Das Ende der Geschichte – Teil III
Das Unwetter brach wie das Jüngste Gericht über Purgatory herein. Es war selten, dass ein Sonora-Sturm es so weit nach Norden schaffte. Doch die Bewohner waren vorbereitet.
Alle Läden waren bereits geschlossen, die Schaufenster durch ihre Gitter gesichert, die Fenster der Wohnhäuser von innen oder von außen mit Holzlatten vernagelt. Die Autos waren entweder in den Garagen oder standen dicht bei den Häusern ihrer Besitzer. Keiner der Bürger wurde auf der Straße überrascht. In jedem Haus lagen Taschenlampen bereit und auf die eine oder andere Art war ganz Purgatory willens und bereit, dem Sturm der auf sie zukam zu trotzen.
»Sie kommen! Sie werden uns holen. Alle, werden sie uns holen! Lasst mich hier raus. Ihr habt kein Recht mich festzuhalten!«
Deputy Montegue schaute genervt zu seiner Chefin. »Boss, der Kerl geht mir langsam wirklich auf den Wecker. Wenn er nicht bald die Klappe hält, ge'h ich in seine Zelle und stopf' sie ihm, ehrlich!«
Sein Boss winkte ab. »Lass ihn nur schreien. Das passt mir ganz gut in den Kram. Und auf gar keinen Fall gehst Du zu ihm in die Zelle, ist das klar? Sonst reiße ich dir den Arsch bis zum Hals auf!«
Carl zog seinen Kopf etwas zwischen die Schultern. Die Rufe von Sheriff Corbin schienen zwar in seinem Kopf zu dröhnen, aber sein Boss war ohnehin angespannt genug und sie war nicht für ihre übermäßige Geduld mit Angsthasen und Nervensägen bekannt.
»Ich könnte rüber zu Lenny gehen und bei ihm Posten beziehen. Da hätte ich auch einen besseren Überblick über die Green-Lane.«
Die Green–Lane war, wenn man so wollte, die zweite Hauptstraße in Purgatory und so nickte die Frau mit dem Sheriffstern zustimmend. »In Ordnung. Aber beeil' Dich.«
Aufatmend verließ der Deputy das Office. Hoffentlich ließ die Stimme in seinem Kopf nun nach!
Nach etwa fünfzehn Minuten ebbte der Sturm ab, so plötzlich wie er aufgekommen war.
Die Sterne kamen langsam mit der einbrechenden Dämmerung hervor und waren deutlich zu sehen wie selten. Die Stromversorgung des Ortes schien ausgefallen, und mit ihr die Straßenlaternen, die sonst die kleine Stadt in der Nacht wenigstens notdürftig erhellten. Eine eigenartige Stille hatte sich über den kleinen Ort gesenkt, wie eine gewaltige Decke, die jedes Geräusch zu verschlucken schien.
Dann tauchten sie auf. Graue Gestalten kamen aus der Dunkelheit, manche wankend, manche schleichend, andere huschend.
»Sie kommen! Jetzt kommen sie. Meine Brüder!«, kreischte es aus der Zelle.
Der Sheriff von Purgatory seufzte und sie erhob sich von ihrem Beobachtungsplatz am Fenster.
»Sheriff an alle. Bereithalten«, flüsterte sie in ihr Funkgerät.
»Verstanden, Sheriff.« Kam vielfach die Rückmeldung.
Als sie vor die Zelle trat, in welcher der einstige Sheriff von Hollow-Ville nun als Grauer Seelenfresser wartete, versuchte dieser es ein letztes Mal: »Lass mich frei, Frau, und ich sorge dafür, dass Du am Leben bleibst, vorerst. Wir lassen immer einen am Le …«
Zwei fast zeitgleich abgefeuerte Schüsse ließen den Kopf des Grauen wie eine faulige Melone zerplatzen. Die Frau lud automatisch die beiden Kammern ihres riesigen Colt Bearbuster nach.
»Carl hatte Recht, Du nervst!«
Ihre Schüsse waren das Zeichen für alle anderen, die in der ganzen Stadt verteilt waren. Als wäre ein Krieg ausgebrochen waren von überall Schüsse zu hören. Kleine Kaliber, Schrotflinten und vereinzelt die Feuerstöße von vollautomatischen Waffen.
Aber es war kein Krieg! Es war ein Gemetzel, welches die durchaus wehrhaften Bürger von Purgatory an den Grauen anrichteten. Es war nicht nur die Befreiung von der unmittelbaren Bedrohung, es war wie ein Aufschrei der kleinen Stadt, die sich nach Jahren des Leids selbst erlöste.
Ihr Sheriff hatte sie angewiesen, zu schießen, bis sie keine Munition mehr hätten und bis keiner der Grauen mehr zuckte. Zur Sicherheit sollten die Bürger danach lieber noch ein oder zwei Magazine in die Leichen der Grauen hinein feuern, und das taten sie auch.
Der Gemischtwarenhändler mit der Schrotflinte stand Seite an Seite mit dem Klein-Dealer der seine 38er leer schoss, der wiederum dem Bankangestellten mit dem Jagdgewehr den Rücken freihielt.
Die Grauen hatten keine Chance und als sie fliehen wollten, erlebten sie zum ersten Mal in ihrer Existenz, wie es war, selbst eingeschlossen zu sein. Purgatory ließ keinen einzigen von ihnen aus dem Fegefeuer entkommen.
Als die Schüsse langsam verstummten, traten der Sheriff und ein hochgewachsenen Halbindianer aus dem Office. Auch sie hielten heißgeschossene Schusswaffen in ihren Händen.
»Danke, Joele, für Deine Warnung. Purgatory schuldet den Yavapai eine Menge.«
Der lächelte eines seiner seltenen Lächeln und schüttelte Kopf. »Nicht hierfür. In dieser Sache betrachten wir uns als quitt!«
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Als ich geendet habe, sehe ich deutlich entspanntere Mienen. Das Leben ist zwar selten so, aber Geschichten, besonders jene, die man Kindern erzählt, haben gefälligst einen guten Ausgang zu haben.
»Wenn wir Erwachsenen auch sonst nicht viel in der Welt zustande bringen, aber wenigstens die Geschichten, die wir den Kleinen erzählen, sollten sie Mut, Tatkraft und Zuversicht lehren.« So jedenfalls hat man mich vor Kurzem beim Proben des Auftritts eindringlich informiert und ich bemühe mich nach Kräften, dem nachzukommen.
»Igor. Bevor Unsre Gäste gehen, haben Wir nicht etwas Süßkram, dessen Wir nicht bedürfen und den Wir zur Erbauung aller unter die Leute bringen können?«
Jose verkneift sich tapfer sein Lachen, auch wenn sein Gesicht verräterisch zuckt. »Wie Ihr befehlt, meine Herrin«, fängt er den metaphorischen Ball geschickt auf und öffnet den Sarg mit dem leuchtenden Halloweenkürbis, den er zuvor in aller Heimlichkeit – mit der Hilfe einiger Eingeweihter - aus dem Wagen gehievt hatte.
Johlend fällt die Kinderschar über die Snacks, Riegel, Bonbons, Lutscher her und auch über alles andere, was sich sonst noch im Geschenke-Sarg offenbart hat. Vergessen ist meine Geschichte und vergessen bin ich, also zeige ich, von fast keinem bemerkt, meinen größten Bühnentrick, blinzle und bin verschwunden.
Hinter den Bäumen, gut verborgen vor neugierigen Blicken erwartet mich eine Hexe im Glitzerkleid.
»Das war noch besser als letztes Jahr. Eine gute Idee, diesmal auf die blutigen Einzelheiten zu verzichten. Und dass am Ende nicht alle tot sind, nur die Bösen, ist auch viel besser.«
Ich grinse und kneife die hübsche Hexe verspielt in den Po, was sie kurz aufqietschen lässt.
»Ich weiß ja nicht recht. Mag sein, dass es den Kleinen so besser gefällt, aber ich fand meine Geschichten grusliger, als am Ende nur noch ein schauriges Lachen im Nebel verklang!«
Sie kichert, irgendwie ganz und gar nicht das Kichern, das man von einer Hexe erwartet und mir wird klar, dass ich dieses Kichern jederzeit gegen selbst das beste schaurige Lachen eintauschen würde.