Marik hatte im Moment andere Probleme, als der Zeremonienmeister samt Gefolgschaft. Dennoch wusste er, wie er das für sich nutzen konnte. Mit einem gezielten Wurf schleuderte er dem Zeremonienmeister den Tentakel entgegen, welches mit weit aufgerissenen Maul sich in dessen Gesicht verbiss. Die beiden anderen Tentakel wurden mit schwungvollen Knietritten den Robenträgern entgegen getreten und rief laut: „Zweihundert-Prozent-Schlag!“
Er nutzte die Verwirrung und traf den Zeremonienmeister in die Magengegend, welcher schreiend in die Menge flog und aufgefangen wurde. Sein Pech, dass er an forderster Front stand.
„Schnell Trudi, flieh!“
„Was? Aber was ist mit dir und Hugo?“
„Egal! Hauptsache der Setzling ist weg! Flieg soweit weg wie du kannst und rette die Feenrasse! DAS ist deine Aufgabe! Deine Pflicht!“
Hilflos sah sie um sich.
„Du hast Recht...“, gab sie widerwillig zu.
Sie flog aus dem Aufzug heraus, zum kaputten Dach der Kirche und rief herunter: „Marik, du bist der Prophezeite, der den Krieg zwischen Mensch, Zombie und Feen beenden wird!“
Marik gab ihr ein letztes Lächeln. Er wusste nicht, wann die Feen dazukamen, aber es gab nur eine Antwort und eine Geste in dem Moment. So sagte er, während er den Daumen hoch schwang: „Natürlich.“
Trudi nickte und flog mit dem Setzling davon.
Der Zeremonienmeister riss sich den Tentakel aus dem Gesicht. Es hatte ihm die Nase abgebissen und herunter geschluckt. Keuchend stürzte er zu Boden und spuckte von Mariks Schlag Blut aus. Es war unklar wie schwer er verletzt wurde, doch seine Organe hatten ziemlichen Schaden erlitten.
Die Robenträger sammelten sich besorgt um ihren Anführer und ließen Marik zugleich nicht außer Acht.
„Fangt ihn!“, rief der Zeremoniemeister wutentbrannt und hielt sich mit der Hand das Gesicht.
„Es ist vorbei, Zeremonienmeister“, sagte Marik, noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Es war diesmal ein siegessicheres.
„Vorbei, sagst du? Was soll schon vorbei sein?“
„Die Bären sind im Labor gefangen. Und der Setzling, der die Maschinen antrieb, ist weg. Diese Ungeheuer können nicht mehr erweckt werden.“
„NEEEIN! Was hast du getan?!“, rief der Zeremonienmeister.
„Es aufgehalten.“
„Es aufgehalten? Es AUFGEHALTEN? DU!!! Du allein hast es AUSGELÖST!“
„Wovon redest du“, fragte Marik und runzelte die Stirn.
„Was denkst du denn, wer diese Bären in die Welt gelassen hat? Ich? NEIN! Dieser Rat war es! Deswegen habe ich ihn beseitigt. Deswegen habe ich den Ehrwürdigen getötet. Deswegen lassen wir Steine und Stämme anschleppen, um den Eingang zum Labor für immer zu verschließen!
Und du! DU! Du hast die Maschinen deaktiviert, die dafür sorgten, dass die Bären und all die anderen Dinger da unten friedlich schliefen! Sie werden den Weg nach hier oben finden und die Welt von uns ins Chaos stürzen!“
„Das... das ist gelogen.“
„GELOGEN?!“
„Er. Lügt. Nicht.“
Marik erschauderte. Die Worte die den Zeremonienmeister unterstützen sollten, kamen vom Zombiebären persönlich. Sie war tief und unheimlich.
„Unsere. Brüder. Sind. Bestien. Ohne. Verstand. Wie. Jener. Bär. Den. Du. Im. Sumpf. Getötet. Hast.“
„Woher wisst ihr davon“, fragte Marik.
„Du. Riechst. Nach. Seinem. Blut.“
Konnte es wahr sein? Hatte Marik das Ende der Zombies ausgelöst?
„Wir müssen weg“, sagte der Zeremonienmeister.
Die Robenträger blickten sich wortlos einander an.
Dann wandte der Erste sich zum Ausgang der Kirche und rannte davon. Nach und nach folgten ihm die anderen. Marik blieb allein mit dem Zombiebären zurück.
„Und was wird jetzt geschehen?“
Der Zombiebär setzte sich auf sein Hinterteil.
„Ich. Und. Meine. Beiden. Brüder. Werden. Die. Kirche. Solange. Halten. Und. Verteidigen. Wie. Wir. Können. Du. Musst. Eine. Lösung. Finden!“
Marik atmete schwer aus.
Eine Lösung? Wer weiß schon, ob die Experimente tatsächlich eines Tages ausbrechen würden. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Es war nicht Mariks Problem. Selbst wenn die Kleineren einen Weg finden würden, die Bären können ohne den Aufzug nicht an die Oberfläche kommen. Für Marik war das Problem also quasi nicht vorhanden. Er hatte ganz andere Sorgen. Seine Prinzessin. Schon seit einigen Tagen hatte er sie nicht mehr gesehen. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie sich nicht blicken ließ. Doch nun war es schon fast eine Woche. Ein schlechtes Vorzeichen?
Das Zombiedorf war befreit. Die Sklaven waren wieder normale Arbeiter. Doch etwas fehlte. Der Rat der Schlauköpfe wurde während der kurzen Herrschaft des Zeremonienmeisters schließlich hingerichtet. Es gab daher keinen Anführer für das Zombiedorf. Und die Kraftprotze konnten sich nicht selbst verwalten.
Sie sammelten sich in der Mitte des Dorfes und empfingen Marik gebührend seines Standes, als er die Kirche verließ.
„Anführer! Anführer! Anführer!“, rief der Chor.
Unter ihnen war auch Hugo.
„Hugo, was ist hier los?“
Er trat aus der Menge hervor: „Marik Prophezeiter. Marik Anführer. Alle anderen tot.“
Die über einhundert Kraftprotze verneigten sich einmal mehr vor Marik.
„Ich soll euch anführen? Ich weiß nicht... alles was ich will, ist die Prinzessin befreien...“
„Prinzessin befreien! Prinzessin befreien! Anführer hat gesprochen!“, war sich der Chor einig.
„Wenn ihr das wirklich wollt, dann folgt mir zu den Eierfressern.“
„Eierfresser! Eierfresser! Eierfresser!“
Der Chor feierte den neuen Anführer Marik, doch etwas lag ihm noch auf den Herzen.
„Hugo... wegen Trudi...“
Hugo nickte: „Trudi weg.“
„Du weißt schon davon?“
„Trudi hat sich von nicht Hugo verabschiedet. Trudi wird aber Hugo besuchen, wenn Feen keine Leckerschmecker mehr sind. Daran glaubt Hugo ganz fest.“
„Was glaubst du, wie lange wird das dauern?“
„Hugo wird sich dafür einsetzen! Und wer Hugo widerspricht, bekommt Haue!“
Marik lächelte. Jap. So war Hugo. Ein Kraftprotz, der statt groß zu denken, lieber alles mit Gewalt regeln würde.
Und so marschierte Marik mit den Einwohnern des Zombiedorfes im Schlepptau los. Denn noch war es nicht vollbracht. Es galt noch die anderen Gesellschaften zu vereinen. Erst dann, wenn alle Zombies an einem Strang zogen, hätten sie eine Chance die Prinzessin tatsächlich zu befreien. Was genau die Fleischfresser vor hatten, wusste er zu dem Zeitpunkt auch noch nicht. Aber das würde er in wenigen Tagen herausfinden.
Vor dem Schloss der Eierfresser waren mehrere kleine Hütten errichtet worden.
Marik staunte nicht schlecht, als er erkannte, was sich hier abgespielt hatte.
Kurz: Die Fleischfresser hatten die anderen Gesellschaften überzeugt sich den Eierfressern anzuschließen. Und zusammen mit den Kraftprotzen des Zombiedorfes hatten sie die Zahl von mehr als zweihundert Zombies erreicht.
Eine Sache ließ Marik stutzig werden. Der Eingang zum Schloss blieb verschlossen. Niemand hatte sich seit die anderen Gesellschaften eingetroffen waren blicken lassen. Marik bemühte sich daher die Tage darum beim Aufbau des neuen Dorfes zu helfen.
Und ein neuer Name musste her. Sie waren keine Fleischfresser, Eierfresser oder Fischer mehr. Sie sollten einen gemeinschaftliche Namen tragen.
Von nun an sollten sie, bis in alle Ewigkeit, nur noch einen Titel tragen:
Zombie
Nachdem das Dorf einige Tage später errichtet und die Wälder in der Umgebung abgeholzt waren, begann Marik neue Technologien unter den Zombies zu verbreiten. Er verwarf alles alte und brachte große Fortschritte in Alchemie, Rüstungen, Waffen, Fallen und Ernährung.
Und dann passierte es. Das Schloss öffnete seine Tore und heraus kam als einziger der gute, alte Schlaukopf.
„Schlaukopf!“ rief Marik.
Doch Schlaukopf sah nicht erfreut aus: „Marik…“
„Was hast du, Freund?“
„Die anderen und ich sind von deinem Erfolg überwältigt… du hast so viel für uns getan. Doch… der Anführer…sieht es anders.“
„Was soll das heißen? Was hat er diesmal für ein Problem?!“
„ Es ist dumm. So dumm, dumm, dumm! Er traut dir noch immer nicht. Selbst jetzt nicht.“
„Er... traut mir nicht? Während alle anderen es aber tun?“
Schlaukopf nickte wortlos.
„Und was soll ich jetzt tun? Ich hab doch alles menschen – zombiemögliche getan?“
„Er will dich treffen.“
„Oh. Echt? JETZT will er mich treffen?“
„Folge mir zum zweiten Stock. Er erwartet dich.“
„Na gut, dann treffe ich nach all der Zeit diesen Anführer. Ich lass nach Hugo rufen.“
„Ohne Hugo.“
Marik zuckte mit den Schultern und folgte Schlaukopf in das Schloss hinein. Es war so staubig und trostlos im Inneren wie eh und je, außer hinter der Tür zum Gemeinschaftsraum.
Er folgte Schlaukopf bis zu einer maroden Treppe, die zweifellos in den zweiten Stock führte.
Da stand der geheimnisvolle Anführer, mit schwarzen Augen und einem eiskalten Blick. Ansonsten sah er nicht anders aus als die restlichen Zombies, denen Marik begegnet war. Im weißen Hemd und blauer Jeans, wie es für die Eierfresser üblich war.
Aber dieser kurze Moment in den sich ihre Augen trafen... ihm war, als würde der Anführer ihm versuchen in die Seele zu blicken.
Marik näherte sich: „Ich bin Marik.“
„ Ich weiß. Komm mit.“
Der Anführer führte ihn durch einen Gang hinter eine Tür und dann in einen kahlen Raum ohne Inneneinrichtung.
„Warum traust du mir nicht?“
„Sollte ich das, kleiner Mensch?“
„Ich bin ein Zombie.“
„Ha. Ein Zombie willst du sein. Und was warst du all die Jahre zuvor?“
„Das tut nichts mehr zur Sache. Ich bin jetzt einer von euch. Ich will mit euch zusammen die Prinzessin retten!“
„Ha. Die Prinzessin retten. Mit den Zombies da draußen? Lachhaft. Weißt du wie das für mich klingt? Nach reinen Selbstmord. Ist es das was du planst? Dass die Zombies sich selbst vernichten?“
„Ich plane gar nichts. Alles, was ich will ist, dass die Prinzessin wieder frei kommt.“
„Und warum ist gerade das dein Bedürfnis? Warum all dieser Aufwand, nur um sie zu retten, wo du sie doch gar nicht kennst? Nie ihre Stimme gehört hast. Sie nur einmal gesehen hast. Sie ist kein Teil deines vergangen, gegenwärtigen oder zukünftigen Lebens. Also: WARUM?!“
„...“
„Siehst du? Du weißt es selber nicht, Marik.“
„Ich liebe sie“, kam ihm als Argument hervor.
„Liebe? Oh, natürlich. Die Liebe. Ein chemischer Vorgang im Gehirn eines Menschen. Wie konnte ich das nur vergessen.“
„...“
„Indem du mir sagst, dass du sie liebst, bestätigt das nur einmal mehr, dass du ein Mensch bist. Und Menschen kann man nicht trauen.“
„Ich bin kein Mensch mehr...“
„Ist das so? Fein. Ich biete dir die ultimative Gelegenheit es zu beweisen.“
„Beweisen? Was gibt es denn noch zu beweisen? Was soll ich denn noch alles tun?“
Der Anführer klatschte in die Hände.
Zwei Kraftprotz-Eierfresser schliffen eine mit einem Sack über den Kopf gezogene Person hinter sich her und warfen ihn in den Raum.
Nein. Das kann nicht sein,dachte Marik.
Der Anführer nahm der Person den Sack vom Kopf und gab den Anblick auf Ross frei, den Marik ursprünglich aus dem Zombiedorf gerettet hatte.
Ohne eine weitere Erklärung abzugeben wie er hier her kam, befahl der Anführer nur: „Zeig mir, dass du ein Zombie bist. Friss ihn.“