Ulkgeschichten

Es gibt 33 Antworten in diesem Thema, welches 10.577 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (15. April 2019 um 20:08) ist von Xarrot.

  • EDIT: Nach Überlegung ist es mir logisch erschienen, hieraus einen Sammelthread für sämtliche Kurzgeschichten, die ich so fabriziere, zu machen. Ja ... das war`s auch schon wieder ... schönen Abend/ Mittag/ Morgen noch ...

    Diese Geschichte hab ich eigentlich nur für unsere Schülerzeitung geschrieben, aber ich hab meine Lehererin gefragt, ob es klar geht, dass ich sie auch hier veröffentliche. Das ging freilich klar, von daher ... :whistling:

    Wenn Helden fallen ...

    Es gibt Spelunken und Kaschemmen da draußen, um die sollte man als ehrbarer Reisender einen großen Bogen machen. Solche, mit herunter gekommenen Schankräumen, deren Fenster vom Dreck der Gossen verdunkelt werden und wo der Koch es quasi als seine Pflicht ansieht ins Essen zu spucken. Dort kann man noch von Glück sprechen, wenn die Maden den Braten nicht schon auf dem Weg zum Tisch weggefressen haben und der Wirt unter einem trockenen Weißwein keinen leeren Becher versteht. Schlimmer geht es da vermutlich nur noch, wenn man selbst als Braten auf dem Teller landet und der Begriff "letztes Abendmahl" plötzlich eine gänzlich andere Bedeutung bekommt ...
    Zu welcher Sorte die tief im finstersten Winkel des Waldes verborgene Schenke "zum Zapfhahn" gehörte, war nur sehr schwer festzustellen. Dazu hätte es nämlich erst einmal der entsprechenden Kundschaft bedurft. Auf den ersten Blick schien es deshalb ein Rätsel zu sein, wie sich das Wirtshaus dort überhaupt halten konnte und einen zweiten wollte wiederum kaum einer riskieren.
    Irgendwann einmal hatte sich jemand vermutlich viel Mühe gegeben, um auf diesem einsamen Stück Waldboden ein ansehnliches Fachwerkhaus zu errichten. Leider war das wortwörtlich schief gegangen. Entweder hatte der Verantwortliche beim Bau gesoffenen, oder schlichtweg einen Knick in der Optik gehabt. Denn das ganze Gebäude krümmte sich, als hätte ihm ein Riese einen ordentlichen Hieb in die Seite verpasst und ohne die zahlreichen Efeuranken, die vom Boden am grauen Mauerwerk empor kletterten, wäre es wahrscheinlich schon längst umgekippt.
    Ein Gedanke, der wohl auch den meisten Wanderern beim Anblick der maroden Hütte in den Sinn kam und der eine Nacht im Freien plötzlich wieder weitaus angenehmer erscheinen ließ. Die Sterne fielen einem immerhin nicht auf den Kopf, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.
    So beschränkten sich die Einnahmen des "Zapfhahns" wohl auch weiterhin lediglich auf die vier Stammgäste, denen es nicht mal im ärgsten Vollrausch eingefallen wäre, etwas am Wirt oder seinem Betrieb auszusetzen. Denn er war der einäugige, einzahnige Einhaarige und wer unter seinem Dach nicht nach seiner krächzenden Pfeife tanzte, flog ganz flott zur Vordertür hinaus. Die vier Stammgäste nannten ihn trotzdem einfach nur Bert und wussten, dass er eigentlich ein recht umgänglicher Kerl war.
    An diesem schicksalshaften Abend hatten sich jedoch erst drei von ihnen im von schummrigen Kerzenschein erhellten Schankraum eingefunden und vertrieben sich die Zeit mit einer Runde Karten.
    Auf dem Gesicht der Hexe wiegten sich die zuckenden Schatten in einem endlosen Reigen, während die gelben Augen starr auf das Blatt in ihrer Hand fixiert blieben. Schräg gegenüber kauerte unruhig der große böse Wolf auf seinem Stuhl und mühte sich damit ab, die Karten mit seinen Pfoten festzuhalten. Der dritte und vorerst letzte im Bunde hingegen war Paffnir, der Lindwurm.
    Wobei, genau genommen befand der sich nicht einmal wirklich im Schankraum, denn dazu hätte der Wirt Bert entweder eine weitaus größere Tür benötigt, oder aber eine seiner vier Wände einreißen müssen. Wahrscheinlich wäre die Schenke "zum Zapfhahn" dann allerdings wirklich eingestürzt, weshalb sich das schuppige Wesen damit begnügen musste den massigen Kopf durch ein Fenster zu stecken.
    Früher hatte Paffnir zudem getreu seines Namens die gesamte Stube derart mit seinem Qualm zugequarzt, dass es sich anfühlte, als steckte man mitten in einem Großbrand fest. Doch zum Glück der restlichen Kundschaft rettete sie neuerdings ein Erlass des Königs davor, allesamt jämmerlich zu ersticken. In Gaststätten aller Art herrschte demnach absofort Rauchverbot. Sehr zum Verdruss betroffener Lindwürmer. Seitdem wurde der arme Kerl von Bert bei jeder noch so kleinen Rauchwolke sogleich barsch angeschnauzt.
    Dabei krächzte der alte, glatzköpfige Wirt selbst mit seiner Fistelstimme, als würde er sich den Tabak geradezu schaufelweise in die Holzpfeife stopfen. Dementsprechend war auch sein Aussehen.
    Keiner hatte Bert jemals seine Hände waschen sehen und mittlerweile zierten dessen gelbe Fingernägel ein tiefschwarzer Rand. Mit seiner Kleidung verfuhr er zudem ähnlich und inzwischen prangte auf seiner Schürze eine wahre Ahnenreihe von Flecken, deren Geschichte bis zu einem mittlerweile etwas verblassten Rotweintupfer zurückreichte, der sich dort schon vor Jahrzehnten niederließ. Nur ein einziges Mal hatte Bert sich quasi selbst zu einem längst überfälligen Bad verholfen, indem er auf einem nassen Lappen ausrutschte und drei volle Bierkrüge über den Kopf schüttete. Noch immer konnte man die Überbleibsel davon als dunkle Verfärbung auf seinem Hemd bestaunen.
    Für einen wäre das allerdings schon fast wieder zu viel der Reinlichkeit gewesen. Denn obwohl ihm der Fluss unter seiner Brücke wortwörtlich zu Füßen lag, steckte der Troll für gewöhnlich nicht einmal seinen großen Zeh ins kalte Nass. Man könnte sagen, seine krabbeligen Käfer-, Fliegen- und Spinnenfreunde lagen dem großen Kerl dazu einfach viel zu sehr am Herzen, aber das entspräche nicht der Wahrheit. Eigentlich wuselten sie ihm eher über den bemoosten Rücken, hingen in seinem verfilzten grünen Bart und oben auf dem kahlen Haupt des Trolls teilte sich gar eine quakende Erdkröte ihren Platz mit ein paar Pilzen. Doch als er an diesem Abend mit Getöse in den Schankraum gestampft kam, schleppte der alte Brückenwächter zusätzlich noch jemand gänzlich anderen mit sich herum.
    Die Wirtshaustür stieß der Troll dabei mit solcher Wucht auf, dass sie beinahe aus den Angeln flog und laut gegen die Holzwand krachte.
    "Guuuten Abend, Troll", begrüßte der große böse Wolf den Neuankömmling jaulend, ohne sich um das lärmende Getrampel zu kümmern.
    Sie waren es längst gewohnt, dass der große Kerl so viel Feingefühl an den Tag legte, wie ein volltrunkener Bauarbeiter mit Abrissbirne.
    "Wasss issst esss denn, dasss du da mit dir schlepssst? Etwa dasss Abendesssen?", schaltete sich nun auch der zischelnde Paffnir ein und ließ seine lange Lindwurmzunge in Richtung des schlaffen Sackes züngeln, der über der Schulter des Trolls hing.
    "Öch ... Öh ... Öch ..." Der arme Kerl war allerdings völlig aus der Puste und an Stelle einer verständlichen Antwort stützte er sich lediglich schwerfällig schnaufend auf einen der Tische.
    Dabei entglitt dem Troll vor lauter Ermattung das Bündel, um mit Scheppern und Klirren auf dem rauen Lehmboden aufzuschlagen. Verwirrt blickte der große Kerl erst auf seine nun leere Pranke und dann auf den regungslosen Haufen zu seinen Füßen, bevor er ein entschuldigendes "Oh" hervorbrachte.
    "Heb das sofort wieder auf! Hier wird kein Müll auf den Fußboden geworfen!"
    Es war das erste Mal, dass Bert dem Treiben seiner Gäste in irgendeiner Weise Beachtung schenkte und hastig tat der Troll wie der Wirt ihm geheißen. Nun baumelte das Bündel an einem Bein für alle gut sichtbar von der mit Flechten überzogenen Pranke und sorgte sowohl bei den anderen drei Gästen als auch bei Bert für einiges Stirnrunzeln.
    "Ahhh ... alssso issst esss nun zum Esssen, oder nicht?"
    Scheinbar weckte der Anblick des blonden, in eine schillernde Rüstung gehüllten Jünglings bei Paffnir außer Erinnerungen auch noch eine ordentliche Portion Hunger, wohingegen der große böse Wolf nur missmutig die Schnauze rümpfte. Junge Männer hatten immer so einen faden Beigeschmack, nicht so wie unschuldige Mädchen ...
    Lediglich die Hexe schien beim Anblick des jungen Burschen nicht an Essen zu denken und vollführte stattdessen heimlich irgendwelche seltsam anmutende Handbewegungen über den Karten des Wolfes. Der war indessen allerdings ohnehin anderweitig beschäftigt und glotzte wie schwachsinnig geworden den baumelnden Jüngling an, wobei er nicht einmal merkte, wie ihm der Sabber von den Lefzen tropfte. Schließlich stellte die Hexe ihr verdächtiges Gefuchtel ein und deutete auf den nach wie vor dümmlich herumstehenden Troll.
    "Na dann, verzähl uns mal, was hast du mit dem armen Kerl angestellt? Hast ihm eine übergebraten, wie?", meinte sie in ihrer gleichzeitig betörenden wie neckischen Art.
    Männern mochte die Giftmischerin auf diese Weise leicht den Kopf verdrehen, doch beim Troll hätte sie sich ihr Gehabe eigentlich auch sparen können. Denn für einige Augenblicke stand der große Kerl einfach nur da, starrte erst verwirrt auf den Jüngling in seiner Pranke, dann zur Hexe und wieder zurück.
    "Wör?Öch?!", blökte er dann und klang dabei wie ein empörter Ziegenbock, dem jemand ins Gemächt getreten hat. "Nömals! Dör wor schon so, ols öch ön göfunden hob!"
    Im selben Moment schaffte es der große böse Wolf seinen starrenden Blick von dem Bewusstlosen loszureißen und nahm stattdessen wieder seine Karten auf, gefolgt von einem überraschten Jaulen.
    "Schuuumelei! Das sind nicht-"
    Der Protest des Räubers ging in einem lauten Krachen unter, als sich der Troll neben ihm auf einen der freien Stühle fallen ließ. Bert sah dabei nur einmal kurz auf, um sich zu vergewissern, dass seine Inneneinrichtung überlebt hatte, dann fuhr er fort den Holzhumpen auszuschrubben.
    "Aber was fehlt ihm denn dann?", warf die Hexe rasch ein, bevor der Wolf weitere Fragen stellen konnte.
    Der Troll allerdings hatte das Thema ihrer Unterhaltung schon längst wieder vergessen und starrte stumpfsinnig die Maserung des Tisches an. Glücklicherweise gab es da aber noch jemand anderen, der über eine etwas längere Aufmerksamkeitsspanne als der Troll verfügte und so ergriff die Kröte das Wort.
    "Uuuuaaarrrk."
    Die Hexe zog erstaunt eine Augenbraue hoch, wohingegen Paffnir nur knapp ein belustigtes Schnauben unterdrücken konnte. Bert warf ihm dafür von seinem Tresen aus einen warnenden Blick zu.
    "Hingefallen, sagst du?" Die Hexe schien nicht ganz sicher zu sein, ob die Kröte sich nicht gerade einen Spaß mit ihr erlaubte. Zumal die Ausdrucksweise der Amphibie ziemlich vulgär ausfiel.
    "Uuaauuuuaaaark."
    "Was soll das heißen: Er hat den Boden geknutscht?"
    "Uuuahaharrrk."
    "Dann sag doch einfach, dass er sich den Kopf an einem Stein gestoßen hat ..."
    "Uuuuaaarrrk uuuaark uark ... Uuuuuuuuuaaaaarrrrrk."
    Bei diesem letzten Quaken blickte sogar der mittlerweile mehr griesgrämige als böse Wolf von seinen Karten auf und entblößte seine Fangzähne bei einem äußerst belustigten Grinsen. Paffnir hingegen verschluckte sich vor Lachen und hustete röchelnd ein kehliges Lindwurm-Husten, während die Hexe sich lediglich mit einer Hand resigniert übers Gesicht fuhr.
    "Und du Trottel trittst auch noch drauf ...", meinte sie dann an den Troll gewand, der verwirrt aufschaute.
    "Hö?"
    "Na zeig her, den armen Tropf! Ein Wunder, dass du ihn danach nicht für einen Pfannkuchen gehalten und gegessen hast ..."
    Was dann geschah, hätte man eigentlich fast schon ahnen können. Wie ihm geheißen holte der Troll den Jüngling hervor, indem er ihn vom Boden anhob und in einer schwungvollen Armbewegung auf den Tisch schmetterte. Karten stoben auf wie Mehl beim Backen, der Tisch knackste und schwankte, während der Wolf dermaßen zurückschreckte, dass er fast vom Stuhl fiel.
    "BIST DU BESCHEUERT?! LATSCH DOCH GRAD NOCHMAL DRÜBER! DANN STIRBT ER WENIGER QUALVOLL!" Die Hexe war aufgesprungen und zitterte regelrecht vor Wut.
    "Hö?"
    "Sag noch einmal 'Hö' und dein nächstes Bier ist mit Nachtschatten versetzt!", knurrte sie erbost, und zeigte dabei drohend mit dem Finger auf den großen Kerl, der wiederum nur völlig verwirrt ihre Hand anglotzte, wie jemand anderes vielleicht einen fliegenden Waschbär angestarrt hätte.
    Schließlich beruhigte sich die Hexe wieder und mit einem letzten Blick auf den Troll, bei dem jede halbwegs schlaue Person sich schleunigst verkrümelt hätte, begann sie den Kopf des Jünglings nach etwaigen Verletzungen abzutasten. Dabei stieß sie tatsächlich auf eine ordentliche Beule am Hinterkopf, bei der man allerdings beim besten Willen nicht sagen konnte, ob sie nun dem Sturz oder Feingefühl des Trolls zu verdanken war.
    "Wenn der aufwacht, wird er sich vor Kopfschmerzen wünschen, nie geboren worden zu sein ... Bert hast du irgendwelche Kräuter hier?"
    Ruckartig hob der Wirt den Kopf an, als hätte er von ihrem Treiben zuvor gar nichts mitbekommen. Dann entblößte er seinen letzten Zahn bei einem breiten Grinsen.
    "Kräuter? Ah ja, Kräuter, natürlich, hab ich, hab ich." Dabei griff sich Bert eine grüne Flasche vom Tresen sowie ein kleines Gläschen und kam an den Tisch gestapft. "Selbstgebrannter ist das."
    "Ich meinte damit keinen Schn-", wollte die Hexe genervt erwidern, doch ein anerkennendes Zischeln unterbrach sie.
    "Ssselbssstgebrannt? Meine Grossssmutter hat auch immer allesss ssselbssst abgebrannt ..." Kam es voller Nostalgie von Paffnir, der erneut in Erinnerungen zu schwelgen schien.
    "Na dann! Zum Wohl!" Mit diesen Worten goss sich Bert zu aller erst selbst ein Gläschen ein und leertes es in einem Zug. Für einen Moment verzog sich sein Gesicht zu einer ulkigen Grimasse, bevor er die Hälfte wieder zurückspuckte. "Bah! Verdammt, zu viel Zimt im Abgang! Brennt ja wie Hölle das Zeug!"
    Noch einmal hustete der Wirt röchelnd und warf einen prüfenden Blick ins Glas, wo ein dicker Klumpen Rotz oben schwamm, den er zaghaft etwas herum schwenkte. Schließlich zog Bert eine Schnute und hielt seinen vier Gästen das versiffte Trinkgefäß zur Kostprobe hin.
    "Da fress ich ja lieber rohe Krötenschenkel!", herrschte sie den alten Wirt an. "Kipp das weg, bevor noch wer versehentlich dran stirbt ..."
    Der Ausdruck des Entsetzens, der sich bei dieser Aufforderung in Berts Gesicht schlich, war geradezu einmalig. Mit einem weit aufgerissenen Auge, den fast zahnlosen Mund zu einer aufgebrachten Erwiderung geöffnet, stand der alte Wirt da und konnte es nicht fassen, was er da hören musste.
    "Das ist doch ... Ich lass das gute Zeug jetzt schon seit vierzig Jahren reifen!", ereiferte er sich und setzte das Glas dabei derart heftig auf dem Tisch auf, dass etwas vom Inhalt überschwappte.
    "Uuuuuh!", machte der Wolf bewundernd. "Der Fuuusel ist ja älter als ich!"
    Die Hexe klang derweil weniger erfreut, denn hochgradig entsetzt und angewidert.
    "Die Brühe vergammelt bei dir seit vierzig Jahren auf dem Tresen?!"
    "Ich hab auch einen Deckel-"
    "Bert, das ist Schnaps und kein Wein!" Mittlerweile war sie resigniert auf ihrem Stuhl in sich zusammengesunken. "Außerdem ist dein toller Deckel an der Seite eingerissen ..."
    Zwar hatten die Einwände der Hexe durchaus ihre Richtigkeit, dennoch erhielt sie von dem alten Wirt lediglich ein abfälliges Schnauben.
    "Wönn öhr dös nöt trönken wollt, göbt`s doch önfach öhm hör."
    Für einen Augenblick herrschte Schweigen, während alles überrascht den Troll anstarrte, der seinerseits mit dem verdreckten Zeigefinger auf den nach wie vor ohnmächtigen Jüngling zeigte. Dieser Vorschlag war nicht einmal der dümmste, den der große Kerl je gebracht hatte und nachdenklich kratze sich Bert am schlecht rasierten Kinn.
    "Wasss er nicht weissss, macht ihn nicht heissss ...", wandte nun auch Paffnir ein, den das Theater etwas rüde aus seinen Erinnerungen gerissen hatte.
    Die Hexe winkte dagegen einfach nur ab, bevor sie unter den Tisch abtauchte, um die verstreuten Karten aufzusammeln. Also reichte Bert dem Troll das halbvolle Glas, woraufhin der sich überraschend vorsichtig über den jungen Burschen beugte und ihm soeben die hellbraune Brühe einflößen wollte, als ein schmerzerfülltes Ächzen ertönte.
    "Wie bitte, was?", drang es verwirrt unter dem Tisch hervor und im nächsten Moment tauchte der Kopf der Hexe gerade rechtzeitig wieder auf um zu sehen, wie der Jüngling zu sich kam ...

    Stellt euch einmal vor, ihr seid im Wald unterwegs. Vielleicht befindet ihr euch ja auf heldenhafter Fahrt, um eine holde Jungfer in Not zu retten, oder auch nur bei einem ruhigen Spaziergang. Doch das alles tritt ganz unvermittelt in den Hintergrund, als euch das viel zu lange, dafür blitzblank polierte Schwert zwischen die Beine gerät und zur hinterhältigen Stolperfalle wird. Gleich darauf durchzuckt ein kurzer und heftiger Schmerz euren Kopf, ehe ihr das Bewusstsein verliert. Der Rest ist wie von einem Lappen aus hartem Stein hinfort gewischt.
    Nun öffnete der Jüngling zum ersten Mal seit einer geschlagenen Stunde wieder seine Augen und was musste er da sehen? Ein breites Maul, voller gelber Zähne aus dem der Gestank eines ganzes Moores hervorwaberte und das alles nur wenige Fingerbreit von seinem eigenen Gesicht entfernt. Was hättet ihr wohl getan?
    Unser kühner Held jedenfalls entschied sich für Panik und hysterisches Kreischen, mit dem er selbst der holdesten Jungfer noch Konkurrenz gemacht hätte. Dem verdatterten Troll schlug der Jüngling dabei das Glas mit dem Kräuterschnaps glatt aus der Pranke, bevor er sich unter Schmerzen aufrappeln und zur Wirtshaustür hasten konnte. Dort angekommen riss er sie sperrangelweit auf und ehe Bert auch nur ein Wort des Protestes über sein verschüttetes Gesöff verlieren konnte, war der Bursche auch schon schreiend in die finstere Nacht davon gestürzt.
    "Ungezogener Bengel! Kommt hier rein, frech wie sonstwas und ..." Die Schimpftriade des Wirts ging in atemloses Schnaufen über, als ihm schlichtweg die Worte fehlten.
    Auch der Rest schwieg peinlich berührt. Wie es aussah, hatten sie wohl mal wieder einen neuen Gast vergrault ...
    "Ruuuhig Bluuut, Bert!", wagte es der große böse Wolf schließlich, die betretene Stille zu stören. "Setz dich zuuu uuuns, trink einen Schluuu-"
    Der Räuber stockte, als ihm einfiel, dass letzeres möglicherweise doch kein so guter Einfall wäre und fing stattdessen an verlegen an seiner rechten Vorderpfote herumzukauen. Von neuem machte sich das Schweigen breit und lastete wie ein Sack voll Sand auf der abendlichen Gesellschaft.
    "Uuark."
    "Stimmt, will eigentlich mal wer die Tür zumachen? Der Wind ist etwas frisch heute ..." Zur Bestätigung säuselte in diesem Moment eine sanfte, aber eisige Brise herein und ließ die schwarzen Strähnen der Hexe tänzeln.
    Grummelnd setzte sich Bert in Bewegung.
    Mittlerweile war es nicht nur in der Wirtshausstube, sondern auch im Wald draußen ruhiger geworden. Die Nacht hatte längst jeden Winkel ausgefüllt und das schummrige Kerzenlicht, das durch die angelaufenen Fenstern flackerte, leuchtete bis tief in den Forst hinein. Fast konnte man glauben, ein Riese hätte dort seine Laterne zwischen den Bäumen abgestellt. Vermutlich der selbe Grobian, dank dem das Wirtshaus "zum Zapfhahn" aussah wie eine Alte mit krummen Rücken.
    Als Bert nun die Tür seiner mit Wumms zuschlug, erstarb eines der Lichter urplötzlich. Doch noch immer ließen die restlichen vier zumindest den Umriss einer Hütte erahnen. Vielleicht steht sie ja noch immer dort im Walde. Jedenfalls wenn sich Paffnir ans Rauchverbot gehalten hat ...


    Hier habt ihr außerdem noch ein Bild von einem der Charaktere. Leider ist der Kerl eigentlich um Längen dümmer, als er in meiner Zeichnung dreinschaut und die Kröte auf seinem Kopf war mir auch etwas zu kompliziert :pardon:
    Das Bild ist leider noch auf meiner alten Festplatte und weil ich zu faul bin, das hierher zu übertragen müsst ihr euch leider mit einem Link begnügen: Troll

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

    5 Mal editiert, zuletzt von Xarrot (29. Juli 2018 um 12:18)

  • Ui, was Neues!!
    Da hab ich gleich was für meine Pause in der Nachtschicht! Du hörst dann morgen von mir, Xarrot!

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Genial!!! Mir tut mein Gesicht weh vom Dauergrinsen...
    Das ist wirklich unbeschreiblich gut. Für mich das Beste, was ich bisher hier gelesen habe, und ich habe schon allerhand gelesen. ^^
    Fehler? Keine Ahnung! Unpassende Ausdrücke? Weiß der Geier! Wortwiederholungen? Fehlende Kommas? Haben mich nicht interessiert!
    Beide Daumen hoch, @Xarrot , das schlägt mMn die metzelnden Goblins um etliche Längen. :thumbsup:
    Wenn du willst, les ich es nochmal und versuche, irgendwas zu finden, was verbesserungsfähig wäre. Aber ich ahne schon, das wird wieder nichts werden. Von daher - nix zu meckern von meiner Seite.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Wenn du willst, les ich es nochmal und versuche, irgendwas zu finden, was verbesserungsfähig wäre. Aber ich ahne schon, das wird wieder nichts werden. Von daher - nix zu meckern von meiner Seite.

    Ach was. Verbesserungsvorschläge und dergleichen bekomm ich vermutlich noch genug, sobald die bei der Schülerzeitung sich das Durchgelesen haben. Freut mich vielmehr, dass es dir gefällt und ja, das Goblingemetzel muss hier wohl leider hinter zurückbleiben. :whistling:
    Mir macht es stattdessen eine Freude, wenn andere durch meine Geschichte eine Freude gemacht bekommen. ^^

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Was für eine herrlich erfrischende Geschichte, ganz, wie man es von unserem buckligen Kobold erwarten würde :D die hat mir jetzt schön den morgen versüßt... oder verwürzt. Was auch immer, auf jeden Fall war ordentlich Geschmack drinnen, ganz wie in dem Schnapps des alten Haudegens (vielleicht sollte er das brennen doch lieber dem Lindwurm überlassen, liegt ja in der Familie...) Schade, dass er so wenig Kundschaft bekommt, mal abgesehen von der Hygiene ist das doch ein nettes Folk vor Ort... naja, man sollte halt nicht Rotkäppchen oder so heißen, wenn man da Essen will. 8o

  • Guten Abend ^^

    Deine Geschichte hat mich sehr gut unterhalten @Xarrot :thumbsup: Allerdings war ich zwischenzeitlich etwas verwundert, als es hieß, der Wirt schrubbt irgendwas. Es wird geschrubbt? Das kann ich mir nicht vorstellen ?(
    Ansonsten gab es ein paar kleinere Komma- und Grammatikfehler, aber alles nichts gravierendes.

    Danke für die lustige Story, gerne mehr :D

    Sei höflich und bescheiden,

    Sei geduldig und beherrscht,

    Vervollkommne deinen Charakter,

    Sei gerecht und hilfsbereit,

    Sei mutig!

  • Allerdings war ich zwischenzeitlich etwas verwundert, als es hieß, der Wirt schrubbt irgendwas. Es wird geschrubbt? Das kann ich mir nicht vorstellen

    Du meinst, weil die gesamte restliche Schenke derart versifft ist? Da hast du nicht ganz Unrecht :hmm:
    Aber irgendwas muss Bert ja machen, damit es so aussieht, als sei er beschäftigt. Außerdem, wer hat denn gesagt, dass der Lappen überhaupt sauber war? :D

    Freut mich natürlich auch, dass es dir gefällt. Ich selber mag es sehr, sehr gerne solche kleinen Geschichten zu schreiben und es ist gleich doppelt schön, wenn es dann auch noch gut ankommt. :)

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Hier mal eine weitere Kurzgeschichte und vorab gleich mal ein fettes Dankeschön an @Tariq und ihr Bild aus ihrem Bilder-Thread.

    Spoiler anzeigen


    Ich hab das Bild gesehen, dann kam mir der Unfug hier in den Sinn und dann ist die ganze Sache irgendwie etwas aus dem Ruder gelaufen ... :whistling:
    Ein paar kennen mich ja schon und wissen, dass meine Geschichten manchmal etwas seltsam werden. Ich hoffe, ich hab es hier nicht übertrieben (eigentlich hab ich mich beim Schreiben sogar versucht zurückzuhalten ... :doofy: ), aber seht selbst:


    Der Bettler im Priestergewand

    Ein Pfarrer soll einmal gesagt haben: "Kirchen sind Gottes Heim auf Erden. Darum baut sie hoch hinaus und prächtig von innen!"
    Woraufhin ihm ein Bauer folgendes entgegnete: "Ajo, wenn`s sein muss. Aber net von meinem hart verdienten Brot, Kollege Schnürschuh! Da kann sich der Schmarotzer ma schön wen anders suchen! Ich hab daheim nen Dutzend Kühe, die ich melken muss. Soller halt mal mit anpacken, der feine Herr! Aber wehe, ich erwisch den Saukerl stattdessen auch nur einmal am Euter meiner Frau! Heiß ich Josef, dass ich mir meine Alte von so nem-"
    An dieser Stelle fuhr leider das Henkersbeil hernieder und schnitt dem armen Tölpel damit nicht nur den Satz mittendrin ab. Man hat es als Ketzer aber auch wahrhaftig nicht leicht!
    Der Pfarrer weilte dagegen noch ein paar Jährchen länger auf Gottes schöner Erde, ehe ihn die schicksalshafte Faust des selben mit voller Wucht traf und von Pestbeulen übersät ins Grab schickte. Was blieb, war eine schäbige kleine Kirche, die mit der Zeit sogar noch schäbiger wurde. Niemand kümmerte sich mehr darum und bald sprossen im Garten auch schon die ersten Bäume.
    Noch ein paar Jahrzehntchen später war das Gebäude dann gänzlich hinter den Wipfeln verschwunden. Scheinbar hatte man das Heim Gottes wohl doch nicht hoch genug hinaus gebaut. Aber immerhin wurde etwaigen Reisenden so der Anblick der zugigen Bruchbude erspart, da waren sich die Bewohner des nahegelegenen Ortes einig.
    Doch einen gab es, dem wäre selbst die vergammelste Hütte noch wie der hehrste Palast vorgekommen. Gott hin oder her. Und obwohl das Dach der Kirche schon fast mehr Löcher als Holz aufwies, vollführte der zerfledderte Bettler namens Warzimir trotzdem einen jauchzenden Luftsprung, als er das verlassene Gemäuer hinter den Bäumen entdeckte. So wollte er noch im Flug vorwärts stürmen, verhedderte sich die Füße in der Lumpentracht und grüßte mit der Stirn herzlich den Boden.
    Allerdings hatte Warzimir in seinem Leben bereits reichlich Erfahrung darin gesammelt, von alleine wieder auf die Beine zu kommen und gleich darauf stand er auch schon hechelnd wortwörtlich in der morschen Tür zur baufälligen Kirche. Leider erwies sich das verwitterte Holz nun doch als etwas zu massiv, um einfach hindurch zu stürmen und eine Weile zappelte er so vor sich hin. Schließlich schafften es Tür, Lumpengewand und Bettler aber sich wieder zu entheddern und plötzlich saß ein halbnackter Warzimir mitten in der kleinen Eingangshalle zu Gottes trautem Heim.
    Dem Herrn sei außerdem gedankt, dass die Statue der Jungfrau Maria schon vor etlichen Jahren ihren Kopf einbüßte. Denn sonst hätte sich die Sache mit der Unschuld spätestens beim Anblick des knöchernen, faltigen Hinterteils gehabt, das sich nun mit dem aufreizenden Hüftschwung einer dreibeinigen Kröte an ihr vorbei bewegte.
    Im nächsten Moment verharrte Warzimir jedoch und staunte mit offenem Mund. Noch nie in seinem Leben war er in so einem edlen Gemäuer zu Gast gewesen! Von den Bänken lagen tatsächlich nur fünf von sechs zerbrochen am Boden, der Altar war an manchen Stellen sogar frei von Vogelschiss und unterm Dach lebte wohl auch bloß eine ganz kleine Spatzenfamilie.
    Alles in allem also ein ordentlicher Griff ins Klo. Aber allein die Tatsache, dass sich hinter einer von zwei angrenzenden Türen ein solcher Abort befand, reichte schon aus, damit dem elenden Bettler fast die Tränen aus den Augen quollen. Allerdings war die Gelegenheit dann doch zu günstig, sodass Warzimir erst einmal anderen Körperflüssigkeiten den Vortritt ließ.
    Kurze Zeit später probierte er dann auch die andere Tür aus und fand ein kleines aber feines Schlafzimmer vor. So wirkte das Bett äußerst einladend, vorausgesetzt man war eine Bettwanze, Motte oder sonst ein krabbeliger Gast, derweil der Kleiderschrank sogar noch eine weitere Überraschung bereit hielt: Kaum dass Warzimir hinein lugte, sackte ihm auch schon ein schweres rotes Gewand entgegen.
    Ein solch teures Stück Stoff um die dürren Glieder kam sich der Bettler gleich wie der aller feinste Herr vor und staunend betrachtete er seine neue Kleidung. Nie zuvor hatte Warzimir etwas mit derart wenig Löchern getragen, obgleich er eine sonderbare Reihe von Flecken im Schritt bemerkte. Auch die Bettdecke wies einige davon auf …
    „Muss wohl Weihwasser sein ... oder Messwein“, schlussfolgerte Warzimir, denn immerhin befand er sich hier in einer Kirche. Da fiel sein Blick auf ein zerknülltes Tuch in der Ecke des Zimmers. „Naja, immerhin hat man die Sauerei hinterher auch wieder aufgewischt ...“
    Jedoch blieb der gute Warzimir mit seiner neuen Gewandung nicht lange unentdeckt, wie bei solch einem kräftigen Bordeauxrot nicht anders zu erwarten. Doch vermutete man keineswegs den bettelarmen Bettler hinter solch edler Kleidung. Stattdessen machte unter den Leuten im nahegelegenen Dorf schon bald die Nachricht ihre Runde, es wohne ein neuer Pfarrer in der alten Kirche oben auf dem Hügel.
    Denn so ist es nun mal: Kleider machen Leute, Schneider machen Kleider und manchmal mopsen sich Leute eben diese Kleider und machen stattdessen, was sie wollen.
    So spielte Warzimir einfach mit und machte für die Leute aus dem Dorf einen auf homine dei. Einen Mann Gottes, obgleich er mehr als einmal über irgendwelche seltsamen Namen stolperte. So faselten die Leute ständig etwas von ihren Müttern, die auch noch allesamt „Maria“ hießen. Zumindest hofft Warzimir, dass es sich um mehrere Mütter handelte und er nicht in einem dieser Hinterwäldler-Inzucht-Dörfer gelandet war, in denen die Kinder „Onkel-Papa!“ schreien, wenn der Bruder der Mutter-Schwester abends von der Arbeit nach Hause kommt.
    Allerdings mochte der frisch ernannte Pfarrer bei dieser Sache seine Nase nicht zu tief in die Angelegenheiten der Leute stecken. Zumal sich die Gespräche auch so schon um merkwürdige Themen drehten:
    Den einen Morgen kam eine Frau zur Kirche gelaufen. Es war noch reichlich früh und Warzimir bis auf eine graue Schlafhaube nahezu unbekleidet, was nicht eben zur Beruhigung ihres ohnehin schon erregten Gemütes beitrug. Sogleich begann das Weib dem augenscheinlichen Pfarrer von einem wie sie es nannte „frevlerischen Akt der Sünde“ zu berichten, derweil der Bettler auf der anderen Seite leicht verwirrt die Stirn runzelte. Im Grunde ging es bloß darum, dass sie und der Schafshirte es betrunken hinter der Scheune getrieben hatten. Nur verstand Warzimir nicht so wirklich, was er jetzt damit zu schaffen hatte. Oder wieso er überhaupt um sechs Uhr früh halbnackt vor der Tür stand und sich anhören musste, was ein geiler Bock letzte Nacht so alles mit der Dorfmatratze angestellt hatte …
    Glücklicherweise bestand das Leben eines Geistlichen aber nicht nur darin dem wilden Treiben der Dörfler zu lauschen und dabei verständnisvoll zu nicken. Warzimir genoss so einige Vorzüge, die er sich in solch peinlichen Augenblicken einfach immer wieder in Erinnerung rief. Einer davon, den der einstmals dauerhungrige Bettler besonders wertschätzte, war, dass die guten Leut ihm immerzu Essen vorbeibrachten.
    „Als Spende für den lieben Gott“, meinte einmal ein kleiner Junge mit hohem Stimmchen und einem prall gefüllten Korb in Händen.
    „Äh … Danke. Aber mein Name ist eigentlich Warzimir“, entgegnete der möchtegern Pfarrer, woraufhin das Kind verstummte und dann einfach weglief. Wohl aus Angst etwas falsch gemacht zu haben.
    Warzimir hingegen zog daraus seine eigenen Schlüsse. Der Junge musste wohl viele ältere Geschwister haben, denn viel Hirn war für ihn offensichtlich nicht übrig geblieben.
    Dennoch, ein Name wie „Warzimir“ passte nicht zu einem Geistlichen, weshalb er kurzerhand zu „Wesemir“ wechselte. Das klang alt. Das klang weise und obendrein nicht nach ansteckenden Hautgeschwülsten.
    So rief es zaghaft den anderen Morgen an der nach wie vor morschen Pforte der Kirche: „Pa- Pater Wesemir, sei- seid ihr wohl da?“
    Freilich war er das und außerdem gerade beim Frühstück. An den morgendlichen Rabatz hatte sich der einstige Warzimir jedoch mittlerweile gewöhnt, weshalb der sich neuerdings gleich nach dem Aufstehen Hosen anzog. Schmatzend, mit einem halben Butterbrot im Mund und einem halben in der Hand öffnete der herbeigerufene Pater also die Türe.
    „Mosche, Peter“, begrüßte er sodann den dort wartenden jungen Burschen und biss erneut herzhaft in seine Stulle. „Wasch gibtsch?“
    „Ich ... muss euch etwas beichten, Pater“, brachte der schmutzige Schafshirte nach kurzem Zögern hervor und glotzte dabei starr auf seine Füße.
    „Nicht schon wieder ...“
    „Wie, Pater?“
    „Na dann komm herein, sagte ich.“
    Hinter Peter fiel das marode Portal krachend wieder zu und ein paar Holzsplitter flogen davon. Doch Wesemir achtete gar nicht darauf und führte als gewissenhafter Pfarrer seinen sündigen Besuch stattdessen zu einer kleinen Nische. Dort ließen sich die beiden auf den blanken Steinsitzen nieder und Wesemir legte dem Burschen ermutigend eine Hand auf die Schulter.
    „Also, was bedrückt dich?“
    Wie immer, wenn die Leute ihm etwas richtig peinliches zu berichten hatten, antwortete Peter nicht sofort, sondern knetete inbrünstig seine Hände, musterte ausgiebig den Fußboden und rieb sich das Kinn.
    „Heute noch.“
    „Ach herrje, Pater … ich habe einen schweren Fehler begangen ...“
    So wie deine Mutter damals ...“
    „Hä?“
    „Sprich ruhig. Was auch immer es ist, außer mit soll es niemand erfahren und ich werde deshalb keinesfalls schlechter von dir denken.“
    Wesemir konnte förmlich spüren, wie Peter mit sich rang, ehe er endlich wagte zu sprechen:
    „Nun ähm ja … letzten Freitag, da haben wir ein bisschen gezecht, weil doch Hans seine Lehre abgeschlossen hat ...“ Der sogenannte Pfarrer nickte verstehend und glaubte bereits zu wissen, in welche Richtung sich dieses Gespräch wohl bewegen würde. „Kurz nach Mitternacht scheuchte uns der Wirt dann hinaus und so haben wir halt draußen weiter getrunken. Eine ganze Flasche Doppelkorn für nur drei Leute. Da hat Till plötzlich gemeint 'lasst mal wetten' und wir anderen beiden dachten uns 'wetten? Klar, wieso nicht?'.“ An dieser Stelle zog Pfarrer Wesemir die Stirn kraus. Irgendwie leuchtete ihm nicht so ganz ein, auf was Peter hinauswollte. „Ähm, also … es lief daraus hinaus, dass ich die restliche Flasche leer trinken musste ...“
    Der Bettler im Pfarrer seufzte erleichtert auf. Da hatte er schon wesentlich schlimmere Geschichten zu hören bekommen. Peter allerdings blickte drein, als erwarte er noch eine ordentliche Standpauke also tat ihm Wesemir den Gefallen.
    Sancti im Spiritus und …“ Kurz herrschte im Hirn des Pfarrers gähnende Leere und verstohlen schielte der mehr oder weniger Geistliche auf einen Fetzen Papier in seiner Hand. „ … und Deus im Domine! Da habt ihr aber schwer gesü- Was ist denn?!“ Peters Blick erinnerte an einen betrunkenen Arbeiter, den man gerade beim Kacken im Straßengraben erwischt hat und Wesemir schwante übles. „Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt! Na los, was habt ihr noch angestellt?“
    „I- i- i- ich habe die heilige Jungfrau Maria entjungfert.“
    Erst herrschte Schweigen, dann hustete der Pfarrer einmal, zweimal, dreimal, ehe der Bettler von einst mit ihm durchging und er in ein derart dreckig krächzendes Gelächter verfiel, dass es durch das gesamte Gotteshaus schallte. Da fiel Warzimirs Blick auf Peters bedröppelte Miene und plötzlich verwandelte sich das Gegacker wieder in würgenden Husten, als dem Bettler im Priestergewand die Spucke in den falschen Hals flutschte. Schließlich fing sich der gealterte Mann aber und glotzte stattdessen mit entgeisterter Miene zurück.
    „Schei- Du meinst das ernst?!“
    „Ich, nunja, weiß nicht so genau ...“
    „Wie?!“
    „Ich war betrunken, Pater! Ich weiß nur noch wie wir an die Gabelung hinterm Bach kamen, mit dem Kreuz der heil- heiligen Ju- Jungfrau Maria und … am nächsten Morgen war alles voller Kotze!“
    Kotzen hätte Wesemir in diesem Augenblick ebenfalls.
    „Bi- bi- bin ich jetzt schwanger, Pater?“
    Bedächtig legte Warzimir nun doch wieder seine Hand auf Peters Schulter und blickte dem jungen Burschen direkt in die furchtsamen Augen, hinter denen scheinbar gähnende Leer herrschte.
    „Nein, viel schlimmer. Du, mein lieber Peter, bist dumm.“ Offensichtlich war ein Pfarrer, der die Wahrheit sagt, zu viel für den armen Kerl, denn stumm öffnete und schloss er seinen Mund bestimmt drei Mal und wirkte doch so charismatisch wie ein Kaninchenfurz. „Nun geh bitte nach Hause und näh dir Schafsdarm um dein Ding, sonst bekommst du am Ende noch Kinder. Ich will mir derweil ordentlich den Messwein hinter die Binde kippen, damit ich das hier hoffentlich wieder vergesse. Guten Tag.“
    Das dieser Tag danach für beide Seiten wohl eher gelaufen war, versteht sich von selbst. Zwar blieb Warzimir doch lieber nüchtern und zog auch nur ganz kurz in Erwägung, sich vom Kirchturm zu stürzen. Dafür kam ein derart verstörter Peter daheim zur Tür herein, dass seine Mutter dachte, ihr Sohn sei dem Teufel persönlich über den Weg gelaufen. Als sie jedoch nach dem Pfarrer schicken wollte, erlitt Peter glatt einen Nervenzusammenbruch.
    Ohnehin hätte man in der Kirche niemanden mehr vorgefunden. Denn Wesemir war nun wieder gänzlich Warzimir und obendrein auf und davon. Einen guten Tag, allerseits!

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

    5 Mal editiert, zuletzt von Xarrot (29. Juli 2018 um 12:19)

  • Ach du Schande. Was hat mein Foto bei dir angerichtet?? Oder war'n da noch mehr Zutaten im Spiel?

    Spoiler anzeigen


    DAS WAR EINFACH KLASSE!!! Hab ein paar kleine Fehlerchen gefunden, waren mir aber egal, ich musste erstmal fertiglesen. Und jetzt, wo ich fertig bin, hab ich sie vergessen. Also wenn du Wert drauf legst, schau ich es mir nochmal an, ansonsten - is doch wurscht. Oder Messwein, oder Butterbrot, oder was auch immer. Einen guten Abend dir. :rofl:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • grüßte mit der Stirn herzlich den Boden.

    hihi

    „Ach herrje, Pater … ich habe einen schweren Fehler begangen ...“
    „So wie deine Mutter damals ...“

    :P Ich mag "Wesemir" :D

    „Bi- bi- bin ich jetzt schwanger, Pater?“

    :rofl: :rofl: :rofl:

    „Nun geh bitte nach Hause und näh dir Schafsdarm um dein Ding, sonst bekommst du am Ende noch Kinder.

    :panik: Aaaaah, das tut mir beim Lesen weh! Der Arme Peter macht das wahrscheinlich auch noch wirklich! *hält sich ihren imaginären Pimmel*

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Ich bin gerade auf die Geschichte vom einen Schreibwettbewerb hier im Forum gestoßen und dacht mir, die passt eigentlich wunderbar in diesen Thread hier.

    Was einmal war, kehrt auch wieder ...

    Es war einmal, da gab es kein Mal und nur wer es wagte über die hohen Berge im Norden zu steigen, vermochte etwas zu finden. Denn dort stand auch damals schon die schiefe Weide auf durchwachsener Heide im erdigen Tal und um ihre Wurzelspitzen plätscherte der Bach Grabesnass. Von kalten Höhen spülte er mit sich hinab, was längst nicht mehr dorthin gehörte und eines trüben Morgens Anbeginn erwachte, wer zuvor noch friedlich schlummerte.

    Ein kleines Wesen mit großem Kopf und wirrem Haar, mit kurzen Gliedern und knorriger Nase erhob sich aus dem Uferschlamm. Durch hohes Schilf stapfte es auf wortwörtlich großem Fuße hin zur Wiese, schob die Halme mit seinen runzligen Händen beiseite, um zum ersten Mal ins Licht der Sonne zu treten. Doch noch verwehrte der Nebel den Strahlen ihren Pfad zur Erde und laut sprach das Wesen: "Weichet, weichet kalte Schwaden, ich will mich im Lichte baden!"
    Obgleich etwas störrisch verzog sich der Nebel und stieg die Hänge hinauf, bis er sich erneut mit den Wolken am Himmel vereinte. Da endlich trafen zum aller ersten Male die warmen Strahlen der Sonne auf das hutzelige Gesicht und laut lachte jenes Wesen, dass es von den Bergen widerhallte. Die vollen Wangen glühten und das kleine, runde Bäuchlein schüttelte es, als das Wesen so freudig am Ufer tanzte.
    "Nun gut, nun gut, mein Kleiner! Genug des Spaßes!", rief da auf einmal mit mürrischer Stimme vom Ast herab die Eule. So rüde geweckt und das auch noch am helllichten Tage, war der Vogel noch düsterer Laune als sonst. "Sag nun an, wie man dich dort nennt, wo du herkommst und wie du zu uns gelangt bist?"
    „Mit dem Bächlein Grabesnass, dass war vielleicht was ... erst steil hinab, dann über Stock und Stein! Aber mein Name, der gehört mir allein. Also, du mürrischer Kauz, einen guten Morgen, heute hab ich noch andere Sorgen!“
    Und bevor die Eule auch nur ein weiteres Wort hervorbringen konnte, war das Wesen auf und davon.

    „Keine Ruhe hat man hier! Und frech wie sonst was sind sie auch noch! Wenn ich ...“
    Doch da war auch schon Schluss und ganz seinem nächtlichen Wesen entsprechend döste der mürrische Vogel wieder ein.

    Das Wesen jedoch wanderte ungestört seines Weges. Erst über die durchwachsene Heide, hin zum krummen Walde und weiter unterm grünen Blätterdach. Dort traf es an einer Gabelung des Pfades den allzeit hungrigen Wolf mit der Schnauze matt am Boden, die Pfoten von sich gestreckt.
    „Ei Wolf, was tust denn du? Wo drückt dir der Schuh?“, rief das Wesen und kniete sich vor das erschöpfte Tier.
    „Nach was sieht es wohl auuuuus? Mir knurrt der Magen und das seit Tagen!“, jaulte dieser zur Antwort.
    „Dir knurrt der Magen und das seit Tagen? Das könnt' ich selbst nicht besser sagen, aber warum gleich verzagen? Hier ist doch alles voller Essen! Du musst es nur fressen...“, meinte da das Wesen verschmitzt und wies auf die Büsche und Sträucher ringsherum.
    „Bäh! Das kommt mir nicht ins Mauuuul! Ringelblumen und Löwenzahn... glauuuubst du, ich bin ein dämliches Schaf?“, entgegnete der Wolf empört und langsam stand er auf, bis er doppelt so hoch wie das Wesen aufragte. Dann fletschte er boshaft die Zähne und knurrte: „Aber vielleicht fress' ich ja dich! Ich sage dir, mit mir ist nicht zu spaßen, ein falsches Wort und es ist auuuus!“
    Aber statt zu weichen gluckste das Wesen nur belustigt und tätschelte dem Wolf die lange Schnauze, als sei der lediglich ein braves kleines Hündchen. Nun war es der hungrige Räuber selbst, der erschrocken einen Satz nach hinten machte, so verwirrt war er. Doch schnell besann er sich wieder seiner Rolle und zornig bleckte er die gelben Zähne.
    „Aber aber mein braver, mein wilder, jetzt werden wir im Tone erst mal wieder etwas milder! Dir knurrt also der Magen, du hast Hunger? Ich bring dir was, aber dann ist auch Schluss mit dem Herumgelunger!“
    „Na gut! Dann zeig mal her, was du mir besorgen kannst!“, schnaufte der Wolf nun etwas ruhiger und legte wieder faul den Kopf auf die Pfoten. Da rief er dem davon spazierenden Wesen noch nach: „Aber bloß nicht diesen Miesepeter von Eule, so etwas mürrisches kommt mir nicht ins Mauuuul!“
    Das Wesen nahm den Wolf beim Wort und erst mit dem langsam dunkler werdenden Himmel kehrte es wieder. Der faule Räuber indessen hatte sich keine noch so winzige Handbreit bewegt, aber nun spähte er sowohl neugierig als auch misstrauisch hoch. Jedoch verflog sein Misstrauen gleich darauf wie zuvor am Morgen der Nebel, als seine gelben Augen erblickten, was das Wesen in seinen großen runzligen Händen mit sich brachte: Eine hölzerne Schale, bis zum Rand gefüllt mit einer dunkelroten Suppe, die der schon etwas in die Jahre gekommene Wolf im Dämmerlicht sogleich als Fleischpastete zu erkennen glaubte.
    Nun hellwach sprang er hoch, eilte dem Wesen entgegen und ohne Dank machte der hungrige Räuber sich auch sogleich über sein Mahl her. Dabei winselte er vor Freude und Verzücken tatsächlich wie ein Hund, obgleich ihm die Pastete etwas seltsam im Geschmack erschien.

    „Das war gut, doch sag mir Fremder, was tischtest du mir da eigentlich auuuuf?“, fragte er daher, nun wieder mit dem alten Misstrauen.

    "Frisch erlegter, junger Hase, dessen Duft gefällt bestimmt deiner Nase, das sah ich gleich und sein Fleisch, so saftig weich ...", antwortete das Wesen und lächelte ihn munter an.
    Das schien dem Wolf einleuchtend. Tatsächlich hatte er noch nie in seinem Leben von einem Hasen gekostet, waren die kleinen Rabauken doch viel zu schnell für ihn. So schien es, als sei die Sache mit dem Geschmack geklärt und zufrieden nickte er.
    Das Wesen aber stieß ein kurzes, doch glockenhelles Lachen aus. Denn hätte der Wolf mal besser hingesehen oder nicht ganz so sehr geschlungen, wäre ihm vielleicht etwas aufgefallen. So hatte der blutrünstige Schafsräuber in seiner Unachtsamkeit doch tatsächlich einen mit Erdbeeren eingefärbten und mit Pilzen geschmacklich etwas angepassten Grasbrei gegessen. Genau wie eines eben jener Schafe ... Aber dem Wesen tat sein kleiner Streich kein bisschen leid, stattdessen wandte es sich wieder dem Wolf zu.
    „Nun muss ich aber weiter, die Nacht kommt und mit ihr-“
    „Die Reiter! Oh nein!“
    Erschrocken blickte der Wolf zum rötlichen Abendhimmel empor und winselte erneut. Die Furcht fuhr in seine Glieder, machte den ehemals faulen Räuber plötzlich wieder wach wie am ersten Tag. Doch als er bereits kehrt machen und im schattigen Wald verschwinden wollte, packte ihn das Wesen am struppigen Schwanz.
    „Wolf, so warte, sag mir nur kurz welchen Weg ich nehmen muss!“
    „Weg, weg von den Bergen und halt dich lieber fern vom Fluss!“, rief dieser nur hastig, mit ängstlicher Stimme, riss sich los und ohne ein Wort des Abschieds war er auch schon mit eingezogenem Schwanz von dannen geeilt.
    Mochte das erdige Tal mit der durchwachsenen Heide und der schiefen Weide tagsüber auch noch so friedlich wirken, so zeigte es doch ein völlig anderes Gesicht, wenn die Nacht von Osten nahte. Dann verstummten die munteren Vöglein, verschwanden die Rehe und die Fische tauchten tiefer in ihren Teich. Selbst der Bär in seiner versteckten Höhle am Fuße der Berge wagte es mit Einbruch der Dunkelheit nicht mehr seine Schnauze nach draußen zu stecken. Nur die mürrische Eule schwebte dann noch über allem und harrte der Dinge, die da kamen.
    Das Erste was man von ihnen vernahm, war das dumpfe Trommeln der Hufe ihrer Reittiere, gefolgt vom lauten Klang eines Horns, dass ein jeder wieder aus seinem unruhigen Schlaf aufschreckte. Als nächstes kam der Wind, der laut hinter seinen Rufern aus dem Osten heranbrauste und um die hohen Gipfel der Berge heulte. Mit sich führte er dunkle Türme aus Gewitterwolken und ehe man sich versah, brach ohrenbetäubend der Donner los. Den ganzen krummen Wald schüttelte dann ein wütender Sturm, dass sich die Hasen tiefer in ihren Bau verzogen und selbst der schleichende Luchs um sein Leben bangte.
    Doch der wahre Grund für all die Angst kam erst noch. In Gestalt von vier Reitern auf schrecklich anzusehenden Mischwesen, die zwar den Leib eines Pferdes, doch Kopf und Flügel einer Krähe besaßen. Ihre Herren selbst hatte hingegen nie einer erblickt und wer es doch tat, der war danach nicht länger in der Lage, davon zu berichten.
    So nahten jede vierte Nacht aufs neue die vier Reiter und versetzten das ganze erdige Tal in Angst und Schrecken. Selbst das Wesen wagte es nicht, sich ihnen in den Weg zu stellen, doch versteckte es sich auch nirgends. Stattdessen war es von einem auf den anderen Augenblick einfach verschwunden. Genau dann, als eben erst die grässlichen Mischwesen mit ihren Herren aus der Höhle geschossen kamen, wo der Bach Grabesnass entsprang. Dann ritten sie in halsbrecherischem Tempo die Hänge hinab, an der schiefen Weide vorbei, bis zu den Bergen im Westen. Dort angekommen stieß der eine erneut in sein Horn, daraufhin kehrten sie wieder um und zurück ging es mitsamt Sturm und Donner. Zur Mitte der Nacht hin verschwanden die vier Reiter schließlich in den unbekannten Tiefen ihrer Höhle. Die restliche Nacht über herrschte bange Stille und nur die Eule kreiste als einsame Wache am dunklen Himmel.
    Erst mit dem nächsten Morgen tauchte das Wesen wieder auf und erneut hallte sein herzliches Lachen von den Bergen wider, als es von Westen her durch den Wald und über die Heide marschiert kam. Ein neuer, sanfterer Wind folgte ihm und vertrieb die Nebelschwaden, dass den Bewohnern des erdigen Tals der Mut wieder stieg. Verwundert sahen sie dem Wesen bei seinem Marsch zu, der es den Bach Grabesnass entlang über Stock und Stein, bis hinauf in die Berge führte, von wo es einst gekommen war. Dort hielt es für einen Moment inne, wandte sich dann um und rief dem erdigen Tal zu: „Auch wenn ich nicht in der Lage bin die Nacht zu verhindern, so kann ich doch eure Leiden lindern, euch die Schrecken nehmen, die euch so boshaft lähmen. Aber eines Tages werden auch sie wieder kommen, doch seid darüber nicht all zu beklommen. Mit ihnen naht auch der Wind von Westen und vorneweg, das kann man wohl sagen, einer der besten...“
    Diese Worte hallten noch eine Weile zwischen den Bergen wieder und als sie schließlich leiser wurden und letzten Endes ganz verklangen, da ging das Wesen mit ihnen.

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

    2 Mal editiert, zuletzt von Xarrot (4. September 2018 um 18:42)

  • Das ist eine interessante kleine Geschichte, @Xarrot,

    Spoiler anzeigen

    und ich schäme mich richtig, dass ich dir noch kein Feedback dagelassen habe. Gelesen hatte ich sie gleich, nachdem du sie gepostet hattest. Aber dann wohl vergessen, sorry about this.
    Zuerst: Dein Schreibstil hier gefällt mir sehr, und ich finde in den Beschreibungen ein bisschen was vom Totenvater wieder. Aber hier hast du noch eine Kohle aufgelegt.

    Futzelkram

    Grün - wie immer bei mir - nur Vorschläge
    blau - Fehler Re/Gr
    rot - Interpunktion
    gelb - was ich so denke :rofl:

    Beim ersten Lesen habe ich mich an den vielen Adjektiven etwas gestört. Du hattest fast vor jedem Substantiv eines. Erst später hab ich gemerkt, dass du das ganz gezielt als Stilmittel eingesetzt hast - von daher: alles gut. ^^

    Ja, die Geschichte selbst hat mit ihren Sinn leider vorenthalten. Tut mir leid. Vielleicht denke ich nicht kompliziert genug. Viele Fragen sind offen geblieben.
    Wer ist der kleine Wicht?
    Warum kommt er?
    Was will er?
    Warum bleibt er eine Weile?
    Warum geht er dann wieder?
    Wieso glaubt er, dass er in der Lage ist, Leiden zu lindern und Schrecken zu nehmen?

    Wieso ist der Wind aus Westen etwas Gutes? (Schließlich soll ja keiner beklommen sein)
    Wer ist der, der einer der BEsten ist und von Westen kommt?
    Warum kommt er?
    Warum kommt er nicht eher und vertreibt die Reiter?

    Wer sind die Reiter? Die apokalyptischen sind's wohl nicht, die hatten echte Pferde.
    Was hat es mit der Strecke auf sich, die sie zurücklegen, und warum kehren sie um?
    Warum sind sie zeitlich so festgelegt?
    Warum haben alle Angst vor ihnen?

    Was sollte die Szene mit dem Wolf in der Geschichte?

    Es sind sicher noch mehr fragen, aber die lass ich jetzt mal weg. Vielleicht hast du ja Lust, es mir zu erklären, Xarrot, wenn nicht, ist's auch okay.
    Wie gesagt, der Schreibstil hat mir gefallen. Wie aus uralten Märchen- oder Sagenbüchern. :thumbup:
    VG Tariq

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • @Tariq Huiuiui so viele Fragen. :D

    Spoiler anzeigen

    Eines stimmt schon, die Geschichte ist von mir ziemlich kyrptisch gehalten, sodass viele deiner Fragen mit Absicht offen bleiben. Bei anderen glaub ich, bist du dann fast etwas zu sehr eingestiegen. Viele Dinge, besonders als die vier Reiter auftauchen, sind einfach nur dazu da, um die ganze Angelegenheit entsprechend unheimlich und rätselhaft zu gestalten. Vor allem letzteres hab ich wohl auch ganz gut hinbekommen. xD

    Aber jetzt zur Geschichte: Prinzipiell soll die Geschichte zeigen, dass etwas immer im Wandel begriffen ist. Sie ist ein auf und ab zwischen Gut und Böse, hier dargestellt durch die vier Reiter sowie den namenlosen Protagonisten, die abwechselnd das Tal beherrschen.
    Zum Zeitpunkt der Handlung wurden die Bewohner des Tals nun schon längere Zeit immer wieder von diesen vier Schreckensgestalten heimgesucht, das "Böse" hatte die Macht und wir befinden uns am Tiefpunkt.
    Nun folgt auf so einen Tiefpunkt aber unweigerlich ein Anstieg in bessere Zeiten: Das seltsame Wesen taucht auf und vertreibt Nebel, Kummer und alles, was symbolisch fürs Schlechte stehen kann. Freilich verläuft ein solcher Wandel auch nicht ganz reibungslos und es kommt zu Komplikationen. In diesem Fall das erneuten Auftauchen der Reiter, während dem das Wesen einfach verschwindet.
    Erst danach taucht es wieder auf und zwar aus Westen, derweil seine Kontrahenten, die vier Reiter ja für gewöhnlich aus Osten nahen. Quasi um den Gegensatz zu verdeutlichen. Von neuem schwindet bei seiner Ankunft das Schlechte, die Angst, der Sturm und alles weitere und die Bewohner des Tals schöpfen wieder Mut.
    Letzten Endes gehen und kommen das Wesen sowie die Reiter aber vom selben Ort: Der finsteren Höhle, aus der der Bach Grabesnass hervor plätschert. Einen tieferen Sinn hab ich dahinter jetzt so spontan nicht parat. Das war eigentlich eher ein kleiner Kunstgriff, um die ganze Begebenheit angemessen mysthisch zu gestalten. :whistling:

    Die ganze Handlung und vor allem das, was das Wesen sagt, spielen dabei immer wieder auf diese Umstände und den Sinn hinter der Geschichte an. Allerdings sieht man das wohl wesentlich leichter, wenn man diesen Sinn vorher schon kennt.
    Wobei die Szene mit dem Wolf tatsächlich eher weniger etwas damit zu tun hatte. Vielmehr sollte sie der ganzen Geschichte diesen typischen, manchmal etwas schalkhaften Charakter eines Märchens verleihen.
    Auch die meisten anderen Elemente in der Geschichte, vor allem alles rund um die vier Reiter, ist im Grunde nur dazu da, um die Gestalten unheimlicher und rätselhafter zu gestalten. Sie hätten auch einfach nur so über die Berge ins Tal gestiefelt kommen können, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Aber bei einer Höhle, will natürlich jeder auch sofort wissen, was sich darin evetuell verbirgt. Oder was für ein magisches Instrument dieses Horn ist, mit dem sie ein Unwetter herauf beschwören?
    Also im Grunde ganz plumpe Mittel, um Tiefgang vorzutäuschen. Aber hat ja offensichtlich grandios funktioniert :P Hinter den meisten Sachen hab ich mir kaum Gedanken gemacht, während der Leser sich dann danach den Kopf zerbricht :D

    Ich hoffe, das konnte deine Fragen beantworten. Ich hab derweil gerade bemerkt, wie schwer es eigentlich ist, seine eigene Geschichte zu erklären xD

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Lieber Trollfreund, ich habe es ENDLICH mal wieder geschafft, mir ein bisschen was von deinen Schöpfungen durchzulesen. Sodann folgt also mein wahrlich vernichtendes, um nicht zu sagen WERTENDES Urteil:

    Wenn Helden fallen...: NATÜRLICH war das wörtlich gemeint. Wie auch sonst? Ich hätte es nicht anders ausgelegt. Du hattest schon bei dieser etwas älteren Geschichte deinen ganz persönlichen Schreibstil entwickelt.Gefällt mir sehr gut, zumal ich von meinem Wesen her quasi einer der Charaktere bin... also der Troll, versteht sich...

    Warzimir. Eigentlich reicht das schon fast als Kommentar. Wie dich @Tariqs Bild allerdings zu diesem wundervoll verquirlten Hirnauswurf inspirationiert hat, ist mir schleierhaft. Irgendwie hatte ich den sprichwörtlichen Knall am Ende der Geschichte größer erwartet, aber die Anspielungen und die falsche Noblesse Wesemirs... eine wirklich schöne Kurzgeschichte.

    Die dritte Geschichte hatte tatsächlich etwas mystisch Verspieltes durch die Reime des unbekannten Wesens und durch deine teils opulente Wortwahl. Die losen Enden, welche du zurücklässt, haben mich nur kurz irritiert, weil ich mir dann schon dachte, dass es eher eine unbelastete Momentaufnahme darstellen soll. Nichts vollkommen Durchdachtes und in sich Abgeschlossenes. Die kleine Nebenstory mit dem Wolf war hübsch und hatte etwas derart Moralisches an sich, dass der Part eine eigene Geschichte hätte sein können. Insgesamt fand ich die beiden ersten Geschichten besser, aber hauptsächlich, weil ich sie einfach generell verdammt gut fand.

  • Die kleine Nebenstory mit dem Wolf war hübsch und hatte etwas derart Moralisches an sich, dass der Part eine eigene Geschichte hätte sein können

    Da hast du eigentlich recht :hmm: Da hast du sogar so verdammt recht, dass ich sie wohl tatsächlich teile. Mich hat der übergang von der Szene mit dem Wolf zur eigentlichen Handlung schon die ganze Zeit etwas gestört und das Problem wäre damit quasi gelöst. Müsste man eventuell ein paar Sätze zusammenbasteln, um die Schnittstellen zu verstecken, aber das geht :whistling:

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Die Geschichte entstand eigentlich aus dem Drang, mal wider was zu zeichnen. Jetzt bin ich mit dem Schreiben fertig aber noch längst nicht mit dem Zeichnen :whistling:

    Falls das Bild irgendwann mal fertig wird, stell ich`s noch mit hier rein.

    Das Ende der Geschichte

    Manchmal macht einen das Leben glauben, es entspringe der Feder eines besonders komischen Schreibers, dass es irgendwem am anderen Ende Spaß macht, sich solch seltsam anmutende Schicksale auszudenken.
    Der Vater, der an den Klippen auf die Rückkehr des Sohnes harrt und sich vor Trauer ins Meer stürzt, als er das Schiff mit schwarzem Segel erblickt. Er wähnte sein eigen Fleisch und Blut tot, obgleich Theseus doch lediglich vergaß, wieder das weiße zu hissen …
    Die Ehefrau, die ihren Mann im Dunkel der Nacht mit dem Küchenmesser ersticht, weil sie die knarzenden Schritte vor der Tür für einen Einbrecher hält. Dabei ging ihr Liebster doch nur hinaus, um seiner Blume am Jahrestag heimlich ein Frühstück zu richten …
    So ein Tod ist gleich drei Mal schrecklich. Zum einen wegen der ungewollten Schuld der Hinterbliebenen. Zum zweiten lastet der Verlust der geliebten Person auf einem und zum dritten, weil es so furchtbar unnötig war.
    Nun gibt es einen, der sich darüber herzlich amüsiert und der heißt Fent Escrivan, der Sammelmann.
    Sein Vater war ein Jäger, der sich immerzu mit seinen Trophäen brüstete. Eines Tages ging er mit der Dämmerung in den Wald und schoss auf ein Tier, von dem er dachte, es sei eine Wildsau. Jedoch traf der Pfeil stattdessen seine eigene Frau, die er im Suff zwar schon öfters als Schwein beschimpft hatte, deren Kopf sich aber dennoch nur schwer legal über dem Kamin aufhängen ließ. Neben dem noch warmen Körper seines Weibes fand der nunmehr in Schuldgefühlen zerfließende Gatte einen Weidenkorb. Darin lag ein Strauß Blumen sowie ein Brief von liebevoller Natur, der definitiv nicht vom ihm stammte. So ward die Frau von ihrem Gatten fürs Fremdgehen erschossen, ohne dass dieser auch nur einen blassen Schimmer davon gehabt hätte …
    Als der Vater des Abends, erneut im Vollrausch, dem Sohn seine Tat ins Gesicht schrie, amüsierte sich Fent darüber so prächtig, dass er von draußen die Axt nahm und sie dem trunkenen Vater über den Kopf hieb. Danach floh er von zu Hause und entschwand den Blicken.
    Die Vorliebe für grässlich komische Schicksale pflegt er jedoch weiter und schnappt sie auf, wo auch immer sie ihm unterkommen. Doch fand Fent irgendwann heraus, dass es ja noch viel lustiger ist, diese Schicksale selbst herbeizuführen. Seitdem ist es ihm eine ganz besondere Freude, wenn er ab und zu jemanden ein ganz besonderes Verderben weist.
    Der Sammelmann hat vier Arme. Mit zweien greift er eine Feder und sein Buch, in das er die Geschichte der Leute hineinschreibt. Mit zweien hält er sie fest und führt sie ab vom sicheren Pfad in den Sumpf seiner wahnsinnig komischen Gedanken.

    Tim Knapp war Lokführer und mochte seine Arbeit gern. Seine tägliche Strecke führte über Felder und durch Wälder und gute Luft wehte ihm allzeit um die Ohren. Doch vor allem brachte es ihn von
    daheim und von seiner werten Frau weg.
    Manchmal erinnerte ihn die kleine rostbraune Lokomotive gar an sie. Schnaufend und rauchend vor Wut und das alles im Gegensatz zur Kohle, ohne dass Tim sie zuvor auf die Schippe genommen hätte. Leider war sie aber auch genauso ausdauernd darin, dem Gatten mit ihrem Lärm auf die Ohren zu fallen.
    Glücklicherweise hatte das vor ungefähr einer Woche ein Ende gefunden, denn an jenem lang ersehnten Morgen verlor Tim seine Frau. Zwar war es nicht der Tod, der sie zu sich holte, dafür aber ein anderer armer Tölpel. Ach, aber von wegen arm! Schließlich hatte sein obendrein schwangeres Weib ihn nur aus dem Grund verlassen, weil sein Lokführergehalt kaum für sie beide und das Kind reichen würde.
    In den Loren hinter ihm lachten die wertvollen Erze über diesen Umstand. Ein klackerndes Geräusch, das anschwoll, als die Geleise eine Kurve beschrieben, der die Lok mit krächzenden Treibrädern folgte. Der schwer beladene Zug aus Führerhaus und Loren kroch recht langsam durch die Landschaft. Rechts ward eine niedrige Mauer um eine Wiese gezogen, auf der Schafe weideten und blökten und die zum Hof eines Bauern in weiterer Ferne gehörte.
    Der Bauer selbst saß im Leinenhemd und einem löchrigen Strohhut auf dem Kopf an der Mauer. Die schwieligen Hände hielten eine Gitarre, der die dürren Finger ein schweres Lied von den Saiten zauberten, das von einem verregneten Himmel über einem herbstlichen Acker sprach.
    In Tim rührten die gezupften Saiten dagegen eine alte Erinnerung wach. Das sommersprossige Antlitz einer jungen Frau entstieg langsam den vergilbten Memoiren seines Gehirns und lachte ihn an. Eigentlich hatte er das Miststück in etlichen Krügen Bier ertränkt gewähnt, wobei es sich ausnahmsweise einmal nicht um seine herrliche Frau handelte. Bei der hätte er zur Sicherheit gleich noch einen Deckel obendrauf gesetzt, damit das schnaufende Ungetüm auch ja nicht wieder herausgekrochen kam.
    Nein, jenes Gesicht, das rote Locken wie der Rahmen eines verträumten Porträts umgaben, gehörte zu einem weitaus ansehnlicheren Wesen. Missmutig spuckte Tim aus.
    Früher nämlich, als der Lokführer sich noch als junger Bursche fühlte, hatte es auch ihn an die Saiten gezogen. Freilich nicht aus Lust an der Musik, denn Tim war ein Grobmotoriker vor dem Herrn. So griff er eine Gitarre keineswegs zärtlich, wie eine Geliebte, sondern vielmehr, als gehöre der Hals einer Gans, der er das Genick brechen wollte und die kratzenden Töne, die dabei unter seinen Händen hervordrangen, ließen vermuten, dass er dem armen Tier das Instrument zuvor noch quer in den Schnabel stopfte. Im Nachhinein wäre es wohl besser gewesen, den Gesang wegzulassen oder zumindest länger als zwei Abende zu üben ...
    Doch hinterher ist man immer schlauer und was blieb, war lediglich das peinliche Bild eines Jungen, der versuchte seine Liebe für sich zu gewinnen, indem er ihr ein schmachtendes Liedchen vortrug. Kein Wunder, dass sich Lotte stattdessen für Bernd, den Lautenspieler aus dem Nachbardorf entschieden hatte. Der wusste immerhin wohin mit seinen Fingern.
    Bei der unangenehmen Erinnerung an dieses unrühmliche Kapitel seines Lebens standen Tim noch immer sämtliche Haare zu berge und rollten sich seine Fingernägel auf. Von peinlichem Schauder ergriffen schüttelte sich der Lokführer und versuchte gedanklich wieder ins Jetzt zurückzukehren.
    „Nen juten Abend, Kollege! Was spielst du denn da?“, rief er darum dem Bauern im vorüber Tuckern zu.
    Der lachte und rief aus einem Mund voll gelber Zähne zurück: „Grüß Gott, mein Freund! Das Lied vom Mann, der sich so lang über`s schlechte Wetter beschwert hat, bis ihm die restliche Ernte auch noch weggefault is.“
    Tims Gesicht zog auf diese Entgegnung eine Miene, wie sie wohl auch Leute machen würden, die mitansehen, wie man versucht einer Kuh den Unterschied zwischen Sattel- und Wendepunkt einer Parabel vierten Grades zu erklären. Oder wie jemand, der sich fragt, auf was einer mit einem solchen Vergleich überhaupt hinaus will.
    Doch ehe noch Tim oder der werte Leser sich einen Reim darauf machen konnten, zockelte die Eisenbahn zwischen vier Buchen hindurch und entschwand dem Blick des Bauern. Die Melodie der Gitarre hingegen verfolgte den Lokführer in seiner Lok noch eine Weile weiter. Obgleich sie nun etwas anders über den abendlichen Acker klang und mehr an die Art von Musik erinnerte, der manche Leute zum Nachdenken über Steine und logischem Verknüpfen lauschen …
    Die weitere Fahrt versuchte Tim lieber nicht allzu viel über den seltsamen Titel des Liedes nachzudenken und sah stattdessen der Sonne dabei zu, wie sie auf die Felder ringsum hernieder sank, den bewölkten Himmel in einem Farbverlauf von Rot bis Violett malte und schließlich ganz hinter dem Baumstreifen am Horizont verschwand. Aber als wäre es der Welt so noch nicht dunkel genug, tschuckerte die Lok mitsamt erzgefüllten Loren in einen Wald hinein.
    Tim kam dies gerade recht, denn das Stück durch den finsteren Forst war ihm immer das liebste. Aberglaube hatte ihn nie geängstigt (dazu fehlte ihm schlichtweg die Phantasie) und wie er so an der Brüstung seines Führerhäuschens lehnte und in das Dunkel unter alten Wipfeln hinaus blickte, fürchtete er weder Bär noch Wolf (dazu war er wiederum zu dumm).
    Vor einer Sache grauste es Tim jedoch schon, seit er denken konnte. Oder zumindest versuchte er sich einzureden, dass Buchstaben schon immer sein Feind gewesen waren. Fragte ihn jemand danach, ob er denn lese, lachte der heutige Lokführer bloß und entgegnete ausweichend „die meisten Bücher sind doch ohnehin nur teureres Klopapier, aber nichtsdestotrotz voll mit Scheiße“.
    Ein Spruch, den Tim tatsächlich jedes Mal brachte, wenn er man mit ihm auf dieses Thema zu sprechen kam. Jedes Mal die selbe Leier, die im übrigen aus einem gesellschaftskritischen Roman stammte.
    Denn ja, früher einmal, als Tims Hirn noch etwas anderes bewegte als Eisenbahngetriebe, hatte sich auch der Lokführer gerne mal einem guten Buch gewidmet und noch mehr! In einem, nach seiner heutigen Ansicht närrischen, Anflugs von Schaffenslust griff er gar selbst zu Stift und Papier. Doch ein einfacher, nicht einmal wirklich böse gemeinter Scherz über eines seiner Gedichte bewog ihn dazu, beides ebenso rasch wieder fallenzulassen. So landete der Traum vom Schreiber mitsamt den Werken im Papierkorb und wurde ersetzt, durch die Arbeit als Lokführer. Statt Worte zu Papier, brachte Tim nunmehr bloß Loren voll Erz von A nach B.
    So versuchte er tunlichst, dem beschrifteten Wegweiser neben den Geleisen keinerlei Beachtung zu schenken und tat einfach so, als könne er gar nicht lesen. Doch damit konnte er nicht einmal sich selbst hereinlegen.
    Fent indessen erwog, dem armen Tim genug mitgespielt zu haben und als eben der Wald links der Schienen vor einem See zurückwich, huschte der Blick des Lokführers über einen Umriss, der so nicht recht zum restlichen Gehölz passen wollte. Ein Hund war es, der im Gras zwischen einem Wanderweg und der Wand aus Schilf saß, die das Ufer umgab und sachte in der lauen Abendluft raschelte. Genauer gesagt ein schwarzer Pudel, wie Tim im schwachen Mondschimmer zu erkennen glaubte. Zugleich bahnte sich ein jämmerliches Winseln seinen Weg durch das Dampfen und Knattern der Lok an seine Ohren, dass ihm ganz komisch im Bauch wurde.
    Einen Augenblick tat Tim noch nichts, bevor in ihm das Mitleid empor kroch. Wer hätte bei solch armseligen Lauten schon sein Herz verschließen können? Also gab Tim sich selbst und dem Bremshebel einen Ruck und quietschend kam der ohnehin nicht sonderlich schnelle Lorenzug zum Stehen.
    Bedacht, das wahrscheinlich verletzte Tier nicht zu erschrecken, stieg er aus und ging langsam durchs Knie hohe Gestrüpp. Doch kaum fünf Schritte waren ihm vergönnt, da jaulte das Hündchen auch schon mickrig auf und begann sich vor dem näher kommenden Mann rückwärts ins Schilf zurückzuziehen. Tim fluchte leise, wollte aber nicht ablassen.
    Irgendwie fühlte er sich dem Pudel verbunden, wie er da so allein neben den Gleisen gekauert hatte, denn auch Tim wähnte sich vom Rest der Welt verlassen.
    So folgte der Lokführer dem Rascheln und leises Tapsen kleiner Pfoten ins Schilfdickicht hinein und glaubte sich dem Hund gar schon zu Greifen nah, als ihm besagte Welt den Boden unter den Füßen plötzlich gänzlich wegzog.
    Der feste Untergrund verschwand einfach, ohne dass Tim sich richtig vom ihm hätte verabschieden können. Stattdessen nahm eine verschlammte Leere den Platz unter seinen Schuhen ein und kam ihm auch sogleich entgegen, um dem Lokführer zur Begrüßung einen klammen Kuss aufzudrücken, der sein gesamtes Gesicht mit Dreck und Brackwasser einsaute.
    Spuckend versuchte Tim sich aus dieser nass-kalten Umarmung zu befreien, als er erkennen musste, dass Tante Schlammloch keineswegs vorhatte, ihn wieder gehen zu lassen. Seine Arme hatte der Lokführer beim Sturz panisch nach vorn gereckt und nun waren sie fast bis zu den Schultern im dickflüssigen Braun verschwunden. Von wegen See! Er war geradewegs in einen Sumpf hinein gestolpert, dessen schaurig klamme Zunge nun auch an seinen Waden leckte.
    Hektisch suchte Tim seine Umgebung ab und entdeckte den schwarzen Pudel, kaum zwei Dutzend Schritte von ihm entfernt auf der anderen Seite des tückischen Tümpels. Die Augen Angst geweitet im verschmierten Gesicht starrte er den Hund an, als der langsam begann, wortwörtlich unter Tims flehendem Blick zu zerfließen.
    Die schwach vom Mond umrissene Gestalt verformte sich und wurde eine unförmige Wölbung, bei der man kaum mehr sagen konnte, wo sie aufhörte und der Boden begann. Dann schoss sie plötzlich aus dem schlammigen Grund empor und streckte ihre vier Arme von sich, dass Tim verschwommen den grotesken Schemen eines Mannes zu sehen glaubte.
    „Das also war des Pudels Kern!“, wollte der belesene Lokführer schon rufen, doch stattdessen spuckte er nur weiter Brackwasser.
    Fent indessen gab seine theatralische Pose auf und kritzelte kichernd etwas mit der Feder in sein Buch, derweil er sich zugleich erwartungsvoll die Hände rieb. Der Witz mit dem Pudel war ihm wohl gelungen. Jetzt musste der Sammelmann nur noch sicherstellen, dass Tim die Pointe ebenfalls verstand.
    Emsig stakste Fent tiefer in den Tümpel hinein und begann zu schwimmen, wobei er mit den Händen einerseits elegant das Wasser teilte und andererseits seine Schreibutensilien über den Kopf hielt, damit sie nicht nass wurden. Tim sah ihm irritiert zu. Mittlerweile sackte er schon gar nicht mehr weiter ein, sondern steckte bloß wie der Löffel im Pudding fest.
    „Äh- He da! Willst du mir vielleicht helfen, Kol-“
    Der Kollege blieb ihm glatt im Hals am Adamsapfel hängen, als Fent vor Tims Nase aus dem Wasser stieg. Denn von seinen Kollegen hatte jeder die richtige Anzahl Gliedmaßen und weiß Gott nicht solch einen hinterfotzigen Ausdruck von Schadenfreude im Gesicht. Naja, den Vorarbeiter vielleicht einmal ausgenommen …
    Scheinbar genoss der Fremde vor den Naturgesetzen sogar die selben Vorzüge wie der Vorarbeiter beim Chef, denn Fents Füße machten keinerlei Anstalten einzusacken und sich auf die Höhe von Tims Händen zu begeben, die noch immer tief im kalten Schlamm steckten. Stattdessen musste der Lokführer die Unversehrtheit seines Nackens riskieren, bei dem Versuch nach oben ins Gesicht seines Schrägobengegenübers zu blicken.
    Tim Knapp war Lokführer und mochte seine Arbeit gern“, las der Sammelmann noch einmal den Anfang der Geschichte, ehe er mit einem Blick hinab auf seinen zappelnden Protagonisten hinzufügte: „Außerdem war er ein Jammerlappen. Einer von der Sorte, die bei jedem Hindernis sogleich den Kopf in den Sand steckt und dann blind mit dem Finger und dem Arsch in der Höh anklagend auf andere zeigt. Einer, der dir sein Leid klagt, während er sich gerade aus deiner Tasche bedient und dich auch noch anzeigt, wenn du ihm eine verpasst.“ An dieser Stelle legte Fent eine wohlgeplante Kunstpause ein, in der irgendwo ein Frosch quakte. Doch gerade als Tim selbst unter Geblubber den Mund aufmachte, fuhr der Sammelmann fort: „Um zu ernten muss man aussähen, Tim. Wenn man essen will, muss man jagen und ein gutes Leben ist kein Natur gegebenes Vorrecht.
    Um ehrlich zu sein, war sich Tim Knapp in jenem Augenblick nicht ganz sicher, ob er nun beleidigt oder verängstigt sein müsste und falls Fent sich eine Antwort erhofft hatte, wurde er leider enttäuscht. Die Hauptfigur seiner illustren Geschichte glich, wie sie dort im Tümpel zappelte, mehr denn je einem Fisch auf dem Trockenen.
    Über so viel Unverständnis für die Welt konnte der Sammelmann bloß den Kopf schütteln und seufzen: „Und dumm war Tim Knapp auch noch.
    Sodann hob Fent Escrivan seinen Stiefel und ein längst überfälliger Angstschrei flutschte aus Tims Kehle, bevor ihm Schlamm und Brackwasser vollends das Maul stopften.

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

  • Ich hab eine kleine Fabel geschrieben.

    Ber und Hunt
    Es lebt eine Herde Schafe wohlbehütet vom Hirtenhund auf einer eingezäunten Weide. Unter seinem wachsamen Blick stehen die wolligen Grasfresser herum und blöken.

    Doch es ist nicht alles eitler Sonnenschein im Gatter. Der Hirtenhund ist aufgebracht, denn auf der Nachbarsweide hat just in der Nacht zuvor ein übler Halunke sämtliche Schafe gerissen.
    „Vermaledeite Schafsräuber!“, bellt er im Zorn. „Erschießen sollte man den Haufen, wenn man mich fragt. Das ist schon der zweite Vorfall in einer Woche. Tölpel müssen das sein, die da auf die Herden aufpassen und diese Schurken heranlassen! Aber ich will wachsam sein, für Herrchen und Weidegrund! Mir soll-“
    „Verzeihen sie die Störung.“ Es steht jemand vor dem Gatter und der Hirtenhund unterbricht seinen empörten Monolog, um sich dem höflichen Gast zu zu wenden.
    Es ist ein Wolf.
    „Ein Wolf!“, kläfft er verblüfft. „Wie- wa-“
    „Einen guten Morgen“, grüßt der vermeintliche Wolf und übergeht die überraschten Worte seines Gegenübers einfach. „Mein Name ist Hunt, mit -t und ich bin Hirtenhund. Ich achte auf die Herden hier.“
    „Du siehst mir aber eher aus wie ein ganz gemeiner Schafsreißer!“, entgegnet der Hirtenhund und nicht eben allzu freundlich. „Wie ein Wolf!“
    „Ach, iwo! Wegen der langen Schnauze, dem struppigen Fell und meiner Rute?“ Hunt wedelt wegwerfend mit der Pfote. „Gehören wir nicht alle zur selben Gattung, canis lupus?“
    „Äh, ahm, nunja, ich will ja bei Leibe kein Rassist- Was tun sie da?!“ Hunt mit -t macht Anstalten unter dem geschlossenen Gatter hindurch zu kriechen.
    „Wie ich's mir dachte! Ein fehlerhafter Zaun, viel zu hoch gesetzt!“ erklärt er und schlüpft gleich darauf vollends auf die andere Seite. „Hmmhmm, da kann ja sogar ein Wolf durch, könnte, will ich sagen!“
    „Machen sie, dass sie wieder aus meinem Gatter verschw-“ So baut sich der Hirtenhund auf, muss dann jedoch erneut verdattert inne halten.
    Ein Bär kommt vom Waldrand über die Wiese getrottet.
    „Ein Bär! Wauuu! Zuauuu Hilfe!“, jault er und tatsächlich blickt auch Hunt nun auf.
    „Ach, da ist er ja“, ruft er erfreut und wedelt mit dem Schwanz. „Das ist Ber, mit -e, mein Kollege. Auch Hirtenhund.“
    „A- aber so groß-“, stottert der Hirtenhund, doch Hunt lacht bloß und winkt abermals ab.
    „Vertrauen sie mir, er ist der beste auf dem Gebiet. Der wittert jeden noch vor unsereinem und schaun sich mal diese Muskeln an! Der lässt ihnen keinen Wolf herein!“
    „Hallo“, brummt Ber zur Begrüßung und stellt seine Tatzen - pardon, seine Pfoten aufs Gatter. „Ich bin Ber. Mit -e.“
    Dem Hirtenhund hat es die Sprache verschlagen. Da erblickt er den Sack in Bers Pranken und zögerlich fragt er nach: „Und für was brauchen sie den da?“
    „Da kommen die Knochen und so hinein“, erklärt Hunt frei heraus.
    „Die Knochen?! Welche Knochen?“
    „Schafsknochen.“ Dem Hirtenhund verschlägt es glatt schon wieder die Sprache und Hunt sieht sich zu weiteren Erläuterungen verpflichtet. „Falls doch etwas passiert. Das ist immerhin Beweismaterial!“
    In diesem Moment kracht Ber über das Gatter und landet unelegant neben den beiden.
    „Ber, du Tölpel!“, ruft Hunt. „Pass doch auf, du wirst noch den Zaun einreißen!“
    „Tschuldigung“, grummelt der Große verlegen.
    „Machen sie sich keine Sorgen!“, versichert Hunt nochmals. „Wir passen schon auf, was mit ihrer Herde geschieht!“
    Damit traben die beiden davon und inspizieren einmal eingehend das Gatter. Nur der völlig überrumpelte Hirtenhund bleibt zurück.
    In dieser Nacht tun Ber und Hunt sodann geflissentlich ihre Arbeit. Keiner erwacht in dieser, oder einer anderen Nacht mehr aus seinem Schlaf und beide achten sorgsam auf die Schafe, damit auch ja jedes einzelne im großen Sack landet. Tot natürlich. Danach öffnet Ber der Bär zuvorkommend das Gattertor und lässt wie versprochen keinen Wolf hinein, sondern heraus. Sodann verschwinden sie im Wald, wo sie die Beweise rasch beseitigen …
    Und die Moral? Wer sich doof anstellt, hat auch die Qual.

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"

    Einmal editiert, zuletzt von Xarrot (6. Februar 2019 um 19:19)

  • Ich bin gerade sehr in Schreiblaune, vor allem für so kurze bescheuerte Intermezzos wie das hier:

    Dudelsack, Laterne und Angel

    Der eumelige Cumbrigar sitzt zwischen Grashalmen und Blumen unterm Wegweiser und schaut den Schmetterlingen bei ihrem flattrigen Paarungsflug zu.
    Er hat einen Kopf wie ein Molch und schaut stets ein bisschen dusselig drein. An beiden Enden des dümmlich grinsenden Mauls sitzen große schwarze Glubschaugen. Nach einem kurzen, kaum vorhanden Hals geht der Körper in den eines großen zur Menschlichkeit hin gewachsenen Lurches über. Runde dunkle Muster bedecken die grünliche Haut und glänzen feucht im Licht der Sonne. Die Beine hat der Cumbrigar faul von sich ins Gras gestreckt, obgleich sie dennoch kaum länger als mein Unterarm mit Hand dran wären. Froschige Füße und Zehen wackeln mit den kitzelnden Halmen und der wundervolle Schwung der Schenkel lassen ihn fast schon ein wenig muskulös wirken.
    Dem zum Trotze gleichen die Bewegungen allerdings eher jemandem, der gerade eindeutig zu viel von gewissen Kräutern gepafft hat. Als der Tanz des Schmetterlingpaars sie ganz nahe beim Cumbrigar vorbeiführt, hebt er unglaublich träge einen seiner dünnen Arme. Tatsächlich sinken die beiden Falter auf seine schleimige Handfläche hernieder, genau zwischen die vier amphibischen Finger. Der Cumbrigar seufzt einmal schwer und neigt sein Molchhaupt.
    Ein Ruckzuck, dann ragt bloß noch ein Flügelchen aus dem breiten Maul, bevor es mit einem schmatzenden Schlürfen zur Gänze verschluckt wird. Sodann lehnt sich der Cumbrigar wieder zurück und verfällt in seinen alten trägen Trott.
    Der Wegweiser steht am Rande einer Kreuzung. Ein Weg führt zu des Cumbrigars Linken aus dem Wald heraus und zu seiner Rechten wieder hinein. Ein zweiter Weg kommt von vorn über einen Hügelkamm und eine blühende Wiese herab, bis die beiden am Waldrand aufeinandertreffen.
    Das Moos ist dick und nass in seinem Rücken und irgendwo zwischen den Bäumen plätschert verlockend ein Bach. Doch just in dem Moment, da der Gedanke an ein kühles Bad im Kopf des Lurchwesens Gestalt annimmt, kommt jemand auf einem der drei Wege daher spaziert. Der Molchkopf reckt sich mäßig interessiert und die runden Molchaugen schweifen gedankenlos über den Fremden.
    Es ist ein Goblin in fellerner Weste und der typischen Pelzmütze auf dem haarigen Haupt. Seine Schritte erscheinen dem Cumbrigar wie die vom jemanden, der vor etwas wegläuft, aber nicht so recht weiß, wohin überhaupt. Reglos bleibt er im Gras unterm bemoosten Wegweiser sitzen, selbst als die Grünfratze bereits direkt davor steht und die Aufschrift mit einer Miene mustert, die manch einer auch beim Kacken ziehen würde. Den Cumbrigar zu seinen Stiefeln entdeckt er dabei ebenso wenig, wie den Sinn in der Wegbeschilderung.
    Der wiederum ist neugierig, was den Goblin in diese Gegend treibt und so beschließt das Lurchwesen, den anderen ins Bein zu zwicken. Leider sind seine Arme dazu ein Stück zu kurz und ans Aufstehen mag er wiederum gar nicht erst denken. Stattdessen greift sich der Cumbrigar einfach einen herumliegenden Stein und pfeffert ihn mit überraschend viel Schmackes gegen das grünhäutige Schienbein.
    Jaaaauar! Welche kreuzgefick-“ Die schimpfende Grünfratze entdeckt den eumeligen Cumbrigar und hält irritiert in seinem Schmerzenstanz inne.
    „Hallo Goblin, was machst du denn hier?“, fragt der ohne Umschweife und glotzt aus treudoofen Molchaugen zu seinem Gegenüber auf.
    Der Angesprochene stellt sein gesteinigtes Bein bedächtig wieder ab und verpasst sich selbst eine Ohrfeige. Der Cumbrigar verzieht keine träge Molchmiene, sondern wartet geduldig, bis der andere sich sicher ist, dass er keineswegs träumt.
    Sodann hopst er freudig durch die Luft und jauchzt: „Oh, Glück un Zufall, ein Lurchiger!“
    „Jaaa“, sagt der Cumbrigar und sein Maul ist ein schleimig gähnender Schlund. „Jetzt hast du zwei Wünsche frei.“
    Die Antwort folgt prompt: „Warum net drei?“
    Nachdenklich legt sich der Cumbrigar einen Amphibienfinger auf die feuchte Wange.
    „Na gut, dann eben drei.“
    Kurz wirft der Goblin einen Blick über die Schulter, wie um sicher zu gehen, dass in der Zwischenzeit kein anderer des Weges kommt und beugt sich dann verschwörerisch zum Lurchigen herab.
    „Ich wünsch mir nen Dudelsack, so nen richtig lauten!“
    Dieser Wunsch ist derart stereotypisch und abgedroschen, dass dem Cumbrigar vor Langeweile glatt das linke Augenlid zuckt.
    „Dudelsäcke hängen da drüben“, sagt er, ein monotones Quaken in der Stimme und zeigt auf einen kleinen Tannenhain auf der Wiese.
    Der Goblin eilt sogleich dorthin, verschwindet kurz unter den Bäumen und taucht dann mit dem begehrten Instrument unterm Arm wieder auf. Eine muntere Melodie heult über die Landschaft, durch Wälder und über Felder, während die Grünfratze breit grinsend über die Wiese zurück marschiert kommt.
    „Eine Laterne wünsch ich mir auch noch“, verkündet er sodann aufgeregt und nun legt der Cumbrigar doch ein wenig den Molchkopf schief.
    Nicht, weil ihn der Wunsch sonderlich von den nicht getragenen Socken hauen würde, sondern weil eine Laterne die ganze Zeit über direkt hinter dem Goblin von einem Pfahl am Wegesrand baumelt.
    „Nimm die da“, sagt er und die Grünfratze tut wie ihr geheißen und borgt sich flugs die Straßenbeleuchtung.
    „Un ne Angel, wünsch ich mir auch noch“, ruft er fröhlich aus, kaum dass er die Laterne in Händen hält.
    „Eine Angel liegt dort unten am Bachufer bereit.“ Der Cumbrigar macht nicht einmal Anstalten, dem Goblin anzudeuten wo „dort“ genau ist.
    Dieser läuft trotzdem einfach drauf los in den Wald hinein, immer dem Geplätscher nach und findet seine Angel eben dort, wo sie ihm der Lurchige versprochen hat. So kehrt er beladen mit seinen drei Wünschen zurück auf den Weg und setzt sich neben den Cumbrigar ins Gras unterm Wegweiser.
    „Und jetzt?“, fragt der neugierig, ob der seltsamen Kombination.
    „Wart's ab, gleich siehst du's!“, kichert die Grünfratze jedoch bloß und lehnt sich zurück.
    Aus Gleich wird um einiges Später, bis es gar schon beginnt zu dämmern. Doch selbst als es dunkelt zeigt der Cumbrigar nicht eine Spur von Ungeduld. Er sitzt bloß da und schaut mit runden schwarzen Molchaugen dorthin, wo der Weg, den der Goblin entlang kam, in einer Biegung im Wald verschwindet.
    Der Ritter kündigt sich höflicherweise schon aus großer Entfernung mit jeder Menge Geklapper und Geklirre an. Er trägt ein Kettenhemd und einen Waffenrock darüber, alles schmutzig vom Straßenstaub und in einem heroischen Burgund-Rot. Der Prachtschnauzer zuckt lustig, als der Mann mürrisch die Nase rümpft. Er ist heute schon weit in seiner Rüstung marschiert und stapft grimmig, aber auch ganz schön müde durch den Wald zur Linken auf den Wegweiser zu. Ein Schwert in abgewetzter Scheide wippt dagegen munter bei jedem Schritt an der Hüfte mit.
    Langsam, ganz langsam dreht der Cumbrigar seinen Molchkopf und schaut zum Goblin, aber der ist plötzlich weg. Es klacken zwei Steine oder irgendwelche anderen harten Gegenstände hörbar aneinander, dann sticht der Schein der Laterne durch das Dunkel der Nacht und der Goblin kommt beladen mit Dudelsack, Laterne und Angel aus dem Gebüsch hinterm Wegweiser hervor marschiert. Ersteres trägt er lässig unter einen Arm geklemmt, während zweitens von der Spitze von letzterem baumelt. So stellt sich die Grünfratze mitten auf den Weg und wartet.
    Der Ritter jedoch verharrt im ersten Moment, da das Licht der Laterne aufflackert, erst einmal verwundert an Ort und Stelle. Angestrengt versucht er den schlecht umrissenen Schemen zu erkennen. Zuletzt kommt er zur Einsicht, dass sich ihm wohl schon schlimmere Gestalten entgegengestellt haben und setzt seinen Weg forschen Schrittes fort.
    Der eumelige Cumbrigar als der dritte im Bunde faltet derweil bloß neugierig die Hände über seinem weichen Bauch und schaut dem Geschehen unbeteiligt zu.
    Der burgund-rote Ritter ist kaum auf ein Dutzend Schritte heran gekommen, da schwenkt der Goblin unvermittelt seine Angel mit Laterne daran.
    „Halt!“, quäkt es dem geblendeten Mann entgegen.
    „Wer spricht da? Ist das die Straßenwacht?“, ruft er zurück und versucht zugleich, sein Gesicht vor dem penetranten Licht abzuschirmen.
    „Nein!“, verkündet ihm der Goblin in herrischem Ton. „Ich … bin ein Anglerfisch!“
    Der Ritter lässt nun langsam die Hand sinken, entdeckt den wohl fast zwei Köpfe kleineren grünen Kerl vor sich und schnaubt: „Schmarren, was soll der Unfug?!“
    „Aber siehst du denn mein Licht nicht? Und meine Angel?“ Hält der Goblin dagegen und schwenkt beides durch die Luft.
    Der Ritter muss erneut seine Augen vor dem grellen Licht bedecken.
    „Sehen schon, aber drum bist du noch lang kein Fisch ...“ Allmählich wird der Adelsmann etwas genervt. „Und jetzt nimm das Ding aus meinem Gesicht!“
    „Wie ihr wünscht, Sire, aber gebt mir nicht die Schuld, wenn das Lied für euch nun leider keinen Sinn mehr ergibt ...“ Mit einem Schulterzucken wendet der Goblin sich kurz ab und rammt die Laternenangel mit dem unteren Ende in die Erde.
    Der Cumbrigar neben dran gluckst leise über den schnöseligen Ton in der Stimme der Grünfratze und der Ritter versteht wiederum schlichtweg kein Wort.
    „Lied?! Welches Lied?!“
    Freudig grinsend dreht der Goblin sich wieder herum: „Und ich dachte schon, ihr fragt nie, Sire!“
    Sodann setzt er das Mundstück des Dudelsacks an die Lippen und dem Ritter ist es kaum vergönnt „Himmel, nein!“ zu stöhnen, da bläst der grüne Kerl auch schon wie von Sinnen drauf los.
    Die Bordune dröhnen und der Sack pfeift und das gar nicht mal so schlecht. Trotzdem hält sich der Ritter hastig beide Ohren zu, als das Lied im rhythmischen Schwankegang eines Betrunkenen über ihn hinweg torkelt. Der wirklich prächtige Schnauzer zuckt, als der Adelsmann wütend gegen den Lärm anbrüllt und nach dem Goblin tritt. Der jedoch hopst zur Seite, ohne auch nur kurz sein Gedudel einzustellen.
    Dem Ritter reicht's! So sucht er sein Heil in der Flucht und wendet sich ab. Da bückt sich der Goblin und vollbringt das Kunststück sich gleichzeitig in den linken Stiefel zu greifen und beinahe fehlerlos weiterzuspielen. Leider sieht das Ritter gar nicht mehr. Doch was er auch nicht sieht, ist das Messer, das die Grünfratze dabei zu Tage fördert. Wie einer, der solcherlei Dinge öfters tut, springt der Goblin vor und Zack! Schon hat der Ritter die Klinge im Nacken stecken.
    Einen Finger erneut nachdenklich an der Molchwange schaut der Cumbrigar zu, wie die Grünfratze den Toten fleddert.
    Der Rittersmann liegt abgemurkst im Straßenstaub, doch wo ist eigentlich die Moral in der Geschicht? Nun ja, in der Welt regiert halt der Blödsinn, und der Sinn nicht.

    "Vem har trampat mina svampar ner?!"