ihr blieb, war sich noch einmal jenes in Erinnerung zu rufen, was sie über Andraya und seinen Herrscher wusste, einschließlich ihrer eigenen Erfahrungen, die sie in dem kleinen Land gemacht hatte. Sie versuchte, sich im Kopf so etwas wie eine Karte des Dreizehnten Königreichs zusammenzustellen, aber es gelang ihr kaum. Dafür hatte sie doch zu wenig davon gesehen. Was wusste sie denn? Sie hatte vom Taumelberg gehört, dem Ort, an dem das Material für die speziellen, grün glänzenden Rüstungen der Grünen Ritter abgebaut wurde. Sie wusste, dass an der nördlichen Grenze des Landes ganze Kompanien von Soldaten ihr Lager aufgeschlagen hatten und Andraya bewachten. Sie kannte den Schwarzen Weg, über den man nach Andraya gelangen konnte, aber er ließ keinen Fremden mehr los, bis er ihn Dreizehn vor die Füße gespuckt hatte. Sie kannte das Gerücht, das dreizehnte Königreich sei so schrecklich, dass dort selbst die Bäume ihre Blätter verloren hatten, aber das war definitiv nur ein Ammenmärchen. Sie wusste, dass hoch über dem Reich Halbdrachen ihre Kreise zogen und einen Eindringling aus der Luft erspähen konnten. Und auffressen. Aber letztes Jahr hatten sie eine Art Winterschlaf im Sommer gehalten, Siesta oder so. Was sie nicht wusste, war irgendetwas über die Zivilbevölkerung Andrayas, die Menschen, die dort lebten. Na ja, außer, dass es sie gab und dass ihnen das Tragen von Waffen verboten war. Aber sie verwirrten Maja, besonders nach jenem Vorfall im letzten Jahr, den sie als ‚Chaos von Andraya’ in Erinnerung behalten hatte. Sämtliche Bewohner der Stadt waren plötzlich aus ihren Häusern gestürzt, wild durcheinander rufend durch die Straßen gerannt und hatten so (sicher nicht absichtlich) Maja und ihren Freunden die Flucht vor den Halbdrachen ermöglicht. Und es machte überhaupt keinen Sinn.
    Die Flaute hielt an und Maja begann, die Piraten über Andraya auszufragen. Doch Rachai stoppte ihre Bemühungen schon im Keim: „Tut mir Leid, aber wir sprechen nicht darüber. Wenn Dreizehn erfährt, was wir alles über sein Land wissen, wird es schwierig für uns und jene, die auf unserer Seite sind.“
    „Soll das heißen, ihr haltet mich für eine Spionin?“
    „Wir halten dich für gar nichts. Aber kannst du uns versichern, dass du nichts ausplauderst, selbst wenn du geschnappt und dazu gezwungen wirst? Wenn man dich foltert?“
    Maja warf ihm einen finsteren Blick zu, aber sie versuchte es nicht weiter.


    Am zweiten Tag der Windstille fläzten sich die Piraten in der Sonne wie Passagiere eines Kreuzfahrtschiffs. Maja saß auf einer Treppe an Deck und langweilte sich. Sie war nicht die Einzige. Man konnte den Piraten ansehen, dass sie ebenfalls gelangweilt waren, und Freddy ging ihnen allen auf die Nerven. Er wandelte zwischen ihnen hin und her und beleidigte sie in einer Tour. Scheinbar war das seine Art, Kontakte zu knüpfen und seine Langeweile zu überwinden. Die Piraten antworteten mit Beschimpfungen und Drohungen, aber Freddy blieb außerhalb ihrer Reichweite und sie waren zu träge, aufzustehen.
    Bis er schließlich an Joyce geriet. Sie war nicht zu faul. Blitzschnell sprang sie auf, schnappte sich ein Stück Holz, das bei dem Sturm von einem der Fässer abgesprungen war und briet Freddy eins über. Freddy fluchte laut, schnappte sich ebenfalls einen langen Splitter von dem Fass und versuchte, sich zu rächen. Schon wirbelten die beiden über das Deck und duellierten sich. Die Holzstücke hatten ungefähr die Größe und Form von Schwertern und so sah es aus wie ein Übungskampf. Die Piraten schauten belustigt zu, feuerten mal die eine und mal die andere Seite an und fluchten manchmal auch, wenn Joyce und Freddy über sie hinweg sprangen. Sie waren beide ziemlich gut, aber schließlich verlor Freddy sein Holzstück und Joyce versetzte ihm noch ein paar Schläge gegen die Seite, bis er sich schnaubend zurückzog. Joyce hob sein Stück Holz auf, wog es ein paar Sekunden nachdenklich in der Hand und warf es schließlich Maja zu.
    Aus Reflex fing sie es auf, schüttelte aber dann den Kopf. Sie wollte nicht kämpfen.
    „Komm schon“, rief Joyce, „beim letzten Mal bist du abgehauen, bevor wir zum Ende gekommen sind. Aber gib es zu, ich hatte die Oberhand und schlussendlich hätte ich dich fertig gemacht. Also, das hier ist deine Chance, dich zu rächen.“
    „Ist mir doch egal“, sagte Maja. Sie glaubte, dass Joyce in einem spielerischen Kampf mit Holzstöcken erst recht die Oberhand behalten würde, also warum sollte sie sich darauf einlassen?
    „Du könntest noch was von mir lernen“, rief Joyce, als habe sie ihre Gedanken gehört.
    Maja seufzte. Andererseits ... Warum eigentlich nicht?, dachte sie plötzlich. Joyce war eine fähige Kämpferin und sie selbst konnte ein bisschen Training gut gebrauchen.
    „Vielleicht kannst auch du etwas von mir lernen.“ Maja stand auf und nahm eine Grundstellung ein.
    Sie konnte gegen Joyce keinen Blumentopf gewinnen. Diese war richtig gut, schnell, geschickt und sie nahm keinerlei Rücksicht auf ihre Gegnerin. Schon bald hatte Maja ein paar nagelneue blaue Flecken und eine kleine Wunde im Bein, in das sich ein Holzsplitter gebohrt hatte.
    „In Kabaran hast du besser gekämpft“, resümierte Joyce. „Dort hast du schneller reagiert. Und härter zugeschlagen. Manchmal konnte ich meine Waffe kaum noch festhalten.
    „Kabaran war Kabaran“, sagte Maja. Sie ließ sich schwer atmend in eine Ecke fallen, das provisorische Schwert fiel klappernd zu Boden, wo es von einem anderen Piraten aufgehoben wurde, der sich damit Joyce stellte.
    So kämpften sie den ganzen Tag, einer gegen den anderen. Maja hatte gegen keinen der Piraten eine Chance, nicht einmal gegen Freddy, was sie ziemlich wurmte. Aber sie lernte einiges dazu und sie lernte schnell. Als die Sonne unterging musste Freddy sich im Kampf gegen sie das Lachen schon verkneifen und sich konzentrieren. Vor allem, weil Majas Reflexe besser waren als seine. Technisch erreichte sie leider auch am Abend nicht das Niveau, das sie zuletzt im Training mit Tabea erreicht hatte. Die Zeit zuhause hatte sie so manches vergessen lassen. Und allgemein war sie natürlich keine besonders gute Fechterin und das wusste sie auch. Zu wenig Training und zu wenig Talent.
    Was Maja an diesem Tag vor allem lernte, war das, was Tabea „den Kopf benutzen und allgemeine Bedingungen einberechnen“ nannte. Maja hatte es im Training mit ihr immer „schummeln“ genannt. Die Piraten nannten es „am Leben bleiben“ und sie waren Meister darin. Sie stellten ihrem Gegner hier ein Beinchen, warfen dort ein Fass um, um ihn zu behindern und so weiter. Es war spannend, dem zuzusehen, man musste aber aufpassen, nicht selbst Opfer dieser Nebenaktivitäten zu werden.
    Von allen, die kämpften, war Arissa die Stärkste. Sie gewann jeden Kampf. Aber sie gab zu, dass sie gegen Käpt’n Rachai keine Chance hatte. Und gegen Auguin käme sowieso niemand von ihnen an.
    Maja drehte sich zu Auguin um. Es war ein großer, schlanker Mann mit rundem Gesicht und schwarzem Zopf, der meist schweigend in einer Ecke saß.
    „Er kämpft in einer ganz anderen Liga als wir“, flüsterte Arissa ihr zu. „Er hat von Rakou gelernt, dem legendären Kampfkunstmeister in Thirga-Lyona.“
    Die meisten Piraten auf Rachais Schiff hatten sich bis an die Zähne bewaffnet, mit Messern, Dolchen, Säbeln, Schwertern und allem, was sie sonst noch hatten. Grätenzahn trug sogar Rasiermesser mit sich herum um sie einem Feind in einem unbedachten Moment zwischen die Rippen zu stoßen. Auguin jedoch trug nur eine einzige Waffe und sie war besser gepflegt als jede Piratenklinge. Lang und schmal wie sie war, erinnerte sie Maja an Xyleens Schwert. Kam Xyleen nicht auch aus Thirga Lyona? Hatten sie vielleicht bei demselben Meister gelernt? Wenn ja, wie war Auguin dann hier gelandet, auf einem Piratenschiff jenseits des Gebirges?
    „Warum schaut er so griesgrämig drein?“, fragte sie.
    „Tut er immer“, antwortete Arissa.
    „Ja, aber warum?“
    Sie zuckte mit den Schultern. „Er hat einiges durchgemacht. Hatte ´ne grauenhafte Kindheit und die Zeit danach war auch nicht gerade besser. Seine ganze Familie ist umgekommen. Aber am meisten getroffen hat ihn sicherlich der Tod seiner kleinen Schwester. Sie wurde vor seinen Augen auf grausame Weise ermordet und er konnte nichts dagegen tun.“
    Maja schluckte und dachte wieder an Käse.

  • Es geht wieder bei Karim weiter. Seine und Jinnas Geschichte hätte ich wirklich mal besser planen sollen, so ganz weiß ich noch nicht, wie ich dahinkomme, wo ich mit ihnen hin will. Aber es ist eine großartige Gelegenheit, diese Welt weiter zu erforschen, das macht wirklich Spaß.


    Wanderndes Verderben


    „Ich hatte es befürchtet“, sagte Elzo leise, als sie Merialk betraten. Das Dorf war wie ausgestorben, die Wege menschenleer. An manchen Häusern standen sogar die Türen offen, als hätten die Bewohner diese in großer Hast verlassen.
    „Wie eine Geisterstadt“, flüsterte Jonah und rückte näher an die anderen heran.
    „Was ist hier passiert?“, fragte Merin.
    „Ich hoffe, dass sie bloß abgehauen sind“, sagte Elzo. „Aus Angst vor dem Spuk. Vielleicht auch vor dem Zauberer, den ich mitbringen wollte. Oder sie sind alle tot.“
    „Tot?“, japste Karim.
    Elzo blieb stehen und deutete auf eine Gasse neben ihnen. Dort war es wieder: das schwarze Zeug mit den glühenden Fäden. Wie Wäscheleinen des Todes zog es sich im Zickzack zwischen zwei Häusern dahin. Im hellen Licht des Tages sah es nicht ganz so gruselig aus, doch war es sicher ebenso unheilvoll. „Das war jedenfalls das letzte Mal noch nicht da“, meinte Elzo.
    „Also ... was machen wir?“, fragte Merin. „Nehmen wir was von dem Zeug mit und verschwinden wieder?“
    „Noch nicht“, sagte Elzo. „Wir müssen wenigstens herausfinden, was mit den Dorfbewohnern passiert ist. Wir sehen uns das näher an“, sagte er zu Idela. „Ihr anderen wartet hier.“
    Er straffte die Schultern und schritt entschlossen zu einer der geöffneten Türen. Idela folgte ihm. Bevor sie ihr Ziel erreichten, zogen sie die Schwerter, dann waren sie im Haus verschwunden.
    Merin, Jonah und Karim warteten schweigend und wagten kaum zu atmen. Dann kamen die beiden ranghöheren Libellen wieder heraus.
    „Die Schränke sind durchwühlt, aber nicht leer“, beschrieb Elzo ihre Beobachtungen. „Also entweder haben sie in großer Hast nur das Nötigste zusammengepackt, oder jemand hat das Haus geplündert. Auch da drin war etwas von dem Spuk, aber keine Toten.“ Er machte sich an der Satteltasche seines Pferdes zu schaffen und nahm das magische Gefäß zur Hand. „Lasst uns erst mal schauen, wie wir das Zeug hier rein bekommen.
    Idela hatte in weiser Voraussicht zwei große Kochlöffel in dem verlassenen Haus von der Wand gepflückt. Mit diesen versuchten sie und Elzo nun etwas von dem Spuk, der zwischen den Häusern hing, in die Flasche zu füllen. Das Zeug war widerspenstig: wenn es sich vom Löffel lösen sollte, war es zäh und ließ sich nur mit Mühe losreißen, aber wenn es kleben bleiben sollte, flutschte es davon. Schließlich gelang es Idela, eine etwa faustgroße Portion in die Flasche zu füllen und Elzo verschloss sie.
    „Gebt mir die nächste Flasche“, sagte er. Nervös löste Karim sie vom Sattel und reichte sie weiter.
    „Mir gefällt das nicht“, meinte Merin. „Wir wissen nicht einmal, ob die Flaschen es wirklich halten können. Wir wissen auch nicht, wie wir das Zeug bekämpfen können, sollte es ausbrechen. Geschweige denn, wie dieser Spuk in Aktion aussieht.“
    „Genau deshalb müssen wir mehr darüber herausfinden.“
    „Da kommt jemand“, sagte Karim. „Ich glaube ... ja, es ist Gel.“
    Er hatte sein Hemd gewechselt, aber seine Augenbrauen waren noch genauso buschig und seine Miene finster.
    Elzo schloss auch Karims Flasche, die sich leichter hatte füllen lassen, und trat ihm entgegen. „Was ist hier passiert?“, fragte er besorgt.
    „Sie sind weg. Geflohen.“
    „Du hast mir versprochen, dass ihr nicht vor uns fliehen werdet.“
    „Das war es nicht. Der Spuk ist schlimmer geworden. Drei Menschen mehr sind gestorben, danach gab es kein Halten mehr, sie mussten fliehen.“
    „Warum bist du noch hier?“
    Gel zuckte mit den Schultern. „Ich hatte versprochen zu bleiben, oder? Jemand musste auf Euch warten.“
    „Du bist wahrhaft tapfer.“ Elzo nickte anerkennend. „Aber ich habe nicht geschafft, was ich vorhatte. Ich konnte auf die Schnelle keinen Zauberer finden, der sich die Sache anschaut.“ Gel wirkte eher erleichtert, denn zerknirscht. Elzo zeigte ihm die Flasche in seiner Hand. „Stattdessen werden wir etwas von dem Spuk nach Miriam bringen, damit sich unsere Gelehrten diesen genau ansehen können“, fuhr er fort. Er schnippte mit dem Finger gegen die Flasche. Ein hoher Ton entstand, der den zähen Klumpen im Inneren zu einer erstaunlichen Reaktion bewegte: Er begann zu zittern und zerfloss zu einer Pfütze. Sobald der Ton verklang, wurde diese wieder zäh. Elzo schüttelte die Flasche und es entstand erneut ein Klumpen. Alle starrten gebannt darauf und fragten sich, was als nächstes passieren würde, doch der Klumpen blieb bewegungslos. Elzo räusperte sich und wandte sich wieder an Gel: „Erzähl uns genau, was passiert ist, seit wir weg waren.“
    „Lasst uns erst mal rein gehen.“
    Sie folgten Gel in sein Haus, allerdings bestand dieser darauf, dass sie die gefüllten Flaschen auf der Straße stehen ließen. Dort erzählte er ihnen alles, was wichtig war: Die drei Toten hatte es nach einer Woche in einem Haus am Stadtrand gegeben, möglicherweise hatte die Familie am Abend vergessen, die Haustür zu verschließen. „Aber ich weiß jetzt ziemlich genau, was sie getötet hat“, berichtete er. „Es ist ein Wesen, das nur aus diesem seltsamen Zeug zu bestehen scheint. Es zieht nachts durch das Dorf. Ich habe es aus dem Fenster beobachtet. Wenn es sich gestört fühlt, gerät es in Aufruhr und dann hinterlässt es jedes Mal dieses Zeug. Wenn der Morgen anbricht, sucht es sich einen dunklen Ort: ein Haus, die alte Mine oder den Brunnen und versteckt sich dort.“
    „Aber was ist es?“
    „Keine Ahnung. Ein böser Zauber? Ein Dämon?“
    „Und hast du gesehen, wie es tötet?“
    Gel schüttelte den Kopf.
    Elzo starrte aus dem Fenster und dachte lange nach. „Ich will mir das mit eigenen Augen ansehen“, beschloss er schließlich. Wir bleiben heute Nacht hier und beobachten diese Wesen.“

  • Ich habe die letzten Tage hier einiges geschafft, auch an weiterer Planung und finde wieder richtig Freude daran. Euch auch viel Spaß hiermit (im Moment lesen hier nicht so viele mit, aber ich weiß, dass der ein oder andere das irgendwann tun wird):).


    Gel hatte im ersten Stock seines Hauses ein großes Speisezimmer. Seit er allein im Dorf war, nutzte er es nachts als Versteck. Sobald die Sonne unterging, versperrte er die Treppe und verbarrikadierte sämtliche Zugänge zum Haus. Durch die Fenster des Speisezimmers hatte man einen guten Blick auf die Hauptstraße des Dorfes.
    In diesem Raum schlugen sie nun ihr Lager für die Nacht auf. Sie holten sich Strohmatratzen aus den anderen Häusern (das war Merins Idee gewesen) und breiteten sie aus. Die Pferde hatten sie am Dorfrand in einen Stall gesperrt, den sie ebenfalls gründlich verriegelten. Die Flaschen mit dem Spuk wollte Gel immer noch nicht im Haus haben, also hängten sie sie draußen an einen Baum. Die leere Flasche, die noch an Idelas Sattel hing, nahmen sie aber mit hinein. Für alle Fälle würden sie erneut etwas von dem Spuk hineintun können. Als es dunkel wurde, blockierten sie die Eingänge zum Speisezimmer und löschten das Licht. Dann warteten sie nervös und zum Zerreißen gespannt auf die Dinge, die da kommen sollten.
    Eigentlich sollten sie schlafen. Merin stand am Fenster und behielt die Straße im Auge, der Rest von ihnen sollte die Nacht nutzen, um zur Ruhe zu kommen. Doch in dieser Situation war an Schlaf nicht zu denken.
    Stattdessen gruselten sie sich. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie ein paar Kerzen angezündet und schaurige Geschichten erzählt hätten, dachte Karim, obwohl dafür sicher niemand in diesem Raum noch die Nerven gehabt hätte.
    Auch Jonah war noch wach. Karim konnte seine Augen im Dunkeln glitzern sehen. Sie beide waren auf dieser Reise zu einem funktionierenden Team zusammengewachsen, auch wenn Karim kaum etwas über Jonah wusste. Der andere Junge war eher schweigsam und Karim plauderte auch nicht aus dem Nähkästchen.
    „Da draußen ist was“, flüsterte Merin plötzlich. „Oh, oh. Das sieht nicht gut aus.“
    Mit einem Mal waren sie alle mucksmäuschenstill.
    Elzo stand auf und tauschte mit ihm den Platz am Fenster. Jonah wollte ebenfalls aufstehen aber mit einer Geste hielt Elzo ihn auf. „Nein. Bleibt wo ihr seid und verhaltet euch so still wir möglich.“
    Eine Weile sah er konzentriert nach draußen, dann winkte er Idela zu sich. Leise stand sie auf, trat zu ihm ans Fenster und lugte vorsichtig am Vorhang vorbei. Ihre Augen weiteten sich.
    „Schon mal so was gesehen?“, frage Elzo.
    „Noch nie im Leben“, hauchte sie. „Aber das ist definitiv schwarze Magie. Das ist kein irdisches Wesen.“
    Sie hockte sich auf den Boden und Elzo winkte Karim herbei. Dieser huschte zu ihm und sah hinaus.
    Draußen war es sehr dunkel. Dicke Wolken hingen am Himmel und kein Stern war zu sehen. Bei Nacht wirkte das Dorf Merialk gar nicht mehr so verlassen wie am Tag, die Bewohner hätten auch hinter ihren Türen im Bett liegen und schlafen können. Alles schien ganz normal. Bis auf das, was mitten im Dorf über die Straße schlich:
    Gel hatte recht, die Kreatur ähnelte dem schwarzen Zeug, das sie an den Schauplätzen ihrer gräuslichen Taten hinterließ. Sie hatte in etwa die Größe eines Menschen und lief auf zwei Beinen mit langen Zehen. Noch länger als die Zehen waren allerdings die Finger an den gebrechlich wirkenden Armen: dünn wie Zweige. Karim fiel auf, dass die Kreatur grundsätzlich die Gestalt eines hageren, kleinen Menschen annahm, jedoch schien diese immer wieder zu verfließen. Der Hals wirkte mal dicker, mal dünner, die Gliedmaßen verbanden sich oft mit der Masse des Körpers, um sich dann wieder davon zu trennen. Es war ein wenig wie ein Stück Teig, das jemand in Menschenform zu halten versuchte, dabei jedoch immer wieder gegen die Schwerkraft ankämpfen musste. Über die Gestalt zog sich das schwarze Zeug wie eine ledrige Haut und überzogen war auch sie mit glühenden Fäden. Nie, in seinem ganzen Leben, hatte Karim etwas Ähnliches gesehen.
    Die Kreatur schien das Dorf eher ziellos zu durchwandern. Sie taumelte von einer Straßenseite zur anderen und stieß dabei gegen Wände und Zaunpfähle, als könnte sie sie gar nicht sehen. Wo sie besonders heftig aneckte, dort hinterließ sie schwarze Abdrücke und feurige Fäden.
    Karim beobachtete das Wesen eine Weile, dann zog er sich zurück. Auch Jonah bekam die Gelegenheit, es anzusehen. Danach hockten sie sich auf den Fußboden und starrten schweigend in die Finsternis.
    Ab und an wechselten sie sich am Fenster ab, einer von ihnen stand jederzeit dort und behielt die Kreatur im Auge. Sie trauten sich nicht zu reden, aus Angst, sie könnten bemerkt werden.
    Die Gruppe war ein wenig ratlos, was ihr weiteres Vorgehen anging. Sie wollten die Kreatur nicht angreifen, solange sie bloß so wenig über sie wussten. Aber wie sollten sie mehr herausfinden? Und gleichzeitig fürchteten sie, von ihr entdeckt zu werden. Sie diskutierten hin und her und überlegten, ob man dem Geschöpf nicht irgendwie eine Falle stellen konnte.
    „Oder wir könnten es doch angreifen“, schlug Merin zum wiederholten Mal vor. „Vielleicht kann man es ganz einfach mit dem Schwert töten. Einen Versuch wäre es wert.“
    „Wäre dir ein Versuch tatsächlich dein Leben wert?“, fragte Elzo. „Denn das wäre es, was du aufs Spiel setzt. Diese Kreatur ist ein Geschöpf schwarzer Magie und ich greife sie nicht eher an, als ein Zauberer einen Blick darauf geworfen hat. Wer weiß, was sie für Fähigkeiten hat. Nach allem was wir wissen, könnte sie mit einem Blick töten.“
    Merin nickte bedächtig. Elzo hatte ihn wohl überzeugt.
    Die Nacht zog sich fürchterlich in die Länge. Sie verwarfen den Gedanken, dem Wesen eine Falle zu stellen, da sie nicht wussten, wie viele der Kreaturen noch in der Gegend unterwegs waren. Stattdessen beschlossen sie, sich bis zum Sonnenaufgang zu verstecken und schließlich das Dorf zu verlassen. Sie stellten einen Wachplan auf und versuchten zu schlafen, doch immer wieder erklang von der Straße ein saugendes, glucksendes Geräusch, wenn die Kreatur irgendwo anstieß. Das Geräusch ging durch Mark und Bein und machte ihnen das Einschlafen nicht leicht.
    Als die ersten Sonnenstrahlen den Himmel rosa färbten, gewannen die Bewegungen der Kreatur eine neue Zielstrebigkeit. Leider war sie auf das Haus gerichtet, in dem Karim, Elzo, Idela, Merin, Jonah und Gel sich versteckten.
    „Das macht es jeden Morgen“, rief Gel nervös. „Es sucht sich einen dunklen Ort um dort den Tag zu verbringen. Ob die Häuser bewohnt sind oder nicht ist für es nicht von Interesse. Auf die Art und Weise hat es Leriks Familie erwischt.“
    „Ist es für es wirklich nicht von Interesse, oder hat es sich absichtlich ausgerechnet dieses Haus ausgesucht?“, fragte Elzo.
    Im selben Moment hörten sie ein schmatzendes Geräusch von der Tür im Erdgeschoss her.
    „Vielleicht sollten wir uns verstecken“, sagte Idela.
    „Vielleicht sollten wir aus dem Fenster klettern“, meinte Gel.
    Elzo wog beide Vorschläge ab, doch als sie bereits nach wenigen Sekunden ein dumpfes Krachen am Fuß der Treppe hörten, stimmte er Gel zu. „Zum Fenster, los“, zischte er.
    „Es weiß, dass wir hier sind“, hauchte Jonah.
    „Bisher ist es immer ziellos durch das Dorf gewandert“, sagte Gel. „Es hat nie gezielt Menschen gejagt.“
    „Jetzt tut es das“, sagte Elzo, als mit einem lauten Krachen und Poltern die Barrikade auf der Treppe zusammenstürzte.
    „Ich verstehe nicht, warum.“
    „Möglicherweise liegt es daran, dass im Dorf nur noch wir sind – und zwar alle an diesem Ort versammelt. Vielleicht konnte es sich vorher nie entscheiden, wen es angreifen sollte. Oder vielleicht wird es gesteuert und derjenige hat entschlossen, dass er uns vernichten will.“
    „Darüber können wir uns später Gedanken machen“, rief Idela. „Los, hauen wir ab.“
    Sie stürzten zum Fenster und rissen es auf. Unter ihnen war noch eine schmale Kante des Daches. Elzo zog sich durch die Öffnung und sprang auf die Dachpfannen. Er streckte die Hand aus, um Karim hinauszuhelfen. Merin folgte, dann Idela. Anschließend kam Jonah, doch er kam nicht weit.
    „Ich hänge fest“, keuchte er, als er rittlings auf dem Fensterbrett saß. „Mein Fuß. Au.“
    In dem Moment gab mit einem lauten Krachen der Rest der Barrikade nach und die schwarze Kreatur trat in das Zimmer. Schwankend wankte sie auf die Personen am Fenster zu. Jonah wimmerte und zerrte wie verrückt an seinem Bein. Er hatte sich mit dem Stoff seiner Hose an einer Spalte im Fensterbrett verhakt.
    „Lass mich vorbei“, rief Gel, der noch im Zimmer stand, aber er war zu ungeschickt, um sich an Jonah vorbei zu schlängeln.
    „Du musst ruhig bleiben“, mahnte Idela, „und dein Bein ganz besonnen befreien. Sie nahm ihr Messer vom Gürtel und reichte es Jonah. Zur Not zerschneide die Hose.“
    Doch die Kreatur war gefährlich nahe gekommen und Besonnenheit im Angesicht des Todes gehörte nicht zu Jonahs Stärken. Er zitterte so sehr, dass ihm das Messer aus den Fingern rutschte. Ein letztes Mal zerrte er müde an seinem Hosenbein, dann jaulte er panisch auf und krallte seine Finger in Karims Arm. „Lasst mich nicht allein!“
    Gel, der Einzige, der noch zwischen Jonah und der Kreatur stand, stimmte in sein Jaulen mit ein, wandte sich vom Fenster ab und stolperte in die Dunkelheit des Raumes, um sich im Schrank zu verstecken.
    „Was ein Feigling!“, zischte Idela zornig.
    Das unheimliche Wesen vermochte Gels Flucht aber nicht von Jonah abzulenken. Es kam ihm immer näher. Elzo fluchte und sprang an dem Jungen vorbei, zurück in den Raum. Ihm gelang es ohne Probleme. Er zog sein Schwert und stellte sich der Kreatur in den Weg. Ihre Fäden glühten hell auf, als sie ihn wahrnahm. Einen Moment starrten sie sich an – jedenfalls starrte Elzo die Kreatur an. Diese zögerte zwar, schien aber keine Augen zu haben, mit denen sie den Kämpfer hätte sehen können. Dann gingen sie aufeinander los. Elzos Schwerthieb drang tief in den Kopf der Kreatur ein. Sie schien aus faserigem Schleim zu bestehen und der Schlag störte sie scheinbar überhaupt nicht. Der Riss, den er verursachte, schloss sich sogleich wieder. Dann griff das Wesen mit seinem schlabberigen Arm nach Elzo und packte ihn am Handgelenk. Im selben Moment stürzten beide zu Boden.
    „Nein!“, brüllte Merin und wollte ebenfalls wieder in den Raum klettern, doch in dem Moment machte Jonah einen letzten, verzweifelten Versuch, sich zu befreien. Seine Hose riss, sein Bein kam frei und er purzelte nach draußen. Dabei stieß er gegen Merin und dieser rutschte ab. Idela wollte ihn packen und festhalten, verlor dabei jedoch ebenfalls das Gleichgewicht. Beide stürzten vom Dach und landeten zwei Meter tiefer auf dem Boden. Nur Jonah hatte es geschafft, sich festzuklammern und zog sich an der Fensterbank hoch. In dem Moment zerplatzte die Kreatur und übergoss Elzo mit glänzender schwarzer Substanz und glühenden Fäden. Auch Karim und Jonah bekamen etwas davon ab. Ihrer beider Herzen setzten einen Moment aus, sie fürchteten, im nächsten Moment tot umzufallen, doch nichts dergleichen geschah. Dann kündigte ein Scharren an, dass Gel wieder aus dem Schrank kletterte. Vorsichtig näherte er sich Elzo, der noch immer am Boden lag.
    „Was ist passiert?“, rief Idela von unten.
    Karim wandte sich um und sah vom Dach hinab. Sie stand wieder auf den Füßen, hielt sich aber mit schmerzverzerrter Miene den Rücken. Merin lag neben ihr und umklammerte seine Fußknöchel. Er sah bleich aus.
    „Er ist tot“, sagte Gel plötzlich. „Elzo ist tot.“

  • Kleines Update von mir: Ich bin im Moment sehr im Stress, aber spätestens in zwei Wochen geht es hier weiter. Habe immer noch total Lust auf diese Geschichte und lese gerade noch einmal den ersten Band. Also keine Sorge, diesmal wird die Pause nicht so lang.

    Ich habe auch gerade wieder angefangen den ersten Teil zu lesen, um wieder in die Geschichte hereinzukommen und dann auch qualitativ in dem dritten Teil zu kommentieren <3

  • Ich bin wieder dabei, fleißig am Lesen, Überarbeiten und Schreiben. Also kommt hier schon mal der nächste Part. Viel Spaß :)


    Totenwache

    Sie trugen Elzos Körper ins Erdgeschoss. Karim und Jonah ging es gut, obwohl sie einige der schwarzen Fäden abgekommen hatten. Sie zogen sie vorsichtig ab und wuschen sich gründlich. Idela bestand darauf, dass sie ihre Kleidung wechselten und alles, was auch nur möglicherweise mit der Kreatur in Kontakt gekommen war, verbrannten. Doch beide hatten die unheimliche Masse auch auf die Haut bekommen – bei Karim war es eine Stelle am Hals. Sie fühlte sich ein wenig kühl an, aber das mochte auch Einbildung sein.
    Sie legten Elzo auf dem Marktplatz auf Decken und Tücher und stellten Kerzen darum herum auf. Im Dorf hatten sie sehr viele davon gefunden. Dann setzten sie sich um ihn herum, mit den Rücken an die Wände gelehnt, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Am bedrücktesten wirkte Jonah. Er war sehr blass und mehrere Male sah Karim, wie er das Gesicht in den Armen vergrub, möglicherweise ein paar Tränen versteckend. Gel dagegen schien am wenigsten betroffen. Es war klar, dass er nur aus Höflichkeit an der Totenwache teilnahm. Vielleicht war es nur logisch, dass ihn Elzos Tod nicht so sehr traf. Er hatte einige Bewohner seines Dorfes verloren, zu denen er sicher eine viel innigere Beziehung hatte, als zu dem Fremden Elzo. Idela war von Elzos Tod auch schwer betroffen. Sie hatte ihn am längsten von ihnen allen gekannt und auch sehr gemocht. Doch trotz ihrer Trauer – und trotz ihres schmerzenden Rückens – vernachlässigte sie ihre Pflichten nicht. Sie war nun die ranghöchste Libelle vor Ort und musste Elzos Stellung einnehmen. Deshalb war sie es, die Karim und Jonah am Mittag in die anderen Häuser schickte, um Holz und Lebensmittel zu suchen. Dass sie die beiden schickte, hatte mehrere Gründe: Erstens hatten sie bereits Kontakt zu dem Spuk gehabt und sie wollte nicht riskieren, dass ihn noch jemand anderes beim Durchsuchen der Häuser berührte. Außerdem hatte Merin sich an beiden Knöcheln verletzt und konnte kaum laufen. Aber es gab wohl noch einen weiteren Grund: Karim vermutete, dass sie die beiden Gleichaltrigen schickte, um ihnen die Gelegenheit zu geben, unter vier Augen miteinander zu sprechen.
    Sie wussten zwar, dass die Häuser von Merialk verlassen waren, trotzdem war es ein blödes Gefühl, dort einzudringen, auch wenn keine der Türen abgeschlossen war. Außerdem standen ihnen darin die Haare zu Berge. Obwohl die Bewohner nur wenige Tage fort waren, machten die Häuser einen sehr verlassenen Eindruck. Karim und Jonah blieben dicht beisammen und lauschten immerzu nach verdächtigen Geräuschen. In einer Küche fanden sie Feuerholz und ein Bündel mit Möhren und Zwiebeln, die noch genießbar waren. In einem Schuppen entdeckten sie schließlich noch mehr Holz.
    Jonah wirkte fahrig, während er die Scheite in seinen Armen stapelte.
    „Geht es dir gut?“, fragte Karim.
    Jonah schwieg und starrte verbissen auf seine Arbeit.
    „Es ist nicht deine Schuld“, sagte Karim schließlich.
    Jonah ließ die Holzscheite fallen. Sie purzelten in alle Richtungen. „Doch, das ist es!“, brauste er auf. „Wag es nicht, etwas anderes zu behaupten. Wenn ich nicht mit dem Fuß hängen geblieben wäre - “
    „Das hätte jedem von uns passieren können.“ Karim bückte sich nach einem Stück Brennholz, das gegen seinen Fuß gestoßen war.
    „Es ist aber mir passiert. Idela und Merin wären niemals so ungeschickt gewesen.“
    „Es hätte mir genauso gut passieren können“, entgegnete Karim.
    „Als ob mich das trösten würde.“
    Karim wollte noch etwas sagen, aber Jonah schnitt ihm das Wort ab: „Lass mich einfach in Ruhe.“

    Sie brachten den Proviant zu den anderen und begannen, ein Feuer aufzuschichten. Eigentlich müsste die Totenwache zwei Tage dauern, doch Idela wollte Elzos Körper sicherheitshalber noch vor dem Sonnenuntergang verbrennen.
    „Nach alldem wissen wir immer noch nicht mehr über dieses Wesen“, sagte Merin resigniert, als sie das Holz aufgeschichtet hatten und ihr Werk begutachteten.
    „Wir wissen, dass es zerplatzt ist“, sagte Karim. „Und dabei hat es dieses komische Zeug hinterlassen.“
    „Aber wie wurde es überhaupt vernichtet? Wie hat Elzo es getötet? Als das Schwert es traf, dachte ich für einen Moment, es könne ihm gar nichts anhaben. Und wie ist Elzo gestorben? Er hat keine äußerlichen Verletzungen.“
    Karim senkte den Kopf. Das waren dieselben Fragen, über die er sich die ganze Zeit Gedanken machte. Als er wieder aufsah, erkannte er, dass alle ihn anblickten. „Was ist?“
    „Du und Jonah habt ihn sterben sehen.“
    „Ich weiß nicht, was ich gesehen habe. Es ging alles so schnell. Ja ... ja, ich glaube der Schwerthieb war es nicht, was es getötet hat. Ich glaube ...“, er wusste, dass das, was er nun sagen würde, seltsam klang, „es sah aus, als ob ... es hat Elzo am Arm gepackt und sie sind beide in dem Moment gestorben, als sie sich berührt haben. Als hätten sie beide auf einen Schlag all ihre Lebenskraft verloren. So sah es doch aus, oder Jonah?“
    Jonah starrte nur vor sich hin und zuckte mit den Schultern.
    „Was bedeutet das?“, fragte Merin.
    Idela rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wenn dieses Wesen wirklich tot ist, wenn es auf diese Weise stirbt und sich nicht in der nächsten Nacht auf irgendeine Art wieder zusammensetzt, dann bedeutet das vor allem eines: Wir haben es mit mehr als einer dieser Kreaturen zu tun.“
    Alle starrten sie grauenerfüllt an.
    „Wie kannst du das wissen?“, fragte Merin.
    „Es ist bloß eine Vermutung. Dieses Wesen ist in dem Moment gestorben, als es getötet hat. Aber es gab mehrere Todesfälle – mehrere Leichen, verhüllt von diesem Gewebe. Vielleicht war das, was wir gestern erlebt haben ein Einzelfall, vielleicht kann die Kreatur auch auf andere Art töten, ohne selbst zu sterben. Aber ich befürchte, dass es mehr als eine gibt. Wir müssen leider davon ausgehen, dass das nicht das Ende war.“
    „Und was heißt das jetzt?“, fragte Merin. „Legen wir uns noch eine Nacht auf die Lauer?“
    Idela sah zum Himmel, von dem die Sonne heiß herab strahlte. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich werde kein weiteres unserer Leben riskieren. Wir verabschieden Elzo und dann kehren wir nach Miriam zurück.“

  • Nachdem sie Elzos Körper dem Feuer übergeben hatten, packten sie ihre Sachen und sattelten die Pferde. Dann schickte Idela Karim los, die beiden Flaschen zu holen, in denen die Proben des Spuks eingeschlossen waren. Er war froh, von Idela und Merin fortzukommen, denn diese waren sich nicht einig, wie sie weiter vorgehen wollten.
    „Die Frage ist doch, woher diese Wesen stammen“, hatte Merin gesagt. „Ich bin mittlerweile sicher, dass ein schwarzer Magier dafür verantwortlich ist. In dem Fall können wir davon ausgehen, dass Fürst Dreizehn dahinter steckt.“
    „Warum?“, fragte Jonah.
    „Wer fällt uns ein, der Schwarzmagier in die zwölf Königreiche schickt, um Unheil anzustiften? Richtig - Dreizehn.“
    „Der Schwarzmagier könnte aus eigenem Willen hier sein“, warf Idela ein.„Davon abgesehen hilft es uns nicht weiter, wenn wir wissen, wer dahinter steckt. Wir müssen die Proben nach Miriam bringen und einen Bericht abgeben. Das Auftauchen dieser Kreatur sowie unsere und Gels Beobachtungen haben einiges geändert. Jetzt müssen sie wirklich Magier herschicken, die sich das vor Ort ansehen. Ich glaube die Bedrohung ist größer, als wir alle vermutet haben.“
    „Wirklich viel hat sich eigentlich nicht geändert, oder?“, sagte Karim. Sollte das Ergebnis dieser Reise wirklich sein, dass sie erneut nach Miriam gingen, um einen Magier herzuschicken?
    „Wir haben einen Toten. Wir habe Augenzeugen. Wir haben die Flaschen mit dem Spuk.“
    Daraufhin hatte sie Karim losgeschickt.
    Er erreichte die Baumgruppe am Rande des Dorfes. Einen Moment blieb er stehen und genoss die Ruhe. Eine Amsel flötete melodisch und Karim nahm sich etwas Zeit, um Elzos zu gedenken. Dann fasste er die Flaschen ins Auge, die sie mit Lederbändern an einen Ast gebunden hatten. Sie waren unversehrt, alles war so, wie es sein sollte. Doch plötzlich entdeckte er etwas im Augenwinkel – zwischen den Hügeln, auf der Straße, die zum Dorf führte. Er fluchte, hastete zum Baum und löste mit fahrigen Fingern die Knoten. Normalerweise hätte er die Flaschen sehr vorsichtig zurückgetragen, doch darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. In jeder Hand eine rannte er zurück zu den anderen.
    „Da kommt jemand“, keuchte er und zeigte zu den Hügeln.
    Die anderen folgten seinem Blick und erkannten es ebenfalls.
    „Was machen wir?“, fragte Merin. „Es könnten Bewohner aus dem Dorf sein, die zurückkehren.“
    Gel schüttelte den Kopf. „Von denen kehrt so schnell keiner wieder.“
    „Vielleicht sind es Reisende?“, meinte Karim.
    „Wie auch immer, wir gehen kein Risiko ein“, entschied Idela. „Nehmt die Pferde, wir verlassen das Dorf und verstecken uns zwischen den Hügeln.“
    Sie führten die Pferde zwischen die Häuser und ließen sich von Gel an einer Hecke entlang zu einem kleinen Waldstück außerhalb des Dorfes führen. Von hier hatten sie einen optimalen Blick auf die Häuser, ohne dass sie gesehen werden konnten. Aus dem Schutz der Bäume heraus beobachteten sie, wie die Neuankömmlinge näher kamen.
    Schon sehr früh erkannten sie, dass es sich um zwei Grüne Ritter und elf Soldaten der Dreizehnten Armee handelte. In ihrer Mitte schoben und zogen sie einen Karren, der zu einem einfach wirkenden Käfig umfunktioniert worden war. Er war leer.
    „Was die wohl vorhaben?“, wunderte sich Karim.
    „Ich werde es herausfinden“, sagte Merin und bevor ihn jemand aufhalten konnte, hechtete er die Wiese hinunter und verschwand zwischen den Häusern der Stadt.
    „Dieser Trottel“, zischte Idela. „Ich hatte doch gesagt, dass wir kein Risiko mehr eingehen.“
    Karim sah sie an und erkannte sofort, warum Merin nicht um ihre Erlaubnis gebeten hatte. Sie war angespannt und besorgt, sie wollte nicht noch jemanden verlieren und hätte der Aktion deshalb niemals zugestimmt. Selbst wenn es dringend nötig war, herauszufinden, was die Dreizehnte Armee hier wollte.
    Sie sahen, wie die Soldaten in das Dorf traten, doch dann waren sie hinter den Häusern verborgen und es war nicht länger möglich, sie zu beobachten.
    Idela behielt das Dorf weiterhin genau im Auge; Karim, Jonah und Gel aber setzten sich ins Gras und warteten schweigend ab. Die Sonne wanderte über den Himmel und schließlich setzte die Dämmerung ein. Karim lag mittlerweile auf dem Rücken und beobachtete das Farbenspiel, das die untergehende Sonne mit den Wolken anstellte.
    Dann stand plötzlich Merin wieder neben ihnen. Karim zuckte fürchterlich zusammen. „Mach das nie wieder“, japste er erschrocken.
    „Und?“, fragte Idela, die nicht im Mindesten überrascht wirkte.
    „Sie sind hier, um die Kreatur zu fangen. Eine von ihnen jedenfalls, sie wissen, dass es mehrere gibt. Offenbar gab es ähnliche Vorfälle in anderen Dörfern.“
    „Welchen Dörfern?“
    „Sie haben Braviok erwähnt, aber ihrem Gespräch nach gab es noch mehr.“
    „Und sie wollen eines von denen fangen ... ?“
    „ ... und nach Andraya bringen. Ja. Und noch etwas: Es klang nicht so, als ob sie genau wüssten, was diese Wesen sind, aber sie nannten sie Dämonen.“
    „Darüber hatten wir auch schon spekuliert. Aber viel sagt uns das auch nicht, wir wissen ja nicht einmal, was ein Dämon genau ist. Für diese Fragen brauchen wir einen Zauberer. Andere Frage: Das klingt jetzt nicht so, als wüssten die da unten, wer dafür verantwortlich ist.“
    „Sie haben nicht darüber gesprochen. Aber ich denke jetzt auch nicht mehr, dass es ein Plan von Fürst Dreizehn ist, warum sollte er sie sonst schicken, eines von den Viechern zu fangen?“
    „Also steckt vielleicht ein Schwarzmagier dahinter, der nicht unter Dreizehns Befehl steht.“
    „Oder gar kein Schwarzmagier.“
    „Kock“, sagte Karim auf einmal.
    Alle warfen ihm einen kurzen Blick zu, aber Merin sprach weiter: „Die Frage ist auch: Wenn Dreizehn nicht für diese Dämonen oder was auch immer sie sind, verantwortlich ist, warum will er einen von ihnen haben? Er wird uns wohl kaum von ihnen befreien wollen, oder? Ich nehme eher an, dass er irgendetwas Fieses vorhat.“
    „Basilius Kock“, sagte Karim etwas lauter.
    „Der neunte Desprit? Was ist mit ihm?“
    „Er hat im letzten Herbst versucht, einen Dämon zu beschwören. Was ist, wenn das hier irgendetwas damit zu tun hat. Wir sind gar nicht so weit weg von Gegos, oder?“
    „Vielleicht zwei oder drei Tagesritte.“
    „Damals ist irgendetwas schief gelaufen. Kocks ganze Burg ist in die Luft geflogen. Was, wenn das aus irgendeinem Grund für diese kleinen Dämonen hier verantwortlich ist? Was, wenn es irgendeinen… ja, vielleicht eine Art Öffnung gab, durch die sie gekommen sind?“
    Die anderen sahen sich an. „Ich kenne mich mit so was wirklich nicht aus“, sagte Merin, „aber der Gedanke ist gar nicht mal so dumm.“
    „Wir müssen nach Gegos“, sagte Karim. „Wenn es eine Antwort gibt, dann ist sie dort.“
    „Wir müssen nach Miriam“, widersprach Idela bestimmt. „Wir müssen Bericht erstatten und dürfen kein weiteres unserer Leben riskieren.“
    Doch Merin war auf Karims Seite. „In Gegos finden wir vielleicht den Grund für all das hier. Ja, wir können nach Miriam gehen, unseren Bericht abgeben und dann tagelang warten, bis endlich ein Magier einbestellt wurde. Der wird zuerst nach Merialk gehen und dann vielleicht nach Gegos. Dort ist er dann frühestens in drei Wochen. Oder wir kommen in drei Tagen dort an und schauen uns die Sache schon einmal an. Wir könnten uns aufteilen. Du und Jonah gehen nach Miriam und bringen die Proben dorthin. Karim und ich schauen in Gegos vorbei. Wir werden ganz vorsichtig sein und bloß beobachten. Wenn es zu gefährlich wird, kehren wir sofort um und überlassen die Sache den Magiern. Aber die Informationen, die wir dort sammeln, könnten von unschätzbarem Wert sein.“
    Idela schüttelte eine Weile den Kopf. „Das gefällt mir nicht. Es ist zu gefährlich. Schon allein deshalb, weil wir dann nur noch jeweils zu zweit sind.“
    „Stimmt. Zwei kleine Teams, die Abseits der Wege schnell und unentdeckt voran kommen“, sagte Merin. „Außerdem: Dreizehns Gefolgsleute laufen doch nicht ohne Grund dort unten herum. Hier braut sich etwas zusammen, das uns alle bedroht. Die Gefahr für den Einzelnen spielt da nur noch eine untergeordnete Rolle.“
    Das schien Idela nachdenklich zu machen. „Nun gut“, sagte sie schließlich. „Aber von Gegos aus reitet ihr sofort nach Miriam. Und ihr nehmt eine der Flaschen mit euch. Falls Jonah und ich aufgehalten werden, müsst ihr den Kamiraen die Probe bringen.“
    Damit war es beschlossene Sache. Sie sattelten ihre Pferde und sahen zu, dass sie Merialk und Dreizehns Soldaten hinter sich ließen.

  • Die dunkle Seite


    Der Wind war zurückgekehrt und sie segelten wieder mit voller Fahrt. Maja wurde braun, dank der gleißenden Sonne, die Tag um Tag auf sie herab prallte. Sie wurde immer mehr in die Arbeit auf dem Schiff miteinbezogen und lernte viel über das Segeln. Und so langsam fühlte sie sich fast wie eine der Piraten.
    Stinken tat sie jedenfalls genau wie sie. Obwohl das Wasser des Meeres jeden Tag unter ihnen und um sie herum war, war es seltsam fern. Niemand wäre auf die Idee gekommen, schnell ein kurzes Bad zu nehmen, dafür war die See zu gefährlich. Und das Wasser an Bord war zum Trinken da, nicht zum Waschen. Nur manchmal warf Arissa einen Kübel an einer Leine ins Meer, um sich mit dem Salzasser zu waschen. Maja lieh sich den Kübel manchmal aus und tat es ihr nach, woraufhin sie fortan mit einer leichten Salzkruste auf der Haut lebte, sich aber sonst nicht sauberer fühlte. Maja hatte keine Wechselkleidung mehr, die war ja in Kabaran gestohlen worden. Alles, was sie noch besaß, war die grüne Tasche samt Inhalt und die Kleidung, die sie am Leibe trug. Aber selbst wenn jemand ihr Kleidung zum Wechseln angeboten hätte, sie war sich nicht sicher, ob sie sie angenommen hätte. Die Jeans, das gelbe T-Shirt und die Rote Jacke, jetzt mit einem gewaltigen Riss im Ärmel, sowie ihre Turnschuhe ... sie waren irgendwie Teil ihrer Identität. Ein Zeichen, dass sie nicht in diese Welt gehörte und auch nicht hierher gehören wollte. Ein Zeichen ihrer Mission. Und besonders die Jacke hätte sie nicht wieder hergegeben.
    Aber Maja störte es nicht, wie die Piraten oder sie selbst aussahen und rochen. Die Seeleute lenkten sie von ihrem Kummer ab. Ihre Geschichten, ihre Marotten, all das half ihr, nicht vierundzwanzig Stunden täglich an Käse und Dreizehn denken zu müssen. Und allmählich fühlte sie sich hier richtig wohl. Es kam allerdings der Tag, an dem sich das schlagartig ändern sollte:
    Maja saß in der Kombüse als es passierte und schälte Kartoffeln. Mit einem Mal ging ein Ruck durch das Schiff, als es unvermittelt die Richtung änderte. Maja schnitt sich vor Schreck in den Finger. Das Schiff stellte sich schief und sämtliche Kartoffeln rutschten vom Tisch und polterten zu Boden.
    „Was war das?“, fragte Maja Belzomi, den Koch.
    „Kursänderung“, antwortete er knapp und plötzlich zog er sein Schwert, ließ Töpfe Töpfe sein und drängte sich an Maja vorbei. Maja ließ das Messer auf den Tisch fallen und folgte ihm. Während sie durch die engen Schiffskorridore hetzten, lutschte sie verärgert an ihrem Finger. Die Verletzungen häuften sich in letzter Zeit.
    An Deck erblickte sie noch mehr gezogene Schwerter und andere Klingen. Sugas wetzte seinen Haken an einem Metallstück.
    „Was ist los“, fragte Maja Joyce, die in der Nähe stand und ihren eigenen Säbel inspizierte.
    „Schiff am Horizont.“
    „Schiff ...“ Mit einem Mal wurde Maja die Bedeutung dieses Aufruhrs bewusst und sie erschauderte. Piraten. Natürlich. „Ihr wollt es überfallen?!“ Man hörte das Grauen, das sie verspürte, ganz genau aus ihrer Stimme heraus. So genau, dass Joyce sie verächtlich ansah.
    „Krieg dich wieder ein. Wir sind Piraten, von irgendwas müssen wir leben. Das Schiff dort hat Proviant, Waffen und Geld an Bord. Außerdem gehört es zu Demir Dreizehn. Hattest du mit dem nicht eh noch eine Rechnung offen?“
    Maja stürzte vor, drängte sich an den Piraten vorbei bis zur Reling und blickte aufs Meer. Vor ihnen, weit weg und doch klar erkennbar, war ein Schiff mit grün-weißen Segeln.
    „Seid ihr sicher, dass es zu Dreizeh gehört?“, fragte Maja.
    „Von der Farbe der Segel her ja. Aber falls du dich versichern möchtest, sie führen sein Wappen.“ Joyce war ihr gefolgt und drücke ihr ein Fernrohr in die Hand. Als Maja hindurch sah, konnte sie ganz oben, an der Spitze des Mastes, eine grün-weiße Flagge mit schwarzem Halbdrachen erkennen. Die Flagge Andrayas.
    „Und was jetzt?“, fragte sie. „Sie kommen auf uns zu, wahrscheinlich wollen sie auch uns angreifen.“
    „Dann möge der Bessere gewinnen“, sagte Joyce mit glänzenden Augen. Sie war heiß auf einen Kampf, das sah man sofort.
    Maja beobachtete mit allen anderen, wie das andere Schiff langsam näher kam. Sie hatte ein ganz ungutes Gefühl, als ob etwas Schreckliches passieren würde. Außerdem wusste sie nicht, was sie denken sollte. Ihr war mit einem Schlag etwas wieder klar geworden, was sie in den letzten Tagen zunehmend verdrängt hatte: sie war auf einem Piratenschiff und Piraten waren Verbrecher, keine romantischen Seemannsgestalten. Sie überfielen andere Schiffe, um sich selbst zu bereichern, und gerade jetzt waren sie dabei, genau das zu tun. Auf der anderen Seite: Ihre Gegner segelten unter Dreizehns Flagge und allein aus diesem Grund wünschte Maja ihnen nichts Gutes.
    Plötzlich packte jemand sie am Arm und zog sie zwischen den Piraten weg.
    „Hey, was soll das?“, fragte Maja verärgert und versuchte, sich loszuwinden. Sie erkannte schnell, wer sie zog, es war Arissa und sie schritt entschlossen auf die Tür zum Innern des Schiffes zu.
    „Befehl vom Käpt’n, ich soll dich unter Deck bringen.“
    „Nein! Warum? Ich kann mitkämpfen.“
    „Wir sind ein eingespieltes Team. Nicht umsonst sind wir das gefürchtetste Schiff in diesen Gewässern. Glaubst du, wir würden uns sonst mit einer Schiffsladung von Dreizehns Kriegern anlegen? Du würdest nur im Weg stehen.“
    „Das werde ich nicht“, rief Maja.
    „Der Käpt’n glaubt, dass du Probleme machen wirst, also bleibst du unter Deck.“
    Maja sah sich nach Rachai um. Er schritt an seiner Mannschaft vorbei und gab ihnen Befehle und Anweisungen für den Kampf:
    „Igel, Estefanio, ihr plündert mit euren Gruppen das Schiff. Du auch, Freddy und stell dich nicht so blöd an wie beim letzten Mal, dieses Mal kommt keiner, um dich rauszuhauen. Bleibt im Verborgenen. Ihr habt zehn Minuten Zeit, länger darf unser Angriff nicht dauern. Wir nutzen das Überraschungsmoment aus. Der Rest sorgt für Ablenkung. Auguin, du führst sie mit mir gemeinsam an. Alles hört auf unser Kommando. Diese Leute sind Soldatenanwärter auf dem Weg in ihre Trainingslager auf den Silberwiesen. Sie sind es nicht gewöhnt zu kämpfen, denkt daran und nutzt es gnadenlos aus. Haltet euch dort auf, wo ihr im Vorteil seid und wenn es in der Takelage ist, soll es mir auch recht sein. Und tut mir den Gefallen: tötet so viele von ihnen, wie ihr könnt. Binjeff, Inita, habt ihr die Zauber parat? Haltet euch bereit.“
    „Zauber?“, fragte Maja.
    Arissa nickte. „Wir haben immer ein paar an Bord, falls unsere Gegner Schwarzmagier bei sich haben.“
    „Heißt das, Inita und Binjeff beherrschen Magie?“
    „Nein. Wir kaufen die Zauber auf Schriftrollen, jeder kann sie benutzen. Aber sie sind unvorstellbar teuer, deshalb benutzen wir sie nur, wenn es absolut notwendig ist. Wir haben ein paar Schutzzauber, die magische Angriffe des Gegners so lange aufhalten oder zumindest abschwächen können, bis wir entkommen sind. Aber keine Sorge, wir mussten erst zwei Mal einen Zauber benutzen. Trotzdem halten wir sie immer bereit. Und jetzt Schluss mit der Plauderstunde.“ Sie stieß Maja ins Innere des Schiffes und zog sie bis in ihre Kabine. „Bleib hier und verhalte dich so leise wie ein Staubkorn. Zieh dein Schwert und sei bereit, dein Leben zu verteidigen. Normalerweise sollte kein Feind so weit hier runter gelangen, aber man weiß ja nie. Und du kannst dich glücklich schätzen. Deine Chance zu überleben ist von uns allen am größten.“
    Sie zog ihren langen Degen und ließ Maja allein. Maja nahm das Schwert aus Taroq aus der Halterung und versteckte sich hinter der Tür. Dort verließ sie sich auf den einzigen Sinn, der ihr etwas über die Geschehnisse an Deck des Schiffes mitteilen konnte: ihr Gehör.

  • Den nächsten Teil finde ich selbst schrecklich traurig. Aber ihr kennt es ja, als Geschichtenschreiber trifft man manchmal grausame Entscheidungen. Ich lese übrigens gerade selbst viel in dieser Geschichte, was gut ist, da ich einiges vergessen habe. Weiter schreiben fällt mir gerade schwer, aber ein paar Teile hab ich noch auf der Hand.


    Zunächst war alles still, dann brach ein unglaubliches Geschrei aus, zusammen mit dem Stampfen von Schritten und dem Klirren von Schwertern. Maja drückte sich enger an die Wand und hielt den Atem an. Dann kam ihr ein Gedanke: Was, wenn die Piraten verloren? Die Kämpfer des anderen Schiffes, Fürst Dreizehns Krieger, würden das Schiff durchsuchen und vor denen konnte sie sich doch unmöglich verstecken, oder? Na, vielleicht schon. Aber wenn nicht, wenn sie sie fanden, würden sie erkennen, wer ihnen da in die Fänge geraten war? Sie wusste, dass Dreizehn einst Fahndungsplakate von ihr ausgehängt hatte, es bestand also die Möglichkeit, dass man Maja erkannte. Wenn ja, was würden sie tun? Was würden sie tun, wenn sie sie nicht erkannten? Maja konnte sich augenblicklich gar nicht entscheiden, was wohl schlimmer war. Die Piraten durften eben nicht verlieren, dachte Maja und dann traf sie einen Entschluss. Wenn sie wollte, dass die Piraten nicht verloren, dann musste sie alles tun, um das sicherzustellen. Sie würde mitkämpfen.
    Sie sprang auf die Füße und stürzte los.
    So schnell rannte sie, dass sie beinahe über ihre eigenen Füße stolperte, doch schon nach ein paar Metern stoppte sie plötzlich wieder. Nun hatte sie die Treppe erreicht, die die Decks im Schiff, die Stockwerke, miteinander verband und über sich konnte sie Stimmen hören. Maja duckte sich in eine Nische und spähte nach oben. Zwei grün gekleidete Soldaten mit Kettenhemden und gezogenen Schwertern stürmten die Treppe hinab und traten ein Stockwerk tiefer eine Tür ein, um den Raum dahinter zu erkunden. Maja ließ sie verschwinden, dann huschte sie an ihnen vorbei nach oben und schlich leise zum Ausgang.
    Der erste Fußtritt nach draußen war wie ein Schritt in die Hölle. Schreie, Rufe, Gebrüll, Schwerterklirren und stampfende Schuhsohlen übertönten alles, selbst den Wind und das Meer. Es war eine unübersichtliche Menge von Kämpfern, zu Paaren und Gruppen angeordnet, doch sie konnten sich genauso schnell auflösen wie gründen und keiner konnte sicher sein, dass sich nicht plötzlich ein Außenstehender in seinen Kampf einmischte. Die Menschen wirbelten so schnell und chaotisch über das Schiff, dass Maja kaum eine Chance hatte, einen Überblick zu gewinnen. Und schon wenige Sekunden, nachdem sie auf das Deck getaumelt war, ließ eine Vorahnung sie herumfahren und reflexartig den Schwertarm heben. Keine Sekunde zu spät, schon krachte das Schwert eines Gegners darauf, so heftig, dass Funken sprühten. Er hatte rote Haare und trug die grüne Tracht von Dreizehns Soldaten. Sein Kettenhemd hatte einen langen Riss, doch er selbst war unverletzt. Seine Augen verengten sich und er holte wieder aus, um nach Maja zu schlagen. Sie entwich ihm rückwärts, als ihr plötzlich eine neue Eingebung sagte, sich schleunigst zu Boden zu werfen. Sie tat es und schon stolperte ein anderer Soldat über sie hinweg und traf sie dabei so hart mit dem Fuß an der Seite, dass sie schmerzerfüllt aufstöhnte. Der Soldat drehte sich um und wollte mit seinem Schwert nach ihr stechen, aber er kam nicht dazu, denn plötzlich ragte ihm selbst eine Schwertspitze aus der Brust. Entsetzt starrte er darauf, entsetzter noch als Maja, dann drehten sich seine Augen nach oben und er stürzte schwer zu Boden. Maja folgte ihm mit den Augen, so erschrocken, dass sie kaum atmen konnte. Dann packte jemand sie am Arm und zog sie auf die Füße.
    „Steh auf, oder willst du sterben?“
    Maja drohte, sofort wieder umzufallen, doch derjenige, der sie auf die Füße gezogen hatte, schlug ihr ins Gesicht und endlich schaffte sie es, sich zusammenzureißen. Sie musste das hier unbedingt überleben. Ihr Gesichtsausdruck wurde hart und sie sah ihrem Helfer in die Augen. Es war Belzomi, der Koch unter dessen Augen sie noch vor wenigen Minuten Kartoffeln geschält hatte. Hinter seinem Kopf bewegte sich etwas.
    „Pass auf!“, schrie Maja, wirbelte um ihn herum und blockte den Schlag ab, der ihm sonst den Kopf gespalten hätte.
    „Danke, Kleine“, sagte der Koch. „Bist ja doch zu was nütze.“ Und damit ging er auf den Angreifer los.
    Maja dagegen suchte Deckung. Sie merkte, wie die seltsamen Kräfte der Kamiraen sie durchströmten, aber Tabea hatte sie gewarnt, sich nicht zu sehr darauf zu verlassen. Und sie wusste es besser, als in diesem Augenblick nicht auf Tabea zu hören. Es war klar, dass sie hier in diesem Kampfgetümmel nicht lange durchhalten würde. Sie schlängelte sich zwischen Kämpfern und Waffen hindurch. Einmal spritze Blut auf sie, aber sie sah nicht, von wem es stammte.
    Sie fand Zuflucht zwischen zwei Fässern nahe der Reling und duckte sich so tief in das Versteck, dass sie schon nach ein paar Sekunden Rückenschmerzen hatte.
    Von ihrer Position aus konnte sie das eigene Schiff, aber auch das der Gegner gut überblicken. Dort drüben ging es noch wilder zu als hier.
    Die Soldaten Dreizehns auf der Nessanta wurden weniger. Einige von ihnen waren geschlagen worden, andere flohen zurück auf ihr eigenes Schiff, nachdem sie auf dieser Seite der Schlacht in die Unterzahl geraten waren. Obwohl die Soldaten mit ihren Kettenhemden und Helmen besser ausgerüstet waren und obwohl sie in der Überzahl waren, behielten die Piraten die Oberhand. Weshalb, war leicht zu erkennen. Bei einem Kampf auf dem engen, unebenen Schiff kam es darauf an, beweglich und geschickt zu sein und darin waren die Piraten ihren Gegnern haushoch überlegen. Viele der Soldaten machten darüber hinaus den Eindruck, zum ersten Mal auf hoher See zu kämpfen. Es war ein stürmischer Tag mit hohem Wellengang und manchmal schaffte es eine Welle, ganze Reihen von Soldaten von den Füßen zu werfen.
    Und dann wirbelte plötzlich ein Paar von Kämpfern an Maja vorbei, bei dem sie beide Parteien kannte: Die eine war Joyce, wild, mit flatterndem Mantel und schnell wie eine Schlange. Ihr Gegner wich ihr ungewöhnlich geschickt aus. Er bekam keine Gelegenheit sie anzugreifen, aber sie konnte auch ihn nicht fassen. Er war nicht greifbar, wie eine Feder in der Luft.
    Maja erkannte diese Bewegungen sofort. Diese kraftvollen, geschmeidigen Bewegungen hatte sie schon einmal gesehen: am Ufer des Flusses Jun, als Karim mit Gendo in einen Streit um einen Angelhaken geraten war. Es war kein ernsthafter Streit gewesen und er mündete schließlich in einer nicht weniger verspielten Balgerei, bei der Karim versucht hatte, Gendo den Haken abzunehmen. Doch der Genêpa-Junge war einfach nicht zu fassen gewesen. Jetzt trug er nicht mehr die einfache Kleidung und die regenbogenfarbenen Federn der Genêpas, sondern das Grün von Dreizehns Soldaten und sein einst langes, tiefschwarzes Haar war stoppelkurz, doch es war eindeutig Gendo.
    Ohne darüber nachzudenken, rief Maja seinen Namen und stürzte aus ihrem Versteck hervor, auf die beiden Kämpfer zu.
    Es war Joyce, die durch ihren Ruf abgelenkt wurde. Sie blickte einen Augenblick zu Maja und ließ ihre Deckung sinken. Hätte Gendo schnell reagiert, hätte er Joyce niederstrecken können. Doch er zögerte und Joyce besann sich wieder auf den Kampf und ging erneut auf ihn los.
    „Joyce nicht!“, schrie Maja und stolperte weiter. Sie musste das hier irgendwie stoppen.
    Gendo warf ihr aus dem Augenwinkel einen Blick zu, nicht länger als eine Millisekunde. Und dann erkannte er sie. Sein Gesicht füllte sich mit Schock und er ließ seine Waffe ein wenig sinken. In dem Moment bohrte sich Joyce Schwert durch sein Herz.
    Maja blieb abrupt stehen. Gendo kippte nach hinten und fiel zu Boden. Der Lärm des Kampfes war zum größten Teil verebbt und so konnte man das Geräusch, als Gendos Körper auf den Holzbrettern aufschlug, laut und deutlich hören. Es schnitt Maja durchs Herz.
    Joyce trat zurück, um sich nach weiteren Gegnern umzusehen. Sie sah aber keine. Nur Maja, die an ihr vorbei taumelte und neben Gendo zusammenbrach.
    „Gendo“, schrie sie wieder und wieder und rüttelte an seiner Schulter. Doch es gab nichts mehr, was sie hätte tun können. Gendo war tot. „Er war mein Freund!“, brüllte sie Joyce an. „Mein Freund und du hast ihn umgebracht!“
    Joyce sah sie nur verständnislos an. Auch andere Piraten drehten sich zu ihr um und in ihren Gesichtern spiegelte sich dieselbe Verständnislosigkeit.
    Rachai schritt über das Deck und befahl jenen, die noch kämpften, zurückzukehren. Seine Leute hatten den Schatz geborgen, das andere Schiff geplündert, und es war Zeit, den Rückzug anzutreten.
    Maja hasste sie jetzt alle, das gesamte Piratenpack. Sie hob ihr Schwert und wollte schreiend auf Joyce losgehen, doch im nächsten Moment sah sie sich sieben auf sie gerichteten Schwertern und Säbeln entgegen: vor, hinter und neben ihr. Sie verharrte regungslos im Kreis der Piraten.
    Die Soldaten schienen aufgegeben zu haben, sie hatten auf ihrem Schiff eine Verteidigungslinie errichtet, griffen aber nicht an, sondern schauten den Piraten bloß dabei zu, wie die ihren Rückzug vorbereiteten. Dann entfernten sich die Schiffe endlich voneinander und der Abstand vergrößerte sich rasch.
    Maja stand immer noch mit erhobenem Schwert neben Gendos Körper, inmitten misstrauischer Piraten.
    „Was ist hier los?“, fragte Rachai, als er zu ihnen trat.
    „Sie hat Joyce angegriffen“, erklärte einer der Piraten.
    „Warum?“
    „Sie behauptet, dieser Soldat sei ihr Freund. Und Joyce hat ihn im Kampf getötet.“
    „Wie kann er dein Freund sein, wenn er für Dreizehn kämpft?“, fragte Rachai Maja.
    Sie starrte ihn nur wütend an.
    „Erkläre!“
    „Ihr könnt mich alle mal.“
    „Ich will wissen, was das soll. Erkläre dich!“
    Maja seufzte. „Gendo war ein Freund von mir. Er war ein Genêpa, sie leben weit nördlich von hier. Dreizehn weiß von ihnen und droht, sie zu vernichten, es sei denn, sie senden ihm jedes Jahr zwei ihrer Krieger, damit sie in seine Armee eintreten. Letztes Jahr war Gendo einer von ihnen. Er hat nicht freiwillig für Dreizehn gekämpft, er wurde dazu gezwungen.“
    „Das mag sein, aber für uns macht es keinen Unterschied. Oder erwartest du von Joyce, dass sie sich von ihm aufspießen lässt?“
    Maja antwortete nicht.
    „Sprich!“, herrschte Rachai sie an.
    „Nein, das erwarte ich nicht“, antwortete Maja zornig. „Aber wenn ihr das Schiff nicht angegriffen hättet, wäre das alles nicht passiert. Dann würde er jetzt noch leben.“
    Rachai starrte sie einen Moment ausdruckslos an. „Lass deine Waffe fallen“, sagte er schließlich. Maja zögerte. „Augenblicklich, oder ich befehle ihnen, dich hier und jetzt zu töten.“
    Maja war immer noch von kampfbereiten Piraten umringt. Ein Blick auf ihre blutverschmierten Klingen und Kleider genügte ihr. Sie schleuderte das Schwert aus Taroq vor sich auf den Boden. Es schepperte laut.
    Rachai zeigte auf Gendo. „Dieser Soldat hat bekommen, was er verdient hat. Keiner von uns würde sich jemals Dreizehn anschließen. Völlig egal, was er uns androht.“
    „Hätte er es nicht getan, wäre sein ganzer Stamm vernichtet worden“, zischte Maja ihn an. „Aber ich erwarte nicht, dass ihr das versteht. Ihr seid Piraten. Wer würde von euch erwarten, dass ihr etwas von der Liebe zu einer Familie, zu einem Volk versteht? Wer würde erwarten, dass ihr etwas von Ehre und Pflichterfüllung versteht? Euch kümmert doch nur euer eigener Arsch.“
    „Ich kann keine Ehre darin finden, seine eigenen Wünsche, Ziele und Werte zu verraten und sich Dreizehn anzuschließen.“
    „Werte?“, schnaubte Maja. „Ihr plündert Schiffe und Dörfer, um euch selbst zu bereichern. Und seid auch noch stolz darauf, ich habe euch prahlen hören. Ihr handelt doch nur in eurem eigenen Interesse. Gendo dagegen war bereit, seine eigenen Wünsche zurückzustellen, um das zu schützen, was ihm lieb und teuer war.“
    „Verstehe“, sagte Rachai. „Dann habe ich eine Frage an dich, Maja Sonnfeld. Würdest du es ihm gleich tun? Würdest du dich Dreizehn anschließen um jene zu schützen, die dir etwas bedeuten?“
    „Diese Frage wird sich nicht stellen“, sagte Maja.
    „Angenommen, sie würde sich stellen. Was wäre deine Antwort?“
    Maja schüttelte den Kopf. Dreizehn wollte sie vernichten und nicht auf seiner Seite haben. Aber angenommen, er wollte es. Angenommen, er würde ihren Bruder dafür gehen lassen? Maja hasste Dreizehn aus ganzem Herzen und sie wollte lieber sterben, als auf seiner Seite zu sein. Aber auf der anderen Seite war ihr Bruder. Der kleine, herzensgute Käse, für den sie hunderte von Kilometern zurücklegte. Hatte sie nicht geschworen, alles zu tun, um ihn zu retten? Sie hatte gedacht, zu sterben wäre das Äußerste, zu dem es kommen konnte. Und plötzlich gab es da etwas Neues. Etwas viel Schlimmeres. Oder nicht? Gab es etwas Schlimmeres als den Tod, dem sie sich auf dieser Reise stellen musste? Maja stürzte auf die Knie und sackte zusammen. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen.
    „Was ist jetzt mit ihr los?“, fragte Joyce.
    Rachai seufzte. „Warum konntest du nicht einmal unter Deck bleiben, wie man es dir gesagt hat? Sperrt sie weg“, ordnete er an. „Ich will sie hier nicht mehr sehen.“
    Grobe Hände packten Maja und zerrten sie ins Innere des Schiffes. Ganz nach unten brachte man sie, dorthin wo mit rostigen Gittern kleine Käfigzellen abgetrennt waren. Man schubste sie hinein, schloss die Tür ab und ließ sie allein. Allein mit ihrer Furcht, ihrer Verwirrung, ihrer Wut und Trauer. Allein mit ihrer Schuld. Denn es war ihre Schuld, dass Gendo gestorben war. Sie hatte ihn abgelenkt. Wäre sie nicht gewesen, hätte er Joyce noch länger ausweichen können. Vielleicht sogar zurück auf sein Schiff fliehen können.
    Maja hockte sich in eine Ecke, zog die Knie zum Körper heran und weinte. Weinte, bis sie glaubte, alle Emotionen verbraucht zu haben und nur noch ein kalter, toter Stein zu sein.

  • Nach dem ganzen Drama bei Maja mal wieder ein netter Part mit Kandrajimo, Tabea und Niber :) Immer noch mein Lieblingstrio, aber gar nicht so einfach ans Ziel zu bringen.


    Bolivien

    „Es gibt also Orte in dieser Welt, die der unseren doch sehr ähneln“, sagte Jonathan Niber. Es war der sechste Tag ihrer Suche und sie saßen auf der Terasse eines kleinen Hotels mitten im Nirgendwo mit einem fantastischen Ausblick auf die umliegenden Wälder. Hotel war vielleicht nicht ganz das richtige Wort für ihre Bleibe. Es war klein, schäbig und heruntergekommen, selbst der hellblaue Putz an der Fassade blätterte ab und außer dem Besitzer gab es kein Personal, aber er nannte es Hotel und gegen Bezahlung bot er ihnen ein Zimmer und Frühstück. Und die Aussicht war außergewöhnlich gut. „Man fühlt sich fast wie zuhause.“
    „Ich weiß nicht“, meinte Kandrajimo. „Ich habe hier immer das Gefühl, dass etwas fehlt. Auch wenn ich nicht in Worte fassen kann, was es ist.“
    „Diese Welt atmet nicht“, sagte Tabea. „Nicht so wie unsere.“
    „Was meinst du damit?“, fragte Niber.
    Tabea nahm sich ein bisschen Zeit, ihre Gedanken in die richtigen Worte zu fassen, bevor sie sie aussprach. „Ich glaube, dieser Welt fehlt die Magie“, antwortete sie schließlich. „Obwohl ich mich damit natürlich nicht wirklich auskenne. Ich bin keine Magierin.“
    „Aber auch in dieser Welt gibt es Magier, oder?“
    „Ja, sogar einige“, antwortete Kandrajimo. „Und manche von ihnen sind verdammt gut.“ Er dachte düster an seine letzte Begegnung mit einem Exemplar der Magier dieser Welt zurück. Noch immer tat ihm jeder Knochen weh.
    „Wie kann dann die Magie fehlen?“, wollte Niber wissen.
    „Es ist ja bloß so ein Gefühl von mir“, erklärte Tabea. „Vielleicht fehlt die Magie auch nicht ganz, sondern ist bloß schwächer. Nicht so allgegenwärtig. Zum Beispiel gibt es in dieser Welt auch weniger magische Wesen, also Wesen, deren Existenz vollkommen von Magie bestimmt ist und davon abhängt.“
    „Gibt es die in unserer Welt?“, fragte Niber zweifelnd. „Es gibt dort andere Arten als hier, aber welche davon würdest du als magisch bezeichnen?“
    „Viele“, mischte sich Kandrajimo erneut ein. „Die Waldgeister des Dark Forest sind nur ein Beispiel. Und im unbewohnten Teil unserer Welt gibt es noch mehr. Geschöpfe, die man sich in dieser Welt kaum vorstellen kann. Selbst in den zwölf Königreichen tut man sich schwer damit.“
    „Fortezzas“, sagte Tabea.
    „Feen“, ergänzte Kandrajimo.
    „Wünschellilien.“
    „Ankraaisch.“
    „Drachen“, sagte Tabea.
    „Die Drachen sind tot“, sagte Niber.
    „Aber es hat sie zweifelsfrei gegeben. Außerdem gibt es Gerüchte, dass einer von ihnen gesehen wurde.“
    „Ich glaube nicht, dass die Drachen tot sind“, meinte Kandrajimo. „Das Land hinter dem Gebirge ist groß. Irgendwo wird es noch Drachen geben. Außerdem sind es mächtige, intelligente und wie man sagt, riesige Wesen. Ich glaube nicht, dass ein paar Menschen sie ausrotten könnten.“
    „Aber angenommen es gäbe sie“, warf Niber ein, „und sie wären so mächtig und intelligent, wie du sagst, würden sie nicht gegen Dreizehn vorgehen?“
    „Warum sollten sie?“, fragte Kandrajimo. „Was geht es sie an, was Dreizehn in seinem kleinen Land tut?“
    „Er baut eine Armee auf. Wahrscheinlich will er die zwölf Königreiche angreifen.“
    „Von den Drachen können wir trotzdem keine Hilfe erwarten.“
    „Früher haben sie sich eingemischt. Oder, Tabea? Du musst es miterlebt haben.“
    Tabea nickte. „Habe ich. Und ich sage, wir können froh sein, wenn die Drachen uns Menschen in Ruhe lassen.“
    Sie diskutierten noch eine Weile weiter, während sie den Sonnenuntergang beobachteten. Schließlich wandte Kandrajimo sich seinem Bein zu. Er hatte den Gehgips abgenommen und ihn durch einige feste Bandagen ersetzt. Ärztlichen Rat hatte er dazu allerdings nicht eingeholt und so machte er sich ein wenig Sorgen, das Bein vielleicht zu früh wieder zu belasten. Aber es ging nicht anders und zumindest den alltäglichen Belastungen schien es standzuhalten. Zum Glück fuhren sie derzeit viel mit dem Auto.
    „Wir sollten uns Pferde besorgen“, sagte Tabea irgendwann.
    „Pferde?“
    „Wir können schlecht mit dem Auto durch das Tor, oder? Mal abgesehen davon, dass wir damit alle Gesetze der Kamiraen brechen würden, ist das Tor vermutlich für Autos unzugänglich. Ganz zu schweigen davon, dass wir nicht genau wissen, was uns auf der anderen Seite erwartet.“
    „Wir wissen auch nicht, ob das Tor für Pferde zugänglich ist“, meinte Kandrajimo. „Wenn es irgendwo auf einem steilen Berg steht oder mitten im Regenwald? Schau dich doch hier um!“
    „Mag sein, aber wir können wohl schlecht mit einem Hubschrauber hindurch fliegen.“
    Kandrajimo starrte sie mit offenem Mund an. Sie hatte ihn gerade auf eine geniale Idee gebracht. „Das ist es!“
    „Was? Ein Hubschrauber? Das kannst du unmöglich ernst meinen.“
    „Nicht, was du denkst. Aber wir könnten das Tor aus der Luft suchen.“
    „Was ist ein Hubschrauber?“, wollte Niber wissen.
    Tabea legte nachdenklich den Kopf zur Seite. „Das könnte funktionieren, aber woher bekommen wir einen Piloten, dem wir vertrauen können? Wenn wir das Tor sehen, wird er oder sie das auch tun.“
    „Gibt es unter den Eingeweihten keine Piloten?“
    „Vielleicht. Aber es dauert sicher lange, einen hierher zu bringen. Außerdem können wir nicht sicher sagen, ob das Tor aus der Luft zu sehen ist. Aber an sich ist es keine schlechte Idee, aus der Luft zu suchen. Ich kann noch heute Abend mit Norwegen Kontakt aufnehmen, um das zu organisieren. Aber es kann dauern. Wir sollten auf jeden Fall versuchen, auf unsere bisherige Weise weiter zu machen.“
    „In Ordnung“, sagte Kandrajimo. „Versuchen wir also beides.“

    Sie gingen zeitig zu Bett, weil sie am nächsten Morgen früh aufstehen wollten. Allerdings glaubte Kandrajimo nicht, dass er gut schlafen würde. Er hatte sich so weit von dem Angriff Davinas erholt, dass er handlungsfähig war, aber er fühlte dessen Nachwirkungen noch in jeder Körperzelle. Außerdem machte er sich jeden Tag mehr Sorgen um Maja. Obwohl sie taten, was sie konnten, hatte er ein schlechtes Gewissen. Sie waren eben einfach nicht schnell genug. Er hatte die Tagebücher MacLyarks gelesen und der Weg zwischen dem Ausgang des 3. Tores und dem des Tores, welches sie nun suchten, war gut beschrieben und sie würden ihn leicht zurückverfolgen können. Das Problem war nur, dass Maja nach all dieser Zeit wohl kaum noch dort sein würde. Sie konnte überall sein. Und das machte diese Reise deprimierend zwecklos.
    Auf dem Weg in sein Zimmer kam ihm auf dem Flur eine alte Frau mit glänzendem, schwarzem Haar und dunklem, runzligem Gesicht entgegen. Sie trug ein langes, aber einfaches blaues Kleid und grobe Wanderschuhe. Als sie Kandrajimo erblickte, fing sie plötzlich an, schnell und eindringlich in Spanisch auf ihn einzureden. Kandrajimo hatte keine Ahnung, was sie sagte.
    „Do you speak English?“, fragte er.
    „Oder vielleicht Deutsch?“
    Sie hörte nicht auf, auf ihn einzureden.
    „Sepreo Paratak?“, versuchte er es. Manchmal traf man an den seltsamsten Orten der Welt auf Eingeweihte. Doch auch das verstand sie offenbar nicht. Und damit waren Kandrajimos Sprachkenntnisse auch schon beinahe erschöpft. Mit den paar Brocken Norwegisch, die er beherrschte, versuchte er es erst gar nicht. Doch er hatte das Gefühl dass sie ihm etwas Wichtiges mitzuteilen hatte.
    „Tabea!“, rief er laut.
    Sie war schon auf ihr Zimmer gegangen, aber innerhalb von Sekunden stand sie wieder im Flur.
    „Die Frau versucht, mir etwas zu sagen, aber ich verstehe sie nicht“, sagte er. „Ich glaube, sie spricht Spanisch.“
    Tabea sagte etwas auf Spanisch zu der Frau und schon begann sie wieder wie ein Wasserfall zu reden.
    Tabea hörte ihr aufmerksam zu, stellte ein paar Fragen, bedankte sich schließlich und verabschiedete sie. Dann zog sie Kandrajimo am Ärmel in ihr Zimmer.
    „Ich weiß jetzt womöglich etwas über das Weltentor. Sie erzählte von einem Ort, an dem man angeblich in die Welt der Götter gelangen könne und mit ihnen sprechen könne.“
    „Klingt nach unserem Tor. Woher weiß sie, dass wir danach suchen?“
    „Sie hat unser Gespräch mit dem Pensionsbesitzer belauscht.“ Tabea weigerte sich strikt, dieses Gebäude ein Hotel zu nennen. „Sie meint, dieser Ort sei in der Nähe ihres Heimatdorfes. Wo genau weiß sie nicht, aber wahrscheinlich findet sich in diesem Dorf jemand, der es kennt.“
    „Wie heißt das Dorf?“
    „Erisa. Ein sehr armes Dorf nördlich von hier. Ein paar Stunden mit dem Auto.“
    „Und was sind das für Götter, von denen sie sprach?“
    Tabea zog die Schultern hoch. „Ich weiß es nicht. Menschen ... womöglich irgendwelchen anderen Wesen ... oder Menschen, die sich als andere Wesen verkleiden. Womöglich sind sie auch einfach nur der Fantasie der Dorfbewohner entsprungen.“
    „Ich hoffe, es ist Letzteres“, sagte Kandrajimo. „Oder wenigstens etwas Menschliches. Ich habe absolut kein Bedürfnis, mich mit etwas Größerem und Mächtigerem herumzuschlagen.“
    „Bei unserm Glück würde ich alles erwarten“, sagte Tabea. „Denk nur an Schottland.“
    „Ich denke dauernd an Schottland“, grummelte er düster. „Hast du eigentlich wegen dem Hubschrauber etwas erreicht?“
    „Ich habe nachgefragt. Wir könnten ein kleines Flugzeug kriegen, eine Propellermaschine, aber das würde mindestens eineinhalb Wochen dauern. Es sei denn, wir lassen unsere Beziehungen richtig spielen, dann können wir in drei Tagen einen Hubschrauber bekommen. Aber das würde Aufsehen erregen und wenn wir tatsächlich ein Tor finden, wird es daraufhin nicht lange geheim bleiben. Und unsere Welt damit auch nicht. Ich denke, wir sollten weitermachen, wie bisher. Besonders mit den neuen Informationen, die wir jetzt bekommen haben.“
    „Also auf nach Erisa. Und hoffen wir das Beste.“

  • Es fehlt nicht mehr viel, bis dieser thematische Teil dieses Buches abgeschlossen sein wird. Im nächsten Kapitel stifte ich noch mal ein bisschen Verwirrung mit kryptischen Träumen. Ich liebe es, solche Träume zu schreiben :D


    Verflucht

    Der Wald lichtete sich und gab den Blick auf ein kleines Tal frei. Das Gras an den Hängen leuchtete grün im Sonnenlicht und in der Mitte des Tals stand ein riesiges, steinernes Weltentor. Darin war eine Art Membran eingespannt, die Wellen zog wie fließendes Wasser. Doch etwas stimmte nicht, denn sie war von hier aus gesehen nicht strahlend blau, wie sie sein sollte, sondern eher gebrochen trüb. Karim ging darauf zu, um die Sache näher zu untersuchen.
    Als er bei dem Tor ankam, erkannte er, was dieses beeinträchtigte. Schwarze, glimmende Fäden wucherten wie Dornen am Torbogen hoch und spannten sich wie ein Spinnennetz über den Durchgang. Beunruhigt ging Karim darum herum. Er wusste, dass er hindurch musste – dahinter lag seine Zukunft. Aber er war sich auch gewiss, dass er auf keinen Fall die schwarzen Fäden berühren durfte. Mit den Augen suchte er eine geeignete Stelle. Dort war sie: ganz links unten am Tor waren die Lücken zwischen den Spinnfäden etwas weiter. Er würde hindurch passen.
    Karim streckte zuerst den Arm aus und versuchte dann, den Körper zwischen den glühenden Fäden hindurch zu biegen. Doch plötzlich war dort einer, den er zuvor nicht gesehen hatte. Ein stechender Schmerz schoss durch seine Rippen, als er mit dem Oberkörper die Substanz berührte. Er wollte sich zurückziehen, doch der Faden klebte an ihm fest und ließ ihn nicht los. Einen Moment kämpften sie gegeneinander: Junge gegen Spuk, dann gewann der Spuk und zog Karim in das Netz. Ein schreckliches Brennen erfasste seinen Arm und sein Gesicht, als er mit weiteren Substanzfäden in Kontakt kam. Dann fiel das ganze Netz über ihn her. Schreiend kämpfte Karim dagegen an, doch im Nu war er eingewickelt in einen schwarzen Kokon, der ihm Todesqualen bereitete. Seine Beine verloren ihre Kraft und er kippte zur Seite – durch das nun schlammbraune Tor.
    Im Fallen schien Karim sich zu drehen, denn er landete auf dem Rücken und starrte plötzlich in einen blutroten Himmel. Der Spuk ließ von ihm ab, sodass er sich wieder bewegen konnte, doch immer noch schüttelten schmerzhafte Krämpfe seinen Körper. Schwitzend und keuchend stand er auf und sah sich um. Unter seinen Füßen war schwarzer Fels, durch den sich tiefe Risse zogen. Auch rechts und links von ihm waren Felsen. Es schien, als wäre er in einer Art Schlucht gelandet. Das Weltentor konnte er nirgendwo entdecken, aber in der Ferne erkannte er ein weißliches Schimmern. Obwohl seine Glieder noch schmerzten, beschloss er, darauf zu zu gehen.
    Nach überraschend kurzer Zeit gelangte er an eine Art Teich, bloß dass das Wasser nicht durchsichtig, sondern weiß war. Er ging in die Knie und streckte die Hand danach aus. Es fühlte sich eisig an, war aber ganz flüssig. Seine Berührung löste kleine Wellen aus, die sich kreisförmig ausbreiteten. Er folgte ihnen mit den Augen, bis er plötzlich Gestalten im Wasser sah: die Spiegelungen von zwei Menschen, die am Ufer standen.
    Das eine war ein Mann, das andere eine Frau. Der Mann war groß, recht dürr und dunkelhaarig, mit blasser Haut. Er kleidete sich ganz in schwarz. Die Frau war sehr klein, ebenfalls schlank und sie hatte schneeweißes, struppiges Haar. Ihre Haut war sehr dunkel, aber ihre Kleidung weiß. Die beiden gaben ein Kontrastreiches Pärchen ab. Und sie hatten Karim entdeckt. Sie wechselten einen Blick, dann gingen sie um den Teich herum, der Mann links, die Frau rechts. Sie blieben bei Karim stehen.
    Das ist noch nie passiert“, sagte die Frau.
    Nein“, bestätigte der Mann. „Aber es wurde prophezeit. Wir müssen los.“
    Also kommst du angelaufen, wenn deine Schwester pfeift?“, fragte die Frau missmutig.
    Der Mann streckte die Hand nach Karims Hals aus. Karim wich zurück. „Dieses eine Mal“, sagte er. „Was ist mit dir? Wirst du mich begleiten?“
    Warum sollte ich?“, knurrte die Frau. Sie legte die Hand auf Karims Rücken, sodass dieser nicht weiter zurück gehen konnte. „Ich sehe nicht, was das alles mit mir zu tun hat.“
    Der Mund des Mannes verzog sich zu einem bitteren Lächeln. „Es ist deine Welt, in die dieser junge Mann eindringen konnte, deren Mauern niederzubrechen drohen. Deine Geschöpfe.“ Er starrte Karim an. Seine Hand rückte näher.
    Ich glaube kaum, dass ein einzelner Mann die Wände der Welten zerstören könnte“, widersprach die Frau.
    Manchmal braucht es nur eine unachtsame Handlung und etwas Zufall, um eine Katastrophe herbeizuführen.“
    Die Frau schwieg. Karim drehte sich zu ihr um. Sie starrte den Mann aus ihren strahlend hellblauen Augen unergründlich an. Seine Worte schienen sie zu bewegen, denn sie dachte nach. „Geh du deinen Weg, ich werde meinen gehen“, sagte sie schließlich.
    Er lächelte sie wissend an. „Nichts anderes habe ich erwartet.“ Er wandte sich wieder Karim zu. Seine kühle Hand berührte die Seite von Karims Hals und plötzlich war da wieder dieser Schmerz, bloß zehnmal stärker. Auch die glühenden Fäden waren zurück. Sie schlangen sich um seinen Hals, seine Arme und Beine und zwangen ihn zu einer qualvollen Starre. Als er zu schreien begann, drangen sie in seinen Mund ein, dann spürte er sie in sich …

    Karim erwachte mit einem Schrei, er drehte sich zur Seite und übergab sich ins Gras. Merin, der Wache gehalten hatte, sprang sofort mit gezogener Waffe auf. „Was ist passiert?“
    „Alptraum“, murmelte Karim, nachdem er die Orientierung wieder erlangt hatte. Die Schmerzen waren verschwunden, aber er war schweißgebadet.
    Merin blickte ungläubig drein. „Du siehst nicht gut aus“, sagte er schließlich.
    „Mir geht es prima“, wehrt Karim ab. Ihm war die Sache eher peinlich. Nachdenklich rieb er sich den Hals. Er fühlte sich verspannt an, vermutlich hatte er sich zu allem Überfluss auch noch einen Zug geholt. Außerdem hatte er den sauren Geschmack von Erbrochenem im Mund. Er trank ein paar Schlucke, stand auf und ließ die Arme kreisen.
    „Lass uns tauschen“, sagte er zu Merin. „Ich fürchte, ich kann heute Nacht eh nicht mehr schlafen.“

    Der Himmel färbte sich rosa und Karims Verspannung wurde stärker. Irgendwann bemerkte er, dass seine Hand immer wieder wie von selbst zum Hals wanderte und diesen rieb. Schließlich weckte er Merin und bat diesen, sich die Sache einmal anzusehen.
    „Bisschen rot“, murmelte der verschlafen. „Könnte vom Reiben kommen. Versuch mal die Hände wegzulassen.“
    Karim gab sich Mühe, aber seine Hände wanderten immer wieder wie von selbst zu seinem Hals.
    „Was hast du eigentlich die Nacht geträumt“, fragte Merin, wohl um ihn abzulenken. „Als du dich übergeben hast, dachte ich schon du wirst krank.“
    „Ich habe es schon wieder vergessen“, murmelte Karim, obwohl er sich klar und deutlich erinnern konnte. Mehr Sorgen als der Traum machte ihm allerdings sein Hals. Die verspannte Stelle war genau dort, wo ihn die größte Ladung des zerplatzenden Dämons getroffen hatte.

  • Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen ... Mein letzter Beitrag ist ja tatsächlich schon eine Weile her. Aber ich hab es nicht vergessen. Es geht weiter:


    Karim wurde tatsächlich krank. Am Mittag verlor er seinen Appetit, am Nachmittag überkam ihn bleierne Müdigkeit und am Abend bekam er Fieber. Nachdem Merin seine Stirn gefühlt hatte, schlug er sofort das Lager auf. Er kochte eine Suppe aus den wenigen Zutaten, die sie noch hatten, flößte sie Karim ein und wickelte ihn anschließend dick in Decken ein.
    „Das wird schon wieder. Morgen Mittag sind wir in Gegos, dann kannst du dich ausruhen“, sagte er.
    „Mein Hals brennt“, stöhnte Karim.
    „Ich schätze das kommt vor bei so einer Sommergrippe“, sagte Merin. „Ich werde dir ein paar Kräuter dagegen suchen.“
    „Nein. Er brennt außen.“
    Merin besah sich ein weiteres Mal Karims Hals. Er wirkte beunruhigt.
    „Was ist dort?“, fragte Karim.
    „Ein bisschen rot. Ein bisschen grau.“
    Karim erzählte ihm von seiner Befürchtung. Danach wirkte Merin noch beunruhigter. „Es muss nicht von dem Spuk kommen“, sagte er. „Vielleicht hat dich letzte Nacht einfach bloß ein Insekt gestochen. Ein Kranzstecher ...“
    Aber sie wussten beide, dass es kein Kranzstecherstich war.

    An den nächsten Morgen konnte Karim sich nur noch verschwommen erinnern. Er wusste, dass er wie ein Häufchen Elend auf dem Pferd gesessen hatte. Ob und was er gefrühstückt hatte und wann sie aufgebrochen waren, konnte er nicht mehr sagen.
    Jetzt lag er in einem Bett in einem Gasthaus, das ihm vage vertraut vorkam. Irgendwann musste er schon mal hier gewesen sein, doch es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen und er konnte nicht sagen, woher er es kannte. Die Tür ging auf und ein besorgt dreinschauender Merin kam herein, gefolgt von einem Mann mittleren Alters. Sein graues Haar schimmerte rötlich, er hatte ein freundliches Gesicht mit kleinen Fältchen und lebhaft glänzende Augen.
    „Das ist Mylonas“, stellte Merin den Mann vor. „Er ist Arzt.“
    Mylonas selber schwieg zunächst. Er fühlte Karims Stirn und besah sich seinen Hals, schaute in seine Augen und ließ ihn ein Glas festhalten. Es rutschte dem Jungen beinahe durch die Finger. „Ihr seid sicher, dass ihn nichts gestochen hat?“, fragte er schließlich.
    „Sieht das für euch nach einem Stich aus?“, fragte Merin angespannt.
    Mylonas fuhr mit seinem Finger über Karims Hals. Seine Haut war angenehm kühl und zog eine Linie von hinter dem Ohr bis zu Karims Adamsapfel.
    „Was ist da?“, fragte Karim nervös.
    „Besser, wenn du es nicht siehst“, antwortete Merin und machte damit alles noch schlimmer.
    Mylonas packte ein Fläschchen und eine Dose aus. „Wenn sein Leiden von Magie verursacht wurde, sollte das hier zumindest ein wenig helfen“, erklärte er. Er flößte Karim zwei Löffel von einer roten Flüssigkeit aus der Flasche ein und verteilte Salbe aus der Tube auf seinem Hals. Schließlich band er einen Verband darum.
    „Bettruhe!“, verordnete er dann. „Der Körper kann mit schadhafter Magie fertig werden, wenn man ihm Ruhe gönnt. Ich komme morgen früh wieder und schaue nach ihm.“

    Karims Körper kämpfte. Zwei Tage lang lag er abwechselnd frierend und schwitzend mit hohem Fieber im Bett. Er mochte nichts essen und trinken tat er nur, was Merin ihm auffordernd in die Hand drückte. Doch als er am dritten Tag erwachte, fühlte er sich besser und er hatte ein gigantisches Loch im Bauch. Noch etwas schwankend stand er auf und begann sich anzuziehen. Dann trat er in den Flur.
    Hier war es dunkel. Schwarze Vertäfelungen zierten die Wände und das einzige Licht kam von einem schmalen Fenster, nicht einmal groß genug um den Kopf hindurch zu stecken. Karim erinnerte sich nun endlich daran, woher er dieses Gebäude kannte. Nach ihrem Abenteuer auf Schattenschrei hatten er und Jinna hier mit Maja, Kandrajimo, Sahara, Xyleen, Tamor und Feodor die Nacht verbracht und am nächsten Morgen den Plan ausgeheckt, wie sie Basilius Kock stoppen und den Wald retten konnten. Am Ende des Flurs, neben der Treppe, die in die unteren Stockwerke führte, stand ein hoher Spiegel. Karim trat näher und betrachtete sein Antlitz. Er war immer noch blass, seine Augen gerötet und müde. Um den Hals trug er noch den Verband, den der Arzt ihm angelegt hatte. Mit seinen schwachen Fingern brauchte er mehrere Versuche, bis er ihn gelöst hatte. Als er die freigelegte Haut begutachtete, musste er schwer schlucken. Ein schwarzer Streifen zog sich darüber, wie ein seltsames Tattoo.
    In dem Moment kam Merin die Treppe hoch. „Was machst du denn hier?“, fragte er verärgert, packte Karim am Arm und zog ihn wieder in dessen Zimmer. „Du sollst dich ausruhen.“
    Karim erklärte ihm, dass er Hunger hatte, doch Merin versprach, ihm etwas ans Bett zu bringen.
    „Warst du schon auf Schattenschrei?“, fragte Karim, der in den letzten Tagen kaum mitbekommen hatte, was um ihn herum geschah.
    „Nein“, antwortete Merin. „Aber ich weiß, dass der Spuk sich auch in einigen Stadtteilen von Gegos herumtreibt.“
    „Mir geht es schon viel besser“, sagte Karim. „Vielleicht können wir morgen aufbrechen.“
    „Wir warten ab, was Mylonas sagt“, entgegnete Merin.
    Der Arzt war unbedingt für einen Aufbruch, allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Besorgt betrachtete er Karims Hals. „Es wird größer“, murmelte er. „Das ist nicht ausgestanden. Der Junge muss zu einem Heiler.“

  • Das Ziel vor Augen

    Irgendwann spielte Maja mit dem Gedanken, ein kalter, toter Stein zu bleiben. Ohne Emotionen, ohne Gefühle. Vielleicht konnte ein Stein diese Reise überstehen und Käse retten. Vielleicht konnte ein Stein tun, was dafür nötig war, was immer es auch war. Denn sie selbst konnte es vielleicht nicht, das hatte sie jetzt erkannt. Aber dieser Stein war nicht sie und würde es auch niemals sein und es kam der Tag, an dem sie aufwachte und seine kalte, tote Schale verschwunden war. Zurück blieb sie selbst mit ihrer Angst, Wut und Trauer.
    Dafür bekam sie Alpträume. Jede Nacht erschien ihr im Traum eine große Gestalt mit langem Umhang und Kapuze: Fürst Dreizehn. Maja wusste genau, dass er es war. Manchmal konnte sie ihn sogar am Tage sehen. Nicht, dass sie den Unterschied zwischen Tag und Nacht noch länger bestimmen konnte. Hier, im Bauch des Schiffes, war es immer dunkel.
    Die Piraten ließen sie nicht raus und Maja war teilweise froh darüber. Sie wollte nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Wie hatte sie sich jemals unter ihnen wohlfühlen können?
    Manchmal kam jemand von ihnen zu ihr und versuchte, mit ihr zu reden, aber Maja ließ sich auf keine Gespräche ein.
    Bis irgendwann schließlich Rachai persönlich vor ihrer Zelle stand.
    „Geht es dir gut?“, fragte er.
    Maja schwieg.
    „Ich bin hergekommen“, fuhr er fort, „weil ich möchte, dass du weißt, dass meiner Tochter sehr leid tut, was geschehen ist.“
    Maja sah ungläubig auf. „Es tut ihr leid? Aber ... aber ... sie konnte es nicht wissen.“
    „Ich weiß. Und deshalb wäre ich sehr dankbar, wenn du ihr verzeihen würdest. Du tust ihr unrecht.“
    Maja seufzte und sah zu Boden.
    „Ich weiß“, sagte sie. „Aber ich kann nicht anders.“
    „Warum bist du hier, Maja?“, fragte Rachai. „Du hast gesagt, du hast eine Rechnung mit Dreizehn offen, aber das war nicht die ganze Wahrheit, oder? Wir dachten, du wolltest Rache. Aber Rache ist nicht dein Stil. Du bist niemand, der Befriedigung davon erhält, das Blut deiner Feinde an deinen Fingern zu sehen.“
    Maja starrte ihre Hände an. Sie versuchte es sich vorzustellen. Ihre Hände, überströmt von Dreizehns Blut. Es rief in ihr überhaupt keine Emotionen hervor.
    „Was willst du wirklich?“, fragte Rachai.
    Maja beschloss, ehrlich zu sein. Sie hatte auch gar keine Kraft mehr zu lügen. „Dreizehn hat meinen Bruder“, erklärte sie. „Ich will ihn retten.“
    „Verstehe“, sagte er. „Es war also wirklich nicht die Wahrheit. Du hast mit Dreizehn kein Hühnchen zu rupfen, du willst bloß einen geliebten Menschen befreien. Obwohl auch das natürlich eine ehrenwerte Angelegenheit ist, das will ich nicht abwerten.“
    „Du irrst dich, ich habe mit ihm ein Hühnchen zu rupfen. Ich fürchte nur, das Hühnchen hat spitze Klauen und Zähne und wird mich fressen, wenn ich es versuche. Deshalb wage ich es lieber nicht. Indem ich draufgehe, kann ich Käse nicht helfen.“
    „Weißt du, am Anfang hast du uns ziemlich beeindruckt. Als du vor unserem Schiff standest und nach Andraya mitgenommen werden wolltest, mit deinem wilden Blick und diesem Schwert. Wir dachten alle, du wolltest es ihm in die Brust stoßen.“ Er nickte in Richtung der Waffe. „Ein seltsames Schwert. Es glüht im Dunkeln, aber es vermag nichts zu beleuchten.“
    „Ja, ich weiß“, sagte Maja. „Ich hab nicht viel Ahnung von Physik, aber ich bin mir sicher, dass das eigentlich unmöglich sein sollte.“
    Rachai brummte zustimmend. „Es wäre eine passende Waffe gewesen, um Dreizehns Leben damit zu beenden. Wir alle dachten das. Und wir hätten es dir zugetraut.“
    „Aber das hat sich geändert, nicht wahr?“
    „Ja.“
    „Es ist gar nicht so lange her“, sagte Maja. „Zwei Wochen. Eine Ewigkeit.“
    „Kommt es dir so vor?“
    „Ja. Vor vier Wochen wurde mein Bruder entführt“, sagte sie. „Es kommt mir so vor, als wären es Jahre gewesen.“
    „Würdest du dich Dreizehn anschließen, um deinen Bruder zu retten?“, fragte Rachai plötzlich. „So wie dieser Mann, den Joyce getötet hat, sich ihm angeschlossen hat, um sein Volk zu retten?“
    „Ich weiß es nicht“, sagte Maja. „Ich kann es einfach nicht sagen. Aber diese Frage wird sich nicht stellen.“ Sie zog das Zeichen von Pheris unter ihrem T-Shirt hervor. „Ich bin eine Kamiraen. Dreizehn will mich tot sehen, nicht auf seiner Seite.“
    Rachai sah das goldene Amulett lange an.
    Maja betrachtete Rachais Gesicht. „Ist es wahr“, fragte sie schließlich, „dass sich kein Pirat jemals Dreizehn anschließen würde?“
    „Eigentlich“, sagte Rachai, „haben die meisten Piraten keinen Funken Anstand und Ehre. Sie würden für ihr eigenes Leben oder auch für Geld alles tun. Dreizehn jedoch ist die einzige Ausnahme. Es gibt für uns Piraten vom Andersrum nur einen einzigen Grundsatz. Er lautet, dass Dreizehn unser eingeschworener Feind ist und dass niemand etwas daran ändern kann. Es gibt auf dieser Seite der Welt drei Orte, an die sich kein Anhänger Dreizehns wagen kann, ohne den Tod zu finden: Das Andersrum, auf dem die Piraten leben, Drachenland und das Reich der Hexen hinter den verwunschenen Bergen. Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern.“
    „Also hatte ich Recht“, sagte Maja. „Ihr habt keine Ehre.“
    „Nur einen Todfeind. Aber haben die Genêpas mehr Ehre? Statt ihren Feind zu bekämpfen, unterstützen sie ihn.“
    „Ich weiß nicht, ob es so einfach ist“, sagte Maja. „Auf jeden Fall war es nicht Gendos Entscheidung. Er wurde von den Ältesten seines Dorfes für diese Reise ausgewählt. Er hätte fliehen können und sein eigenes Leben retten können, aber für sein Dorf hat er es nicht getan. Und ich habe nicht ein Wort der Klage über seine Lippen kommen hören. Das fand ich sehr mutig und ich weiß, dass ich selbst es nicht gekonnt hätte.“
    „Wenn du jemals, so unwahrscheinlich das auch sein mag, diesem Volk, den Genêpas, wieder begegnest“, sagte Rachai, „dann rate ihnen zu fliehen. Dreizehn wird sie sich irgendwann schnappen, egal wie viele Krieger sie ihm senden. Ihre einzige Möglichkeit ist es, dorthin zu gehen, wo er sie nicht finden kann.“
    Maja nickte mit düsterer Miene. „Egal, wie man es dreht und wendet, das alles hier ist Dreizehns Schuld. Gendo starb nur wegen ihm. Und meinen Bruder erwartet dasselbe Schicksal, wenn ich ihn nicht retten kann.“ Sie sah auf. „Bitte hilf mir“, sagte sie. „Wenn du es irgendwie kannst, dann hilf mir.“
    Rachai strich sich über das Kinn und dachte nach. „Einverstanden“, sagte er schließlich. „Ich helfe dir so viel ich kann, ohne mich und meine Crew in Gefahr zu bringen. Wir hatten eigentlich vor, dich in Andraya einfach abzusetzen und uns nicht weiter darum zu kümmern, was du tust. Aber ich denke, ich kenne einen Mann, der dir helfen kann. Ich werde dich zu ihm bringen. Aber im Gegenzug wirst du meiner Tochter verzeihen. Ich kann es nicht erklären, ich verstehe es ja selbst nicht, aber sie mag dich irgendwie. Obwohl ich glaube, dass sie Unrecht hat. Aus dir würde niemals eine gute Piratin werden. Aber das ist wahrscheinlich auch besser so. Für meine Tochter hätte ich mir auch ein anderes Schicksal gewünscht.“
    Als Rachai ging, ließ er eine sehr nachdenkliche Maja zurück. Wer hätte gedacht, dass man mit Rachai so tiefgründige Gespräche führen konnte? Und wer hätte gedacht, dass er Maja nach allem, was vorgefallen war, immer noch helfen wollte?
    Außerdem hatte er einen weiteren Gedanken in ihr angestoßen, auch wenn er es nicht direkt angesprochen hatte: Was würde sie tun, wenn sie auf der Suche nach ihrem Bruder tatsächlich an Dreizehn vorbei musste. Versuchen, ihn zu töten? Es war ihre einzige Hoffnung, auch wenn ihre Chancen gering waren. Wenn sie sich begegneten hieß es er oder sie. Und sie würde nicht kampflos untergehen, das schwor sie sich.

  • Keine Ahnung, warum ich an der Stelle aufgehört habe, vierzehn Sätze später endet der 3. Teil und beginnt der 4. Na, was solls :patsch::rofl::pardon:


    Einen Tag später kam Arissa zu ihr und schloss ihre Zellentür auf. „Deine Reise auf der Nessanta endet hier“, sagte sie. „Wir haben Andraya erreicht.“
    Maja erschauderte und trotzdem sprang sie erwartungsvoll auf und folgte Arissa an Deck. Vor sich sah sie den Hafen von Andraya. Es war ein großer Hafen mit vielen Stegen. Dahinter standen raumfassende Gebäude und Lagerhallen. In der Ferne konnte Maja die einzige Stadt Andrayas erkennen und mitten darin Demir Dreizehns Burg aus dunkelgrauen Steinen mit grünen Dächern. Maja rieb sich mit der Hand durch das Gesicht und versuchte, ihre Nervosität zu vertreiben. Ihre Angst. Sie zitterte am ganzen Körper. Gleichzeitig war sie aber auch erleichtert. Sie hatte es geschafft, das dreizehnte Königreich zu erreichen. Wieder einmal.


    Teil 4

    Schatten

    Majas Bild von Andraya war geprägt von den Horrorgeschichten, die man sich darüber erzählte, von ihren eigenen schlimmen Erfahrungen, den Erinnerungen an den Kerker dort und ihr Bild von Dreizehn.
    In ihrer Vorstellung herrschte in Andraya immer finsterste Nacht, düstere Wolken hingen darüber und Halbdrachen jagten durch den Himmel. Es stürmte und hagelte und Blitze zuckten durch die Finsternis. Die Häuser selbst wirkten bedrohlich, in den Gassen lungerten unheimliche Gestalten und alle Menschen trugen dunkle Kapuzenumhänge. Mit Ausnahme der Soldaten natürlich, die überall zu finden waren und die Menschen terrorisierten. Und zwischen den Häusern strichen katzenhafte, schwarze Kreaturen umher, die jede Gestalt annehmen konnten und auf den Dächern gaben schwarzgrüne Tauben mit scharfen Reißzähnen grauenvolle Geräusche von sich. Ab und an würde sich auch die magische Säule einer Rauchkugel in den Himmel schrauben. Maja hatte auch Gerüchte gehört, dass die Bäume hier vor Grauen ihre Blätter verloren und obwohl sie wusste, dass diese nicht wahr waren, hatten sie Eingang in ihre Vorstellung gefunden.
    Es war faszinierend, wie hartnäckig man sich Dinge einreden konnte, die nicht stimmten. Maja wusste, wie es in Andraya aussah, sie war ja selbst bereits hier gewesen. Und trotzdem hatte sich irgendwo in ihrem Geiste ein Bild geformt, das kaum noch mit der Realität zu tun hatte. Deshalb war sie jetzt schockiert über den geradezu idyllischen Anblick des Dreizehnten Königreiches:
    Grüne Wiesen und goldgelbe Felder prägten den Anblick des Landes. Der Himmel erstrahlte azurblau und das Meer war ruhig und türkisfarben. Vögel zwitscherten in den Bäumen und auf den Dächern der Lagerhäuser und über dem Wasser kreisten kreischend Möwen. Kein einziger Halbdrache war am Himmel zu sehen, anscheinend hielten sie wieder ihren Sommerschlaf. Sie hätte daran gezweifelt, in Andraya zu sein, hätte sie nicht die Stadt und Dreizehns Burg erkannt.
    Arissa legte ihr die Hand auf die Schultern. „Bekommst du Zweifel an deinem Vorhaben?“
    Maja schluckte, antwortete jedoch nicht. Die Zweifel hatten sie von Anfang an begleitet. Aber jetzt war keine Zeit dafür. Jetzt musste sie handeln. Ihr kam allerdings noch eine völlig andere Frage in den Sinn: „Wie könnt ihr wagen hier anzulegen, wenn ihr noch vor ein paar Tagen eines von Dreizehns Schiffen geplündert habt? Ich kann nicht glauben, dass sie euch überhaupt in den Hafen lassen“, flüsterte sie, obwohl hier an Deck wohl kaum Gefahr bestand, dass jemand sie hören konnte.
    „Sie wissen ja nicht, dass wir das waren“, grinste Arissa. „Sie wissen nicht einmal, dass wir Piraten sind, offiziell kommen wir als Händler. Aber glaube mir, irgendjemand hier wird es wohl herausgefunden haben und schön für sich behalten. Wir bringen Waren, auf die die Schwarzmagier ganz wild sind.“
    „Was für Waren?“, wollte Maja wissen, doch Arissa legte den Finger an die Lippen.
    „Ab jetzt kein Wort mehr darüber.“ Sie warf sich eine Kapuze über und reichte Maja einen schwarzen Umhang und einen Jutebeutel.
    „Wir müssen möglichst unauffällig bleiben“, murmelte sie. „Deine rote Jacke und diese seltsamen Schuhe würden unnötig Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Außerdem sind rote Kleidungsstücke in Andraya verboten.“
    „Dreizehn verbietet rote Kleidung?“, fragte Maja verwundert. „Aber er trägt selbst einen roten Pulli.“ Matthias hatte ihr davon erzählt. Plötzlich ging ihr ein Licht auf. Es war sein Erkennungszeichen, er wollte nicht, dass jemand sich für ihn ausgab. Schließlich konnte man sich angeblich sein Gesicht nicht merken. Es stimmte also.
    Sie nickte, sie hatte verstanden. Sie zog die Jacke aus und den Umhang über und begann danach, auf einem Bein balancierend, ihre Turnschuhe von den Füßen zu streifen. Sie hatten in den letzten Wochen arg gelitten, besonders durch die viele Feuchtigkeit. Weiß waren sie jedenfalls die längste Zeit gewesen, jetzt waren sie mit einer graubraunen Staub- und Schmutzschicht überzogen und an den Spitzen schälte sich bereits die Sohle ab. Trotzdem würden sie hier auffallen. Zusammen mit der Jacke warf Maja sie in den Jutebeutel.
    „Wir haben leider keine anderen Schuhe in deiner Größe“, erklärte Arissa bedauernd.
    Maja zuckte mit den Schultern. Dann würde sie halt fürs Erste barfuß laufen, später konnte sie ihre Turnschuhe vielleicht weiter benutzen. Sie zog sich den Umhang noch enger um die Schultern, dann folgte sie Arissa.
    „Wo ist Rachai?“, fragte sie, während sie über die Landungsplanke das Schiff verließen.
    „Warum willst du das wissen?“
    „Er hat versprochen mir zu helfen.“
    Arissa machte ein nachdenkliches Gesicht. „Deswegen also.“
    „Weswegen was?“, fragte Maja nervös.
    „Ich soll dich an einen bestimmten Ort bringen. Ich hatte mich gewundert, aber ... Naja, du wirst es erfahren, wenn wir dort sind. Bis dahin musst du dich gedulden. Ich kann hier nicht offen reden.“
    Maja gefiel es nicht, im Dunkeln gelassen zu werden. „Du hast aber nicht den Auftrag, mich unter der nächsten Brücke zu ermorden oder so?“, fragte sie.
    „Wenn wir dich hätten töten wollen, wäre das auf der Nessanta unauffälliger gewesen. Keine Sorge, mein Auftrag lautet anders.“
    „Wie denn?“
    Arissa antwortete nicht.
    „Oder wollt ihr mich an Dreizehn verkaufen?“, fragte Maja. Sie versuchte, es beiläufig klingen zu lassen, konnte ein leichtes Zittern in ihrer Stimme aber nicht verbergen.
    Arissa lachte nur.
    Während sie ihr folgte, fühlte Maja sich wieder wie damals, als sie aus purer Verzweiflung Tabea in die Welt ohne Namen gefolgt war. Sie hatte es später bitter bereut. Sie hoffte, dass sie das hier nicht auch bereuen würde.
    Es war ein mieses Gefühl. Aber sie würde nicht den Fehler machen, Arissa zu vertrauen. Sie war jetzt älter, sie war erfahrener, sie konnte selbst auf sich aufpassen und sie war bewaffnet.

  • So, ich glaube mein letzter Post ist eine Woche her. Eigentlich eine ganz gute Quote, oder? Ich muss jetzt aufpassen, dass Maja nicht durch die Burg spaziert, als wäre da Tag der offenen Tür. Vielleicht darf sie aber zumindest vorläufig unbemerkt durch die Stadt spazieren. Ich bekomme übrigens Lust auf meine andere Geschichte, weiß aber noch nicht, wie ich es zeitlich einplanen kann.


    Sie verließen den Hafen und folgten einer breiten Straße in die Stadt. Sie waren nicht die einzigen, die auf dieser Straße unterwegs waren, zahlreiche schwer bepackte Menschen und Karren nahmen denselben Weg. Dies war offensichtlich die zentrale Handelsroute.
    Eine halbe Stunde später erreichten sie die Stadt Andraya. Sie sah aus wie beim letzten Mal: viele Fachwerkhäuser, Grünsandstein, Kopfsteinpflaster. Die Stadt hätte auch gut ins europäische Mittelalter gepasst. Vor allem aber war sie verwirrend, mit ihren engen Gassen und hohen Mauern, die nach keinem erkennbaren Plan angeordnet waren. Doch Arissa schien genau zu wissen, wohin sie wollte.
    „Warst du hier schon oft?“, fragte Maja.
    „Das eine oder andere Mal.“
    Maja versuchte noch einmal, ihr zu entlocken wohin sie gingen, doch dabei hatte sie keinen Erfolg. Es dauerte aber auch nicht mehr lange, bis sie ihr Ziel erreichten. Sie bogen in eine schmale Gasse zwischen einer Mauer und einem Haus ein. An der Mauer wuchs Efeu und zog sich über ihnen an dünnen Seilen über den Weg bis zur Hauswand. So bildete es eine Art Tunnel, in dem es merklich düsterer war. Die Tür, an der Arissa stehen blieb und klopfte, war aus Holz und mit Metall beschlagen. Daneben hing eine kleine Laterne aus Eisen und Glas. Zwei der Gläser fehlten. Verwirrt erkannte Maja darin eine kleine Glühbirne. Leuchten tat sie jedoch nicht.
    Die Tür schwang auf und Arissa führte Maja in das kleine Haus. Man sah bereits auf den ersten Blick, dass es leer stand. Im Erdgeschoss gab es nur ein Zimmer. Eine dicke Schicht Staub überzog den Boden, ein Fenster war eingeschlagen und es gab keine Möbel. Die Treppe in den zweiten Stock lag als Trümmerhaufen in einer Ecke.
    Als Maja und Arissa in die Mitte des Raumes traten, gab die Haustür ein unheilvolles Knarren von sich und fiel ins Schloss. Sie wirbelten herum. Neben der Tür stand eine düstere Gestalt.
    Sie sah aus, wie Dreizehn in den Alpträumen, die Maja in letzter Zeit gehabt hatte. Hochgewachsen mit einem langen Kapuzenumhang, unter dem man ihr Gesicht nicht sehen konnte. Maja erschrak fürchterlich.
    Die Gestalt schüttelte ihre Ärmel zurück und offenbarte schlanke, bleiche Hände. Sie legte die Fingerspitzen aneinander. „Arissa?“, fragte sie.
    Arissa nickte. „Ich bin es.“
    „Rachai hat sich heute morgen mit mir getroffen und er sagte mir, dass du mich hier suchen würdest. Gemeinsam mit jemandem, der meiner Dienste bedarf. Ich hatte aber nicht erwartet, dass dieser jemand so jung ist.“ Die Gestalt hatte eine sehr leise, sehr behutsame Stimme. Wie ein glatter Stein am Ufer.
    Die Piraten kannten Majas Namen, aber er sagte ihnen nicht mehr als jeder andere Name. Sie hatten ihn nie zuvor gehört. Da dieser Mann aber in Andraya lebte, ahnte Maja, dass es bei ihm anders sein würde. Sie überlegte, ob sie das Wagnis eingehen sollte, sich trotzdem damit vorzustellen. Einem Gefühl folgend entschied sie sich dafür: „Ich bin Maja Sonnfeld.“
    „Ich weiß“, antwortete der Mann. „Dein Gesicht ist hier sehr bekannt, weshalb ich dir raten würde, es gut zu verstecken. Du kannst mich Schatten nennen.“
    „Schatten?“
    „Nicht mein richtiger Name, wie du dir vielleicht denken kannst. Den halte ich lieber verborgen. Genau wie mein Gesicht.“ Er strich sich die Kapuze aus dem Gesicht und offenbarte eine schwarze Stoffmaske.
    „Schatten ist ein Spion“, erklärte Arissa. „Er spioniert die Vorgänge hier in Andraya aus. Und er kann dir mit Sicherheit helfen.“
    „Ich kann ihr möglicherweise helfen“, verbesserte Schatten. „Das kommt darauf an, was sie vorhat.“
    Arissa zuckte mit den Schultern. „Na meinetwegen.“
    „Und ich bespreche meine Aufträge gerne allein mit meinen Klienten.“ Er sah Arissa durchdringend an, bis sie nickte und sich auf den Weg zur Tür machte.
    „Geh nicht“, bat Maja. Sie wollte nicht mir dieser düsteren Gestalt allein in einem Raum sein. „Bitte, sie darf alles hören, was gesprochen wird“, fuhr sie an Schatten gewandt fort.
    Doch Arissa schüttelte den Kopf. „Wir haben unsere Abmachung erfüllt, Maja. Wir haben dich nach Andraya gebracht und sogar hierher, zu Schatten. Aber nun trennen sich unsere Wege. Komm nicht zum Schiff zurück. Wir können dir nicht mehr helfen und du würdest uns in Gefahr bringen. Lebwohl.“
    Und mit diesen Worten verließ sie das Haus. Maja starrte ihr entsetzt nach. Mit einem so kurzen Abschied hatte sie nicht gerechnet.
    „Wie, jetzt geht sie einfach?“, sagte sie zu niemand bestimmtem.
    „Piraten“, raunte Schatten. „Versuch gar nicht erst, sie zu durchschauen.“
    „Ich verstehe“, sagte Maja. Sie rieb sich die Stirn und versuchte sich zusammenzureißen. Sich nicht anmerken zu lassen wie verloren sie sich fühlte. „Als Spion lebt man sicher gefährlich in Andraya“, sagte sie, einfach um irgendetwas zu sagen.
    „Als Spion lebt man überall gefährlich, doch hier in Andraya, da hast du recht, ist es besonders riskant. Es wird allerdings auch gut bezahlt. Und ein Spion in Andraya lebt lange nicht so gefährlich, wie Maja Sonnfeld in Andraya. Dreizehn würde dich liebend gern in seine Krallen kriegen. Was mich auf einen interessanten Gedanken bringt: Ich könnte zu Ruhm und Reichtum gelangen, indem ich dich ihm ausliefere.“
    Maja sprang zurück und griff nach ihrem Schwert. Doch Schatten lachte nur leise.
    „Keine Sorge. Ich würde damit bloß Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Und Aufmerksamkeit ist das, was ein Spion am wenigsten gebrauchen kann. Zumindest hier in Andraya. Hier bleibt man im Verborgenen oder man stirbt, denn Dreizehn kann man nichts vormachen.“
    „Warum nicht?“, fragte Maja und entspannte sich wieder ein wenig.
    „Er ist schlau. Er lässt sich nicht belügen und nicht um den Finger wickeln.“ Er betrachtete Maja von oben bis unten. „Ich weiß ja nicht, was du hier willst, aber es war vielleicht ein Fehler, herzukommen.“
    Maja musste unwillkürlich schlucken.
    „Also, warum bist du hier? Rachai sagt, du hättest eine Rechnung mit Dreizehn offen? Er hat mir auch gesagt, ich solle dir helfen, wenn ich kann. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das will, aber du könntest damit anfangen, mir zu sagen, was du genau willst. Ich nehme nicht an, dass du vorhast, Dreizehn umzubringen, denn das wäre über die Maßen dumm.“
    „Er hat meinen Bruder entführt. Ich will ihn zurück holen. Und wenn ich zwischendurch die Gelegenheit habe, Dreizehn mein Schwert durch die Brust zu stoßen, dann werde ich sie nutzen.“ Sie spuckte die letzten Worte aus. Wut kochte in ihr hoch.
    „Das schaffst du nicht“, sagte Schatten.
    Maja senkte den Kopf. Sie wusste ja selbst, dass es fast unmöglich war. „Ich muss es wenigstens versuchen. Ich kann meinen Bruder nicht im Stich lassen. Ich will ihn nicht im Stich lassen. Und vielleicht habe ich ja Glück und kann ihn irgendwie retten.“
    „Du hast doch keine Ahnung“, knurrte Schatten. „Hast du Dreizehn überhaupt schon mal gesehen?“
    „Nein.“
    „Nun, ich habe ihn gesehen. Mit meinen eigenen Augen. Mehrmals sogar. Und lass dir eines gesagt sein: leg dich nicht mit ihm an. Der Mann hat die Ausstrahlung eines Gottes.“
    „Eines Gottes?“, fragte sie zweifelnd. Was sollte das heißen?
    „Dreizehn ist ein düsteres Wesen, uralt und mächtig.“
    „Ist er ein Magier?“
    „Wer weiß schon, was er ist?“, knurrte Schatten. „Es stellt sich die Frage, ob er überhaupt ein Mensch ist.“
    Sie starrten sich einen Augenblick lang in die Augen. Majas furchtsame in Schattens ausdruckslose. Hinter seiner Maske hatte Schatten bemerkenswert smaragdgrüne.
    „Egal“, sagte Maja schließlich. „Mir ist egal, was er ist, ich muss meinen Bruder retten. Kannst du mir dabei helfen, oder nicht?“
    „Du bist fest entschlossen, oder?“
    Maja nickte.
    „Tja dann. Helfen kann ich dir nicht. Aber ich kann dir womöglich Informationen geben, die dich ein Stück weiterbringen könnten. Ich habe zufälligerweise von deinem Bruder gehört und ich weiß, was mit ihm passiert ist.“
    „Was mit ihm passiert ist?“, japste Maja.
    „Er lebt“, sagte Schatten und Maja fiel ein gewaltiger Stein vom Herzen. „Man hat ihn hierher gebracht. Bis vor wenigen Tagen war er hier in Andraya in Dreizehns Burg.“
    „Und dann?“ Maja durchlief ein Zittern. Ihre Stimme klang unnatürlich hoch.
    „Jetzt ist er jedenfalls nicht mehr da. Eine Gruppe Soldaten ist von hier aufgebrochen und sie haben ihn mitgenommen.“
    „Was?“, fragte Maja, am Rande der Panik. „Wieso das? Wohin sind sie gegangen? Was wollen sie von ihm?“
    „Ich weiß es nicht.“
    Maja dachte fieberhaft nach. Was sollte das Ganze? „Wo ist Dreizehn?“, fragte sie.
    „In seiner Burg. Möglicherweise am Teetrinken.“ Schatten grinste. „Wer weiß das schon. Er könnte auch irgendwo anders sein. Er könnte hinter uns im Schatten stehen.“ Maja wirbelte unwillkürlich herum und Schatten lachte wieder heiser. „Oder er lauscht an der Tür? Aber selbst wenn du ihm begegnen würdest, würdest du ihn nicht erkennen.“
    „Ich weiß ja auch nicht, wie er aussieht.“
    „Ich auch nicht. Ich könnte ihn dir nicht beschreiben, obwohl ich ihm schon begegnet bin. Ich würde ihn nicht wiedererkennen. Man kann sich Dreizehns Gesicht nicht merken.“
    Davon hatte Maja schon gehört, vorstellen konnte sie es sich allerdings nicht wirklich. Im Moment war ihr das aber auch egal.
    „Warum schickt er Käse fort?“, rief sie. „Und wer hat meinen Bruder jetzt? Ist die Schwarze Garde bei diesen Soldaten?“
    „Mädchen, ich weiß es nicht.“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern und rüttelte sie leicht, wie um sie aufzuwecken oder zu bestärken. Es half aber nichts, ihr kamen trotzdem die Tränen.
    „Weiß er, dass ich hier bin?“, fragte Maja.
    „Mit Sicherheit nicht. Noch nicht. Und wenn du schnell bist, wird er es nie erfahren.“
    „Aber was hat er dann vor? Warum tut er das? Ich dachte er wollte, dass ich Käse folge, aber was macht er jetzt?“, weinte sie. „Warum muss er meinen Bruder da mit rein ziehen, er hat doch nie was getan? Ich bin die, die er umbringen will.“
    Sie schluchzte. Sie hasste es, dass sie jetzt weinte, aber sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. In den letzten Tagen hatte sie immer öfter geweint. Seit ... Nein, sie wollte nicht an den Überfall auf dem Schiff denken. Sie musste stark sein.
    Schatten streckte einen Finger aus und wischte ihr eine Träne von der Wange. „Hör zu, ich weiß, dass es dumm und gefährlich ist, und dass ich es nicht tun sollte, aber ich möchte dir helfen. Ich werde herausfinden, was ich kann. Du musst nur warten, bis ich mehr Informationen habe.“
    Maja wischte sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht und nickte. „Wie lange wird das dauern“, fragte sie.
    „Nicht lange. Gib mir bis morgen Abend Zeit.“