(Mit-)Gefühl für den/die eigene/n Prota/s

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 3.271 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (20. April 2018 um 14:38) ist von Aztiluth.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Gemeinde,

    momentan habe ich so ein Stimmungstief was meine Geschichte betrifft. Wäre sie auf ein Stück Papier geschrieben, würde ich es vermutlich zerknüllen und in die Ecke werfen. Ja, ich bin drauf und dran, komplett von vorne anzufangen.
    Bei dem Gedanken daran, kamen mir so ein paar Empfindungen hoch. Das nagt richtig an mir und macht mich echt unglücklich.

    Oft ist es ja so, dass man einen Faden hat. Einen Plan, was passieren soll, und welchen Weg der Prota gehen soll. Aber manchmal, zumindest bei mir, kommt es vor, dass sich der Prota plötzlich "verselbstständigt" und Wege einschlägt, oder Handlungen vollführt, oder generell Dinge tut, die man eigentlich nicht geplant hat. Oder sie nehmen Charakterzüge an, die man nicht vorgesehen hatte. Tendenziell finde ich das überhaupt nicht schlimm, ich finde, dass macht eine Geschichte bzw. den Prota lebendiger/authentischer.

    Daher meine Frage: Wart ihr schonmal sauer auf euren Prota, weil er etwas getan hat, was er eigentlich nicht hätte tun sollen? Oder habt ihr ihn bemitleidet, weil er sich selbst (oder ihr ihn - bedingt durch diese Verselbstständigung) in eine Situation gebracht habt, die nicht so gesund war (körperlich oder psychisch)? Oder bin ich mit dieser Erfahrung alleine? 8|

    Lg, Ruka

  • Ich denke, damit bist du nicht alleine, obgleich ich mich selbst nicht zu diesem Kreis zähle. Meine Geschichten sind immer in allen Eckpunkten geplant und obwohl ich immer beim Schreiben noch einige Inhalte abwandle, verschiebe oder gar ersetze, hab ich mich noch nie so weit vom ursprünglichen Plan entfernt, dass mein Prota, ich oder die Logik der Geschichte arg ins Wanken kam. Geht das anderen ähnlich?

    Dass du mit deinen Charakteren leidest, kann ich nachvollziehen. In meiner Ogergeschichte ist am Ende des ersten Teils eine Szene, bei der ich immer Gänsehaut kriege. Und auch sonst gilt: Prota hat Aua --> Autor hat Aua.

  • Ich war schon sauer auf einen (badboy-)Prota, weil sich der Mistkerl klammheimlich in mein Herz geschlichen hat *seufz* (ja, ich weiß, klingt kitschig, aber so war's). Und jetzt hockt er dort und sagt: Ich weiß genau, dass du mich eigentlich über die Klinge springen lassen wolltest, aber wetten, dass du das jetzt nicht mehr fertigbringst?

    Ich sag's ja. Ein Mistkerl eben...

    Ich weiß noch nicht, wie ich mit der Situation umgehe, denn in der Regel ist es doch so, dass ICH als der Autor bestimme, wo es lang geht. Aber "verselbständigt" ist wohl hier das treffende Wort, @Ruka. Von daher kann ich verstehen, was du meinst.

    Und was das mitfühlen mit einem Prota angeht, der grad ordentlich durch den Wolf gedreht wird, das hat @bigbadwolf perfekt auf den Punkt gebracht:

    Prota hat Aua --> Autor hat Aua.

    Sagt alles. Wenn dein prota leidet, schmeckt dir kein Essen mehr und die Sonne kann den Tag nicht erhellen.

    Seltsamerweise trifft mich das Leid (egal ob körperlich oder seelisch) bei einer Protagonistin nicht mal annähernd so. Würde mich mal interessieren, woran das nun wieder liegt. Und ob das anderen auch so geht... :hmm:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Also ich habe eine Protagonistin, wegen der ich mich mittlerweile frage, ob ich selbst nicht glücklich sein will. Permanent lege ich ihr Steine in den Weg, lasse sie Schreckliches durchleben, dumme Dinge tun und sagen. Nach 2,5 Bänden muss ich mich nun wahrlich dazu zwingen, sie wieder einigermaßen auf den Weg zurückzubringen, den ich ursprünglich mal für sie vorgesehen hatte, ansonsten habe ich ein Problem mit meinem vorgesehenen Ende ... Auf jeden Fall tut mir sie mittlerweile richtig leid ...

    In einem kleinen Nebenprojekt habe ich einen Prota, der binnen der ersten fünf Seiten ein monstermäßiges Ego entwickelt hat ... Nicht geplant, aber es hat mir unerwartet viel Spaß gemacht, als ein solcher zu schreiben, dass ich es beibehalten habe. :D

    Also unterm Strich:
    Ja! Meine Protas verselbständigen sich gerne, was mich sowohl traurig als auch fröhlich stimmen kann. Das Schönste ist aber, wenn einen der Prota am Ende der Geschichte selbst überrascht, als wäre man nur ein Leser, nicht der Autor. :)

    Da sitzen sie wieder alle und fressen Eis ... Als wüssten sie nicht, wie ein Bier aufgeht!

  • Diese Frage stellt sich mir gar nicht: Meine Protas tun IMMER, was sie wollen. Ich stehe nur dabei, gugge zu und schreibe auf... und ja es gibt viele Stellen, in denen ich denke: "Autsch! Was treibst Du da... ??" Aber ich bin es gewohnt, nur Zuschauer zu sein. Ähnlich wie in einem Film im Kino. Man mag das Weib, den Kerl da vorne schon ganz gern, aber manchmal macht der Pulverkopp Dinge, die man nicht nachvollziehen kann...

    Ich konnte noch nie nach Plan schreiben... :/

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Ich höre ja immer wieder, dass Charaktere ein Eigenleben entwickeln und ihren Autoren entgleiten.

    Diese Erfahrung konnte ich bislang noch nicht machen.
    Möglicherweise liegt es ja daran, dass ich von vorneherein weiß, wie meine Protas ticken.
    Ich kenne ihre inneren Standpunkte, ihre Stärken und Schwächen, weiß wie sie in bestimmten Situationen reagieren werden und behalte somit alle Fäden in der Hand.

    Ob das nun gut oder schlecht ist, ob es einer Story zum Vorteil oder Nachteil gereicht, kann ich leider nicht beurteilen.

    Was ich mir jedoch vorstellen kann ist, dass man etwas weniger Empathie für seine Helden zeigt, wenn diese praktisch nur Marionetten sind, da jene besondere Verbindung gar nicht so recht zustande kommen kann.

    Heißt natürlich nicht, dass ich nicht mit meinen Charakteren mitfühle.
    Ich durchlebe mit ihnen jeden Gefühlsausbruch, ob positiv oder negativ, durchstehe mit ihnen schwere Phasen, bin dabei allerdings stets in ihren Köpfen, schalterdrückend und hebelziehend.

    LG
    Rika

  • Seltsamerweise trifft mich das Leid (egal ob körperlich oder seelisch) bei einer Protagonistin nicht mal annähernd so. Würde mich mal interessieren, woran das nun wieder liegt. Und ob das anderen auch so geht...

    Ne, das bist du nicht allein. Ich bin da mittlerweile auch richtig abgestumpft^^ Manchmal grinse ich sogar etwas sadistisch :)

    Möglicherweise liegt es ja daran, dass ich von vorneherein weiß, wie meine Protas ticken.
    Ich kenne ihre inneren Standpunkte, ihre Stärken und Schwächen, weiß wie sie in bestimmten Situationen reagieren werden und behalte somit alle Fäden in der Hand.

    Naja... Ich finde man kann einen Charakter im voraus noch so gut planen und durchdenken, er wird trotzdem ausbrechen. Das liegt daran, dass wir ihn beim Schreiben auch erst besser kennenlernen dann. Wir gehen ja nicht vorher alle möglichen Szenen oder Szenarien durch und stecken die fest.
    Man unterschätzt halt manchmal auch, wie sehr andere Chars oder Szenen den Prota beeinflussen können.

    Wenn ich Anfangs Charakterentwicklung Y plane (in diesem Beispiel ein geplantes Pairing zwischen 2 Chars) und mir beide dann nach 25 Kapiteln den Mittelfinger zeigen und das gar nicht wollen XD Tja, dann hat der Autor Spaß, denn er darf die Geschichte umplanen. Weil mit Zwang bringt das alles nichts. Hier ist beim Schreiben deutlich geworden, dass beide mit dem Erlebten komplett anders umgehen und sich nicht näher zueinander entwickeln, sondern eher weiter voneinander weg. Das hatte ich so nicht geplant^^ Eigentlich sollte sie an der Gegensätzlichkeit wachsen. Nö.. Aber er muss ja unbedingt weiter Arschloch bleiben und hat plötzlich ganz tolle Ideen, wie er noch mehr scheisse bauen kann. (Kurz gesagt ich habe hier erst sein Potential wirklich erkannt).

    Ich habe das immer so gesagt. Wenn ein Char mir den Mittelfinger zeigt ist er "fertig" und ich kenne endlich alle Facetten. Und das passiert im Schreibprozess.

    :!: Fantasy, weil sich die unglaublichste aller Welten in unserem Kopf befindet... :!:

    • Offizieller Beitrag

    Ich habe das immer so gesagt. Wenn ein Char mir den Mittelfinger zeigt ist er "fertig" und ich kenne endlich alle Facetten. Und das passiert im Schreibprozess.

    Ok, ich muss zugeben, soweit ist es bei mir noch nicht gekommen. Sie entwickeln zwar öfter ein Eigenleben aber immer nur soweit, dass es dem großem Ende nicht im Weg steht. Ich erinner mich, im Moment, zumindest nicht daran, mal was groß umplanen zu müssen. Das einzige was da eine Rolle spielt ist mein Sinn für Dramatik. Wenn ein Charakter sich zu krass entwickelt (auch gern Nebenchars, die eigentlich nur Brötchen bringen sollten) kommt mir irgendwann in den Sinn, wie hart es doch wäre wenn er da und da scheitern würde. Und ob ich das dann einbaue oder nicht, sind eigentlich die einzigen Sachen die ich in dieser Richtung dann umplanen muss.

  • Ich teile sämtliche Gefühle meines derzeitigen Protagonisten. Ob er sich verselbstständigt? Ja, auf jeden Fall. Allerdings finde ich das weder schlimm noch tragisch. Ich mag es eher, wenn man ein bisschen rum probiert und schaut, was am Ende raus kommt. Gefällt mir das nicht, wird es gelöscht und neu gemacht. (grundlegende Ereignisse und Kennzeichen bleiben erhalten!). Manchmal finde ich es sogar besser, als den ursprünglichen Plan. Mir passiert es dann auch, dass die Charaktere dadurch mehr "Tiefe" erhalten... :D ...

  • Na dann, gebe ich auch mal meinen Senf dazu: :thumbsup:

    Alsooo, an sich, verstehe ich das Problem, dass du ( Ruka) hier ansprichst, wobei das bei mir ähnlich ist, wie bei @bigbadwolf.
    Meine Protas sind oft schon sehr weit im Voraus abgesteckt und oft weiß ich, in welche Richtung sich der einzelne Charakter bewegen soll. Das ist bei mir nicht nur bei Hauptpersonen so, nein, auch Nebencharktere ordnen sich bei mir schon im Kopf einem gewissen Muster zu. :whistling: Trotzdem muss ich sagen, dass mir hier und da durchaus auch mal ein Charakter neue Gesichtszüge annimmt, obwohl diese Züge vielleicht so nicht vorhergesehen waren. Zwar sind das eher Kleinigkeiten und wirklich nur unauffällige Veränderungen, die beim Schreiben manchmal einfach so dazwischenrutschen, aber im Groben und Ganzen bleiben meine Charaktere auf einer Linie. An sich muss ich aber sagen, dass ich auch finde, dass es deutlich authentischer und viel überraschender (auch spannender) ist, wenn der Protagonist nicht immer gleicht bleibt, sondern sich vielleicht hier und da dem Autor auch mal entzieht. Trotzdem sollte man als Autor dann finde ich wissen, wo der Protagonist am Ende stehen soll. So ist bei mir ein Start und ein Endpunkt, sowie Schlüsselszenen und ein paar Ecken der Geschichte von Beginn an klar. Anhand diesen Punkten lasse ich jetzt auch meinen Protagonisten orientieren, alles was dazwischen passiert entsteht oft während dem Schreiben und verleiht den Charakteren (hoffentlich) Authentizität und ein gewisses Etwas. :/
    Vielleicht kann es dir helfen, dir Gedanken über das Ende der Geschichte zu machen und darüber, wie der Charakter am Ende der Geschichte sein soll. Dann sollten dir einige Schlüsselszenen und Eckpunkte bekannt sein, in denen du vielleicht unterschiedliche Entwicklungsstufen deines Charakters vermerkst und dann solltest du dich einfach ein wenig daran orientieren. Zumindest kann man es versuchen ^^
    Ich hoffe ich konnte ein wenig helfen...

    LG Lehaidin

    "Es sind die kleinen Dinge. Alltägliche Taten von gewöhnlichen Leuten, die die Dunkelheit auf Abstand halten."
    - Gandalf -


  • Naja... Ich finde man kann einen Charakter im voraus noch so gut planen und durchdenken, er wird trotzdem ausbrechen. Das liegt daran, dass wir ihn beim Schreiben auch erst besser kennenlernen dann. Wir gehen ja nicht vorher alle möglichen Szenen oder Szenarien durch und stecken die fest.
    Man unterschätzt halt manchmal auch, wie sehr andere Chars oder Szenen den Prota beeinflussen können.

    Und knapp einen Monat später kann ich dir nur noch beipflichten.
    Just gestern Abend durfte ich dann auch erfahren, wie es ist, wenn ein Prota meine Pläne durchkreuzt.

    Und es ist eben genau das eingetreten, was du mit deinem letzten Satz beschreibst. Bedingt durch den Einfluss unzähliger Nebencharaktere lassen sich die von mir geplanten Trauergefühle nicht mehr durchdrücken, da der Charakter (mittlerweile von leichter Paranoia befallen) kurzerhand zu Wut übergeht, da er sich verraten fühlt.

    Und da dies, wie gesagt, meine erste Erfahrung dieser Art war, war ich schon ein wenig überwältigt.
    Ich kann natürlich immer noch nicht behaupten, dass sich ein Charakter verselbstständigt hat, aber es war doch schon sehr interessant zu sehen, wie er mich in diesem Fall in eine Einbahnstraße steuern ließ.

    LG
    Rika

  • Oft ist es ja so, dass man einen Faden hat. Einen Plan, was passieren soll, und welchen Weg der Prota gehen soll. Aber manchmal, zumindest bei mir, kommt es vor, dass sich der Prota plötzlich "verselbstständigt" und Wege einschlägt, oder Handlungen vollführt, oder generell Dinge tut, die man eigentlich nicht geplant hat. Oder sie nehmen Charakterzüge an, die man nicht vorgesehen hatte. Tendenziell finde ich das überhaupt nicht schlimm, ich finde, dass macht eine Geschichte bzw. den Prota lebendiger/authentischer.

    Erst dann ist eine Figur wirklich Lebendig :D

    Daher meine Frage: Wart ihr schonmal sauer auf euren Prota, weil er etwas getan hat, was er eigentlich nicht hätte tun sollen? Oder habt ihr ihn bemitleidet, weil er sich selbst (oder ihr ihn - bedingt durch diese Verselbstständigung) in eine Situation gebracht habt, die nicht so gesund war (körperlich oder psychisch)? Oder bin ich mit dieser Erfahrung alleine?

    OH JA!
    Ehe ich mir den Rest des Threads durchlese... OH. JA!
    Einmal sollten sich zwei, nach einem kleinen Streit versöhnen. Das Gespräch ist so schief gelaufen, dass sie sich getrennt haben. Und ich dachte nur, WTF. 8| Warum tut ihr das? Seid ihr bescheuert? Wisst ihr eigentlich, was ich jetzt am Plot alles änder darf?
    Aber ich sah keine Möglichkeit, den Streit zu schlichten. Sie haben sich getrennt. Punkt. Ok. Danke. 8|

    Einer hat mal eben, relativ Plötzlich, seine Freunde verraten. "Einfach so". Ich wusste, er muss es nun tun. Es war nicht geplant, er hat noch nicht mal gute Gründe dafür. Aber alles andere fühlt sich falsch an. Und nun muss ich zusehen, wie ich das dem Leser logisch rüberbringe. Weil es völlig unlogisch ist. Aber er wollte es so. :S

    Ich glaube, das sind die zwei heftigsten Eigenleben-situationen, die ich habe. Aber es gibt dutzende kleine. Es tut gut, sich manchmal keinen Kopf machen zu müssen, weil die Figuren vieles von "alleine" erledigen. xD

    Dann les ich mal, was die anderen so geschrieben haben XD

    Genesis: Sie ist Azathoth, das amorphe Chaos in der zentralen Leere
    Josh: Meine Prophetin!