Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 2.462 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (5. März 2018 um 11:10) ist von Kathamaus.


  • Poe Tree huschte geschmeidig durch die Gänge. Schwere Gobelins verdeckten die Wände, allesamt mit fröhlichen Motiven, wie Drachen, die eine Stadt einäschern, Drachen, die ein Dutzend Kämpfer mit ihrem Frosthauch einfroren, Drachen die mit ihrem Giftatem ganze Landstriche aussterben ließen …
    Selbst wenn der Barde nicht ganz genau gewusst hätte, wo er sich eingeschlichen hätte, wären die Hinweise unübersehbar. Er verachtete die verblendeten Kultisten zwar, die es geschafft hatten ihre wahnsinnigen weltvernichtenden Absichten noch einmal extremer zu gestalten, doch eines musste man dem Kult des Drachens lassen: Er wohnte mit Stil.
    Die meisten abartigen Kulte hausten lieber in Höhlen am Rande der Zivilisation oder versteckten ihre dunklen Umtriebe in stinkenden Kanalisationen, Gewölben oder Verliesen. Beinahe war Poe den Drachenkultisten dankbar, dass sie in dem Dorf Dolchfurthen ihre Machtbasis errichtet hatten - beinahe. Wenn sie nur nicht, vermutlich durch einen blöden Übersetzungsfehler einer Prophezeiung, fest daran glaubten, dass es für die Welt im Allgemeinen, aber natürlich für sie selbst im Besonderen besser wäre, Tiamat, die weltenverschlingende Muttergottheit aller bösen Drachen aus ihrem ewigen Schlaf aufzuwecken. Völlig unfassbar fand er jedoch, dass sich zu jenem Zwecke tatsächlich manche der bösen Drachen bereitfanden, sich lebendigen Leibes in einen untoten Drachen-Leichnahm verwandeln zu lassen. Anderseits hatte Poe aufgehört sich darüber zu wundern, was Menschen bereit waren auf sich zu nehmen, nur um Macht zu erhalten oder wegen des vagen Versprechens auf Unsterblichkeit. Warum sollten Drachen da vernünftiger sein?
    Plötzlich hielt er inne. Schritte. Schwere Stiefel. Wenigstens zwei Leute.
    Eilig versteckte er sich in einer Nische und wartete auf die näherkommenden Waffenknechte. Beinahe hätte er vergessen seinen breitkrempigen Hut abzunehmen, der ein gutes Stück aus der Nische hervorstand. Peinlich berührt, mit dem Hut an der Brust und angehaltenem Atem, harrte der Barde aus, bis die arglosen Wachen vorbeigegangen waren. Natürlich hatten sie ihn nicht bemerkt. Wer wäre auch so dämlich, sich geradewegs ins Hauptquartier eines mächtigen Kultes zu schleichen? Erleichtert huschte der Barde aus der Nische, vergewisserte sich, dass seine Laute noch sicher in ihrem Beutel ruhte und die beiden Zauberstecken noch griffbereit in ihren Hülsen am Gürtel ruhten. Ahja, das Florett hing auch noch an seiner Seite, aber Poe konnte sich nicht erinnern, wann er es zuletzt außerhalb einer Fechthalle oder eines Ehrenduells gebraucht hatte. Rohe Gewalt war etwas, was einem zustieß. Kein Grund bei der Unsitte auch noch aktiv mitzuwirken.
    Er kam zu einem turmartigen Anbau mit einer Wendeltreppe. Nach oben oder nach unten? Immer dieselbe lästige Frage. Der Barde blickte überlegend hinauf und dann hinab.
    »Wenn ich ein geheimer Masterplan zur Vernichtung der Welt wäre, wo würde ich mich verstecken?« Poe wurde der schweren Entscheidung enthoben, als er Stimmen von unten näherkommen hörte. Schnell ging er ein paar Stufen hinauf, bis er um die Ecke und außer Sicht war.
    »Der Meister will der Göttin das Opfer in einer Stunde darbringen.«
    »Ein wahres Glück, dass uns diese Halblingspriesterin in die Hände gefallen ist.«
    »Hehe, ja, und wie die gezappelt hat, als die Knechte sie aus dem räudigen Eber geholt haben. Aber sie war viel zu betrunken um wirklichen Widerstand zu …«
    Dann waren die beiden Kulisten auch schon außer Hörweite. Für einen Moment wollte sich Sorge um die erwähnte Halblingsfrau einstellen, aber dann winkte er ab: »Die kann auf sich selbst aufpassen«, beruhigte sich der Barde und eilte die Treppe vollends nach oben. Seine weichsohligen Halbstiefel verursachten kaum Geräusche, erstaunlicherweise ebenso wenig der blau-weiße Bardenwams mit seinen geschlitzten Ärmeln und zahllosen Messingknöpfen. Im Oberen Stockwerk angekommen, sah er sofort, dass er hier richtig war. Zusätzlich zu den nun deutlich hochwertigeren Goblins gab es hier goldverzierte Kommoden und Stühle, Podeste mit edlen Vasen und diverse Portraits, vermutlich wichtige Kultisten, oder jene, die sich dafür hielten.
    »Der Innenausstatter war wohl ein kitschversessener Kobold, oder blind, oder beides«, murmelte der Barde vor sich hin. Dann hielt er inne. Es gab nur drei Türen auf diesem Stockwerk. Auf den ersten Blick war alles unverdächtig. Doch Poe war zu lange schon als Kundschafter für die Harfner unterwegs, um es bei dem ersten Blick zu belassen. Ganz leise sang er einige Zaubersilben und berührte flüchtig den einfachen Kupferring mit dem Zeichen Milils, des Gottes der Dichter, am kleinen Finger der rechten Hand, seinen Fokus für kleine Zaubertricks. »Où est magique?« [Wo gibt es Magie?]
    Vor der zweiten Tür im Gang leuchtete nicht nur der Boden, sondern auch das protzige Türschloss kurz auf.
    »Soso, eine Falle und ein Verschließungszauber? Wahrscheinlich mit einem Alarm gekoppelt. Schlau, schlau.« Poe grinste und pirschte sich näher, bis er die magische Falle fast berühren konnte.
    »Zeit für die Ablenkung.« Immer noch feixend nahm er die Laute aus ihrem Beutel. »Hallo meine Schöne. Zeit, dass Du Deine Stimme erhebst.«
    Die Finger des Barden fanden mit untrüglicher Sicherheit die richtigen Saiten. »Tous les artes sont bons, hors les artes ennuyeux« [Alle Künste sind toll, nur die langweiligen nicht] ,sang er lachend und im Haus brach das Chaos aus. Drachen schienen aus den Wandteppichen herausbrechen zu wollen spuckten scheinbar ihr Feuer in die Gänge, die Portraits fingen laut an, miteinander zu streiten, die Vasen begannen zu hüpfen und die Stühle zu tanzen. Türgriffe bissen in die Hände, die nach ihnen greifen wollten, Teppiche wölbten sich genau in dem Moment auf, um die Wachen in ihrem raschen Lauf zu Fall zu bringen.
    Die Melodie der Laute wurde hektischer und chaotischer, wie auch das Chaos und Geschrei zunahm. Der Barde zupfte ein kleines Intermezzo und sang leise: »Piège, supprime toi« [Falle, hebe dich hinweg] Ohne zu Zögern trat er nun an die Tür heran. Nichts geschah. Er klemmte tausendfach geübt den Körper der Laute zwischen Handgelenk und Bauch ein, ohne mit dem Zupfen der Saiten innezuhalten. Mit Links klopfte er an die Tür und sprach melodisch »Klopf, klopf?« Die Magie der Melodie drang in die Tür, kämpfte einen Moment gegen die Kraft des Verschlusszaubers, bevor dieser fauchend das Weite suchte. Die Tür schwang von alleine auf und der Barde stand mitten in der Urmutter aller Bösewicht-Zimmer.
    Zwei große Regale voller absonderlicher Dinge, ekliger und schauriger Sachen, erstaunlicher Kleinodien und verwunderlichen Abscheulichkeiten nahmen zwei Seiten des Zimmers vollständig ein. Ein schwerer, mit Pergamenten überladener Schreibtisch stand vor einem imposanten Wandgemälde, das die Wiederkunft Tiamats zelebrierte. Die letzte Wand wurde von einem Labortisch dominiert, der sich widerwillig unter einem großen Fenster aus buntem Glas duckte. Ein einsames Skelett stand neben einem mannshohen Panzerschrank, rührte sich aber nicht.
    Poe verdrehte die Augen. »Also jetzt übertreiben sie es wirklich!« Mit der Ferse trat er die Tür hinter sich ins Schloss. »So, Knochenmann, was hältst Du von einem Tänzchen?«
    Das Skelett rührte sich erst, als der Barde noch einen Schritt in den Raum machte. Es erhob seine Knochenarme um nach ihm zu greifen, doch da sang Poe bereits.
    »Tanz für mich, eitler Knochenfratz, tanz für mich auf Deinem Platz.
    Die Pfote hau‘ Dir an die Wand, am Schreibtisch brich‘ Dir Deine Hand.
    Den linken Fuß am Regal zertrümmer, den rechten unterm Tisch verkümmer.
    Zuletzt die Rübe durch den Panzerschrank, fürs Öffnen, sag‘ ich herzlichst Dank!«
    Der Barde stieg, immer noch verspielt eine Melodie zupfend, über die zersplitterten Knochen. Der Knochenkopf hatte es zwar nicht geschafft, die Panzertür des Schranks zu durchstoßen, aber sie war nun so verbogen, dass das Schloss sie nicht mehr halten konnte. Ein kräftiger Tritt des Barden ließ sie aufspringen. Da lag er, der gesuchte Foliant inmitten weitere Artefakte und Parafernalien. Tiamats Zeichen prangte überdeutlich auf dem Einband. Poe hütete sich davor, etwas davon in die Hand zu nehmen. Zum ersten Mal hörte auf, die Saiten zu zupfen und steckte seine Laute vorsichtig zurück in ihre Schutzhülle. Das Chaos im Haus wurde schlagartig leiser, wenngleich die lauten Stimmen und das Chaos, was die genarrten Bewohner anrichteten, immer noch genug Lärm veranstalteten.
    Der Barde griff zu dem kleineren der beiden Zauberstecken und streckte ihn in Richtung des Buchs aus. »Brabbelbabbel«, gab er dem Stab das Kommando und war immer noch stolz auf den fassungslosen Gesichtsausdruck, den die Wahl des Aktivierungswortes bei seinem Mentor und ersten Harfners hervorgerufen hatte. Eine lila Energiewolke strömte aus der Stabspitze, umhüllte das Innere des Panzerschranks, bis es nicht mehr zu sehen war. Dann begann die neblige Masse zu pulsieren und sich samt Inhalt aufzulösen. Wenige Sekunden später starrte nur noch betroffene Leere aus dem Schrank den zufriedenen Barden an.
    Sich nähernde, polternde Schritte riefen den Barden zur Eile auf.
    »Oha, das sind mehr als zwei, vielleicht zwei Dutzend?« Er schüttelte entschlossen den Gedanken ab, dass zwei Dutzend ja irgendwie auch nur zwei wären. »Zeit, die Luftwaffe zu rufen.«
    Er zertrümmerte das Fenster mit nur wenig schlechtem Gewissen und sah hinaus. Auf dem gegenüberliegenden Gebäude stand auf dem Dach eine Elfe mit silbernem Haar und recht dunklem Teint, sodass ein böser Charakter sie mit einer Drow hätte verwechseln können. Auch wenn niemand Poe eine gewisse Hinterhältigkeit absprechen würde, bösartig war er gewiss nicht. Also winkte er der Magierin fröhlich zu, welche sogleich gewannt auf eine schwebende rosa Wolke sprang, die am Rand des Gebäudes gewartet hatte. Schnell näherte sie sich dem Fenster.
    Obwohl es nicht überraschend kam, fuhr der Barde doch zusammen, als die Tür zum Arbeitszimmer beinahe aus den Angeln getreten wurde und eine Horde Bewaffneter versuchte, möglichst alle zugleich, hineinzustürmen.
    »Poe! Duck Dich!«
    Instinktiv kauerte sich der Barde zusammen, als auch schon der Feuerball über ihn hinweg fauchte und direkt in das Menschenknäuel an der Tür einschlug. Die Druckwelle erwischte auch den Barden und er wurde geradewegs durchs Fenster ins Freie geschleudert.
    Eine weiche Wolke fing den benommenen Poe auf, verlor aber unter dem zusätzlichen Gewicht rasch an Höhe.
    »Du bist eine irre Hexe! Kannst Du einem alten Barden vielleicht eine Sekunde zum Reagieren lassen, bevor Du Feuerbälle in geschlossene Räume wirfst?!«
    Die Angesprochene grinste. »Ups?«
    Auf dem Boden angekommen sprangen beide von der Wolke.
    »Die Priesterin? Geht es ihr gut?«, fragte er die Zauberin, doch die winkte ab.
    »Der Zwerg ist zu ihr runtergegangen, als klar war, dass alles, was Beine hat, zu Dir nach oben gerannt ist. Die wenigen Armen, die im Weg standen, können sich bestimmt nicht mehr beklagen. Die Beiden sind inzwischen wohl hinten raus und unterwegs zum Treffpunkt.«
    Poe nickte zufrieden.
    »Oh, a propos Vorwarnung. Die Halbe war gar nicht begeistert, dass Du sie ohne Rücksprache als Lockvogel auserkoren hast. Ich nehme an, dafür lässt sie Dich irgendwann büßen.«
    Der Barde zuckte die Schultern und grinste fröhlich. »Dir oder dem Zwerg hätte doch niemand das hilflose Opfer abgekauft. Und ich hatte keine Lust lange zu suchen. Besser die führten uns selbst zu ihrem Bau. Außerdem, der Plan hat doch hingehauen?«
    Die Zauberin grinste ebenfalls und folgte ihrem Gefährten. »Verrückter Harfner.«

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

    Einmal editiert, zuletzt von Tom Stark (14. Dezember 2017 um 02:27)

  • So, das war meine kleine Kurzgeschichten-Tetralogie zur D&D-Welt Faerun.
    Für mich gedacht als Fingerübung für die Darstellung von Kämpfen und des pointierten Vorstellens von Charakteren. Für Euch natürlich zur Unterhaltung - ich weiß, ich bin im Forum nicht mehr so präsent wie in den Anfangstagen.

    Der Kundige mag bemerkt haben, dass ich mich sehr an der neusten Geschichte der "vergessenen Reiche" und den Heldentypen des zugehörigen PnP-RPG orientiert habe.
    Vielleicht kommt irgendwann ein kleiner Roman dazu, vielleicht noch eine Kurzgeschichten-Reihe, mal sehen. Irgendwie ist mir das gemischte Quartett ans Herz gewachsen.
    Aber es ist ja nicht so, als hätte ich sonst gar keine Baustellen im Forum ...

    Hoffe, es hat Euch gefallen.

    p.s.:
    Meine Zwerge waren im Vergleich zu R.A. Salvatore nicht übertrieben, ebensowenig die Gefährlichkeit meiner Trolle.
    Für die PnP-Spieler unter uns bedeutet das aber auch nur: Es kommt halt auf den Level des Helden an,wie immer ^^ und natürlich , was der GM ihm durchgehen lässt.

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

  • OK, zweifellos deine lustigste, von den dreien, die ich bisher gelesen habe. "Die kann schon auf sich aufpassen" und ich denke mir "Nein, ganz offensichtlich nicht!" :D Und auch das Skelett - die trockene Bemerkung, dass es mit seinem Kopf nicht durch die Tüer den Panzerschrankes gekommen ist... Tiamat ist auch spannend - man findet selten mesopothamische Mythologie in Fantasywelten - das hat D&D in meinen Augen gerade einen Punkt gemacht. Dann dieses Klischee von den Kulten, die sich in Höhlen und Kalanisationen verstecken (das ja wirklich überall zu finden ist...) - super! "Wenn ich ein geheimer Meisterplan zur Vernichtung der Menschheit wäre, wo würde ich mich verstecken?" :thumbsup:

  • @Tom Stark
    Ich habe deine Geschichten noch nicht gelesen. DAs werde ich nachholen - versprochen. Was mir allerdings bei Deinem Titel "Ein Harfner" sofort einfällt die "Drachenreiter von Pern"-Saga von Anne McCaffrey. Habe ich sehr gerne gelesen...
    Weiteres Feedback kommt später

  • Ich bin jetzt auch an deinen Geschichten dran. Ich mag ja das D&D-Universum sowieso und diese nette Episode, insbesondere Poetry... äh, ich meine natürlich "Poe Tree" :D erinnert mich an einen gewissen Dunkelelfen mit sehr auffälligem Hut aus Salvatores Büchern... sowohl charakterlich, als auch in seinen Aussagen.

    Ich wollte eigentlich nur mal Anlesen und dann, wie das immer so ist, hab ich natürlich alles gelesen: Respekt.
    Das Französische einzubauen, um die lyrischen Avancen Poe Trees noch zu unterstreichen, finde ich gelungen, wenn auch ungewöhnlich.
    Brabbelbrabbel ist besonders ulkig, obwohl ich nicht verstehe, ob er die Sachen im Tresor vernichtet oder an einen anderen Ort versetzt hat. Ist aber auch nicht soooo wichtig.


    Kleiner Fehler:

    Anderseits hatte Poe aufgehört sich darüber zu wundern,

    Andererseits


    Bei Gelegenheit sehe ich mir auch noch die anderen Geschichten an. Mit Sicherheit. :)

  • Ich habe gerade deine Kurzgeschichte gelesen und fand sie sehr amüsant, das hat doch gleich meine Busfahrt verschönert. Es lässt sich ziemlich gut lesen und ich würde gleich von Anfang an gefesselt. Ein bis zweimal bin ich kurz geholpert beim lesen, aber sonst hat mir die Geschichte sehr gut gefallen.