Eine (wahre!) Werwolfgeschichte

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 2.584 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (7. Februar 2019 um 13:39) ist von wunderkind.

  • Eine (wahre!) Werwolfgeschichte
    - direkt aus dem Finger gelutscht


    Zu Gast bei alten Freunden, wie man so schön sagt. Sie sind allerdings jünger als ich und wir kennen uns seit knapp zehn Jahren. Nun habe ich Freundschaften, die schon weit länger zurückreichen. Wären das dann ältere Freunde?
    Egal, für diese Geschichte total unwichtig.
    Jedenfalls hat das befreundete Ehepaar zwei Kinder. Ich verwende nicht gerne das Wort Blagen, aber in diesem Fall …, nein lieber nicht. Kein Grund beleidigend zu werden.
    Die beiden Hosenmätze, beides Jungs, der eine neun, der andere elf, trampelten den kompletten Nachmittag auf unseren Nerven herum und ich schwöre, das war pure böswillige Absicht. Und schlau haben sich die beiden Bengel obendrein angestellt. Wenn meine Freunde nicht ganz knapp davor gewesen wären, die Zwei in den Keller zu sperren - in handlichen Teilen, in die Gefriertruhe! – hätte ich ihre Streiche durchaus manchmal witzig gefunden.
    Die gut gemeinten, aber furchtbar unklug vorgebrachten Argumente, warum die beiden brav sein sollten, haben mir beinahe Lachtränen in die Augen getrieben und ich verbrachte mehrere Minuten, hoffentlich halbwegs unverdächtig hustend, auf der Terrasse.
    Als nun Schlafenszeit für die kleinen Nachwuchs-Michels nicht aus Lönneberga gekommen war, kam die unvermeidliche Forderung nach einer Geschichte.
    Dem Papa stand eine Nichtganzsogutenachtgeschichte von einem Mann mit Hockeymaske und Kettensäge ins Gesicht geschrieben, die Mama tendierte vermutlich zu einer realistischeren Hänsel und Gretel –Variante.
    Da kam es, wie es immer kommt, wenn ich zu Besuch bei Freunden bin.
    »Tom, Du bist doch Autor?«
    »Äh …« Sie wissen es genau, lügen also zwecklos. »… ja?«
    »Du hast Doch sogar Kinderbücher geschrieben.«
    Von Büchern, also Plural kann keine Rede sein, und es war eine einzige kurze Geschichte. Ich weiß bis heute nicht, warum man die überhaupt veröffentlicht hat. Die ist banal, geradlinig, der Plottwist sowas von vorhersehbar … nungut, ich drücke mich sogar im Nachhinein noch. Also weiter im Text.
    »Eine winzige Detektiv-Geschichte, kaum der Rede wert.«
    »Egal. Unsre Beiden stehen total auf Werwölfe. Könntest Du Ihnen nicht eine Deiner Geschichten erzählen. Du schreibst doch auch über Zombies, Elfen und Werwölfe.«
    Mir fiel zwar partout keine meiner Geschichten ein, wo genau diese Kombination vorkäme, aber ich nickte schicksalsergeben. Mal ehrlich, was hätte ich auch tun sollen? Ehrlich! Was? Wäre für jeden Tipp dankbar, denn das nächste Mal kommt bestimmt.
    »Prima. Also, ab Zähneputzen und ins Bett. Onkel Tom kommt dann und erzählt euch eine Werwolfsgeschichte.«
    Johlend zogen die beiden Kids ab und ich hatte den Salat. Aber natürlich gehört in so einen Salat auch noch Dressing und manche mögen es bekanntlich bitter.
    »Meinst Du, Du könntest Die Geschichte irgendwie so gestalten, dass sie irgendwas davon lernen?«
    »Nur gut, dass ihr keine harten Anforderungen stellt. Die Story auch gleich noch druckreif hinterher bei euch abzuliefern, am besten mit jugendfreien Bildern, wie?«
    Ok, habe ich nicht gesagt, aber so intensiv gedacht, dass sie es mitbekommen haben müssen, wenn sie nur den Hauch einer telepathischen Begabung haben.
    »Ich sehe zu, was ich machen kann.«
    »Toll, danke, Alter.«
    »Du bist eben der Beste!«

    Also saß ich letztlich am Etagenbett der Jungs und sog so kräftig und metaphorisch, wie es nur ging, an meinen Fingern. Und siehe da, es kam tatsächlich eine Wolfsgeschichte heraus. Vielleicht bin ich doch der Beste?
    Ok, so in etwa ging die Story:

    »Keine Ahnung, ob Ihr das wisst, aber eigentlich sind wir alle Werwölfe.«
    Zwei riesengroße Augenpaare schauten mich an. Schon beim ersten Satz mein Publikum eingefangen. Jetzt nur nicht nachlassen.
    »Tatsächlich sind wir sogar zwei.«
    Verwirrte Kinderblicke und wissendes Erwachsenenlächeln.
    »In jedem von uns wohnen zwei Werwölfe. Ein schwarzer und ein weißer.«
    Ja, mir ist schon klar, dass Ihr jetzt wisst, worauf das hinausläuft, aber das sind Kiddis, für die Lesen eine Strafe und Ethik etwas ist, worauf man Trampolin springt.
    »Zwei? Wieso zwei, nicht drei oder vier?«
    »Vier wären so cool«
    Für eine halbe Sekunde war ich tatsächlich überrascht. Aber die beiden Bengel sind clever, hätte mir klar sein können, dass die sofort die richtigen Fragen stellen, oder die falschen, wie man’s nimmt.
    »Ja, schon. Eigentlich sind es mehr als zwei, stimmt schon. Aber diese Geschichte geht nur um die Zwei.«
    »Gibt es auch schwarzweiße Werwölfe?«
    Jetzt nur nicht den Faden verlieren! »Keine Ahnung. Was glaubst Du denn?«
    »Ich glaube schon.»
    Ich nickte souverän und fuhr fort: »In jedem Menschen kämpfen die beiden Wölfe die ganze Zeit darum, wer gerade der Chef ist.«
    »Boa, auch jetzt gerade?«
    Ich horche in mich hinein. »Ja, ganz besonders jetzt gerade …«
    »Und wer gewinnt?«
    »Ich wette, der Schwarze. Schwarz ist cooler als Weiß.« Überraschenderweise waren sich beide einig. Wobei, nicht ganz so überraschend vielleicht.
    »Aber man kann mithelfen, welcher der beiden gewinnt!«
    »Echt?« Er boxt sich gegen den Bauch. »Ich töte Dich …arr … arr …«
    »Hm, guter Versuch, aber nein. Das geht anders. Man muss sie füttern.«
    Wieder waren zwei Augenpaare konzentriert und verstörend interessiert auf mich gerichtet.
    »Pizza?«
    »Du Blödi, die fressen Fleisch!«
    »Selber Blödi …«
    Bevor ich völlig aus dem Rennen war, grätschte ich verbal dazwischen. »Beide falsch! Man füttert sie mit Taten. Man sorgt mit dem, was man tut, wer von den beiden gewinnt.«
    Nun hatte ich sie. Damit hatten sie nie im Leben gerechnet! Aber trotzdem hatte ich sie unterschätzt:
    »Du tust den einen ODER den anderen verhauen, stimmt's?«
    Ich war platt. Da sage noch einer, Kinder verstehen keine Metaphern.
    »Nahe dran. Der schwarze Wolf ist ein rücksichtsloser Einzelgänger, ein brutaler Jäger. Er nimmt sich alles, was er will, wann er es will. Freunde hat er keine, will er auch keine. Es ist ihm egal, dass ihn keiner mag. Er mag ja auch keinen.«
    Die Beiden grinsten breit und ich sah schon kommen, dass der Schwarze gerade nach Punkten haushoch in Führung lag.
    »Der weiße Wolf ist auch ein Jäger. Aber er ist ein Teamplayer. Er hat viele Freunde, jagt nur das, was er braucht und sorgt dafür, dass ihn keiner deswegen nicht mag. Manchmal sorgt er sogar dafür, dass auch für andere, die nicht so gute Jäger sind, etwas übrig bleibt.«
    »Warum?«
    »Ja genau, wenn er nicht muss!«
    Ich lächelte. Jetzt hatte ich meine beiden Möchtegernwerwölfe, wo ich sie haben wollte:
    »Weil er es kann und weil er clever ist, darum!«
    Fassungslose Gesichter.
    »Der böse Wolf ist ein Idiot. Macht sich nur Feinde, keine Freunde. Wie lange wird er wohl damit durchkommen, was denkt Ihr?«
    »Weiß nicht …«
    Schulterzucken.
    »In etwa so lange, bis ein schlaues Geißlein ihn fertigmacht, wenn er gerade nicht aufpasst. Ihr kennt doch die Geschichte vom Wolf und den sieben Geißlein?«
    »Klar, aber das war ein Wolf, kein Werwolf!«
    »Logisch, er ging auf zwei Beinen, konnte sprechen und sich verkleiden. Kann nur ein Werwolf gewesen sein.«
    Das leuchtete, zu meinem Glück, sofort ein.
    Gerade als ich nachhaken wollte, ob meine Geschichte vielleicht irgendetwas mit besseren Manieren zu tun haben könnte, kam jedoch eine Frage:
    »Und was hätte der weiße Werwolf gemacht, wenn er Rotkäppchen getroffen hätte?«
    Mir war natürlich sofort klar, dass die Märchen jetzt durcheinandergerieten, aber so ist das nun mal bei Werwolfsgeschichten.
    »Der hätte sich höflich bei der jungen Dame vorgestellt und gesagt: Liebes Rotkäppchen darf ich’s wagen, Arm und Geleit Euch anzutragen?«
    »Der redet aber doof.« Beide nickten entschieden und ich sah bereits die Felle für den weißen Wolf fortschwimmen.
    »Naja, das ist eben seine Art zu fragen, ob sie Bock hat, nachher mit ihm Mario-Cart auf der Playstation zu spielen.«
    »Der spielt echt Mario-Cart?«
    »Klar«, ich bekam wieder Oberwasser. »Schließlich hat er ja Freunde, mit denen er das spielen kann. Anders als der böse schw …« Ich winkte ab. Kein Grund jetzt noch darauf herumzureiten. Doof sind die Zwei ja wirklich nicht.

    Ich ging und machte das Licht aus. Die Tür ließ ich einen Spalt auf, von wegen Werwölfen und so, die im Dunkeln sonst kommen.
    Nein, ich mache nur Spaß.
    Keine Werwölfe.
    Es sind natürlich die schwarzen Männer aus den Schränken, weiß doch jeder!


    Warum ich Euch das erzählt habe?
    Keine Ahnung, vielleicht habe ich einfach einen Werwolf füttern müssen.
    Vermutlich den Schwarzweißen ...

    -------------------
    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

    Einmal editiert, zuletzt von Tom Stark (26. September 2019 um 11:02)

  • @Tom Stark das war erfrischend am frühen Morgen :thumbsup:

    Hat mir wirklich Spaß gemacht, diese Geschichte zu lesen.. Besonders seine Gedanken und Vergleiche haben mir wirklich gut gefallen :thumbsup:

    Danke!!

    Zitat von Tom Stark

    Aber natürlich gehört in so einen Salat auch noch Dressing und manche mögen es bekanntlich bitter.

    Toll ^^:thumbsup:

    LG

  • :rofl: Moment, erstmal fertig lachen, @Tom Stark.

    So, geht wieder. Hach, Kinder sind schon genial. Die krempeln dir mit ein, zwei Sätzen nicht nur deine Geschichte sondern auch gleich dein Weltbild mit um. Und sie setzen ihre Brechstange des Zweifels genau dort an, wo die eigenen Geschichte einen Haarriss der Unsicherheit oder Unlogik aufweist. Monster!

    Superschöne kleine Story, Tom. ^^ Gespickt mit vielen tollen Beispielen für deinen trockenen Humor und deinen Sarkasmus. Deine beiden "Patenjungs" haben für zwei Helden in der Geschichte ihrer Bezeichnung alle Ehre gemacht. :thumbsup:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • @Tom Stark
    Ich fands auch eine super gute Geschichte!

    Dem Papa stand eine Nichtganzsogutenachtgeschichte von einem Mann mit Hockeymaske und Kettensäge ins Gesicht geschrieben,

    Ach, wie süß- man merkt sofort, wie nervig diese Kinder sein müssen.

    Und ich mag deinen Humor.
    Und den Vergleich mit dem weißen und dem schwarzen Werwolf (und dem schwarzweißen natürlich) fand ich gelungen :thumbup:

    Liebe Grüße,
    Blue

    Chaos sagt, Halvars dunkle Seite sei harmlos gegen mich...

    As I´m an Amazone, I need a :jennagorn:

    ~~~ 100 words a day keep the doctor away. ~~~


  • hallo, Tom Stark!
    Schöne Geschichte, glaubhaft im Plot und in der Ausdrucksweise. Eine Kleinigkeit: Werwolfgeschichte (ohne s) klingt angenehmer.
    LG vom Wunderkind