Meine Wenigkeit hat sich hier mal an einer kleinen Weihnachtsgeschichte versucht. Ich muss gestehen, ich bin selbst zufrieden mit dem Ergebnis, aber mal sehen wie sie euch hier gefällt.
Außerdem wollte ich auch mal den ganzen Leuten danken, die irgendwann mal in meine Geschichten reingeschneit sind und mir jede Menge Tipps gegeben haben. Ihr habt mir was das Schreiben angeht wirklich sehr weitergebracht und mir zu ganz neuer Motivation und Fortschritten verholfen. Ai Dankschä dafür!
Ein schreckliches Schreinachtsfest
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Der Moderwurzwald war ein Ort des Grauens! Schon allein der Name sagte eigentlich alles über jenes knorrige Gehölz aus, zwischen dem klammen Regenmoor und der kleinen Stadt Siebengibel. Jedoch war diese im Vergleich zum finsteren Forst ein wahrhaft herrliches Örtchen. Mit roten Ziegeldächern, Mauern aus hellem Fels und dem Flüsschen Isel, das einmal mitten hindurch führte.
Nun, da der Winter bereits Einzug im Lande gehalten hatte, lagen die Äcker ringsherum unter einer Decke aus Schnee begraben, während vom Städtchen der Rauch aus den Schornsteinen aufstieg. Es war die Zeit des Jahres, in der man es sich mit der Familie am Kamin bequem machte und draußen dem Herniederrieseln der Flocken lauschte, derweil man an einer heißen Tasse Tee schlürfte. Wenn man denn eine hatte. Oder einen Kamin. Oder überhaupt ein Dach über dem Kopf und nicht wie der letzte Gnoll in einer Höhle unter den Wurzeln eines Baumes leben musste ...
Wie bereits gesagt, der Moderwurzwald war tatsächlich ein grauenhafter Ort, vor allem während der kalten Wintermonate. Doch hatten sich seine Bewohner schon vor Ewigkeiten an die Dunkelheit und frostigen Nächte gewöhnt, die unter den düsteren Wipfeln wahrlich lang sein konnten.
So begann der gute alte Krampus schon im Herbst damit, den kleinen Kobolden das Feuerholz wegzunehmen und es stattdessen in seiner eigenen, schiefen Hütte für den Winter zu lagern. Der Troll hingegen war ohnehin derart gefühlstaub und kälteunempfindlich, dass ihn das Wetter eigentlich nicht weiter scherte. Da während der langen Schneefälle aber für gewöhnlich sogar noch weniger Wanderer seine Brücke benutzten, kuschelte er sich meist darunter zusammen und schnarchte vor sich hin, dass die alten Steine des Bauwerks nur so wackelten.
Was allerdings die hutzelige Hexe mit ihrem Buckel so in ihrer Höhle im alten Hügelgrab so anstellte, wusste eigentlich keiner so genau. Egal welche Jahreszeit es nun war. Hin und wieder zuckte mal ein grelles Leuchten durch den Wald, oder es blubberten seltsam gefärbte Wolken aus dem windschiefen Schornstein, oben auf der Hügelkuppe. Hexen waren allgemein sehr seltsam und die merkwürdigen Versuche dieses ganz speziellen Zauberweibes stellten bestimmt keine Ausnahme dar. Die Bewohner des Moderwurzwaldes beschränkten ihren Umgang mit der hutzligen Oma deshalb auf ein halbherziges "Guten Tag?", wenn sie mal wieder stinksauer wegen irgendeines fehlgeschlagenen Versuchs durch den Wald stiefelte und vor sich hin schimpfte.
Und besagte Gnolle unter der Baumwurzel? Ja die, die hatten eine ganz besondere Aufgabe.
Tief drin im Moderwurzwald, verborgen hinter den knorrigsten und ältesten Bäumen, da lagen ein paar Steine im Kreis. Das mag nun verdächtig nach Steinkreis klingen, aber das war es nicht. Die bemoosten Brocken sahen nämlich nicht nur aus wie hingeworfen, mit aller Wahrscheinlichkeit hatte man mit ihnen auch genau das gemacht. Der Moderwurzwald war so alt, wie die der Grund selbst, auf dem er stand und seit dem Tag, als der erste Setzling sich aus der braunen Erde empor gegraben hatte, nannten ihn auch jene Kreaturen ihr eigen. Jedoch konnte sich selbst der alte Krampus nicht daran erinnern, dass irgendjemand einmal irgendetwas derartiges errichtet hätte.
Die Steine lagen eben dort, wie auch immer sie dazu gekommen waren. Doch das wahre Augenmerk galt ohnehin etwas anderem, das da von den Bewohnern des Moderwurzwaldes als der Knorrings bezeichnet wurde. Es war eine Tanne, noch viel höher als alle anderen Bäume, mit weitem, bemoosten Wurzelwerk, das hier und da aus dem Erdreich hervorlugte. Die Äste waren lang und dick, ebenso der Stamm. Man nannte ihn auch oft den Gipfel des Waldes, den König aller Bäume und vor allem der Tannen, wie es sie nur in jenem Land gibt. So ragte der ehrwürdige Knorrings am Rande des Kreises der hingeworfenen Steine auf, an dem Ort, wo alljährlich das herrliche Schreinachtsfest veranstaltet wurde.
Sobald der erste Schnee fiel, begannen die Gnolle mit ihrer Arbeit. Sie schleppten Bänke, Tische und für die etwas schwereren Gäste alte, abgesägte Baumstümpfe heran (für die alte Hexen-Oma gab es sogar extra einen Stuhl mit Lehne, um den morschen Rücken zu schonen). Überdies waren sie auch für ausreichend Besteck verantwortlich. Immerhin hatten sie es ja nicht umsonst von den Menschen und Sommerwichteln geklaut. Die wohl wichtigste Aufgabe stellte jedoch das entfachen des großen Schreinachtsfeuers, in der Mitte des Kreises aus Steinen, dar. Schließlich pfiff der Wind um diese Jahreszeit besonders kalt durch den Wald und keiner hatte Lust, die Festlichkeit schlotternd zu verbringen.
Doch nicht nur die kleinen Gnolle packten dazu mit an. So sorgte zum Beispiel der Lindwurm, in seiner Höhle am Fuße der Berge wie jedes Jahr für das leibliche Wohl. Ziegen, Schafe, Kühe, übermütige Ritter, Jungfrauen und etwas weniger junge Frauen, alles wurde mit kräftigem Schnauben angebraten, mit Soße übergossen und mit Gemüse serviert. Für Ritter und Frauen gab es außerdem noch ein wenig Rosmarin, um ihnen während dem Kochen mit irgendetwas die Mäuler zu stopfen.
Derweil machten sich die Pilzwichtel (die etwas rabiater eingestellt waren, als ihre Verwandten) ebenfalls ans Essen und richteten gekonnt ihr weithin bekanntes Jägerschnitzel mit Pilzsoße an. Natürlich aus echten Steinpilzen und echten Jägern. Den Duft und die Schreie (in der Rezeptur der Pilzwichtel war leider kein Rosmarin oder dergleichen erlaubt) konnte man dann oftmals schon Tage zuvor im ganzen Wald riechen und hören. Für den Rest war es deshalb schon fast wie eine Mahnung, dass Schreinachten vor der Tür stand.
Manch einer hatte diese Erinnerung auch bitter nötig. Schon vorletztes Jahr hätten es die Dämmerbolde beinahe vergessen. Erst als eines Wintermorgens plötzlich der Geist der ertrunkenen Frau vor der Tür zu ihrem Bau stand, fiel es den Herrschaften wieder ein. Seitdem wurde ihnen alljährlich von der werten Dame (die im übrigen über einen grandiosen schwarzen Humor verfügte, allerdings hin und wieder auch ganz schön kalt sein konnte) etwas auf die Finger geklopft. Schließlich war sie auch nicht einfach zufällig dort vorbei gekommen. Während die Dämmerbolde nämlich das wunderbar süffige Schmorbier brauten, stellte der Geist der ertrunkenen Frau das dazu nötige, klare Quellwasser zur Verfügung. Manch einer behauptete zudem, der würzige Geschmack käme überhaupt erst durch ihren eigenen Selbstmord oben in den Bergen, wo das Flüsschen Isel entsprang.
Nun war sowohl für Speis, als auch für den guten Trunk gesorgt, doch freilich benötigte es auch ein wenig festliche Verzierung, um für die richtige Stimmung zu sorgen. Seit jeher kümmerte sich die alte, achtbeinige und -äugige Spinnerin darum und webte ihre Fäden sowohl um den Knorrings, als auch um die Bäume am Rand der Steine. Früher hatte sie sich auch noch die Mühe gemacht und für die Gäste selbstgemachte Pullover gesponnen, doch das Zeug hatte dermaßen geklebt, dass man sich kaum darin bewegen konnte.
Doch nicht alle Besucher des Schreinachtsfests stammten auch aus dem Moderwurzwald. Der Clan der Schmoddergoblins reiste jedes Jahr aus dem Regenmoor an und brachte gleich noch die Köpfe seiner Ahnen mit, um mit eben diesen die Äste des Knorrings entsprechend zu schmücken. Manch ein besonders alter und blanker Schädel bekam sogar noch eine Kerze ins offene Maul gesteckt, sodass die ehrwürdige Tanne bald vom sanften Schein erhellt wurde.
Auch der Riese hatte seine Blockhütte eigentlich in den Bergen. Von dort wanderte er hinab ins Tal, jagte dabei den Menschen meist einen heiden Schrecken ein und gesellte sich schließlich zur Feier. Mit sich führte er dabei immer die große Trommel aus Holz und jeder Menge Tierhäute. Schließlich musste ja irgendeiner für ein wenig Musik sorgen!
Doch mit diesem Gedanken war er nicht einmal allein. Auch den weithin bekannten und unter den Bewohnern von Moderwurzwald gerühmten Rattenfänger von Hamel, sowie seine Flöte, zog es jeden Winter zum Knorrings und zum Schreinachtsfest. Ursprünglich hatte er eigentlich nur seine Großmutter, die hutzelige Hexen-Oma besuchen wollen, doch gefiel es ihm zuletzt so gut, dass es quasi zur Tradition geworden war. Meist reiste er schon einen Tag früher an, um sich mit seinem Großmütterchen noch ein wenig zu unterhalten. Schließlich sah man sich ja so selten.
"Na?! Wie geht`s den Kindern?", lautete meist die erste Frage ihrerseits.
"Ach, die ... Haben glaub ich immer noch nicht wieder nach Hause gefunden", meinte dann der Enkel schulterzuckend, während er an Omas heißen Beeren-, Kräuter- und Rabenfußtee schlürfte.
Schließlich aber waren alle versammelt und sämtliche Vorbereitungen getroffen. Ein weiteres Schreinachtsfest konnte gefeiert werden!
Man aß, man fraß, man trank, man soff und sprang danach noch lange wild ums Schreinachtsfeuer herum, während Riese und Rattenfänger auf ihren Instrumenten zum Tanz aufspielten. Seinen Namen verdankte das Fest übrigens den ausgelassenen Rufen, die von den Feiernden dabei ausgestoßen wurden. Gnolle quäkten, Pilzwichtel und Dämmerbolde quietschten, der Geist der ertrunkenen Frau stieß abwechselnd Seufzer oder verzweifelte Schreie aus, während die Goblins jauchzten, was das Zeug hielt und sich so alles zu einem einzigen, ausgelassenen Wirbel vermischte. Tatsächlich war es der Troll, der tief und voll alte Schreinachtsklassiker wie "Leise rasselt der Säbel" oder "Stille Nacht, denn ich hab dich umgebracht" anstimmte und dabei mit seinem Gesang sämtliche Engelschöre vor Neid erblassen ließ.
Dafür stieg dann selbst der vermoderte Totenvater aus seinem Grab auf dem Friedhof von Siebengibel und das morsche Gerippe seines Onkels brachte er gleich auch noch mit! Eine solche Festlichkeit wollte man sich aber auch nicht entgehen lassen und so baumelte der werte Onkel bald an der Spitze des Knorrings lustig im Winterwind vor sich hin.
Drohte aber das Schreinachtsfeuer gegen Mitternacht plötzlich auszugehen, eilte sofort der gute, alte Krampus mit seinem geklau ... gesammelten Feuerholz zur Rettung und legte ordentlich nach. Den Rest überließ er dann meistens den Kobolden. Immerhin war das deren Holz, da konnten die sich ja auch drum kümmern!
Und während nebenan im Städtchen die Menschen allesamt andächtig beisammen saßen, leerten die Bewohner vom Moderwurzwald gerade das dreizehnte Fass Bier, oder stopften sich die letzten Reste von Ritter, Jungfrau und Jäger in die Mäuler. Der Troll tanzte mit dem Geist der ertrunkenen Frau, während er selbst betrunken war und hätte sie nicht schon vor Jahren ihr Leben ausgehaucht, wäre es spätestens jetzt soweit gewesen, als der große Kerl auf sie draufkippte. So kümmerte es sie allerdings wenig und dümmlich kichernd rappelten sich die beiden wieder auf. Die Goblins, Gnolle, Dämmerbolde, Kobolde und Pilzwichtel hingen derweil alle gleichzeitig an der mächtigen Pranke des Riesen und versuchten so, dessen gewaltige Kraft im Armdrücken zu bezwingen. Der lachte dabei jedoch nur dröhnend und aß mit der anderen Hand einfach weiter seinen Kuhbraten. Am Rande des Geschehens saßen außerdem Hexen-Oma und der alte Krampus beisammen und sprachen angeregt darüber, wie viel besser früher doch alles gewesen sei. Das beide dabei etwas beschwipst waren, tat der Unterhaltung ihr übriges.
Etwas nach Mitternacht holte dann der Lindwurm seinen selbstgebrannten Schnaps hervor und noch einmal wurde gemeinsam kräftig angestoßen, bevor sich die ersten Gäste allmählich zu verabschieden begannen. Zwar nicht auf körperlicher Ebene, doch dank des ganzen Alkohols auf geistiger. Kreuz und quer lagen sie allesamt verteilt im Kreis der Steine und unterm Knorrings, dass der Riese aufpassen musste, wo er hintrat, als er zum Stapel mit den noch vollen Bierfässern hinüber stapfte. Selbst der Lindwurm war inzwischen eingedöst. Mitten im halb heruntergebrannten Schreinachtsfeuer lag er zusammengerollt da und stieß kleine Rauchwölkchen aus. Schließlich begann auch der Riese an einen Stein gelehnt zu schnarchen, wobei ihm das letzte, nun leere Bierfass aus der Hand rutschte.
Da wurde es plötzlich ganz still im Moderwurzwald. Nur noch der leise rieselnde Schnee war zu hören und legte sich sanft auf die schlummernde Gesellschaft. Die meisten hatten sich einfach hingelegt, wo sie zuvor noch standen und nur die achtbeinige und -äugige Spinnerin hing in einem Kokon vom Knorrings herab. Krampus und Hexen-Oma waren Rücken an Rücken eingedöst, während die ertrunkene Frau doch glatt in den Pranken des Trolls ruhte. Das würde vielleicht ein peinliches Erwachen am nächsten Morgen geben ...
Aber ja! Einstweilen war der Moderwurzwald ein Ort des tiefen Friedens, obgleich der Name nach wie vor schauerlich klang. Doch zu dieser einen Gelegenheit, dem Schreinachtsfest, ließen sogar die Bewohner jenes knorrigen Gehölzes die Reisenden und Wanderer in Ruhe ihrer Wege gehen. Ohne jeglichen Trubel oder Wirbel, weil an diesem einen Abend alles ach so perfekt und gesittet zugehen musste, hatten es die verlausten Bewohner vom Moderwurzwald dennoch geschafft. Mit ihrem verranzten Benehmen und indem sie einen feuchten Dreck auf Vollkommenheit gaben, wofür sie manch anderer verachtete, oder gar fürchtete, hatten sie doch den Kern der ganzen Sache getroffen: Zu feiern, wie klein man doch eigentlich in der Welt ist und was für einen Spaß man dabei dennoch gemeinsam haben kann.
Verranzte Weihnachten euch allen!