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Etwaige Parallelen zum aktuellen wirtschaftspolitischen Weltgeschehen sind natürlich rein zufällig.
Die Orkparabel
„Seit jeher züchtigen wir unsere Wölfe selbst!“, keifte Tilka. „Ihr nehmt mir meinen Rognok nicht weg!“
Wütend warf sie Zlutak, dem Obersten der sieben Stammeswolfner, die vermoderte Tür vor der Nase zu. Er zuckte lässig mit den schmalen Schultern und kehrte der Bauernhütte den Rücken zu.
Die Wolfner hatten erst gestern ein Mitglied verloren, als sie neue Welpen für die Reittierzucht gejagt hatten. Gute Reitwölfe waren eben gefährlich und schwierig zu domestizieren und selbst die einträglichen Verleihgebühren konnten die lebensbedrohliche Arbeit nur schwer ausgleichen. Doch nun war die Lösung zum Greifen nahe.
Nun gut, meine Dame, dachte Zlutak hämisch, dann werden wir sie selbstverständlich nicht weiter belästigen.
Ein Lächeln entblößte seine überlangen Eckzähne.
Er überquerte den Dorfplatz, wo sein Vetter, der Waffner Gnork, gerade mit dem Zählen der Gewinne vom letzten Beutezug beschäftigt war. Offensichtlich waren die Krieger wieder erfolgreich gewesen, denn neben dem Arsenal zurückgegebener Waffen, welche teils noch blutverschmiert auf einer kleinen Trage lagen, konnte Zlutak die gut gefüllte Münztruhe sehen, in die Gnork soeben weitere Silberstücke legte. „Wie laufen die Waffnergeschäfte, guter Gnork?“, fragte Zlutak wie immer vollkommen unnötigerweise. „Wie geht’s dem Rudel?“, entgegnete der spitzohrige Waffner wie gewohnt. Ohne auch nur im Mindesten zu reagieren, ging Zlutak weiter.
Seit Häuptling Angka nach einem blutigen Kneipenkampf festgelegt hatte, dass ab sofort zur Sicherheit auch alle Privatwaffen dem Dorfwaffner zu übergeben seien, sofern keine Jagd- oder Plünderkommandos angeordnet wurden, florierte sein Geschäft. Für die überaus aufwendige Waffenpflege und -aufbewahrung fielen nun mal kleine Gebühren an. So war das eben.
Zlutaks Weg endete vor der imposanten Hütte des Orkhäuptlings. Die beiden postierten Wachen zeigten keine Regung, als er ohne Zögern die breite Tür aufstieß. „Seid gegrüßt, Häuptling Angka“, rief der Wolfneranführer laut und marschierte sofort auf die muskelbepackte, gepanzerte Orkin zu, welche mit dem Rücken zu ihm an der kleinen Feuerstelle saß. „Was willst du?“, fragte sie, ohne sich umzudrehen oder aufzustehen. „Etwas durch und durch Sinnvolles“, antwortete Zlutak bestimmt.
Ein empörtes Raunen ging durch die knapp einhundert Orks, welche zu der zwei Tage später anberaumten Erlassverkündung erschienen waren. Eine Orkin mittleren Alters hob zornig den Arm.
„Sprich, Tilka“, rief Angka, während sie in Gedanken nochmals ihren Text durchging.
„Und warum, große Angka, sollen wir UNSERE Hauswölfe Zlutak und SEINER Wolfnerbande überlassen?!“, presste sie durch zusammengebissene Zähne, was die Menge mit Johlen und Stampfen bekräftigte.
Auf diese Frage war Angka natürlich vorbereitet worden.
„Nur wenige haben das Talent, einen Hauswolf zu einem kriegstüchtigen Reittier zu dressieren. Vernünftiger ist es, die Ausbildung der Hauswölfe den Wolfnern zu überlassen, denn nur sie haben die nötige Erfahrung.“
Sofort erklang vereinzeltes Stampfen – Zlutak erkannte die von Gnork aufgestellten Waffnergehilfen –, welchem sich langsam alle Anwesenden verhalten anschlossen. Womit sie das Zetern Tilkas übertönten, die nun wutentbrannt den Dorfplatz verließ. Aus dem Augenwinkel konnte Zlutak sehen, wie Angkas Augen verstohlen seinen Blick suchten. Er nickte kaum merklich und überschlug in Gedanken bereits, wie viel er ihr geben würde. Da erspähte Zlutak in der Menge einen spitzohrigen Ork, der lautlos in seine Richtung sprach.
„Wie laufen die Wolfnergeschäfte, guter Zlutak?“, las der Wolfner von des Waffners Lippen.
Er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.