Also: Ich habe "Mutant" wirklich komplett überarbeitet und werde hier jetzt nach und nach die neuen Kapitel posten. Und einen anderen Namen habe ich meiner weiblichen Hauptperson auch verliehen.
Hoffe, ihr lest trotzdem weiter mit.
P.S: Die ersten Kapitel sind den Alten trotzdem noch recht ähnlich, aber in späteren Kapiteln ändert sich dann Einiges.
1
„Vater! Was machst du denn hier? Was mache ich hier? Wie bin ich hierhergekommen? Wie…?“ Seine große, schwielige Hand packt mich am Arm und zieht mich hinter sich her, durch unzählige Straßen und Gassen. Ich überhäufe ihn weiter mit Fragen, bis wir vor einem kleinen römisch angehauchten Haus irgendwo in der mir vollkommen unbekannten Stadt angekommen sind, aber er beantwortet mir keine Einzige. Drinnen bleibt er plötzlich stehen und sagt: „Entschuldige. Ich habe dich hierhergebracht.“ Erstaunt und mit weit aufgerissenem Mund betrachte ich den Reichtum, der sich mir im Inneren des Atriums bietet- massive, marmorne Säulen stützen die Wände des winzigen, mit bunten Mosaiken übersäten Raumes. Jeder Einzelne dieser kleinen Steine verbindet sich mit dem Nächsten und bildet ein gigantisches Bild von seltsam anmutenden Wesen, deren makellose Gesichter mich zu verfolgen scheinen, während ich mit den Fingern über die kalten, unförmigen Steinchen streiche und das Mosaik bis zu seinem Ende verfolge. Meine Fingerkuppen halten auf einer Steintafel inne, sie schweben über einem Namen. „Hierhergebracht?“, frage ich verdutzt. „Dad, die Polizei hat dich für tot erklärt. Bin ich auch tot, oder was? Wo sind wir hier?“
Jegliche Ernsthaftigkeit verschwindet bei dem Gedanken an meine scheinbar sehr unverständliche Naivität aus seinem Gesicht, schallendes Lachen dringt aus tiefster Kehle. Um seinen Mund herum kräuseln sich zahlreiche kleine Falten, er sieht aus wie um Jahrhunderte gealtert.
Als er verschwand, von zuhause verschwand, war ich gerade mal fünf und er ging auf die 35 zu. Ich weiß noch, wie er mich immer hoch in die Luft geworfen hat und dabei gejauchzt hat: „Flieg, mein Engel!“. Sein Lachen war das Gleiche.
„Was hat das zu bedeuten, Papa?“
Da wird sein Gesicht traurig, eine einzelne Träne rinnt aus seinem Auge über die schmutzige, schwielige Haut, die sich bereits in Falten legt und bleibt in einer davon stecken, staut sich auf, als warte sie auf den Sprung- so wie ich es unbewusst getan hatte. Ich wusste nicht, wie genau ich hierhergekommen war, aber ich wartete insgeheim darauf- wieder zu springen und irgendwo unter großen Schmerzen in tausend Einzelteile zu zerschellen.
„Das ist eine lange Geschichte, mein Kind.“
Seine Füße tragen ihn hinüber zu einer Bank, als ich mich neben ihm niederlasse, drückt sich die Kälte, die von dem starren Marmor ausgeht, durch meine dünnen Yogapants und lässt mich erzittern, kaum, dass ich mich hingesetzt habe. Als die Kälte in meine Fingerspitzen fließt, kann ich regelrecht spüren, wie meine Finger Faser für Faser einfrieren. Die Taubheit, die meine Gelenke betäubt hat, lässt meinen ganzen Körper kribbeln und macht mich bewegungsunfähig. Die grausame Kälte wandert von meinen Armen in Richtung Hand, stellt sämtliche meiner Haare senkrecht nach oben auf und führt ihren Feldzug über mein Handgelenk fort. Förmlich kann ich spüren, wie das Blut in meinen Adern stockt, ich kann es in meinen Ohren rauschen hören wie einen Wasserfall. Das Gefühl fließt recht schnell über meinen Handrücken, sanft, wie man Jemandem über die Hand streichelt, und nimmt mir die Kontrolle über meine Hand. Dann splittet es sich auf und nimmt Stück für Stück meine Finger ein. Die Kältewelle rollt über meine Fingergelenke und stoppt an den Nervenfasern in meinen Fingerkuppen, richtet meine Finger gerade, spannt jede einzelne Faser meines Körpers an, sodass ich mich nicht traue, mich zu bewegen, da ich sonst befürchte, in Millionen Scherben zu zerbrechen. Ich fürchte, dass die plötzliche Entspannung meines Körpers mich implodieren würde, vor meinem inneren Auge sehe ich Nervenfasern gefrieren, ich sehe, wie die Kälte meinen Körper von innen her auffrisst, wie sie wie eine Eisblume in mir aufblüht und sich ihren Weg an die Oberfläche bahnt, um mich für sich einzunehmen. Wie sie mein Herz zum Erstarren bringt und meine Haut leblos macht. Das Eis ist ein wunderschönes Schauspiel, aber es verheißt nichts Gutes. Wie das Eis an meinen Venen, Arterien und Fasern nach oben klettert und aus meinem Mund kriecht wie ein tödlicher Atem, ich kann es fühlen, mit jeder Faser meines jungen Körpers.
Ich spüre die Hand meines Vaters auf meiner Schulter und bei seiner Berührung weicht die Kälte sofort zurück, sie sinkt in sich zusammen, die Eisblume verschließt sich wieder zu tausend Knospen und verbirgt sich in meinem Inneren.
„Wow. Was war das?“, entfährt es mir, als die Wärme in meinen Körper zurückfließt und die Kälte ablöst.
„Was denn, Shannon? Da ist nichts.“ Plötzlich sticht etwas in meine Hand. Ich verziehe das Gesicht zu einer schmerzvollen Miene und öffne langsam die Faust, die ich wohl unwillkürlich gemacht haben muss. Als ich alle meine Finger von der Berührung mit meiner Handfläche gelöst habe, entdecke ich in der Mulde in meiner Handfläche eine kleine Scherbe aus Eis, die zu vibrieren scheint.
„Was ist das, Vater?“
Sein leerer Blick wandert zu dem winzigen Eisrubin in meiner Hand.
Und seine Stimme klingt seltsam verzerrt, als er spricht.
„Der Eiskönigin ihr Gesicht wird dir nicht verborgen bleiben. Ihre Gene springen von Zeit zu Zeit- bis in alle Ewigkeit. Ihre Schönheit entgeht keinem Mann- ein Heer aus Ergebenen folgt ihr sodann. Und der schöne Prinz nie von ihrer Seite weicht, denn keiner ihm das Wasser reicht. Durch des Prinzen Mut erwacht die Königin aus der Feuerglut. Doch ihrer beider Herzen sind dem Untergang geweiht, denn im Geheimen der Hass in der Brust des Freundes gedeiht.“
Als er seine Lippen verschließt, verbleibt nur der leere Ausdruck in seinen Augen, sein Körper scheint nur wie eine Hülle seiner selbst. Besorgt rüttle ich an der Schulter meines Vaters, dass er aus seiner Trance erwacht. Aber die leeren Augen in dem blassen Gesicht starren nur durch mich hindurch, während sich seine Züge versteifen und sich seine Haut in eine aschfahle Lederschicht verwandelt. Die starre Hand, die ich halte, beginnt, sich zu zersetzen und die oberste Hautschicht flattert mit dem leichten Windstoß davon, hoch in die Lüfte, bis sie aus meinem Blickfeld verschwindet. Entsetzt huscht mein Blick zu dem, den ich als meinen Vater bezeichnet habe, aber so regungslos sieht er mehr wie eine Statue aus, in Szene gesetzt durch die Interaktion mit mir- dem letzten lebendigen Wesen, das er gesehen hat. Die drahtigen Finger in meiner Handfläche strecken sich, die Haut über den Knöcheln platzt auf wie eine zerkochte Wurst, Lava fließt an Stelle von Blut. Hastig ziehe ich meine Hand weg und nehme Abstand von der Veränderung meines Vaters. Die faltige Haut an den Fingern meines Vaters rollt sich nach vorne auf wie Teig, den man vom Tablett abschabt, um daraus etwas zu formen- und flattert in Form von Blättern durch die Lüfte davon. Die Grausamkeit, die hier eigentlich gerade vor sich geht, bleibt mir bei dem Schauspiel, durch das sich mein Vater aus dem Staub macht, gerade gleichgültig, zu eingenommen bin ich von seiner Verwandlung. Die Haut hinter den Fingerknöcheln blubbert, kleine Lavabäche stoßen daraus hervor an die Oberfläche und bilden einen kleinen kochenden See um das ausgedürrte lederne Skelett. Jetzt löst sich auch die letzte Starre, die den brüchigen Körper noch hält- wie in Zeitlupe sinken die Knochen meines Vaters zu einem Haufen auf dem Boden nieder, ein staubiger Dunst steigt von ihm auf, der in alle Poren meines Körpers dringt und mich husten lässt. Winzige Lavageysire tanzen auf dem staubigen Haufen Klamotten, dem Leder und den Knochen meines Vaters, immer mehr von ihm versengend. Um mich herum flüstert die Luft eine letzte Botschaft: „Finde deine Bestimmung“. Der Aschehaufen, wo vorher noch mein Vater war, glimmt ein letztes Mal auf und erstarrt dann für immer zu kaltem, klammen Lavagestein. Welche Bestimmung?
Die Worte meines Vaters schwirren wie Geister in meinem Kopf herum. Wie kleine Sprechblasen aus Comicbüchern poppen immer wieder einzelne Wörter aus der „Prophezeiung“ auf und lassen mich grübelnd im Kreis um den Lavastein herumwandern. Wer ist diese Eiskönigin? Und der schöne Prinz? Und Zeitsprünge?
Was ist mein Schicksal?
Entmutigt gehe ich vor dem Lavabatzen in die Knie und lege zwei meiner Finger darauf. „Ach Dad, ich wünschte, du könntest mir jetzt sagen, was ich tun soll.“ Kalte, verzweifelte Tränen fließen über mein Gesicht wie ein tosender Wasserfall, denn keine Falte trübt meine jungen Wangen. Nur eine Zornfalte ziert meine Stirn- weil ich nicht weiß, warum mein Vater auf solche Weise vergehen musste. Ich kann einfach nicht realisieren, dass er nicht mehr da ist. Nur diese schreckliche Wut und ich- ganz allein. Irgendwann, als ich die Balance nicht mehr halten kann, plumpse ich rücklings auf den harten Steinboden und bleibe einfach auf meinem schmerzenden Hinterteil sitzen, wo ich viele Tränen um meinen Vater weine. Um mich herum bildet sich langsam eine Mauer aus glasklaren, durchsichtigen Eisperlen, die meine gehärteten Tränen sind. Sobald sie den Boden berühren, erstarren sie und verhärten sich, bis sie einen Sichtschutz zur Asche meines Vaters bilden.
Irgendwann, als meine Tränen schon längst getrocknet sind, während der Totenwache für meinen Vater im Atrium seines Hauses, scheint es mir, als würde ein goldroter Schimmer von dem kalten Gestein ausgehen. In seiner Mitte blubbert ein kleiner, kaum eine Fingerkuppe breiter See, der sich in einem Krater bis auf den Boden des schwarzen Haufens ausdehnt und das Gebilde wie einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch wirken lässt. Wenige goldene Spritzer ziehen einen Kreis um den Lavahaufen und brennen eine seltsame Schrift, von der eine gewisse Hitze ausgeht, wie durch unsichtbare Finger in den Marmorboden. Plötzlich beginnt die Luft um mich herum, zu flimmern, und gerät in Bewegung, bis sie zu einem tosenden Sturm wird, der den ganzen Raum erfüllt und mich mit sich reißt. Schwärze legt sich über meine Gestalt und raubt mir die Sicht.
Als ich meine Augen wieder öffne, ist das Haus verschwunden.
Ein großer Hof breitet sich vor mir aus und an seinem anderen Ende schwebt eine Gestalt hoch über mir auf einem Thron. Ein Feuervogel fliegt über meinen Kopf hinweg und landet auf dem Arm des Inthronisierten.
Wie auf Federn laufe ich auf den Erhobenen zu und platziere mich vor seinem Thron, allerdings in sicherer Entfernung, denn ich möchte nicht von heißer Lava versteinert werden.
„Shannon.“
„Wer seid ihr?“
Eine einzige Träne bahnt sich einen Weg über meine rechte Wange und tropft auf den heißen Boden, wo sie zischend verdampft, während ich verbissen versuche, meine Trauer zu unterdrücken.
„Wieso weint ihr?“
Die verständnislosen Worte des Aschewesens vertreiben meine Wut und rufen einen unglaublichen Zorn in mir hervor, sodass das Eis in meinem Herzen hervorbricht.
„Ihr habt ihn getötet.“
„Wen? Euren Vater? Nein. Seine Zeit war gekommen. Aber nun bist du wohl doch mein Gast, auch wenn es mich überrascht. Der Alte hielt nie seine Versprechen. Aber ein Pakt ist ein Pakt. Wachen!“ Die ganze Zeit, während er spricht, zeigt sein Gesicht auch nicht nur den Funken einer Regung.