寝ている光 - Neteiru Hikari Sleeping Light

Es gibt 56 Antworten in diesem Thema, welches 22.199 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (25. August 2018 um 19:58) ist von LadyK.

  • Ich möchte euch hier noch eine andere Geschichte vorstellen.
    Bei dieser bin ich jedoch nicht sehr weit und habe dann irgendwie den Faden verloren....
    Vielleicht kann ich sie mit ein paar guten Tips von euch wieder aufleben lassen ^^


    Prolog

    Nicht selten erwacht man morgens und stellt sich die Frage, wie der Tag wohl ablaufen wird. Oftmals beginnt man ihn mit einer gewissen Routine, ohne einen Gedanken an etwaige Abweichungen in seinen banalen Abläufen zu verlieren. Man hält sich selten mit komplizierten Entscheidungen oder Überlegungen auf, sondern begründet seine Handlungen unbewusst damit, sie seien alltäglich – man agiert aus Gewohnheit.
    Manchmal fängt der Tag angenehm warm an. Gut gelaunt und motiviert steht man begleitet von strahlendem Sonnenschein und Vogelgesang auf, strotzt vor Energie und Optimismus und es kann einem nichts und niemand die Stimmung verderben. Man hat das Gefühl, dass alles so ist, wie es sein sollte und man alles erreichen kann, was man sich in den Kopf gesetzt hat.
    An anderen Tagen dagegen erscheint einem alles trist und dunkel. Immer wieder darüber sinnierend, warum man sich überhaupt aus dem Bett gewagt hat, quält man sich durch den Tag, stößt auf eine Problematik nach der anderen und hofft lediglich, alles irgendwie überwinden zu können.
    Überwiegen diese Tage, dann fühlt man sich mit der Zeit wie von einer tiefen Dunkelheit umgeben, die einen zu verschlingen droht, und man hängt hilflos mit dem Wunsch in der Luft, entweder gerettet zu werden oder endlich hinabzustürzen.
    Wenn man an einem solcher Tage das Glück hat, ein Licht zu erblicken, und sei es noch so klein und weit entfernt, dann muss man alles daran setzen, es nicht aus den Augen zu verlieren und zu erreichen.
    Ob ich früher glücklich war?
    Nun, ich würde sagen, mein Leben war relativ konservativ. Ich kann jedenfalls nicht behaupten, dass ich unglücklich oder dergleichen war. Was genau macht denn glücklich sein aus?
    Ich war weitgehend zufrieden. Beruflich ging es endlich bergauf und privat – wie soll ich sagen – war eigentlich auch alles, wie es sein sollte. Größtenteils jedenfalls…

  • Nachdem der prolog noch nichts hergibt - ist ja noch keine Handlung enthalten - kommt hier einmal der erste Teil vom ersten Kapitel ^^


    Kapitel 1.1

    ›Oh nein, nein! Die Nacht kann doch nicht schon wieder zu Ende sein!‹
    Das schrille und zunehmend lauter werdende Klingeln seines Handyweckers riss Kōsuke unsanft aus dem Schlaf. ›Ich will nicht aufstehen – jetzt noch nicht. Ich hab so überhaupt keine Lust…‹, dachte er. Mit nur einem halb geöffneten Auge griff er desorientiert nach seinem Mobiltelefon, das auf dem Tatami(1)-Boden links neben dem Futon(2) lag, und aktivierte die Schlummer-Funktion des Weckers.
    ›Nur noch zehn Minuten…‹, nahm er sich vor, drehte sich um und zog sich die warme Daunendecke bis nahezu komplett über den Kopf. Lediglich die obere Hälfte seiner Stirn und sein dichtes schwarzes Haar waren noch zu sehen. Es dauerte nicht lange und erneut, kurz nachdem er wieder eingenickt war, ertönte der zweite Weckruf.
    ›Verflucht, das gibt’s ja nicht…‹ Gereizt fuhr Kōsuke hoch, packte sein Handy und stellte das grauenvolle Geklingel ab. Er rollte sich zurück auf den Rücken, tastete nach dem Kopfkissen, schob es unter seinen Nacken und starrte verschlafen an die Decke. Sein Blick war noch ganz verschwommen. Die Holzmaserung der Deckenverkleidung wirkte wie ein einziges Farbgemisch aus Brauntönen, das ins Unendliche verlief.
    ›Heute ist… Donnerstag, oder?‹, überlegte er. ›Ach ja, heut’ ist doch das Meeting mit Herrn Nishimura. Warum kann denn nicht schon Freitag sein!?‹ Widerwillig kniff er seine dunkelbraunen, beinahe schwarzen Augen zu und streckte sich.
    »Kōsuke!«, drang eine weibliche Stimme aus dem Nebenraum.
    Sowie er diese vernahm, zuckte er zusammen und runzelte die Stirn, wodurch seine kräftig gezeichneten dunklen Augenbrauen seinen Missmut deutlich unterstrichen.
    »Schrei nicht so!«, murrte er wehleidig.
    »Kōsuke!« Die Schiebetür zum Schlafzimmer öffnete sich und eine junge Frau streckte ihren Kopf hinein. In ihrem feuchten Haar trug sie pinkfarbene Lockenwickler und ihre Mimik deutete auf leichte Verärgerung hin.»Du kommst zu spät zur Arbeit! Mir kann’s ja egal sein, aber es wäre schön, wenn du heute nicht so spät nach Hause kommst!«, meinte sie ungehalten.
    Mit qualvoll verzerrter Miene setzte er sich auf und kratzte sich am Kopf. »Ist ja schon gut. Ich wollte ja gerade aufstehen«, entgegnete er und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken.
    Obwohl die junge Frau die Tür mit Schwung wieder zugeknallt hatte, konnte er hören, wie sie sich nörgelnd zurückzog.
    ›Lass mich doch einfach zufrieden! Aaah, bin ich müde!‹ Kōsuke rappelte sich schließlich auf und taumelte zum Fenster. Mit einer zügigen Bewegung öffnete er die Vorhänge und verzog sein Gesicht, als das Tageslicht hereinfiel. ›Ist das hell! Und das, obwohl es total bewölkt ist…‹
    Noch einmal streckte er sich und legte dann Bettdecke und Futon zusammen. Stöhnend hob er sein Mobiltelefon vom Boden auf, steckte es in die Tasche seiner grauen Jogginghose und öffnete langsam die Schlafzimmertür.
    »Das Bad ist frei!«, rief die Frau ihm aus dem aus Wohnzimmer zu.
    Kōsuke blickte erst nach rechts durch den Flur, danach nach links, wo sich das Badezimmer befand und steuerte träge darauf zu.
    »Hast du gehört!?«
    »Ja doch!«, entgegnete er ihr genervt und begann, sein Gesicht zu waschen.
    ›Typisch! Sie hat schon wieder meines genommen!‹, dachte er, während er nach einem Handtuch tastete und ins Leere griff. Tropfend holte er sich ein frisches vom Regal, das über der Waschmaschine angebracht war und trocknete sich ab.
    Er verließ das Bad wieder und wollte durchs Wohnzimmer in die Küche, wobei er fast mit der jungen Frau zusammen­stieß. Sie war gerade um die Ecke gebogen, eilte nun ins Badezimmer und begann eine fröhliche Melodie summend sich die Haare zu föhnen.
    ›Wie kann sie morgens schon so energiegeladen sein?‹, fragte sich Kōsuke und sah sich im Wohnzimmer um. Auf dem Couchtisch standen noch die zwei Dosen Bier, die er gestern beim Fernsehen getrunken hatte.
    ›Ich will nicht ins Büro…‹, kam ihm dabei wieder in den Sinn und er begab sich weiter in die Küche, welche lediglich durch eine Anrichte vom Wohnzimmer getrennt war. Aus einem Hänge­schrank nahm er eine Packung Instant-Kaffee und füllte eine Tasse mit Wasser, die er in die Mikrowelle stellte.
    Auf dem Tisch erblickte er zwei Reisbällchen, die auf seiner Aktentasche lagen.
    »Honoka!«, rief er nach der Frau, die im gleichen Moment das Zimmer betrat.
    »Ja, was ist?« Sie war bereits gekämmt und die Lockenwickler hatten hübsche, gepflegte Wellen in ihr schulterlanges braunes Haar gezaubert. Sie trug einen engen schwarzen Rock, der knapp über ihren Knien endete, eine blassgelbe Bluse und um ihren Hals hatte sie ein Seidentuch mit violettem Blumenmuster, das farblich wunderbar mit ihrem Make-up harmonierte.
    »Danke für die Onigiri«, meinte Kōsuke und nahm die Tasse aus der Mikrowelle.
    »In einem ist Katsuobushi(3) und im anderen Kombu(4)«, erklärte Honoka, während sie in ihrer Tasche kramte.
    Mit einem registrierenden Brummen rührte er in der Kaffeetasse und setzte sich an den Tisch.
    »Rina und Naoko kommen so gegen halb sieben vorbei«, sagte sie und zog sich ihren schwarzen Blazer über.
    »Heute!?«, reagierte Kōsuke überrascht und alles andere als begeistert.
    »Das hab ich dir doch letzte Woche schon gesagt«, entgegnete Honoka tadelnd. »Jedenfalls muss ich heute noch ins Fitnessstudio.« Sie nahm ihr Handy vom Tisch und steckte es in die Handtasche. »Kannst du nach der Arbeit bitte einkaufen gehen? Wenn ich nach Hause komme, ist nicht mehr genügend Zeit zum Kochen.«
    »Ich hab heute ein wichtiges Meeting und wollte eigentlich Überstunden machen, weil sich das Projekt sonst bis zur nächsten Woche hinzieht…«, erwiderte er demotiviert.
    »Kannst du nicht von daheim aus arbeiten?«, fragte sie hartnäckig. »Du verziehst dich ja ohnehin jedes Mal, wenn meine Freundinnen hier sind…«
    Kōsuke seufzte entnervt. »Was brauchst du?«
    »Kauf’ bitte Yakitori(5) und frischen Blattsalat – ach, und ein Sechserpack Bier«, orderte sie bestimmt, schlüpfte in ihre schwarzen Samt-Pumps und griff nach ihrem Schlüssel, der an einem Haken an der Wand neben der Eingangstüre hing. »Ich bin dann mal weg! Bis heut’ Abend!« Ohne seine Antwort abzuwarten stürmte sie aus der Wohnung.
    ›Ich hätte gar nicht erst aufstehen sollen…‹, dachte Kōsuke, leerte seine Kaffeetasse und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Antriebslos rückte er mit dem Stuhl zurück, stand auf, stellte die Tasse in die Spüle und holte sein Mobiltelefon aus der Hosentasche.
    ›Was!? Schon viertel nach acht!?‹ Augenblicklich hetzte er ins Schlafzimmer, zog seinen Sweater aus, warf ihn auf die zusammengelegte Daunendecke und öffnete den Kleiderschrank. Er griff sich ein weißes Hemd, zog es an und entschloss sich dann kurzerhand für eine dunkelblau-schwarz gestreifte Krawatte. Hastig aber dennoch ordentlich band er sie vor dem Spiegel auf der Innenseite der Schranktür und rückte den Knoten zurecht.
    Nach kurzem Überlegen stürmte Kōsuke ins Wohnzimmer und öffnete die Balkontür. ›Verflucht, ist das kalt!‹ Er griff sich den Kleiderbügel von der Wäschestange, auf dem seine Hose hing und schloss die Tür sofort wieder. Fröstelnd zog er die Jogginghose aus, welche er wüst auf der Armlehne der weinroten Couch platzierte, schlüpfte in die Anzughose und begab sich wieder zurück ins Schlafzimmer, um die silberne Armbanduhr, die Honoka ihm geschenkt hatte, anzulegen. Nachdem auch der Gürtel anständig saß, schnappte er sich ein paar Socken und hastete in die Küche, setzte sich und zog sie an.
    Sein Handy, das Kōsuke zuvor auf dem Tisch liegen gelassen hatte, steckte er in die Hosentasche, packte die Reisbällchen in eine Plastiktüte, griff sich seine Aktentasche und stellte sie nahe der Eingangstüre auf dem Schuhschrank ab.
    Während er in sein Sakko schlüpfte, blickte er sich unruhig um. ›Wo sind denn schon wieder…?‹ Unter einer Honokas Zeitschriften auf der Anrichte gegenüber der Eingangstüre fand er seinen Schlüsselbund, stieg gestresst in seine Schuhe, nahm Aktentasche und Plastiktüte und trat durch die Tür.
    »Ah, Herr Sasamoto, guten Morgen!«, grüßte ihn die Nachbarin, eine ältere Dame, die ebenfalls gerade ihre Wohnung verließ.
    »Guten Morgen!«, entgegnete Kōsuke, während er die Tür absperrte. Dann lief er die schmale Treppe nach unten, entriegelte per Funk die Fahrzeugtüren seines dunkelgrünen Suzukis, der sich auf dem kleinen Parkplatz hinter dem Haus befand, und stieg ein.
    ›Es ist so kalt. Der Sommer ist wohl endgültig vorbei…‹, dachte er, legte seine Tasche und die Plastiktüte mit den Onigiri auf dem Beifahrersitz ab und blickte in den Rückspiegel, wobei er bemerkte, dass er vergessen hatte, sich zu kämmen. So gut es ging versuchte er, sein zerzaustes Haar in Ordnung zu bringen.
    ›Dann mal los.‹ Er startete den Motor, setzte langsam zurück und fuhr durch die enge Ausfahrt auf die Straße.
    Bei der ersten roten Ampel nahm er eines der Reisbällchen aus der Tüte und begann, zu frühstücken. Zwei Quergassen weiter bog er in eine der Nebenstraßen ein. Da diese größtenteils an Wohnungen, baufälligen Grundstücken oder kleinen Feldern entlang verliefen, waren sie nur mäßig befahren. Diese Route nahm er fast jeden Tag um den Stoßverkehr zu umgehen.
    Kurz nach neun Uhr erreichte Kōsuke das Parkhaus des Unternehmens, in dem er tätig war. Rasant kurvte er durch die Parkreihen, immer weiter nach oben bis auf das vierte Deck, wo er endlich einen freien Platz ausmachen konnte. Dieser befand sich ein schönes Stück vom Eingang ins Bürogebäude entfernt.
    Etwas schräg platzierte er seinen Wagen zwischen einem silberfarbenen BMW und einem roten Honda. Er atmete einmal tief durch und griff entschlossen nach seiner Aktentasche, wobei ihm der Schlüsselbund hinunterfiel und in den Spalt zwischen Mittelkonsole und Fahrersitz rutschte.
    ›Scheiße, auch das noch!‹, fluchte er in Gedanken und tastete danach. Als er ihn aufgehoben und den Wagen abgesperrt hatte, warf er einen Blick auf seine Armbanduhr.
    Mit einem Mal stieg ein Gefühl der Panik in ihm auf. Es war bereits viertel nach neun Uhr und das Meeting mit Herrn Nishimura sollte pünktlich um zehn beginnen. Sofort lief er los und hetzte über das Parkdeck auf die gegenüberliegende Seite, wo sich der Zugang zum Bürogebäude befand. Mit einer Magnetkarte entsicherte er das Schloss der schweren Stahltür, die in ein Treppenhaus mit Aufzug führte. Wiederholt drückte Kōsuke den Aufwärtsknopf des Fahrstuhls, der sich im Erdgeschoss befand, sich aber nicht von der Stelle rührte.
    ›Verdammt, beweg dich!‹ Da Kōsuke von seinem Sprint durch das Parkhaus völlig außer Atem war, wollte er nicht im Traum daran denken, jetzt auch noch nach oben in die zwölfte Etage zu laufen. ›So ein Mist – jetzt komm schon!‹ Endlich setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung, was ihn aufatmen ließ. Da ihm der Schweiß übers Gesicht lief, holte er einen kleines Frottee-Taschentuch aus der Innentasche seines Sakkos und trocknete sich etwas ab. Im nächsten Moment öffnete sich die Aufzugtür und er wurde mit einem schroffen Tonfall begrüßt.
    »Herr Sasamoto! Ich habe Sie schon überall gesucht! Wo zum Teufel waren Sie!?«, stellte ihn ein älterer Herr, der in einen feinen grauen Anzug gekleidet war, zur Rede.

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    1. eine Matte aus Reisstroh
    2. Japanische Schlafmatratze
    3. Bonitoflocken (Thunfisch)
    4. Essbarer Seetang
    5. Grillspieße (meist Huhn)


    Ja, ich weiß - der Anfang (Protag. erwacht) ist schon sehr ausgelutscht, aber der Einstieg in die Geschichte, soll seinen Alltag verdeutlichen :D

  • Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht, was ich davon halten soll @kijkou :) ich werde einfach mal dran bleiben und schauen, was du daraus machst :D

    Zum Prolog

    Den fand ich einsame spitze :D ich hab da nichts zuzufügen und auch ehrlich gesagt nicht nach Fehlern gesucht

    Zu Kapitel 1.1

    Spoiler anzeigen


    Anhand des Titels der Geschichte konnte man ja schon erahnen, wo diese spielen wird ^^ und danke, dass du uns dir Fremdwörter übersetzt hast, ich hätte sie alle googlen müssen ^^

    Sind er und die Frau ein Paar oder was stellen sie dar?

    Das du seinen Alltag erstmal beschreiben wolltest, finde ich gar nicht so schlimm. Bisher ist er mir dadurch nicht sympathisch geworden. Er wirkt gestresst und mürrisch. Freundlichkeit scheint auch an ihm vorbei gegangen zu sein :huh: aber vielleicht kommt da ja noch eine Überraschung. Bis jetzt ist er der typische chronisch arbeitende Mensch :P

    Auch hier habe ich nicht nach Fehlern gesucht, dazu hab ich jetzt keine Lust
    :whistling:

  • Kapitel 1.2

    Kōsuke schreckte auf und seine Augen weiteten sich. »Bitte entschuldigen Sie, Herr Uehara!«, rief er unterwürfig und verneigte sich betreten. Der Fahrstuhl wollte sich eben wieder schließen, was eine elegant gekleidete Frau verhinderte, indem sie ihre Hand in die Lichtschranke hielt.
    »Nun kommen Sie schon! Wir haben dafür jetzt keine Zeit!«, forderte Herr Uehara Kōsuke auf, der verlegen in den Aufzug stieg. Schluckend warf er seinem Vorgesetzten einen flüchtigen Blick zu, welcher ihn musternd die Linke seiner buschigen grauen Augenbrauen in die Höhe zog.
    »Ausgerechnet heute kommen Sie zu spät«, murrte er.
    »Es – es tut mir wirklich sehr leid, Herr Uehara! Es kommt bestimmt nicht mehr vor«, entschuldigte sich Kōsuke abermals. Immer noch lief ihm der Schweiß von der Stirn. Er war nervös und die ganze Situation war ihm sehr unangenehm.
    »Wir können nur hoffen, dass Direktor Iwanabe davon nichts mitbekommen hat!«, entgegnete der Mann streng, rückte seinen Schlips zurecht und sah die elegant gekleidete Dame erwartungsvoll an.
    Diese zückte ihr Telefon, öffnete den elektronischen Kalender und begann darin zu suchen.
    Kōsuke verspürte vor lauter Aufregung fast schon ein Gefühl von leichter Übelkeit und bevor er etwas sagen konnte, kicherte die Frau, schüttelte den Kopf und blickte ihn durch die schmalen Gläser ihrer Brille hindurch an.
    »Da haben Sie aber Glück gehabt. Direktor Iwanabe ist heute erst ab 9:45 im Haus. Jetzt können Sie nur hoffen, dass Ihre Kollegen sich diskret verhalten, Herr Sasamoto«, meinte Sie amüsiert.
    »Nun quälen Sie den armen Jungen doch nicht so vor seiner wichtigen Präsentation, Frau Ōkawa. Er ist sich bewusst, dass ihn das seine Karriere kosten kann, wenn er heute versagt«, meinte Herr Uehara und klopfte Kōsuke kräftig auf die Schulter.
    Dieser verspürte extreme Erleichterung, als sie endlich im zwölften Stockwerk angekommen waren und die Fahrstuhltür sich öffnete. Noch nie kam ihm die Fahrt hinauf so extrem lange vor wie heute.
    Frau Ōkawa, die Sekretärin des Direktors, ließ ihm den Vortritt. »Viel Glück für Ihre Präsentation!«, wünschte sie ihm, nachdem er und Herr Uehara ausgestiegen waren und verschwand dann hinter der sich schließenden Fahrstuhltür.
    »Herr Sasamoto, das wurde für Sie abgegeben!«, rief eine Dame, als Kōsuke mit seinem Vorgesetzten am Empfang vorbei wollte, und deutete auf einen orangefarbenen Umschlag.
    »Ah, das muss die Demo-Disc sein – haben Sie vielen Dank!«, entgegnete er und nahm diesen entgegen.
    »Kommen Sie jetzt endlich!?«, drängte ihn Uehara. »Wir haben nur noch knapp zwanzig Minuten.« Er hielt Kōsuke die Türe zu seinem Büro auf. »Tee!«, rief er der Dame am Empfang zu, welche sogleich aufsprang und den Flur entlang in die Küche eilte. Uehara schloss die Tür. »Geben Sie mir die Unterlagen«, wies er Kōsuke an.
    Dieser stellte seine Aktentasche auf einem Glastisch ab und nahm eine Mappe heraus, welche er Herrn Uehara überreichte.
    »Hm…«, brummte er, wie er sie konzentriert durchsah und nickte wiederholt. »Wirklich gute Arbeit, Sasamoto!«, lobte er Kōsuke, der nun erleichtert aufatmete.
    Mit einem dezenten Klopfen betrat die Empfangsdame den Raum und brachte zwei Tassen grünen Tee, die sie auf dem Tisch abstellte. Zügig verließ sie den Raum wieder, um nicht zu stören.
    »Jetzt müssen Sie nur noch den Kunden überzeugen. Wenn Nishimura begeistert ist, bedeutet das für Sie eine baldige Beförderung. Vermasseln Sie diese Gelegenheit nicht!«, meinte Uehara streng.
    »Ja, ich werde mein Bestes geben.«, entgegnete Kōsuke und nahm seinem Vorgesetzten die Mappe wieder ab.
    »Sie geben da drinnen gefälligst mehr als nur ihr Bestes! Es ist wichtig für die Firma, dass wir Nishimura als Vertragspartner gewinnen. Wenn Sie ihn überzeugen können, werde ich mich dafür einsetzen, dass Sie noch vor dem Jahreswechsel in diese Etage umziehen können.« Uehara lächelte zuversichtlich und drückte Kōsuke den Tee in die Hand.
    »Ich danke Ihnen, Herr Uehara!« Er hob die Tasse an und begann zu trinken, da klopfte es erneut und die Empfangsdame streckte ihren Kopf hinein.
    »Herr Nishimura ist soeben eingetroffen«, gab sie Bescheid und schloss die Türe wieder.
    ›Es ist soweit. Ganz ruhig! Ich bin das mindestens zwanzigmal durchgegangen…‹ Kōsuke bekam Herzklopfen und verspürte wieder dieses ungute Gefühl von Nervosität im Bauch. Er wollte noch einen Schluck Tee machen, wobei er sich verschluckte, sodass ihm Tränen in die Augen stiegen.
    »Na, na, na!« Uehara klopfte ihm hilfsbereit auf den Rücken. »Geht es wieder?«, fragte er ihn.
    Kōsuke nickte und versuchte seinen Hustenreiz unter Kontrolle zu bekommen.
    »Reißen Sie sich zusammen, Sasamoto! Wir dürfen Herrn Nishimura nicht lange warten lassen, auch wenn er überpünktlich ist.« Uehara warf ihm einen besorgten Blick zu.
    »Ich – ich bin soweit. Bitte gehen Sie voraus, Herr Uehara«, bat er seinen Vorgesetzten, nahm eine aufrechte Haltung ein, räusperte sich und atmete tief durch. ›Ich schaff’ das! Nishimura soll laut Hiro ein netter Kerl sein. Einfach immer lächeln und ihm alles genau erklären, dann geht bestimmt alles gut‹, redete er sich im Stillen Mut zu.
    Uehara verließ sein Büro und bog am Empfang rechts ab. Kōsuke folgte ihm bis vor den Präsentationsraum, wo sein Vorgesetzter sich noch einmal umdrehte und ihm motivierend auf die Schulter klopfte. Dann öffnete er die Tür und sie traten ein.
    Im Raum befand sich ein runder Tisch, von dem sich ein wohlgenährter Mann mittleren Alters und eine sehr junge Frau erhoben.
    »Guten Morgen, Herr Nishimura. Verzeihen Sie bitte, dass wir Sie haben warten lassen«, begrüßte Uehara den Geschäftsmann, der sich verneigte. »Mein Name ist Kiyoshi Uehara, Abteilungsleiter in B2B-Marketing und Kundenakquise von Kanagawa Iwanabe Inkasso Ltd.«
    »Shōtarō Nishimura von Nishimura Insurance Corporation, sehr erfreut. Das ist meine Tochter, Rieko«, stellte der füllige Mann die junge Frau vor, die sich ebenfalls verneigte. »Sie wird die Firma eines Tages übernehmen«, erklärte er weiter.
    »Freut mich sehr«, grüßte diese zurückhaltend und strich sich ihr Haar rechts hinter das Ohr.
    »Dieser junge Mann hier heißt Kōsuke Sasamoto und ist erst seit Kurzem im Marketing-Bereich tätig«, erklärte Uehara und verwies auf seinen treuen Angestellten.
    »Es ist mir eine Ehre…« Kōsuke verneigte sich ebenfalls, was ihm Nishimura und seine Tochter gleichtaten.
    »Herr Sasamoto war bis zum Sommer noch Sachbearbeiter und hat zusätzlich zu seinen Tätigkeiten das neue Konzept erarbeitet. Mit seinen knapp dreißig Jahren ist er von unseren jungen Mitarbeitern der zielstrebigste und wir erwarten viel von ihm – aber genug der langen Reden. Herr Sasamoto, bitte erläutern Sie unserem Gast, Herrn Nishimura, das neue Kommunikationssystem im Detail«, forderte Uehara ihn auf.
    Nishimura und dessen Tochter warfen Kōsuke erwartungsvolle Blicke zu.
    Dieser sah die beiden mit großen Augen an. ›Na los! Mach den Mund auf und sag was, du Idiot! Du kennst das Konzept!‹ Er räusperte sich. »…Bitte…nehmen Sie doch Platz«, bat er sie schließlich mit leiser Stimme.
    Herr Nishimura strich sich über seinen grauen Schnauzbart und schmunzelte. »Nur die Ruhe, Herr Sasamoto. Kein Grund zur Nervosität – wir beißen nicht.« Mit einem gutmütigen, brummenden Lachen setzte er sich.
    Kōsuke entgegnete ihm mit einem unbeholfenen Lächeln und stellte seine Aktentasche auf dem Tisch ab, nachdem sich auch die Tochter des Unternehmers und Herr Uehara niedergelassen hatten. ›Dann wollen wir mal…‹
    Er holte die Mappe heraus, die er zuvor seinem Vorgesetzten gezeigt hatte und reichte sie Nishimura, welcher seine Lesebrille aufsetzte und begann darin zu blättern begann.
    »Also, bitte erklären Sie mir, warum wir gerade mit Ihrem Unternehmen eine Partnerschaft eingehen sollten«, sprach er, lehnte sich zurück und legte die Hände auf seinem runden Bauch ab.
    Kōsuke nickte entschlossen. »Für große Unternehmen mit enormem Kundenstamm ist es als Gläubiger immer mit großem Aufwand, beziehungsweise mit viel Zeit verbunden, die Daten der Schuldner vollständig und vor allem aktuell an Inkasso­unternehmen zu übermitteln. Sicher – man kann automatisierte E-Mail-Verteiler einsetzten und vorgefertigte Mails versenden lassen, aber wenn der Schuldner nach der letzten Abmahnung in der Zwischenzeit bereits eingezahlt hat, muss der Gläubiger letztendlich dennoch aktiv mit uns Kontakt aufnehmen.
    Da es im Mail-Verkehr auch sehr häufig zu Überschneidungen kommt, habe ich mich mit unserer EDV-Abteilung zusammengesetzt und gemeinsam mit unserem Softwareentwickler – Herr Ishikawa ist zur Zeit leider im Ausland tätig – ein System entwickelt, das über einen Server die Kundendaten unserer Partner spiegelt und stündlich aktualisiert«, erklärte er und nahm den orangefarbenen Umschlag zur Hand.
    Nishimura und dessen Tochter hörten ihm aufmerksam zu und Uehara lehnte sich jetzt auch etwas entspannter zurück.
    »Ich habe hier eine kurze Demonstration vorbereiten lassen, in der Sie die einzelnen Vorgänge überschaubar mitverfolgen können…«
    Etwa zwanzig Minuten später öffnete sich die Tür zum Präsentationsraum und Herr Nishimura und seine Tochter traten heraus auf den Flur. Uehara und Kōsuke folgten ihnen und begleiteten sie zum Empfang.
    »Wir danken Ihnen für die überaus aufschlussreiche Vorführung, Herr Sasamoto«, sagte Nishimura gut gelaunt, als ihm die Empfangsdame seinen Mantel reichte.
    »Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, Herr Nishimura«, entgegnete Kōsuke und verneigte sich.
    »Ich werde Ihnen morgen die Verträge zukommen lassen.« Der Geschäftsmann schlüpfte mit der Hilfe seiner Tochter in seinen schwarzen Mantel und verbeugte sich ebenfalls.
    »Wir danken Ihnen vielmals!«, brachte auch Uehara seine Freude zum Ausdruck.
    »Der junge Mann hat gute Ideen, Herr Uehara. Achten Sie gut auf ihn! Kreatives Personal ist wertvoll!« Mit diese Worten stieg Nishimura mit seiner Tochter in den Fahrstuhl.
    Sowie sich die Tür geschlossen hatte, klopfte Uehara Kōsuke kräftig auf die Schulter. »Gut gemacht, Sasamoto!«, rief er mit lauter Stimme. »Kommen Sie!«, wies er ihn an und eilte in sein Büro. Er deutet ihm, dass er sich setzten sollte, was dieser auch mit einem ausgefüllten Lächeln tat.
    »Er hat zugestimmt, nicht wahr?«, fragte Kōsuke noch einmal nach, um sicher zu gehen, dass es kein Traum war.
    »Sie haben es geschafft.« Uehara öffnete den Schrank hinter seinem Schreibtisch und holte eine schwarze Flasche heraus, die goldene Schriftzeichen zierten. »Darauf müssen wir anstoßen. Sie trinken doch, oder?«
    Zögernd nickte Kōsuke und atmete tief durch. ›Es hat ihm gefallen. Nishimura hat uns eine Partnerschaft zugesichert! Wenn ich das Honoka erzähle…‹ Sein Lächeln schwand langsam. ›Ach ja, heut’ kommen Naoko und Rina…‹
    »Was ziehen Sie denn für ein langes Gesicht? Hier!« Uehara stellte zwei Masu(1) auf Untertassen vor ihm auf den Tisch und füllte Sake bis zum Überlaufen ein. »Kanpai!«, rief er triumphierend, erhob sein Masu und trank in einem Zug aus.
    »Kanpai!«, entgegnete Kōsuke und nahm einen Schluck von dem teuren Sake.
    »Anfangs hat man Ihnen Ihre Nervosität angesehen, aber dann haben Sie alles wirklich professionell erklärt. Ich werde Direktor Iwanabe von der gelungenen Präsentation berichten und vorschlagen, Sie in den Vorstand der Marketing-Abteilung aufzunehmen. Sie haben gute Ideen.« Uehara schenkte sich noch einmal nach.
    »Haben Sie vielen Dank, Herr Uehara!« Kōsuke stand auf, verneigte sich dankbar und griff nach seiner Aktentasche.
    »Was, Sie wollen schon gehen? Ich habe gehofft, Sie trinken noch zwei oder drei Masu mit mir«, meinte Uehara fast ein wenig enttäuscht.
    »Das würde ich wirklich sehr gerne, jedoch muss ich noch einiges überarbeiten. Ich möchte wenn möglich vor dem Wochenende fertig werden«, erklärte er und blickte auf die Uhr.
    »Sie sind wirklich erstaunlich. Tun Sie mir einen Gefallen und stecken Sie Ihre Kollegen mit Ihrem Fleiß an«, entgegnete sein Vorgesetzter gefolgt von einem herzhaften Lachen.
    Kōsuke nickte und verließ das Büro von Herrn Uehara. Mit freudiger Miene schritt er am Empfang vorbei und nahm die Treppe hinunter in die zehnte Etage. Er betrat das Großraumbüro, in dem sich sein Arbeitsplatz befand, und steuerte auf diesen zu.
    »Sasamoto! Da bist du ja!«, rief ein Kollege hektisch nach ihm. »Hier geht alles drunter und drüber! T.O.Networks hat an die zwölfhundert E-Mails `rausgeschickt. Die müssen unbedingt noch heute bearbeitet werden – wir brauchen jeden Mann!«
    »Aber…« Kōsuke stellte wie erschlagen die Tasche auf seinem Schreibtisch ab und ließ sich in den Drehstuhl fallen.
    »Ich verbinde deinen Account sofort mit dem Posteingang. Mach dich bitte gleich an die Arbeit!«, wies ihn sein Kollege an, der vier Tische entfernt von ihm saß.
    ›Aber ich wollte doch am Projekt weiterarbeiten…‹ Widerwillig loggte er sich in seinen Rechner ein. »Hey, Takagi!«, rief er, stand auf und lehnte sich über die Trennwand seines Arbeitsplatzes. »Ich muss heut’ unbedingt pünktlich aus der Firma, sonst dreht mir Honoka den Hals um!«
    »Dann sag ihr, wir haben einen Notfall!«, brüllte sein Kollege quer durch den Raum, ohne seinen Blick vom PC abzuwenden.
    »Glaub mir, das hätte keinen Sinn…«, murmelte Kōsuke, setzte sich wieder und öffnete demotiviert das E-Mail­programm.

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    1. Quadratische Trinkbecher aus Holz


    @LadyK danke für dein Kommi ^^

    Spoiler anzeigen


    Sind er und die Frau ein Paar oder was stellen sie dar?
    Kommt noch ^^

    Das du seinen Alltag erstmal beschreiben wolltest, finde ich gar nicht so schlimm. Bisher ist er mir dadurch nicht sympathisch geworden. Er wirkt gestresst und mürrisch. Freundlichkeit scheint auch an ihm vorbei gegangen zu sein aber vielleicht kommt da ja noch eine Überraschung. Bis jetzt ist er der typische chronisch arbeitende Mensch
    Ja, ganz genau, so solls sein :D

    Der erste Tag in der Geschichte zeigt sein stink-langweiliges Leben und am Morgen von Tag 2 beginnt die eigentliche Handlung ^^

    LG kij

  • Hallöchen @kijkou ^^

    Ich habe mir deine Geschichte auch mal zur Gemüte geführt und muss sagen, dass sie mir bis hier her ganz gut gefällt. Zur Handlung lässt sich ja noch nicht so viel sagen, aber dein Schreibstil ist angenehm und der Text, obwohl es bloß Alltag ist, nicht langweilig.
    Grobe Komma- oder Grammatikfehler habe ich beim lesen nicht entdecken können und das ist schon mal sehr gut. Logisch ist mir bloß eine Frage eingefallen, aber die lässt sich bestimmt schnell beseitigen.


    Obwohl die junge Frau die Tür mit Schwung wieder zugeknallt hatte

    Man kann Schiebetüren zuknallen? Ich weiß nicht ?( Irgendwie kommt mir das komisch vor. Schiebetüren sind für mich so gleitend und langsam... Irgendwie schwer die zu zu knallen. Und ein echtes Knallen wäre es für mich dann auch nicht, sondern mehr so etwas wie schubsen.


    Ich werde auch jeden Fall wieder reinschauen, wenn es weiter geht.

    Liebe Grüße,
    Nanook

    Sei höflich und bescheiden,

    Sei geduldig und beherrscht,

    Vervollkommne deinen Charakter,

    Sei gerecht und hilfsbereit,

    Sei mutig!

  • Kapitel 1.3

    Kurz nach fünf Uhr war der Posteingang beinahe vollständig geleert und Kōsuke packte seine Sachen zusammen. Erschöpft und mit leichten Kopfschmerzen machte er sich auf ins Parkhaus.
    ›Na wunderbar! Jetzt kann ich morgen bis spät in die Nacht hinein arbeiten, oder am Wochenende in die Firma fahren‹, dachte er auf dem Weg zu seinem Wagen. ›Am besten, ich leg mich gleich schlafen. Wenn die zwei Klatschtanten vorbeikommen, hab ich sowieso keine Ruhe um mich zu konzentrieren…‹ Geschlaucht stieg er ins Auto und fuhr los.
    ›Und jetzt auch noch einkaufen – da komm ich dann erst um sechs heim und duschen will ich auch noch, bevor Honokas Freundinnen kommen.‹
    Auf der Hauptstraße, wo sich der am nächst­gelegene Supermarkt befand, staute es sich zu dieser Stunde nahezu jeden Tag. Viele Leute waren auf dem Heimweg und sorgten für Verkehrschaos. ›Nein, genug!‹ Kōsuke bog in eine Nebenstraßen ein. ›Ich kaufe schnell etwas in einem der Convenience Shops in der Nachbarschaft‹, dachte er und nahm die übliche Route.
    Vor einem Laden, vielleicht zehn Minuten von seinem Wohnhaus entfernt, hielt er an. Nachdem er diesen betreten und sich einen Einkaufskorb genommen hatte, blieb er vor dem Kühlregal stehen und sah sich um.
    ›Yakitori – Yakitori – haben die hier keine Grillspießchen?‹ Er kratzte sich am Kopf und überlegte.
    ›Was wollte Honoka noch? Salat und… Bier!‹ Etwas desorientiert begab er sich in die Nähe des Eingangs zurück, wo er sich einen Kopfsalat und zwei Gurken griff. Vor den Snacks und Backwaren hielt er inne und griff sich kurzerhand ein Pizzabrötchen. Weiter hinten aus dem Getränkeregal holte Kōsuke sieben Dosen Bier, schlichtete sie in den Einkaufskorb und begab sich zügig zur Kasse, wo sich auch eine Wärmevitrine befand.
    »Ja, bitteschön …«, forderte ihn der Shop-Angestellte freundlich auf.
    Kōsuke stellte seinen Korb auf dem Tresen ab. »Und geben Sie mir bitte noch – ähm, zwölf Stück von denen«, bat er und deutete auf Karaage, gebackene Hühnerstücke, die in der Vitrine lagen.
    »Gerne«, entgegnete der Verkäufer und packte alles ein.
    Kōsuke bezahlte, verließ den Laden und hastete mit der schweren Einkaufstüte zurück zu seinem Wagen. Mit seiner freien Hand durchsuchte er seine Hosentasche.
    ›Wo sind die blöden Schlüsseln jetzt schon wieder!?‹ Er tastete, ob sich der Schlüsselbund vielleicht in seiner Gesäßtasche befand, doch er wurde auch dort nicht fündig.
    ›Das gibt’s ja nicht!‹ Hektisch stellte er die Einkaufstüte auf das Dach seines Wagens und überprüfte noch einmal beidhändig alle Taschen.
    »Entschuldigen Sie bitte«, vernahm er eine leise Frauenstimme hinter sich, schenkte ihr jedoch keine Beachtung, da er ganz vertieft in die Suche war.
    »Ähm – entschuldigen Sie…«
    »Was!?«, fauchte er entnervt und fuhr herum. Vor ihm stand eine zierliche junge Frau, die ihn mit großen Augen etwas verschreckt anstarrte. Sie hielt einen Schlüsselbund in ihrer Hand.
    »Entschuldigung – ich …«, stammelte sie. »Den haben Sie vorhin im Laden fallen gelassen«, meinte sie dann freundlich lächelnd und streckte ihm diesen entgegen.
    Kōsuke sah sie perplex an. »Oh, bitte entschulden Sie, dass ich Sie …« Seufzend nahm er ihn ihr ab und verneigte sich etwas beschämt, weil er die arme Frau so angefahren hatte. »Haben Sie vielen Dank.« Er erwiderte ihr Lächeln.
    »Keine Ursache«, entgegnete die Frau achselzuckend, drehte sich um und ging zu ihrem Fahrrad.
    ›Glück gehabt …‹ Er seufzte abermals, nahm die Tüte vom Dach und stieg schließlich ins Auto. Nachdem er den Motor gestartet hatte, hielt er nach der Frau Ausschau, um sich nochmals zu bedanken, doch sie war vermutlich schon weg. Er legte den ersten Gang ein und fuhr langsam los.
    ›Wirklich nett von ihr, mir den Schlüssel hinterher zu tragen und ich Idiot brüll’ sie so an.‹
    Enttäuscht von sich selbst schüttelte er den Kopf. ›Ich muss dringend mal wieder entspannen. Ich arbeite ja nur noch und an den Wochen­enden sind wir ständig bei Honokas Eltern. Wenn ich nicht bald wieder Zeit für mich selbst habe, dreh’ ich noch durch …‹
    Als er in die schmale Einfahrt des Mietparkplatzes fuhr und um die Ecke bog, bemerkte er, dass Honoka bereits zu Hause war. ›Ihr Fahrrad – sie ist schon vor mir da? Verdammt, wie spät ist es!? Egal – schnell duschen und dann verzieh’ ich mich ins Schlafzimmer …‹
    Er griff sich seine Aktentasche und die Einkaufstüte, sperrte den Wagen ab und rannte die Treppe nach oben. Sowie er den Schlüssel zur Hand nahm, öffnete sich unerwartet die Türe.
    »Kōsuke, da bist du ja!«, begrüßte ihn Honoka ungeduldig. »Warst du einkaufen?«, fragte sie direkt.
    ›Ja, ich hatte einen schönen Tag, danke der Nachfrage…‹ Er blickte sie genervt an und reichte ihr die Einkaufstüte. »Ja, war ich.«
    Honoka verschwand mit der Tüte in der Küche.
    »Ein Bier gehört mir!«, rief er ihr hinterher und zog sich die Schuhe aus.
    »Karaage!?«, ertönte ihre von Enttäuschung erfüllte Stimme. »Hab ich nicht gesagt …«
    »Yakitori war aus«, fiel er ihr ins Wort. »Du kannst ja das nächste Mal selbst gehen«, meinte er mürrisch und nahm Honoka im Vorbeigehen das Pizzabrot aus der Hand, das sie gerade aus der Einkaufstüte genommen hatte.
    »Wir haben ja heute gute Laune!«, rief sie ihm nach und stellte die Bierdosen in den Kühlschrank.
    Kōsuke packte das Brot aus, nahm einen großen Bissen, legte es auf der Anrichte im Schlafzimmer ab und begann sich auszuziehen. Aus dem Schrank holte er sich frische Shorts und trottete ins Bad.
    ›Bei meinem Glück kommen die Mädels genau dann, wenn ich unter der Dusche steh’ …‹ Er öffnete die Tür zum Duschraum, drehte das Warmwasser auf und schloss die Bade­zimmertür. Danach legte er sich ein großes Handtuch zurecht, zog seine Unterwäsche aus, welche er in die Waschmaschine warf. Er stellte sich unter den Wasserstrahl, schloss seine Augen und ließ das angenehm heiße Wasser übers Gesicht laufen. Das erste Mal an diesem Tag fühlte er ein wenig Entspannung.
    ›Morgen ist Freitag – endlich. Morgen noch Überstunden und am Wochenende will ich dann meine Ruhe. Diesmal kann Honoka alleine zu ihren Eltern fahren – ich brauch’ eine Pause …‹ Er öffnete seine Augen wieder, nahm etwas Shampoo und massierte es in sein volles Haar ein.
    Wie zuvor befürchtet, hörte er plötzlich das Klingeln an der Haustür. ›Das war so klar!‹ Schnell spülte er das Shampoo wieder aus, seifte sich mit extremem Tempo ein und duschte sich ab. Geräuschlos öffnete er die Tür und nahm sich das Badetuch, das er zuvor auf der Waschmaschine platziert hatte.
    Draußen war es schon lauter geworden, denn die Freundinnen waren bereits dabei, sich zu unterhalten und den neuesten Tratsch auszutauschen.
    Nachdem Kōsuke halbwegs trocken war, zog er seine Shorts an und wollte sich ins Schlafzimmer schleichen, doch die Frauen hatten es sich schon im Wohnzimmer bequem gemacht und konnten einen Blick erhaschen.
    »Da ist er ja, dein gutaussehender Kōsuke!«, rief Naoko kichernd an Honoka gewandt.
    Ihnen keine Beachtung schenkend verschwand er im Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.
    »Hey, Kōsuke! Du hast was vergessen!«, meinte Rina amüsiert, als sie seine Jogginghose auf der Couch entdeckte und hob sie auf.
    »Er ist heute nicht besonders gut gelaunt – vermutlich Ärger in der Arbeit«, seufzte Honoka. »Gib her, ich bringe sie ihm.« Sie nahm Rina, die ein breites Grinsen aufgesetzt hatte, die Hose ab.
    »Wenn du ihn nicht bald dazu bringst, dich zu heiraten wird ihn dir Rina noch wegschnappen!«, meinte Naoko scherzhaft.
    »Ja, sieh dich vor!« Rina lachte.
    »Da hättest du nicht viel Freude«, entgegnete Honoka und sauste ins Schlafzimmer.
    »Sag doch wenigstens 'hallo'«, bat sie Kōsuke und warf ihm die Hose zu.
    »Schon gut, ich zieh’ mich vorher nur an, wenn ich darf«, entgegnete er schnippisch und deutete Honoka, sie solle wieder rausgehen, was sie auch kopfschüttelnd tat. Kōsuke zog sich die Jogginghose und den Sweater von letzter Nacht über und begab sich demotiviert ins Wohnzimmer.
    »Guten Abend, die Damen!«, begrüßte er Rina und Naoko im Vorbeigehen. »Der Reis ist fertig!«, rief er Honoka aus der Küche zu, nahm sich sein Bier aus dem Kühlschrank und machte sich mit einem gekünstelten Lächeln auf den Weg zurück ins Schlafzimmer. Dort holte er sein Mobiltelefon aus der Hosentasche, steckte Ohrhörer an und öffnete eine Playliste mit lauter Musik um das Gelächter der Frauen zu übertönen. ›Ja, das ist genau richtig …‹ Schmunzelnd nahm er den Rest des Pizzabrotes, öffnete das Bier und setzte sich auf den gelben Sofasessel, der neben der Anrichte in der Ecke des Raums stand.
    Nachdem er das Brot gegessen hatte, las er noch ein paar Minuten in einem Manga(1) und wollte dann schlafen gehen. Er breitete den Futon aus und kroch gähnend unter die Daunendecke.
    Als ihm schon beinahe die Augen zugefallen waren, schreckte er noch einmal auf und stellte den Handywecker. ›Geht doch nach Hause …‹, dachte er, wie er wieder das Gekicher der jungen Frauen vernahm, war aber glücklicherweise erschöpft genug, um bald darauf einzuschlafen.
    Am nächsten Morgen, schon bevor der Wecker geläutet hatte, wachte Kōsuke auf. Er blickte sich um. Rechts von ihm schlief Honoka noch tief und fest. Sie hatte heute frei.
    Möglichst leise, um sie nicht zu wecken, machte er sich fertig für die Arbeit. Er war gerade dabei, sich Kaffee zu machen, da kam Honoka in die Küche getorkelt. Verschlafen setzte sie sich zu ihm an den Tisch und sah ihm zu, wie er mit dem Löffel in seiner Tasse rührte.
    »Morgen!«, meinte er freundlich, woraufhin sie nur ein ächzendes Geräusch von sich gab. »Wann sind die beiden denn gegangen?«, fragte er und trank den noch heißen Kaffee zügig aus.
    »Hm… Hab nicht auf die Uhr gesehen, aber ich denke, es war noch vor Mitternacht«, murrte sie gähnend. »Ich hab mir dann aber noch einen Film angesehen und bin erst um drei ins Bett …«
    Kōsuke erhob sich vom Tisch und stellte die Tasse in die Spüle. »Ich werd’ heute Überstunden machen – wird bestimmt spät werden. Eigentlich hätte ich gestern länger arbeiten wollen, aber ja …« Er warf ihr einen etwas nachtragenden Blick zu. »Und in der Firma war auch die Hölle los. Jedenfalls will ich heute das Projekt fertigbekommen, dann können wir nächstes Jahr, sofern ich einen Bonus bekomme, endlich auf Urlaub fahren.«
    »Gut, dann warte ich mit dem Abendessen nicht auf dich«, entgegnete sie teilnahmslos, stand auf und schleppte sich wieder ins Bett.
    ›Dann wartet sie eben nicht … Schön!! Ich esse ohnehin lieber auswärts!‹, dachte Kōsuke gereizt und verließ die Wohnung.
    Da er noch nicht gefrühstückt hatte, hielt er kurz an dem gleichen Convenience Shop, an dem er am Vorabend eingekauft hatte und holte sich ein Yakisoba-Pan(2), was er vorerst auf den Nebensitz platzierte und fuhr weiter.
    ›Egal, was Takagi heute sagt, ich muss am Programm weiter­arbeiten. Auch wenn noch so viele E-Mails reinkommen – heute müssen sie auf mich verzichten. Abgesehen davon ...‹
    Das Vibrieren seines Mobiltelefons riss ihn aus seinen Gedanken. Er nahm es aus seiner Tasche und warf einen Blick darauf. ›Was will sie denn jetzt schon wieder?‹ Seufzend hielt er an einer ungeregelten Kreuzung an, öffnete die Nachricht von Honoka und begann zu lesen.
    --- Kannst du auf dem Heimweg bitte noch Reis mitnehmen? Ich hab gestern fast alles für die Mädels verbraucht und wollte heute nicht mit dem Auto raus. ---
    Kōsuke atmete tief durch, schnaubte widerwillig und legte das Telefon auf den Beifahrersitz. Er blickte nach rechts, dann nach links und fuhr weiter.
    ›Am liebsten würde ich ihr schreiben, sie soll gefälligst selbst ihren Hintern hinaus bewegen … Ach, verdammt!‹ Er nahm das Handy wieder zur Hand und begann zu tippen.
    --- Das ist jetzt aber das letzte Mal … ---
    Plötzlich tauchte ein Fahrradfahrer vor ihm auf. Sofort trat er auf die Bremse, doch es war zu spät. Er rammte das Fahrrad und der Fahrer schlug vor Kōsukes Wagen hart auf dem Asphalt auf.


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    1. Japanischer Comic
    2. Hotdogbrötchen gefüllt mit gebratenen Nudeln


    Hi @Nanook ^^

    Ich habe mir deine Geschichte auch mal zur Gemüte geführt und muss sagen, dass sie mir bis hier her ganz gut gefällt. Zur Handlung lässt sich ja noch nicht so viel sagen, aber dein Schreibstil ist angenehm und der Text, obwohl es bloß Alltag ist, nicht langweilig.

    Danke dir :) Die Handlung beginnt jetzt mehr oder weniger in diesem Teil ^^

    Man kann Schiebetüren zuknallen? Ich weiß nicht Irgendwie kommt mir das komisch vor. Schiebetüren sind für mich so gleitend und langsam... Irgendwie schwer die zu zu knallen. Und ein echtes Knallen wäre es für mich dann auch nicht, sondern mehr so etwas wie schubsen.

    Das dachte ich früher auch mal, aber mein kleines Monster kann das ganz gut. Die Schiebetüren bei uns liegen in einer Art Holzspur, in der sie gleiten - das aber sehr schnell, wenn man sie ordentlich anschiebt und die knallen dann eben gegen den Türstock ^^ Sind ja eigentlich nur mit dickem Papier bespannte Holzrahmen, von denen meine Kleine einen schon ganz schön deformiert hat :D

    Ganz liebe Grüße, kij

  • Hier war ich denn auch schon mal :)

    Spoiler anzeigen

    Gut, dann sind die beiden scheinbar ein Paar... Komische Beziehung, die die beiden da führen. Ich würde irre werden. Aber zwischen Job und Alltag kann sowas durchaus leiden, leider :|

    Zitat von kijkou

    Plötzlich tauchte ein Fahrradfahrer vor ihm auf. Sofort trat er auf die Bremse, doch es war zu spät. Er rammte das Fahrrad und der Fahrer schlug vor Kōsukes Wagen hart auf dem Asphalt auf.

    Wen er da wohl angefahren hat... Ich hab da eine Vermutung ;) aber psssst.... :whistling:

    Also momentan habe ich noch keine Ahnung, auf welche Reise du uns mit nimmst. Also warte ich noch auf den Moment, der mir die Erleuchtung bringt :D

    LG die Lady im Dienst ^^

  • Danke dir!
    GLG kij

  • Und was lernen wir daraus :?: Nicht das Handy am Steuer verwenden :!:

    Bin gespannt, wie es weiter geht ^^

    Sei höflich und bescheiden,

    Sei geduldig und beherrscht,

    Vervollkommne deinen Charakter,

    Sei gerecht und hilfsbereit,

    Sei mutig!

  • @Nanook Ja, genau - Blick immer schön auf die Straße ^^


    Kapitel 1.4

    ~~~~~~~~~~~~~
    Dieser Tag war zweifelsohne der schlimmste meines Lebens.
    Ich hätte mir nie gedacht, dass so einfache Handlungen – alltägliche Dinge,
    denen man kaum oder gar keinerlei Bedeutung beimisst, in nur einem kurzen Augenblick
    derartige Auswirkungen haben können…
    Kōsuke Sasamoto 笹本幸輔
    ~~~~~~~~~~~~~

    Mit weit geöffneten Augen und stockendem Atem blickte Kōsuke starr auf die Person, die ungefähr drei Meter vor seinem Wagen regungslos auf der Straße lag. Seine Hände klammerten sich fest um das Lenkrad und sein Herz hatte vermutlich einen kurzen Augenblick ausgesetzt. Er holte tief Luft und ließ langsam vom Steuer ab. ›Nein…‹ Er schluckte und sein Puls begann zu rasen, als wolle er die versäumten Herzschläge wieder nachholen. Befangen tastete er mit seiner linken Hand nach dem Verschluss des Sicherheitsgurtes und öffnete diesen, ohne seinen Blick auch nur einen kurzen Moment von der Straße abzuwenden. Er stellte den Motor ab und öffnete die Fahrzeugtür. Mit weichen Knien stieg er aus und schritt auf den Radfahrer zu. Etwa einen Meter vor diesem hielt er mit besorgter Miene inne und hoffte vergebens darauf, dass er wieder aufstehen würde. Ganz langsam näherte er sich der Person schließlich und musterte sie genau. Sie war nicht sonderlich groß, war in eine braune Daunenjacke gekleidet und trug eine schwarze Pudelmütze. Seitlich mit dem Rücken zu ihm lag sie auf dem Asphalt und rührte sich nicht.
    »Ha–hallo?«, hauchte er bang, doch die Person antwortete nicht. »Es… es tut mir leid…« Kōsuke berührte zaghaft ihre Schulter, aber auch hier kam keine Reaktion. Hektisch blickte er sich um. Die Straße war leer und es waren keine Menschen in der Nähe zu sehen. ›Ist… er tot? Nein, bestimmt nicht – so schlimm kann er nicht gestürzt sein…‹ Vorsichtig umfasste er den Oberarm des Fahrradfahrers und rollte ihn behutsam zur Seite auf den Rücken. Sowie er das Gesicht der Person sah, schreckte er zurück.
    ›Aber das ist doch…‹ Es war eine junge Frau, die er von irgendwo her kannte. Ja, es handelte sich um die Frau, die am Vorabend seinen Schlüssel gefunden hatte. »Sie… a–aber…«, stammelte er perplex. Er packte sie an den Schultern und versuchte sie sachte wachzurütteln, doch nachdem die Frau immer noch keine Regung zeigte, überkam ihn ein noch größeres Gefühl der Panik. Er beugte sich über sie und hielt sein Ohr nahe an ihr Gesicht. ›Oh, Gott sei Dank – sie atmet…‹ Vorsichtig schob er seinen Arm unter ihren Nacken, um sie aufrichten zu können. Dabei fühlte er etwas feuchtes und blickte auf seine Hand. ›Blut? Wo kommt das Blut her!?‹ Wieder sah er sich aufgeregt um.
    »Hilfe! Bitte!«, rief er aufgelöst. »Bitte, kann uns irgendjemand helfen!? Sie… sie muss ins Krankenhaus!«, schrie er, doch nahe der Unfallstelle befanden sich lediglich eine Baustelle, ein kleiner Acker und vereinzelt kleine Wohnhäuser, in denen anscheinend niemand zuhause war. Kein Mensch weit und breit zu sehen, nur aus der Ferne konnte man von der parallel verlaufenden Hauptstraße Verkehrslärm vernehmen. Kōsuke starrte die bewusstlose junge Frau an, deren Kopf er mit seinem Arm stützte. Ihre Haut war sehr blass und sie wirkte völlig hilflos. »Es – es tut mir so leid…«, flüsterte er. Behutsam nahm er seinen Arm wieder unter ihrem Nacken hervor und legte sie sanft zurück auf den Boden. ›Der Notruf – wo ist mein Telefon?‹ Er fuhr hoch, drehte sich um und rannte zu seinem Wagen, wobei er fast über das dunkelblaue Fahrrad der jungen Frau stolperte. Sein Mobiltelefon war ihm zuvor aus der Hand gefallen und lag auf der Fußmatte vor dem Fahrersitz. Eilig hob er es auf und wollte den Notruf wählen, vertippte sich aber aufgrund seiner zittrigen Hände ständig auf dem Touchscreen, der mittlerweile blutverschmiert war. ›Na los, verdammt! Komm schon – 1・1・9 – das kann doch nicht so schwer sein!‹ Endlich schaffte er es, eine Verbindung herzustellen. »Ja – hallo. Hören Sie, wir brauchen sofort einen Krankenwagen! Es – es hat einen Unfall gegeben! Eine Frau – sie ist verletzt! … Ich weiß nicht genau – sie blutet – eine Kopfverletzung vielleicht – sie ist bewusstlos! … Auf einer Nebenstraße parallel zum Fuchū Highway – müsste in der Nähe vom Nakanoshima Postamt sein, glaube ich… Ja, das ist meine Telefonnummer… Sasamoto, Kōsuke… Ja – bitte beeilen Sie sich!«
    Nachdem er das Gespräch beendet hatte, eilte er zurück zu der jungen Frau. ›Hoffentlich kommt der Krankenwagen bald…‹ Er hockte sich neben sie und beobachtete sie angespannt.
    Aus der gleichen Richtung, aus der auch Kōsuke gekommen war, näherte sich ein Auto. Zunächst wollte der Fahrer des Wagens überholen, realisierte dann aber das Geschehen und hielt ein wenig abseits der Unfallstelle an.
    »Ach du meine Güte! Was ist denn passiert!?«, rief der Fahrer, ein älterer Herr, wie er aus dem Auto stieg und kam herbeigeeilt.
    »Ich – ich hab sie nicht gesehen – sie war auf einmal direkt vor mir und ich…«, wollte Kōsuke erklären.
    »Haben Sie den Notarzt gerufen?«, fiel ihm der Mann aufgeregt ins Wort.
    »Ja, gerade eben«, entgegnete er und wandte sich der bewusstlosen Frau wieder zu.
    »Sie ist nicht ansprechbar?«, fragte der Herr weiter, worauf Kōsuke niedergeschlagen den Kopf schüttelte. »Die arme Frau! Hoffentlich ist es nicht schlimm und sie…« Der Mann hielt inne, denn nun konnte man schon die Sirene des Einsatzfahrzeugs aus der Ferne vernehmen.
    »Können Sie vielleicht nach dem Krankenwagen sehen, bitte? Ich habe keine genaue Adresse angeben können…«, bat Kōsuke den Fremden, der bereitwillig nickte und sofort in die Richtung lief, aus der die Sirene zu hören war. Angespannt sah er ihm hinterher. ›Bitte, beeilt euch…‹, dachte er und biss sich angespannt auf die Lippe. Plötzlich griff die junge Frau nach Kōsukes Hand. Erschrocken riss er seinen Kopf herum. Sie lag immer noch mit geschlossenen Augen regungslos da. Lediglich ihre linke Hand umfasste sein Handgelenk. »Ha–hallo? Können Sie mich hören?«, fragte er unruhig, doch auch dieses Mal bekam er keine Antwort.
    Endlich bog der Rettungswagen in die Straße ein und hielt unmittelbar neben ihm und der Verletzten. Zwei Sanitäter und ein Notarzt stiegen aus und eilten herbei.
    »Bitte treten Sie zurück!«, wies einer der Sanitäter Kōsuke an.
    »Sie, ähm – ihre Hand…« Er machte sie darauf aufmerksam, dass die junge Frau ihn festhielt.
    »Haben Sie angerufen?«, fragte einer der Rettungskräfte, während er vorsichtig ihren Griff um Kōsukes Handgelenk löste.
    »Ja, gleich nachdem ich bemerkt habe, dass sie verletzt ist…«, entgegnete dieser.
    »Sie sind der Fahrer des grünen Wagens da?«, wollte er weiter wissen.
    Kōsuke nickte, trat beiseite und sah zu, wie der Sanitäter den Kopf der Frau stabilisierte. Der Arzt öffnete ihre Jacke und überprüfte mittels Stethoskop ihre Atmung. Sorgfältig tastete er Brustkorb und Bauch ab. »Sie hätten sie in stabile Seitenlage bringen sollen«, meinte er zu Kōsuke.
    »Stabile Seitenlage – da-daran habe ich gar nicht gedacht«, entgegnete dieser erschrocken. »Hab’ ich es damit verschlimmert?«, fragte er besorgt.
    »Nein, ihre Atmung ist stabil, aber generell gilt – sofern das Unfallopfer atmet, immer in Seitenlage bringen!«, rügte der Arzt ihn und nahm dann eine Lampe zur Hand, die wie ein Stift aussah, mit der er die Augen der Verletzten untersuchte.
    »Rechte Pupille erweitert, linke normal«, murmelte er konzentriert. »Kennen Sie die verletzte Person?«, wandte er sich danach an Kōsuke.
    »Ja – also eigentlich nein – ich weiß nicht, wie sie heißt«, entgegnete er. »Was ist mit ihr? Warum wacht sie nicht auf?«
    »Bitte schildern Sie mir so genau wie möglich, wie sich der Unfall ereignet hat«, bat der Arzt ohne auf Kōsukes Fragen einzugehen.
    »Ich hab nicht mehr bremsen können – das Fahrrad gerammt und sie ist gestürzt«, erklärte Kōsuke aufgeregt.
    »Haben Sie gesehen, wie sie aufgekommen ist, insbesondere, wie sie mit dem Kopf aufgeschlagen ist? War die Frau nach dem Sturz noch bei Bewusstsein?«, fragte der Notarzt.
    »Es – es ging alles wahnsinnig schnell… Ich bin nicht sicher – sie war gleich bewusstlos, denke ich… Vorhin hat sie nach meiner Hand gegriffen, hat sich aber sonst nicht bewegt oder gesprochen.« Kōsuke fuhr sich mit beiden Händen aufgebracht durchs Haar. ›Was ist denn jetzt? Was hat sie? Verdammt, warum sagen die nichts?‹
    Der zweite Sanitäter holte eine Trage, die er neben der Verletzten platzierte. Der Arzt legte ihr eine Halskrause an, nahm ihr vorsichtig die Mütze ab und versorgte die Wunde an ihrem Hinterkopf provisorisch, während der Sanitäter ihren Blutdruck maß.
    »Hundertvier zu siebenundfünfzig – Puls liegt bei neunundfünfzig«, meinte dieser.
    »Gut, wir schließen sie im Wagen an«, beschloss der Notarzt, wonach sie die junge Frau auf der Trage platzierten und sie in den Krankenwagen verluden.
    »Was – was ist denn nun mit ihr!?«, wollte Kōsuke wissen und folgte den Einsatzkräften zum Fahrzeug.
    »Das können wir hier jetzt an Ort und Stelle unmöglich genau sagen«, entgegnete der Arzt und deutete ihm zurückzutreten, da sie die Fahrzeugtür schließen wollten.
    »Wo bringen Sie sie jetzt hin? Bitte, sagen Sie mir, in welches Krankenhaus Sie fahren!«, drängte er beharrlich.
    »Vermutlich ins St. Marianna«, meinte der Sanitäter, der die Tür des Krankenwagens schloss, entgegenkommend und stieg dann auf der Beifahrerseite ein.
    Das Einsatzfahrzeug setzte sich in Bewegung, drehte um und bog an der Kreuzung ab.
    »Was sagen die Ärzte? Was fehlt ihr?«, fragte der ältere Mann von vorhin, der sich im Hintergrund gehalten hatte um nicht zu stören.
    »Ich habe keine Ahnung…« Kōsuke blickte auf die Stelle, wo die junge Frau gelegen hatte und sich jetzt ein Blutfleck befand. ›Verdammt! Was, wenn sie stirbt…?‹
    »Na hoffentlich ist es nicht schlimm«, murrte der betagte Herr und schüttelte bestürzt den Kopf.
    »…St. Marianna Krankenhaus – ich fahr’ hin!«, rief Kōsuke entschlossen, öffnete den Kofferraum seines Wagens, um das Fahrrad der jungen Frau darin zu verstauen. Wie er es aufstellen wollte, entdeckte er ein blaues Klapphandy darunter. ›Das gehört wohl ihr‹, dachte er, hob es auf und steckte es in die Sakkotasche. Danach schob er das leicht deformierte Gefährt zu seinem Wagen. Der Mann sah ihm zu, wie er es in den Kofferraum lud und dann wieder ins Auto stieg. Kōsuke nahm sein Mobiltelefon aus der Hosentasche, auf dessen Display sich immer noch Blut befand, und wischte es mit einem Taschentuch ab, sodass es wieder sauber und alles leserlich war.
    Hektisch klopfte der ältere Mann nun an das Fenster der Beifahrerseite, woraufhin Kōsuke dieses zur Hälfte hinunterließ. »Sie fahren also ins Krankenhaus? Vergessen Sie aber nicht, sich auch bei der Polizei zu melden, ja?«, drängte er ihn.
    »Ja, natürlich! Was denken Sie denn!?«, entgegnete er aufgebracht.
    »Dann ist’s ja gut…«, murmelte der Alte, ging zurück zu seinem Auto, stieg ein und schrieb sich noch Kōsukes Kennzeichen auf, bevor er weiterfuhr.
    ›Was denkt sich der denn!? Seh’ ich aus, als würde ich einfach…‹ Kōsuke fasste sich an die Schläfen, runzelte die Stirn und seufzte auf. ›Ich muss in der Firma anrufen. Verdammt, das wird ihnen gar nicht gefallen…‹ Er suchte nach dem Kontakt von Uehara aus seinem Telefonregister und wählte. Während er darauf wartete, dass sein Vorgesetzter abhob, bekam er ein ungutes Gefühl im Bauch und sein Puls wurde immer schneller.
    »Kanagawa Iwanabe Inkasso Ltd. – Ohara am Apparat, was kann ich für Sie tun?«, meldet sich eine Frauenstimme.
    »Ja – Herrn Uehara, bitte!«
    »Herr Uehara ist zur Zeit verhindert, wer spricht denn?«, fragte die Dame.
    »Sasamoto. Können Sie mich bitte mit ihm verbinden? Er ist wirklich dringend!«, meinte Kōsuke hartnäckig.
    »Gut, bleiben Sie bitte einen Moment dran.« Sie legte ihn in die Warteschleife.
    Kōsuke atmete tief durch.
    »Ja? Uehara…«, meldete sich sein Vorgesetzter.
    »Ja, ähm – hier spricht Sasamoto… Es – also ich – ich wurde in einen Unfall verwickelt…«
    »Ein Unfall!? Sind Sie in Ordnung!?«, fragte Uehara besorgt.
    »Ja – ja, mir ist nichts passiert. Allerdings wurde eine Frau verletzt … möglicherweise schwer verletzt…«, erklärte Kōsuke aufgebracht.
    »Haben Sie den Notarzt gerufen?«
    »Ja, sie wurde bereits ins Krankenhaus gebracht… Ich werde jetzt ebenfalls dorthin fahren und mich nach ihr erkundigen – und die Polizei wird bestimmt auch noch ein Protokoll aufnehmen wollen…«
    »Ja, ich verstehe… Melden Sie sich danach dann bitte«, entgegnete Uehara verständnisvoll.
    »Natürlich. Ich werde sobald es geht ins Büro kommen«, versicherte Kōsuke und legte auf.
    ›St. Marianna…‹ Er suchte mittels Mobiltelefon die genaue Adresse des Krankenhauses heraus und gab sie ins Navigationssystem seines Wagens ein. ›Okay, das ist ganz in der Nähe – etwa vier Kilometer. Da sollte ich in spätestens zehn bis fünfzehn Minuten hinfinden.‹ Nachdem er die Route eingegeben hatte, machte er sich auf den Weg.

  • Schöner Part :) @kijkou

    Spoiler anzeigen
    Zitat von kijkou

    Er packte sie an den Schultern und versuchte sie sachte wachzurütteln, doch nachdem die Frau immer noch keine Regung zeigte, überkam ihn ein noch größeres Gefühl der Panik.
    Er beugte sich über sie und hielt sein Ohr nahe an ihr Gesicht. ›Oh, Gott sei Dank – sie atmet …‹ Vorsichtig schob er seinen Arm unter ihren Nacken, um sie aufrichten zu können. Dabei fühlte er etwas feuchtes und blickte auf seine Hand.

    Ich bin ein bisschen verwirrt über den Ablauf seines Ersten-Hilfe-Versuchs :D ist jetzt nichts schlimmes ;) gut, dass er schaut, ob sie noch lebt, ist für mich nachvollziehbar. Aber der Rest ist doch eher schlimmer, als es nutzen bringen kann oder? Er hat sie mit voller Wucht erwischt, das heißt, sie hat mindestens schwere Verletzungen erlitten, wenn nicht sogar lebensgefährliche. Sie dann wachrütteln zu wollen ist doch eher kontraproduktiv oder? Und dann schiebt er den Arm unter den Nacken?? Was ist mit Wirbelsäulenverletzungen oder sonstigen Brüchen?
    Und versucht man nicht doch eher eine stabile Seitenlage?

    Zitat von kijkou

    Der zweite Sanitäter holte eine Trage, die er neben der Verletzten platzierte. Inzwischen legte ihr der Arzt eine Halskrause an, nahm ihr vorsichtig die Mütze ab und versorgte die Wunde an ihrem Hinterkopf provisorisch. Danach platzierten sie die junge Frau auf der Trage und verluden sie in den Krankenwagen.

    Das war das zweite, was mich verwirrt hat. Was ist mit Monitoring (Überwachung der körperlichen und organischen Funktionen... Herz, Lunge etc.? Infusion mit Schmerzmittel oder so? Eventuelle Brüche stabilisieren? :whistling: Das könntest du vielleicht noch ein bisschen besser beschreiben.
    Die Ärzte würden niemals nur eine Halskrause dran klatschen und dann los fahren. Nicht, wenn der Patient nicht stabilisiert wurde :(;) viiiieeel zu gefährlich :P das ist aber auch meine persönliche Meinung und Erfahren

    Ansonsten mag ich den Teil sehr gerne :) er hat mich mit seiner Handlung doch sehr überrascht, da er (ich nenne den Prota jetzt immer Er, weil ich immer vergesse, wie er geschrieben wird und kopieren ist mir zu umständlich) mir jetzt nicht unbedingt wie DER Helfertyp vorkam. Daher rechne ich ihm das hoch an und auch, dass er zu ihr ins Krankenhaus fährt, finde ich toll :)

    Zitat von kijkou

    ›Aber das ist doch …‹ Es war eine junge Frau, die er von irgendwo her kannte. Ja, es handelte sich um die Frau, die am Vorabend seinen Schlüssel gefunden hatte.

    Wusste ich doch!!!! ;):P

    Sorry, wenn meine Kritik heute etwas schärfer ausgefallen ist als sonst, bitte nicht persönlich nehmen ^^ den Text fand ich trotzdem schön :)

    LG, LadyK :)

  • Danke dir <3
    LG kij


    Kapitel 1.5

    Das St. Marianna war ein ziemlich großes Krankenhaus. Kōsuke betrat die Eingangshalle, in der unzählige Schilder hingen, die ihn zunächst komplett überforderten. Weiter vorne in helles Licht getaucht stand eine weiße Marienstatue, die das Jesuskind behütend in ihren Armen hielt. Dahinter befand sich der Informationsbereich. Mit schweren Schuldgefühlen schritt er an der Statue vorbei, die ihn mit richtendem Blick zu fixieren schien. Eilig hastete er mit gesenktem Haupt zum Empfang und wandte sich schließlich an eine Angestellte.
    »Entschuldigen Sie bitte. Vor Kurzem müsste eine junge Frau eingeliefert worden sein. Ich – ich würde mich gerne nach ihr erkundigen«, erklärte er.
    »Name der Patientin?«, fragte die Dame an der Information sachlich.
    »Den – den weiß ich leider nicht. Sie hat eine Kopfverletzung – durch einen Unfall verursacht…«
    »Wenn sie einen Unfall hatte, wurde sie bestimmt in die Notaufnahme gebracht. In welchem Verhältnis stehen Sie zu der Patientin?«, erkundigte sie sich und sah ihn prüfend an.
    Kōsuke schluckte. »Ich – ich habe den Unfall verursacht«, meinte er mit gedämpfter Stimme.
    »Ich verstehe…« Die Dame zog beide Augenbrauen hoch und warf einen Blick in ihren Computer.
    Kōsuke verlagerte nervös das Gewicht von einem Bein auf das andere, während er darauf wartete, näheres von der Angestellten zu erfahren. Ihm fielen ihre Ohrringe auf, an denen sich kleine grüne Frosch- Anhänger befanden, die bei jeder ihrer Bewegungen hin und her wackelten.
    »Also … eingeliefert worden ist innerhalb der letzten Stunde nur ein Patient – wird sich vermutlich um diese Frau handeln. Momentan werden, soweit ich sehen kann, Untersuchungen durchgeführt…« Sie blickte auf und musterte Kōsuke. Er hatte glasige Augen und seine Stirn, auf der sich Schweißperlen gebildet hatten, legte sich besorgt in Falten.
    »Bitte, ich muss wissen, wie es ihr geht!«, entgegnete er flehend.
    Die Dame stand auf und kam hinter dem Schalter hervor. Sie führte ihn weg vom Informations­bereich und blieb etwas abseits, nahe der Marienstatue stehen. »Warum sind Sie daran interessiert, wie es dieser Patientin geht? Ist es, weil Ihnen etwas an Ihrem Wohl liegt … oder weil Sie Ihr Gewissen beruhigen wollen?«, fragte sie ihn leise.
    »Was!?« Kōsuke sah sie perplex an. »Ich… Natürlich hoffe ich, dass es ihr gut geht…« Er ging in sich und blickte auf den Boden. »Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, was für Folgen das für mich haben könnte…«, murmelte er kaum hörbar und raufte sich die Haare.
    »Gut, Herr…«
    »Sasamoto…« Er warf ihr einen erwartungsvollen Blick zu.
    »Also gut, Herr Sasamoto – Sie warten hier.« Sie deutete auf den Wartebereich links neben dem Informationsschalter. »Ich werde sehen, was ich in Erfahrung bringen kann«, meinte sie freundlich und begab sich wieder zu ihrem Arbeitsplatz, wo sie den Telefonhörer abnahm und eine Nummer wählte.
    Kōsuke setzte sich und blickte sich um. Seine Beine begannen nervös auf und ab zu wippen und als er damit die Aufmerksamkeit eines älteren Mannes auf sich zog, stand er wieder auf und ging ein paar Schritte, ließ die Dame am Empfangs- und Informationsbereich dabei aber nicht einen Moment aus den Augen. Diese nickte während dem Telefonat wiederholt und legte schließlich auf. Sie wollte sich gerade erheben, da betraten zwei Polizeibeamten die Eingangshalle. Sowie sie die beiden Beamten sah, winkte sie diese herbei. Kōsuke bekam Herzklopfen und ihm wurde übel. Eilig begab er sich zurück zu den Sitzgelegenheiten und nahm ganz am Rand Platz. Ihm wurde immer heißer und er hatte das Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können. Hektisch lockerte er seine Krawatte, die ihm regelrecht die Kehle zuschnürte. Er sah zum Informationsbereich hinüber, wo sich die Angestellte gerade mit den Polizisten unterhielt und dann plötzlich auf Kōsuke deutete. Die Beamten drehten sich zu ihm um, bedankten sich bei der Dame und kamen auf ihn zu. Er schluckte schwer und wurde immer blasser. Mit großen Augen sah er die beiden an, die nun vor ihm standen.
    Einer der Polizisten, der ältere der beiden, räusperte sich. »Entschuldigen Sie bitte… Herr Sasamoto?«
    Kōsuke stützte sich auf der Rückenlehne des Stuhls ab und stand langsam auf. »J–ja?«, fragte er mit zittriger Stimme.
    »Wir wurden wegen einer jungen Frau kontaktiert, die einen Unfall erlitten hat. Sie befindet sich zur Zeit auf der Intensivstation und hat keinen Ausweis oder Ähnliches bei sich, das auf ihre Identität hinweist«, erklärte der Beamte.
    ›Intensiv!? Das klingt nicht gut…‹ Kōsuke wurde immer blasser.
    »Uns wurde vom Personal berichtet, dass Sie in den Unfall verwickelt waren. Wir brauchen also Ihre Aussage«, meinte der andere Ordnungshüter streng.
    Kōsukes Hand klammerte sich immer noch verkrampft an die Stuhllehne. »Ich – also – ich war…«, stockte er und sackte aschfahl in den Stuhl zurück.
    »Ganz ruhig…«, sagte der ältere Polizist und warf seinem jungen Kollegen einen auffordernden Blick zu.
    »Wir bräuchten hier einen Arzt!«, rief dieser in Richtung des Informationsbereich.
    »Sind Sie in Ordnung? Bleiben Sie erst mal ruhig sitzen…«, redete der Beamte weiter auf ihn ein.
    Kōsuke war richtig elend zumute. Alle Leute ringsum starrten ihn an. ›Sie werden mich festnehmen… Die arme Frau… Intensivstation – was hab ich getan? Was, wenn sie stirbt?‹ Der Puls stieg ihm bis hinauf in den Kopf und es kalter Schweiß lief ihm über den Rücken. Sein Umfeld hatte er nahezu ausgeblendet, sodass die Stimmen ringsum in dumpfen Klängen verschwammen.
    »…Wir wissen es auch nicht. Inspektor Mizushima hat ihn gerade um seine Aussage gebeten. Er war an einem Unfall beteiligt. Jetzt ist er auf einmal umgekippt – vielleicht innere Verletzungen?«, erklärte der junge Beamte dem Arzt, der soeben herbeigeeilt war.
    Dieser ging vor Kōsuke in die Hocke, um ihn in Augenschein nehmen zu können. »Ist Ihnen schwindlig? Verspüren Sie Übelkeit? … Haben Sie Schmerzen?«, fragte er ihn.
    Kōsuke schüttelte schwach den Kopf und blickte den Arzt wortlos an. Dieser griff nach seinem Handgelenk um seine Pulsfrequenz zu überprüfen. »Holen Sie Wasser!«, wies er dann den jungen Polizisten an und deutete auf den Wasserspender, der sich ein paar Meter entfernt von ihnen befand. Dieser nickte kooperativ und eilte sofort los.
    »Was fehlt ihm denn?«, wollte der Inspektor wissen.
    »Ich würde jetzt nach erstem Eindruck sagen, dass sein Kreislauf kollabiert ist…«
    »Hier!« Der junge Polizist reichte dem Arzt den Wasserbecher.
    »Trinken Sie etwas! … Können Sie den Becher halten?«, fragte dieser Kōsuke, der ihm nun den Becher aus der Hand nahm und einen Schluck machte.
    ›Reiß dich zusammen – du musst mit ihnen reden…‹ Er blickte zu dem älteren Beamten auf und atmete einmal durch. »Ich habe…«, hauchte er kaum hörbar mit verzweifelter Miene. »Ich habe den Unfall verursacht – es ist alles meine Schuld!«, brach es dann aus ihm heraus. »Wenn die Frau sterben sollte, dann … dann bin ich ein … ein Mörder…«
    »Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal – die junge Frau wird schon nicht sterben«, versuchte ihn der Polizeiinspektor zu beruhigen. »Wir würden lediglich gerne Ihre Aussage aufnehmen – wie und wo genau sich der Unfall ereignet hat … Schaffen Sie das?«, ging er auf ihn ein.
    ›Ich will einfach nach Hause – in mein Bett – ich hätte heut’ nicht aufstehen sollen, dann wäre das alles nicht passiert…‹ Kōsuke sah ihn mit weit geöffneten Augen an. »J–ja, bestimmt…«
    »Wenn Sie wollen, können Sie den Raum hinter dem Empfangsbereich nutzen«, bot der Arzt freundlich an.
    »Vielen Dank«, entgegnete der junge Beamte und verneigte sich respektvoll.
    »Sollte Ihnen abermals schwindelig werden oder Sie Übelkeit verspüren, wenden Sie sich bitte ans Personal. Ich vermute, Sie stehen unter Schock – damit ist nicht zu spaßen«, legte der Arzt Kōsuke nahe und zog sich zurück.
    »Gut, wenn Sie aufstehen können, hätten wir dann ein paar Fragen an Sie, Herr Sasamoto«, meinte der Inspektor geduldig und deutete seinem Kollegen vorauszugehen.

  • Gelesen, Gestaunt @kijkou :)

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    Zitat von kijkou

    Mit schweren Schuldgefühlen schritt er an der Statue vorbei, die ihn mit richtendem Blick zu fixieren schien.

    Schön :thumbup:

    Zitat von kijkou

    »Ich werde sehen, was ich in Erfahrung bringen kann«, meinte sie freundlich und begab sich wieder zu ihrem Arbeitsplatz, wo sie den Telefonhörer abnahm und eine Nummer wählte.

    Zitat von kijkou

    Sie wollte sich gerade erheben, da betraten zwei Polizeibeamten die Eingangshalle.

    Hat sie mit einem Arzt telefoniert? Wenn ja, dann passt die zeitliche Panne. Wenn ja, müsste dann nicht zwischen Telefonat und Ankunft der Polizei mehr Zeit liegen? (Wenn Sie mit der Polizei telefoniert hat)
    Ich bin mir da gerade nicht sicher, mit wem sie da gesprochen hat. Ich meine, woher sollen die Beamten wissen, wo er sich aufhält? Ich finde momentan keine bessere Lösung dafür, da du das ja aus seiner Sicht schreibst, ist das schwierig, weil er kann ja auch nicht alles wissen :)

    .... Irgendwo fehlt noch ein Wort, aber ich finde die Stelle nicht mehr :(

    Aber den Part fand ich gefühlsmäßig sehr gut gelungen, mMn bisher der beste Teil. :thumbsup:

    Aber seltsam, dass sie keinen Ausweis dabei hat ?(

    Bis dann ^^

  • Danke dir! Bis dann!
    LG

  • @kijkou

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    Zitat von kijkou

    Die Polizei kommt nur gerade zufällig im gleichen Moment, die wurde davor schon bei der Einlieferung kontaktiert
    Hm, soll ich das vielleicht irgendwo erwähnen? Wo würde das am besten passen?

    Leider hab ich da keinen Plan. Es ist so wie es jetzt da steht, völlig in Ordnung. Da es ja aus seiner Sicht ist und er nicht alles mitbekommt. Es verwirrt nur ein bisschen, dass die Polizei im selben Moment kommt, wie die Dame den Hörer auflegt :P vielleicht bin ich auch zu kleinkariert diesmal :mimimi:

  • @kijkou

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    Leider hab ich da keinen Plan. Es ist so wie es jetzt da steht, völlig in Ordnung. Da es ja aus seiner Sicht ist und er nicht alles mitbekommt. Es verwirrt nur ein bisschen, dass die Polizei im selben Moment kommt, wie die Dame den Hörer auflegt :P vielleicht bin ich auch zu kleinkariert diesmal :mimimi:
    okay, dann lass ich es mal so ^^


    Kapitel 1.6


    In dem Raum, der sich hinter dem Empfangsbereich befand, stand ein Tisch mit sechs Stühlen und die Wände waren mit Aktenschränken verstellt. Fenster gab es keine und das künstliche, grelle weiße Licht des Raums flackerte in unregelmäßigen Abständen.
    »Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Sasamoto«, sagte der jüngere Polizist und stellte drei Pappbecher mit Wasser in die Mitte des Tisches.
    Kōsuke setzte sich und die beiden Beamten nahmen gegenüber Platz. Er verschränkte seine Finger ineinander und sah die beiden abwechselnd an. ›Was werden sie mich fragen? Werden sie mich verhaften? Sie werden mich bestimmt gleich mitnehmen.‹ Nervös überkreuzte er seine Beine und versuchte das immer stärker werdende Angstgefühl in seinem Bauch zu ignorieren. ›Ich bin so blöd! Hätte ich auf die Mail von Honoka doch einfach nicht reagiert, dann hätt’ ich die Frau sicher gesehen und all das wär’ nie passiert…‹
    »Herr Sasamoto…«, begann der ältere Polizeibeamte, während sich sein junger Kollege Stift und Notizbuch zurechtlegte. »Bitte erzählen Sie uns, wie sich der Unfall ereignet hat.«
    Kōsuke nickte einwilligend und schluckte. »Also… Ich habe die junge Frau nicht gesehen – und dann ist sie auch schon auf der Straße gelegen…«, begann er fahrig zu erzählen.
    »Ich weiß, dass Sie das mitgenommen hat, Herr Sasamoto, aber versuchen Sie bitte alles der Reihe nach und so genau wie möglich zu schildern«, meinte der Inspektor verständnisvoll.
    ›Ich hab während der Fahrt gerade eine Mail beantworten wollen und einen Moment nicht auf die Straße geschaut – wenn ich ihnen das sage, nehmen sie mich gleich fest…‹ Er runzelte die Stirn und lehnte sich nach vorne. ›Was passiert ist, ist passiert. Ob ich es für mich behalte oder nicht – es ändert nichts an der jetzigen Situation…‹ Beide Männer warfen ihm erwartungsvolle Blicke zu. »Ich, ähm… Es war auf einer kleinen Nebenstraße – nach einer Kreuzung.«
    »Können Sie uns die genaue Unfallstelle auf einer Straßenkarte zeigen?«, fragte der junge Beamte und legte einen Stadtplan auf den Tisch.
    »Ja, natürlich.« Kōsuke nahm den Plan zur Hand.
    »Kreisen sie die Stelle hiermit ein«, wies der Inspektor ihn an und reichte ihm einen roten Stift.
    Er nahm diesen etwas zurückhaltend entgegen und versuchte sich auf der Karte zu orientieren. »Es müsste … hier gewesen sein«, murmelte er und markierte die Stelle.
    »Vielen Dank.« Der junge Polizist notierte etwas und steckte den Stadtplan wieder ein.
    »Sie sind also über eine Kreuzung…«, wiederholte der Inspektor und brummte streng.
    »Ja, genau… Und dann hab ich die junge Fahrradfahrerin gerammt, sodass sie gestürzt ist.« Kōsuke stützte seine Ellenbogen auf dem Tisch ab und ließ mit einem Seufzer das Gesicht in seine Hände sinken.
    »Von wo ist die Radfahrerin gekommen?«, fragte der Beamte ihn.
    Zermürbt blickte er auf. ›Ich weiß es nicht – ich hab mich aufs Handy konzentriert und hab das für wichtiger gehalten, als auf die Straße zu achten. Verdammt, was sag ich nur?‹ Er schüttelte schwach den Kopf. »Ich – ich weiß es nicht. Es ging alles so schnell. Auf einmal war sie vor mir und ich bin auf die Bremse gestiegen, aber…« Er hielt inne.
    »Ich verstehe…« Der Inspektor sah zu seinem jungen Kollegen hinüber, der alles mitschrieb. »Wie schnell sind Sie gefahren, als es passiert ist, Herr Sasamoto?«, wollte er weiter wissen.
    »So zwanzig, vielleicht dreißig km/h – nicht schnell, weil ich…« Kōsuke verstummte und schluckte. ›Ich bin extra langsam gefahren, um Honoka zu antworten – verdammt…‹ Er räusperte sich und runzelte die Stirn. »Weil ich zuvor erst abgebogen bin … denke ich – bitte entschuldigen Sie.«
    »Schon in Ordnung…« Der Inspektor sah ihm in die Augen. »Haben Sie heute schon Alkohol getrunken?«, fragte er.
    »Nein! Morgens doch nicht!«, entgegnete Kōsuke vehement.
    »Habe ich auch nicht angenommen. Aber Sie werden verstehen – ich muss Sie das fragen… Was haben Sie gemacht, nachdem Sie den Wagen zum Stehen gebracht haben?«
    »Ich bin ausgestiegen und habe nach der Frau gesehen. Sie war bewusstlos und verletzt, also habe ich einen Krankenwagen gerufen…« Kōsuke überlegte. »Dann habe ich ihr Fahrrad in den Kofferraum geladen und bin hierher gefahren. Ja, genau – ihr Fahrrad! Was – was soll ich denn damit machen?«, fragte er überfordert.
    »Befindet es sich noch in Ihrem Wagen?«
    »Ja, im Kofferraum.«
    »Das würden wir uns nachher gerne noch ansehen«, meinte der Inspektor.
    »War am Unfallort sonst noch jemand anwesend? Irgendwelche Zeugen?«, fragte der jüngere Polizist und drückte die Miene seines Kugelschreibers wiederholt hinaus und ließ sie wieder hieninschnellen.
    »Nein… Also zum Zeitpunkt des Unfalls nicht. Später hat ein älterer Herr angehalten und ebenfalls gewartet, bis der Krankenwagen eingetroffen ist – seinen Namen kenne ich nicht«, entgegnete Kōsuke. »Bevor ich den Notruf gewählt habe, habe ich nach Hilfe gerufen, doch in den Wohnungen ringsum schien keiner zu Hause gewesen zu sein… Jedenfalls hat niemand reagiert«, fügte er noch hinzu, griff nach einem der Becher Wasser auf dem Tisch und nahm ein paar Schluck.
    »Und der Name der jungen Frau ist Ihnen auch nicht bekannt…« Der Inspektor brummte und warf einen Blick ins Protokoll. »Hmm, gut, dann müssen wir uns wohl gedulden, bis die Frau ansprechbar ist.«
    »Tut mir leid«, murmelte Kōsuke niedergeschlagen. ›Verdammt, ich hoffe wirklich, es ist nicht allzu schlimm. Mit einer Anzeige werde ich rechnen müssen – das würd’ ich der armen Frau nicht einmal übel nehmen…‹
    »Gut… Wir benötigen noch Ihre genauen Personalien. Haben Sie einen Ausweis bei sich?«, fragte der Polizeiinspektor sachlich.
    »J–ja. Sasamoto, Kōsuke. Geboren in Hamamatsu am 13. Oktober im 62. Shōwa(1)-Jahr«, entgegnete er, während er in seiner Brieftasche nach seinem Führerschein suchte. Diesen reichte er dem jungen Beamten, der die Daten notierte und ihn wieder zurückgab.
    »Wie können wir Sie erreichen?«, fragte er weiter, woraufhin Kōsuke erneut seine Brieftasche zückte und ihm eine Visitenkarte überreichte.
    »Nun gut, Herr Sasamoto.« Die beiden erhoben sich vom Tisch.
    »Zeigen Sie uns bitte noch das Fahrrad der Frau«, bat ihn der junge Polizeibeamte.
    »Ja, natürlich.« Er stand ebenfalls auf und sie verließen den Raum.

    Sie begaben sich hinaus auf den Parkplatz und Kōsuke führte die beiden zu seinem Wagen. Er öffnete den Kofferraum und die Beamten hoben das dunkelblaue Fahrrad vorsichtig heraus.
    »Damit kommt man vermutlich nicht mehr weit«, stellte der junge Polizist fest, wie er den verbogenen Rahmen begutachtete.
    »Ōshiro, seien Sie so gut und versuchen Sie anhand der Registriernummer den Namen der Besitzerin herauszufinden«, wies der Inspektor seinen Kollegen an, welcher sich sogleich zum Einsatzfahrzeug begab. »Das Fahrrad stellen Sie bitte dort drüben ab«, wandte er sich dann an Kōsuke und deutete auf einen Parkbereich, der für Motorräder und ähnliches vorgesehen war.
    »Ja, ist gut«, entgegnete er und versuchte die Lenkstange gerade zu stellen. »Was – was passiert denn nun weiter?«, fragte er mit leiser, zurückhaltender Stimme.
    »Wir warten erst einmal ab, bis die junge Frau zu sich gekommen ist. Das Krankenhaus wird uns dann sofort kontaktieren«, erklärte der Beamte. »Wenn wir weitere Fragen oder Neuigkeiten für Sie haben, melden wir uns bei Ihnen.« Er verneigte sich zum Abschied und folgte seinem Kollegen zum Polizeiwagen.
    Kōsuke atmete tief durch. ›Hoffentlich ist sie bald ansprechbar…‹ Er blickte dem abfahrenden Einsatz­fahrzeug hinterher.
    Als er sein Auto wieder abschließen wollte und in seiner Sakkotasche nach den Schlüsseln griff, bemerkte er, dass er noch etwas anderes eingesteckt hatte. Es war das blaue Mobiltelefon der jungen Frau. ›Das hab ich ja komplett vergessen!‹ Ohne lange zu überlegen klappte er es auf. Das Display hatte einen Sprung und man konnte nichts erkennen. Er blickte sich um und steckte er es wieder ein. ›Das hätte ich dem Inspektor geben sollen… Dann muss ich es ihm nachher so schnell wie möglich zukommen lassen.‹ Eilig brachte er das Fahrrad auf den Motorradparkplatz, betrat erneut das Krankenhaus und begab sich zu der Dame an der Information.
    »Entschuldigen Sie bitte.«
    »Ah, Sie sind es!« Die Angestellte musterte ihn. »Haben Sie mit der Polizei gesprochen?«, fragte sie neugierig.
    »Ja, habe ich…« Kōsuke beugte sich über den Tresen. »Ich habe gehört, dass die junge Frau auf der Intensivstation liegt…« Er blickte die Dame mit gerunzelter Stirn und großen Augen bittend an.
    Diese stand auf, kam hinter dem Schalter hervor, griff sich Kōsukes Arm und führte ihn in den Raum, in dem er zuvor mit den Beamten gesessen hatte. Sie schloss die Türe hinter sich und wandte sich ihm zu. »Hören Sie, ich darf Ihnen keine Informationen geben. Sie sind mit der Patientin nicht verwandt – Sie kennen sie nicht einmal.«
    »Ich – ich verstehe…« Er ließ den Kopf hängen.
    »Aber da wir momentan nicht wissen, wer sie ist… Na ja, Sie sind schließlich der Einzige, der sich nach der Patientin erkundigt«, meinte sie seufzend.
    Kōsuke blickte auf. »Ich – ich hab ihr das schließlich angetan.«
    »Nachdem die junge Frau eingeliefert worden ist, hat man abgesehen von der Platzwunde am Kopf ein Epiduralhämatom festgestellt.«
    »Und was bedeutet das?«, fragte er verunsichert.
    »Das ist eine Blutung unter dem Schädelknochen…«
    »Was!? Ist das – wie schlimm ist das!?«, fuhr er der Frau schockiert ins Wort.
    »Das kommt immer auf das Ausmaß an, aber in diesem Fall hat es sich um ein relativ kleines Hämatom gehandelt – es wurde bereits entfernt und die Patientin liegt jetzt, wie gesagt, auf der Intensivstation«, erklärte sie.
    Kōsuke schluckte. »Und … wird sie wieder gesund?«, wollte er mit zittriger Stimme wissen. Nachdem er die Frage gestellt hatte, war es, als würde sich der Boden unter seinen Füßen nach und nach auflösen. Er hatte Angst – nein, richtige Panik vor der Antwort, was sich in seinen Augen deutlich widerspiegelte.
    »Der verantwortliche Arzt hat sehr optimistisch geklungen, aber Genaueres kann ich Ihnen leider nichts sagen – nur dass die Patientin momentan stabil ist.« Die Angestellte warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »So, ich muss nun wirklich wieder zurück an meinen Arbeitsplatz – eigentlich dürfte ich nicht einmal mit Ihnen reden.« Sie wollte gerade gehen, da packte Kōsuke ihre Hand und hielt sie zurück.
    »Bitte…« Er war sich nicht sicher, was er eigentlich sagen wollte. ›Ich will wissen, wie es ihr geht! Ich kann doch jetzt nicht einfach gehen. Aber die Frau weiß auch nichts – sie hat mir eh schon mehr gesagt, als sie dürfte…‹ Befangen ließ er sie wieder los. »Es – es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht…« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und seufzte. »Ich weiß, Sie dürfen mir keine Auskunft geben, aber – aber ich kann hier nicht weg. Ich muss einfach wissen, wenn sie wieder zu sich kommt und ob sie sich wieder erholen wird. Wenn sie nicht mehr völlig gesund wird, dann… Das könnte ich doch nie wieder gutmachen«, versuchte er sich verzweifelt zu erklären.
    »Ihre Nummer…« Die Dame sah ihn geduldig an.
    »Wie bitte?«
    »Geben Sie mir Ihre Telefonnummer – ich ruf’ Sie an, sobald es Neuigkeiten gibt.« Sie zückte einen Kugelschreiber aus der Brusttasche ihrer Bluse.
    »Wirklich?«, fragte er wortkarg. »Das – das ist sehr freundlich.« Er verneigte sich dankbar und überreichte ihr anschließend eine seiner Visitenkarten.
    »Gut. Wie gesagt, ich melde mich, wenn sich der Zustand der Patientin ändern sollte.« Die nette Frau lächelte verständnisvoll, öffnete die Tür und ließ Kōsuke den Vortritt.
    Dieser bedankte sich noch einmal und machte sich auf den Weg hinaus auf den Parkplatz. Wie sich die Türen des Krankenhauses öffneten, kam ihm ein kalter Windstoß entgegen, was sich erfrischend und wohltuend anfühlte. Draußen blieb er kurz stehen, atmete einmal tief durch und steuerte auf seinen Wagen zu.
    Als er die Schlüsseln aus seiner Tasche holen wollte, kam ihm wieder das Mobiltelefon der jungen Frau in den Sinn. Er sperrte auf, setzte sich ins Auto und nahm das beschädigte Gerät zur Hand. Etwas geistesabwesend musterte er es. Am Display war aufgrund des Sprungs zwar nichts zu erkennen, doch das Telefon schien ansonsten noch zu funktionieren. Kōsuke runzelte die Stirne. ›Niemand sonst erkundigt sich nach der armen Frau – sie wissen nicht einmal, wer sie ist. Was, wenn ich einfach…‹
    Er drückte die Anruftaste einmal, um ins Protokoll zu gelangen und ein zweites Mal, um die zuletzt gewählte Nummer anzurufen. Angespannt hielt er das Handy an sein Ohr und lauschte.
    »Sie haben eine neue Nachricht – heute, um 08:34 Uhr«, vernahm Kōsuke die computergenerierte Stimme der Mailbox der jungen Frau, die sie anscheinend zuletzt angewählt hatte.
    »Guten Morgen, Frau Tsukimura! Miyamoto spricht…«, meldete sich eine Frauenstimme.
    ›Tsukimura – so heißt sie also…‹, dachte er feststellend.
    »Meine Schwester hat sich leider eine starke Erkältung eingefangen und ich bin gestern Abend noch zu ihr nach Saitama gefahren. Ich weiß, ich hätte Ihnen früher Bescheid sagen sollen, aber gestern war es schon so spät. Leider weiß ich nicht, wann ich wieder zurückkomme – vielleicht bleibe ich ein paar Tage. Den Schlüssel habe ich Ihnen für alle Fälle wieder zwischen die Shiso(2)-Blätter gelegt. Jedenfalls bin ich untröstlich, aber ich kann Yuki heute nicht abholen…«

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    1. Epoche während Kaiser Hirohitos Regentschaft (Japanische Zeitrechnung)
    2. auch Perilla genannt, mit leichtem minzigen Geschmack

  • So ^^ Heute melde ich mich auch mal wieder zu Wort anstatt nur still mitzulesen. Aber jetzt keine Panikattacke bekommen, ich hab gar nichts schlimmes zu sagen ;)


    »Sie haben eine neue Nachricht – heute, um 08:34 Uhr«

    Mh... Jetzt bin ich ein bisschen verwirrt. Ich hab gedacht Kosuke müsste immer um 8 Uhr schon im Büro sein, dan wäre das ganze ja eher passiert und die Frau hätte die Mailbox gar nicht anrufen können, um die Nachricht schon abzuhören ?( Aber die Frage lässt sich ja bestimmt schnell klären.

    Ansosten bin ich gespannt, wer jetzt dieser Yuki ist und was weiter passiert. Ob der arme Kerl wohl noch ins Büro kommt an dem Tag? Er sollte ja eigentlich zur Polizei und das Handy abgeben.

    Liebe Grüße,
    Nanook

    Sei höflich und bescheiden,

    Sei geduldig und beherrscht,

    Vervollkommne deinen Charakter,

    Sei gerecht und hilfsbereit,

    Sei mutig!

  • Hi @kijkou ich lass dir mal ein bisschen was da :) ist nix schlimmes....Oder... :evil:


    Spoiler anzeigen
    Zitat von kijkou

    In dem Raum, der sich hinter dem Empfangsbereich befand, stand ein Tisch mit sechs Stühlen und die Wände waren mit Aktenschränken verstellt.

    Verstellt klingt eher so, als würde man an einem Regler drehen oder so... Vielleicht "verdeckt" ?

    Zitat von kijkou

    »Ōshiro, seien Sie so gut und versuchen Sie anhand der Registriernummer den Namen der Besitzerin herauszufinden«,

    Ist jetzt nur so ein Gedanke... Aber werden denn wirklich alle Fahrräder registriert? Ich vermute mehr die sündhaft teuren oder Sporträder, aber so ein stinknormales Rad? Ich weiß nicht... Ich bin auch kein Radfahrer, daher kann ich das nicht wirklich beurteilen, aber ich wollte diese Gedanken mit dir teilen.
    Ach ja, vielleicht lässt du die Polizisten erstmal erkennen, dass da einen Registrierungsnummer angebracht ist :huh:

    Zitat von kijkou

    »Das Fahrrad stellen Sie bitte dort drüben ab«

    Müssten die das nicht eher sicher stellen, oder zumindest mitnehmen oder so? :huh:

    Zitat von kijkou

    »Nachdem die junge Frau eingeliefert worden ist, hat man abgesehen von der Platzwunde am Kopf ein Epiduralhämatom festgestellt.«

    Sehr gut, verwirre den armen Mann mit Fachchinesisch :D aber gut recherchiert (?)

    Zitat von kijkou

    Sie haben eine neue Nachricht – heute, um 08:34 Uhr«, vernahm Kōsuke die computergenerierte Stimme der Mailbox der jungen Frau, die sie anscheinend zuletzt angewählt hatte.
    »Guten Morgen, Frau Tsukimura! Miyamoto spricht…«, meldete sich eine Frauenstimme.

    Halt Stopp, warte kurz...
    Es ist das Handy der Verunfallten... Das heißt, sie empfängt diesen Mailboxruf (weil sie eben vielleicht nicht erreichbar war...). Erst habe ich gedacht, dass sie selber diese Nachricht spricht. Da du dann aber sagst, dass ihr Name Tsukimura ist, kam ich ins schleudern...
    Wenn es jetzt so ist, wie ich vermute, würde ich den Satz umbauen. Oder du erklärst kurz, wie du es meinst und schreibst es etwas (für mich) verständlicher ^^:D weil, ich dumm und so ;)

    Spoiler anzeigen

    Ich glaube ja, dass Yuki ihr Kind ist ^^ würde zumindest gut zu der Tragik passen... :whistling:



    Bitte erschlag mich nicht X/

    LG ^^

  • Huhu :)

    Danke für eure Kommentare ^^

    Aber jetzt keine Panikattacke bekommen, ich hab gar nichts schlimmes zu sagen

    Phew, da bin ich aber beruhigt! *Schnapsflasche wieder wegstell* :rofl:


    Mh... Jetzt bin ich ein bisschen verwirrt. Ich hab gedacht Kosuke müsste immer um 8 Uhr schon im Büro sein, dan wäre das ganze ja eher passiert und die Frau hätte die Mailbox gar nicht anrufen können, um die Nachricht schon abzuhören Aber die Frage lässt sich ja bestimmt schnell klären.

    Kosuke muss gegen 9 im Büro sein, aber das tut jetzt nichts zur Sache ^^ Die Mailbox wurde vor dieser Nachricht von der Frau angewählt, daher sagt ja die Computerstimme auch "eine neue Nachricht" ;)


    Ansosten bin ich gespannt, wer jetzt dieser Yuki ist und was weiter passiert. Ob der arme Kerl wohl noch ins Büro kommt an dem Tag? Er sollte ja eigentlich zur Polizei und das Handy abgeben.

    Juhu! Ich liebe es, wenn ich es schaffe, dass sich der Leser solche Fragen stellt ^^


    Liebe Grüße, kij

  • Hallo @kijkou :)

    Zu der Nachricht nochmal...

    Spoiler anzeigen

    Ich habe gedacht, dadurch dass du geschrieben hast "anscheinend ist das die Nummer, die sie zuletzt angewählt hat..." (sinngemäß), dass die Frau die Nachricht gesprochen hat. Aber das ist ja gar nicht möglich! Vielleicht schreibst du einfach, dass er ihre Mailbox anhört und gleichzeitig entdeckt, dass es auch die letzte gewählte Nummer war... Vielleicht wird das dann etwas besser. Ich steh da ein bisschen aufm Schlauch um ehrlich zu sein :whistling:

    LG