Das ist eine Frage, die sich jeder vielleicht schon mal auf die eine oder andere Weise gestellt hat und so einfach die Frage auch daherkommt, so schwierig lässt sich die Antwort in Worte fassen. Irgendwie wurmt es mich, dass ich darauf nie eine kurze, knackige Antwort geben kann, weil sie dem Sinn und dem Zweck einfach nicht gerecht wird.
Wie ist das bei euch?
Fällt es euch leichter, diese Frage umfassend zu beantworten?
Was ist euer Antrieb, euch hinzusetzen und zu schreiben?
Was ist eure Mission?
Was bedeutet es für euch, Autor zu sein?
Weil mir die absolute Punktlandung, um diese Frage zu beantworten, einfach nicht gelingt, habe ich mal versucht, das in einem Text zu verarbeiten und auszudrücken.
Und natürlich würde ich mich freuen, wenn ihr euch diesem Thema in ähnlicher oder vielleicht auch vollkommen anderer Weise anschließen würdet.
Spoiler anzeigen
Du sitzt auf einer Bank in der Fußgängerzone. Die angewitterten, grausilbernen Holzbalken, welche rechts und links auf zwei Betonklötzen aufliegen, sind nicht sonderlich bequem, aber das müssen sie auch nicht sein. Du wartest ja nur für den Moment, darauf, dass dein Freund sich endlich aus den Umrissen der vielen Menschen herausschält und ihr zu eurem Termin aufbrechen könnt.
Der Himmel über dir ist in einem einheitlichen grau bewölkt, macht aber trotzdessen seit den frühen Morgenstunden keinerlei Anstalten, seine Schleusen über der Stadt zu öffnen. Es würde dich nicht stören, wenn es zumindest heute mal nicht regnet.
Gelangweilt starrst du deine schwarzen Sneaker, mit den schmutzig-weißen Schnürsenkeln, an und steckst die Hände in die weiten Taschen deines Kapuzenpullovers. Du hast ihn heute Morgen aus dem Klamottenhaufen auf deinem Schreibtischstuhl herausgewühlt, weil sein stumpfes Blau dir irgendwie zugesagt hat und es laut Wetterprognose den ganzen Tag über recht frisch bleiben soll. Gut, dass du dich so entschieden hast. Eine Jacke wäre womöglich eine noch etwas bessere Wahl gewesen, aber der Pulli tut es auch. Immerhin geht es gerade mal auf den Herbst zu und nicht auf den tiefsten Winter. Er wird also reichen.
Mit einer Mischung aus Schnauben und stummem Seufzen ziehst du nun eine Hand aus der Pullovertasche und spickst auf deine abgetragene alte digitale CASIO. Dein Kumpel ist überfällig. Mal wieder. Unruhig schiebst du deine Brille auf der Nase ein Stück nach oben und tippst dreimal ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden.
Trotzdessen, dass es zwar, wie angekündigt, frisch, aber nicht wirklich kalt ist, ziehst du im Anschluss die Kapuze an ihren beiden braunen Schnüren enger und versenkst deine Hände dann wieder in den warmen Taschen deines geliebten alten Pullis. Ein wenig fröstelst du ja nun doch irgendwie. Gedankenverloren wippst du ein wenig nach vorn und hinten, während dein Blick ohne wirklichen Anker über die Menschen schweift. Sie schlendern alle nur stumpf umher, wie immer, wenn es an Freitagen auf den Nachmittag zugeht. Da die Langeweile nicht nachlässt, musterst du nach kurzer Zeit schließlich doch die Leute, die, ohne von dir Notiz zu nehmen, durch die Gasse laufen. Eine alte Frau mit einem knielangen hellbraunen Fellmantel geht an dir vorbei und zerrt einen wenig beneidenswerten und schwer hechelnden Mops hinter sich her, der nicht mehr weiter will, es aber dennoch muss. Mit ihrem kurzgeschorenen grauen Haar, dem schreiend roten Lippenstift und dem völlig überdosierten türkisblauen Lidschatten, sticht seine Besitzerin aus der Menge heraus - auf eher skurrile Weise und nicht etwa als willkommener Blickfang. Ja, in dem Strom aus Menschen gibt es auch Kuriositäten.
Dein Augenmerk springt auf einen schlaksigen Jungen über, der sich gekonnt auf seinem Skateboard durch die Menge schlängelt. Er trägt nur ein viel zu weites weißes T-Shirt, eine zerschlissene Jeans und Sandalen, was deiner Meinung nach gar nicht zu dem Wetter des heutigen Tages passt und dich bei seinem bloßen Anblick noch mehr frieren lässt. Bevor du den Aufdruck auf seinem umgedrehten, erdfarbenen Cappi lesen kannst, ist er auch schon ratternd auf den Rollen seines Boards die Fußgängerzone hinuntergeschossen und zwischen den wogenden Leibern der Passanten verschwunden.
Du ziehst die Sohle deines rechten Fußes mit ein wenig Widerstand über die unebenen gelben Pflasterplatten, während die Zeit zäh dahinfließt. Die Wurzel eines nahen Baumes hielt es scheinbar für nötig, sich gerade hier bei der Bank einen Weg nach oben zu bahnen und hebt den Untergrund langsam aber sicher an. Gleichsam mit der Wurzel sprießt auch überall Unkraut durch die Fugen. Die Stadt täte gut daran, dem aufdringlichen, kleinen Gestrüpp mal mit ein wenig Unkraut-Ex zu Leibe zu rücken.
Wieder schweift dein Blick über die Fußgänger. Du nimmst die Geräuschkulisse um dich herum kaum richtig wahr, es ist dasselbe beständige Hintergrundrauschen aus Schritten und Gesprächen, dem Rascheln von Einkaufstüten und den Geräuschen aus den Geschäften, wie sonst auch. Die Körper verschwimmen immer mehr zu einem Strom aus schwarzen Jacken und blauen Jeans, die in Vielfarbigen Schuhen und Stiefeln enden. Alles besteht nur noch aus verwaschenen Schlieren, bis…
…bis dein Blick an einer jungen Frau haften bleibt. Ohne, dass du weißt warum, fokussiert er sich regelrecht auf sie. Sie ist hübsch, keine Frage und hat ein süßes Gesicht mit Stupsnase, aber sie hat nichts derart Besonderes an sich, dass rechtfertigen würde, dass du ihr länger als einen Augenblick Beachtung schenkst. Dennoch siehst du ihr entgegen, während sie die Gasse entlang geht und sich vorsichtig über den blonden Pferdeschwanz fährt, als würde sie überprüfen, ob er nicht zwischenzeitlich verloren gegangen ist.
Auch ihre Kleidung ist nicht sonderlich auffällig. Ein beiger Rollkragenpullover schützt sie vor der kühlen Herbstluft, ihre Beine stecken in schwarzen Jeans und ihre Füße in wadenhohen, braunen Schnürstiefeln. Langsam erkennst du, dass das, was deine Aufmerksamkeit auf sich zieht, nicht die Frau selbst ist, sondern der kleine, geschwungene Lederkoffer, den sie in der rechten Hand trägt.
Ein wenig unsicher geht sie auf die Sitzgelegenheiten zu, die auf der anderen Seite der Fußgängerzone aufgestellt sind und nimmt zögerlich auf einer unbesetzten Bank Platz. Zwischen euch liegen gute dreißig Metern Abstand und obwohl sie sich direkt gegenüber von dir niedergelassen hat, sieht sie nicht zu dir herüber. Etwas verklemmt, aber auch irgendwie adrett sitzt sie dort, die Beine geschlossen und die Arme nahe am Körper. Der Koffer ruht sanft auf ihren Schoß gebettet, ihre filigranen Hände liegen schützend darauf. Sie schließt die Lider, nimmt einen tiefen Atemzug und spitzt die Lippen, als sie die Luft in einem Stoß wieder in die belebte Fußgängerzone entlässt. Wieder und Wieder. Anscheinend kosten diese Atemzüge viel Kraft und Überwindung. Sie muten wie eine Beruhigungsübung an.
Dann geht ein Ruck der Entschlossenheit durch ihren zierlichen Körper. Sie öffnet die beiden Verschlüsse des Koffers mit einem schnappenden Klicken, dass du selbst über den leisen Trubel der Passanten hören kannst und zieht eine glänzende, in wunderschönem Nussholz gemaserte Violine hervor. Vorsichtig legt sie den nun leeren Koffer auf die Sitzfläche ihrer Bank und steht auf. Ihre Finger greifen gefühlvoll neben sich und zaubern den, zur Geige dazugehörigen, Bogen hervor. Sie benötigt drei, vier Anläufe, bis ihr Kinn in der richtigen Position auf der Stütze des Instruments aufliegt, dann hebt sie den Hals der Violine mit einer einstudierten Geste in die Waagerechte – und zögert. Erneut atmet sie angestrengt durch.
Du kannst ihr ansehen, dass sie sich innerlich vor dem kommenden Moment scheut und sich dagegen wehrt, nicht zurückzuweichen. Ihre Wangen sind leicht angespannt und bekommen allmählich eine rosige Farbe, als die Aufregung nun doch die Oberhand gewinnt. Der darauffolgende Atemzug wird von einem kaum wahrnehmbaren Zittern begleitet. Sie ist unfassbar nervös. Eine starke Zerrissenheit geht von ihr aus.
Du bist völlig gebannt von ihrem Anblick, während sie noch nicht ein einziges Mal in deine Richtung gesehen hat. Keinen der Passanten scheint sie wirklich wahrzunehmen und auch die Passanten interessieren sich nicht für sie, während sie in ihrem Inneren mit sich selbst ringt und einen unerbittlichen Kampf austrägt, den du lediglich erahnen kannst. Ein Hindernis, eine Hürde, die sie kaum überwinden kann hält sie davon ab, den nächsten Schritt zu tun.
Sie beißt sich auf die Unterlippe. Ihre Augen bleiben dabei die ganze Zeit geschlossen. Das Publikum bedeutet ihr nichts und gleichzeitig ist jeder Zuhörer einer zu viel.
Schließlich lässt sie die Violine wieder sinken, ohne ihr auch nur einen Ton entlockt zu haben. Obwohl du die fremde Frau nicht kennst und überhaupt nicht wissen kannst, ob sie gut spielen kann, bist du enttäuscht.
Wie dir klar wird, würdest du sie sehr gerne spielen hören und du weißt beim besten Willen nicht, warum. Deiner Meinung nach wäre es falsch, wenn sie jetzt aufgibt. In Gedanken ermutigst du sie, weiter zu machen, sich zu überwinden und einfach drauf los zu spielen, nichts auf die anderen zu geben und einfach ihr Ding durchzuziehen. Ihr kennt euch nicht, trotzdem du bist der festen Überzeugung, dass sie es kann, dass sie Talent hat. Du willst, dass es so ist.
Doch sie steht nur da und hat die Augen vor der Welt verschlossen. Der Violinenbogen hängt schicksalsergeben in ihrer Rechten hinab und das Instrument selbst in der anderen Hand. Ihre Erscheinung wirkt von einem Moment zum nächsten erschöpft, beinahe so, als hätte sie die Niederlage gegen sich selbst auf eigenartige Weise gebrochen. Traurigerweise sieht sie aus, als hätte sie diese Niederlage bereits akzeptiert.
Wieder und wieder beschwörst du sie stumm, sich einen Ruck zu geben.
Du willst, dass sie ihre Motivation wiederfindet und sich ihr Mut wieder aufrappelt.
Du wünschst dir nichts sehnlicher.
Du willst sie um jeden Preis spielen hören.
Als du deine Hoffnung schon beinahe aufgegeben hast, strafft sie die Schultern, überstreckt plötzlich ihren Hals. Einmal nach rechts und dann genauso noch einmal nach links. Gleich darauf rollt sie mit dem Kopf und ehe du dein Glück fassen kannst, beginnt der Bogen auch schon gefühlvoll über die Saiten zu gleiten. Die ersten Töne erklingen zaghaft und machen den Eindruck, als wäre die Geige ziemlich verstimmt oder als würden die Noten vollkommen zufällig und disharmonisch daherkommen, doch als die Rosshaare des Bogens wieder und wieder auf und ab streichen, erschließt sich dir zunehmend das Konzept der Melodie. Du kennst das Lied. Die Radiosender haben es so oft gespielt, dass du es schon vor Wochen nicht mehr hören konntest, ohne mit den Augen zu rollen. Es ist von Lana Del Rey und heißt Summertime Sadness.
Ja, eigentlich magst du das Lied gar nicht, wirklich nicht, aber etwas an der Art und Weise, wie die Violine die Töne formt, sie entlässt und in der Fußgängerzone vor der grauen, von Fenstern durchbrochenen Kulisse preisgibt, raubt dir mit jeder Note mehr den Atem.
Genauso, wie dich der Klang bezaubert, schlägt dich aber auch seine Schöpferin in ihren Bann. Noch immer hat sie die Lider nicht geöffnet, aber sie wird mit jedem erzeugten Ton sicherer und lässt sich mit jedem Herzschlag mehr in die Musik hineinfallen. Als die Magie der Noten sich zu entfalten beginnt, kriecht der Violinistin langsam ein Hauch von Gelassenheit über die Züge und sickert ebenso in ihre Bewegungen. Die ganze Darbietung wird auf unvorstellbar vielen Ebenen geschmeidiger, natürlicher.
Ihre Brauen beginnen, von den vereinnahmenden Klängen an die Hand genommen, mit den Tönen zu tanzen und ihr frecher, blonder Pferdeschwanz wippt ebenso mit ihren auftauenden Bewegungen, wie es die einzelne Strähne tut, die seitlich bis auf ihre Wange fällt. Die Musik fängt an, ihre Unsicherheit wegzuspülen wie ein langersehnter Regen und legt etwas tieferes, etwas weitaus ursprünglicheres frei. Ihre Beine und Füße ergeben sich der Melodie und wirken so, als hätte man sie endlich aus tonnenschweren Zementblöcken befreit. Unbeholfen, ein wenig unsicher und doch begierig darauf, sich zu endlich wieder bewegen zu dürfen.
Obwohl die Melancholie des Liedes aus jeder einzelnen schwungvollen und dennoch dosierten Geste ihrer Finger in die Geige hineinsickert und davon zurückgeworfen wird, stiehlt sich ein scheues, glückliches Lächeln in ihre Mundwinkel.
Sie spürt jeder der Noten nach und fühlt sie mit jeder Faser ihres Körpers, das kann ihr selbst ein Blinder ansehen.
Du bekommst einen Tropfen ab, hörst und bemerkst das dumpfe Ploppen auf deiner Kapuze aber nicht, weil du gerade von etwas anderem völlig vereinnahmt wirst. Du ertrinkst geradezu in dem von ihr erschaffenen Moment.
Auch der Musikerin kann der einsetzende Regen nicht entgangen sein, doch sie stört sich nicht daran. Nein, sie stört sich wahrhaftig nicht daran, vielmehr scheint sie das kalte Nass sogar willkommen zu heißen. Und mit jedem Regentropfen, der nun, als der Regen stärker wird, an ihrer Wange abperlt und ihr kalt in den Kragen hineinrinnt, scheint sie die Freiheit des Augenblicks noch mehr zu genießen. Sie ist nur noch wenige Töne vom Refrain entfernt, als es plötzlich passiert. In einer Explosion, die den ganzen Ballast von ihren Schultern zu reißen scheint, sprengt sie alle Fesseln von sich und gibt sich der Musik vollkommen hin. Es wirkt so, als wäre sie auf eine wunderbare Weise von einer Muse besessen, während sie den Bogen führt und mit dem Oberkörper den Klängen hinterhertaucht, die sie erschafft. Das anfangs zarte Lächeln weicht einem befreiten, nein, einem entfesselten Grinsen. Ihre Beine schaffen es nicht mehr, nur auf einem einzigen Flecken still zu stehen und bloß schlicht zu wippen, als die gespielten Noten sie packen und über das nasse, unkrautübersäte Pflaster ziehen.
Völlig selbstvergessen lässt sie sich von der Musik tragen, gänzlich unbekümmert davon, dass die ganze Welt gerade die Luft anhält, nur um ihrem Spiel zu lauschen. Die Harmonie, die mit jeder zitternden Saite aus der Violine fließt und mit den geschmeidigen Bewegungen der Violinistin die Gasse schneller flutet, als es der Regen je könnte, ist unglaublich ansteckend.
Ohne, dass du es beeinflussen kannst, heben sich nun auch deine Mundwinkel zu einem Lächeln, als du die ergreifende Leidenschaft siehst, die von der jungen Frau ausgeht. Nun ist sie am zweiten Refrain angelangt und es gibt keine Grenze mehr für sie, die sie noch aufhalten kann. Einem Herbststurm gleich, der die bunten Blätter des Waldes zwischen den Baumstämmen umherpeitscht, jagt sie zwischen den Leuten hindurch, ohne auch nur einen der Menschen mit Instrument oder Körper zu berühren.
Stattdessen berührt sie etwas anderes in den Zuhörern, etwas weitaus tiefer liegenderes, als Haut oder Knochen und lässt es durch die Tönen des Liedes in jedem von ihnen widerschwingen.
Keine Hand könnte diese Menschen jemals so berühren, wie es die Melodie der jungen Frau gerade tut. Ihre Bewegungen werden so zuverlässig von der Musik geführt, dass sie selbst blind mit niemandem zusammenstößt und jeden in völliger Ergebenheit darin einhüllt.
Du weißt nicht, wie lange du ihr fasziniert und scheinbar ohne zu atmen mit den Augen folgst, bis das Lied sich langsam seinem Ende entgegen neigt.
Sie endet mit ihren Sprüngen, Pirouetten und Ausfallschritten schließlich auf der Bank neben ihrem Koffer und malt die letzten Töne in die regenklare Luft. Eine langgezogene Note zittert klagend und dennoch wunderschön die Gasse entlang, dann ist es still. Der Regen hat aufgehört. Schwer atmend und mit durchnässten Strähnen vor den Augen, die sich während der Jagd nach den Klängen aus ihrer Frisur gelöst haben, hebt sie behutsam die Lider.
Ihr Blick huscht unsicher umher. Von einem Gesicht der fassungslosen Passanten zum nächsten und zum nächsten und zum nächsten. Alles wirkt reglos, wie eingefroren. Nichts und niemand bewegt sich. Für einen Herzschlag kehrt die Unsicherheit mit aller Macht zurück, während jedes Augenpaar in Totenstille auf sie gerichtet ist. Ihr Lächeln verschwindet zusehends und wird von einem schweren Schlucken abgelöst, während sich etwas anderes ihrer Züge bemächtigt. Angst. Angst etwas falsch gemacht zu haben. Die Furcht vor Zurückweisung und Ablehnung. Eine Anflug von Panik zeichnet sich in ihrem Gesicht ab und ihre Freude verfliegt dabei.
Doch ehe es soweit kommen kann, dass dieser magische Funke in ihr vollends erlischt, stehst du auf und klatscht. Erst langsam, dann immer ergriffener, schneller, lauter. Du legst die Finger in die Mundwinkel und pfeifst. Einmal und noch einmal und klatscht dann genauso eifrig weiter.
Ihr Blick fällt verblüfft auf dich. Einen Augenblick lang weiß sie mit dem Geräusch und der Reaktion selbst, nichts anzufangen, dann siehst du ein Blitzen in ihren grünen Augen und ihr Lächeln kehrt zurück. Dankbar, erleichtert und hundertfach glücklicher, als je zuvor. Doch nicht nur das. Andere Fußgänger erwachen durch die Unterbrechung aus dem Bann der Geigenspielerin und beginnen ebenfalls zu applaudieren. Sie pfeifen, sie jubeln und rufen, dass sie eine Zugabe wollen. Die Geräusche verschwimmen und tosen gegen die grauen Fassaden der umstehenden Häuser und tauchen sie in Farben, die gar nicht existieren. Sturmflutartig branden sie der jungen Frau entgegen.
Sie genießt es, darin zu baden und sie hat es verdient, davon umhüllt zu werden.
Als sie sich schließlich in bester Musikermanier verbeugt und dann nach oben sieht, bricht die Wolkendecke über ihr auf. Wie ein Scheinwerferlichtkegel wirft die Sonne beifallbekundend einen Strahl auf sie hinab.
Der untere Teil einer nassen, zerbrochenen, facettierten Glasflasche, der ihr zu Füßen liegt, streut das Licht in allen Farben des Regenbogens und überzieht die Kulisse mit tausenden bunten Sprenkeln.
Unvermittelt spürst du eine Hand auf deiner Schulter. Es ist dein Freund und er fragt, nein, fordert dich auf, dass ihr euch endlich zu eurem verabredeten Termin aufmacht, weil die Zeit drängt.
Du siehst ihn fragend an, bis du wieder im Hier und Jetzt ankommst und dir siedend heiß einfällt, weshalb du überhaupt hier gewartet hast. Ein kurzes Spitzeln auf deine Uhr verrät, dass ihr wirklich spät dran seid.
Dann huscht dein Blick wieder zurück auf die umjubelte Violinistin und wie sie sich glücklich eine tropfnasse blonde Strähne aus dem Gesicht wischt und dabei noch immer ihren Geigenbogen gefühlvoll in den Fingern hält - und du fällst eine Entscheidung.
Sachte streifst du die Hand deines Freundes von deiner durchnässten Schulter.
„Tut mir leid. Das muss heute ohne mich klappen.“ Dein Freund sieht dich verdutzt an, doch deine Rechtfertigung wird von einem freundlichen Lächeln begleitet.
„Ich bleibe lieber noch ein bisschen hier.“
*
Was also, bedeutet es für mich, ein Autor zu sein?
Es bedeutet für mich, jemandem eine Violinistin in einer Fußgängerzone zu zeigen, die es nie gegeben und deren Lied er nie gehört hat, deren Darbietung er jedoch ungeachtet dessen jederzeit gerne wieder beiwohnen würde.
Ich glaube, so könnte ich diese Frage in einem Satz beantworten.