寝ている光 - Neteiru Hikari Sleeping Light

Es gibt 56 Antworten in diesem Thema, welches 22.195 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (25. August 2018 um 19:58) ist von LadyK.

  • Hi kijkou


    Habe mal die ersten drei Posts deiner Geschichte gelesen. Alles rund um Japan finde ich immer spannend, konnte mich auch dem Anime-/Manga-Einfluss nicht entziehen

    Im Gegensatz zu den Mangas, die ich sonst so lese, ist die Hauptperson in deiner Geschichte erwachsen und zeigt wohl einen etwas realistischeren Einblick in die japanische Kultur und das Alltagsleben.

    Lebst du wirklich in Japan, dass du das so gut beschreiben kannst? Die Umgangsformen etc. Die starke Hierarchiestruktur kommt gut raus, allerdings hatte ich einen strengeren Umgang mit den Mitarbeitenden erwartet, sie sind ja alle ziemlich nett zu Kouske, da war ich positiv überrascht. Vielleicht ist mein Bild von der japanischen Arbeitswelt etwas zu negativ? Natürlich wird es grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Firmen geben, wie überall.

    Dein Schreibstil ist sauber und ich glaub, mir ist bislang noch kein Fehler oder Makel aufgefallen. Echt klasse!

    Dass Kouske am Morgen so schlecht aus den Federn kommt, wundert mich nur etwas. Nicht, dass es etwas Ungewöhnliches wäre, aber da er ja ein so wichtiges Meeting hat, könnte ich mir vorstellen, dass ihn die Nervosität wach macht. Auch dass er am Morgen nie an sein Meeting denkt, ist verwunderlich. Oder habe ich das überlesen? Schliesslich hab ich die zwei Abschnitte nicht am Stück gelesen….

    Da du Kouskes Morgen als katastrophal darstellst, war ich mir schon sicher, dass er das Meeting mit Herrn Nishimura versauen wird, hatte schon Bammel, zum Glück ist es doch noch gut gegangen. Schrecklicher Alltagsstress!! Sollte man verbieten!

    Hmm, einerseits wird er als fleissig wahrgenommen, andererseits scheint er so gar keine Lust auf seine Arbeit zu haben. Er scheint sich aber bisher gut durchgeackert zu haben…

    Du hast sehr schön dargestellt, wie ein Ereignis nach dem anderen seine Stimmung verändert. Erst miese Morgenstimmung, dann Honoka, dann Stress-Zu-Spät-Stimmung, dann Nervosität wegen des Meetings, dann die Erleichterung und ein Hochgefühl wegen des gelungenen Verlaufs der Besprechung und dann wieder niedergeschmettert durch die Neuigkeit seines Kollegen. Wunderbar! Nur weiss ich nicht, ob ich das als Leser durchhalte zu viel Alltagsstress tut beim Lesen nicht gut, auch wenn es wunderbar beschrieben ist. Vielleicht zu wunderbar?
    Mal sehen, was Kouske noch so durchmachen wird...

    LG, Ren

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

  • Vielen Dank für eure Kommis ^^

    Danke euch beiden, @LadyK und @RenLi <3


    Kapitel 3.5



    ›Kannst du auf dem Heimweg bitte noch Reis mitnehmen? Ich hab gestern fast alles für die Mädels verbraucht und wollte heute nicht mit dem Auto raus.‹

    Er starrte auf das zerbrochene Glas und die Pfütze auf dem Boden. ›Diese Mail…‹ Sein Herzschlag wurde immer schneller. ›Reis… Alles nur wegen Reis…‹
    »Kōsuke. Hey, Kōsuke!«, rief Honoka ihn mehrmals, stand schließlich vom Tisch auf und kam auf ihn zu. »Was ist denn los mit dir?«
    Er blickte auf zu ihr. »Ich – ich bin einfach nur hundemüde«, meinte er leise. »Werd’ morgen Reis kaufen.« Er bückte sich und begann die Glasscherben einzusammeln.
    »Pass auf – schneid’ dich nicht.« Honoka reichte ihm einen Putzlappen. »Wir können ja auch Frühstücken gehen und danach einkaufen«, schlug sie vor.
    Er warf das kaputte Glas und die Scherben in den Müll und nahm ihr den Lappen ab. »Ja, mal sehen…«, entgegnete er unentschlossen und wischte das Wasser auf.
    »Hast du Bier mitgebracht?«, fragte sie und griff nach der Einkaufstüte aus dem Convenience Shop.
    Kōsuke Augen weiteten sich. »Nein!«, fuhr er Honoka an, die ihn perplex anstarrte. Er stand auf und nahm das Yakisoba-Pan heraus. »E–Entschuldige bitte. Ich bin total fertig von heute.« Er drückte ihr das Nudel-Brötchen in die Hand. »Das kannst du haben, wenn du willst… Das andere sind Arbeitssachen – Daten und Notizen von Hiro, die ich noch durchgehen sollte«, seufzte er.
    »Vielleicht solltest du dich erst mal setzen und etwas essen – du bist ganz blass«, entgegnete sie und rückte einen der Stühle für ihn zurecht.
    Kōsuke nickte, setzte sich, stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab und ließ das Gesicht in seine Handflächen sinken.
    »Das Zeug ist auch nicht gerade das Gesündeste«, rügte sie ihn, packte das Essen aus, das er sich gekauft hatte und stellte es ihm hin.
    »Ah – danke«, murmelte er und begann zu essen.
    Auch Honoka nahm wieder Platz und aß weiter.
    »So gesund ist Karaage aber auch nicht«, sagte er, als er zu ihr hinübersah.
    »Ja, da hast du recht«, gab sie zu, worauf beide schmunzeln mussten. »Dann bist du also nicht fertig geworden?«
    »Das Projekt meinst du?« Kōsuke schüttelte den Kopf. ›Ach, wegen Frau Tsukimuras Sachen…‹ »Also größtenteils schon – es fehlen halt noch Kleinigkeiten, die ich durchgehen muss«, erklärte er.
    »Und wie lange wirst du dafür brauchen?«, fragte sie mit vollem Mund.
    »Keine Ahnung. Bis Montag muss ich damit fertig sein, sonst reißt mir Uehara den Kopf ab.«
    »Soll ich meinen Eltern absagen?«
    »Ach was, fahr doch ohne mich. Sie vermissen dich sonst wieder so schrecklich«, entgegnete er mit einem leicht hämischen Grinsen.
    »Ja, wenn es nach ihnen ginge, würde ich noch bei ihnen wohnen«, seufzte Honoka.
    Kōsuke schob sich den letzten Bissen seines Burgers in den Mund und stand auf.
    »Du isst viel zu schnell«, meinte sie mit hoffnungsloser Miene.
    Mit einem Brummen warf Kōsuke den Müll weg und schluckte hinunter. »Ich muss mich jetzt darum kümmern…« Er nahm die Plastiktüte vom Tisch, begab sich ins Schlafzimmer und begann sich auszuziehen. Nur noch mit Shorts bekleidet ging er zurück ins Wohnzimmer, wo sich Honoka gerade vor den Fernseher setzte. »Ich werd’ dann drüben lesen, du kannst dir ruhig ansehen, worauf du Lust hast«, meinte er freundlich und deutete auf den Fernseher.
    »Wirst du die Nacht durcharbeiten?«, wollte sie wissen.
    »Ich glaube nicht, dass ich das schaffe. Ich werd’ einfach noch ein wenig lesen und vermutlich bald schlafen gehen«, entgegnete er und kratzte sich am Bauch.
    »Gut. Sagst du Bescheid, wenn du schlafen gehst? Dann kann ich mich zu dir kuscheln.« Sie lächelte verspielt, während sie eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger wickelte.
    »Mhm« Er nickte und verschwand dann ins Badezimmer.

    Nachdem er geduscht hatte, breitete er seinen Futon aus.
    Honoka hatte ihren gar nicht zusammengelegt. ›Sie hat vermutlich bis zum Nachmittag geschlafen‹, dachte er, holte das Tagebuch aus der Tüte, legte sich auf den Bauch und schlug es auf der Seite auf, wo er zu lesen aufgehört hatte. ›In den Sommerferien waren sie auf dem Land…‹

    2002/09/28
    Ich habe mich gerade furchtbar mit meiner Mutter gestritten. Das passiert sonst nie. Ich bin jetzt erst um 23.00 Uhr nach Hause gekommen – ich weiß, das ist spät, aber wir hatten so viel Spaß. Wir waren bei Shōta zu Hause – seine Eltern waren aus und wir haben die Zeit vergessen. Ich hätte zu Hause anrufen sollen, dann wäre Mama nicht so wütend gewesen.

    2002/10/08
    Heute hatten wir einen Überraschungstest in Mathe. Ich glaube, ich habe den komplett in den Sand gesetzt. Herr Fujita ist so gemein. Immer wieder überrascht er uns und wir können uns nicht vorbereiten. Lehrer sind echt doof.

    ›Ja, da stimme ich ihr zu. Ich habe diese unangemeldeten Prüfungen und Tests auch gehasst‹, dachte er.

    2002/11/26
    Heute war ein schrecklicher Tag. Kenta-Kun1 hat mir gesagt, dass er mich mag. Er wollte mich küssen, glaube ich – da bin ich davon gelaufen. Kenta-Kun ist zwar ganz cool, aber er interessiert sich für so viele Sportarten. Ich bin nicht wirklich gut im Sportunterricht. Er sollte sich lieber eine sportliche Freundin suchen, Miki-Chan oder Naomi-Chan – die beiden sind total gut im Volleyball.

    2002/12/14
    Heute war es richtig kalt. Ich habe zufällig Kenta-Kun im Einkaufszentrum getroffen. Er hat mich überredet, zusammen eine heiße Schokolade zu trinken. Wie wir das Einkaufszentrum verlassen wollten, hat es geschneit. Ich habe so gezittert, dass er mir seinen Pullover gegeben hat. Ich wollte ihn erst nicht anziehen, aber er hat nicht locker gelassen. Dann hat er mich zum Bus gebracht. Jetzt muss ich ihm morgen irgendwie seinen Pullover zurückgeben. Wenn er nur den einen hat, wird er frieren.

    2002/12/15
    Heute Vormittag bin ich vor Kenta-Kuns Haus gestanden und hab gewartet, ob er raus kommt. Fast eine Stunde habe ich gewartet, dann wollte ich gehen. Wie ich um die Ecke biege, kommt er mir entgegen. Er hat morgens schon Fußballtraining gehabt. Wie er mich gesehen hat, hat er mir zugelächelt und ich hab ihm seinen Pulli gegeben. Er hat ihn genommen und gemeint, dass er gut riechen würde – dass er nach mir riecht. So etwas hat mir noch nie jemand gesagt.

    2002/12/28
    Ich habe mich mit Kenta-Kun in der Spielhalle verabredet. Er mag dieses neue Musik-Spiel genauso gerne wie ich. Wir waren fast drei Stunden dort, dann hat er mich nach Hause begleitet.
    Hinein traut er sich nie, weil er Angst hat, dass Mama ihn nicht mag – dabei kennt sie ihn noch gar nicht.

    2003/01/23
    Ich glaube, dieses Jahr werde ich in Mathe keine gute Note bekommen. Ich hab die letzte Hausarbeit komplett vergessen. Herr Fujita war ziemlich sauer. Jetzt muss ich mich wirklich anstrengen.

    ›Wie spät ist es schon?‹, überlegte Kōsuke. Seine Augen wurden langsam schwer und das Lesen immer anstrengender.

    2003/01/30
    Heute hat es geschneit. Ein richtiges Verkehrschaos. Wenn es heute Nacht weiter schneit, fällt die Schule morgen vielleicht aus.

    Kaum hatte er den Satz zu Ende gelesen, schlief er vor Erschöpfung ein.
    Etwa zwei Stunden darauf warf Honoka einen Blick ins Zimmer.
    »Wolltest du nicht Bescheid geben, wenn du ins Bett gehst? Hab ich’s mir doch gedacht. Typisch Kōsuke – einfach eingeschlafen«, seufzte sie leise. Sie kniete sich zu ihm hinunter und musterte ihn. Seine Hand lag auf dem offenen Buch und sein Kopf direkt daneben. Er sah total erledigt aus. Vorsichtig nahm sie das Buch unter seiner Hand hervor, schlug es zu und legte es neben seinen Futon. Zärtlich strich sie ihm übers Haar, machte das Licht aus, kroch zu ihm unter die Decke und schmiegte sich an ihn. Mit einem Seufzer schlief auch sie ein.


    Auf einmal hallte ein Klingeln durch die Wohnung. Es hatte an der Tür geläutet. Kōsuke setzte sich auf. Ihm war kalt und er hatte Kopfschmerzen.
    »Wer kann das sein?«, fragte Honoka verwundert.
    »Ich hab keine Ahnung«, entgegnete er kraftlos.
    »Gehst du bitte? Bitte, bitte…«, bettelte sie, worauf er mit einem widerwilligen Stöhnen aufstand und sich im Dunklen stolpernd durch die Wohnung schleppte.
    Im Vorzimmer angekommen machte er das Licht an und öffnete die Tür.
    Draußen standen zwei Polizeibeamte.
    »Herr Sasamoto … Kōsuke … ?«, fragte der rechts stehende Beamte.
    »J–Ja?« Kōsuke blieb das Wort fast im Hals stecken. ›Was wollen die? Warum sind die hier?‹
    »Entschuldigen Sie bitte die späte Störung. Sie waren doch heute morgen in einen Unfall verwickelt, ist das richtig?«, bat ihn der Polizist um Bestätigung.
    Seine Atmung und sein Puls wurden mit einem Mal schneller und ein ungutes Gefühl beschlich ihn. »Ja. Da-das stimmt«, antwortete er leise.
    Der Beamte links notierte irgendetwas und warf seinem Kollegen einen auffordernden Blick zu.
    Dieser nickte und fuhr fort. »Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass die junge Frau, die mit Ihnen in den Unfall verwickelt war, vor ungefähr einer Stunde im St. Marianna Krankenhaus verstorben ist.«

  • Hey @kijkou

    Den Teil fand ich ziemlich gelungen :)
    Ich hab an dieser Stelle nichts zu meckern, einzig vielleicht eine Idee...

    Spoiler anzeigen

    Erstmal ist Honoka ein faules Stück... Den armen Mann noch aus dem Bett jagen, wo er doch offensichtlich schon kaputt genug war. Du hättest sie statt Kosuke zur Tür gehen lassen können. Ihn dann rufen lassen, ich glaube, das hätte die Perplexität nochmal unterstrichen. Aber ich weiß nicht, wie das mit dem Rest der Geschichte zusammen passt.

    Daher ist es einfach eine Idee :pardon:

    LG :)

  • Guten Morgen, @LadyK ^^

    Liebe Grüße^^

  • @kijkou das hab ich mir auch gedacht ^^ aber anmerken wollte ich es zumindest :)

    Ich warte :tee:

  • Ui, spannend! Danke für deine Erkärungen!!
    Stimmt, mit etwas Übung kommt die Nervosität dann oftmals nur noch direkt vor der Präsentation oder so und dann verfliegt sie, sobald man drin ist. Habe Kouske wohl falsch eingeschätzt. Habe gedacht, er habe erst mit dieser Arbeit angefangen. Dachte, er sei ein Neuling oder so. Aber nun macht es Sinn :)

    Man sagt, die Liebe öffnet eine Tür
    von einem Herzen zum andern;
    Doch wo es keine Mauer gibt,
    wo soll dann eine Türe sein?
    Rumi

  • Hey @kijkou es tut mir unfassbar leid, dass ich im Moment nicht zum weiterlesen komme. Die Klausurphase in der Uni hat begonnen und ich hänge meistens nur so zwischen Tür und Angel mal im Forum rum (Forum rum rum rum rum :lol: ) Ich bin auch gar keine müde und mein Hirn macht gar keinen Blödsinn... Nein nein.
    Auf jeden Fall möchte ich dich das ganze ja auch nicht halbherzig lesen. Ich hoffe, ich finde die Tage mal ein bisschen Zeit zum lesen, kann aber nichts versprechen.

    Ich habe dich auf jeden Fall nicht vergessen. Es steht auf meiner ToDo-Liste, die mich aber ein bisschen überfordert. :topicclosed: .

    Liebe Grüße,
    Nanook

    Sei höflich und bescheiden,

    Sei geduldig und beherrscht,

    Vervollkommne deinen Charakter,

    Sei gerecht und hilfsbereit,

    Sei mutig!

  • Hi @Nanook :)

    Absolut kein Problem, läuft ja nicht weg :D
    Stress dich nicht - soll ja schließlich Spaß machen.

    Konzentriere dich mal in Ruge auf die Uni - Ausbildung ist wichtig ^^

    Liebe Grüße
    kij


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    Kapitel 4.1

    ›Nein… Nein, das ist nicht wahr!‹ Kōsukes Atem stockte. Mit weit aufgerissenen Augen sah er die Beamten wortlos an. Die schwere Wohnungstür glitt ihm aus der Hand und war im Begriff, zuzufallen, doch einer der Polizisten fing sie auf und stellte sein Bein davor.
    »Herr Sasamoto, haben Sie verstanden?«, fragte dessen Kollege nach.
    Kōsuke schüttelte den Kopf. »Nein…« Er blickte die Beamten abwechselnd an. »Das – das kann nicht sein!«, erwiderte er mit zittriger Stimme.
    »Uns wurde vor etwa zwanzig Minuten mitgeteilt, dass die junge Frau ihren Verletzungen erlegen ist«, erklärte der rechts stehende Polizist.
    »A–Aber…« Kōsuke konnte kaum sprechen. Ein immer stärker werdendes Gefühl der Enge in seiner Brust raubte ihm die Luft.
    »Sie war erst fünfundzwanzig Jahre alt!«, stellte der andere Beamte fest, als er in seinen Notizen nachlas. »Was für eine Schande – in der Blüte ihres Lebens«, meinte er.
    »Sie! Das haben Sie doch mit Absicht gemacht!«, rief der Polizist, der immer noch die Wohnungstüre aufhielt.
    »Was!?« Kōsuke schreckte auf.
    »Also doch vorsätzlicher Mord«, murmelte der andere mit dem Notizblock und schrieb mit.
    »Nein!« Er sank auf seine Knie. »Nein! Nein – ich hab sie nicht gesehen! Ich wollte das nicht!«
    Der Beamte rechts deutete seinem Kollegen, er solle die Tür stützen und beugte sich zu Kōsuke herunter. »Sie haben sie nicht gesehen, weil Sie unbedingt eine Nachricht schreiben mussten – und das während dem Lenken eines Personenkraftwagens. Sie wissen, dass das nicht gestattet ist!«, schrie er ihn an.
    »Ja, ich – ich weiß…« Tränen liefen über seine Wangen.
    »Sie wissen das und dennoch…« Der Gesetzeshüter packte ihn an seiner linken Schulter und näherte sich ihm bis auf wenige Zentimeter. »Sie haben sie umgebracht«, hauchte er ihm ins Ohr.
    »Nein…« Mit voller Wucht stieß er den Beamten von sich. »Nein!!« Der Mann stürzte und warf seinem Kollegen einen alarmierenden Blick zu.
    »Sind Sie verrückt geworden!?«, brüllte dieser und zog seine Dienstwaffe.
    »Es – es tut mir leid. Ich – ich wollte nicht…« Als Kōsuke den Polizisten ansah, der seine Waffe auf ihn gerichtet hielt, war dessen Gesicht komplett verschwommen. Er konnte keine Miene erkennen.
    »Sie sind ein Mörder!«, rief der andere mit tiefer Abneigung in seiner Stimme, stand langsam auf und holte Handschellen hervor, welche fein säuberlich poliert waren und im Licht aufblitzten. Kōsuke fixierte sie mit großen Augen und bei ihrem Anblick lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.
    »Nein… bitte! Es – es war keine Absicht!«
    »Herr Sasamoto!«
    »Nein!« Er schloss seine Augen ganz fest und schüttelte widerwillig den Kopf.
    »Kōsuke.«
    »Nein! Nein, nein – ich wollte das nicht!«, schluchzte er.
    »Kōsuke!«
    »Es tut mir so leid…«
    »Kōsuke! Hörst du nicht!?«
    Wie er seine Augen wieder öffnete, war Honoka auf seine Schultern gestützt über ihn gebeugt.
    »Hey«, sagte sie sanft, als er sie endlich ansah.
    Sein Puls raste und er atmete aufgeregt. »Honoka…«, flüsterte er.
    »Ist schon gut…« Sie strich zärtlich über seine Stirn. »Du bist ja völlig durchgeschwitzt.«
    »I-Ich…« Kōsuke setzte sich auf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Desorientiert blickte er sich um.
    »Was hast du denn geträumt?«, fragte Honoka und machte das Licht an, woraufhin er geblendet die Augen zukniff.
    ›Ein Traum…?‹ Schlotternd griff er nach der warmen Daunendecke mit dem Karomuster und hüllte sich darin ein. »Kalt…«, hauchte er mit zittriger Stimme.
    »Warte einen Moment.« Honoka eilte zum Schrank und suchte nach einem frisches Sweatshirt. »Zieh dein nasses Oberteil aus, sonst verkühlst du dich.« Sie zog ihm die Decke weg, kniete sich vor ihm auf den Futon und half ihm aus seinem Shirt.
    ›Es war nur ein Traum… Hikari – sie lebt. Sie ist nicht gestorben.‹ Ohne, dass er es zunächst bemerkte, liefen ihm Tränen übers Gesicht.
    »Kōsuke… Weinst du?«
    Betreten wischte er sich über die Augen.
    »Was ist denn los?« Honoka reichte ihm das Sweatshirt, das sie geholt hatte, und er zog es über.
    »Da-Dank-ke…«, stammelte er immer noch zitternd.
    Sie stand auf, nahm die Daunendecke und wickelte sie um ihn. »Langsam mache ich mir Sorgen«, seufzte sie. »Das muss ja ein furchtbarer Albtraum gewesen sein…«
    Aufgelöst sah er sie an.
    »Rede doch mit mir«, bat sie ihn. »Was ist los? Was hast du denn so schlimmes geträumt?«
    »Ich – ich weiß es nicht«, entgegnete er leise.
    »Du weißt es nicht?«, wiederholte sie ungläubig und setzte sich zu ihm.
    »Ich hab's vergessen…«
    »Kōsuke, du hast gerade noch geweint! Wie kannst du da vergessen haben, was du geträumt hast?«, fragte sie mit zweifelnder Miene.
    Er schluckte schwer. »Ich…« Seufzend schüttelte er den Kopf.
    »Egal, was es war, du kannst es mir…«
    »Ich weiß es nicht mehr, okay!?«, fiel er Honoka ins Wort. »Ich weiß nur, es war furchtbar und ich bin mit diesem Gefühl aufgewacht! Ich – ich hatte Panik!«, erklärte er aufgebracht.
    »Tut mir leid…«, entschuldigte sie sich zurückhaltend. »Kann ich – brauchst du irgendetwas? Soll ich dir vielleicht was zu trinken holen?«
    »Nein, danke«, erwiderte er mit wieder etwas ruhigerer Stimme. »Ich…« Plötzlich fuhr er hoch. In die dicke Daunendecke gehüllt stand er da und sah sich nervös um. ›Das Buch… Wo ist Hikaris Tagebuch? Ich bin eingeschlafen!‹ Er entdeckte es neben dem Futon liegend und warf Honoka einen verunsicherten Blick zu. ›Hat sie es gesehen!? Hat sie es sich angeschaut!?‹
    »Kōsuke, was hast du?« Honoka stand ebenfalls auf. In seinen Augen konnte sie immer noch Angst erkennen, was ihr Sorgen bereitete. »Willst du … vielleicht ein bisschen Fernsehen?«, fragte sie ratlos.
    »Nein…« Er atmete tief durch. ›Ich glaube, sie hat es sich nicht angesehen… Sie hätte mich sicher darauf angesprochen…‹, dachte er und setzte sich wieder. »Ich bin einfach nur überarbeitet, glaub ich. Ich will jetzt nur weiterschlafen. Tut mir leid, dass ich dich geweckt hab, Honoka«, meinte Kōsuke erschöpft und richtete sein Kopfkissen.
    »Zum Glück ist morgen Samstag«, entgegnete sie lächelnd. »Da kannst du ausschlafen.«
    »Mhm«, brummte er nur und legte sich ihr den Rücken zugewandt hin.
    »Dann hast du morgen hoffentlich bessere Laune«, murmelte sie leise vor sich hin.
    »Hm?«
    »Nichts. Ich mach das Licht aus, ja?«
    »Ist gut«, antwortete er leise und schloss seine Augen.
    Nachdem Honoka die Deckenlampe ausgemacht hatte, legte auch sie sich wieder nieder. Sie rückte nahe an Kōsuke heran und schlang ihren linken Arm um ihn, woraufhin er seine Augen öffnete, jedoch keine Regung zeigte.
    ›Ich kann nicht schlafen…‹ Er starrte auf die im Dunkeln als einzig erkennbaren Umrisse des gelben Sofasessels, der vor ihm in der Ecke des Raums stand. ›Aber wenn ich jetzt aufstehe, fragt Honoka wieder hundertmal nach, ob alles okay ist… Dieser Traum – ich muss meinen Kopf frei kriegen – und ich muss wissen, wie es Hikari geht. Wenn ich könnte, würde ich jetzt sofort hinfahren, aber…‹ Er schloss seine Augen. ›Ich frage mich, ob sie schon bei Bewusstsein ist. Ich muss morgen Vormittag gleich zu ihr – nur was sage ich Honoka? Alles was mir einfallen würde…‹ Vorsichtig drehte er sich auf den Rücken, wobei Honoka ihren Kopf auf seiner Brust platzierte.
    »Bist du noch wach?«, fragte er flüsternd.
    »Ja«, entgegnete sie leise. »Kannst du nicht schlafen?«
    »Doch – ich glaub schon. Mir ist nur eingefallen, dass ich morgen nochmal kurz ins Büro muss.«
    »Wirklich? Zu Hause noch ein wenig tun ist ja in Ordnung, aber ins Büro fahren? Wenigstens am Wochenende solltest du die Arbeit vergessen. Du überarbeitest dich noch«, beklagte sie sich bedrückt.
    »Ich möchte ja nur das Projekt endlich fertig bekommen, dann geh ich’s langsamer an, versprochen«, wollte er sie beschwichtigen.
    »Ja, und wenn dieses Projekt fertig ist, dann kommt das nächste...«
    »Du willst anscheinend nicht, dass ich befördert werde, oder?«, fragte Kōsuke leicht gereizt.
    »Wenn du dafür dauernd mies gelaunt und gestresst bist, weil du so viel arbeiten musst, ist es das nicht wert«, seufzte sie und streichelte seinen Bauch.
    »Ich verdiene dann aber mehr und wir können uns zum Beispiel einen richtigen Wellness-Urlaub leisten. Ist ja nicht so, als würde ich mich nur für mich selbst oder rein fürs Ego so bemühen…« Kōsuke schnaubte und drehte sich wieder auf die Seite.
    »Ich weiß – ich mach mir doch nur Sorgen…« Honoka wartete auf eine Reaktion seinerseits, doch er blieb schweigsam. »Bist du jetzt sauer?«, fragte sie verunsichert.
    »Nein, ich bin müde«, jammerte er entnervt, rollte sich zurück auf den Rücken, schob seinen Arm unter ihren Nacken und drückte sie an sich. »Lass uns jetzt bitte schlafen«, meinte er und küsste sie auf ihr angenehm nach Pfirsich duftendes Haar.

  • Hey @kijkou :) eigentlich fand ich den Part gut aber...

    Spoiler anzeigen

    Ich habe irgendwie gleich gewusst, dass das ein Traum ist. Richtige Beamte hätten nie so reagiert, sondern professioneller. Ich weiß nicht, ob das von dir so gewollt war. ^^

    Denn der Part, wo die beiden miteinander reden. Ich bin da noch etwas zwiegespalten. Einerseits scheinen sie sich ja doch ganz gern zu haben, obwohl sie sich ständig irgendwie anmaulen. Aber Honoka hat hier wirklich Fürsorge bewiesen. Das hätte Kosuke eigentlich dazu bewegen können, endlich mal mit ihr zu reden. Da lügt er einfach weiter! ?(

    Ansonsten hast du wieder etwas viel Gedankenrede drinnen, aber das ist auch Geschmackssache...

    :)

    Bis dann! :)

  • Hi Lady :)
    und danke fürs Lesen ^^

    Liebe Grüße ^^

  • So, hier gibts auch mal wieder etwas Neues :D


    Kapitel 4.2

    Als Kōsuke am nächsten Morgen aufwachte, war Honokas Bettwäsche und Futon schön ordentlich zusammengelegt. Die Vorhänge waren noch geschlossen, aber draußen war es bereits hell und man konnte das Rauschen von leichtem Regen vernehmen.
    ›Wie spät ist es?‹ Gähnend setzte er sich auf und griff nach seinem Handy. ›Acht Uhr?‹ Er blickte sich im Zimmer um. ›Honoka wird doch nicht schon zu ihren Eltern gefahren sein?‹ Er stand langsam auf und trottete zur Schlafzimmertüre.
    Wie er diese öffnete, stieg ihm der Geruch von frisch gebratenem Speck in die Nase. Sofort meldete sich sein Magen, den er in letzter Zeit zweifellos vernachlässigt hatte. Von seinem Hunger getrieben begab er sich ohne einen Gedanken zu verschwenden in die Küche, wo Honoka gerade am Herd stand.
    »Ah, gut, dass du wach bist«, meinte sie freundlich, als sie ihn bemerkte. Sie war bereits angezogen und hatte sich zurechtgemacht.
    »Guten Morgen«, sagte er und stand mit verschlafener Miene und komplett zerzaustem Haar vor ihr.
    »Ich werd’ gleich losfahren – hab dir nur noch Frühstück gemacht.« Aufgrund seiner Erscheinung musste sie sich ein Grinsen verkneifen.
    »Zu deinen Eltern?«, fragte er, während er sich an den Tisch setzte.
    »Ja, dann kannst du alles in Ruhe erledigen und ich bin dir nicht im Weg«, entgegnete sie gelassen.
    »Honoka…« Kōsuke seufzte. »Du bist mir nicht im Weg. Ich will einfach nur vor Montag…«
    »Fertig werden – ich weiß«, unterbrach sie ihn lächelnd und stellte ihm einen Teller mit Spiegelei, Speck und Salat hin.
    »Danke« Mit überspitzter Unschuldsmiene erwiderte er ihr Lächeln. »Du bist die Beste, weißt du das?«
    »Lügner«, entgegnete sie, brachte ihm ein Brötchen, das sie im Miniofen aufgebacken hatte, und küsste ihn auf die Wange. Dann holte sie ihren Hellblauen Mantel aus dem Vorzimmer und schlüpfte hinein. »Brauchst du noch irgendwas?«
    »Hmm…«, überlegte er kurz. »Nein, danke.«
    »Gut, dann sehen wir uns morgen wieder«, meinte sie zufrieden, verließ den Raum und zog sich die Schuhe an.
    »Honoka!«, rief er ihr nach, worauf sie ihren Kopf noch einmal ums Eck zur Küche hereinstreckte. »Was ist?«
    »Amüsier’ dich!«, sagte er schmunzelnd. »Und lass mir deine Eltern lieb grüßen!«
    Sie nickte und verließ die Wohnung. Sowie die Tür einschnappte, atmete Kōsuke auf.

    ›Gut – erst einmal essen und dann gleich ins Krankenhaus.‹ Er blickte auf seinen Teller. ›Wirklich nett von ihr, dass sie noch was gekocht hat…‹ Er griff zu den Essstäbchen, die vor ihm auf dem Tisch lagen und begann zu frühstücken.
    Nach weniger als zehn Minuten war er fertig und eilte ins Badezimmer. Ein wenig erschüttert vom Anblick seines ausgezehrten Spiegelbildes drehte er das Warmwasser auf und wusch sich gründlich das Gesicht, was eine echte Wohltat war. Dann begab er sich ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank. Ohne lange zu überlegen nahm er eine dunkelblaue Jeans und einen beigefarbenen Pullover heraus, zog sich an und öffnete die Vorhänge.
    ›Regen – na toll!‹ Er griff sich Hikaris Tagebuch, ihr Handy, den USB-Stick und seine Notebook-Tasche, die im Wohnzimmer stand, ging weiter ins Vorzimmer, zog seine dunkelbraune Jacke an, die hinter seinem Sakko gehangen hatte, nahm sich einen durchsichtigen Regenschirm und verließ die Wohnung.
    ›Tanken sollte ich ja auch noch‹, kam ihm bei seinem Wagen in den Sinn. Er stieg ein, platzierte alles auf dem Nebensitz, ließ den Motor an, aktivierte die Scheiben­wischer und fuhr los.
    An der nächsten Tankstelle mit Selbstbedienung hielt er an. ›Also billig sind die hier nicht gerade‹, dachte er und füllte nur den halben Tank. Er bezahlte mit Kreditkarte direkt an der Zapfsäule und machte sich schließlich auf den Weg ins St. Marianna Krankenhaus.
    Für einen Samstag Vormittag war ziemlich viel Verkehr auf den Straßen und so erreichte Kōsuke nach ungefähr fünfzehn Minuten sein Ziel.

    Von außen sah das Krankenhaus irgendwie leer und verlassen aus. Auf dem Parkplatz waren zwar Fahrzeuge abgestellt, sonst konnte er aber nirgendwo Leute ausmachen.
    ›Wenn ich da jetzt hinein gehe, falle ich bestimmt auf…‹, überlegte er. ›Keine Menschenseele zu sehen. Kommt denn heute niemand die Patienten besuchen?‹ Er begab sich zum Haupteingang und blieb verunsichert davor stehen. ›Geöffnet haben sie aber…‹
    In Gedanken versunken lauschte er dem Regen, der auf seinen Schirm niederprasselte, bis er den Bus realisierte, der gerade vor dem Gebäude angehalten hatte. Einige Leute stiegen aus und bewegten sich auf das Krankenhaus zu.
    ›Jetzt oder nie…‹, dachte Kōsuke, schloss sich ihnen unauffällig an und betrat die Eingangshalle. Die Gruppe löste sich jedoch rasch wieder auf. Vier Leute stellten sich am Empfang an, die anderen verließen den Bereich in unterschiedliche Richtungen.
    Kurz entschlossen begab sich Kōsuke zur Treppe und hastete in den zweiten Stock hinauf. Nachdem er sich mit einem kurzen Blick jeweils nach rechts und links vergewissert hatte, dass niemand zu sehen war, steuerte auf Hikaris Zimmer zu. Mit jedem Schritt wurde er angespannter und wie er vor der Türe stand, pochte sein Herz wie wild.
    ›Ich frage mich, ob sie wach ist…‹ Er warf einen Blick auf die Zimmernummer. ›312… und auf dem Schild ist immer noch kein Name angebracht…‹ Langsam drückte er die Türklinke nach unten. Sein Atem war flach und stockte, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürte.
    »Entschuldigen Sie – kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen!?«, fragte eine tiefe Stimme mit eindringlichem Tonfall hinter ihm.

    Es ist immer wieder erstaunlich, wie oft wir uns dazu hinreißen lassen, Dinge zu tun,
    von denen wir wissen, dass sie falsch sind,
    sie aber dennoch tun, weil wir der festen Überzeugung sind,
    dass sie in diesem einen Moment richtig sind…

    Kōsuke Sasamoto 笹本幸輔

    Kōsuke drehte sich erschrocken um und sah den Mann mit geweiteten Augen an. Es handelte sich um einen Arzt, dessen ernster Miene zufolge er hier nichts verloren hatte.
    Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte ihn der Mediziner. »Darf ich fragen, was Sie hier machen?«, fragte er skeptisch. »Suchen Sie jemanden Bestimmten?«
    »I–Ich…«, stammelte Kōsuke. ›Was sag ich jetzt am besten?‹ Er schluckte.
    »Bitte entschuldigen Sie, Herr Doktor Hayashi!«, drang eine weibliche Stimme durch den Korridor. »Das ist meine Schuld…!« Frau Nagayama kam herbeigeeilt und blieb neben den beiden stehen. Sie schnappte nach Luft, stellte sich neben Kōsuke und verneigte sich vor dem Arzt.
    Dieser wandte sich ihr verwundert zu. »Wie darf ich denn das verstehen?«, fragte er mit erwartungsvollem Blick.
    »Es tut mir leid, Herr Doktor Hayashi – Es ist meine Schuld. Er ist nur hier, weil ich…«
    »Nein, es ist nicht die Schuld von Fr…«, warf Kōsuke ein, wurde aber sofort von ihr unterbrochen.
    »Wirst du wohl ruhig sein!!«, keifte die Krankenhausangestellte.
    Kōsuke sah sie perplex an.
    »Unterbrich mich gefälligst nicht!«, sagte sie streng und wandte sich wieder dem Arzt zu. »Er ist hier, weil ich ihm von der Patientin erzählt habe, Herr Doktor. Mein kleiner Bruder hat gemeint, dass ihm die Frau leidtut, wenn sie niemand besucht…«
    ›Kleiner Bruder!?‹ Kōsuke lächelte unbeholfen und kratzte sich verlegen am Kopf.
    »…Und er hat sich gedacht, dass es ihr vielleicht besser gehen würde, wenn sie Gesellschaft hätte und jemand mit ihr spricht«, erklärte Frau Nagayama. »Ich konnte ja nicht ahnen, dass er gleich selbst nach oben gehen würde…« Sie schlug Kōsuke mit der flachen Hand kräftig auf den Hinterkopf.
    »Autsch…!«
    »Bitte entschuldigen Sie, Herr Doktor Hayashi – er ist eben ein herzensguter Mensch und muss immer und überall helfen«, meinte sie quirlig.
    Kōsuke warf ihr einen hilflosen Blick zu.
    »Na los – entschuldige dich gefälligst!«, forderte Frau Nagayama ihn auf und verschränkte ihre Arme.
    »Ähm… Ja – entschuldigen Sie bitte vielmals!« Demütig verneigte er sich vor dem Arzt.
    »So so…«, entgegnete dieser nachdenklich. »Vielleicht ist das aber gar keine so schlechte Idee«, murmelte er mit gerunzelter Stirn. »Aus medizinischer Sicht spricht eigentlich nichts dagegen«, meinte er dann.
    »Wie…?« Kōsuke sah Frau Nagayama irritiert an.
    »Herr Doktor?«, fragte diese nach.
    »Nun ja… Da Chō-Chō keinen Besuch hat, fehlt ihr vielleicht ein Grund – eine Art Anreiz, ihr Bewusstsein wiederzuerlangen. Vielleicht wäre es also unter Umständen gut für sie, etwas Gesellschaft zu haben«, erklärte Doktor Hayashi.
    »…Chō-Chō…?«, dachte Kōsuke laut.
    »Ja – da ihre Personalien nicht bekannt sind, nennen sie die Ärzte und Krankenschwestern so, weil sie ein kleines Schmetterlings-Tattoo auf ihrem…«
    »Frau Nagayama…«, unterbrach der Arzt sie kopfschüttelnd.
    »Oh, Entschuldigung.« Sie drehte sich um und boxte Kōsuke leicht in den Bauch, der ein wenig erschrocken zusammenzuckte. »Ich muss unbedingt aufhören, dir alles zu erzählen, Brüderchen«, rügte sie sich selbst.
    »Wie dem auch sei…« Doktor Hayashi sah auf die Uhr. »Ich muss weiter. Wenn Sie zu der Patientin hineingehen und sich ihr Zustand ändert oder sie ihr Bewusstsein wiedererlangt, rufen Sie bitte umgehend eine Schwester«, bat er Kōsuke und eilte davon.
    Dieser blickte ihm hinterher. Wieder schlug ihn Frau Nagayama auf den Hinterkopf.
    »Autsch! Was…!?«
    »Können Sie nicht noch auffälliger hier antanzen!? Sie haben ja Nerven!«, fuhr sie ihn an.
    »Ich…«
    »Sie können von Glück reden, dass ich dieses Wochenende arbeite, sonst hätten Sie jetzt ganz schön Ärger bekommen!«, meinte sie streng.
    »Es tut…«
    »Wenn ich Sie nicht schon unten umherschleichen gesehen hätte…«, ließ sie ihn nicht zu Wort kommen. »…Dann hätte Doktor Hayashi bestimmt den Sicherheitsdienst geholt! Sie können doch nicht einfach so ohne Plan hier auftauchen…«
    »Es – es tut mir leid«, entschuldigte er sich.
    »Das sollte es Ihnen auch! Sie können wirklich froh sein, dass mir die arme junge Frau da drinnen leidtut – so ganz alleine, sonst würd’ ich mich nicht so dafür einsetzten, dass Sie zu ihr können«, machte sie deutlich und verschränkte ihre Arme.
    »Haben Sie vielen Dank!« Er verneigte sich.
    Leicht amüsiert schüttelte sie den Kopf, seufzte und sah ihn wortlos an.
    »Dann ist sie also immer noch bewusstlos?«, fragte Kōsuke beunruhigt und fixierte Hikaris Zimmertüre.
    »Ja, leider. Aber das kann auch aufgrund des Schocks sein, den sie sicher durch den Unfall erlitten hat…«
    »'Auch'?«, unterbrach er sie. »Was könnte denn sonst noch ein Grund sein?«, fragte er vorsichtig.
    »'Auch' – das hab ich doch nur so gesagt«, entgegnete Frau Nagayama. »Also, es bestünde da noch die Möglichkeit, dass sie durch die Blutung und den dadurch entstandenen Druck einen Gehirn­schaden davongetragen hat, aber das hat Doktor Hayashi zu neunzig Prozent ausgeschlossen.«
    »Sie könnte einen Hirnschaden erlitten haben!?«, wiederholte er schockiert. ›Neunzig Prozent ausgeschlossen – bleiben noch zehn Prozent! Ist nicht sehr wahrscheinlich, aber dennoch…‹
    »Nun schauen Sie doch nicht gleich so! Ich habe Ihnen doch gesagt, der Doktor hat es ausgeschlossen«, wollte sie Kōsuke beruhigen.
    »Aber nicht hundertprozentig…«
    »Jetzt gehen Sie endlich da rein – dafür sind Sie ja schließlich hergekommen, oder!?« Die Krankenhausangestellte packte ihn am Oberarm und öffnete die Zimmertüre. »Reden Sie mit ihr, vielleicht wacht sie ja auf!«
    »Aber…«
    Ohne auf ihn einzugehen, schob sie ihn mit all der Kraft, die ihr zierlicher Körper aufbringen konnte, ins Zimmer hinein und schloss die Türe hinter ihm. Erschöpft stieß sie einen Seufzer aus und machte sich auf den Weg zurück zu ihrem Arbeitsplatz.

  • Darf ich zum Tanz bitten @kijkou :hi1:

    Oh man... Kosuke und die Krankenschwester könnten ein gutes Paar abgeben. Beide können lügen wie gedruckt :rofl:
    Aber irgendwie hab ich das Gefühl, dass der Arzt diese Geschichte nicht wirklich abgekauft hat ^^

    Spoiler anzeigen
    Zitat von kijkou

    »Lügner«, entgegnete sie, brachte ihm ein Brötchen, das sie im Miniofen aufgebacken hatte, und küsste ihn auf die Wange.

    Wenigstens eine, die das bemerkt hat :D
    Aber schön, dass die beiden endlich wirken, als wären sie ein Paar. Vorher fand ich es, als hätten sie sich verrannt. :huh:

    In diesem Abschnitt ist für meinen Geschmack etwas zu viel an Gedankenreden drinnen ;(
    Alles, was er denkt, hättest du in den Fließtext miteinarbeiten können ^^
    Ist aber Geschmacksache und musst du fürs Lesegefühl nicht ändern :whistling:

    Zitat von kijkou

    Sie schlug Kōsuke mit der flachen Hand kräftig auf den Hinterkopf.

    Die Frau ist einfach der Knaller :D
    Wenn die zusammen wären, würde sie Kosuke mal ein paar Takte erzählen 8o
    Ich hoffe, wir treffen sie noch öfter :thumbsup:

    Zitat von kijkou

    »Dann ist sie also immer noch bewusstlos?«, fragte Kōsuke beunruhigt und fixierte Hikaris Zimmertüre.

    Wie meinst du das? Starrt er die Tür an oder hält er sie fest?

    Noch ne Frage am Rande.
    Ist es kulturell üblich, dass sie sich verneigen? Also ich hab davon gehört, aber machen die das tatsächlich? :)
    Würde mich mal interessieren.

    Fehler sind mir keine weiteren aufgefallen.
    Alles top :thumbsup:

    LG :love:

  • Huhu ^^

    Liebe Grüße ^^

  • Zitat von kijkou

    Oh, ja! Die machen das echt andauernd und überall. An der Kasse im Supermarkt, wenn sie sich zu dir auf die Parkbank setzen, wenn du ein Restaurant betrittst/verlässt, sogar, wenn du die Reinigungskräfte auf öffentlichen Toilette triffst
    Ich habe mir das auch schon so extrem angewöhnt stelle ich mir ganz cool, aber auch nervig vor :D
    Also, falls wir uns mal treffen, wundere dich nicht, wenn ich mich vor dir verneige - das mache ich dann nicht, weil du eine Lady bist :rofl: nicht, weil ich DIE Lady bin? ;(

    Und schreib schnell weiter, ich will wissen, wie es mit der Frau weitergeht 8o

  • Oha, schon über einen Monat kein Teil mehr =O Das geht gar nicht! :panik:


    Kapitel 4.3


    Kōsuke stand nur im Vorraum von Hikaris Zimmer. Seine Beine fühlten sich schwer an und es kostete ihn einiges an Überwindung, sich auf das Krankenbett zuzubewegen. Mit gemischten Gefühlen stand er davor. Sorgen bezüglich ihres Gesundheitszustandes plagten ihn, aber er empfand auch Erleichterung und ein wenig Freude darüber, dass der gestrige Traum nichts als die Schuldgefühle waren, die ihn im Schlaf heimgesucht hatten.
    Neugierde brachte seine Hand schließlich dazu, nach dem Vorhang zu greifen und diesen beiseite zu ziehen.
    ›Hikari…‹
    Sie lag still da und schlummerte. Ihr Kopf war auf ein weiches Kissen gebettet und um diesen war nur noch eine einfache Bandage gewickelt, die den Wundverband seitlich an ihrem Hinterkopf fixierte. Sie trug eines dieser hellblauen Nachthemden, wie sie Patienten vor einer Operation erhielten, mit Ärmeln, die zu den Ellenbogen reichten. Bis ungefähr zur Mitte ihres Oberkörpers war sie zugedeckt und ihre Arme lagen auf der Bettdecke locker neben ihr. Mit ihrer linken Hand hing sie an einer Infusion.
    ›So… Und was nun?‹ Kōsuke sah sich verlegen im Raum um.
    Wie bei seinem letzten Besuch holte er sich einen Stuhl und setzte sich.
    ›Ich soll mit ihr sprechen … Was soll ich denn sagen?‹ Er musterte sie.
    Ihre rosigen Lippen waren geschlossen und sie atmete sanft und gleichmäßig durch die Nase.
    »Ähm… Guten Morgen, Frau Tsukimura…«, sagte er leise, worauf sie jedoch keinerlei Reaktion zeigte.
    Ihre Augen waren geschlossen. Sie hatte schöne, extrem lange schwarze Wimpern, die im Kontrast zu ihrer blassen Haut standen.
    ›Sie sieht aus, als würde sie ganz normal schlafen.‹ Kōsuke schluckte und beugte sich näher zu ihr nach vorne.
    »Frau Tsuki…« Er verstummte. ›Vielleicht ist das zu unpersönlich … vielleicht sollte ich sie mit ihrem Vornamen ansprechen …‹ Wieder blickte er sich um, als wolle er sichergehen, dass ihn niemand beobachtete.
    »Hikari…«, hauchte er ganz leise. ›Hat sie reagiert?‹ Er war sich nicht sicher, ob er ein Zucken ihrer Augen vernommen hatte. ›Ich muss einfach weiter mit ihr sprechen, vielleicht wacht sie ja irgendwann auf‹, dachte er und kratzte sich nachdenklich auf der Stirn.
    »Also ich – ähm… Mein Name ist Kōsuke und ich bin hier, weil …« Er seufzte. »Ich war mit dem Auto unterwegs und du – du warst plötzlich vor mir … Ich hab nicht aufgepasst. Ich – ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut …« Seine Stimme verstummte.
    ›Nein, so geht das nicht … Ich glaube, es ist nicht gut, wenn ich sie wieder an den Unfall erinnere … Ich muss ihr irgendetwas Positives erzählen – aber was soll ich denn mit ihr reden? Ich kenn’ sie doch überhaupt nicht.‹
    Mittlerweile war ihm warm geworden. Er zog seine Jacke aus und hängte sie vorsichtig und geräuschlos über die Lehne des Stuhls. Dann schüttelte er lächelnd den Kopf.
    »Warum geb’ ich mir so Mühe, keinen Lärm zu machen? Du sollst ja schließlich langsam aufwachen, Hikari. Dein Arzt scheint ein netter Kerl zu sein und das Personal ist bestimmt auch freundlich. Also diese Frau Nagayama ist zwar etwas – nennen wir es 'sonderbar' – aber einer der freundlichsten Menschen, die ich in letzter Zeit kennengelernt habe. Dein Arzt ist auch, soweit ich weiß, zuversichtlich, dass alles in Ordnung ist … Ja – und um Yuki brauchst du dir auch keine Sorgen machen. Gestern hab ich ihm genug Futter gegeben und heute werde ich auch noch nach ihm sehen.«

    Hikari lag regungslos da und Kōsuke hatte keine Ahnung, ob sie ihn überhaupt hörte.
    »Vielleicht sollte ich dir etwas über mich erzählen, schließlich bin ich ein Fremder für dich … Also, wie ich heiße, weißt du ja bereits. Ich bin jetzt vor kurzem achtundzwanzig Jahre alt geworden. Ich arbeite in einer großen Firma – einem Inkassounternehmen um genau zu sein. Ist eigentlich ein recht einfacher Job. Hauptsächlich bearbeitet meine Abteilung E-Mails, ist für den Briefverkehr zuständig und hin und wieder kommt es vor, dass der Außendienst überlastet ist – dann schicken sie Kollegen von uns zu den Schuldnern.
    Ich stell mir vor, dass das eine unangenehme Aufgabe ist, die Leute zu Hause aufzusuchen und Geld von ihnen zu fordern, dass sie wahrscheinlich gar nicht haben. Ich bin zum Glück noch nie `rausgeschickt worden, aber Takagi, mein Kollege, schon des Öfteren. Er hat mir manchmal davon erzählt – vor allem, dass er es hasst. Einmal hat er eine ältere Dame aufsuchen müssen, die auch auf die letzte Mahnung unsererseits nicht reagiert gehabt hat.
    Es hat sich herausgestellt, dass die Frau schon so schlecht gesehen hat, sodass sie kaum noch lesen hat können. Sie hat niemanden gehabt, der sich um sie gekümmert oder gesorgt hat. Den ganzen Tag ist sie nur vor dem Fernseher gesessen – das war die einzige Gesellschaft, die sie gehabt hat. Takagi hat ihr erklären müssen, dass seit dem Tod ihres Mannes die Rechnungen für einen von diesem angemieteten Container nicht mehr beglichen worden sind und dass ihm jetzt leider keine Wahl bleibt, als nach Gegenständen von Wert zu sehen und diese zu pfänden.
    Wie er das TV-Gerät beschlagnahmen wollen hat, hat die Dame fürchterlich zu weinen begonnen. Sie hat ja sonst nichts gehabt, bis auf die unterhaltsamen Stunden vor dem Fernseher. Er hat so sehr Mitleid mit ihr gehabt, dass er sie das Gerät behalten hat lassen. Auch die silberne Taschenuhr ihres verstorbenen Gatten hat er nicht mitgenommen, obwohl die bestimmt einiges wert gewesen wäre.
    In seinem Bericht hat er dann geschrieben, dass die alte Dame nichts von Wert besessen habe und später hat er sich dafür eingesetzt, dass sie eine freiwillige Hilfskraft zugewiesen bekommt. Leider ist sie ein Jahr später verstorben, aber sie war so dankbar, dass sie Takagi in ihrem Testament erwähnt hat. Sie hat ihm tatsächlich die Taschenuhr ihres Gatten vermacht, die er heute ständig mit sich `rumträgt. Angeblich bringt sie ihm Glück.
    Jedenfalls – ich wüsste nicht, wie ich in so einem Fall reagieren würde. Ich glaube nicht, dass ich es übers Herz gebracht hätte, der armen Frau etwas wegzunehmen…« Kōsuke seufzte. »Was hättest du getan, Hikari?«, fragte er sie, doch wie vermutet reagierte sie auch diesmal nicht. »Du hättest bestimmt auch versucht, ihr zu helfen, nicht wahr? So, wie du vorgestern meinen Schlüsselbund aufgehoben und mir gebracht hast. Du bist ein sehr hilfsbereiter Mensch – hab ich recht? Auch deine Nachbarin ist dieser Meinung …«

    Er lehnte sich zurück, streckte seine Beine aus und starrte an die Decke. »Wenn alles gut geht, werde ich vielleicht sogar bald befördert. Ich habe mit Hiro, einem Freund und Kollegen, ein Programm entwickelt, das die Arbeit der ganzen Abteilung für Sachbearbeitung vereinfachen wird. Gut, Hiro hat einen Großteil der praktischen Arbeit erledigt – er ist das Computergenie von uns. Ich hab das theoretische Grundgerüst des Programms entworfen und mich mit ihm zusammengesetzt. Wir sind ein recht gutes Team, denke ich …« Kōsuke sah wieder zu Hikari, die nach wie vor ruhig und gleichmäßig atmete, sich sonst aber nicht bewegte.
    »Das ist jetzt schon das zweite Projekt, das ich mit ihm aufgezogen hab. Das erste hat sich Kawaji unter den Nagel gerissen. Wir haben eine Idee gehabt, die interne Datenbank um einiges simpler zu gestalten. Als wir unseren jeweiligen Abteilungsleitern davon berichtet haben, hat man uns Kawaji zugeteilt. Er hat zu diesem Zeitpunkt einen sehr guten Ruf als Software-Techniker gehabt und sie haben sich dadurch eine schnelle Umsetzung erhofft …« Er presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
    »Unfassbar … Aber, ja – damit haben sie recht gehabt. Nachdem wir Kawaji instruiert haben, hat er die ganze Nacht durchgearbeitet und alles alleine fertiggestellt. Das Lob hat er auch für sich eingestrichen – wir sind lediglich als 'Support' erwähnt worden. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich dieser Mistkerl anwidert … Diesmal kann uns das aber nicht passieren – mein Vorgesetzter, Herr Uehara, weiß Bescheid, dass es allein unser Projekt ist …«
    Kōsuke streckte sich. Er war nicht mehr so angespannt wie zuvor. »Hmm, ja – so viel zu meinem Job. Was arbeitest du, Hikari?«, fragte er mit nachdenklicher Miene.
    »Vielleicht in einem Restaurant oder Café? Oder vielleicht in der Kosmetikbranche? In einem Büro kann ich mir dich irgendwie nicht vorstellen. Oder vielleicht …«

    Auf einmal öffnete sich die Zimmertür, worauf er erschrocken hochfuhr. Eine Kranken­schwester kam herein. Sie schob einen Behandlungswagen vor sich her. »Ah – guten Morgen! Sie müssen Frau Nagayamas Bruder sein«, meinte sie freundlich.
    »Eh, ja – guten Morgen«, entgegnete Kōsuke etwas überrascht. ›Diese Frau … Hat sie das etwa im ganzen Krankenhaus herumerzählt?‹
    »Mein Name ist Maeda – ich bin für das Wochenende in dieser Etage eingeteilt«, erklärte sie, während sie sich die Hände desinfizierte.
    »Soll ich hinaus gehen?«
    »Oh, nicht nötig, ich schließe nur eine neue Infusion an«, entgegnete sie. »Ich finde das sehr nett von Ihnen, dass Sie der Patientin Gesellschaft leisten.«
    »Geht das in Ordnung? Ich meine, normalerweise dürfen doch nur Angehörige zu den Patienten, oder?«, fragte Kōsuke verunsichert.
    »Ja, das ist schon richtig, aber da wir ihre Angehörigen nicht benachrichtigen können und sich bisher niemand nach ihr erkundigt hat …«
    »Aber kann das Krankenhaus dadurch nicht Ärger bekommen?«
    »Vermutlich schon – aber wenn Doktor Hayashi es genehmigt hat und medizinisch begründen kann, dass Gesellschaft zur Genesung der Patientin beitragen kann, dann geht das bestimmt in Ordnung.« Die Schwester lächelte und hängte den neuen Infusionsbeutel an.
    »Ich verstehe.« Kōsuke setzte sich wieder und beobachtete Schwester Maeda.
    »Hat sie denn schon auf irgendetwas reagiert?«, fragte diese interessiert.
    »Nein, leider«, sagte er enttäuscht. »Ich glaube nicht – vielleicht haben vorhin ihre Augen gezuckt, aber ich bin mir nicht sicher.«
    »Sollte sie aufwachen, rufen Sie mich bitte gleich.« Sie deutete auf den orangefarbenen Schwesternruf-Knopf an der Fernbedienung für das Krankenbett.
    »Ja, natürlich« Er stand auf und verneigte sich zum Abschied, als sie das Zimmer wieder verließ.
    Unruhig ging er ein paar Schritte auf und ab und sah sich um. »Willst du nicht aufwachen, Hikari?«, wandte er sich ihr wieder zu. »Du kannst doch nicht den ganzen Samstag verschlafen … Wobei ich das auch gerne wieder einmal machen würde – einfach faulenzen am Wochenende. Vor einigen Jahren bin ich Samstags regelmäßig Fußball spielen gegangen. Ich hab mich mit Freunden schon zeitig morgens am Arakawa-Flussufer getroffen und wir haben dann nach dem regulären Training noch bis am Nachmittag gespielt. Manchmal vermisse ich die Zeit irgendwie …« Er sah zum Fenster hinaus.
    »Es regnet immer noch. Kein Wunder, dass du lieber im Bett bleiben willst«, sagte er schmunzelnd. »Was hältst du davon, wenn ich mal nach Yuki sehe? Ich werde Frau Nagayama bitten, dass sie mich anruft, wenn du munter wirst, einverstanden?« Kōsuke nahm seine Jacke vom Stuhl und schlüpfte hinein. »Ich komm vielleicht später wieder – oder morgen«, meinte er unentschlossen.
    »Bis dann, Hikari«, verabschiedete er sich, zog den Vorhang wieder zu und verließ das Zimmer.
    Nach einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr ging er zur Treppe.
    »Halt!«
    Kōsuke blieb wie versteinert stehen und sah in die Richtung aus der die Stimme gekommen war. »Ah, Sie sind’s«, sagte er erleichtert, als er bemerkt hatte, dass es Frau Nagayama war. »Sagen Sie, müssen Sie mich so erschrecken?«, fragte er leidvoll.
    »Entschuldige, Bruderherz«, erwiderte sie grinsend.
    »Ich wollte Sie eh gerade suchen …«
    »Und wie geht es Chō-Chō?«, fiel sie ihm ins Wort.
    »Sie ist noch nicht aufgewacht«, entgegnete er mit besorgter Miene. »Ich wollte Sie bitten, dass Sie mir Bescheid geben, wenn sich irgendetwas ändert.«
    »Ja, solange ich noch Dienst habe, kann ich das machen. Bis siebzehn Uhr bin ich heute hier, für danach müssen Sie sich wohl eine andere Komplizin suchen«, meinte sie scherzend.
    Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sie an. »Ich … danke Ihnen vielmals«, flüsterte er.
    »Sie müssen wirklich etwas lockerer werden«, lachte sie und begab sich zum Krankenschwestern­bereich. Sie drehte sich noch einmal um und winkte ihm energisch zum Abschied zu.
    Kōsuke fuhr sich abgekämpft durchs Haar. ›Sie ist wirklich sehr nett, aber kann einem den letzten Nerv rauben‹, dachte er und ging die Treppe hinunter.
    Am Eingang nahm er seinen Regenschirm, den er dort zurückgelassen hatte, und verließ das Krankenhaus.


    Unzählige Kirschblüten sanken auf den Boden nieder.
    Wie blassrosafarbener Regen umgab sie die herabfallende Blütenpracht.
    Ein gigantischer Windstoß erfasste sie, worauf sie ihre Augen schloss und im nächsten Moment
    überkam sie ein Gefühl, als würde sie hoch in die Luft gerissen werden.
    Sie spürte keinen festen Grund mehr unter ihren Füßen. Was geschah mit ihr?
    Sie hatte Angst, ihre Augen zu öffnen.
    Ein beruhigendes Rauschen und eine wohltuende Frische in der Luft ermutigten sie,
    doch einen Blick zu riskieren. Jetzt konnte sie auch den Sand zwischen ihren Zehen fühlen.
    Sie war am Meer, an einem weißen Sandstrand.
    Ohne darüber zu sinnieren, wie sie an diesen Ort gekommen war, schritt sie auf das Wasser zu.
    Wie die erste Welle sie erreichte, bemerkte sie, wie angenehm warm es war.
    Langsam spazierte sie den Strand entlang und wie die nächste Woge um ihre
    Knöchel strömte, schloss sie kurz ihre Augen und lächelte.
    Auf einmal nahm sie jemand an der Hand.
    Es war ein Junge – der kleine blasse Junge, den sie zuvor schon unter dem
    Kirschbaum getroffen hatte. Er hielt ihre Hand und sah zu ihr herauf.
    »Da bist du ja wieder«, sagte sie mit sanfter Stimme.
    Er nickte.
    Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln, woraufhin er ohne eine Miene zu
    verziehen auf etwas hinter ihr deutete. Sie drehte sich um und sah ein Stück weiter weg
    einen zweiten Jungen, der vor einer riesigen Sandburg stand.
    Leute, die sich ringsum versammelten, schienen das Kunstwerk aus Sand zu bewundern.
    Der blasse Junge zog an ihrem Arm.
    »Ist das ein Freund von dir?«, fragte sie ihn, worauf er energisch den Kopf schüttelte.
    »Willst du mit ihm mitspielen?«
    Wieder verneinte der Junge und rümpfte die Nase.
    »Gefällt dir seine Sandburg?«
    Wütend stampfte der Junge auf.
    »Was – was willst du mir denn sagen?«
    Trotzig blickte er wortlos zu Boden.
    »Willst du auch eine bauen?«, fragte sie verunsichert.
    Der Junge ließ ihre Hand los und raufte sich sein Haar.
    Er deutete auf die Sandburg und dann auf sich selbst.
    »Die Sandburg? … Du? Du hast sie gebaut?«, begriff sie langsam.
    Er nickte wortlos und sah wieder zu dem anderen Jungen hinüber,
    welcher stolz vor der Burg posierte. Zornig ballte er seine Hände zu Fäusten.
    »Sollen wir hingehen?«, fragte sie, woraufhin er erstaunt zu ihr aufblickte.
    »Wir sagen es allen, dass du es warst, der sie gebaut hat«, meinte sie lächelnd.
    Entschlossen schritt sie an ihm vorbei auf die große Sandburg zu.
    »Kommst du?«, forderte sie ihn auf und als sie sich zu ihm umdrehen wollte,
    war er verschwunden.

  • Hey @kijkou
    Schön, dass es hier auch weiter geht...

    Spoiler anzeigen

    ...und wir erfahren, was Kosuke alles noch so macht. Ich finde es toll, dass er mit Hikare sprechen möchte und ich kann seine Sorgen und Gedanken sehr gut nachvollziehen. Ich fühle richtig mit ihm mit.

    Abbbbeeerrrr. Liebe kiikou! Im ersten Abschnitt ist mit eindeutig viel zu viel Gedankenrede drinnen. Vieles davon hättest du super einarbeiten können. Ich habe es jetzt nicht extra angemerkt, weil ich glaube, dass du weißt, was ich meine. Änderns musst du es natürlich nicht, aber diesmal war es für meinen Geschmack zu krass...

    Kōsuke stand nur im Vorraum von Hikaris Zimmer.

    hier würde ich vielleicht "nun" schreiben. ^^^^

    Also diese Frau Nagayama ist zwar etwas – nennen wir es 'sonderbar' – aber einer der freundlichsten Menschen, die ich in letzter Zeit kennengelernt habe.

    Ich mag sie auch sehr gerne. ^^

    Allgemein sehr schöner einfühlsamer Teil. Der letzte Abschnitt war einsahme Spitze, obwohl ich grübel wer sie ist und wer der Junge. Vielleicht Hikari, aber wer ist der Junge...Oder ich tappe völlig im Dunkeln, das kann natürlich auch sein.

    LG <3