Die Erwartungen des Lesers

Es gibt 39 Antworten in diesem Thema, welches 11.729 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (11. Februar 2019 um 19:01) ist von Thorsten.

  • Inwieweit kann ich also diese Grenzen eurer Meinung nach strapazieren?

    Leider hab ich gerade nicht so viel Zeit, daher nur eine sehr kurze Antwort: Meine Vermutung ist, dass es vor allem daran hängt, ob die Geschichte insgesamt gut geschrieben ist (also von jeglichen oberflächlichen Genre-Merkmalen unabhängig) und die Leser durch interessante Erzählungen / Darstellungen / Handlungen bei der Stange hält. Dann denke ich mal kann ich ziemlich alles machen, wenn dadurch nicht eine gewisse innere Logik verletzt wird. Für den Autor heißt es dann aber auch, den passenden Stil zu seinen verrückten Ideen zu finden, beispielsweise erlaubt Pratchetts humorvoller, ironischer Stil mindestens theoretisch viel mehr völlig verrückte und abstruse Ideen. Ein Zauberer, der von einem einzigen Zauberspruch "besessen" ist und daher eigentlich nicht zaubern kann, klingt nicht nach der typischen Vorstellung eines klischeemäßigen Zauberers, aber es funktioniert, weil Rincewind hervorragend in den Stil der Erzählung passt. Ob das in einem eher ernst(er) gemeintem Herr-Der-Ringe-Setting funktionieren würde, ist fraglich, denn da würde die Gestalt eher äußerst tragisch wirken, ohne das die Tragik humorvoll gebrochen wird. Das könnte Leser frustrieren.
    Bezogen auf Charaktere heißt das für mich auch: Wenn ich mich als Leser mit den Charakteren identifizieren kann und gerne über sie lese, dann erlaube ich eine größere Bandbreite an Abweichungen. Letztlich muss es einfach etwas geben, was es mir Wert ist, an einer Geschichte dran zu bleiben, auch wenn sie nicht meinen Erwartungen und Wünschen entspricht.
    Aber vielleicht bin ich in dieser Hinsicht auch einfach ein sehr tolleranter Leser ^^ .
    [to be continued]

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Welcher Gesamtmix aus Erfüllen und Brechen von Konventionen macht eures Erachtens nach die richtige Mischung?


    Konventionen brechen ist bei mir ein bisschen ein Reizthema, denn ich hatte den Eindruck wenn ganz viel darueber geredet wird, dann hat der Autor manchmal halt schon ein Problem innerhalb einer Konvention eine solide Geschichte zu erzaehlen. Um eine Konvention zu brechen muss man sie halt verstanden und gemeistert haben, einfach drauflos schreiben briicht keine Konvention - und die guten Erzaehler die tatsaechlich Konventionen brechen - bei denen haengt man so an der Geschichte dass man das als Leser erst hinterher merkt, und es muss nicht viel darueber geredet werden.

    Ein geniales Beispiel fuer so eine gelungenen Bruch kommt von Agatha Christie - in 'The Murder of Roger Ackroyd' ist der Taeter am Ende der Ich-Erzaehler der Geschichte - damit rechnet nun wirklich keiner, weil wir ja alle Gedankengaenge des Erzaehlers kennen - aber im Rueckblick ist es sogar fair erzaehlt, wenn man es weiss, dann wird sogar der Mord beschrieben ('I turned to do what was necessary - it did not take long.') Fuer einen Krimi ist das unkonventionell und unerwartet, aber es funktioniert, weil Christie die Konventionen des Krimis ja perfekt drauf hat. Und genau deshalb zieht einem die Aufloesung hier den Boden unter den Fuessen weg.

    Ansonsten geht es bei ;Konventionen' oft mehr um Dinge die sich einfach bewaehrt haben. Ein Krieger der im Kampf ist, ist halt einfach fuer den Leser interessanter als einer der am Klo sitzt. Der Bauer der durch das Schicksal ausersehen ist die Welt zu retten gibt mehr fuer eine Geschichte her als sein Kumpel der zu Hause Kartoffeln gepflanzt hat. Als Leser moegen wir Abwechslung, nicht Wiederholung des immer-gleichen. Nachdem die riesige Gefahr gebannt ist, interessiert uns die alltaegliche nicht mehr so, wir gehen irgendwie davon aus dass der Krieger der den Gott der Dunkelheit im Kampf bezwungen hat auch mit zwei Orks klarkommt die den Weg unsicher machen.

    Natuerlich ist es ab und zu gut uns daran zu erinnern dass das nur Annahmen sind - aber die Ueberraschungen muessen sich dann am Ende trotzdem zu einem Ganzen fuegen, weil die elementare Mechanik der Aufmerksamkeit fuer Geschichten ja nicht ausser Kraft ist - wir finden nicht jede Begebenheit erzaehlenswert, sondern eben nur manche.

  • Ich fand Asnis Beschreibung seiner Leseinteressen weiter oben sehr spannend und habe selbst auch einen ähnlichen Prozess durchgemacht und gehe mal davon aus das es vielen Viellesern irgendwann so geht?

    Sensenbachs Ausführungen treffen eigentlich alle auf die erste Kategorie zu, man will Altbekanntes, Vertrautes etc. etc.


    Die zweite Kategorie des "Neuen" ist dann natürlich eine ganz andere. Die ist natürlich Schwieriger, da man als Autor natürlich nicht einfach nur Altbekanntes zusammenstückeln kann und, wenn man es erst meint, auch nicht mal eben einen Verlag finden wird.
    Das muss ja auch nicht bedeuten das der Roman nur 10 Seiten oder 10.000 Seiten lang ist, oder das der größte Teil der Geschichte darin besteht wie groß nun die Kartoffeln sind, die er erntet. :p
    Aber es muss ja auch nicht jedes effing Mal um die Rettung der Welt, des Universums und des Multiversums mit absurden Wunderkräften und superblubläb gehen.
    Dauernd wird Tolkien erwähnt, aber Helden wie Frodo welche nicht die Auserwählten oder Superkämpfer sind und auch keine unglaubliche Magie hatten, gibt es erstaunlich selten...


    Also klar sollte das Buch sinnvoll strukturiert sein, einen klaren Spannungs- und Handlungsbogen haben und von der Länge her irgendwo lesbar sein. Auch sollte ein als Kinderbuch gelabelter Roman nicht voller brutaler Morde und Inzest sein...


    @Immer das gleiche: Ja und nein. Von einem Autor der gut und Abwechslungsreich schreibt, lese ich gerne mehrere Bücher, auch wenn sie komplett andere Themen behandeln. Die immergleiche Geschichte will ich inzwischen nur noch selten lesen.

    @mittelaltertliche Fantasy: Das Problem ist, das viele Leute eine sehr romantisierte Vorstellung des Mittelalters haben, meist eher die eines fantasy-Mittelalters das historisch gesehen entweder nie existiert hat oder eine Mischung aus Renaissance und dem 19.Jhdt ist.
    Eine wirklich mittelalterliche Gesellschaft und Gedankenwelt wäre zum einen gar nicht so einfach zu schreiben und für den Leser auch nur bedingt nachvollziehbar ohne einen ganzen Zoo voller Erklährbären... ;)

    Spoiler anzeigen

    Ich habe mich ja mal in einer Kurzgeschichte an sowas versucht, wobei ich durch Mangel an Übung da natürlich nicht allzu gut war, und hab ein Heer beschrieben das auftaucht aber dann nach einer Verhandlung ohne Kampf wieder abzieht. Das wurde fast durchwegs als unrealistisch empfunden. Da man aus der Fantasy nun mal weiß, das zwei Heere, wenn sie aufeinander treffen, logischerweise Kämpfen müssen. Das das in unserer Geschichte nie Standard war, da das nun mal endlose Verluste und Kosten für beide Seiten bedeutete und Verhandlungen logischerweise merklich günstiger waren. Auch sind einem die historischen Kämpfe und Schlachten bekannt, wie oft aber ein Konflikt mehr oder weniger friedlich gelöst wurde findet man erst wenn man etwas tiefer gräbt.
    Das sind aber alles Ernährungen die in einer Kurzgeschichte nichts zu suchen haben ...


    @All:
    Es wäre nett wenn ihr Buchspoiler über das Ende von Büchern in Spoiler-Tags setzen würdet. Nicht alle haben alles gelesen und hier dauernd das Ende von Büchern ohne Warnung um die Ohren geklatscht zu bekommen, finde ich grad nicht so prickelnd...

    Falken haben doofe Ohren

  • Jo, Alca, ich bin da voll bei dir.
    (außer das ich tatsächlich fast nur Fantasybücher habe, wo die Leute Normalsterbliche sind. Auserwählte findet man bei mir sehr selten.)


    @Immer das gleiche: Ein Otto-Normal-Leser, der drei Bücher im Jahr liest, wird auch ein wiedergekäutes, mittelmäßiges Buch zufrieden beseitelegen, sofern es einigermaßen fehlerfrei ist und am Ende "jeder das bekommt was er verdient". Das stimmt bestimmt.

    Aber ein Lektor oder ein Rezensent ist ein Vielleser. Wenn der billigen Abklatsch vorgelegt bekommt, wird er es auch dementsprechend bewerten. Mag ein Lektor vielleicht noch durch Verlagsrichtlinen gebremst werden, ein Rezensent ist das nicht. Und ein Buch, was bei Amazon zwei bis drei Sterne hat, wird kaum einer kaufen. Da helfen auch nicht das halbe Dutzend gekaufter fünf-Sterne-Bewertungen.
    Übrigens verwenden auch Buchhändler solcherlei Bewertungen. Und das sind nicht die von Amazon (oder nicht nur).

    Wenn man jetzt noch Klischees einbaut, tickt vermutlich auch der gefügigste Lektor aus. Mag der Auserwählte gerade noch durchgehen, aber wenn der gleichzeitig einen magischen Ring einschmieden muss, zucken beim Lektor die Finger.

    Und wer im Fantasy-Kontext eine klitscheemäßige Sprache verwendet, hat da eh schon verloren. "Ich versteh nur Bahnhof" geht beispielsweise in der Urban-Fantasy klar, aber die deutsche Sprache hat viele Redewendungen und feststehende Ausdrücke. Nicht alle sind so eindeutig. Und wenn ein Vielleser haufenweise abgedroschendes Zeug liest, wird er geistig abschalten. Und wenn er sich ärgert, vielleicht auch sich die Mühe machen eine Rezension zu schreiben, die bestimmt nicht schmeichelhaft ausfallen wird.


    @mittelalterliche Fantasy: Ja, das ist tatsächlich ein Problem. In der Realität war es zum Beispiel wirklich oft so, dass eine kleine Burg nur einen Ritter samt Familie/Gefolge hatte und eine Handvoll Berufssoldaten. Vielmehr als Verschanzen war da nicht drinnen, wenn man angegriffen wurde. Meistens einigte man sich friedlich.
    Falls es zu einer Belagerung kam: Belagerungen wurden zu 90% auch nach gut einem Monat abgebrochen, auch das ist historisch bewiesen. Das lag schlicht daran, dass die Heere mit Söldnern verstärkt wurden und die einfach Gold kosten. Sofern man überhaupt Belagerungsmaschinen hatte.

    Größere Burgen oder Fehden zwischen größeren Ländern konnten da etwas anders ablaufen. Da ist es auch schon überliefert, dass Belagerungen ganz gemäß dem düsteren Vorurteil abliefen. Also mitsamt dem Werfen mit versuchten Leichen, damit Seuchen in der Befestigung ausbrachen. Oder der Zwangsrekrutierung von Bauern. Dazu noch Frauen und Kindern zum Einsammeln von Pfeilen, Rüstungen oder sonstigen brauchbaren Material. Das Ausplündern des Hinterlandes...etc.

  • und hab ein Heer beschrieben das auftaucht aber dann nach einer Verhandlung ohne Kampf wieder abzieht. Das wurde fast durchwegs als unrealistisch empfunden. Da man aus der Fantasy nun mal weiß, das zwei Heere, wenn sie aufeinander treffen, logischerweise Kämpfen müssen


    Finde ich jetzt interessant.

    Ich wuerde die Verhandlungsvariante als realistischer empfinden, aber sie gibt eben auch keine gute Story her. Dass sich zweiLeute in der Baar anschreien und sich danach wieder vertragen ist keine Notiz in der Lokalzeitung wert - weil es so realistisch un der Normalfall ist - dass sie die Bar in Truemmer legen gibt eine gute Geschichte her - weil es eben nicht normal ist.

    Oft ist das reaistische halt nicht das was eine erzaehlenswerte Begebenheit ausmacht - weil es realistisch ist.

    Jemand wird im Streit ermordet, die Poizei sichert den Tatort, nimmt Fingerabdruecke von der Waffe, findet den Typen in der Datenbank, faehrt zu ihm hin und nimmt ihn fest - das ist recht normal bei Ermittlungen, aber was fuer einen Krimi gibt das denn ab?

  • Oft ist das reaistische halt nicht das was eine erzaehlenswerte Begebenheit ausmacht - weil es realistisch ist.

    Prinzipiell stimme ich dir hierzu, würde aber dennoch vermeiden, die Begriffe "realistisch" und "gewöhnliche" (bzw. "wahrscheinlich") zu vermengen. Natürlich interessieren uns aufregende Geschichten, ich will nicht lesen (oder sehen oder spielen oder ...) wie jemand morgens aufsteht, acht Stunden zur Arbeit fährt und dann feststellen, dass er/sie abends noch duscht. (Boah alter, der Plot-Twist, ich hätte gewettet, er duscht morgens!) Es ist als Leser also schon unser gutes Recht, etwas ungewöhnliches vorgesetzt zu bekommen, denn wenn Helden keine Gelegenheit bekommen sich heldenhaft zu bewähren, sind sie wohl kaum Helden.
    Dennoch kann man sich um Realismus bemühen. Dass eine Schlacht tatsächlich geführt wird, ist nicht unrealistisch, vermutlich nur wesentlich weniger geläufig, als der Laie vielleicht annimmt. Und solange eine Geschichte nicht nur aus abgebrochenen Schlachten besteht, würde ich beides begrüßen.

    Zitat von Thorsten

    Konventionen brechen ist bei mir ein bisschen ein Reizthema, denn ich hatte den Eindruck wenn ganz viel darueber geredet wird, dann hat der Autor manchmal halt schon ein Problem innerhalb einer Konvention eine solide Geschichte zu erzaehlen.

    Wir haben scheinbar einen unterschiedlichen Begriff von "Konvention". Ich hab den Begriff hier jetzt eher lose gefasst und verstehe darunter auch, dass man Fantasy-Völker oder ähnliches abwandelt oder auch das Mittelalter realistischer beschreibt (s.o ;) ), als es im üblichen Fantasy Gang und Gebe ist. Ich glaube diese Art von Konvention begreifen viele sehr schnell und versuchen eine Fantasygeschichte daher so zu gestalten, weil sie denken, es gereicht dem individuellen Ausdruck schon zur Genüge, wenn man sterbliche Elfen oä einführt.

    Zitat von Thorsten

    Ansonsten geht es bei ;Konventionen' oft mehr um Dinge die sich einfach bewaehrt haben. Ein Krieger der im Kampf ist, ist halt einfach fuer den Leser interessanter als einer der am Klo sitzt.

    Und auch hier ist die Konvention ja nicht nur, dass der Kämpfer kämpft, wie sein Name erwarten lässt, sondern dass er, in 9/10 Fantasywerken (Angabe ohne Gewähr), durch feindliche Reihen geht wie ein Mähdrescher. Auch etwas, was uns zunehmend von Hollywood verkauft wird. Die Konvention zu brechen wäre an der Stelle schon, wenn er, obwohl er als guter Kämpfer eingeführt wird, sich mit zwei Gegnern gleichzeitig schwer tut und dass wenn er eine schlichte Verletzung erleidet, dass auch tatsächlich Konsequenzen haben kann.

    Spoiler anzeigen

    (Siehe Khal Drogo)


    Ein einzelner dieser Punkte bringt natürlich keine fundamentale Innovation mit sich und auch mehrere zusammengenommen nicht. Vermutlich lässt sich das Rad überhaupt gar nicht mehr neu erfinden, sondern alles was wir tun können, ist, uns auf möglichst individuelle Art und Weise von den gg. Klischees zu distanzieren. Das Maß dieser Distanz war so ein bisschen das, worauf ich mit dem ursprünglichen Post hinaus wollte. Natürlich kommt es auf mehr an, als nur der Grad der Bedienung bestimmter Klischees.
    Was mich zu Asnis Punkt führt

    Zitat von Asni

    Meine Vermutung ist, dass es vor allem daran hängt, ob die Geschichte insgesamt gut geschrieben ist (also von jeglichen oberflächlichen Genre-Merkmalen unabhängig)

    Ich denke, das ist natürlich die Grundvoraussetzung dafür, dass man ein Werk überhaupt näher unter die Lupe nimmt. Das Genre oder die Unkonventionalität einer Arbeit machen ja kein gutes Buch und schon gar nicht nur für sich genommen. Wobei "gut geschrieben" ja wieder komplett relativ ist, was man alleine darin sieht, dass ich (und viele andere hier sicher auch) so einige Bestseller nicht mit der Kneifzange anfassen würde. Und ich denke dieser subjektive Ausdruck bestimmt auch in gewissem Maß, inwieweit wir mit gebrochenen Konventionen umgehen können oder nicht. (Man kann sich jetzt auf die Hinterbeine stellen und sagen 50 Shades Of Grey wäre schlecht geschrieben, ich weiß nicht, ob das stimmt ?( oder man sagt das über Harry Potter und mit gewissem Recht könnte man das auch über HdR behaupten... ich würde daher sagen, 50SoG ist klischeemäßig geschrieben und vollgesogen mit der Erfüllung erwartbarer Konventionen.)
    Gängige Fantasy von Heinz oder Hohlbein sagt mir im Allgemeinen gar nicht mehr zu, weil sich auf Erfolgsrezepte gestützt wird, die Konventionen (oder auch Klischees) bedienen, was sehr sehr viele Käufer nicht zu interessieren scheint, während mir bspw Pratchett (oder häufig auch Moers) nicht zusagen, weil so ziemlich jede Erwartbarkeit in den Mixer gehauen wird, was wieder andere total daran feiern können. Wobei, wie du schon erwähnt hast, diese Überzeichnung bei Pratchett und Moers nur hinhaut, weil es Parodien auf klassische Fantasy sind. In einem ernsten Setting würde vermutlich nicht mehr alles davon so funktionieren. Dennoch sind sie ein gutes Beispiel für den Umgang/Bruch mit Konventionen.

  • Prinzipiell stimme ich dir hierzu, würde aber dennoch vermeiden, die Begriffe "realistisch" und "gewöhnliche" (bzw. "wahrscheinlich") zu vermengen.


    Realismus ist ein Mass fuer die Menge an (unglaublichen) Zufaellen, die eine Geschichte braucht und vorwaerts zu gehen.

    'Timeline' (was ich grade auf Finnisch lese) ist nicht unrealistisch weil...

    ...die Leute im Mittelalter ankommen und sofort einer getoetet wird
    ... ein Junge der durch den Wald rennt sich als verleidete Adelige rausstellt
    ... der fiese Ritter die Protagonisten zum Turnier fordert
    ... er dann auch noch betruegt
    ... die Burg in der sie sind kurz darauf angegriffen wird
    ... das Kloster das sie danach aufsuchen auch angegriffen wird

    Alles das ist zweifellos ein moegliches geschehen - aber dass diese Haeufung an kritischen Situationen einer Gruppe von drei Personen innerhalb von nur 30 Stunden passiert - das macht es dann unrealistisch.

    Eine Geschichte ist dann interessant, wenn sie von unwahrscheinlichen (und daher ungewoehnlichen) Ereignissen erzaehlt - nur wenn man's uebertreibt wird sie unrealistisch.

    (In manchen Genres koennen auch Dinge vorkommen die schlicht und einfach unmoeglich sind - aber in Fantasy ist das eher schwierig - sicher gehen schwebende Berge, Schiffe die durch Wolken fahren oder so - bei SciFi wuerde ich schon vorsichtiger sein, weil das Sci ja auch was zu sagen hat, und wenn der Ermittler im Krimi von Florida nach LA in einer Stunde faehrt, dann ist das unrealistisch weil unmoeglich. Bei Fantasy kann der Autor da eigentlich nur seine eigenen Regeln brechen - Marion Zimmer Bradley hat das mal sehr beeindruckend gemacht - in einer Geschichte dauert eine Reise nach Nevarsin 30 (!) Tage durch Hochgebirge und frostige Paesse, in einer anderen fragt der eine den anderen Reisenden auf der gleichen Strecke nonchalant ob sie am Vortag aufgebrochen sind oder doch zwei Tage gebraucht haben...)

  • Finde ich jetzt interessant.

    Ich wuerde die Verhandlungsvariante als realistischer empfinden, aber sie gibt eben auch keine gute Story her.

    Das hängt dann natürlich wieder komplett vom Kontext ab.
    Der Versuch war, die Spannung auf diese "Befreiung" hin aufzubauen, um sie dann unerwartet zu brechen. (Bein Versuch ist es allerdings geblieben XD)


    Ob und wie viele Kämpfe und Schlachten man einbaut, hat meiner Meinung nach nichts damit zu tun, ob es eine gute Story wird oder nicht. Auch ohne Schlachten lassen sich spannende Geschichten eines Heers erzählen, die dann vielleicht sogar wesentlich spannender und abwechslungsreicher ausfallen als eine seitenlange Abhandlung wer wen erschlagen hat. (Da muss ich grad an "le morte d'arthur" denken, unbedingt mal reinschauen wenn man "historische" Fantasy und wirklich viele Schlachtbeschreibung lesen will :ugly: )


    Um nochmal die Mittelalterschiene zu fahren: So lange man sich nur ein paar Elemente aus einer 1000-jährigen Zeitperiode pickt und sie mit allen möglichen neuzeitlichen und typsichen Fantasyelementen mischt, wird das Ergebnis immer eine Tendenz haben, nicht 100% glaubwürdig zu wirken.
    Es gibt Leser die genau das erwarten, aber es gibt natürlich genau so auch Leser die sich freuen wenn das mal durchbrochen wird. Da das kein Standard ist, muss man sich natürlich mehr informieren und sich selbst ein Weltenkonzept zusammenbauen, was um eine vielfaches Schwieriger ist als einfach das übliche seltsame Gemisch aus Monarchie, Demokratischen Elementen und ein paar Feudalen Streuseln (damit auch ja die Vergewaltigungen nicht fehlen, nur die zeigen wie grausam alles ist!) das man in der Fantasy gerne antrifft...


    Edit: Da mich das immer noch mehr amüsiert als es sollte, ein Absatz aus le morte d'arthur, ist bei Gutenberg.org frei abrufbar. ;)

    Spoiler anzeigen

    When that the eleven kings saw that there was so few a fellowship did such deeds of arms, they were ashamed and set on them again fiercely; and there was Sir Ulfius's horse slain under him, but he did marvellously well on foot. But the Duke Eustace of Cambenet and King Clariance of Northumberland, were alway grievous on Ulfius. Then Brastias saw his fellow fared so withal he smote the duke with a spear, that horse and man fell down. That saw King Clariance and returned unto Brastias, and either smote other so that horse and man went to the earth, and so they lay long astonied, and their horses' knees brast to the hard bone. Then came Sir Kay the seneschal with six fellows with him, and did passing well. With that came the eleven kings, and there was Griflet put to the earth, horse and man, and Lucas the butler, horse and man, by King Brandegoris, and King Idres, and King Agwisance. Then waxed the medley passing hard on both parties. When Sir Kay saw Griflet on foot, he rode on King Nentres and smote him down, and led his horse unto Sir Griflet, and horsed him again. Also Sir Kay with the same spear smote down King Lot, and hurt him passing sore. That saw the King with the Hundred Knights, and ran unto Sir Kay and smote him down, and took his horse, and gave him King Lot, whereof he said gramercy. When Sir Griflet saw Sir Kay and Lucas the butler on foot, he took a sharp spear, great and square, and rode to Pinel, a good man of arms, and smote horse and man down, and then he took his horse, and gave him unto Sir Kay. Then King Lot saw King Nentres on foot, he ran unto Melot de la Roche, and smote him down, horse and man, and gave King Nentres the horse, and horsed him again. Also the King of the Hundred Knights saw King Idres on foot; then he ran unto Gwiniart de Bloi, and smote him down, horse and man, and gave King Idres the horse, and horsed him again; and King Lot smote down Clariance de la Forest Savage, and gave the horse unto Duke Eustace. And so when they had horsed the kings again they drew them, all eleven kings, together, and said they would be revenged of the damage that they had taken that day. The meanwhile came in Sir Ector with an eager countenance, and found Ulfius and Brastias on foot, in great peril of death, that were foul defoiled under horse-feet.

    A lot of smoting was done that day... Und ja, für moderne Leser ist das vermutlich etwas viel. XD

    Falken haben doofe Ohren

    Einmal editiert, zuletzt von Alcarinque (8. Februar 2019 um 11:57)

  • Ob und wie viele Kämpfe und Schlachten man einbaut, hat meiner Meinung nach nichts damit zu tun, ob es eine gute Story wird oder nicht

    Du redest mit jemandem der sich standhaft weigert Actionszenen in unsere Filme einzubauen - weil das halt nicht die Story ist wie wir sie erzaehlen wollen. :D

    Also, 100% Zustimmung, wenn die Story um was anderes geht, dann kann auch eine abgebrochene Schlacht wunderbar wirken - man muss ja nicht ueber die Krieger schreiben, man kann ja ueber die Intrigen der Diplomaten schreiben - wir machen Filme ueber eine Hexe, da passt meiner Meinung auch nichts an Action dazu.

  • Realismus ist ein Mass fuer die Menge an (unglaublichen) Zufaellen, die eine Geschichte braucht und vorwaerts zu gehen.

    Als ich das zuerst gelesen habe, hab ich nicht verstanden, was du damit meinst und hielt es daher für völligen Quatsch. Dein Beispiel erklärt was du meinst, aber ich würde Realismus nicht darauf reduzieren. Sicherlich gehört zu einem realistischen Werk, dass die Art und Weise, in der Dinge passieren, nicht unglaubwürdig sind.
    Man kann Realismus (und Fantasy als Gegenpol) auch als Maß dafür verstehen, wie genau unsere Realität bzw. ihre Regeln in einem fiktionale Werk abgebildet werden.
    Magie überwindet z.B. meistens eine Einschränkung, der wir in der Realität unterworfen sind. D.h. wenn jemand mit einem Fingerschnippen einen Feuerstrahl aus seinem Finger schießen kann, dann ist das unrealistisch. Andersherum: Wenn ein Charakter auf eine fünfmonatige Reise aufbricht, allerlei Abenteuer erlebt, dabei kämpft, schwitzt, durch Dornenhecken und andere Gestrüppe flieht und dann aber immer noch in dem gleichen weißen Hemd, das irgendwie immer noch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden ist, an seinem Ziel ankommt, dann ist das auch unrealistisch. Aber auf eine mMn andere Weise als du oben beschrieben hast.

    Warum ich das schreibe: Häufig werden in vielen Büchern viele Dinge der Realität ausgeblendet, d.h. nach diesem Verständnis wird unrealistisch geschrieben. Bei vielem ist das kein Problem, weil es keine Relevanz für die Geschichte hat und auch nicht von den Lesern erwartet wird. Allerdings gibt es auch LeserInnen, die gerne Realistisches lesen. Genauso, wie es LeserInnen gibt, die gerne Unrealistisches lesen. Beides ist meiner Ansicht nach in einem gewissen Maß in Ordnung.

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Wenn ein Charakter auf eine fünfmonatige Reise aufbricht, allerlei Abenteuer erlebt, dabei kämpft, schwitzt, durch Dornenhecken und andere Gestrüppe flieht und dann aber immer noch in dem gleichen weißen Hemd, das irgendwie immer noch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden ist, an seinem Ziel ankommt, dann ist das auch unrealistisch


    Ja, find' ich halt bei Fantasy problematisch, so ein Kriterium. Klar, in unserer Welt geht das nicht, aber in einer Fantasy-Welt kann ja die Physik ausser Kraft sein (Discworld mit Licht als Fluessigkeit (*) - und vielleicht gibt's ein alchemistisches Pulver das Hemden frisch haelt...

    Eigentlich kann ich in einem Fantasy-Setting nur die Widersprueche die der Autor mit seinen eigenen Angaben so hat ankreiden, aber nicht wie sehr seine Welt von unserer divergiert. Ich hab' mal an einer tollen Fantasy-Welt gearbeitet die ganz andere Physik als unsere etc. hatte - das war auch alles schoen konsistent geloest und ich hab' die Konsequenzen der Aenderungen im Detail ausgearbeitet - irgendwas in mir wehrt sich massiv, das unrealistisch zu nennen.

    (*) Weil's gar so cool ist, ich hab' mal einen GLSL-Shader ueberzeugt Licht wie in Discworld zu behandeln so dass es am Morgen langsam die Taeler rauffliesst

    GLSL ist eine tolle Sache fuer alternative Physik auf dem Bildschirm :D

  • Warum ich das schreibe: Häufig werden in vielen Büchern viele Dinge der Realität ausgeblendet

    Da ist mir jetzt nicht so 100% klar was du meinst. Ich hab mal eine Geschichte über Einhörner und Drachen geschrieben. Das vorletzte Einhorn So richtig realistisch war die nicht ;) Dabei geht es doch in der fantastischen Literatur, dass man sich über die Grenzen der Realität hinwegsetzt, aber innerhalb der Geschichte eine eigene Logik aufbaut und beibehält

    Gut, bei mittelalterlichen Welten wird das Mittelalter nicht realistisch beschrieben. Das ist mir persönlich allerdings nicht so wichtig. Versteh mich nicht falsch, ich laufe in jedes Museum und jede Burg, die ich kriegen kann, um mir Inspiration zu holen, oder Fakten zu Bögen und Schwertern zu sammeln. Wenn ich schreibe, sind diese Informationen in meinem Kopf und laufen da so mit. Mir ist allerdings die Geschichte wichtiger, das fiktive Mittelalter-Setting ist da nur Kulisse.

    Fantasy-Leser sind halt auch konservativ. Ein Bekannter Fantasyautor hat einmal Schusswaffen in einer Welt mit Elfen beschrieben. Das hat vielen nicht gefallen, da dies nicht zusammen benutzt werden dürfe…

    PS: @Thorsten Schönes Bild!

  • Klar, in unserer Welt geht das nicht, aber in einer Fantasy-Welt kann ja die Physik ausser Kraft sein (Discworld mit Licht als Fluessigkeit (*) - und vielleicht gibt's ein alchemistisches Pulver das Hemden frisch haelt...

    Cooles Bild! Ja, wenn mir der Autor erkärt, dass das anders ist, dann akzeptiere ich das.

    Eigentlich kann ich in einem Fantasy-Setting nur die Widersprueche die der Autor mit seinen eigenen Angaben so hat ankreiden, aber nicht wie sehr seine Welt von unserer divergiert

    Mir geht es nicht darum, einem Autor etwas anzukreiden, sondern darum, dass eine Geschichte, die sich mit einer ähnlichen Realität wie der unseren auseinandersetzt, als ein Abbild dieser Realität verstanden werden kann, das bestimmte Aspekte berücksichtigt, nicht berücksichtig oder sogar noch etwas hinzufügt. Daher die Charakterisierung in "realistische Literatur - fantastische Literatur". Diese Idee ist nicht auf meinen Mist gewachsen (ich würde da nämlich nicht fantastische Literatur hinschreiben), sondern kommt aus der Literaturwissenschaft. Genauere Quelle kann ich mal nachgucken, wenn ich wieder zuhause bin und Zeit dafür habe. Diese Einteilung hat zunächst mal aber keine Wertung, also ein realistischer Roman ist nicht "besser" als ein fantastischer Roman, auch wenn der fantastische Roman "unrealistischer" ist. Das ist überhaupt nicht der Punkt, sondern lediglich das Sich-Bewusst-Machen, dass auch ein vermeintlich realistischer Roman notwendigerweise die Realität nicht 100 % abbilden kann. Das ist einfach ein anderes, weiteres Verständnis von "Realismus" bezogen auf Geschichten.

    @Sensenbach: Ich versuche anhand von Beispielen nochmal genauer zu erläutern, was ich meine. Eine Geschichte erzählt immer zum Teil auch etwas über unsere Realität, z.B. das menschenähnliche Wesen etwas trinken und essen müssen. Zwergenbier, Lembasbrot, etc. kommt z.B. in Der Herr der Ringe vor. Über die Toiletten von Moria hat Tolkien aber kein Wort verloren (oder ich hab's überlesen). An dieser Stelle lässt er also einen Teil der Realität weg. Das ist erstmal nur ein Beobachtung, keine Wertung.
    In Bezug auf die Darstellung von Gewalt kann man auch ein ganzes Spektrum bedienen: In Star Wars bekommen Storm Trooper Rüstungen, die sie weniger menschlich wirken lassen, und durch die Blasterpistolen etc. werden auch alle Wunden sofort versiegelt, so dass die zwar sterben, aber nicht bluten. Das mag an dieser Stelle physikalisch realistisch sein (Hab ich aber keine Ahnung, wie das theoretisch wäre, ist mir auch egal), aber die emotionale Seite des Tötens von Menschen wird ebenfalls ausgeblendet. Hat mal jemand mitgezählt, wie viele Stormtrooper durch unsere Star Wars Helden getötet werden? Haben sie je einen Gedanken darauf verschwendet?
    Auch Legolas und Gimli haben keine Hemmungen Orks (ok, vielleicht verständlich) oder Haradrim (Menschen aus dem Süden) zu töten. Der Herr der Ringe blendet aus, dass das Töten von Feinden einen vielleicht ein Leben lang emotional beschäftigen kann.
    Manche "neuere" Fantasy bezieht diese bisher traditionell ausgeblendeten Aspekte mit ein: In Ein Lied von Eis und Feuer wird ein Charakter mit einer Armbrust erschossen, während er nachts auf dem Abbort sitzt. Tyrion verliert seine halbe Nase, weil eine Schlacht eben nicht so ist, dass die Guten ihre Feinde in einem heldenhaften Angriff (mit erhobenem, leuchtendem Zauberstab - wer sich Die Zwei Türme nochmal angucken möchte) vor sich hertreiben und unverwundbar scheinen, sondern eine dreckige, unkontrollierbare Angelegenheit.
    Das ist eine andere Art der Abbildung der Realität. Natürlich blendet auch diese Teile der Realität aus. Ich möchte auch nochmal betonen, dass damit kein Urteil über besser oder schlechter oder "so müsste es eigentlich gemacht werden" verbunden ist. Es sind einfach Entscheidungen, die ein Autor trifft. Für mich wird da was Hilfreiches draus, wenn ich als Autor diese Entscheidungen bewusst treffe.
    Macht es das leichter verständlich?

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • @Asni

    Ich denke, wir sind weniger inhaltlich auseinander als semantisch.

    Wenn man das Paar 'realistisch / unrealistisch' nimmt, drueckt man dadurch aus dass etwas schief gelaufen ist, wenn man das Paar 'realistisch / phantastisch' nimmt dann die Art wie die Welt gestrickt ist. 'Phantastisch' wuerde ich ohne weiteres als Charakterisierung meiner Welt mit alternativer Physik akzeptieren - 'unrealistisch' eher nicht.

    Also, ich rede mehr vom ersten Paar, hatte aber ausgeblendet dass das zweite Paar ja auch Sinn gibt (und da keine Wertung ist).

    Auch Legolas und Gimli haben keine Hemmungen Orks (ok, vielleicht verständlich) oder Haradrim (Menschen aus dem Süden) zu töten. Der Herr der Ringe blendet aus, dass das Töten von Feinden einen vielleicht ein Leben lang emotional beschäftigen kann


    Ja, die haben natuerlich den Vorteil dass die Rollen von Gut und Boese in der Welt ziemlich klar sind - natuerlich haben die keine Hemmungen oder Gewissensbisse mit den Schergen von Sauron aufzuraeumen, denn die sind nicht irgendwie irregeleitet, sondern die sind faktisch boese - und deshalb ungefaehr so leicht auszurotten wie Ratten,

    In Mittelerde gibt's halt eine absolute Ethik, so ist die Welt angelegt.

    Tolkien hatte ja mal die Idee dass die Orks aus gefolterten und deformierten Elben entstanden sind - ein Grund dass wir davon nicht viel hoeren ist, dass die Implikation ist dass Orks dann 'schuldlos' waeren und es nicht mehr legitim waere, sie einfach auszurotten - und diese absolute Ethik war fuer Tolkien sehr zentral.

    In den (wenigen) ambivalenteren Situationen die Tolkien anreisst (im Silmarillion hauptsaechlich, Alqualonde zum Beispiel wo Elben auf andere Elben losgehen) wird schon impliziert dass das schwere Traumata sind die Wunden reissen die noch tausende Jahre spaeter offen sind.


    yrion verliert seine halbe Nase, weil eine Schlacht eben nicht so ist, dass die Guten ihre Feinde in einem heldenhaften Angriff (mit erhobenem, leuchtendem Zauberstab - wer sich Die Zwei Türme nochmal angucken möchte) vor sich hertreiben und unverwundbar scheinen, sondern eine dreckige, unkontrollierbare Angelegenheit.

    Hier wiederum wuerde ich sagen dass das tatseachlich ein Widerspruch des Autors mit seiner eigenen Welt ist und daher 'unrealistisch' im schlechten Sinn - es wird impliziert dass Waffen normale Waffen sind und Wunden normale Wunden, dass Koepfe abgetrennt werden koennen etc.- daher ist es unrealistisch dass sowas nicht in groesserem Masse passiert.

  • Tolkien hatte ja mal die Idee dass die Orks aus gefolterten und deformierten Elben entstanden sind - ein Grund dass wir davon nicht viel hoeren ist, dass die Implikation ist dass Orks dann 'schuldlos' waeren und es nicht mehr legitim waere, sie einfach auszurotten - und diese absolute Ethik war fuer Tolkien sehr zentral.

    Ich weiß, dass ist ein wenig Offtopic, aber ich wollte dennoch was hinzufügen.

    Die ersten Orks entstanden aus gefolterten Elben. Das steht sowohl in den Büchern, als auch im Film. Anschließend vermehrten sie von alleine, im Film (und ich glaub auch im Buch) wird hierbei eine Art Magie/Ei-Mischmasch angedeutet. Zumindest gilt das für die Uruk-Hai, die ja eine magische Züchtung aus Orks und Östlingen von Saruman waren. Nicht jeder Ork ist also ein gefolteter Elb. Aber für Elben wäre es vermutlich so zu sehen, dass sie die arme Kreaturen erlösen.
    Zwerge hassen hingegen Orks und können auch Elben nicht leiden. Hier ist der Hass eine starke Motivation. Sie haben keine Gewissensbisse. Außerdem wird (auch im Hobbit) deutlich gezeigt, dass sie ein völlig anderes Verständnis von Ehre und Anstand haben. Zum Teil wird es auf die magischen Ringe geschoben, die die Gier der Zwerge verstärkten.

    Hobbits haben hingegen sehr wohl Gewissensbisse. Sie töten nur in absoluter Notwehr und sind dann von sich selbst überrascht. Es wird auch im HdR beschrieben, dass sich die Hobbits nach ihren Abenteuern nie wieder richtig wohl fühlten. Auch andere Symptome des posttraumatischen Belastungssyndroms sind detailreich ausgearbeitet. Tolkien, als ehemaliger Soldat, hat das durchaus in seinen Geschichten bedacht und nicht einfach ausgeklammert.

    Menschen töten Orks zwar ohne Gewissenbisse, aber bei anderen Menschen zögern sie. Die wilden Menschen aus dem Süden und Osten werden in den Schlachten gefangengenommen und dann von Aragorn begnadigt. Sie haben auch die geringsten Verluste zu beklagen. In dem Filmen wird das zwar ausgeklammert, in den Büchern aber gut beschrieben.

    Um jetzt den Bogen zum Topic wiederzufinden:
    Es wäre nicht im Sinne des Lesers, wenn gemetzelt würde ohne Konsequenzen. Da die Bücher aus Sicht der Hobbits beschrieben sind, ist es aber immerhin bei den Hobbits gut ausgearbeitet, dass sie unter ihren Erlebnissen litten. Bei den Menschen wird es immerhin angedeutet.
    Das macht die Bücher übrigens automatisch sympatischer. Ich habe auch Bücher bei mir im Regal, wo getötet wird ohne Gewissensbisse. Das löst aber in mir eher Ablehung aus, mir fehlt da etwas. Der HdR trifft hingegen mit den Hobbits, die das Erlebte nicht verarbeiten können, direkt den richtigen Nerv.

  • Die ersten Orks entstanden aus gefolterten Elben. Das steht sowohl in den Büchern, als auch im Film.


    Ja, der Film ist jetzt nicht so relevant nachdem Tolkien den nicht authorisiert hat (es gibt eine Stelle in 'Letters' wo er ein anderes Drehbuch kommentiert - das neben den Jackson-Film gehalten gibt einen ganz guten Eindruck was der Professor dazu gesagt haette...).

    Ansonsten ist es bei Tolkien halt so dass viel publiziert ist was er gar nicht publizieren wollte (das Silmarillion zum Beispiel ist nicht 'fertig') und dass es da eben widerspruechliche Angaben an allen moeglichen Stellen gibt - eine gute Uebersicht findest Du hier.

    Ein definitives Statement so wie Du das hier zu machen versuchst gibt das nicht her...

  • @Thorsten du gehst jetzt aber ganz schön ins Offtopic.

    Aber um noch kurz was dazu zu sagen: Im HdR steht, das Orks aus gefolterten Elben entstanden. Also nehme ich das so hin. Wenn jetzt in einem zweiten Buch etwas anders steht, deutet das für mich auf einen inneren Widerspruch hin. Wenn das zweite Werk aber nie für die Veröffentlichung vorgesehen war, und noch nicht einmal fertig war (wie beim Silmarillion der Fall), dann ist für mich das korrekt, was im ersten Buch stand.
    Ist nur meine persönliche Einstellung.

    Aber ob Orks jetzt aus gefolterten Elben entstanden, oder sonstwie, ist für mich nicht wichtig. Ich gehöre nicht zu denen, die Tolkiens Werke auf eine heilige Ebene stellen. Der HdR ist für mich einfach nur ein gutes, aber kein perfektes Buch. Dafür ist es zu schwerfällig geschrieben (ja, ich weiß, Ketzerei). Keine meiner Geschichten basieren in irgendeiner Form auf dem HdR, noch ist es eine große Inspiration für mich.

    Ein "defintives Statement" gebe ich zu einem Buch auch nicht ab. Ich gebe nur meine Einschätzung preis. Ich bin weder der Autor, noch ist ein Buch etwas, wozu man tatsächlich meiner Meinung ein definitives Statement abgeben kann. Dazu gibt es zu viele Gedanken im Hintergrund, die ein Autor wohl kaum alle zu Papier bringt. Zu viele Verwicklungen und Interpretationsmöglichkeiten.

    Und um wieder zu versuchen den Bogen zu Topic zu finden:
    Für mich als Leser erwarte ich eine innere Logik und keine, die in einem anderen Werk anders ist. :)

  • Ansonsten ist es bei Tolkien halt so dass viel publiziert ist was er gar nicht publizieren wollte (das Silmarillion zum Beispiel ist nicht 'fertig') und dass es da eben widerspruechliche Angaben an allen moeglichen Stellen gibt - eine gute Uebersicht findest Du hier.

    Sehr cooler Link! :D

    Tolkien war da halt ganz klar primär Weltenbauer und nicht Buchautor und hat immer weiter an seiner Welt gedreht. Da gibt es leider keinen finalen Ist-Zustand. Da der HdR das letzte von ihm raus gegebene Buch war, muss man eigentlich das als "richtig" akzeptieren, und da wird die Verbindung zum Menschen anscheinend deutlicher angedeutet als mir bewusst war...

    Das Silmarillion ist ja nur ein Schnipselwerk aus mehreren Jahrzehnten das von ihm nie gedacht war, (in der Form) veröffentlicht zu werden. Jeder der eine Welt baut weiß, wie genau die aufgeschriebene und die eigentlichen Welt und Vorstellung die man im Kopf hat, voneinander abweichen kann. ^^

    @Ork-schlachten: Da ich Mittelelde nicht als historische sondern als mythologische Welt verstehe macht das in gewisse Weite mehr Sinn, da in so einem Setting Böse einfach klar Böse ist. (Auch wenn es mit Gollum ja schon wieder unklar gemacht wird)


    Und um zum Thema zurück zu kommen, das scheint mir ein recht schwieriges Element zu sein: Wenn man eine Geschichte in der Welt schreibt und sich diese immer noch entwickelt, sollte man das wohl irgendwie klar definieren wie man hier vorgehen will. So extrem wie in MZBs Darkover ist ja dann doch nicht gerade optimal. XD

    Falken haben doofe Ohren

  • Wenn man eine Geschichte in der Welt schreibt und sich diese immer noch entwickelt, sollte man das wohl irgendwie klar definieren wie man hier vorgehen will.


    Da finde ich Tolkien als Beispiel eben interessant, weil wir da durch die ganzen posthum-veroeffentlichten Schriften eine ganze Menge ueber den Prozess wissen. Der Leser erwartet dass die Welt am Ende ein geschlossenes Ganzes gibt, aber ein Autor der ueber mehrere Jahrzehnte hinweg schreibt kann sowas nicht ohne weiteres liefern - Ideen entwickeln sich ja weiter.

    Tolkien hat in seinen spaeten Jahren damit oft gehadert dass seine Buecher ueberhaupt veroeffentlicht waren, weil ihn das in seinen sich entwickelnden Konzepten der Sprache under der Welt massiv eingeschraenkt hat. Generell fuehlte er sich an das gebunden was veroeffentlicht war, und er hat teilweise abstruse Erklaerungen entwickelt um seine neuen und seine veroeffentlichten Ideen irgendwie unter einen Hut zu bringen (er war Pefektionist...). Im Beispiel der Orks war seine erste Idee dass sie von Morgoth gemacht sind - aber das wurde revidiert nachdem er die Idee hatte dass Morgoth nichts schaffen, sondern nur erschaffenes verzerren kann. In seinen spaeten Schriften kann man ihn dann mit dem Problem ringen sehen dass Orks dann eigentlich 'schuldlos' sind - die Philosophie dahinter wird immer ausgereifter sozusagen.

    Was ich an dem Thema interessant finde ist, dass wir eben Tolkien's Gedanken ueber sein Werk ueber eine lange Zeit verfolgen koennen - wie auch er sich ueber zu einfache Erklaerungen die er schon gegeben hatte aergern konnte, wie er versucht hat Konzepte so zu aendern dass es doch irgendwie passt, oder eben wie er festgestellt hat dass es in seiner Welt eben doch anders sein muss ohne eine Loesung anbieten zu koennen.

    (In der Community der Tolkien Scholars lassen wir das gewoehnlich alles so stehen ohne zu versuchen was jetzt das 'richtige' Konzept ist - in einem Jahr dachte Tolkien halt so ueber ein Thema, spaeter anders - gehoert alles zu Mittelerde wie es in seinem Kopf war...)

    Zwischen 'The Hobbit' and 'Lord of the Rings' sind ja auch diverse Unterschiede im Konzept - die Elben von Rivendell im Hobbit aehneln denen in LOTR ja zum Beispiel nicht so wahnsinnig - das ist ein Beispiel wo er das erste Konzept halt einfach verworfen hat und der Unterschied jetzt so steht.

    Ich denke Tolkien und MZB sind da zwei Extreme - Tolkien hat sich sehr bemueht alles konsistent zu machen, aber sein Perfektionismus ist halt auch der Grund dafuer dass so wenig veroeffentlicht wurde - es wurde nie fertig, ein neues Konzept wurde eine ganze Weile verfolgt, lief dann in Widersprueche, er versuchte sie aufzuloesen, scheiterte - und entschied sich nochmal von vorne zu beginnen - und das koennen wir nicht einmal, nicht zweimal sondern ein paar Dutzend Mal verfolgen. MZB war es, nach allem was ich so sehen kann, weitgehend egal - sie fuehlte sich nicht an das gebunden was schon geschrieben war, wenn ihr was nicht mehr gepasst hat, dann wurde es durch das neue ersetzt.

    Ich denke irgendwo zwischendrin ist das Optimum - ein Leser hat nichts von Perfektion wenn die Geschichte nie fertig wird. - aber wenn es moeglich ist, schadet es nicht zu versuchen Widersprueche zu glaetten :D

    Aber ich kenne keinen Autor der 30 Jahre vorausplanen kann - also wird's solche Probleme wohl immer geben.