Musik heilt alle Wunden

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 4.458 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (19. Januar 2018 um 11:22) ist von Lehaidin.

  • Werte Leser,

    wieder einmal habe ich eine Kurzgeschichte geschrieben, ohne dass mir ein passender Titel dazu einfällt.
    Möchtet ihr mir wieder mit euren Vorschlägen helfen?
    Ich bin gespannt und sage schon mal :danke:

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    Es roch nach Abfall und Urin, die Steine waren glitschig, der Dreck unter seinen blanken Füßen fühlte sich feucht und krank an. In einiger Entfernung
    sah der Junge einen einsamen jungen Mann an der Seite der kurzen Gasse sitzen, eingehüllt in zerfallendes Tuch, das Kopf starr zum Himmel erhoben, die Finger fast unmerklich zuckend. Eine leise Melodie schmiegte sich an sein Gehör, als er weiter zum Markt ging. Einer Laune folgend bemaß er seine Schritte im Takt der wohlklingenden Töne. Abrupt fokussierte ihn der junge Mann mit seinen leeren Augenhöhlen und nickte ihm mit einem aufmunternden Lächeln zu, während sich seine Finger weiterhin in kleinen unvorhersehbaren Mustern bewegten.
    Der Junge wurde langsamer, sah sich unnötigerweise um und akzeptierte schließlich, dass der blinde Mann ihn meinte. Er trat vorsichtig an den mutmaßlichen Bettler heran und lauschte dabei weiter der faszinierenden Musik. Plötzlich stoppte die Melodie, der Junge sah sich suchend um, bis sein Blick auf die ruhenden Hände fiel. Ein erneutes Zucken durchlief die Rechte des Augenlosen und sofort erklang eine kurze Tonfolge.
    Zögernd, aber neugierig setzte sich der Junge neben den Mann, die Augen fest an die nun wieder ruhelosen Hände geheftet. Mit wachsender Begeisterung gelang es ihm, einem Ton eine bestimmte Handbewegung zuzuordnen, während die wundersamen Zuckungen des Blinden bald den Klang einer Fanfare, einer Flöte oder das edle Zupfen einer Kithara ertönen ließen. Mit einem hohen, lauten Fanfarenton endete die Musik und einige Vorbeieilende suchten verwundert nach dem Ursprung des strahlenden Tones, widmeten sich aber fast augenblicklich wieder ihrer persönlichen Hektik.
    „Wie macht Ihr das?“, fragte der Junge geradeheraus und versuchte eifrig, die Handbewegungen des Blinden zu imitieren.
    „Möchtest du es lernen?“, entgegnete der junge Mann.
    „Ich bitte Euch darum, doch ich fürchte, ich kann Euch nichts zum Tausch bieten.“
    Ein staubiges Lachen entrang sich der Kehle des Blinden.
    „Reiche mir deine Hand, Junge!“, sagte er.
    „Etwa so?“, fragte der Junge und legte zögerlich seine Rechte auf die Linke des Blinden. Forschend betastete der junge Mann seine Hand und umfasste sie schließlich am Handgelenk.
    „Jetzt lass die Hand locker und spreize den Kleinen ab“, dirigierte er leise. Der Junge tat es und als der Mann plötzlich begann, seine Hand scheinbar zufällig zu führen, drang erneut ein Ton an sein Ohr. Diesmal war er seltsam verzerrt, unstet und schwankte in seiner Intensität, doch er war unverkennbar vorhanden.
    „Nun beuge dazu den Daumen“, erklang seine Stimme erneut und der Junge eilte sich, seiner Forderung nachzukommen. Ein neuer Klang entstand, ähnlich dem Fanfarenton, aber leiser. Die Begeisterung des Jungen formte eine drängende Frage in seinem Kopf.
    „Warum seid Ihr noch hier, wenn Ihr solch Wunderwerk beherrscht?“, fragte er über den unsteten Ton hinweg.
    Der junge Mann ließ seine Hand los, hob seinen Kopf erneut zum Himmel und schwieg. Er schwieg lange und der Junge fing an, seine Neugier zu bedauern. Gerade als sich der Junge traurig erheben wollte, sprach der Blinde:
    „Die Menschen sehen es, doch sie öffnen sich nicht. Sie bewundern es, doch sie verstehen es nicht, achten seine Besonderheit nicht, seine Ungreifbarkeit. Sie haben Angst vor meiner Musik…“ Er schluckte und senkte den Kopf. „Nun bin ich blind. Blind und allein… Ich lebe vom Wohlwollen derer, die mich hierzu machten.“
    Er verstummte.
    Erschüttert saß der Junge da und überlegte, was er tun sollte. Er fragte sich, ob die besondere Fähigkeit des Mannes noch mehr bewirken konnte, als die Luft in Musik zu verwandeln.
    „Möchtest du mehr lernen?“, fragte der Geblendete plötzlich und erneut breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
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    Der Junge lernte und als Dank versorgte er den Geblendeten mit dem Nötigsten. Jahre und Jahre widmete er der Übung, seinen eigenen Versuchen und schließlich der Perfektion. Die Schwingungsbeeinflussung lernte er an den menschlichen Körper anzupassen, um physische Veränderungen zu bewirken. Gleichsam genoss er jedoch die ursprüngliche Fähigkeit der Musikformung und lehrte sie auch seine Eltern.
    Schließlich traf ihn die Erkenntnis seines Schicksals, als er gerade gemeinsam mit seiner Mutter musizierte. Er erhob sich.
    „Sohn, was hast du vor?“, fragte Maria.
    „Ich gebe dem Geblendeten sein Augenlicht zurück.“

  • Hi @bigbadwolf!

    Interessanter Anfang. Bin mal gespannt, wo du uns hinführen wirst!
    Für einen Titelvorschlag ist es aktuell eindeutig noch zu früh. Dafür weiß man einfach noch zu wenig über die Geschichte, aber wenn mir was einfällt, lass ich es dich gerne wissen. :)

    Ein paar Kleinigkeiten möchte ich anmerken:

    Spoiler anzeigen

    Der Junge sah in einiger Entfernung einen einsamen jungen Mann am Rand der kleinen Gasse sitzen


    Ich würde den Satz umdrehen. Also: "In einiger Entfernung sah der Junge einen einsamen jungen Mann am Rand der kleinen Gasse sitzen"
    Für mich liest es sich einfach schöner und passt finde ich auch besser in den Textfluss. Aber ist nur meine Meinung.

    Spoiler anzeigen

    Der Junge lernte und als Dank versorgte er den Geblendeten mit dem Nötigsten. Jahre und Jahre widmete er der Übung, seinen eigenen Versuchen und schließlich der Perfektion. Die Schwingungsbeeinflussung lernte er an den menschlichen Körper anzupassen, um physische Veränderungen zu bewirken. Gleichsam genoss er jedoch die ursprüngliche Fähigkeit der Musikformung und lehrte sie auch seinen Eltern.
    Schließlich traf ihn die Erkenntnis seines Schicksals, als er gerade gemeinsam mit seiner Mutter musizierte. Er erhob sich.


    Das klingt etwas sehr einfach und abrupt. Soll dieser - also dieser ganze Post hier - als eine Art Prolog fungieren oder geht es direkt weiter als ein Kapitel? In einem Prolog kann man schon mal etwas an den Details sparen, aber selbst dann finde ich mich hier etwas in der Luft hängen gelassen. Du machst einen Sprung vom musizieren auf ... Körperliche Mutationen (gut, klingt vielleicht etwas krass :D)
    Ich hoffe du verstehst, was ich sagen will, weil mir gerade nichts mehr einfällt wie ich mich noch besser erklären könnte. :rolleyes:

    Generell aber schön geschrieben und am Ende dachte ich mir: "Jesus? Is that you?" :D

    Gruß
    Rebirz

    Da sitzen sie wieder alle und fressen Eis ... Als wüssten sie nicht, wie ein Bier aufgeht!

  • Lieber @bigbadwolf

    Der Anfang ist wirklich Super. Vom Schreibstil her anders, als deine vorherigen Geschichten. Möglicherweise kommt es mir auch nur so vor, weil keine Oger vorkommen! Mir gefällt es sehr gut.
    Der Schluss ist, wie @Rebirz angemerkt hat, sehr gedrängt. Da ist viel Info in wenig Sätzen.
    Ich hab es so verstanden, dass die Geschichte jetzt zu Ende ist. Oder? Pointe ist ja da!
    Wäre aber schön, wenn es weiter ginge.

    Einmal editiert, zuletzt von Sensenbach (4. Januar 2018 um 22:11)

  • Interessanter Anfang. Bin mal gespannt, wo du uns hinführen wirst!

    Der Schluss ist, wie @Rebirz angemerkt hat, sehr gedrängt. Da ist viel Info in wenig Sätzen.
    Ich hab es so verstanden, dass die Geschichte jetzt zu Ende ist. Oder? Pointe ist ja da!

    Oh, ich habe vergessen, den Thread als Kurzgeschichte zu markieren. Es gibt daher keine Fortsetzung der Geschichte...
    Ich denke, das behebt auch die Ungereimheiten, die ich bei euch habe entstehen lassen.

    "Jesus? Is that you?"

    :D

    Gut, jetzt wo das geklärt ist...
    Ich hatte zuerst an "Die Musik des Blinden" gedacht, aber irgendwie war mir das dann zu plump.
    Vielleicht habt ihr Vorschläge?

  • Hallo @bigbadwolf,

    ich fange mal mit ein paar sprachlichen Anmerkungen an:

    Sprachliche Anmerkungen

    am Rand der kleinen Gasse sitzen,

    Für mich würde enge Gasse vertrauter klingen. Auch schmal oder meinetwegen kurz / lang fände ich passender. Jetzt, da ich darüber nachdenke, welche Worte zu Gasse passen, finde ich auch, dass "Rand" nicht so gut passt. Ich stelle mir vor, dass der Bettler am Ende (bzw. Anfang oder Eingang?) einer Gasse sitzt, an eine angrenzende Hauswand geleht und den Kopf in den Nacken gelegt hat (sonst würden die blinden Augen nicht so richtig in den Himmel starren können). Vielleicht magst du darüber nochmal nachdenken.

    „Ich bitte euch darum, doch ich fürchte, ich kann euch nichts zum Tausch bieten.“

    Wird hier "euch" nicht groß geschrieben? Es ist doch als höfliche / altertümliche Anrede gemeint, oder? Für die heutige Zeit passender wäre dann ja "Sie" (bin mir bei Urban Fantasy nicht sicher, ob das nicht fast immer in der heutigen Zeit spielt... was natürlich nicht so sein muss!)

    Sie bewundern es, doch sie kennen es nicht,

    "kennen" würde ich hier ersetzen. Wenn man etwas nicht kennt, dann kann man es irgendwie ja auch nicht bewundern.

    Eine leise Melodie schmiegte sich an sein Gehör, als er weiter zum Markt ging.

    Hier musst du das "sein" durch "das Gehör des Jungen" ersetzen, sonst bezieht es sich auf das Gehört des jungen Mannes.

    Insgesamt gefällt mir die Geschichte ganz gut. Vor allem die Art und Weise, wie Magie gewirkt wird, finde ich spannend.
    Ich hätte noch ein paar Vorschläge oder Wünsche ^^
    Den jungen Mann könntest du noch etwas mehr beschreiben: Wie sieht er aus? Wie ein Bettler / Obdachloser? Hat er lange verwilderte Haare oder sind ihm bereits alle Haare ausgefallen? Woran erkennt der Junge, dass die Augen blind sind?
    Auch der Junge bleibt irgendwie eine leere Worthülse. Wieso läuft er eigentlich durch die Gasse? Und wieso hat er keine Schuhe an?

    Den Schluss könntest du tatsächlich noch mit etwas mehr Fleisch anfüllen. So ist er doch recht kurz.

    EDIT:

    Titelvorschlag


    Bzgl. Titelvorschlag: Ich finde "Die Musik des Blinden" eigentlich nicht schlecht, aber "Die Musik der Sehenden" fände ich noch viel besser! Meine Idee dabei wäre, den folgenden Gegensatz auszubauen: ein Blinder macht und lehrt Musik, die Sehenden (normalen, gehetzten Menschen) hören sie zwar, aber können nichts damit anfangen. Der Junge nimmt sich die Zeit, die Musik zu lernen, bleibt aber dennoch bis zum Schluss in gewisser Weise blind, denn um das wirklich Wichtige zu sehen, bedarf es mehr als Augen, nämlich eine Erkenntnis über die eigene Bestimmung (oder so etwas wie Nächstenliebe). Das würde zu deiner Pointe passen.


    Grüße,
    Asni

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

    Einmal editiert, zuletzt von Asni (5. Januar 2018 um 11:14)

  • Hi @bigbadwolf

    schade, dass es nicht weiter geht. Wäre sicherlich interessant geworden! Das mit der Kurzgeschichte habe ich völlig ausgeblendet. Sorry :D

    Deinen Titelvorschlag finde ich ebenfalls gar nicht so übel. Mir ist gerade auch einer eingefallen, kann aber sein, dass er etwas übertrieben klingt. Naja, dass musst du entscheiden: "Musik, der Erlöser" oder "Musik, mein Erlöser" (wegen Jesus der Erlöser und so. Auch flüchten sich ja viele Menschen in die Musik, wenn sie harte Zeiten durchleben.)

    Gruß
    Rebirz

    Da sitzen sie wieder alle und fressen Eis ... Als wüssten sie nicht, wie ein Bier aufgeht!

  • Diese Geschichte hat mich gefesselt. Ich war irgendwie richtig dabei, hab neben den beiden gestanden. Deine Wortwahl für die Beschreibung, wie die Musik entsteht, hat mich besonders fasziniert.
    Interessant finde ich manche Attribute, z.b. den "sich krank anfühlenden Dreck" oder das "staubige Lachen". Ungewöhnlich, aber interessant.
    Schade ist, dass die Geschichte wirklich viele Fragen offen lässt. Sie könnte durchaus weitergesponnen werden!
    Titelvorschlag? Hmmmm... "Melodie der Hände" vielleicht, oder "Das unsichtbare Instrument"

    VG Tariq

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • @bigbadwolf

    Ich hab auch mal reingelesen- und ich finde, das ist eine mega schöne Geschichte.
    Ein guter Einfall, den blinden Mann nur mit seinen Händen die schönsten Melodien spielen zu lassen- auf mich wirkt das so wie eine eigene kleine idyllische Welt inmitten all dem Alltagstress der anderen Menschen, und das, obwohl der Bettler doch so arm dran ist eigentlich.
    Da merkt man, finde ich, mal wieder, dass Menschen, die nichts haben, einfach die sind, die anderen Menschen auch noch etwas geben.
    Zumindest ist das das, was mir bei deiner Geschichte in den Sinn kommt.

    Echt gut geschrieben- da könnte man bestimmt auch super gut eine längere Geschichte draus machen. :)

    LG,
    Blue

    Titelvorschlag: Melodie des Herzens
    Die Gabe des Blinden

    Chaos sagt, Halvars dunkle Seite sei harmlos gegen mich...

    As I´m an Amazone, I need a :jennagorn:

    ~~~ 100 words a day keep the doctor away. ~~~


  • Wow, hey @bigbadwolf,
    Diese Geschichte ist ziemlich tiefgreifend. Da steckt unfassbar viel Botschaft dahinter und das gefällt mir wirklich sehr gut. Hier könnte ich mir richtig gut einen Spot zu vorstellen, der an die Menschlichkeit appelliert. Ich will jetzt nicht behaupten, dass mich deine Einleitung nicht bewegt hat, aber aus dieser Kurzgeschichte kannst du echt etwas sehr schönes machen ^^ Etwas, aus dem ein tieferer Sinn und eine klare Botschaft entspringt. Getrieben von Mitleid und Nächstenliebe wächst die Menschlichkeit. Gefällt mir sehr gut :thumbup:
    Ganz nebenbei liebe ich die Musik und bin selbst überaus musikalisch, soll heißen, auch die Thematik der Musik passt mir sehr gut. Ich bin sehr gespannt wie und ob du das hier weiter führst. Ich bin dabei ;)

    LG Lehaidin

    "Es sind die kleinen Dinge. Alltägliche Taten von gewöhnlichen Leuten, die die Dunkelheit auf Abstand halten."
    - Gandalf -