Hi Leute
Diese Geschichte habe ich vor einiger Zeit mal hier im Forum gezeigt, bin aber über einen bestimmten Punkt nicht hinausgekommen, weil zu viele Dinge im Plot enfach nicht mehr zusammenpassten. Jetzt ist die Geschichte etwas besser geplant, also dachte ich, versuche ich es nochmal mit einem Neuanfang - (zwei Chars brauchten eine Generalüberholung, das hätte ich im alten Thread nicht wett machen können). Für alle, die die alte Version nicht kennen: Euch erwartet hier eine humoristische Geschichte, die in einer Fantasywelt spielt, aber ein paar kleine Ähnlichkeiten zu der unsrigen aufweist
Ziel dieser Geschichte ist die Verbesserung meines Schreibstils und das Schreiben in Bildern. Wäre also cool, wenn ihr mir rückmeldet, welche Bilder für euch nicht funktionieren, welche euch zu kompliziert/abwegig/abstrakt sind oder was ihr witzig/passend fanded
Außerdem versuche ich etwas den Ungeschriebenen Gesetzen nach Möglichkeit zu widersprechen, oder diese zu umgehen. Erwartet also kein klassisches Gut/Böse mit jungen Helden, der die Welt rettet, sondern ganz normale Alltagsprobleme
Der Fokus liegt hier sowieso nicht auf Spannung, was aber nicht heißt, dass es euch hier langweilig werden soll - ich gebe natürlich wie immer mein Bestes, euch bezüglich des Plots zu überraschen (Um die ungeschriebenen Gesetze kommt man ja so oder so meist nicht herum, denn ohne Klischees funktioniert eine Parodie wie diese hier natürlich nicht).
Also dann, genug der Einleitung, viel Spaß mit dem (etwas längeren) Prolog
Eine letzte Warnung noch
Wichtig fFür alle Späteinsteiger: Wenn ihr noch Rechtschreibfehler findet, macht euch nicht die Mühe, die rauszupicken. Anmerkungen zum Text korrigiere ich hier nicht, sondern nur in meinem Dokument.
Der Morgen graute. Das war an sich nichts Besonderes. Schließlich ereignete sich dieses natürliche Phänomen jeden Tag. Jedenfalls in den von Göttern geliebten Regionen dieser Welt. Königreiche wie das sagenumwobene Hiersiehstenix, in denen die Bewohner Sonnenlicht nur als jene mystische Kraft kannten, die den Mond zum Leuchten brachte, werden als zu vernachlässigende Ausnahmen betrachtet. Seit der 17. Erzmagister von Funktionalis, Quadrier T. Wurzel, durch irgendein Theorem ihre Existenz bewies, wurde ihnen freie Zulässigkeit eingeräumt. Die Folge davon war, dass jede Wissenschaft nun ihre eigenen vernachlässigbaren Ausnahmen haben wollte, um fundamentalere und besser klingende Aussagen treffen zu können. So auch die Geografiker.
Und seitdem hieß es in jedem anständigen Lexikon: „Die Sonne geht einmal am Tag an jedem Ort der Welt auf; Fußnote: bis auf einige zu vernachlässigende Ausnahmen.“ Das wusste zwar jedes Geschöpf (bis auf vernachlässigbare Ausnahmen) aus angeborener Intuition selbst, aber erst wenn solche Dinge niedergeschrieben wurden und man Wissenschaft dranklebte, entsprachen sie auch der Wahrheit.
Aber das nur am Rande. Denn zum Glück befinden wir uns in der von allen hochgeschätzten Normalität, also an einem Ort, an dem tatsächlich die Sonne aufgeht: dem neuen Eichenwald. Der neue, weil es zur Zeit seiner Bennennung bereits acht alte Eichenwälder gab und man die Gefahr einer Verwechslung befürchtete. Irgendjemand hatte wohl einen kreativen Tag gehabt.
Unsere Geschichte beginnt an einem frühen Morgen. Es war ein besonderer Morgen – zumindest für einen etwas größeren Teil der Bevölkerung. Irgendwo im Multiversum fand man immer jemanden, für den der jetzige Zeitpunkt eine wichtige Bedeutung hatte. Dadurch wird jeder Tag zu einem besonderen Tag voller bedeutsamer Momente. Und ein solcher bahnte sich gerade hier in der Nähe an.
Richten wir also unseren Blick auf den neuen Eichenwald. Wenn wir uns ein bisschen umsehen, können wir einen Pfad erkennen, der sich wie die Laufbahn eines Betrunkenen quer durchs dichte Grün schlängelt. Und wenn Ihr jetzt nickt, dann nenne ich Euch einen Lügner. Schließlich schaut Ihr ja gerade diesen Text an. Zudem lag dichter Nebel über dem neuem Eichenwald. Wie ein Duschvorhang verschleierte er den Blick für neugierige Beobachter und klebte ebenso lästig am Körper aller, die ihm zu nahe kamen.
Da Ihr also nichts sehen könnt, stellt es Euch bildlich vor. Hohe, dunkle Bäume, ihre Umrisse nur vage durch die dickflüssige Nebelsuppe zu erkennen. Wie pingelige Inspektoren beugen sie sich über den breiten Pfad, als handle es sich hierbei um die Abschlussarbeit eines Zaubereistudenten. Genügend Fußnoten wies der Pfad schließlich auf – auch wenn deren Urheber hauptsächlich Pferde waren. Naja, bei Zaubereifacharbeiten stammten viele Fußnoten von Eseln, also sollte das nicht so dramatisch sein.
Auf dem Pfad lag ein Baumstamm. Ein einsamer Wanderer hätte sich vermutlich gefragt, was er dort zu suchen hatte, schließlich wurde auf diese Weise der Weg für Kutschen blockiert. Die in den Büschen lauernden Räuber wären nur allzu entgegenkommend gewesen, diese Frage auf schnellstem Wege zu beantworten – im Austausch gegen die Wertsachen des Wanderers natürlich.
Leider ließ sich ein solcher nicht blicken, sehr zum Unmut der Wegelagerer. Sie mussten schließlich von ihrem Handwerk leben und ein Ausbleiben der Kundschaft war alles andere als wünschenswert.
Und so langweilten sie sich. In den Ästen zwitscherten die ersten Vögel und im entfernten Unterholz röhrte ein Hirsch. Sie lauerten mitten im Nirgendwo.
„Sicher, dass wir hier richtig sind?“, grunzte Gnarf der Quetscher.
„Ganz sicher“, beruhigte Jäger ihn. „Der Boss hat´s gesagt.“
Damit war das Totschlagargument gebracht. Der Boss hat´s gesagt. Ende der Diskussion. Jedenfalls für Jäger.
Gnarf sah das anders. Seine ungekämmte Haarpracht stand kurz davor, von einem Rotkehlchen als Nistplatz missbraucht zu werden, so lange saß er schon still an seinem Platz. Ärgerlich verscheuchte der stämmige Räuber den Vogel mit einer wedelnden Handbewegung, wodurch er den Nachkommen des Rotkelchens eine geruchsintensive Kindheit ersparte. „Das stimmt“, räumte er ein, „aber die Information stammt doch nicht vom Boss, sondern von dem Knirps da.“ Gnarf deutete auf den Jungen, der gefesselt und geknebelt neben ihnen auf dem Boden lag.
„Ja“, bestätigte Jäger in einem Tonfall, der andeutete, dass sein ohnehin kleiner Vorrat an Geduld bereits erschöpft war. „Und wenn er gelogen hat, dann wird dies der schlimmste Tag seines Lebens werden. Also sei still und behalt die Straße im Auge!“
Gnarf grummelte unzufrieden, kam der Aufforderung aber nach. Sie hatten den verängstigten Jungen an der Azurklamm abgefangen, mit nicht mehr als einem Rucksack voller Proviant. Er sagte, er gehöre zu einer Gruppe fahrender Händler, mit denen er sich heute hier treffen wollte. Erfreut von dieser Neuigkeit hatten die Räuber sich sofort auf den Weg gemacht, um einen Hinterhalt vorzubereiten, versprachen sie sich doch reiche Beute.
Schweigend beobachtete Gnarf den vor ihnen liegenden Baumstamm. Er nahm an, dass es sich dabei um eine Eiche handeln musste. Schließlich befanden sie sich im neuen Eichenwald. Stolz erfüllte den Wegelagerer, als er diesen logischen Schluss reflektierte. Da wären bestimmt nicht viele drauf gekommen. Nur eine Sache störte ihn nach wie vor.
„Ich sehe keine Händler“, sprach Gnarf das Offensichtliche aus.
„Ja, du Esel, weil es neblig ist“, fuhr Jäger ihn an.
Gnarf dachte darüber nach. „Das erklärt einiges“, präsentierte er wenige Augenblicke später das Ergebnis seiner mentalen Mühe. „Die Händler können den Baumstamm ja gar nicht sehen. Wie sollen sie also in unseren Hinterhalt laufen können, wenn er ihnen gar nicht auffällt?“
Diese Worte schafften es, selbst dem gereizten Jäger für einen Moment die Sprache zu verschlagen. „Hörst du dich eigentlich manchmal selber reden?“, fragte er mit unverhohlener Wut in seiner Stimme. „Der Sinn eines Hinterhalts besteht doch gerade darin, dass man ihn nicht bemerkt.“
„Und wieso haben wir uns dann die Mühe mit dem schweren Baumstamm gemacht? Jeder sieht doch den Hinterhalt nun.“
„Aber erst, wenn es zu spät ist. Wir schneiden ihnen den Weg ab. Und bevor sie es schaffen, Pferd und Wagen zu wenden, haben wir sie bereits an den Eiern.“
„Ah, guter Plan“, sagte Gnarf und seine Miene erhellte sich. „Aber wäre es dann nicht noch besser, einen weiteren Baumstamm auf die Straße zu legen, um ihnen auch noch den Rückweg abzuschneiden?“
„Sag mal ...!“ Jäger rang mit den Händen und in seinem Gesicht zeigte sich erste Mordlust. „Und wie sollen die Händler bitteschön zwischen die beiden Baumstämme kommen?“
Darauf wusste Gnarf keine Antwort.
Jäger schnaubte zufrieden. „Na, also ...“
„Magie!“, rief Gnarf aus. Das war schließlich die Erklärung für alles, was man nicht erklären konnte.
Als Antwort darauf hörte Gnarf nur, wie Jäger sich mit der flachen Hand ins Gesicht schlug und abermals erfüllte Stolz seine Brust. Und dann sagte man ihm, er wäre dumm. Das traf auf andere vielleicht zu, aber nicht auf ihn! Schließlich wusste Jäger noch nicht einmal, wie man richtig applaudierte.
„Gnarf“, sagte er mit bemüht fester Stimme. „Bitte tu mir und der Welt einen Gefallen, und kümmere dich weniger ums Denken als um ...“ Was genau sein Gefährte vorschlagen wollte blieb unausgesprochen, da das ferne Poltern von Hufen an die Ohren der Räuber drang.
„Ssh“, wisperte Jäger und legte den Zeigefinger auf die Lippen, während auch Gnarf die Ohren nach den vom Nebel gedämpften Geräuschen spitzte. „Es geht los.“
Leise zog Jäger das an seinem Gürtel befestigte Schwert und sah sich zu dem Jungen um.
„Ein Mucks, Bürschchen, dann war´s das mit dir.“
Auch Gnarf begriff die Situation und gab ein höhnisches Kichern von sich, wobei er nach seiner Keule langte. Im Baum über ihnen raschelte es, ein Zeichen, dass auch ihr Schütze die Ankunft der Händler bemerkt hatte. Hoffentlich würde dieser Versager heute mal einen Pfeil treffen. Zum Glück reichte es meist, wenn er einfach nur am Rand stand und bedrohlich aussah. Menschen wurden um Einiges kooperativer, wenn sie sahen, dass ein spitzes Stück Eisen auf sie zeigte. Vor allem, wenn es schneller fliegen als ein Mensch laufen konnte.
Jäger und Gnarf spannten die Muskeln. Das Geräusch schwoll an. Es war inzwischen recht laut. Zu laut.
Jäger runzelte die Stirn. „Moment, das klingt aber nicht ...“
Das Chaos nahm seinen Lauf. Voran stürmte eine wahre Anhäufung von Radau, umgeben von wegfetzenden Holzsplittern. Wilde Tiere schrien auf, bevor ihr Besitzer mit ungepflegten Flüchen einsetzte, um der charakteristischen Klangfülle des Vorgangs noch seine ganz eigene Note beizufügen. Kurz: es ereignete sich ein Zusammenstoß, dem selbst der Nebel nicht im Weg stehen wollte. Unbeteiligt wich er zurück und ermöglichte den beiden erstaunten Wegelagerern einen Blick auf eine büffelartige Kreatur, die mit einer Mischung aus Blöken und Fauchen galoppierend im Dickicht verschwand. Ein weiteres Zugtier lag regungslos in der dadaistischen Objektmontage, die aus dem Wagen und ihrem Baumstamm entstanden war. Eine zeternde Stimme erklang.
„Verdammte Scheiße aber auch! Welcher hirngegarte Psychopath hat diesen beschissenen Stamm auf den Weg gelegt?“
Erst jetzt erinnerten sich die Räuber, weshalb sie überhaupt hier waren. Synchron wie zwei Uhren aus unterschiedlichen Ländern sprangen die fünf schwer bewaffneten Männer aus ihren Verstecken. Allen voran Gnarfs und Jägers Anführer Ambossfaust Hogar.
Wenn der Mann durch das Szenario überrascht war, so zeigte er es nicht. Die schartige Axt halb erhoben, baute er sich breitbeinig vor dem Mann auf, der ihn erregt zur Kenntnis nahm.
„Sie!“, gellte er und zeigte anklagend auf den Anführer der Bande. „Sind Sie hierfür verantwortlich!?“ Er meinte den zersplitterten Baumstamm, dessen Überbleibsel am Rand des Weges einen traurigen Anblick boten. „Das wird Sie teuer zu stehen kommen! Mein Bein ist unter Garantie gebrochen, also stehen Sie da nicht so rum, Sie traurige Gestalt eines Holzfällers, sondern helfen Sie mir auf. Wir müssen von der Straße runter und uns verstecken, ich werde verfolgt. Wenn Sie mir helfen, erlasse ich Ihnen Ihre Schuld!“
Hogar musterte den Fremden mit einem abfälligen Blick. Da schien jemand überhaupt nicht zu wissen, in welche Situation er gerade hineingeraten war.
„Wie ein Konvoi von fahrenden Händlern siehst du mir aber nicht aus“, überging er die Beleidigungen seines Opfers. „Das war eine gute neue Eiche, Freundchen, die wir eigentlich noch benutzen wollten. Ihre Beschädigung kostet dich ein gutes Sümmchen. Wir werden eher dich zur Kasse bitten.“
„Das reicht noch nicht mal, um meinen Wagen und meine Zugtiere zu bezahlen!“, schrie der Fremde in gleicher Lautstärke zurück. „Das waren Panzerbestien aus der Sengende Senke bei Skepthomos!“
Hogar betrachtete den zuckenden Kadaver. „Neue Eiche schlägt Panzerbestie“, sagte er trocken. „So wertvoll kann das Vieh nicht gewesen sein.“
„Hören Sie mal! Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wer vor Ihnen sitzt? Ich bin der Donnernde Blitz! Jetzt helfen Sie mir auf! Es wird sich für Sie lohnen!“
In Hogars Augen funkelte es und in die Gesichter seiner Kumpanen schlich sich ein schmutziges Grinsen.
„Mal davon abgesehen, dass der eigentliche Blitz an sich nicht donnert und dein Name deswegen total bescheuert klingt ... Du bist also berühmt, ja?“
„Ihr kennt mich nicht? Hat die Feuchtigkeit des Waldes etwa Euer Gehirn aufgeweicht?“
Hogar grinste und entblößte Zähne, die eine Maus mit Käsehäppchen verwechselt hätte. „Scheint, als ob du doch nicht so viele Probleme machst, wie zuerst angenommen“, stellte er fest. „Wo müssen wir dich abliefern, um das Lösegeld zu kassieren?“
„Lösegeld?“
Erst jetzt fielen dem Fremden auch die anderen Räuber auf, oder besser gesagt, er bemerkte die Waffen, die sie in den Händen hielten. Hogars Grinsen wuchs in die Breite, als er die Farbe aus dem Gesicht des Fremden weichen sah.
„Ah, jetzt verstehst du“, sagte er sanft und stützte sich auf den Schaft seiner Axt. „Männer, habt ihr gut mitgezählt? Für jedes unflätige Wort verdient der hier einen Schlag in seine Eingeweide.“
Die Männer lachten dreckig, bis auf Gnarf.
„Och, Boss“, jammerte er. „So was musst du doch vorher sagen, wie soll man sich denn daran erinnern können?“
Hogars Blick flackerte, wodurch selbst Gnarf verstand, dass er gerade Opfer eines dieser rhetorischen Stilmittel geworden war.
„H-halt! Wartet!“, schrie der Donnernde Blitz und versuchte vor dem Räuber davonzuweichen – mit einem verletzten Bein keine leichte Aufgabe. „Wir müssen hier weg, ansonsten werdet ihr kaum in der Lage sein, noch irgendwelches Lösegeld zu verlangen!“
Hogar lachte. „Und du glaubst, dass wir dich jetzt einfach so gehen lassen? Den Gedanken verwerf mal ganz schnell.“
„Ihr versteht nicht, ich ...“
Er unterbrach sich, als er das Poltern hörte. Auch die Wegelagerer stellten das Gelächter ein und sahen sich verwirrt um.
„Vorsprung verspielt“, war alles, was der Donnernde Blitz noch herausbrachte, bevor es ihm und allen anderen auf der Straße wie zuvor dem Baumstamm erging.
***
Stille senkte sich über einen bestimmten Streckenabschnitt im neuen Eichenwald. Noch immer segelten aufgewirbelte Blätter durch die Luft, doch die Geräusche, die sie dabei verursachten, gehörten zu der vernachlässigbaren Sorte.
Entsetzt ließ der Bogenschütze der Wegelagerer seine Waffe sinken und starrte auf die Überreste seiner Kameraden. Was immer da passiert war ... es war zu schnell für seine vom Nebel getrübten Augen geschehen. Etwas unbeholfen rutschte er von seinem Ast, von dem aus er die Straße beobachtet hatte, als ihm eine Bewegung im Dickicht auffiel. Es war der Junge, der sich gerade die letzten Reste seiner Fesseln vom Körper schüttelte.
Alarmiert zog der Schütze einen Pfeil aus seinem Köcher und legte ihn auf die Sehne. Verschiedene Gedanken rasten ihm dabei durch den Kopf: Wie hatte er sich befreien können? War er etwa für all dies verantwortlich?
Der Räuber zuckte zusammen, als der Junge sich urplötzlich umdrehte und ihn aus seinen dunklen Augen eingehend musterte. Es war ein kalter und berechnender Blick, der ihm einen Schauer über den Rücken tappsen ließ.
Er wird der Bande die kleine Entführung doch nicht etwa krumm genommen haben? Das durfte er nicht! Es war doch allgemein bekannt, dass Wegelagerer auf diese Weise ihr Geld verdienten!
Kalter Schweiß brach ihm aus. Was fürchtete er sich eigentlich? Er hatte die Waffe. Ihm gegenüber stand ein schlacksiger Junge mit kaum genug Kraft in den Armen, um ihm ernsthaft wehtun zu können. Er war eindeutig im Vorteil!
Aber dieser Blick ... Ihm beschlich das Gefühl, dass sein Gegenüber kein einfacher Händlerssohn war.
Der Räuber traf eine Entscheidung und floh.
Indes atmete der Jüngling erleichtert aus und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. Den hatte er total vergessen gehabt. Eine Unachtsamkeit, die ihm beinahe sein Leben gekostet hätte.
Zufrieden begutachtete er an den blutigen Matsch, der sich quer über die Straße verteilte. Diesen Wegelagerern würde niemand auch nur eine Träne hinterherweinen.
Der Schrei des geflohenen Räubers ließ ihn innehalten. Es folgte das Knacken splitternder Knochen, bevor der Körper dumpf zu Boden fiel.
Angespannt holte er das in seinem Gürtel steckende Stück Pergament hervor und entfaltete es. Wie erwartet hatten sich die Buchstaben ein weiteres Mal verschoben, um sich in einer neuen Konstellation zu präsentieren: Du bist in Gefahr! Versteck dich und gib kein Geräusch von dir!
Der Junge zögerte nicht. Leise huschte er von der Straße und wich hinter den Stamm der dicksten Eiche, die am Wegesrand zu finden war. Gerade rechtzeitig, denn Schritte kündigten Neuankömmlige an. Der Junge riskierte einen flüchtigen Blick und sah schemenhaft die Konturen dreier Gestalten: Eine normale Person, einen Hünen mit einer gefährlich großen Waffe und ein vierbeiniges, hüfthohes Etwas, welches schnaubend neben den beiden hertrottete.
„Wie sieht es aus?“, fragte eine kratzige Stimme. „Habe ich ihn erwischt?“
Geräusche verrieten dem Jungen, dass der Begleiter des Sprechers in die Hocke ging.
„Der Donnernde Blitz ist tot“, grollte der zweite Sprecher. Seine Stimme erinnerte an das Herannahen einer Gerölllawine. „Aber dieser hier nicht, er stellt sich nur tot. Was machen wir mit ihm?“
„Wie wär´s mit töten?“, erwiderte der Erste kalt. „Auch wenn wir von Glück reden können, dass diese Räuber unser Ziel aufgehalten haben ... wir wollen keine Zeugen.“
„Nein, wartet!“, keuchte der Räuber, den der Junge als Jäger zu identifizieren wusste. „Ich kann euch sicher nützlich sein! Ich kann ... nein, wartet! Neiiiiiii...!“
Sein panischer Schrei erstarb mit dem schmatzenden Geräusch einer Axt.
„Kurz und schmerzlos wie immer, Klotz“, lobte der erste Sprecher. „Ich hoffe, wir haben sie alle erwischt. Bei diesem verdammtem Nebel können wir froh sein, die Straße unter unseren Füßen zu sehen!“
Stille folgte seinen Worten. Dann Schritte. Sich nähernde Schritte.
Der Junge presste sich an den Baum, bemüht, keinen Mucks von sich zu geben. Einmal mehr entfaltete er das Pergament. Nicht bewegen!, lautete die Antwort. Etwas hinter der Angst des Jungen reagierte verärgert. Wieso durfte er ihn nicht einfach töten? Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich zur Wehr setzen musste!
Es raschelte und der Schemen des Hünen zeichnete sich neben dem nächsten Baum ab. Er musste nur den Kopf in seine Richtung drehen, dann ...
„Lass uns verschwinden, Klotz. Wir sind hier fertig.“
Der Hüne regte sich nicht.
„Klotz!“, fauchte der Mann auf der Straße nun ungeduldig und sein monströses Reittier schnaubte nervös. „Verschwinden wir! Dieser Zwischenfall darf nicht mit uns in Verbindung gebracht werden! Wofür bezahle ich dich eigentlich?“
Der Schemen des Hünen verließ sein Sichtfeld in Richtung Straße.
„Schon gut, ich komme ja schon.“
Schritte, dann das Rascheln von Kleidung und ein weiteres Schnauben des riesigen Reittieres, bevor sein stampfender, langsam beschleunigender Gang den Abzug der Männer verriet.
Noch immer sah der Junge hinter dem Baum auf sein Pergament und rührte sich erst, als die Buchstaben erneut ihre Position veränderten, um eine neue Konstellation einzunehmen.
Er studierte den Text eingehend, wobei er nachdenklich auf seiner Unterlippe herumkaute. Eine Weile verharrte er auf diese Weise und überlegte angestrengt, doch seine Gedanken führten ihn immer wieder zum selben Schluss: er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte.
Noch einmal bewegten sich die Buchstaben: Folge ihnen bis in die nächste Stadt!
Damit konnte der Junge etwas anfangen. Als sei nichts gewesen, steckte er das Pergament zurück in die kleine Tasche an seinem Gürtel und folgte der Straße in die Richtung, in der die Männer verschwunden waren.



Außerdem versuche ich etwas den Ungeschriebenen Gesetzen nach Möglichkeit zu widersprechen, oder diese zu umgehen. Erwartet also kein klassisches Gut/Böse mit jungen Helden, der die Welt rettet, sondern ganz normale Alltagsprobleme

Also dann, genug der Einleitung, viel Spaß mit dem (etwas längeren) Prolog

Vorsicht, kann Spuren von Sarkasmus und flachen Humor enthalten!
Wichtig fFür alle Späteinsteiger: Wenn ihr noch Rechtschreibfehler findet, macht euch nicht die Mühe, die rauszupicken. Anmerkungen zum Text korrigiere ich hier nicht, sondern nur in meinem Dokument.
Der Morgen graute. Das war an sich nichts Besonderes. Schließlich ereignete sich dieses natürliche Phänomen jeden Tag. Jedenfalls in den von Göttern geliebten Regionen dieser Welt. Königreiche wie das sagenumwobene Hiersiehstenix, in denen die Bewohner Sonnenlicht nur als jene mystische Kraft kannten, die den Mond zum Leuchten brachte, werden als zu vernachlässigende Ausnahmen betrachtet. Seit der 17. Erzmagister von Funktionalis, Quadrier T. Wurzel, durch irgendein Theorem ihre Existenz bewies, wurde ihnen freie Zulässigkeit eingeräumt. Die Folge davon war, dass jede Wissenschaft nun ihre eigenen vernachlässigbaren Ausnahmen haben wollte, um fundamentalere und besser klingende Aussagen treffen zu können. So auch die Geografiker.
Und seitdem hieß es in jedem anständigen Lexikon: „Die Sonne geht einmal am Tag an jedem Ort der Welt auf; Fußnote: bis auf einige zu vernachlässigende Ausnahmen.“ Das wusste zwar jedes Geschöpf (bis auf vernachlässigbare Ausnahmen) aus angeborener Intuition selbst, aber erst wenn solche Dinge niedergeschrieben wurden und man Wissenschaft dranklebte, entsprachen sie auch der Wahrheit.
Aber das nur am Rande. Denn zum Glück befinden wir uns in der von allen hochgeschätzten Normalität, also an einem Ort, an dem tatsächlich die Sonne aufgeht: dem neuen Eichenwald. Der neue, weil es zur Zeit seiner Bennennung bereits acht alte Eichenwälder gab und man die Gefahr einer Verwechslung befürchtete. Irgendjemand hatte wohl einen kreativen Tag gehabt.
Unsere Geschichte beginnt an einem frühen Morgen. Es war ein besonderer Morgen – zumindest für einen etwas größeren Teil der Bevölkerung. Irgendwo im Multiversum fand man immer jemanden, für den der jetzige Zeitpunkt eine wichtige Bedeutung hatte. Dadurch wird jeder Tag zu einem besonderen Tag voller bedeutsamer Momente. Und ein solcher bahnte sich gerade hier in der Nähe an.
Richten wir also unseren Blick auf den neuen Eichenwald. Wenn wir uns ein bisschen umsehen, können wir einen Pfad erkennen, der sich wie die Laufbahn eines Betrunkenen quer durchs dichte Grün schlängelt. Und wenn Ihr jetzt nickt, dann nenne ich Euch einen Lügner. Schließlich schaut Ihr ja gerade diesen Text an. Zudem lag dichter Nebel über dem neuem Eichenwald. Wie ein Duschvorhang verschleierte er den Blick für neugierige Beobachter und klebte ebenso lästig am Körper aller, die ihm zu nahe kamen.
Da Ihr also nichts sehen könnt, stellt es Euch bildlich vor. Hohe, dunkle Bäume, ihre Umrisse nur vage durch die dickflüssige Nebelsuppe zu erkennen. Wie pingelige Inspektoren beugen sie sich über den breiten Pfad, als handle es sich hierbei um die Abschlussarbeit eines Zaubereistudenten. Genügend Fußnoten wies der Pfad schließlich auf – auch wenn deren Urheber hauptsächlich Pferde waren. Naja, bei Zaubereifacharbeiten stammten viele Fußnoten von Eseln, also sollte das nicht so dramatisch sein.
Auf dem Pfad lag ein Baumstamm. Ein einsamer Wanderer hätte sich vermutlich gefragt, was er dort zu suchen hatte, schließlich wurde auf diese Weise der Weg für Kutschen blockiert. Die in den Büschen lauernden Räuber wären nur allzu entgegenkommend gewesen, diese Frage auf schnellstem Wege zu beantworten – im Austausch gegen die Wertsachen des Wanderers natürlich.
Leider ließ sich ein solcher nicht blicken, sehr zum Unmut der Wegelagerer. Sie mussten schließlich von ihrem Handwerk leben und ein Ausbleiben der Kundschaft war alles andere als wünschenswert.
Und so langweilten sie sich. In den Ästen zwitscherten die ersten Vögel und im entfernten Unterholz röhrte ein Hirsch. Sie lauerten mitten im Nirgendwo.
„Sicher, dass wir hier richtig sind?“, grunzte Gnarf der Quetscher.
„Ganz sicher“, beruhigte Jäger ihn. „Der Boss hat´s gesagt.“
Damit war das Totschlagargument gebracht. Der Boss hat´s gesagt. Ende der Diskussion. Jedenfalls für Jäger.
Gnarf sah das anders. Seine ungekämmte Haarpracht stand kurz davor, von einem Rotkehlchen als Nistplatz missbraucht zu werden, so lange saß er schon still an seinem Platz. Ärgerlich verscheuchte der stämmige Räuber den Vogel mit einer wedelnden Handbewegung, wodurch er den Nachkommen des Rotkelchens eine geruchsintensive Kindheit ersparte. „Das stimmt“, räumte er ein, „aber die Information stammt doch nicht vom Boss, sondern von dem Knirps da.“ Gnarf deutete auf den Jungen, der gefesselt und geknebelt neben ihnen auf dem Boden lag.
„Ja“, bestätigte Jäger in einem Tonfall, der andeutete, dass sein ohnehin kleiner Vorrat an Geduld bereits erschöpft war. „Und wenn er gelogen hat, dann wird dies der schlimmste Tag seines Lebens werden. Also sei still und behalt die Straße im Auge!“
Gnarf grummelte unzufrieden, kam der Aufforderung aber nach. Sie hatten den verängstigten Jungen an der Azurklamm abgefangen, mit nicht mehr als einem Rucksack voller Proviant. Er sagte, er gehöre zu einer Gruppe fahrender Händler, mit denen er sich heute hier treffen wollte. Erfreut von dieser Neuigkeit hatten die Räuber sich sofort auf den Weg gemacht, um einen Hinterhalt vorzubereiten, versprachen sie sich doch reiche Beute.
Schweigend beobachtete Gnarf den vor ihnen liegenden Baumstamm. Er nahm an, dass es sich dabei um eine Eiche handeln musste. Schließlich befanden sie sich im neuen Eichenwald. Stolz erfüllte den Wegelagerer, als er diesen logischen Schluss reflektierte. Da wären bestimmt nicht viele drauf gekommen. Nur eine Sache störte ihn nach wie vor.
„Ich sehe keine Händler“, sprach Gnarf das Offensichtliche aus.
„Ja, du Esel, weil es neblig ist“, fuhr Jäger ihn an.
Gnarf dachte darüber nach. „Das erklärt einiges“, präsentierte er wenige Augenblicke später das Ergebnis seiner mentalen Mühe. „Die Händler können den Baumstamm ja gar nicht sehen. Wie sollen sie also in unseren Hinterhalt laufen können, wenn er ihnen gar nicht auffällt?“
Diese Worte schafften es, selbst dem gereizten Jäger für einen Moment die Sprache zu verschlagen. „Hörst du dich eigentlich manchmal selber reden?“, fragte er mit unverhohlener Wut in seiner Stimme. „Der Sinn eines Hinterhalts besteht doch gerade darin, dass man ihn nicht bemerkt.“
„Und wieso haben wir uns dann die Mühe mit dem schweren Baumstamm gemacht? Jeder sieht doch den Hinterhalt nun.“
„Aber erst, wenn es zu spät ist. Wir schneiden ihnen den Weg ab. Und bevor sie es schaffen, Pferd und Wagen zu wenden, haben wir sie bereits an den Eiern.“
„Ah, guter Plan“, sagte Gnarf und seine Miene erhellte sich. „Aber wäre es dann nicht noch besser, einen weiteren Baumstamm auf die Straße zu legen, um ihnen auch noch den Rückweg abzuschneiden?“
„Sag mal ...!“ Jäger rang mit den Händen und in seinem Gesicht zeigte sich erste Mordlust. „Und wie sollen die Händler bitteschön zwischen die beiden Baumstämme kommen?“
Darauf wusste Gnarf keine Antwort.
Jäger schnaubte zufrieden. „Na, also ...“
„Magie!“, rief Gnarf aus. Das war schließlich die Erklärung für alles, was man nicht erklären konnte.
Als Antwort darauf hörte Gnarf nur, wie Jäger sich mit der flachen Hand ins Gesicht schlug und abermals erfüllte Stolz seine Brust. Und dann sagte man ihm, er wäre dumm. Das traf auf andere vielleicht zu, aber nicht auf ihn! Schließlich wusste Jäger noch nicht einmal, wie man richtig applaudierte.
„Gnarf“, sagte er mit bemüht fester Stimme. „Bitte tu mir und der Welt einen Gefallen, und kümmere dich weniger ums Denken als um ...“ Was genau sein Gefährte vorschlagen wollte blieb unausgesprochen, da das ferne Poltern von Hufen an die Ohren der Räuber drang.
„Ssh“, wisperte Jäger und legte den Zeigefinger auf die Lippen, während auch Gnarf die Ohren nach den vom Nebel gedämpften Geräuschen spitzte. „Es geht los.“
Leise zog Jäger das an seinem Gürtel befestigte Schwert und sah sich zu dem Jungen um.
„Ein Mucks, Bürschchen, dann war´s das mit dir.“
Auch Gnarf begriff die Situation und gab ein höhnisches Kichern von sich, wobei er nach seiner Keule langte. Im Baum über ihnen raschelte es, ein Zeichen, dass auch ihr Schütze die Ankunft der Händler bemerkt hatte. Hoffentlich würde dieser Versager heute mal einen Pfeil treffen. Zum Glück reichte es meist, wenn er einfach nur am Rand stand und bedrohlich aussah. Menschen wurden um Einiges kooperativer, wenn sie sahen, dass ein spitzes Stück Eisen auf sie zeigte. Vor allem, wenn es schneller fliegen als ein Mensch laufen konnte.
Jäger und Gnarf spannten die Muskeln. Das Geräusch schwoll an. Es war inzwischen recht laut. Zu laut.
Jäger runzelte die Stirn. „Moment, das klingt aber nicht ...“
Das Chaos nahm seinen Lauf. Voran stürmte eine wahre Anhäufung von Radau, umgeben von wegfetzenden Holzsplittern. Wilde Tiere schrien auf, bevor ihr Besitzer mit ungepflegten Flüchen einsetzte, um der charakteristischen Klangfülle des Vorgangs noch seine ganz eigene Note beizufügen. Kurz: es ereignete sich ein Zusammenstoß, dem selbst der Nebel nicht im Weg stehen wollte. Unbeteiligt wich er zurück und ermöglichte den beiden erstaunten Wegelagerern einen Blick auf eine büffelartige Kreatur, die mit einer Mischung aus Blöken und Fauchen galoppierend im Dickicht verschwand. Ein weiteres Zugtier lag regungslos in der dadaistischen Objektmontage, die aus dem Wagen und ihrem Baumstamm entstanden war. Eine zeternde Stimme erklang.
„Verdammte Scheiße aber auch! Welcher hirngegarte Psychopath hat diesen beschissenen Stamm auf den Weg gelegt?“
Erst jetzt erinnerten sich die Räuber, weshalb sie überhaupt hier waren. Synchron wie zwei Uhren aus unterschiedlichen Ländern sprangen die fünf schwer bewaffneten Männer aus ihren Verstecken. Allen voran Gnarfs und Jägers Anführer Ambossfaust Hogar.
Wenn der Mann durch das Szenario überrascht war, so zeigte er es nicht. Die schartige Axt halb erhoben, baute er sich breitbeinig vor dem Mann auf, der ihn erregt zur Kenntnis nahm.
„Sie!“, gellte er und zeigte anklagend auf den Anführer der Bande. „Sind Sie hierfür verantwortlich!?“ Er meinte den zersplitterten Baumstamm, dessen Überbleibsel am Rand des Weges einen traurigen Anblick boten. „Das wird Sie teuer zu stehen kommen! Mein Bein ist unter Garantie gebrochen, also stehen Sie da nicht so rum, Sie traurige Gestalt eines Holzfällers, sondern helfen Sie mir auf. Wir müssen von der Straße runter und uns verstecken, ich werde verfolgt. Wenn Sie mir helfen, erlasse ich Ihnen Ihre Schuld!“
Hogar musterte den Fremden mit einem abfälligen Blick. Da schien jemand überhaupt nicht zu wissen, in welche Situation er gerade hineingeraten war.
„Wie ein Konvoi von fahrenden Händlern siehst du mir aber nicht aus“, überging er die Beleidigungen seines Opfers. „Das war eine gute neue Eiche, Freundchen, die wir eigentlich noch benutzen wollten. Ihre Beschädigung kostet dich ein gutes Sümmchen. Wir werden eher dich zur Kasse bitten.“
„Das reicht noch nicht mal, um meinen Wagen und meine Zugtiere zu bezahlen!“, schrie der Fremde in gleicher Lautstärke zurück. „Das waren Panzerbestien aus der Sengende Senke bei Skepthomos!“
Hogar betrachtete den zuckenden Kadaver. „Neue Eiche schlägt Panzerbestie“, sagte er trocken. „So wertvoll kann das Vieh nicht gewesen sein.“
„Hören Sie mal! Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wer vor Ihnen sitzt? Ich bin der Donnernde Blitz! Jetzt helfen Sie mir auf! Es wird sich für Sie lohnen!“
In Hogars Augen funkelte es und in die Gesichter seiner Kumpanen schlich sich ein schmutziges Grinsen.
„Mal davon abgesehen, dass der eigentliche Blitz an sich nicht donnert und dein Name deswegen total bescheuert klingt ... Du bist also berühmt, ja?“
„Ihr kennt mich nicht? Hat die Feuchtigkeit des Waldes etwa Euer Gehirn aufgeweicht?“
Hogar grinste und entblößte Zähne, die eine Maus mit Käsehäppchen verwechselt hätte. „Scheint, als ob du doch nicht so viele Probleme machst, wie zuerst angenommen“, stellte er fest. „Wo müssen wir dich abliefern, um das Lösegeld zu kassieren?“
„Lösegeld?“
Erst jetzt fielen dem Fremden auch die anderen Räuber auf, oder besser gesagt, er bemerkte die Waffen, die sie in den Händen hielten. Hogars Grinsen wuchs in die Breite, als er die Farbe aus dem Gesicht des Fremden weichen sah.
„Ah, jetzt verstehst du“, sagte er sanft und stützte sich auf den Schaft seiner Axt. „Männer, habt ihr gut mitgezählt? Für jedes unflätige Wort verdient der hier einen Schlag in seine Eingeweide.“
Die Männer lachten dreckig, bis auf Gnarf.
„Och, Boss“, jammerte er. „So was musst du doch vorher sagen, wie soll man sich denn daran erinnern können?“
Hogars Blick flackerte, wodurch selbst Gnarf verstand, dass er gerade Opfer eines dieser rhetorischen Stilmittel geworden war.
„H-halt! Wartet!“, schrie der Donnernde Blitz und versuchte vor dem Räuber davonzuweichen – mit einem verletzten Bein keine leichte Aufgabe. „Wir müssen hier weg, ansonsten werdet ihr kaum in der Lage sein, noch irgendwelches Lösegeld zu verlangen!“
Hogar lachte. „Und du glaubst, dass wir dich jetzt einfach so gehen lassen? Den Gedanken verwerf mal ganz schnell.“
„Ihr versteht nicht, ich ...“
Er unterbrach sich, als er das Poltern hörte. Auch die Wegelagerer stellten das Gelächter ein und sahen sich verwirrt um.
„Vorsprung verspielt“, war alles, was der Donnernde Blitz noch herausbrachte, bevor es ihm und allen anderen auf der Straße wie zuvor dem Baumstamm erging.
***
Stille senkte sich über einen bestimmten Streckenabschnitt im neuen Eichenwald. Noch immer segelten aufgewirbelte Blätter durch die Luft, doch die Geräusche, die sie dabei verursachten, gehörten zu der vernachlässigbaren Sorte.
Entsetzt ließ der Bogenschütze der Wegelagerer seine Waffe sinken und starrte auf die Überreste seiner Kameraden. Was immer da passiert war ... es war zu schnell für seine vom Nebel getrübten Augen geschehen. Etwas unbeholfen rutschte er von seinem Ast, von dem aus er die Straße beobachtet hatte, als ihm eine Bewegung im Dickicht auffiel. Es war der Junge, der sich gerade die letzten Reste seiner Fesseln vom Körper schüttelte.
Alarmiert zog der Schütze einen Pfeil aus seinem Köcher und legte ihn auf die Sehne. Verschiedene Gedanken rasten ihm dabei durch den Kopf: Wie hatte er sich befreien können? War er etwa für all dies verantwortlich?
Der Räuber zuckte zusammen, als der Junge sich urplötzlich umdrehte und ihn aus seinen dunklen Augen eingehend musterte. Es war ein kalter und berechnender Blick, der ihm einen Schauer über den Rücken tappsen ließ.
Er wird der Bande die kleine Entführung doch nicht etwa krumm genommen haben? Das durfte er nicht! Es war doch allgemein bekannt, dass Wegelagerer auf diese Weise ihr Geld verdienten!
Kalter Schweiß brach ihm aus. Was fürchtete er sich eigentlich? Er hatte die Waffe. Ihm gegenüber stand ein schlacksiger Junge mit kaum genug Kraft in den Armen, um ihm ernsthaft wehtun zu können. Er war eindeutig im Vorteil!
Aber dieser Blick ... Ihm beschlich das Gefühl, dass sein Gegenüber kein einfacher Händlerssohn war.
Der Räuber traf eine Entscheidung und floh.
Indes atmete der Jüngling erleichtert aus und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. Den hatte er total vergessen gehabt. Eine Unachtsamkeit, die ihm beinahe sein Leben gekostet hätte.
Zufrieden begutachtete er an den blutigen Matsch, der sich quer über die Straße verteilte. Diesen Wegelagerern würde niemand auch nur eine Träne hinterherweinen.
Der Schrei des geflohenen Räubers ließ ihn innehalten. Es folgte das Knacken splitternder Knochen, bevor der Körper dumpf zu Boden fiel.
Angespannt holte er das in seinem Gürtel steckende Stück Pergament hervor und entfaltete es. Wie erwartet hatten sich die Buchstaben ein weiteres Mal verschoben, um sich in einer neuen Konstellation zu präsentieren: Du bist in Gefahr! Versteck dich und gib kein Geräusch von dir!
Der Junge zögerte nicht. Leise huschte er von der Straße und wich hinter den Stamm der dicksten Eiche, die am Wegesrand zu finden war. Gerade rechtzeitig, denn Schritte kündigten Neuankömmlige an. Der Junge riskierte einen flüchtigen Blick und sah schemenhaft die Konturen dreier Gestalten: Eine normale Person, einen Hünen mit einer gefährlich großen Waffe und ein vierbeiniges, hüfthohes Etwas, welches schnaubend neben den beiden hertrottete.
„Wie sieht es aus?“, fragte eine kratzige Stimme. „Habe ich ihn erwischt?“
Geräusche verrieten dem Jungen, dass der Begleiter des Sprechers in die Hocke ging.
„Der Donnernde Blitz ist tot“, grollte der zweite Sprecher. Seine Stimme erinnerte an das Herannahen einer Gerölllawine. „Aber dieser hier nicht, er stellt sich nur tot. Was machen wir mit ihm?“
„Wie wär´s mit töten?“, erwiderte der Erste kalt. „Auch wenn wir von Glück reden können, dass diese Räuber unser Ziel aufgehalten haben ... wir wollen keine Zeugen.“
„Nein, wartet!“, keuchte der Räuber, den der Junge als Jäger zu identifizieren wusste. „Ich kann euch sicher nützlich sein! Ich kann ... nein, wartet! Neiiiiiii...!“
Sein panischer Schrei erstarb mit dem schmatzenden Geräusch einer Axt.
„Kurz und schmerzlos wie immer, Klotz“, lobte der erste Sprecher. „Ich hoffe, wir haben sie alle erwischt. Bei diesem verdammtem Nebel können wir froh sein, die Straße unter unseren Füßen zu sehen!“
Stille folgte seinen Worten. Dann Schritte. Sich nähernde Schritte.
Der Junge presste sich an den Baum, bemüht, keinen Mucks von sich zu geben. Einmal mehr entfaltete er das Pergament. Nicht bewegen!, lautete die Antwort. Etwas hinter der Angst des Jungen reagierte verärgert. Wieso durfte er ihn nicht einfach töten? Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich zur Wehr setzen musste!
Es raschelte und der Schemen des Hünen zeichnete sich neben dem nächsten Baum ab. Er musste nur den Kopf in seine Richtung drehen, dann ...
„Lass uns verschwinden, Klotz. Wir sind hier fertig.“
Der Hüne regte sich nicht.
„Klotz!“, fauchte der Mann auf der Straße nun ungeduldig und sein monströses Reittier schnaubte nervös. „Verschwinden wir! Dieser Zwischenfall darf nicht mit uns in Verbindung gebracht werden! Wofür bezahle ich dich eigentlich?“
Der Schemen des Hünen verließ sein Sichtfeld in Richtung Straße.
„Schon gut, ich komme ja schon.“
Schritte, dann das Rascheln von Kleidung und ein weiteres Schnauben des riesigen Reittieres, bevor sein stampfender, langsam beschleunigender Gang den Abzug der Männer verriet.
Noch immer sah der Junge hinter dem Baum auf sein Pergament und rührte sich erst, als die Buchstaben erneut ihre Position veränderten, um eine neue Konstellation einzunehmen.
Er studierte den Text eingehend, wobei er nachdenklich auf seiner Unterlippe herumkaute. Eine Weile verharrte er auf diese Weise und überlegte angestrengt, doch seine Gedanken führten ihn immer wieder zum selben Schluss: er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte.
Noch einmal bewegten sich die Buchstaben: Folge ihnen bis in die nächste Stadt!
Damit konnte der Junge etwas anfangen. Als sei nichts gewesen, steckte er das Pergament zurück in die kleine Tasche an seinem Gürtel und folgte der Straße in die Richtung, in der die Männer verschwunden waren.
"Zweifel sind Verräter, sie rauben uns, was wir gewinnen können, wenn wir nur einen Versuch wagen."
~ William Shakespeare

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